YouTubes „Rivers of Babylon“ versiegen

ten“, sagt Peter Hempel, Sprecher der Gema. Die Informationspoli- tik des Internetriesen ... jährliche Pauschalabgabe für. Musikvideos geeinigt. KAREN GRASS.
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SONNABEND/SONNTAG, 21./22. APRIL 2012  TAZ.DIE TAGESZEITUNG

PORTRAIT

Facebook als Fallbeil: Daniel Rousta (SPD) Foto: dpa

Der geschenkte Kommentar a galoppierte der Gaul durch das Maul von Herrn Daniel Rousta. Ein kleiner Kommentar auf Facebook kann jetzt einen Rauswurf zur Folge haben. Am 29. März äußerte sich der Amtschef des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg über sein öffentlich sichtbares Facebook-Profil kritisch über die FDP und deren Verweigerung einer Rettung der Schlecker-Frauen. In seinem Posting, welches er mittlerweile gelöscht hat, schrieb er: „Netter kleiner ‚Shitstorm‘, der da gerade über die FDPisser hereinbricht“. Daraufhin bricht auch über Rousta ein Shitstorm herein: die Opposition und der Finanzminister der SPD, Nils Schmid, fordern seinen Rücktritt: „Ich missbillige ausdrücklich die privaten Postings von Daniel Rousta. Sie sind eines Beamten unangemessen.“ Rousta, der sich gerade auf einer Dienstreise in Russland befindet, entschuldigte sich am Mittwoch mit einem Posting bei Facebook. Die Entschuldigung ist zum einen an seine Facebook-Freunde und zum anderen an die FDP gerichtet: „In dem einen Fall ist mir einfach der Gaul durchgegangen – sorry, Herr Rülke, sorry, Liberale dieser Welt.“ Doch das nützt ihm nichts. Wie ein führender Sozialdemokrat am Donnerstag mitteilte, „ist er nächste Woche nicht mehr im Amt“. Das wäre damit der ers-

D

„Netter kleiner ‚Shitstorm‘, der da gerade über die FDPisser hereinbricht“ te Rauswurf bei der grün-roten Regierung. Der 38-jährige Jurist Rousta trat 1989 in die SPD ein. 2011 leitete er die Kampagne der Landtagswahlen in BadenWürttemberg. Kein ganzes Jahr konnte sich der Ministerialdirektor halten. Seine öffentliche Entschuldigung scheint ihn nicht mehr vor einem Rauswurf zu retten, Sympathiepunkte kann er hingegen sammeln. Die meisten seiner Facebook-Freunde halten die Reaktionen für „überzogen“ und sprechen Rousta ihren Respekt aus, zu seinem Fehler zu stehen. Ein Ministeriumssprecher gibt Rousta ein wenig Rückendeckung und erklärt auf Nachfrage, „die Facebook-Seite sei ganz klar privat“. Rousta hat „hier auf Facebook“ seinem „Ärger Luft gemacht“. Und da stellt sich die Frage, inwieweit Personen im öffentlichen Dienst sich mit Äußerungen, die auf dem privaten Profil eines sozialen Netzwerks, in dem es eben darum geht, zu kommunizieren, zurückhalten sollten. Heute kehrt er aus Russland zurück und wird sich einem Gespräch mit Schmid „über seine Konsequenzen aus diesem Fehlverhalten stellen müssen“. Zumindest bekommt er jetzt mit Sicherheit endlich seinen Wikipediaeintrag. DU PHAM

DER TAG

NACHRICHTEN MUSLIM-STUDIE DES BUNDESINNENMINISTERIUMS

PAKISTAN: FLUGZEUGABSTURZ

Friedrich der Lüge bezichtigt

127 Menschen an Bord

BERLIN dapd | Das Bundesinnenministerium hat eine umstrittene Studie über angeblich integrationsunwillige Muslime doch vorab an die Bild-Zeitung herausgegeben. Das hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bestritten. Sein Sprecher Hendrik Lörges sagte am Freitag in Berlin: „Der Minister hatte offensichtlich keine Kenntnis, als er das so geäußert hat.“ SPD und Linke bezichtigten Friedrich der Lüge. Lörges sagte weiter, das Boulevardblatt habe bereits Teile oder eine Zusammenfassung der Studie gehabt. Zur Vorbereitung ei-

nes Interviews mit Friedrich habe die Redaktion dann ein komplettes Vorabexemplar bekommen. „Junge Muslime verweigern Integration“, hieß es Ende Februar auf der Internetseite der Bild. Offiziell wurde die Studie am 1. März veröffentlicht. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özuguz kritisierte, entweder sei Friedrich ein ahnungsloser Innenminister oder er habe die Öffentlichkeit belogen. „Beides ist nicht akzeptabel.“ Mehrfach sei die Weitergabe der Studie vom Minister wie auch von seinem parlamentarischen Staatssekretär verneint worden.

ISLAMABAD | Nahe der pakistanischen Hauptstadt Islamabad ist am Freitag ein Passagierflugzeug abgestürzt. Zum Zeitpunkt des Unglücks hätten schlechte Wetterbedingungen geherrscht, teilte die pakistanische Polizei mit. Die Unglücksmaschine der Gesellschaft Bhoja kam demnach aus Karachi und befand sich im Landeanflug auf den wichtigsten Hauptstadtflughafen. Die Zivilflugbehörde teilte mit, an Bord seien 116 Passagiere und 11 Besatzungsmitglieder gewesen. (afp, dpa)

WAHL IN FRANKREICH

WAS FEHLT … Ob YouTube-Videos oder einfach der Verstand: Irgendwas fehlt immer. Eine Fundgrube für tiefer liegende Bedeutungen finden Sie in der Rubrik „Was fehlt“ – auf taz.de/wasfehlt

Absurd Albern Voll daneben 

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Keine Infos vor 20 Uhr PARIS | Nach Wirbel um die gesetzliche Sperrfrist für die französischen Wahlergebnisse am Sonntag haben sich Radio- und Fernsehsender verpflichtet, vor 20 Uhr keine Hochrechnungen herauszugeben. Die Kommission für Wahlumfragen teilte mit, die neun wichtigsten Umfrageinstitute hätten zugesagt, auch keine vor 20 Uhr erstellten Zahlen an ausländische Medien zu liefern. Frankreich ist es gesetzlich verboten, Hochrechnungen vor Schließung der Wahllokale zu verbreiten. (afp)

YouTubes „Rivers of Babylon“ versiegen URHEBERRECHT Gema gewinnt ein Grundsatzverfahren um das Recht auf das Abspielen geschützter Musikvideos AUS HAMBURG RENÉ MARTENS

Die Verwertungsgesellschaft Gema ist das Feindbild vieler Musikkonsumenten. Diese machen die in Berlin ansässigen Organisation verantwortlich dafür, dass unzählige Videos für deutsche Internetnutzer gesperrt sind. Es gibt wohl nur wenige Institutionen im Lande, die ein schlechteres Image haben. Dieser Ruf wird kaum besser werden, obwohl oder gerade weil die Gema am Freitag vor dem Landgericht Hamburg einen Teilerfolg errungen hat. Die Urheberrechtskammer des Gerichts entschied, YouTube müsse mehr tun als bisher, um urheberrechtlich geschützte Lieder zu sperren. Das Gericht verpflichtet YouTube allerdings nicht, hochgeladene Videos vorab zu prüfen. Das Unternehmen hafte „für Urheberrechtsverletzungen durch von Nutzern hochgeladene Videos nur dann“, wenn es „in Kenntnis der Rechtsverletzung gegen bestimmte Verhaltens- und Kontrollpflichten verstößt“, heißt es in einer Pressemitteilung. Erst „nach einem Hinweis auf eine Urheberrechtsverletzung trifft den Portalbetreiber die Pflicht, das betroffene Video unverzüglich zu sperren“. Es sei der Beklagten „zuzumuten, nach Erhalt eines Hinweises auf eine Urheberrechtsverletzung durch den Einsatz einer Software“ künftige Uploads zu verhindern, egal um welche Versionen eines Stücks es sich dabei handle. Streng genommen geht es in dem Hamburger Verfahren um eine ausgewählte Liste von zwölf Songs, darunter „Rivers of Babylon“ von Boney M. und „Zwei kleine Italiener“, einen Schlager, den vor einem halben Jahrhun-

dert Conny Froboess sang. YouTube muss nun sieben der beanstandeten Stücke löschen. In fünf weiteren Fällen wiesen die Richter der Antrag zurück, weil die entsprechenden Videos für die Kammer auf der Plattform nicht mehr auffindbar waren. Dem Verfahren wird eine Signalwirkung für den Grundsatzstreit zwischen Gema und YouTube zugeschrieben. Die in Hamburg verhandelte Klage der Gema ist seit Ende 2010 anhängig. Eine Vereinbarung zwischen den Parteien war bereits 2009 ausgelaufen. Ebendeshalb gibt es nach Ansicht der Gema keine rechtliche Grundlage dafür, dass auf YouTube Clips von Songs verfügbar sind, für

die die Verwertungsgesellschaft die Rechte wahrnimmt. Mit zwei Musikstreamingdiensten hat sich die Gema dagegen bereits geeinigt: mit Simfy und Deezer. Der Münsteraner Medienrechtler Thomas Hoeren hatte schon vor dem Urteil im Deutschlandfunk prophezeit,

„YouTube trifft die Pflicht, das Video unverzüglich zu sperren“ die Causa werde bis zum Bundesgerichtshof gehen: „Es wird noch viele Urteile geben und viele Diskussionen.“ Obwohl die Gema sich über einen Teilerfolg freuen darf, steht das Urteil von Freitag im Einklang mit einer Ent-

scheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der kürzlich in einem vergleichbaren Fall die Klage einer belgischen Verwertungsgesellschaft abgewiesen hatte. Diese hatte einem sozialen Netzwerk sogenannte proaktive Prüfungspflichten auferlegen wollen – Pflichten, die nach Auffassung der Hamburger Richter auch YouTube nicht hat. Ein Kernproblem besteht für die Gema weiterhin darin, dass sie in der Öffentlichkeit als bürokratisches Monster wahrgenommen wird, YouTube steht dagegen als eine Art sympathischer Underdog da. Dass das Unternehmen zu Google gehört, einem Unternehmen, das das Institut für Medien und Kommunikationspolitik in Berlin in einem Ranking gerade als drittgrößten Medienkonzern der Welt eingestuft hat, gerät manchmal aus dem Blick.

....................................................................... Hollywood verliert in Sydney ..................................................... Schlappe für Hollywood-Studios im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen in Australien: Nach mehreren Vorinstanzen hielt auch das höchste Gericht in Canberra am Freitag fest, dass Internetanbieter nicht verpflichtet werden können, das Herunterladen oder den Austausch von geschützten Werken zu unterbinden. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass der Provider iiNet das illegale Herunterladen von Filmen und Fernsehshows gefördert habe. Es fehlten ihm zudem die technischen Voraussetzungen, um das zu unterbinden. ■ Eine Allianz von 34 Filmstudios hatte die Klage gegen iiNet eingereicht, darunter Universal Pictures, Warner Bros, Sony und Disney. iiNet ist der zweitgrößte australische Internetprovider. (dpa) ■

Boney M. muss draußen bleiben. YouTube darf nicht jedes Video der Gruppe zeigen, die in den 1970ern Erfolge feierte. Stattdessen bleibt der Schirm düster und die Musik aus Fotos: Redferns/Archive/Getty Images

THEMA DES TAGES

Die Streithähne im Hintergrund VERGÜTUNG Im Konflikt zwischen Gema und YouTube geht es um viel Geld – um wie viel, bleibt aber im Dunkeln, weil Google schweigt BERLIN taz | Das Urteil des Landgerichts Hamburg bringt der Verwertungsgesellschaft Gema noch keine Einnahmen. Doch was käme bei einer Einigung mit YouTube beziehungsweise der Mutter Google herum? Das wäre abhängig vom Bezahlungsmodell, das jedoch steht noch nicht fest. Die Gema hat in dem seit 2009 laufenden Streit mehrere Vorschläge gemacht, wie Google für die Bereitstellung der Musikwerke durch die Videos aufkommen soll. Ein mögliches Modell wäre, dass 10,25 Prozent der Werbeeinnahmen, die YouTube im Zusam-

menhang mit Musikvideos macht, an die Gema gehen. Wie für alle seine Produkte veröffentlicht Google die jährlichen Umsätze und Gewinne von YouTube nicht. Doch klar ist: Die weltweit größte Website für Onlinevideos muss sich nicht um Inserenten reißen, die Anzeigen auf der YouTube-Startseite und den Suchergebnisseiten kaufen. Die andere Option wäre eine Pauschalabgabe, die pro Klick auf ein Musikvideo mit geschütztem Inhalt fällig würde. Die möglichen Erträge für die Gema können nur geschätzt werden: Laut der Marktforschungsfirma

Comscore klickten die deutschen Nutzer im April 2011 knapp 3,8 Milliarden Videos auf YouTube an. Für alle Musikvideos, deren Text oder Idee von einem der 64.000 Gema-Mitglieder in Deutschland stammt, würde die Verwertungsgesellschaft Abgaben fordern und dann teilweise ausschütten. „Wir erhalten keine Daten von Google, wie viele Videos eigentlich geschützte Werke beinhalten“, sagt Peter Hempel, Sprecher der Gema. Die Informationspolitik des Internetriesen sei mangelhaft. Man warte auch noch auf eine Ansage, ob die Google-Toch-

ter ihr Angebot umstrukturieren will, um nach Gema-Definition ein Dienst mit „geringer Interaktivität“ zu werden. Darunter fallen etwa Angebote wie Webradios, bei denen der Nutzer nicht viel mehr als Start und Stop drücken kann. Sie müssen statt der 0,06 Cent, die die Gema aktuell pro abgerufenem Video von YouTube verlangen will, nur 0,0025 Cent zahlen. Bei jedem Abruf gingen rund 85 Prozent der Vergütungskosten direkt an den jeweiligen Urheber der Werke. Von den Gesamterträgen von zuletzt 863 Millionen Euro 2010 zahlte die Gema mit

736 Millionen Euro auch insgesamt 85 Prozent an ihre Mitglieder aus. Das Onlinegeschäft bleibt das Sorgenkind unter den vier Lizenzierungsbereichen – es wächst nur langsam: Um 2,7 Millionen Euro zwischen 2009 und 2010 auf 13,3 Millionen Euro. Möglicherweise hätten die Urheber am meisten davon, wenn die Gema sich an Verwertungsgesellschaften in anderen Ländern wie Frankreich orientieren würde: Dort hat sich YouTube mit der Gesellschaft auf eine jährliche Pauschalabgabe für Musikvideos geeinigt. KAREN GRASS