Westlicher Buddhismus und seine Wurzeln in der deutschen Romantik

Friedrich Schlegel schrieb schon 1797, also noch in der Frühromantik, in einem Brief an ... Schelling träumte gar davon, „das kühne Wagestück der Vernunft zu.
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Westlicher Buddhismus und seine Wurzeln in der deutschen Romantik Ulrich Küstner Erweitertes Manuskript des Vortrags im Rahmen der Reihe „Akademie-Abende“ der Buddhistischen Akademie Berlin Brandenburg 13. März 2014, 19 Uhr, Lotos-Vihara, 10179 Berlin

Zusammenfassung Der entstehende Buddhismus des Westens trifft auf historische Entwicklungen, die in den Ursprungsländern keine Rolle spielten, wie Monotheismus, Aufklärung, und Wissenschaft. Unterschätzt wird der Einfluss der Romantik: Der heutige Buddhismus ist auch deshalb so populär, weil er bereits vermischt mit romantischen Ideen zu uns kommt, die im psychologischen Denken fortwirken. Diese Sichtweise selektiert das Vertraute und blendet aus, was nicht zu ihr passt. Wir laufen Gefahr, originäre Elemente der buddhistischen Tradition zu verlieren. Welche Ideen leiten unsere Praxis? Der Vortrag folgt dazu den Spuren des romantischen Denkens, von Schiller, Schelling und Schleiermacher bis in den heutigen Buddhismus, und lädt zur Diskussion über die konkreten Auswirkungen ein. http://www.buddhistische-akademie-bb.de/

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Dieser Vortrag ist ein Teil eines größeren Themenkomplexes: Buddhismus im Westen, bzw. „moderner Buddhismus“, und die Einflüsse unserer westlichen Kultur auf diesen. Unser Arbeitskreis Buddhismus und Psychotherapie in der Buddhistischen Akademie Berlin Brandenburg beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit der Frage Buddhismus und Psychotherapie, einem zentralen Ort dieser Begegnung. So drehte sich mein letzter Vortrag in der Buddhistischen Akademie (Das Märchen von der Buddhistischen Psychotherapie, 2013) um die Frage, ob der Buddhismus wirklich eine Psychotherapie ist oder sein kann. Und der nächste Vortrag am 27. November 2014 wird die kritische Frage stellen: Psychologisieren und säkularisieren wir den Dharma weg? Das Thema „Deutsche Romantik“ scheint auf den ersten Blick nicht zur Frage Buddhismus und Psychotherapie zu passen. Das ändert sich, sowie man sich damit beschäftigt.

Vorbemerkungen Niemals in der Geschichte gab es in der ganzen Welt einen solch breiten Zugriff auf alle unterschiedlichen Traditionen der 2500 Jahre des Buddhismus. Nie war die Spannbreite der geistigen Strömungen, auf die der Buddhismus in einer neuen Kultur trifft, so breit und unterschiedlich. Der moderne Buddhismus muss zahlreiche historische Entwicklungen verarbeiten: Monotheismus und protestantische Reformation, die europäische Aufklärung, die wissenschaftliche Revolution und das rationale Denken, den Kolonialismus und seine Auswirkungen, die Bewegungen der Romantik, um die es hier gehen wird, sowie eine nie dagewesene religiöse und spirituelle Pluralität, auch in Bezug auf den Buddhismus selbst. Über die Qualität dessen, was dabei entsteht, gibt es naturgemäß unterschiedliche Meinungen. Jampa Thaye (2013) fürchtet, wir könnten mit einem Buddhismus enden, der „einfach ein Spiegelbild von uns selbst und unserer Gegenwartskultur ist, eine Mischung von abgestandenem Protestantismus und Narzissmus, vermarktet von der "Spiritualität GmbH & Co. KG" für karrierebewußte Liberale" (übs. uk). Andere hoffen, dass wir im Westen einen essentiellen Buddhismus ohne die kulturabhängigen Einfärbungen früherer Zeiten und Kulturen schaffen können. Eine solche Unterscheidung in Kern des Dharma und sekundäre Überlagerungen scheint allerdings fragwürdig. Aus historischer Perspektive gibt es den originalen, originären, authentischen Buddhismus im eigentlichen Sinne nicht. Die buddhistischen Traditionen der verschiedenen Kulturen sind sich weder über Weg noch über Ziel einig, haben keine gemeinsame Textgrundlage, und die übergreifende Bezeichnung „der Buddhismus“ ist eine Konstruktion des Westens (Garfield 2010, Zotz 2013). „Buddhismus“ und „buddhistische Meditation“ sind kultur- und kontextabhängige Phänomene, meint der Historiker David McMahan (2013). Den Buddhismus als Ganzes verstehen und auf einen gemeinsamen Kern reduzieren zu wollen, ist ein problematisches Unterfangen. Letztlich würden wir dann nicht das Gesamte, sondern eine reduzierte Schnittmenge des kleinsten gemeinsamen Nenner betrachten, eine künstliche Definition eines zuvor nicht existierenden „allgemeinen

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Buddhismus“, der keinem der vielen Buddhismen in Geschichte und Gegenwart gerecht würde, meint Volker Zotz (2013) 1. Unstrittig scheint: Was wir als „Buddhismus“ erleben und vermittelt bekommen, was wir selber üben, leben und andere lehren, ist nicht zu trennen von historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten (McMahan 2008, 2013). Und unsere heutigen Kontexte führen zu einem „Modernen Buddhismus“, der de-traditionalisiert, de-mythologisiert und psychologisiert ist, meint McMahan (2008). 2 Der folgende Vortrag vertritt die These, dass ein wesentlicher Einfluss auf unseren heutigen westlichen Buddhismus weitgehend versteckt ist, kaum wahrgenommen wird, weil sein Denken uns so in Fleisch und Blut übergegangen ist - die Romantik. "Unser" heutiger Buddhismus ist so populär, weil er bereits vermischt mit psychologischem Denken aus dem Erbe der Romantik zu uns kommt. Selbst die Lehren zeitgenössischer asiatischer Lehrer enthalten mehr Schiller, Schelling, und Schleiermacher als wir ahnen. Wie jede Brille selektiert die romantische Sicht das Vertraute und blendet aus, was nicht zu ihr passt. Der moderne Diskurs, und vieles davon ist pure Romantik, setzt zahlreiche nicht verhandelbare Dogmen und Randbedingungen, die eine ganze Menge eigentlichen Buddhismus verhindern und ausgrenzen. Und weil das romantische Denken in unserer Gesellschaft so ubiquitär ist, nehmen wir es nicht als eine Brille wahr, die wir aufhaben. Wir laufen Gefahr, originäre, zentrale Elemente des historischen Buddhismus zu verlieren. Dabei möchte ich nicht behaupten, dass die buddhistischen Lehrer, die sich romantischer Sprache und Konzepte bedienen, selbst etwas falsch verstehen – das kann ich gar nicht beurteilen. Mir geht es um die schriftliche und mediale Darstellung im real existierenden Buddhismus, so wie wir fleißigen Bücherleser und Vortragshörer ihn wahrnehmen und zu üben versuchen. Welche Ideen leiten unsere Praxis? Woher kommen diese, wie frei bestimmt sind wir in der Wahl dieser Leitideen? Was enthält uns der moderne, der modische Buddhismus vor – was sind die Aspekte, die „die Mode streng (ge-)trennt“?

Persönliches Auf das Phänomen, welches uns heute beschäftigen wird, stieß ich zuerst im Alter von etwa dreizehn (!) Jahren. Damals fand ich im Bücherschrank meiner Mutter ein schmales Büchlein, eine Übersetzung bzw. Nachdichtung von Lao-tse (Tiefenbacher 1948). Meine Mutter hatte es als junge Buchhändlerin noch vor meiner Geburt von der Verlegerin geschenkt bekommen. Darin standen Sätze wie: "…weil das Herz der Welt, ihr tiefes Herz, ich schlagen fühle". Ich war hingerissen und von da ab verloren für die Oberfläche der Welt. 1

Im Westen wurde ein solcher Versuch als sogenannte „Natürliche Religion“ in der Aufklärung unternommen und wird als gescheitert angesehen. 2 Ihre große Kraft erhalten diese neuen Formen übrigends durch etwas scheinbar Harmloses, das in dieser Form im Buddhismus noch nie da gewesen ist: das Bücherlesen! In keiner buddhistischen Kultur vor der unseren konnte man einfach in Buchhandlungen gehen und große Mengen Bücher über den Buddhismus aus verschiedenen Traditionen kaufen. In allen früheren buddhistischen Kulturen mussten Laien wie wir den Dharma von einem Lehrer hören, weil man ohnehin nicht lesen konnte oder die vorhandenen Schriften im Kloster lagerten und uns gar nicht zugänglich gewesen wären. Ein Zugang zu anderen Traditionen existierte kaum.

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Ich wurde zum Pilger auf der Suche nach der blauen Blume. Ich fragte mich damals noch nicht, warum wohl ein 5000 Jahre alter Chinese eine solch romantische Sprache spricht! In den vielen Jahren seither wurde auch ich selber, als Tara Rokpa-Therapeut und Mitglied des Arbeitskreises Buddhismus und Psychotherapie der Buddhistischen Akademie, immer wieder zum Produzenten moderner westlicher Formulierungen von buddhistischen Sachverhalten. Als ich dann vor einigen Jahren Rüdiger Safranskis Buch "Romantik - eine deutsche Affäre" (Safranski 2007) las, stellte ich zuerst mit Begeisterung, dann mit Schock, und zum Schluss mit hilflosem Lachen fest, wie vieles von dem, was mich in frühen Jahren begeistert hatte, an der Hippiebewegung, an der Suche nach neuen Bewusstseins- und Lebensformen, und wie vieles, was ich in den letzten Jahren über den Buddhismus und Tara Rokpa erzählte, romantisches Denken war – ohne dass es mir bewusst oder gar beabsichtigt war. Später fand ich den Text eines amerikanischen Mönchs der thailändischen Waldtradition, Thanissaro Bhikku (2012), der den Weg des romantischen Denkens aus Deutschland über die Theosophie (Blavatsky, Olcott) und die amerikanischen Transzendentalisten (Thoreau, Emerson) in die Psychologie (William James) und von dort über die humanistische Psychologie in den modernen Buddhismus beschreibt. Dieser Aufsatz ist eine wichtige Quelle dieses Vortrags. Das Konzept vom Dharma-Tor Viele Konzepte des modernen Buddhismus kommen uns ungeheuer vertraut und bekannt vor, meint Thanissaro Bhikku (2012). Das sei deswegen, weil sie tatsächlich etwas Bekanntes seien. Sie kämen in einem großen Ausmaß nicht aus den Lehren des Buddha, sondern aus dem „Dharma-Tor“ der westlichen Psychologie, und dorthin wiederum aus der deutschen Romantik. Ein Dharma-Tor ist eine bereits existierende einheimische Tradition, die uns hilft, den Neuankömmling zu verstehen, so wie es der Taoismus für den chinesischen Buddhismus war. Unser Dharma-Tor ist sei die Psychologie und Psychotherapie, mit ihren Wurzeln in der deutschen Romantik, über die humanistischen Psychologie zu meist amerikanischen Dharma-Lehrern und deren Therapieausbildung (Thanissaro 2012). Dieser Übermittlungsweg ist nicht der, den wir üblicherweise als den Weg des Buddhismus in die westliche Kultur sehen, nämlich über die Indologie und die Philosophie, über Hegel, Schopenhauer, Nietzsche usw. Das kam alles später. Die Frühromantik, um die es hier geht, war noch weitgehend unbeeinflusst von den ersten Kontakten mit dem Buddhismus. Ein Tor geht in beide Richtungen. Aus Zeitgründen werde ich dies in diesem Vortrag nicht weiter thematisieren, aber die wechselseitigen Einflüsse zwischen buddhistischen und westlichen Kulturen sind komplex und vielfältig. Im späteren Verlauf der Romantik wurde diese beeinflusst von asiatischen Lehrern aus Hinduismus und Buddhismus, wie bei Schopenhauer, Nietzsche usw. (siehe: Clarke 1997, Zotz 2000, Batchelor 1994 u.v.a.m). Auch der Buddhismus hat durch Kontakte mit der griechischen Kultur schon früh Einflüsse aus dem Westen aufgenommen (Batchelor 1994), wie dies zumindest in der Kunst, z.B. von Gandhara, offenkundig ist. 3 3

Siehe dazu auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Graeco-Buddhismus

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Negatives und Positives Vorausschicken möchte ich, dass ich bei aller Kritik die Romantik und deren Einfluss auf den Buddhismus nicht als Feind sehe – wenn, dann als sehr "nahen" Feind. Meine ganze Jugend hindurch war meine Begeisterung für geistige Dinge durchaus romantisch gefärbt, und die Psychologisierung der buddhistischen Lehre ist etwas, an dem ich auch selber Teil hatte und habe. Gleichzeitig war ich aber auch seit Jahren unzufrieden mit den zahlreichen Ungenauigkeiten, Missverständnissen, gar Plattheiten in zeitgenössischen Darstellungen des Buddhismus. Die kritischen Impulse von Lopez (1999, 2008), Thanissaro (2012), McMahan (2008, 2013), Metzinger (2013), Batchelor (2012) u.v.a.m. sind ein frischer Wind der Klarheit und schon längst überfällig. Die Romantiker haben die Entzauberung der Welt als etwas Negatives gesehen, und dagegen den Mythos und die Poesie gesetzt. Ich sehe die Entzauberung von Mythen über den Buddhismus als notwendige Korrektur, die für eine funktionierende buddhistische Praxis im Westen notwendig ist. Aber es gibt auch einen ungeheuer positiven und wichtigen Aspekt der romantischen Bewegung, von dem wir noch heute profitieren: die Säkularisierung der Innerlichkeit und Spiritualität. Romantik sei die Invasion der säkularen Literatur durch mystische oder religiöse Emotion, und bedeute quasi die Säkularisierung des inneren Lebens, meinte der Psychologe André Godfernaux (1902, übs. uk) 4. In gewissem Sinne kann man sagen, dass es vorher nur die Wahl gab zwischen Spiritualität in der Kirche, oder Rationalität außerhalb der Kirche. Spiritualität im persönlichen Leben, unabhängig von der religiösen Institution, ist vielleicht der wichtigste positive Impuls der Romantik. Was ist Romantik? Wie erkenne ich romantisches Gedankengut? Zuerst, einige Text-Fragmente quasi „zur Eichung“: „Einst da ich bittre Tränen vergoß, da in Schmerz aufgelöst meine Hoffnung zerrann, und ich einsam stand am dürren Hügel, der in engen, dunkeln Raum die Gestalt meines Lebens barg – einsam, wie noch kein Einsamer war, von unsäglicher Angst getrieben – kraftlos, nur ein Gedanken des Elends noch. – Wie ich da nach Hülfe umherschaute, vorwärts nicht konnte und rückwärts nicht, und am fliehenden, verlöschten Leben mit unendlicher Sehnsucht hing: – da kam aus blauen Fernen – von den Höhen meiner alten Seligkeit ein Dämmerungsschauer – und mit einem Male riß das Band der Geburt – des Lichtes Fessel. Hin floh die irdische Herrlichkeit und meine Trauer mit ihr – zusammen floß die Wehmut in eine neue, unergründliche Welt – du Nachtbegeisterung, Schlummer des Himmels kamst über mich – die Gegend hob sich sacht empor; über der Gegend schwebte mein entbundner, neugeborner Geist.“ (Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis: „Hymnen an die Nacht“ (1800)) „Berauscht von Entzücken und doch jedes Eindrucks bewußt, schwamm er gemach dem leuchtenden Strome nach, der aus dem Becken in den Felsen hineinfloß. Eine Art von 4

zitiert von Evelyn Underhill (1911) in ihrer klassischen Studie zur Mystik

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süßem Schlummer befiel ihn, in welchem er unbeschreibliche Begebenheiten träumte, und woraus ihn eine andere Erleuchtung weckte.“ (Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis: „Heinrich von Ofterdingen“ (1802)) Nun als Gegenpol, ein Text in eindeutig nicht romantischer Sprache: "Unser bewusstes Erleben der Welt ist auf systematische Weise externalisiert, weil das Gehirn ständig die Erfahrung erzeugt, dass ich in einer Welt außerhalb meines Gehirns anwesend bin. Alles, was wir heute über das menschliche Gehirn wissen, deutet darauf hin, dass die Erfahrung, sich außerhalb des eigenen Gehirns zu befinden und nicht in einem Tunnel, durch neuronale Systeme tief im Inneren des Gehirns hervorgebracht wird. Natürlich existiert eine Außenwelt, und Wissen und Handeln verbinden uns auf kausale Weise mit dieser Außenwelt – aber das bewusste Erleben des Wissens, des Handelns und des Verbundenseins selbst ist eine ausschließlich innere Angelegenheit. " (Metzinger 2009) Aber was ist mit diesem Text? „Da Karma unausweichlich reift, irren wir als Resultat unserer Handlungen im Kreislauf der sechs Bereiche der samsarischen Existenz, mit allen leidvollen Konsequenzen. (…) Und weil wir nicht erkennen, dass die Ursache für die leidvolle Wanderung im Kreis der Wiedergeburten unser eigener Geist ist, lassen wir uns völlig von Illusionen und Zerstreuung dominieren. Da wir unseren wahren Zustand ungeteilten Gegenwärtig-Seins nicht erkennen, gewöhnen wir uns immer mehr daran, illusorische Handlungen zu begehen. (…) [Die] Natur des Ursprünglichen Zustandes [zeigt sich] als vollständige Reinheit. Wenn wir diesen Zustand als das erkennen, was er ist, besitzen wir ihn für immer. Es ist dieses entschiedene, nicht mehr umkehrbare Wissen, dieses klare Gegenwärtig-Sein im wahren Ursprünglichen Zustand, was wir Nirvana nennen. Die Erleuchtung ist also ebenfalls unser eigener menschlicher Geist, in seiner gereinigten Form.“ (Namkkai Norbu 2011) Das klingt einerseits durchaus romantisch, andererseits können wir es nicht wirklich beurteilen. Wir wissen nicht, wie weitgehend dies eine technische Beschreibung faktischer Geisteszustände ist. Und das ist die Crux. Wir haben im Westen keine technische Sprache für geistig-meditative Vorgänge und greifen zurück auf Begriffe und Metaphern, die ähnlich klingen und dadurch nach und nach als Äquivalent der buddhistischen Termini gelten – ohne es wirklich zu sein. Was ist Romantik - Beschreibungsversuche Friedrich Schlegel schrieb schon 1797, also noch in der Frühromantik, in einem Brief an seinen Bruder August Wilhelm: „Meine Erklärung des Worts Romantisch kann ich Dir nicht gut schicken, weil sie − 125 Bogen [ca. 2000 Seiten!] lang ist.“ (Schlegel 1985) Eine interessante Kurzdefinition des Romantischen stammt von Novalis: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“ (zit. n. Safranski 2007). Safranski erkennt darin eine untergründige Beziehung der Romantik zur Religion. „Sie gehört zu den seit zweihundert Jahren nicht 6

abreißenden Suchbewegungen, die der entzauberten Welt der Säkularisierung etwas entgegensetzen wollen.“ (Safranski 2007) Die Romantik feierte einzigartige Individualität und den Künstler als freischaffendes Genie. Die Protagonisten der Romantik waren vielfältig, einzigartig und oft eigen-artig. Ihre Helden waren Künstler, Träumer, Wanderburschen und Taugenichtse auf der Suche nach dem viel versprechenden Geheimnis (Safranski 2007). Sie hatten Namen wie Franz Sternbald, Prinzessin Brambilla und das Schulmeisterlein Maria Wutz, oder nahmen sich selber auf die Schippe im „Epikurisch Glaubensbekenntnis Heinz Widerporstens“ von Schelling 5. Kurz, es war eine rechte Schnurrpfeiferei. Vor allem ging es in der Romantik immer um die Grenzen unseres diskursiven Verstandes, dem immer die einzigartige persönliche Erfahrung vorgezogen wurde. Abgrenzende intellektuelle Festlegungen waren nicht das Ding der Romantiker. Deswegen ist es auch nicht ganz einfach, eine Definition oder Beschreibung der Romantik zu geben.

Themen der Romantik Die ersten Grundelemente der Romantik haben wir gerade kennen gelernt: Individualität, und die Grenzen des rationalen Denkens. Es folgt eine Aufzählung von zentralen Themen der Romantik, die ich für unser Thema wichtig halte. Individuum und Individualität Im Vordergrund jeglichen romantischen Denkens steht das Individuum und seine persönliche Erfahrung. Das ist eine Reaktion auf die Erfahrung der Entfremdung und Entzauberung - dem Lebensgefühl in der modernen Gesellschaft. Dass das romantische Denken bis in unsere heutige Welt fast ungebrochen überlebt hat, sieht Thanissaro Bhikku (2012) darin, dass die Romantiker sich als erste und vielleicht auch einzige in diesem Ausmaß darum gekümmert haben, wie man sich als Mensch in der modernen Welt fühlt, und dann auch Rezepte dafür anboten. Das Gegenstück zur Entfremdung ist die romantische Idee vom befreiten Ich: das Recht auf Persönlichkeit, die Befreiung von Schranken des Herkommens und der Sitte – eigenartig sein dürfen. Dies wird auch religiös überhöht und gerechtfertigt: „Was man mit Enthusiasmus, also mit Liebe will, das ist auch von Gott gewollt und geboten“ [, dem] Gott in uns, und der ist nichts anderes als das Individuum selbst in der höchsten Potenz. (Schlegel 1798, zit.n. Safranski 2007) Auf der praktischen Ebene äußerte sich die Überhöhung der Individualität als Verherrlichung von Helden, Genies und großen Meistern, Dichtern und Künstlern. Diese genossen weitgehende Narrenfreiheit. Deren wilde Geschichten scheinen gar nicht so weit entfernt von den vielfältig „angeturnten“ und unkonventionellen Künstlerheroen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, beispielsweise Jack Kerouac, Allen Ginsberg bis zu Chögyam Trungpa – wie die Frühromantiker Persönlichkeiten von großer und bis heute anhaltender Ausstrahlung und Wirksamkeit. 5

http://www.edition-lgc.de/sonst/texte/schellin.htm

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Der Verstand reicht nicht aus – die Grenzen des rationalen Denkens Romantische Grundüberzeugung ist, dass der Verstand nicht ausreicht – dass also die Grenzen des rationalen Denkens überschritten werden müssen. Historisch gesehen war dies eine Reaktion auf die Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens, das damals wie heute von vielen Menschen als Bedrohung gesehen wurde, oder zumindest als eine Verarmung, eine Entzauberung der Welt. Die Gegenreaktion war Innerlichkeit und Introspektivität bis hin zur Flucht aus der Wirklichkeit, und Streben nach Idealen, gleich wie unerreichbar sie auch sein mögen. Die Romantik arbeitete an der Zurücknahme der Ordnung der Alltagswelt des Alltagsverstandes, der Stärkung der Fantasie und der freien Einbildungskraft, an der Bereicherung der Wirklichkeit durch Kunst und Dichtung. Novalis sprach vom „Romantisieren“, das alles durchdringen soll. Jede Lebenstätigkeit soll sich mit Bedeutung aufladen. Auch Geschäftsarbeiten liessen sich poetisch behandeln, meinte Novalis. Schlegel sprach von der „progressiven Universalpoesie“. Dabei ging es immer auch um starke Gefühle. Novalis bezeichnet die romantische Dichtung als „Gemüterregungskunst“: „Poesie ist Darstellung des Gemüts – der innern Welt in ihrer Gesamtheit.“ Schelling träumte gar davon, „das kühne Wagestück der Vernunft zu vollbringen, die Menschheit den Schrecken der objektiven Welt zu entziehen“ (Schelling 1794, zit. n. Safranski 2007) Zu dieser Betonung von starken Gefühlen gehörten auch Erotik und Sexualität, teils ausgelebt, teils extrem sublimiert wie zum Beispiel bei Novalis. Seine sehr jung verstorbene Geliebte Sophie von Kühn wurde ihm im spirituellen Sinne zu einer "Sophia", einer weiblichen Verkörperung des Weisheitsprinzips, ähnlich der Prajna Paramita, der Darstellung der höchsten Weisheit als weiblicher Buddha. Eine der wichtigsten Methoden zum Überschreiten des Verstandes war für die Romantik die Kunst und das Spiel. Es herrschte ein unbegrenzter Glaube an die Allmacht der Kunst. Es ging um Expressivität, das Projekt der progressiven Universalpoesie. Ausgangspunkt und leuchtende Überschrift war Friedrich Schillers Zitat aus „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ 6 Dahinter steht der Anspruch, durch ästhetische Erziehung die Krankheit der Kultur kurieren zu können. Wer innerlich geeint ist, kann auch Verbundenheit in der äußeren Welt erschaffen. „Poesie ist die große Kunst der Konstruktion der transzendentalen Gesundheit. Der Poet ist also der transzendentale Arzt“ schreibt Novalis. Buddhisten mögen sich hier daran erinnern, dass auch der Buddha sich selbst gelegentlich mit einem Arzt verglichen und sich sogar als der „beste Menschheitsarzt“ (Theragatha 830) 7 bezeichnet hat.

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Anklänge an diesen Gedanken finden wir auch heute noch in unserer Kultur, zum Beispiel in der MontessoriErziehung (http://www.gesinedoernberg.com/schiller.htm) oder bei Donald Winnicott (Playing and Reality, 1971). 7 http://www.alfred-weil.de/front_content.php?idart=131

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Heil und Heilung Überhaupt, die Heilung! In der Romantik gilt Heilung als Metapher: Eine ins Unendliche gerichtete Sehnsucht nach Heilung der Welt war eine treibende Kraft der deutschen Romantik8. Die hoffnungsvolle Idee einer vollständigen Heilung und Ganzwerdung durch die Kraft des Geistes, der Sieg über die niedere Materie und den daraus geformten Körper ist nicht nur eine dualistische, sondern vor allem eine zutiefst romantische Idee. Die deutschen Romantiker griffen daher auch die Ideen Franz Mesmers und sein Magnetisches Fluidum bereitwillig auf, paßte es doch wunderbar in das Konzept der romantischen Naturphilosophie. Der Kosmos als lebendiger Organismus, von einer Seele durchdrungen, die das Ganze und die Teile zusammenhält. Wenn eine solche Kraft sich nachweisen ließe, wäre die romantische Annahme bestätigt! (Danach wird heute noch gesucht, auch wenn die Apparate komplizierter und teurer wurden.) Naturphilosophie – Universelle Verbundenheit und Ganzheitlichkeit Aus der Romantik stammt auch die heute so unendlich beliebte Idee der Ganzheitlichkeit, der universellen Verbundenheit. Die Romantik war einerseits voller Naturschwärmerei, was wir in der Kunst sehen zum Beispiel bei Caspar David Friedrich, und den zahlreichen Romanen, in denen es um Wanderschaft geht, verbunden mit vielen tiefen Naturerlebnissen. Bei all dieser zur Schau getragenen Naturverbundenheit geht es allerdings nicht um Schutz der Natur im heutigen ökologischen Sinne, daran dachte damals einfach noch niemand, auch nicht um die systematische Beobachtung der Natur, sondern um ihre gefühlsmäßige oder spekulative Erfassung, um den Geist der Poesie in der Natur. Das Konkrete der Natur war dabei ziemlich uninteressant. Die Romantische Naturphilosophie sah den Menschen als Ganzes im System der Natur. So weit, so gut. Dabei blieb sie aber ein bloßes gedankliches Konstrukt, freie Spekulation ohne Beobachtung, ohne Erfahrung und ohne Experiment (Becker 2008). Das System der Philosophie stand sogar über der konkreten Betrachtung der Natur, die Beobachtung hatte sich der Philosophie zu unterwerfen, bis hinein in die Anatomie. So schrieb Schelling (1854): „Die Anatomie ... müsste zuvörderst erkennen, dass es einer Abstraktion, einer Erhebung über die gemeine Ansicht bedarf, um der wirklichen Form (…) Wahrheit [zuzuerkennen]. Er (der Anatom) begreife das Symbolische der Gestalten.“ Diese Naturphilosophie „hatte sich in ihr System eingehüllt und eingewoben wie in einen Kokon, aus dem es keinen Ausweg gab, aus dem heraus alles zu erklären war“ (Becker 2008). So wurde letztlich die Natur in den Bereich der Ästhetik ausgelagert, und die beschworene Ganzheitlichkeit und All-Verbundenheit blieb ein reines Gedankenspiel, das von der realen, beobachtbaren Natur abgespalten und unabhängig war, eher schwärmerische Empfindung als praktische Verantwortlichkeit. Diese von der Romantik initiierte Abtrennung einer spekulativen Naturphilosophie von der Beobachtung realer Naturphänomene besteht gerade in spirituellen Kreisen bis heute.

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http://de.wikipedia.org/wiki/Romantik

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Alternative Lebensformen Alternative Lebensformen, die praktische Anwendung romantischer Grundideen in Lebensgemeinschaften, ist eine Idee, die gerade in Deutschland seit 200 Jahren ungebrochen Begeisterung auslöst und Anhänger findet. Romantische Gemeinschaften des 19. und frühen 20. Jahrhunderts setzten sich nichts geringeres zum Ziel, als im Geiste des frühromantischen Aufbruchs eine Gemeinschaftsreligion zu schaffen: Erst sollte man in sich gehen, seine mystische Mitte, sein wahres Ich finden, im Geiste Fichtes, vom neu ergriffenen Ich aus sollte dann in sympathischem Einheitsgefühl die neue Gemeinschaft geschaffen werden, im Geiste von Novalis (zusammengefasst nach Safranski 2007). Diese Ideen von der Landkommune usw. ähneln sich immer, gleich ob sie im Geist der Romantik, des Marxismus, des Hippietums, oder der Religion und Spiritualität entwickelt werden. Oft kommt in ihnen auch der charismatische Führer (fast immer männlich) vor, wiederum eine typische Grundgestalt der Romantik, die uns später noch begegnen wird. Spiritualität und Religion In der Romantik entstand die auch heute noch verbreitete Differenzierung zwischen Religion als persönliche Erfahrung, bei großer Skepsis gegenüber religiösen Institutionen. Daraus abgeleitet wird eine Abneigung gegenüber Offenbarungsreligionen, bei denen eine Institution die Definitionsmacht hat, und die Bevorzugung der persönlichen Erfahrung in eigenen Geist oder in der Natur. Die Romantiker sind hierin die Quelle unserer heute weit verbreiteten Haltung „Spiritualität ja, Religion nein“. Es ging um die (Re-)Spiritualisierung der (als kalt erlebten) Welt, innig verknüpft mit dem Projekt der Romantisierung durch die Poesie: „Es kommt alles darauf an, den heiligen Sinn in sich selbst zu bewahren und dafür zu sorgen dass er in der Welt nicht erlischt“ sagt Novalis in seiner Rede „Die Christenheit oder Europa“ (1799, zit. n. Safranski 2007). Dem noch kaum bekannten Buddhismus stand man in der Frühromantik sogar negativ gegenüber. Friedrich Schlegel, der den Anstoß für die deutsche Indologie gab, schrieb vom Buddhismus, er habe zwar „in einigen Stücken der Lehre und selbst der äußeren Einrichtung eine auffallende, aber dennoch falsche Ähnlichkeit. Das einzelne stimmt oft sonderbar überein, aber es ist alles entstellt und verzerrt, alles hat ein anderes Verhältnis und einen anderen Sinn; es ist die Ähnlichkeit des Affen mit den Menschen“. (Schlegel 1808, „Über die Sprache und Weisheit der Indier“, zitiert nach Zotz 2000). Umso reichhaltiger waren die Phantasien. Die Morgenlandfahrt (Hermann Hesse), die Fahrt nach Osten, steht in unserer Kultur zugleich für die Reise in eigene Tiefen, in der Projektion und Wahrnehmung verschmelzen – aus den reichen Tiefen Asiens erhoffen wir uns immer wieder die Rettung für Europas Probleme (Zotz 2000). Das Übersinnliche, Geheimnisvolle Es blühte das Wunderbare und das Geheimnisvolle. Die Geheimnisse der Seele, ihre Nachtzeiten, die dunklen Welten des Unbewussten. Die Wirklichkeit als erträumte Märchenwelt - bis hin zur Schwärmerei und Verherrlichung des Übersinnlichen. Romantische Romane waren voll von Geheimnissen, Geheimgesellschaften, Bedeutungen 10

auf geschichteten Ebenen, geheimen Plänen; voller Dämonen, Gefahren und Rettung. Perfekt wurde auf dem Kontinuum von heimlich/heimelig zu unheimlich gespielt. Das Geheimnis, das Geheimnisvolle – „man wünscht sich ein Leben, das andere Überraschungen und Geheimnisse verspricht als das gewöhnliche …. Das Licht der Aufklärung verlor an Glanz (…) man spielte mit der Vernunft und übte sich im Tischrücken. Am Ende des [18.] Jahrhunderts konnte das Wunderliche wieder selbstbewusst als das Wunderbare auftreten. Wieder tauchen die Wunderheiler auf (…) und „man findet wieder Gefallen am Dunklen, das von weither kommt“, schreibt Safranski (2007) – man könnte meinen, er schreibt über die Gegenwart! Aus dieser Schwärmerei für das Übersinnliche und Geheimnisvolle resultierte gleichzeitig eine ambivalente, wenn auch nicht ganz ablehnende Haltung gegenüber Aufklärung, Rationalität, Fortschritt und Wissenschaft. Auch Novalis, im bürgerlichen Leben Bergbauassessor, merkt an, dass die Phantasie auch in die Irre führen kann, wenn das Korrektiv durch „kaltem technischem Verstand“ fehlt, dann nämlich verirre man sich in einem „Gespensterreich, diesem Antipoden des wahren Himmels“ (zit. n. Safranski). Friedrich Schlegel konvertierte bald zum Katholizismus, und schrieb schon 1808 von der „ästhetischen Träumerei“ der Romantik – dieser „pantheistische Schwindel, diese Formenspielerei“ müsse aufhören (zit. n. Safranski). Offen möchte ich hier lassen – weil jede/r ihre/seine eigene Meinung dazu hat – ob das Übersinnliche Teil des Spektrums religiösen Erlebens ist oder sein sollte, oder unabhängig davon, oder geradezu das Gegenteil echter Religion, wie Schleiermacher es sieht (siehe weiter unten). Ein zutiefst romantischer Topos ist es allemal. Eine Definition der Romantik Romantik ist nicht zu definieren. Michael Ferber hat es doch versucht, romantischschelmisch in einem einzigen, zugegeben recht langen Satz: "Romantik war eine Bewegung in der europäischen Kultur, oder eine Gruppe von miteinander verwandten Bewegungen, die in einem symbolischen und ins Innerliche gewendeten Roman-Plot ein Vehikel fanden, das eigene innere Selbst und seine Beziehung zu anderen und zur Natur zu erkunden, so dass die Imagination, die als eine höhere und einschliesslichere Fakultät gesehen wurde als die Vernunft, Versöhnung und Trost in der Welt der Natur bot, und die die Religion ent-transzendentalisierte, indem Gott oder das Göttliche als der Natur oder der Seele inhärent gesehen wurde und auf diese Weise theologische Dogmen durch Metaphern und Gefühl ersetzte, was die Dichtkunst und alle Künste als die höchste menschliche Schöpfung ehrte, gegen den etablierten Kanon der neoklassizistischen Ästhetik und gegen aristokratische und bourgeoise soziale und politische Normen rebellierte und stattdessen individuellere, innengerichtetere und emotionalere Werte bevorzugte." (Ferber 2010, meine Übersetzung) Zwei Punkte möchte ich hier hervorheben: Wir sehen, es gibt tatsächlich eine klare Übereinstimmung zwischen romantischem Denken und dem Buddhismus dahingehend, dass das Göttliche, oder die Buddhanatur, dem 11

Menschen inhärent ist, und nicht von außen gegeben wird – eine Abkehr von äußeren Dogmen, Offenbarungen und religiösen Organisationen. Ob das, wodurch sie in der Romantik ersetzt werden, uns weiterbringt, ist eine andere Frage. Zweitens ist die Romantik von Anfang an eine Gegenbewegung, eine Rebellion gegen die großen Themen, die die westliche Geschichte in den Hunderten von Jahren davor beherrschten, der kirchliche Monotheismus einerseits, und die als kalt und entfremdend empfundene wissenschaftliche Rationalität andererseits. In diesem Selbstverständnis als Gegenbewegung konnte sich die Romantik immer eine geschlossene Klarheit sparen, die ihr ohnehin nicht liegt. Fichte und das absolute Ich Das Hervorheben der Individualität in der westlichen Kultur beginnt nicht erst mit der Romantik, sondern bereits im alten Griechenland. Die besondere Anerkennung des Individuums, die Betonung der eigenen Entscheidung und Wahrnehmung, der Individualismus als Grundhaltung, wie wir sie heute in unserer psychotherapeutischen Kultur kennen, stammen jedoch aus der Romantik. Der wichtigste Denker, auch für den entstehenden deutschen Idealismus, war Johann Gottlieb Fichte. Lange vor Freud, und lange, bevor der Buddhismus einen nennenswerten Einfluss auf das deutsche Geistesleben hatte, wurden seine Thesen über Ich und Nicht-Ich, über das absolute Ich, die Grundlage auch für unsere heutigen Vorstellungen vom Ich. Am Anfang der Philosophie steht bei Fichte das sich selbst setzende Subjekt, eine Tathandlung, mit der das Ich sein eigenes Sein setzt. Fichte setzt als höchsten Punkt der Philosophie nicht Gott, oder die Natur, sondern die durchsichtig gemachte Struktur des Selbstbewusstseins, das wahrhafte Ich des Erkennens, Handelns, Glaubens, und Hoffens. (…) „Man ende also nicht, so wie Kant es befürchtete, beim Ich als einer gänzlich leeren Vorstellung, sondern beim ich als Prinzip des Lebendigen“ (Safranski 2007). Hier sehen wir schon Gründe für spätere Verwirrungen. „Beim Ich als gänzlich leerer Vorstellung zu enden“, das ist ja gerade das Ziel des Buddhismus! Das „Prinzip des Lebendigen“ hört sich aber für die meisten Menschen viel akzeptabler an. Oft klingt Fichte geradezu wie ein buddhistischer Lehrer: „Wir müssen beobachten, was in uns vorgeht, wenn wir das „ich denke“ denken. Das Ich ist etwas, das wir im Denken erst hervorbringen, und gleichzeitig ist hervorbringende Kraft die unvordenklichen Ichheit in uns selbst. (…) Dass ich bringt sich selbst hervor in der Reflexion, die ihrerseits eine Tätigkeit ist; es setzt sich. D.h.: dieses Ich ist keine Tatsache, kein Ding, sondern ein Ereignis.“ (Safranski 2007, kursiv von uk). Die scheinbare Wirklichkeit ist die Tathandlung des Ichs, das sich im Handeln und Erkennen seine Welt erschafft. Diese Gedanken scheinen hochmodern, vom Konstruktivismus bis zur Neurophilosophie, und völlig kompatibel mit dem Buddhismus. Auf eine Art ist Fichte ganz nah an der buddhistischen Lehre über das Ich und seinen Prozesscharakter, aber er zieht die diametral entgegengesetzte Konsequenz, das Ich als absolut zu setzen. 12

Oberflächlich gesagt: Der Westen verklärt, von Fichte ausgehend, das Ich, der Buddhismus sieht im ständigen Bezug auf das Ich die Wurzel allen Übels. „Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ Dieses berühmte Zitat stammt aus Friedrich Daniel Schleiermachers „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799). Dieses frühe romantische Werk hat sowohl den modernen Protestantismus als auch die Haltung der Romantik zur Religion nachhaltig geprägt. Schleiermacher geht es darum, was Religion ihrem Wesen nach ist. Für ihn ist Religion etwas Zusätzliches, das über Metaphysik und Ethik hinausgeht und davon unterschieden ist. Damit spricht er eine Kernfrage aller Säkularisierungsbemühungen an, die uns auch bezüglich des buddhistischen Dharma beschäftigt. Nach Schleiermacher ist Religion in jedem Menschen angelegt. Sie gehört aber einer eigenen „Provinz im Gemüthe“ an. Darum sei sie im Grunde etwas Anderes, als sich die Gebildeten darunter vorstellen. Schleiermacher teilt die Abneigung der Gebildeten gegenüber einer Religion aus Angst und Berechnung: „Die Furcht vor einem ewigen Wesen und das Rechnen auf eine andere Welt, das, meint Ihr, seien die Angel aller Religion, und das ist Euch im Allgemeinen zuwider.“ Schleiermacher teilte übrigends die Auffassung, dass der Wunsch nach Unsterblichkeit nichts mit Religion zu tun hat, sondern rein egoistisch motiviert ist, mit Goethe, Lessing und Fichte (Potepa 2005, zit. n. Wikipedia9). Religion sei aber im Kern von dieser Auffassung sehr verschieden. Ihrem Wesen nach sei die Religion: „Anschauen des Universums“. Religion bestehe völlig unabhängig von Moral und Metaphysik. Beides hat sich nur wie ein Schleier über sie gelegt. Sie lässt sich nicht für das menschliche Zusammenleben funktionalisieren und liefert auch keinen direkten Erkenntnisgewinn. Spekulieren darüber, ob es einen Gott gibt, ist im Gebiet der Religion leere Mythologie. Nachdenken, Erklären, Systematisieren ist Teil der Metaphysik, Religion ist aber nicht dem Denken verhaftet. Auch zum Handeln treibt die Religion nicht an. Man kann nichts aus Religion tun, aber alles mit ihr. Religion ist passives Anschauen des Universums, das sich offenbart und den Menschen tief berührt: „Anschauen des Universums, ich bitte befreundet Euch mit diesem Begriff, er ist der Angel meiner ganzen Rede, er ist die allgemeinste und höchste Formel der Religion“ (Schleiermacher 1799). Dabei sei Pluralität ein der Religion innewohnendes Prinzip. Schleiermacher hält nichts von der Idee eines in allen Religionen vorhandenen unverdorbenen Kerns, der sog. „Natürlichen Religion“. „Wer ihr anhängt, verliert sich schnell in flacher Gleichgültigkeit und Unbestimmtheit, die nicht dem Geist wahrer Religion entspricht.“ Die „positiven Religionen“ (also die existierenden Religionen, die sich in der Geschichte bewährt haben) seien hingegen immer „von einer zentralen Anschauung im Mittelpunkt bestimmt“. Dies

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http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_die_Religion._Reden_an_die_Gebildeten_unter_ihren_Ver%C3%A4chtern

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deckt sich mit der buddhistischen Überzeugung, dass die philosophische „Sicht“ der entscheidende Punkt ist, von dem aus sich der Dharma organisiert. Schleiermachers Religionsverständnis klingt modern und setzt sich klar ab von den Neigungen späterer Romantiker zum Katholizismus. Seine Wurzeln liegen mehr im Herrnhuter Pietismus, der französischen Revolution und bei Spinoza. Spinozas Vorstellung, dass Gott in allem Sein zu finden ist, verbindet sich mit dem Begriff der Unendlichkeit, der auch für Schleiermacher so wichtig ist, und stellt für uns eine gefühlte Nähe zum Buddhismus her. Aus buddhistischer Sicht offen bleibt allerdings, ob Schleiermacher mit seinem „Anschauen des Universums“ eine echte, transformierende mystische Schau meint, oder nur eine ästhetizierende Anmutung von Unendlichkeit. Aber auch wenn es nur Intuitionen sind, ist die Klarheit bemerkenswert, mit der er Religion als etwas von allem anderen Unterschiedenes darstellt.

Nach dieser, in typisch romantischer Weise fragmentarischen, Übersicht über einige romantische Grundthemen begeben wir uns jetzt auf die Spurensuche nach dem romantischen Denken im zeitgenössischen Buddhismus.

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Romantik in westlichen buddhistischen Schulen Das Romantische Denken ist vielgestaltig, und so finden wir es auch im westlichen Buddhismus an unterschiedlichen Orten in unterschiedlichen Formen. Beispielhaft möchte ich zwei Bereiche darstellen, das eine ist die Vipassana/AchtsamkeitsRichtung, das andere der tibetische Buddhismus. So sauber getrennt, wie ich die romantischen Tendenzen hier den beiden Richtungen zuordne, sind sie natürlich in Wirklichkeit nicht. Damit es nicht zu komplex wird, gehe ich auf die romantischen Wurzeln im westlichen ZenBuddhismus hier nicht ein. Besonders D.T. Suzuki war jedoch ursprünglich ein Vorreiter der Modernisierung und Psychologisierung des Buddhismus und hat mit seinem breiten und tiefen Werk eine ungeheure Wirkung erzielt, deren Ausstrahlung bis heute anhält (siehe dazu z.B. McMahan 2008).

„Psychotherapeutische Buddhisten“ Das Dharma-Tor, durch das buddhistische Lehren unseren westlichen Sichtweisen anverwandelt werden, ist nach Thanissaro Bhikku (2012) die Psychologie und Psychotherapie, insbesondere die humanistische Psychologie. Als Protagonisten dieser „zeitgenössischen Popularisierung der Integration buddhistischer Meditation mit der Psychologie“10 werden Lehrer genannt wie z.B. Jack Kornfield, Tara Brach, Sharon Salzberg, Mark Epstein und Thich Nhat Hanh. Diese Lehrer stammen in der Mehrzahl aus der Theravada/Vipassana/AchtsamkeitsTradition. Viele von ihnen sind, oder wurden später, Psychotherapeuten und schöpfen die Art ihres Lehrens aus der Interaktion zwischen den beiden Bereichen. Dabei wurde „bewusst versucht, buddhistisches Vokabular zu reduzieren und stattdessen westliche, also psychologische Termini zu verwenden“. Die Übung der Meditation wurde umbenannt in „Einsicht in die Erfahrung von Augenblick zu Augenblick gewinnen, und einen Lebensstil pflegen, der diese Einsichten reflektiert“, Vipassana-Meditation wurde rekonzeptualisiert als eine „Bewusstseinstechnik, die Erwachen, Freiheit und psychologische Heilung fördert“, schreibt Baumann (2007). Hinter dieser Bewegung stecken teils tiefe und bewegende persönliche Erfahrungen. In den letzten Jahrzehnten mussten viele Meditierende erkennen, dass auch tiefe, lange und intensiv geübte Meditation bestimmte persönliche Bereiche psychologischen Leidens nicht wirklich angeht. Diese sind schlichtweg nicht der intendierte Anwendungsbereich buddhistischer Meditation. Verstärkt wird dieser Effekt noch, wenn Meditation als Abwehr gegen die Auseinandersetzung mit persönlichen Problemen benutzt wird, wie dies immer wieder der Fall ist (Engler 2003). Jack Kornfield und seine Kollegen schildern diese Phänomene intensiv in ihren Büchern, und nutzen als Lehrmittel immer wieder kleine Fallgeschichten, die sich überwiegend auf der psychologischen Ebene bewegen. Dadurch wird sehr deutlich, wie die Psychologie als Eintrittspforte, als Dharma-Tor, für buddhistische Konzepte fungieren soll.

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http://en.wikipedia.org/wiki/Buddhism_and_psychology

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Ob dieses Tor auch als solches funktioniert, nämlich ob es den Weg zum Dharma für moderne Menschen und hinein in unsere Gesellschaft öffnet, scheint mir eine zu diskutierende Frage. Es fällt nämlich auf, dass spätere Werke aus dieser Richtung buddhistisch gesehen scheinbar nichts Neues mehr zu bieten haben, keine Vertiefung oder Erweiterung des Dharma-Verständnisses. Der westliche Dharma dieser Provenienz scheint auf der Ebene psychologischer Ratgeber angekommen und bewegt sich dort seitwärts. Ob dies ein Artefakt der verwendeten Sprache, oder der psychologisierenden Konzepte ist, oder eher der Macht des Marktes zuzuschreiben ist, müsste weiter untersucht werden. Einige Textbeispiele Was das Romantische an dieser psychologisierenden Sprache ist, finden wir in unübertrefflicher Konzentration in den Klappentexten der Verlage, von denen ich hier zwei zitieren möchte. „Vielleicht das wichtigste Buch, das bisher geschrieben wurde über Meditation, den Prozess der inneren Transformation, und die Integration spiritueller Übung in unseren westlichen Lebensstil (…) Es erweckt die Möglichkeiten von innerem Frieden, Ganzheit und das erreichen von Glück zum Leben. (…) Ein warmes, inspirierendes, und vor allem praktisches Buch. Seine sanfte buddhistische Weisheit wird dich durch die Höhen und Tiefen des zeitgenössischen Lebens führen, wie z.B. Sucht, psychologische und emotionale Heilung, Probleme in Beziehungen, und die Schwierigkeit, ein ausgewogenes Leben in Einfachheit zu erreichen.“ 11 „Im Ursprung, schreibt Jack Kornfield, liegt die Würde, die unser tiefstes Wesen ausmacht. Sie entstammt unserer Verbundenheit mit allem Lebendigen, die die Wurzel jedes wahrhaftigen Mitgefühls ist. Seine Vision des Buddhismus offenbart ein absolut positives und ermutigendes Menschenbild. Kornfield versteht den Buddhismus als großartiges psychologisches Konzept und nicht als ab- und ausgrenzende Religion [sic!]. „Das weise Herz“ ist ein machtvolles Buch der Heilung und zugleich eine Laudatio auf Buddha als den größten Heiler.“ 12 Während so ein Text natürlich einerseits Artefakt einer auf Verkaufszahlen ausgerichteten Verlagswerbung ist, zeigt er gleichzeitig genau dadurch die romantischen Themen, die wir gerne hören möchten – die Knöpfe, die man offenbar drücken muss, um westliche Buddhisten zu erreichen. Welche Romantischen Denkmuster finden wir hier? Das Loblied auf starke Gefühle Zunächst sticht am meisten ins Auge, dass es offenbar um Gefühle geht, besonders um starke, positive Gefühle. Machtvoll und großartig, aber sanft und warm, positiv und ermutigend soll es sein. Das sind klassische Kernthemen der Romantik: die starke Gefühlserfahrung, Versöhnung und Trost (siehe oben, Zitat Ferber 2010). 11 12

Aus dem englischen Klappentext für Kornfield 1993, Ausgabe 2002 bei Amazon.de (5.3.2014), übs. v. Autor Aus dem Klappentext für „Das weise Herz“ bei Amazon.de (5.3.2014)

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Heilung statt Heil Emotionale und soziale Heilung, die Lösung von Beziehungsproblemen werden als Ziel definiert, und gleichgesetzt mit dem Heil, dem Ziel des spirituellen Wegs. Psychotherapie wird zur Soteriologie erklärt. Tauschen wir das Wort „Therapie“ gegen „Poesie“, sind wir wieder bei der progressiven Universalpoesie von Friedrich Schlegel und Novalis. Natürlich wird immer auch Glück und Frieden versprochen. Gemeint ist aber offenkundig das Glück des Alltagslebens. Der buddhistische Mönch und Erfolgsautor Matthieu Ricard lässt sich gerne als „der glücklichste Mensch der Welt“ bewerben. Zielwertverunklarung Diese Gleichsetzung des spirituellen Heils mit der weltlichen Heilung ist nur Teil eines größeren Projekts: des Verschwindenlassens von nicht-alltäglichen Zielen. Integration in unseren westlichen Lebensstil, also die Aufrechterhaltung des üblichen Alltagslebens, wird dabei als nicht-verhandelbares Dogma gesetzt. Dies steht im Widerspruch zu fast allen buddhistischen Schulen, die die Entsagung vom Alltagsleben als einen notwendigen ersten Schritt betrachten, und die Integration ins Alltagsleben erst als eine spätere Möglichkeit, die sich aus dem Erreichen erster Ziele ergibt. Diese Preisgabe von Fernzielen ist aber geradezu ur-romantisch. Sprüche wie „der Weg durch die Höhen und Tiefen des Lebens“, „der Weg ist das Ziel“ verdeutlichen die dahinter stehenden romantischen Überzeugungen. Ein abschliessendes Ziel ist nicht erreichbar, es geht um den Prozess, so betonte schon Friedrich Schiller. Im Gegensatz zur Botschaft des traditionellen Buddhismus hat der romantische Buddhismus keine echte Vorstellung eines transzendierenden Ziels. Dafür ein schönes Beispiel sind die die bereits erwähnten kleinen Fallgeschichtchen („Mark war ein 40-jähriger Bankangestellter …“) in den Büchern dieser Tradition, die im Gegensatz zu den klassischen Geschichten aus der Zen- oder tibetischen Tradition meist gerade nicht das Erreichen spiritueller oder religiöser Ziele schildern, sondern ein scheinbar rasch gelingendes Weiterleben in einem erfolgreichen und harmonisierten Alltag. Dabei wird das normale Leiden des menschlichen Alltags mit dem buddhistischen dukkha gleichgesetzt, und somit Heilung des normalen und psychologischen Leidens mit dem Heil, dem letztendlichen Ziel. Buddhistische Weisheit wird degradiert zur Lebensweisheit, damit sie nur keinesfalls am grundlegenden Dogma rüttelt: Der westliche Lebensstil und unser Alltagsleben darf nicht angetastet werden. Merke: Die Preisgabe echter Freiheits-Ziele tarnt sich gern als spirituelle Bescheidenheit. Identität Am subtilen und zugleich problematischsten ist das Wegzaubern des Nicht-Ich. Anatta als eines der Drei oder Vier Siegel (je nach Schule) ist ein Kernmerkmal, welches eine Lehre überhaupt als Buddhismus kennzeichnet. Die Texte der hier erwähnten Tradition

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verwandeln das buddhistische Nicht-Ich in ein romantisches Ausdehnen der Identität hinein in eine fantasierte Unendlichkeit, wie folgende Original-Zitate zeigen: „Wenn unsere Identität sich so weit ausdehnt, dass sie alles einschließt, finden wir Frieden im Tanz der Welt. Der Ozean des Lebens steigt und fällt in uns, Geburt und Tod, Freude und Schmerz, es ist alles unseres, und unser Herz ist voll und leer, groß genug alles zu umarmen“ (Kornfield 2000, übs. uk) „Nach Meinung des Buddha nutzen wir unser menschliches Leben am besten, wenn wir uns darin üben, offen und neugierig zu bleiben – darin üben, die Grenzen aufzulösen die wir zwischen uns und der Welt aufgerichtet haben.“ (Chödrön 2008, übs. und kursiv uk) „Der Buddhismus macht die Fähigkeit des Selbst, seine Grenzen zu lockern zum Zentrum seiner Lehren“, behauptet Mark Epstein. Achtsamkeit sei die Methode des Buddha, mit der wir die Beziehung zu uns selbst wiederherstellen können (Epstein 1998, übs. und kursiv uk). Ganzheitlichkeit Noch einen Schritt weiter vom Verschwindenlassen des Nicht-Ich finden wir das Verschwindenlassen der Leerheit, des Kernmerkmals des Buddhismus überhaupt. Stattdessen wird von Ganzheitlichkeit gesprochen, von allumfassender Verbindung mit allem Seienden, ganz im Sinne der romantischen Naturphilosophie. Leerheit wird dagegen in die Nähe der Psychopathologie gerückt: Epstein (1998) erzählt von seinem persönlichen, quälenden Gefühl der Leerheit über viele Jahre, setzt es gleich mit der shunyata des Buddhismus, und stellt dann in kühner Kehrtwendung fest, damit authentifiziere der Buddhismus ein weit verbreitetes Gefühl, das fast alle Westler verleugnen wollen, und das auch die Psychotherapie ohne Erfolg versuche auszulöschen. Damit stellt Epstein alles auf den Kopf, vermengt Psychopathologie mit dem Ziel des Buddhismus und nimmt dem Leser jede Möglichkeit eines echten Verständnisses des Leerheits-Begriffs. Verweigerung der Auseinandersetzung mit der Tradition Das Hauptproblem dieser ganzen Lehrrichtung scheint mir zu sein, das sie das Verschwinden und Hinwegzaubern traditioneller Anteile des Dharma nicht thematisieren, sondern so tun, wie wenn dieses Problem längst erledigt wäre. Die Frage, wie man sich zur buddhistischen Orthodoxie und Tradition der letzten 2500 Jahre verhält, und was das für die Authentizität des modernen Buddhismus bedeutet, wird komplett ausgeklammert. Wir gefallen uns heute im Hochgefühl, dass wir dieselbe Meditation machen wie der Buddha und seine Anhänger, nehmen aber 90% von deren Lehren nicht an, weil sie uns nicht in unseren modernen Kram passen. Dazu müssen wir uns doch irgendwie stellen!

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Tibetische Phantasien Nirgendwo werden die komplexen Interaktionen zwischen Religion, Wissenschaft, und Romantik so deutlich wie beim tibetischen Buddhismus. 13 Das mythische Tibet ist seit Jahrhunderten geistiges Sehnsuchtsland und Projektionsfläche der Europäer. Der Jesuitenpater Ippolito Desideri verbrachte ab 1716 mehrere Jahre in Tibet und danach den Rest seines Lebens damit, europäische Irrtümer und falsche Vorstellungen über Tibet zu korrigieren (Brauen 2000). Ohne Erfolg, wie er selber meinte, und wie wir heute noch besichtigen können! James Hiltons 1933 erschienener Roman „Lost Horizon“ (deutsch: Irgendwo in Tibet) machte den Ausdruck „Shangri-La“ für dieses Wunschdenken berühmt. Der Hochstapler und fiktive „tibetische Lama“ Lobsang Rampa war Inspiration für viele junge westliche Buddhisten, wie auch Jack Kornfield schamhaft gesteht (Kornfield 1993). 14 Als dann die ersten tibetischen Lehrer nach Europa kamen, meinten wir, das Problem habe sich erledigt. Denn jetzt hören wir ja die Originalversion. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe Wissenschaftler und Historiker, die der Meinung sind, so einfach wäre das nicht. Als die Tibeter in den 1960er Jahren hier ankamen, stellten sie mit Verblüffung fest, dass sie schon längst hier waren: nämlich ihr Schatten in der Gestalt der felsenfesten Überzeugungen der Europäer über das, was Tibet und tibetischer Buddhismus seien. Sie hatten kaum eine Chance, als das wahrgenommen zu werden, wie sie wirklich sind, oder wie das Tibet ihrer persönlichen Lebenserfahrung wirklich war. Donald Lopez (1999) beschreibt dies ausführlich in seinem Buch „Prisoners of Shangri-La“, die Gefangenen von Shangri-La. Diese Gefangenen, so Lopez, das sind wir alle, nicht nur wir Westler, sondern auch die Tibeter, denen nichts anderes übrig blieb, als die Projektionen teilweise zu akzeptieren und sich zu einem guten Teil an dem einzurichten, was die Leute sowieso schon über sie zu wissen meinten. Diese schwärmerischen Projektionen waren natürlich durchaus auch hilfreich, wenn es darum ging, möglichst viel von ihrer untergehenden Kultur und Tradition zu retten. Nach Auffassung von Donald Lopez vertreten Lehrer wie der 14. Dalai Lama, eloquenter und kosmopolitischer Friedensnobelpreisträger, und andere, die ein ähnliches Modell übernommen haben, nicht unbedingt den Buddhismus, wie er in Tibet tatsächlich war. Es handele sich um ein idealisiertes Hybrid, eine teilweise neu erschaffene universale Weltreligion des Friedens und der Ethik, die viele westliche Konzepte auch aus der Romantik in sich aufgenommen hat, andere Aspekte dagegen ausblendet. Diese Aussagen sollen keine Abwertung der Bemühungen des Dalai Lama und ähnlich orientierter Lehrer darstellen, sondern dem Versuch der Klärung dienen, was Kernaussagen des historischen Buddhismus sind, und was bereits modernes Hybrid. 13

„Tibetischer“ Buddhismus ist streng genommen eine falsche Bezeichnung. Es handelt es sich bei dem gesamten Überbau des Buddhismus in Tibet um indischen Mahayana-Buddhismus der Nalanda-Periode, den Tibet seit dem 11. Jh durch seine weitgehende Isolation von anderen Einflüssen fast unverändert bewahrt hat (Garfield 2010). Das „tibetische“ daran ist auch aus Sicht der meisten tibetischen Lehrer nicht zentral. 14 Dieses Phänomen nennt man ursprünglich „Orientalismus“, ein Begriff von Edward Said, da es zuerst für unsere Phantasien über das ähnlich mythische Arabien von Sindbad und 1001 Nacht beschrieben wurde (Clarke 1997).

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Wie groß die Schwierigkeiten sind, im real existierenden Buddhismus westlicher Zentren und Gruppen zwischen diesen verschiedenen Polen zu navigieren, illustriert ein Veranstaltungshinweis des TTC, einem tibetisch-buddhistischen Zentrum in Hamburg, den ich just in der Woche vor diesem Vortrag (März 2014) bekam. Darin stand: „Die Chöd-Puja basiert direkt auf den Prajñaparamita-Lehren des historischen Buddha. Seine hauptsächliche Wirkung besteht darin, sämtliche Verschleierungen, die ihrerseits durch das Haften an der Idee von einem stabilen Ich-Kern zustandegekommen sind und aufrechterhalten werden, vollkommen zu entwurzeln. Darüberhinaus reinigt es Krankheiten, insbesondere solche, die von übelwollenden Geistern übertragen worden sind.“ Ein solcher Text zeugt zwar vielleicht von großer Frömmigkeit, sicherlich aber auch von großer Verwirrung. Schauen wir uns einmal genauer an, welche typisch romantischen Denkmuster in der westlichen Darstellung des tibetischen Buddhismus vorkommen (wobei ich nur einige erwähnen kann). Reinkarnation – die Wiedergeburt des Traums vom Ewigen Leben Ein Buchtitel aus dem Theseus-Verlag verrät das dahinterstehende Denken: „Der Geist überwindet den Tod“ (Autor: Dzogchen Pönlop Rinpoche). Darin sehen wir den projizierten Wunschtraum vom Ewigen Leben. Während in Asien das Rad der Wiedergeburt als etwas ausgesprochen Negatives gesehen wird, von dem man sich befreien muss, ein Joch, welches nur Bodhisattvas freiwillig akzeptieren um allen anderen zu helfen, mutiert es im Westen zu einer tröstlichen Jenseitshoffnung. Es geht dabei nicht nur um den Sieg des Geistes über den Tod, sondern damit auch um den Sieg des Geistes über die Materie – und damit auch um Macht und Machtfantasien. "Was ist diese fieberhafte Suche nach der geistigen Kraft, welche die Materie bezwingen kann, anderes als die Suche nach dem Heiligen Gral, der ewiges Leben verleiht?" läßt Christine Lehmann in ihrem Roman „Totensteige“ (2012) eine kluge Parapsychologin fragen. Heil, Heilung und Natur Die erwähnte Vermengung von Heil und Heilung, die im psychologisierenden Buddhismus besonders auf der psychotherapeutischen Ebene geschieht, vollzieht sich unter Anhängern des tibetischen Buddhismus eher auf der Ebene der tibetischen Medizin und Naturheilkunde. Es geht mir hier nicht darum, eine Aussage über den Wert der tibetischen Medizin zu machen, sondern um die typischen romantischen Projektionen auf diese zu illustrieren. Die tibetische Medizin wird dabei als der Gipfel der asiatischen Heilkunst postuliert, die sowohl das indische Ayurveda als auch die chinesische Medizin einbezieht und verbindet, und ihre Heilmittel ausschließlich aus der Natur nimmt. Die Idee der heilenden Natur bekommt den Stand einer göttlichen Gestalt, wohlwollend, wohltuend und allmächtig (unter Ausblendung derjenigen Aspekte der Natur, die dem Menschen durchaus nicht nur wohlwollend gegenüberstehen).

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Die Idee von der Natur als heilend ist, wie schon erwähnt, eine typisch romantische Idee, ebenso wie das Prinzip der romantischen Naturphilosophie, dass die Idee und die Philosophie wichtiger ist als das, was wir tatsächlich in der Natur beobachten (Becker 2008). 15 Hier zeigt sich der Kernpunkt des romantischen Dilemmas: die ambivalente Haltung zu Rationalität und Empirie – die Mutter Natur, die wir uns wünschen und imaginieren, im Widerspruch zur tatsächlichen Beobachtung der Natur. Im Westen begann diese Auseinandersetzung im 13. Jahrhundert mit dem Franziskaner und Philosophen Roger Bacon (1214-1294), dem „Märtyrer der Wissenschaft“ (Winkle), und erreichte seinen Höhepunkt in der Trennung der religiösen und der empirischen Domänen in der Aufklärung. Programm des Romantizismus ist seither, diese Trennung wieder aufzuheben. Der tibetische Buddhismus und seine Medizin scheint dafür ein ideales Vehikel. Wunder und das Übersinnliche Auch solche westliche Buddhisten, die sich bezüglich der Faktizität von Wundern etwas bedeckt halten, glauben gerne an Fügungen und Schickung, an zufällige Zusammentreffen, die kein Zufall sind, sondern eine Bedeutung haben und ihnen etwas sagen sollen. Solche Ereignisse, Träume und Fügungen weisen ihnen ihren persönlichen Weg. Ganz wie in romantischen Romanen, wie „Franz Sternbalds Wanderungen“ oder „Heinrich von Ofterdingen“. Typisch sind persönliche Bedeutungszuschreibungen wie „Ich habe eine Verbindung zu diesem Lehrer und sollte ihm daher folgen“, oder das klassische „Das soll wohl so sein“ – wie wenn der Kosmos nichts Besseres zu tun habe, als sich um meinen persönlichen Kram zu kümmern. Typisch romantisch ist auch die häufig gehörte Argumentation, dass die Tatsache, dass etwas nicht von der Wissenschaft bewiesen sei, nicht beweise, dass es nicht doch möglich sei – oft begleitet von der Zusicherung, dass man natürlich rational und wissenschaftlich denke, aber einen offenen Geist bewahren wolle. Dies ist letzten Endes die Argumentation von eigentlich Gläubigen, die gemäß der romantischen Naturphilosophie ihre Idee der Wirklichkeit der schnöden Beobachtung als übergeordnet sehen, und die das von ihnen selbst konstruierte Fantasieprodukt „wissenschaftlicher Beweis“ (ein Ausdruck, den die Wissenschaft nicht kennt) als eine Art lästige, aber notwendige Schikane betrachten. Ambivalente Haltung zur wissenschaftlichen Rationalität Wissenschaftliche Rationalität einerseits, Wunderglauben und Jenseitshoffnung andererseits werden bei vielen westlichen Anhängern des Buddhismus in einer Art doppelter Buchführung parallel geführt, ohne dass die Unlogik bewußt wird. Dies ist ein klassisch romantisches Manöver, in dem Gefühl und Anmutung höher bewertet werden als logische Konsistenz oder rationale Vereinbarkeit. Es erlaubt so, kindliche Bedürfnisse nach 15

Ich habe die tibetische Medizin nicht ausreichend studiert, um dies mit Sicherheit sagen zu können. Aber nach meinem Eindruck herrscht dort genau das gleiche Problem: Einerseits werden durchaus sorgfältige empirische Beobachtungen gemacht, andererseits muss der philosophische Überbau im Zweifel immer Recht haben: die Chakras, Nadis, Bindus, Prana, die Drei-Säfte-Lehre, die 12 Pulse, all die Systeme aus den Erbteilen Indiens und Chinas, denen sich die reale Beobachtung unterordnen muss.

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Allmacht und Schutz sowohl aus der starken Wissenschaft als auch der starken geistigen Welt zu befriedigen. Das Grundthema hier hat tatsächlich etwas Kindliches, oder sagen wir es freundlicher, Romantisches: Das Unheimliche und die Geborgenheit, große Gefahr und starker Schutz! „Echte“ tibetische Buddhisten erkennt man im Westen an ihrer Sammlung von Reliquien, oder mindestens an einigen Schutzbändchen um den Hals. Der tibetische Buddhismus spielt virtuos auf dem bipolaren Konstrukt von heimelig-unheimlich, dem unheimlichen wilden Land voller Geister und Dämonen dort draußen, und der heimeligen Geborgenheit der Gemeinschaft und der eng geknüpften Schulenzugehörigkeit voller identitätsstiftender Rituale. Letztere werden gerne auch gegen konkurrierende Schulen gewendet (siehe die Shugden–Kontroverse, z.B. bei v. Brück 2008). Sigmund Freud erkennt in der Neigung zum Unheimlichen und Übersinnlichen die „alte[n] Weltauffassung des Animismus (…), die ausgezeichnet war durch die Erfüllung der Welt mit Menschengeistern, durch die narzißtische Überschätzung der eigenen seelischen Vorgänge, die Allmacht der Gedanken und die darauf aufgebaute Technik der Magie, die Zuteilung von sorgfältig abgestuften Zauberkräften an fremde Personen und Dinge (Mana), sowie durch alle die Schöpfungen, mit denen sich der uneingeschränkte Narzißmus jener Entwicklungsperiode gegen den unverkennbaren Einspruch der Realität zur Wehre setzte. Es scheint, daß wir alle in unserer individuellen Entwicklung eine diesem Animismus der Primitiven entsprechende Phase durchgemacht haben, daß sie bei keinem von uns abgelaufen ist, ohne noch äußerungsfähige Reste und Spuren zu hinterlassen (...)“. (Freud 1941) Gleich, wie man zur Psychoanalyse und Freud steht, diese Bemerkungen treffen doch ziemlich genau das, was wir auch heute noch häufig beobachten. Trotz der großen Neigung zum Geheimnisvollen und Übersinnlichen, zur Projektion großer Macht in die Natur, oder auf große Meister und Yogis, schmücken sich gerade tibetische Buddhisten gerne mit der angeblichen Nähe des Buddhismus zur Wissenschaft - eine seit Jahrhunderten herumgeisternde Idee, die Donald Lopez (2010) stark anzweifelt und die Owen Flanagan (2011) eine „dornige Frage“ nennt. So sind die tibetischen Schulen oft ganz versessen darauf, ihre Lamas in den Kernspintomographen zu stecken, um zu beweisen, dass diese ganz ungewöhnliche Dinge mit ihrem präfrontalen Kortex anstellen können (siehe z.B. in Goleman 2003) . Es gibt intensive Bemühungen, den Buddhismus zur Wissenschaft vom Geist zu erklären (siehe z.B. Wallace 2003), wobei aber die unterschiedlichen Ausgangspunkte und Zielsetzungen berücksichtigt werden sollten (siehe dazu Flanagan 2011). Gerade bei Westlern zeigt sich oft eine merkwürdig ambivalente Haltung zur wissenschaftlichen Rationalität – eine sehr romantische Eigenschaft. Es ist verblüffend, mit welch offenkundigem „Spirituellem Materialismus“ (Trungpa) viele tibetische Buddhisten dabei „den Geist“ und seine „Kräfte“ betrachten, wo sie doch angeblich gar nicht materialistisch, und schon gar nicht dualistisch seien. 16

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Ein lesenswertes Buch über die tatsächlichen Kräfte des Geistes aus empirischer Sicht, nämlich die ungeheure Kraft der Erwartungshaltungen, ist Berdik (2012).

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„Der Geist“ Einer der faszinierendsten Untersuchungsgegenstände für die anthropologische Neugier im Umfeld des tibetischen Buddhismus im Westen ist der Begriff „der Geist“, und all die Glaubenswahrheiten, die sich darum ranken. Das wäre eine gründlichere Untersuchung wert! Jedenfalls scheint „der Geist“ der westlichen tibetischen Buddhisten, ähnlich wie die alte christliche Seele in roten Roben, etwas recht materialistisch-solides, auch wenn verbal immer wieder das Gegenteil betont wird. „Der Geist“ kann von einem Menschen zum andern wandern, Dinge bewegen und Menschen heilen, ist also eine Kraft, die außerordentlich materialistisch erlebt und beschrieben wird. Ähnlich gehen westliche Buddhisten um mit dem Begriff des „Segens“, der von tibetischen Meistern ausgehen soll wie eine Art Fluidum – vielleicht etwas wie der animalische Magnetismus von Franz Mesmer im romantischen 18. Jahrhundert. Die Distanz zum eigentlichen philosophischen Madhyamaka-Hintergrund des MahayanaBuddhismus scheint mir hier sehr groß, wenngleich tibetische Lehrer betonen, dass es keine wirklichen Unterschiede zwischen all diesen Ebenen gäbe.

Romantische Spuren gibt es auch zu entdecken in der Art, wie andere Zentralbegriffe des tibetischen Buddhismus im Westen wahrgenommen werden. Innere Erfahrung Eine Mischung aus spirituellen Materialismus und der romantischen Betonung von Individualität und Individuum ist der besondere Umgang mit der „inneren Erfahrung“, ein Begriff, den es in dieser Form im historischen Buddhismus nicht gibt. In der zeitgenössischen, populären Literatur des westlichen Buddhismus finden wir ständig die Aufforderung, deinen eigenen tiefsten Erfahrungen, deiner innere Natur, deiner inneren Vision zu vertrauen. Dies habe mehr zu tun mit dem Erbe der Romantik als mit traditionellen Buddhismus, wo man einen solchen Rat kaum finden würde, meint McMahan (2008). Traditionelle Lehrer sehen solche „inneren Erfahrungen“ bei Anfängern (die wir alle sind) mit großer Wahrscheinlichkeit eher als weitere Verwirrung und Selbsttäuschung. Der große Meister und der wilde Yogi Der geheimnisvolle, wissende Meister und der unkonventionelle, befreite Praktizierende , der sich seine eigene Moral aus innerer Erfahrung zurechtbastelt, sind typisch romantische Muster, wie sie in romantischen Romanen häufig auftauchen, und später in der Theosophie (Olcott, Blavatsky) noch weiter verherrlicht und überhöht wurden. Diese „Meister“ stehen natürlich jenseits von Raum und Zeit, sie können dir direkt in den Geist schauen und sagen immer wieder ganz verblüffende Dinge, die dich in diesem Moment zutiefst treffen und genau das richtige sind. Mitgefühl = Verbundenheit Romantisch scheint mir auch die moderne Umdeutung des buddhistischen Mitgefühls zu einem Gefühl von allumfassender Verbundenheit. Das eigentliche buddhistische Mitgefühl, maha-karuna, ist konkret, es bezieht sich auf jedes einzelne Lebewesen in seinem konkreten Leiden. Es basiert auf der Erfahrung und Anerkennung des eigenen Leidens, der eigenen Wünsche nach Glück, und der Einsicht, dass es allen anderen Wesen genauso geht, 23

jedem einzelnen. Es ist eine Einsicht in radikale Gleichheit: Dein Leiden ist mein Leiden, ich kann letztlich nicht glücklich werden, wenn du es nicht bist. Das Mitgefühl des Buddhismus ist revolutionär, es widerspricht unserer alltäglichen Egozentrik, und ist weit mehr als ein warmes Gefühl allumfassender Verbundenheit mit der Schöpfung. 17 Reine Erscheinungen Eine der Besonderheiten des tibetischen Buddhismus ist die Art der Praxis, die man „pure appearances“ nennt. Dabei wird unsere Wahrnehmung der Welt der Erscheinungen umgewandelt in eine reine Welt, in ein Reines Land zum Beispiel des Buddha Amitabha oder Padmasambhava. Dies ist eine hochkomplexe psychophysiologische Transformation, die viele Jahre intensiver Praxis benötigt. Auch hier scheint mir im Westen meist eher ein Wunschdenken oder allenfalls die Verwechslung mit einer Gefühlserfahrung vorzuliegen.

Dritter Teil: Was ist das Problem? Wir haben im bisherigen Vortrag festgestellt, dass viele Gedanken und Themen, mit dem der Buddhismus dem Westen zugänglich gemacht wird, alte Themen der Romantik sind. Man könnte jetzt ganz banal fragen: Wo ist eigentlich das Problem? Offensichtlich funktionieren diese romantischen und psychologischen Lehren als DharmaTor, sie haben also ihr Ziel erreicht, die Akzeptanz für Buddhismus und buddhistische Meditation in unserer Gesellschaft zu erhöhen. Und falls da nun einige Autoren ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen sind, was macht das schon? Es führt die Menschen doch an den Buddhismus heran, nicht wahr? Aber führt es die Menschen denn wirklich an den Buddhismus und nicht eher an die Romantik heran? Oder bestenfalls an die Psychotherapie? Bestätigt es nicht ihre vorgefassten Meinungen, dass das was sie ohnehin schon denken und fühlen, goldrichtig ist? Ist psychologische Tröstung wirklich eine wichtige und notwendige Funktion des Dharma in unserer Gesellschaft? Die grundlegenden Unterschiede nach Thanissaro Bhikku Der romantisierende und psychologisierende Stil der Vermittlung des Buddhismus versucht die Unterschiede möglichst klein zu halten, um eine hohe Akzeptanz zu erreichen. Unterschiede sind aber tatsächlich vorhanden – dies zu unterschlagen verändert unsere Praxis. Thanissaro (2012) sieht vor allem unterschiedliche Auffassungen über die Natur der religiösen Erfahrung, über die zu heilende spirituelle Krankheit, und über das Ergebnis der geglückten spirituellen Heilung, dem Heil. 17

Interessant ist, dass dieses universelle Gefühl einer realen Verbundenheit von allem mit allem ein zentrales Konzept der vedischen, hinduistischen Religion war, dort genannt Brahman. Der ursprüngliche Buddhismus war in vielem eine Rebellion gegen die vedische Religion und hat sich gerade gegen die Idee einer unaussprechlichen, bleibenden Realität innerhalb und jenseits der Welt gewendet.

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In der Romantik und der humanistischen Psychologie gehe es um die Überwindung der Zerrissenheit des modernen Menschen, um Überwindung innerer und äußerer Spaltung auf allen Ebenen durch Einheitserfahrungen, von einzelnen Gipfelerlebnissen bis hin zum permanenten Lebensgefühl der Einheit als Plateauerfahrung. Ziel in der Psychologie sei Integration, Ganzheit oder Ganzwerdung. Dabei sei eine vollständige oder endgültige Heilung nicht erreichbar, sie ist ein fortlaufender Prozess persönlicher Integration. Etwas mokant zitiert Thanissaro Bhikku diese Auffassung so: "Die erleuchtete Person hat ein erweitertes, fließendes Gefühl von selbst, ist nicht eingeschränkt durch moralische Rigidität. Sie lässt sich primär leiten von dem, was sich im Kontext der universellen Verbundenheit richtig anfühlt, und auf diese Weise tanzt man sich mit Leichtigkeit durch die Rollen und Rhythmen des Lebens.“ (Thanissaro 2012, übs. uk) Dagegengesetzt wird das vollständige Erwachen im Buddhismus, welches ein Wissen sei und kein Gefühl; das klare Wissen, angekommen zu sein, und kein näherungsweiser Prozess einer psychologischen Ganzwerdung (Thanissaro Bhikku 2012). Basis, Weg und Ziel – identisch oder nicht? Eine Hilfe zur Klärung der zentralen Unterschiede bietet die im tibetischen Buddhismus häufig gebrauchte Perspektive von „Grund, Pfad, und Frucht“ (Tai Situpa 2005). Der Grund, das ist die uns allen innewohnende Buddhanatur, die Frucht ihre Verwirklichung im Erwachen, und dazwischen liegt der Weg, oder Pfad. Auf den drei Perspektiven Grund, Pfad, und Frucht gelten jeweils unterschiedliche Strukturen und Notwendigkeiten. Auch wenn wir die Buddhanatur haben, aus einer absoluten Perspektive bereits erwacht sind, so müssen wir auf der Ebene des Pfades doch daran arbeiten. Weder die Buddhanatur als höchstes Potenzial des Menschen, noch das Erwachen als Frucht sind in der Romantik, der Humanistischen Psychologie, oder dem psychologisierten Buddhismus vorhanden. In „The Wise Heart“ spricht Kornfield den Grund zwar an – das erste Kapitel heißt „Nobility – our original goodness“ – dann geht es aber gleich wieder mit psychologischen Konzepten und Gefühlen von Wertlosigkeit weiter, samt dazu passender Fallgeschichtchen. Die Buddhanatur der glorreichen Beschreibungen der Mahayana-Sutras wird dahinter vollkommen unkenntlich. Entscheidend ist aber vielmehr das Verkennen des Wegs der Meditation. Auch dieses wäre eine separate Abhandlung wert. Westler neigen dazu, das Gefühl, welches sie in der Meditation erfahren, bereits als Teil des Ziels zu sehen, im Sinne einer allgemeinen religiösen Erfahrung: „Der Weg ist das Ziel“. Wer davon spricht, heute eine gute Meditation gehabt zu haben, oder dass es mit der Achtsamkeit gerade gut klappt, steckt schon in diesem Missverständnis. Im Dharma sind die Gefühle, die wir bei der Praxis haben, unerheblich, sie sind kein Anzeichen für Erfolg oder Mißerfolg der Praxis, und tibetische Meditations-Lehrer interessieren sich wenig für solche Nebensächlichkeiten. Fortschritt ist nicht etwas, was sich in unseren Gefühlen äußert, und vor allem keinesfalls so rasch, wie wir das gerne hätten. 25

In einem scheinbaren Gegensatz zur Grund-Pfad-Frucht-Perspektive steht das Soto-Zen. Dort wird vertreten, dass „Sitzen in Zazen“ bereits Verwirklichung und Ausdruck von Buddhanatur ist. Meister Dogen sagt explizit: „Zu denken, dass Praxis und Erleuchtung nicht eins sind, ist eine nicht-buddhistische Sicht. Im Buddhadharma sind sie eins. Insoweit die jetzige Übung auf Erleuchtung basiert, ist selbst die Übung des Anfängers das Gesamt der ursprünglichen Erleuchtung.“ (Bendowa, zit. n. Kim 2004, übs. uk) Dogens Schriften machen allerdings auch klar, dass es sich um eine tiefe mystische Perspektive handelt, die nur innerhalb eines sorgfältig abgestimmten Geflechts von religiösen, philosophischen und praktischen Rahmenbedingen gültig ist, und nicht zuletzt tiefsten Glauben und Vertrauen in die Buddhanatur voraussetzt (Kim 2004). Dogen dürfte nicht gemeint haben, dass jede als psychologisch heilsam empfundene „Meditation“ außerhalb eines buddhistischen Kontexts identisch mit dem „Samadhi der Samadhis“ (ōzammai) ist. Insofern gilt auch hier: Meditation ist nicht voraussetzungslos, und Erleuchtung ist nicht automatisch in jedem beliebigen Sitzen mit gekreuzten Beinen. Zusammenfassung: Typische Romantische Mißverständnisse Einige grundlegende romantische Missverständnisse sind also: 

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Die Annahme, dass Gefühle, Anmutungen, Metaphern, überhaupt eine gesteigerte verstärkte innere Wahrnehmung und Erlebnisse, irgendetwas mit dem Buddhismus und buddhistischer Meditation zu tun haben Dass religiöse Erfahrung etwas ganz Individuelles ist, „mein Weg“, der sich mir über Träume, Begegnungen und Zufälle offenbart Dass psychologischer Fortschritt ist auch ein Fortschritt auf dem spirituellen Weg ist, Heilwerdung dem Heil entspricht oder es zumindest vorbereitet Dass glücklich zu sein ein Zeichen ist, dass wir auf dem richtigen Weg sind Dass Einheitsgefühle ein Vorgeschmack der Erleuchtung sind Dass vertrauensvolle Hingabe an das Universum und allgemeine Verbundenheit das sind, was der Dharma meint Dass es Buddhismus sei, Glück aus der Welt der Erscheinungen ziehen zu wollen, etwas aus sich machen zu wollen, seine Persönlichkeit entwickeln zu wollen, sein Identitätsgefühl ausweiten zu wollen Dass der Buddhismus eine Philosophie ist und keine Religion, und dass man sich daher aussuchen kann, was zu einem passt Dass Buddhismus selbstverständlich und ohne Einschränkungen in der Welt und ohne Aufgabe des westlichen Lebensstils praktiziert werden kann Dass wir heute noch „Meditieren wie ein Buddha“ Dass man nur achtsam sein muss und ansonsten alles so weiter machen kann wie bisher Dass das Nachahmen tibetischer Bräuche und Volksreligiosität („global folk buddhism“ nennt es McMahan 2008) uns zu Buddhas macht

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Was fehlt dem romantischen Buddhismus? Es fehlt: Eindeutigkeit Vielleicht die größte Sünde des modernen Buddhismus aus meiner Sicht ist der Verlust von Eindeutigkeit. „Ergreifende Eindeutigkeit“, nannte eine benediktinische Nonne das, was sie zum Ordensleben brachte 18. Dharma-Texte benutzen meist Begriffe, die innerhalb ihres Lehrsystems eindeutig definiert sind. Der Verlust dieser technischen Klarheit in westlichen Texten ist tragisch, und vielleicht auch Auswirkung einer romantisch gefärbten Psychologie. 19 Es fehlt: Wertschätzung und Anerkennung von Non-Wellness-Zielen Scheinbar sind sich alle einig, dass der Buddhismus uns beim Leben helfen soll. Was dabei fehlt, ist die Wertschätzung von Zielen, die gerade darüber hinausgehen. Ein Ziel jenseits eines qualitätskontrollierten, weichen, glücklichen Samsara, man nennt es nirvana, ist doch gerade der Kernpunkt beim Buddhismus! „Es geht nicht um Glück“, nennt Dzongsar Khyentse Rinpoche ein Buch über die „Vorbereitenden Übungen“ (Khyentse 2012) und stemmt sich damit einer ganzen Wagenladung moderner Buddhismus-Bücher entgegen. Im modernen Buddhismus wird ständig von Glück und von der Überwindung des Leidens gesprochen. All das bewegt sich aber auf der Ebene, die der Buddhismus als samsara bezeichnet, und bleibt ein aus der Befreiungsperspektive unerhebliches Auf und Ab in der Alltagserfahrung. Die Sprachregelung des psychologisierten Buddhismus scheint zu sein, dass diese Beschäftigung mit dem samsarischen Glück eine graduelle Heranführung an den echten Dharma ist. Allerdings gibt es ziemlich viele buddhistische Lehrer, die das nicht so sehen, auch junge, moderne Westler wie z.B. Daniel Ingram (2008). Der romantische Buddhismus verkehrt Grundprinzipien und Ziele des Dharma in ihr Gegenteil, weil es so besser passt und leichter zu erreichen ist. Der Dharma dagegen sagt, suche dein Glück nicht im Vergänglichen. Es fehlt: Tiefe und Komplexität Die Psychologisierung des Buddhismus hat zu einem erheblichen Verlust an Tiefe geführt. In Übereinstimmung mit dem romantischen Vorbild bleiben viele moderne Texte, die angeblich den Buddhismus beschreiben, auf einer sehr oberflächlichen Ebene. Buddhistische Begriffe in den Herkunftssprachen haben immer eine ungeheure Tiefe und Komplexität. Es würde in Asien als selbstverständlich angenommen, dass wir über Jahre und Jahrzehnte studieren müssen, um die in den jeweiligen technischen Termini enthaltenen Tiefenstrukturen zu verstehen. Im modernen Buddhismus werden diese im Sinne einer Demythologisierung (McMahan 2008) ersetzt durch flachere psychologische 18

Katharina Schridde im ZEIT-Magazin 52/2013 Sehr viele der in den letzten 20-30 Jahren geschriebenen Bücher über Buddhismus kommen mir irgendwie kuschelig und wuschelig vor, wie Marshmallows, süß und weich. Es fehlt der Biss, die Klarheit und Eindeutigkeit. Könnte man denn nicht einfach mal ehrlich zugeben, dass man gerne Wein, Weib und Gesang genießt, ohne dass das unbedingt alles spirituell, Tantra, oder mindestens „Praxis im Alltag“ sein muss? Es wundert nicht, dass die kernigen Tibeter uns Westler kaum ernst nehmen können. 19

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Begriffe wie Akzeptanz, Verbundenheit usw., die uns unmittelbar eingängig und verständlich erscheinen. Letzteres müsste uns eigentlich sofort misstrauisch machen! Es fehlt: Auseinandersetzung mit dem historischen Buddhismus Wie bereits erwähnt, fehlt dem modernen Buddhismus die ernsthafte Beschäftigung mit der buddhistischen Tradition. Buddhistische Romantiker vermeiden die Auseinandersetzung mit Widersprüchen, die sich zwischen Grundaussagen traditioneller Dharma-Texte und westlichem Lebensstil ergeben. Traditionelle Lehren werden gerne als kalt, hart, lebensfeindlich, frauenfeindlich und schlicht „veraltet“ bezeichnet. Wenn wir es uns schon herausnehmen, aus romantischen Anmutungen heraus weite Teile traditioneller buddhistischer Lehren abzulehnen, oder zumindest nicht zu übernehmen und totzuschweigen, dann müssen wir uns dieser Aktivität stellen, und sie auch auf der Ebene des Dharma erklären können. Sonst fabrizieren wir einen verballhornten Buddhismus, der diesen Namen nicht mehr verdient. Ein kleines Beispiel ist die „Interdependenz und Verbundenheit allen Seins“. Im frühen Buddhismus ist dies keine gute, sondern eine schlechte Nachricht! Die 12-gliedrige Kette des Entstehens in Abhängigkeit (pratitya-samutpada) ist die Ursache des Leidens in Samsara. Der romantische Buddhismus setzt die umfassende Interdependenz gleich mit „Einssein mit dem Universum“ und sieht es als anzustrebendes Ziel. Es fehlt: Das Verstehen, dass wir Meditation nicht verstehen Wir Westler denken meist, dass wir im Grunde dasselbe praktizieren wie die Mönche zu Buddhas Zeiten. Wenn wir nur meditieren, dann kommen schon die echten buddhistischen Einsichten und diese werden dann alle eventuellen falschen Verständnisse korrigieren. David McMahan (2013) hält diese Idee einer kontextunabhängigen Meditation für eine typisch westliche, romantische (und falsche) Idee. Was wir heute tun, sei mit großer Wahrscheinlichkeit eben nicht die gleiche geistige Aktivität wie die der Mönche und Nonnen zu Zeiten des Buddha. Zu meinen, selbst Nicht-Buddhisten müssten einfach nur diese Meditationen üben - mit welcher Begründung auch immer - und dann würden sie buddhistische Einsichten entwickeln, hält er für schlicht falsch (McMahan 2013). Dabei ist er übrigens der gleichen Meinung wie der berühmte Mongolenherrscher Kublai Khan, der im Jahre 1254 an seinen buddhistischen Lehrer schrieb: „Einige Leute meinen, es sei möglich zu meditieren, ohne die Religion zu studieren, aber das ist falsch. Wir müssen zuerst verstehen, nur dann können wir meditieren.“ (v. Brück 2008, kursiv uk) In den traditionellen buddhistischen Belehrungen ist die korrekte philosophische Sicht die Voraussetzung für korrekte Meditation. Wenn wir diese nicht haben, können wir nicht davon ausgehen, dass unsere Meditationserfahrung automatisch unsere falschen Verständnisse und Auffassungen korrigieren wird.

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Was können wir lernen? Wir sehen also, dass der buddhistische Romantizismus wichtige Teile des vollständigen Dharma ausblendet, sie vielleicht sogar unzugänglich macht, falls die Schüler tatsächlich glauben, dass die orthodoxe Tradition für sie unerheblich wäre. Für viele Menschen mögen diese Einschränkungen bedeutungslos sein, weil sie sich dem Buddhismus gerade deswegen zuwenden, weil die modernen psychologisierenden, romantisierenden Darstellungen ihnen das verheißen, was sie suchen. Für die anderen gibt es eine Menge zu tun. Die Ideen, die unsere westliche Praxis leiten, stammen aus einem Gemisch von Quellen, viele davon aus unserer eigenen Kultur und nicht so „buddhistisch“, wie wir denken. Dies zu erkennen, und den Blick über die modernen, romantischen Versionen des Buddhismus hinaus zu weiten, ist unbequem, wahrscheinlich sogar verwirrend – mit Sicherheit aber lohnend. Was können wir lernen von der Romantik? Ganz im Gegensatz zu ihren eigenen Ansprüchen, war die romantische Bewegung ein klares Negativbeispiel, wenn es um das wahre Leben geht. In der Lebenswirklichkeit sind die meisten Romantiker rasch sehr bürgerlich geworden, ein großer Teil kehrte zurück in den Schoß der katholischen Kirche, ziemlich viele wurden glühende Deutsch-Nationalisten, und ein paar retteten sich in die terminale persönliche Verschrobenheit. Der große romantische Aufbruch zur blauen Blume endete kleinteilig und uninspiriert. Romantik bzw. Romantisierung scheint eine Art Endstation zu sein. Von dort aus geht es nicht weiter. Die Idee, persönliche Empfindungen und Anmutungen, künstlerischen und romantischen Ausdruck als etwas Göttliches und somit als den säkularisierten Ort für religiöse Erfahrung zu setzen, hat nicht langfristig funktioniert und endete in der Beliebigkeit. Goethe sagte sogar, das Romantische sei das Kranke. Quasi hinter vorgehaltener Hand fügt Safranski (2007) hinzu: „Aber auch er mochte nicht darauf verzichten…“ Ich glaube, das ist unser aller Problem: Wir wollen nicht ohne die Romantik, ohne die Romantisierung unseres Alltags leben. Wir lieben den „idealistischen Selbstbetrug einer Kunst des metaphysischen Trostes“ (Nietzsche, zit. n. Safranski). Der Selbstbetrug des schönen Scheins ist dabei nicht das eigentliche Problem, sondern der falsche Glauben an den Schein – dass man vergisst, dass man sich etwas vorgemacht hat. Der Romantik gebührt aber das große Verdienst, Religion und Spiritualität aus den Institutionen befreit und persönlich gemacht zu haben. Auch ist die Romantik unübertroffen, wenn es um den Ausbruch aus dem kleinbürgerlichen Alltagstrott ist, in den auch wir Buddhisten gerne geraten. Nutzen wir das Romantische in der Suche nach Auswegen, Veränderungen und Möglichkeiten des Überschreitens (Safranski 2007), als Gegenentwurf und spielerische Lockerungsübung! Als alleinige Basis für den Weg taugt ein romantisches Denken nicht.

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Was können wir lernen von früheren Erfahrungen mit Dharma-Toren? Vielleicht der wichtigste Teil von Thanissaro Bhikkus Aufsatz lautet: „Die chinesische Erfahrung mit Dharma-Toren enthält eine wichtige Lektion, die gerne übersehen wird. Erst nach 300 Jahren des Interesses an buddhistischen Belehrungen, haben die Chinesen damals verstanden, dass Buddhismus und Taoismus unterschiedliche Fragen stellten, bzw. auf unterschiedliche Fragen antworteten. Im Versuch, diese Unterschiede zu verstehen, haben sie dann buddhistische Gedanken benutzt, um ihre taoistischen Vorannahmen infrage zu stellen. Und erst auf diese Weise wurde der Buddhismus dann etwas echt Neues in der chinesischen Kultur. Die Frage sei es, ob wir im Westen vom chinesischen Beispiel lernen können und beginnen können, buddhistische Gedanken zu benutzen, um unser eigenes Dharma-Tor infrage zu stellen. Also wirklich genau hinzuschauen, wie weit die Ähnlichkeiten zwischen dem Tor und dem tatsächlichen Dharma gehen. Wenn wir das nicht tun, sind wir in Gefahr das Tor für den Dharma selbst zu halten und nie durch das Tor hindurch auf die andere Seite zu gehen.“ (Thanissaro Bhikku 2012, übs. und zusammengefasst uk)

Der Prozess, buddhistische Gedanken zu benutzen, um unsere romantischen und psychologischen Vorannahmen infrage zu stellen (statt sie zu bestätigen suchen) hat erst begonnen.

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