1 Alwin Metz Einj. Frw. RJR 9/224 (Oppurg-Orla Thüringen) 1. Januar ...

damit zu, dass er von Depot zu Depot manchmal 500 Werst weit fahrt. Ein Zu~ ... Ich gehe hin, wo man mir sagt, dass es am besten wäre, wenn ich weiter.
74KB Größe 3 Downloads 136 Ansichten
Alwin Metz Einj. Frw. R. J. R. 9/224 (Oppurg-Orla Thüringen)

1. Januar 1919 Wir haben das alte Jahr mit Gulasch verabschiedet. Ich bin kaum noch zu einer Mahlzeit hungrig, haben Weihnachten zu viel gegessen. Im Übrigen war nicht viel los. Ich war bis 12 Uhr auf. (Rand abgeschnitten) Herrn Doktor M... und dem Bataillonschef mit seinem Stab. War auch noch einmal in der (Rand abgeschnitten) 25. Baracke bei den B... Wenig Stimmung. Bis 12 Uhr gelesen. Heute Abend gemütliches Beisammensein mit Kaffee. Ich habe Grüner, Philipsen, Balzinger, Pastor, Steinmetz Glückwünsche geschickt. 2. Januar 1919. Vollert gratulierte mir als Einziger von selbst. Abends bei W. O. Giesecke und U. . .. Lange Auseinandersetzung über gemeinsame Fahrt. Giesecke ist nicht von der Schönheit derselben zu überzeugen. Kleiner Geburtstagskaffee. Die schönste Geburtstagsfeier in der Gefangenschaft. Heute haben wir die Englisch-Stunde bei Doktor M… nach dem Umzug wieder aufgenommen. l9. Januar 1919. Doktor N... Geburtstag. Ich habe ihm das Buch … geschickt. 27. Januar 1919. Kaisers Geburtstag. Gulasch, abends Milchreis. Nachmittag Kaffee für Vertrauensmänner. Ich lese „The King of Diamonds“. Träume in der Nacht davon. Seit acht Tagen wohnen wir in der Regiments-Kanzlei, weil die Baracke 14 zu kalt ist. 28. Januar 1919. Viel Hunger, schlechtes und wenig Brot, krank und üble Laune. 29. Januar 1919. Erbsen, zwei Mann eine ganze Schüssel voll. Viel Gas.

1

31. Januar 1919. Giesecke, und U... und ich bei einer Besprechung. Religion, Gott usw. 2. Februar 1919. Harri S... ist wieder da. Ich bin in Angst wegen meines DoppelSpiels. Er und ich werden, sobald sich etwas Gutes findet, auf Arbeit gehen. 6. Februar 1919. Hauptmann von Hinüber ist hier gewesen und hat uns seltsame Dinge erzählt. Man will ein deutsches Bataillon gründen und hofft anscheinend, dass wir schnell bei der Sache sind. Natürlich hat man schon abgewinkt, trotzdem fürchte ich das Schlimmste. Es wird soweit kommen, dass wir noch einmal die Waffen ergreifen. Ich denke auf Arbeit zu gehen, wenn es sich machen lässt. Mache mir viel Kopfschmerzen. 20. Februar 1919. Ich gehe nur ungern ans Tagebuch. Alles ist noch unentschieden. Ich will auf Arbeit gehen, aber nur, wenn ich etwas Passendes finde. Ich muss einfach, sonst werde ich verrückt. Die Baracken machen mich nervös. Heute feines Abendbrot bei Freund T…., Butterbrot mit Schinken. 1a. Eine traurige Novelle von Fritz Döring „Zertretene Saat“ gelesen. 23. Februar 1919. Ich bin fertig, um auf Arbeit zu gehen. Das Lagerleben hat mich ganz verrückt gemacht. Meine Bitte habe ich in der Bücherei eingestellt. Habe aber noch keine Stelle. Heute kommt Nachricht, dass wieder fünf Mann von den Tschechen erschossen worden sind. Wegen Fluchtversuch. Das sind nun schon 11 Mann, von den denen man Nachricht hat. Vormittag 10 Uhr war ich im Gottesdienst. Feldgeistlicher Wiese sprach über „Dein Wille geschehe“. Nachmittag Besuch bei Philipsen und Hauptmann Steinmetz. Butterbrot. Ich glaube, er will mich mit dem Butterbrot versöhnen.

2

24. Februar 1919. Ich habe so närrisch geträumt. Meine Mutter wäre gestorben, weil mein Bruder gefallen sei, so schrieb mir mein Vater im Traum. Ich bin den ganzen Morgen schon ganz trübsinnig. 2. März 1919. Eine recht schöne Aufführung von „Gemütsmenschen“. Gabler und Winter spielten herzig. Ich bin wieder den ganzen Abend verklärt. Sund ist nicht gekommen, die Arbeitsfrage ist noch nicht entschieden. Vielleicht diese Woche. Es wird Zeit, dass wir hinaus kommen. In der Bücherei behandelt man uns wie abgeschieden. 9. März 1919. Offizier-Stellvertreter Müller hat Geburtstag. Ich feiere mit. 11. März 1919. Ich habe mich als Deutschik bei dem Oberstleutnant Jakobovitsch gemeldet. Herr Timme desgleichen bei dem General. 31. März 1919. Aus der Stelle beim Oberstleutnant ist nichts geworden. Schiebung. Auch eine neue Stelle bei einem General ist mir dank der Gemeinheit eines Juden durch die Finger gegangen. Gestern habe ich nun endgültig erfahren, dass meine Stelle bei einem Zahlmeister Sokolowski Erfolg hat. Es hat mich deshalb vollständig fertig gemacht. P... hat mir diese Stelle besorgt. 4. April 1919. Endlich. Ich bin da beim Zahlmeister. Verfluchte Fahrt. Zwei Stunden warten, weil Zug versäumt. Dann angekommen. Junge freundliche Frau führt mich in die Küche und ich warte. Bringe meinen Anzug in Ordnung. Sie fragt dann, ob ich gegessen, ob ich Tee oder Kaffee trinke. Ich wünsche Kaffee. Gleich muss ich den Samowar anstellen. Nach einiger unbegründeter Sorge auch gelungen. Sie bringt Kaviar und eine ganze Büchse Zucker. Ich esse wie ein Hungriger, denn seit einem Kaffee nichts gegessen. Zweite Arbeit: Messer

3

und Gabel putzen. So viel gegessen, dass ich zum Abend gar keinen Hunger habe. Nudelsuppe, Klops. 5. April 1919. Erste Nacht leidlich verbracht. Morgen Samowar angesteckt und auch rechtzeitig fertig geworden. Dann bringt mir meine Herrin das Frühstück, Tee und Weißbrot. 13. April 1919. Der zweite Sonntag auf der Arbeit. Palmsonntag. Viel Arbeit. Heute schon gebacken, Holz gehackt. Dinge, die ich sonst am Palmsonntag nicht getan habe. Aber die Behandlung ist sehr gut. Bin ziemlich müde. In den letzten Tagen große Reinigung. Spät zu Bett, früh heraus. Ich glaube aber, dass meine Herrschaft zufrieden ist. Mir tut die Arbeit sehr gut. Frühere Laster und Dummheiten habe ich mir bei der dauernden Arbeit abgewöhnt. Eben hat mich Doktor M… besucht. Ihm geht es an der Stelle, die ich ihm verschafft hatte, sehr gut. Er sagt, er arbeite etwa den zwanzigsten Teil von dem, was ich zu tun habe, aber das erste sind ja nur die Ostertage. Und wenn erst alles rein ist, dann wird es besser gehen. 18. Juni 1919. Mein Tagebuch ganz vernachlässigt. Viel Arbeit. Überhaupt andere Interessen. Ein wenig wohl verliebt in meine Herrin, ganz unschuldig und aussichtslos, sonderbare Dinge erlebt man ja genug. Neuerlich fand ich im Ofen ein blutiges Teil der Monatsbinde. Wahrscheinlich von meiner … Vorgestern öffnete sie mir die Tür im Hemd, sowas regt auf. … (Rand abgeschnitten) Gefangener. Heute versuchsweise gekündigt. Es hat geholfen. Ich habe erreicht, dass ich mich auch in der Stube aufhalten kann und dass ich, wenn wir allein sind, mit ihr Tee trinken kann.

4

Deshalb Stimmung etwas besser. Sie hat mir übrigens gesagt, ich bin nicht ihr Dr. .., sondern Po... (Gehilfe). Ich tue mir es zugute auf diese Standeserhöhung. 19. Oktober 1919. Arbeitsaufgabe. Ins Lager eingerückt. Sehnsucht nach der Stadt. Fast Reue. 20. Oktober 1919. Besuch in bei Doktor N... und Neumann. 21. Oktober 1919. Besuch bei Madam. Tee getrunken. Freundlich aufgenommen. Krankes Huhn. Als Gast behandelt. 22. Oktober 1919. Als Stenograf bei der Lagerleitung angenommen. Versprochen 300 Rubel monatlich. 19. November 1919. Allmählich an die blödsinnige Maschinenarbeit gewöhnt. Mit Petroleum gehandelt. In zehn Tagen gegen 1000 Rubel gewonnen und einen feinen Mantel und Filzstiefel davon gekauft. Vorgestern nichts, 740 Rubel mit drei Mann versteigert. Bezahlt hat Herr H…, mein Lieferant. Gestern Abend ein neues Geschäft, 400 Spiritus, 300 Benzol und 100 Benzin. Wenn das geschafft wird, bin ich ein reicher Mann. Das Lager hat gestern eine Adresse aufgesetzt an die deutsche Regierung, in der unsere Deutschen nach fünfjähriger Gefangenschaft anfragen, ob noch Aussicht auf Heimkehr ist. Die Stadt ist sehr unruhig. Schießerei. Offiziere Alarmzustand. Das amerikanische Rote Kreuz will nächste Woche schon weiter reisen. Wenn die Roten kommen, wollen uns auch die Schweden und alle Konsum... verlassen.

5

23. November 1919. Am Tage Strindberg „Das rote Zimmer“ gelesen. Abends eine gute Aufführung von Sudermanns „Stein unter Steinen“ gesehen. Ganz entzückt über die gute Darstellung. Aber zu großer Effekt das Stück selbst. Tendenz zu stark. 26. November 1919. Heute den Text eines Memorandums an das Amerikanische Rote Kreuz und die Vertreter der Siegermächte abgefasst. Sehr geschickte Abfassung. Unsere Leiden in grellem Ton geschildert. 25. Dezember 1919. Gestern Heiligabend. Reiche Bescherung vom CVJM: Seife, Rasierpinsel, Zigaretten, Streichhölzer usw., von der Wehr Zigaretten, eine Wurst, ein Strietzel, Tabak, Taschentuch usw., sehr reichlich und wertvoll. Abends mit der Kantine und anderen Freunden reichlich zum Schnaps Tee getrunken. Ich bin noch vollständig satt von vorgestern. Nachts die betrunkene …gesellschaft macht in unserer Baracke Skandal. Nette Enthüllungen. Homosexuelle Dinge zwischen den einzelnen Mitgliedern besprochen, wie sonst nur Huren zu tun pflegen. Gestern in der Nacht hat sich ein Umschwung vollzogen. Sozialrevolution. Kein Mensch weiß, was los ist. Die kleine Republik umfasst vorläufig nur H…, I… und B... Die Regierung hat ein Ultimatum an die Stadt Irkutsk gesandt, das heute Abend 6 Uhr abläuft. Unsere Hoffnung auf Heimfahrt ist sehr erheblich gewachsen.

6

27. Dezember 1919. Heute war ich den ganzen Tag unterwegs nach Zeitungen. Wunderbarer Tag. Dr. Neu... besucht, dann auf Station Irkutsk. Die Stadt ist „blockiert“ durch die Aufständischen. Aber vormittags 10 Uhr haben sie kapituliert. Nachmittags 3 Uhr flogen Flieger aus H… und warfen Proklamationen. Der deutsche Panzerzug fuhr nach Osten. Die Tschechen unterstützen die neue Regierung. Angeblich kommt A...mann S... der Stadt zur Hilfe. Er hat hier Aufrufe erlassen und Befehle, die Stadt auf jeden Fall zu halten. Das kann gut werden, wenn er mit seiner Räuberbande hierher kommt. Ich hoffe, dass die Tschechen ihn abhalten. In K… sollen sie ihn angeblich schon aufgehalten haben. Sonst würde es uns schlecht ergehen. Heute war Protestversammlung gegen das schlechte Essen zu Weihnachten. Wir sind doch sehr verwöhnt. Morgen will ich ins Theater gehen. Hans Dreier: Großmamas Junggesellen-Schwank wird gegeben. 31. Dezember 1919. Silvesterfeier. Mit Reich und seinen Freunden. Bis 3 Uhr zusammen und gezecht. Recht erhöhte Stimmung.

7

1920 1. Januar 1920. Heute mit schwerem Kopf arbeiten müssen, da Zeitungen angekommen waren. Durch Oberleutnant ...(Rand abgeschnitten) Semjonow ist in der Stadt angekommen, die Straßenkämpfe sind sehr heftig. 2. Januar 1920. Geburtstag. Ich war in H…, um das gestrige Stenogramm zu verlesen. Dr. N... gratulierte mir. Dann war ich in Irkutsk, auf der Station nichts Besonderes. Viele Schwierigkeiten. Abends kleine Feier bei Kaffee und Kuchen. 3. Januar l920. Heute will ich mir das Silvester-Kabarett ansehen. S... hat einen Befehl ausgegeben, die Gefangenen nach Maßgabe der Möglichkeit nach dem fernen Osten zu schaffen. Herr Reich trägt sich mit Fluchtgedanken, ich soll dann die Redaktion übernehmen. Ob mir Landsmann Sondhaus (?) nicht helfen wird? 12. Januar 1920. Heute vor zehn Jahren am Geburtstag meiner geliebten Großmutter habe ich die Aufnahmeprüfung im Seminar gemacht. Heute nur sehr kleine Zeitung. Ich blättere in meiner Feldpost und sehe all die sorgende Liebe, die oft vergessene Anhänglichkeit vor mir. Ich hätte öfter mal diese Erinnerungen durchsehen sollen, dann wäre ich in der Gefangenschaft besser geblieben. 14. Januar 1920. Ich habe heute auf der Station Irkutsk die Angora kurz vor dem Zufrieren. Großartig, wie ein fließender Gletscher. Walzende Eisschollen, aber nicht in Wasser, sondern in Schneeschaum. Donnern und Tosen am ganzen Fluss. Die ganze Breite droht bis zur Stadt. Und die Umgebung ist vollständig überschwemmt. (Zwischen dem 15. Januar und dem 2. April keine Eintragungen.)

8

3. April 1920. Die Abfahrt steht vor der Tür. Lehmann ist schon im Waggon. Ich will erst mit dem übernächsten Zug fahren. Ich bin noch nicht fertig mit Verkauf der Zeitungssachen. Vorgestern hat man mir auf dem Basar 1800 Rubel Ratsgeld (?) gestohlen. 900 Rubel waren auch noch fremdes Geld. Durch Bücherverkauf habe ich den Schaden wieder wett gemacht. Morgen ist Ostern. Ich freue mich auf das gute Essen. Schon einen Monat haben wir fast kein Fleisch und nur 1/4 Pfund Brot täglich bekommen. Das ist so gut wie nichts. Ich bin hungrig von einer Mahlzeit auf die andere. Fast die ganze Woche war ich in der Stadt, um meine Sachen zu verkaufen. Habe mehrmals auch S... besucht. Mittagessen immer eingeladen. 11. April 1920. Russische Ostern. Abfahrt auf „Arbeit“. 9 Uhr abends. Feines Leben im Waggon, weil ehemalige Mannschaft da ist. S... schenkt mir Rindszunge, der Feldwebel seine Butterdosen. 12. Mai?. Schöner Morgen und gut geschlafen. Ende April Ankunft in Omsk. Unterwegs zwischen Krasnojarsk und Nowo... Tausende von toten Pferden und Menschen des Rückzugs. In Omsk sechs Tage lang Verhandlungen. 1. Mai freiwillige Arbeit in einer Ölfabrik. 3. oder 4. Mai unsere Weiterfahrt abgelehnt. Unsere Züge auf dem Sortierbahnhof neben einander gefahren und mit Kavallerie umstellt. Kosaken reiten ab, als wir ihnen erzählen, dass wir nicht Tschechen und Polacken mit Waffen sind, sondern Kriegsgefangene. Ein … wird unter Bedrohung von zwei Maschinengewehren ausgeladen. Wir geben den Widerstand auf.

9

Eisenbahnarbeiter. Dolmetscher einer Gruppe von 20 Werste vor Omsk. Unser Staschi, sehr vernünftiger alter Herr, treibt nie zur Arbeit. Junge Witwe, seine Tochter. Das Leben ist sehr schlecht. Wir empfangen den Monat drei Pfund Kascha, 1/2 Pfund Butter, täglich 1/4 Pfund Brot. Acht Stunden täglich arbeiten, ist mir sehr schwer gefallen. Nach kurzer Zeit schon daran gewöhnt. Zu Pfingsten 1/4 Schnaps gekauft. Der Starscha bezahlte 1000 Rubel und nahm von uns 2500 Rubel. Der Soldat will die Sache als anzeigen. Der Starscha wünscht, dass wir sobald als möglich weggehen. Uns ist es recht. Wir erhalten aber nur fiu eine Woche Lohn. Zwei Wochen werden einbehalten. Im Ganzen drei Wochen gearbeitet. Einmal selbst Schienen ausgerichtet und gehoben. Starschi lobt mich und sagt, dass russischer Soldat drei Jahre braucht, … … dann doch nicht so ..., wie ich. 4. Juli 1920. 1/2 7 Uhr Starschi fahrt uns zum nächsten Rasthof. Zum Unglück geht heute der regelmäßige Zug nicht, da er nur alle zwei Tage fährt. Und sonst auch kein Zug. Wir liegen im Grase, essen, beobachten Ameisen, wie sie Raupen, Holz usw. in ihren Bau schleppen. Nachts im Vorraum der Station gut geschlafen. Plötzlich Mitternacht Wecken. Ein Militärzug! Noch im letzten Moment gelingt es uns, aufzusteigen. Soldat guter Kerl, aber sein Befehl ist, uns auf der nächsten Station hinauszuwerfen. In Lublinskaja von der Miliz runter geworfen. 5 . Juli 1920. Wir sitzen auf der Station Lublinskaja. Eben fährt der Zug ein. Der Personenzug hat uns nicht mitgenommen. Gleich darauf kommt ein Munitionszug. Der Bremser will nicht erlauben, dass wir mitfahren, aber der Milizbeamte, um uns loszuwerden, sagt ihm, dass Befehl da sei, reisende Gefangene nicht aufzuhalten. Auf diese Weise ist unsere Fahrt gesichert bis Nas..., wo Maschinenwechsel ist. Wir fühlen uns auf unserer Lore so sicher, dass wir frohen

10

Mutes sind. Wir liegen auf dem flachen Wagen, lassen uns von der Sonne bescheinen und warten auf eine neue Maschine. Vielleicht müssen wir auch die Nacht hier zubringen. Mit dem Sch… weiter gefahren. Am Abend kommen wir schon nach der Station … Wir gehen in das Gelände, kehren aber sofort zurück, da wir außerhalb der Station stehen und sich kein Mensch um den Zug kümmert. 6. Juli 1920. Wir kommen heute nach T… Sehr gefährlich, hat man uns gesagt. Unterwegs requiriert man Tee und Fleisch. Ich verliere ein Pfund Tee, das aber meinem Kameraden Paul gehört. Mit uns fährt ein Milizionär. Vielleicht sind wir schon verhaftet, ohne dass wir es wissen. Ich lerne einen Kommandanten kennen, der drei Waggon unserer … mit Munition und Gewehren nach Moskau bringt. Er lädt mich ein, mit ihm zu fahren. Ich bin anscheinend aus aller Gefahr heraus. Vorläufig will er mich über T... bringen. Meine Kameraden werden in T... bleiben müssen. Es tut mir leid, mich von ihnen trennen zu müssen. Bisher war ich ihr anerkannter Führer und Dolmetscher. Aber sie dringen, dass ich nun an mich denken soll und das Glück ausnutzen soll. Ich steige also um und lerne recht angenehme Menschen kennen. Ich schlafe nach drei Tagen wieder einmal herrlich, wenn auch auf zwei Kisten mit Granaten, deren Leisten die Knochen stark drücken. 7. Juli 1920. Wir stehen den ganzen Tag auf der Station. Schrecklich drückende Hitze. Ich gehe mit meinen russischen Kameraden baden. Fühle mich schlapp und müde. Der Führer sagt mir, dass ich in fünf Tagen mit ihm in Wolgograd sein werde. Die Abfahrt sehr gefährlich. Aber die Verschlagenheit des ehemaligen Leutnants der russischen Armee, meines jetzigen Freundes hat mir und einem anderen blinden Passagier, geholfen. Wir sind eine halbe Stunde umher gefahren. Inzwischen hat die Miliz die Dokumente … (Rand abgeschnitten) Die Nacht gut geschlafen.

11

8. Juli l920. Nur wenig gefahren. Ganznächtiger Aufenthalt in A.... Morgen früh werden wir wohl in Jekaterinenburg sein. Ob es dort noch schlimmer sein wird? Ich habe fast Lust, es zu umgehen. Wenn nur die fürchterliche Hitze nicht wäre. Es ist fast im Wagen nicht auszuhalten, viel weniger mit den Sachen auf der Wanderung. Die Fahrt hat mich bis jetzt überhaupt noch nichts gekostet, ich bin Gast bei meinem roten Meister. Heute haben wir Mittag gegessen, sehr anspruchslos. Im Übrigen hätte ich Lust, von Wol... nach Moskau zu fahren, aber die Heimat ist doch wichtiger, vor allem, weil ich bei einem neuen Umschwung mir dann Vorwürfe machen müsste. 9. Juli 1920. Die Abfahrt durch Jekaterinenburg war ganz ungefährlich. All die Sorgen hätten nicht zu sein brauchen, wenn man nicht so viel auf die Parolen der Gefangenen gegeben hätte. Und viele haben dadurch größte Mühe, dass sie die Parolen glauben. Abends ganz wunderbare Fahrt bei Sonnenuntergang. Ich war von dem Gold und der Pracht ganz geblendet und müde. Das Ganze ist wie im Thüringer Wald, nur dass hier fast kein Mensch wohnt oder wenn, dann in Holzhäusern. Oder wie auf den Schweizer Almen, nur von gut bebauten Feldern durchsetzt. Mitten in den Wiesen wachsen Bäume. Das Korn steht hier schon sehr hoch. 10. Juli. Heute Morgen nach langweiliger Fahrt alles nur mögliche Pech: Wagenbrand, Lokomotive nicht in Ordnung, oder die Lokomotivführer wollen nicht fahren, sie sagen, die Maschine geht nicht. Endlich kamen wir in Perm an. Hier treffe ich die ersten bekannten Gefangenen. Sie sind schon einwaggoniert und sollen heute Abend abfahren. Ich war in der Stadt und habe mich rasieren

12

lassen. Ich werde weiterfahren, denn der nächste reguläre Transport geht erst in sechs Tagen. Dann hoffe ich schon in Petrograd zu sein. Im Lager ist es angeblich gut. Sie empfangen Zucker, Tabak und Essen. Aber da verliere ich ja nicht viel, denn das habe ich ja hier auch. Und das bisschen Zucker macht es nicht. Da unser Zug bedeutend früher fuhr als der planmäßige Zug (anfangs haben wir gehofft, dass wir zusammengehängt werden), dann wäre ich natürlich in geblieben, wenn auch als „Schwarzfahrer“. 11. Juli 1920. In der Nacht sind wir sehr gut gefahren. 200 Werst am Morgen von Penn entfernt, aber am Tage wieder viel Pech. Eine Brücke, über die der Zug nur geschoben werden konnte, und immer wieder keine brauchbare Lokomotive. Die Brücke über die K… bei Perm ist großartig, nur konnte ich nicht viel sehen, da Türen und Fenster geschlossen sein mussten. Ebenso bei der heutigen Brücke, die aber längst nicht so lang war, aber sie hatte acht große Bogen. 12. Juli. W... Schöner Bahnhof und schöne Mädchen. Zehn Stück fahren in unserem Waggon bis zur nächsten Station, wo der Zug natürlich nicht hält. Wir fahren jetzt außerordentlich schnell. Die Mädchen springen aus dem Zug und alle fallen längs hin. Großes Hallo bei uns. Abends zwei Gymnasiasten fahren mit uns. Beide aus Petrograd. Sagen mir beide, dass sie sehr ungern und nur wegen Brotmangel hierher gegangen sind, die Leute seien sehr großzügig. 13. Juli. Ein kleiner Junge wird uns vom Lokomotivführer in den Wagen gesetzt. Er weiß weder seinen Namen noch seinen Vater, der in Petrograd 2000 Werst von hier bei der Armee dient. Er ist etwa 6 bis 8 Jahre alt. Seine Mutter kennt er nicht und seine Stiefmutter liebt er nicht. Er ist sehr aufgeweckt und, wie der Zugführer sagt, ein ehrlicher Kerl. Er kennt die Strecke wie kein Maschinist. Kann auch schon zählen. Nur will er nicht in die Schule gehen. Was

13

sollte der Erzieher mit solch einem Jungen tun. Übrigens seine Verpflegung ist geregelt wie bei jedem anderen Russen. Er empfängt seine Verpflegungskarte und empfängt täglich ein Pfund Brot, was ihm auch genügt. Die Zeit bringt er damit zu, dass er von Depot zu Depot manchmal 500 Werst weit fahrt. Ein Zu~ hause kennt er nicht. Abends kommen wir nach Baui (?), wo der Zug nach Süden nach Moskau abgeht. Ich gehe hin, wo man mir sagt, dass es am besten wäre, wenn ich weiter nach Moskau fahre, wo unsere Kommission arbeitet. Ich müsste sonst warten, bis zehn Mann zusammengekommen sind, bis wir ein Billett nach Petrograd bekommen können. Das will ich nicht, lieber werde ich mir Moskau ansehen. 14. Juli 1920. Morgens sind wir in Joslaw. Schöne Großstadt. Im Jahre 18 zum großen Teil durch Feuer zerstört. Große Fabriken. Von jetzt ab zweigleisige Bahn nach Moskau. In der Nacht oder morgen früh werde ich in Moskau sein. In … stiegen wieder zwei hübsche Mädchen ein. Wenigstens gefällt mir die eine sehr mit ihren schwarzen Augen in dem schmalen Gesicht. 15. Juli 1920. Die Nacht habe ich nur sehr wenig geschlafen (wegen der zwei Gäste). Wir stehen auf dem Güterbahnhof bei Moskau. Nach längerer Zeit fahren wir acht Werst weiter zur ersten Station. Von da gehe ich zu Fuß zum Jaroslawer Bahnhof und frage mich durch zum „Palantsch“. Werde zum Heim des Stations- und Soldatenrats gewiesen. Bedenken, weil revolutionärer Rat. Und richtig, der Genosse N. aus 26 ist auch hier. Das nimmt mir die Freude an dem im Übrigen hübschen Heim. Es ist das Haus eines der reichsten ehemaligen Fabrikanten in Moskau. Ich schlafe im großen Ess-Saal, überall Decken und Wände mit Eichenholz getäfelt. Bei der Aufnahme soll ich nachweisen, dass ich Reichsdeutscher bin. Bei mir genügt meine Post, die ich noch vollständig bei

14

mir habe (andere haben eine Gewehrgriff machen müssen). Man hat tatsächlich während meiner Anwesenheit einen geflohenen Polen, der bloß Deutsch sprach, unter den Gefangenen gefunden, der sich auf diese Weise nach Deutschland durchschmuggeln wollte. Danach gehen wir acht Mann auf den Boulevard, den ich vorher schon im Schweiße meines Angesichts mit meinem gesamten Gepäck abgelaufen hatte, auf der Suche nach dem Heim. Jeder schläft bei uns in einem schönen Bett und hat von der Schwester eine Decke erhalten. Meine war nicht gut, und als ich sie so prüfend betrachtete, hat sie mir eine bessere gegeben, wahrscheinlich, weil mein Äußeres ihr imponierte. Zum Neid des Genossen N. aus 26., mit dem ich gleich einen kleinen Zusammenstoß hatte, weil er sagte, dass alle Leute, die sich in der jetzigen Zeit nicht mit Politik beschäftigen wollen, blödsinnig seien. 16. Juli 1920. Registrierung im Gebäude der ehemaligen Kanzlei des großen Mirbach. Prachtvoller Marmor im inneren Spiegelsaal. 17. Juli 1920. Aus der Bücherei Quensel „Menschenleid“ gelesen. 18. Juli 1920. Spaziergang um den Krümel l 1/2 Stunde gedauert. Vergoldete Kuppeln, Revolutionsszenen aus der ersten Regierung mit nur Deutschen kamen. l9. Juli 1920. Mit einem Kölner Techniker in der Jakoblenska-Galerie gewesen. Wunderbare Sachen, besonders ein Gemälde der Gräfin, die in den Kasematten von Petrograd eingesperrt ist und in ihrem Keller in den Fluten der Newa ertrinkt. Wunderbarer Gegensatz zu der Seide in dem düsteren Keller und dem Licht der Wasserfontäne. Abends Spaziergang auf dem Boulevard.

15

20. Juli 1920. Sonntag in Moskau. Ich habe ein Billett zu „Geisha“ im Theater gekauft. 510 Rubel. Die Auffilhrııng war anspruchsvoll. Die Tänze prachtvoll, entzückend. Besonders die Figur der kleinen Französin und der verrückten Engländerin Molli, hübsche Gesichter. Die Geisha hat eine wunderbar einschmeichelnde Stimme, während die Molli mit ihrem harten, grellen Organ wenig gefallt. 21. Juli 1920. Heute Morgen Abmarsch nach dem Bahnhof. 8 Uhr Gepäckempfang, dann Essensausgabe und dann soll der Abmarsch sein. In einer Woche sollen wir zu Hause sein. Abmarsch erst gegen Abend, und Abfahrt heute überhaupt nicht mehr. Morgen früh oder im Laufe des Tages, weil die Papiere einem der Ärzte und einer der Schwestern noch nicht unterschrieben sind. 22. Juli 1920. Das Warten ist furchtbar, obwohl wir es hier eigentlich schon gelernt haben müssten. Endlich abends um 11 Uhr geht´s los. 23. Juli 1920. Nach langem gutem Schlaf erwache ich vor … 156 Werst nordwestlich von Moskau. Wir fahren heute gut weiter. Gegen Abend 10 Uhr (die Sonne steht noch hoch am Himmel, empfangen wir Essen. 24. Juli 1920. Anstatt nach Norden abzubiegen fahren wir durch die Nachlässigkeit unserer Zugführung nach Petrograd. 25. Juli 1920. Am Morgen stehen wir noch auf dem Warschauer Bahnhof, große Enttäuschung und Unruhe. Der Bahnhof stinkt von Unrat. Nachmittag fahren wir weiter und in schneller Fahrt mit schneller Zuglokomotive, als ob sie ihr Versehen gut machen wollte, fahren wir nach H…, weiter nach Jamburg, der letzten Station auf russischer Seite. Mitternacht Ankunft.

16

26. Juli 1920. Heute Sonnabend und ein schöner Tag. Die Jama, ein feiner Fluss, die Brücke vollständig zerstört. 10 Uhr Untersuchung, 1 Uhr Essen. Und dann, Gott sei Dank, Weiterfahrt. Nachmittag gegen 5 Uhr überschreiten wir wieder die Grenze. Zählung auf russischer Seite durch Russen und 100 m weiter durch Offiziere. 8 Uhr Ankunft in Jamburg. Die Kriegsgefangenen weigern sich, das Gepäck der Zivilisten durch das abgesperrte Gebiet zu tragen, weil sie B... nicht helfen wollen, ihr Personal nicht, weil ich nie Gepäckträger und auch jetzt nicht zu werden gedenke. Sechs Jahre habe ich mich in Russland durchgeschlagen und niemals für andere Knecht gespielt. Ich werde diesen polnischen Juden, die kaum ein Wort sprechen, und ihre Kinder russisch erzogen haben, nicht über unsere Grenze helfen. Spät in der Nacht Ankunft auf der Festung, anscheinend unsere Festung der deutschen Ordensritter. Großartig. Spaziergang auf den Mauern. Etwa 40 m tief darunter die Newa und die Stadt. Der Fluss rauscht, als wenn ein Eisenbahnzug sich nähert. 27. Juli 1920. Sonntag, der erste Sonntag auf neutralem deutschen Gebiet. Wir sind noch nicht frei, wir sind gestern noch mit Eskorte marschiert, aber der deutsche Dampfer draußen ist nicht weit. Nachmittag Verladen auf dem Dampfer Rügen fährt ab mit den Österreichern und Ungarn, wir erst mit unserem LKW am nächsten Tag. 28. Juli 1920. Abfahrt. Gute Verpflegung. Deutsches Kommisbrot.

17