Wer rettet die Demokratie vor der E-Partizipation? - Verwaltung ...

Dr. Gerhard Hammerschmid, Hertie School of Governance GmbH, Berlin | Peter Heesen, Bundesvorsitzender ..... räum lichen Differenzierung Bishop/Cushing.
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VERWALTUNG & MANAGEMENT

6/2013

Zeitschrift für moderne Verwaltung

19. Jahrgang, Seiten 281-336

www.vum.nomos.de Herausgeber: Univ.-Prof. em. Dr. Heinrich Reinermann, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer | Univ.-Prof. Dr. Veith Mehde, Mag.rer.publ., Leibniz Universität Hannover (geschäftsführend) | Prof. Dr. Tino Schuppan, IfG.CC – Institute for eGovernment, Potsdam (geschäftsführend) Beirat: Dr. Stephan Articus, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städtetages, Köln | Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Berlin | Prof. Dr. Martin Brüggemeier, Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin | Hans Jörg Duppré, Landrat, Präsident des Deutschen Landkreistages, Berlin | Prof. Dr. Dieter Engels, Präsident des Bundesrechnungshofes, Bonn | Univ.-Prof. Dr. Gisela Färber, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer | Prof. Dr. Gerhard Hammerschmid, Hertie School of Governance GmbH, Berlin | Peter Heesen, Bundesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes, Bonn | Dr. Gerd Landsberg, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Berlin | Prof. Dr. Andreas Lasar, Hochschule Osnabrück | Dr. Johannes Meier, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh | Univ.-Prof. Dr. Isabella Proeller, Universität Potsdam | Prof. Dr. Marga Pröhl, Generaldirektorin des European Institute of Public Administration (EIPA), Maastricht | Dr. Sebastian Saxe, Mitglied der Geschäftsleitung der Hamburg Port Authority Anstalt des öffentlichen Rechts, Hamburg | Univ.-Prof. Dr. Christina Schaefer, Helmut Schmidt Universität, Hamburg | Univ.-Prof. Dr. Reto Steiner, Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern | Prof. Dr. Arthur Winter, Donau-Universität Krems | Christian Zahn, Mitglied des Bundesvorstands der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Berlin

Wer rettet die Demokratie vor der E-Partizipation? Drei Fragen an elektronische Partizipationsverfahren Jens Weiß

Die derzeit schnell wachsende Zahl von E-Partizipationsverfahren erscheint vielen als Chance für eine basisdemokratische Erneuerung der Zivilgesellschaft. Dabei steht die Popularität der Verfahren bei Politikerinnen und Politikern, aber auch und vor allem in Kommunalverwaltungen in einem Konflikt mit den durchgehend niedrigen Beteiligungsquoten. Der Beitrag gibt eine Anregung, über die politischen Wirkungen der Nutzung von Internettechnologien für Prozesse der Meinungs- und Entscheidungsfindung neu nachzudenken. Auf Basis eines alten, klaren und einfachen Konzepts von Demokratie werden Regeln für die Durchführung von E-Partizipationsverfahren vorgeschlagen. E-Partizipation1 ist en vogue. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendwo in Deutschland ein neues Partizipationsverfahren gestartet wird. Die Webseite www.buergerhaushalt.org listet über 400 Verfahren mit kommunalen Bürgerhaus-

halten (Stand 09/2013).2 Auch die Bundeskanzlerin und die meisten Bundesministerien haben in den letzten Jahren E-Partizipationsprojekte durchgeführt,3

Anzahl und Vielfalt solcher elektronischer Partizipationsverfahren stehen scheinbar im Widerspruch zu neueren politikwissenschaftlichen Befunden zur „Postdemokratie“, die eine deutliche Schwächung der Bedeutung demokratischer Verfahren für die reale Politik konstatieren und dies nicht erst, aber insbesondere auch durch den zunehmenden Ein-

1

3

Der Aufbau von Dialogplattformen war im Koalitionsvertrag der 17 Legislaturperiode vereinbart worden, vgl. Bundesregierung 2009, S. 64 f. sowie bspw. www.dialog-ueber-deutschland.de/, http://dialog-internet.de, www.bmbf.de, www. bmvbs.de/SharedDocs/DE/Artikel/UI/mks-buergerdialoge.html. Zur Kritik vgl. http://e-partizipation.org/burgerdialoge/.

4

Vgl. z.B. http://www.nrw.de/opennrw/opennrw1/e-partizipation.html; http://www.finanzdialoglsa.de/ueber-diese-plattform/.

Prof. Dr. Jens Weiß Professor für Verwaltungswissenschaften an der Hochschule Harz

Verwaltung und Management 19. Jg. (2013), Heft 6, S. 283-288

genau wie viele Bundesländer.4 Hinzu kommen verschiedene Public-PrivatePartnerships oder privatwirtschaftliche Projekte wie zum Beispiel die Seite www. politik.de, die für 2013 auch einen „Partizipationspreis“ ausgeschrieben hat.

2

Unter E-Partizipation werden im Folgenden Verfahren subsummiert, bei denen Internettechnologien eingesetzt werden, um Bürgerinnen und Bürger in politische Entscheidungsprozesse zu involvieren oder an Entscheidungen zu beteiligen, also zum Beispiel so genannte E-Konsultationen, aber auch Verfahren mit Abstimmungscharakter wie zum Beispiel Bürgerhaushalte. Zur Diskussion um allgemeine Definitionen des Begriffs E-Partizipation vgl. Märker 2009, S. 46 f. und Kersting 2012, S. 28 ff. sowie Kuhn 2006. Vgl. auch das Suchangebot auf www.meine-demokratie.de/ sowie http://e-konsultation.de.

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Weiß, Wer rettet die Demokratie vor der E-Partizipation? fluss der internationalen Finanzmärkte.5 Es liegt also nahe, die Frage zu stellen, ob elektronische Partizipationsverfahren, die die Organisationskosten partizipativer, deliberativer Politikverfahren stark senken, geeignet sind, der „Postdemokratisierung“ entgegen zu wirken und eine Redemokratisierung einzuleiten. Befürworterinnen und Befürworter elektronischer Partizipationsverfahren führen zwei wesentliche Argumente für deren demokratisierende Wirkung an. Zum ersten wird vermutet, dass Verfahren der E-Partizipation, insbesondere durch die Befriedigung eines großen, bisher ungestillten Partizipationsbedürfnisses der Bürgerinnen und Bürger,6 dazu beitragen könnten, die „Politikverdrossenheit“ zu reduzieren und damit die Demokratie insgesamt zu stärken.7 Zum zweiten wird angenommen, dass elektronisch durchgeführte Partizipationsverfahren aufgrund ihres geringen Aufwands häufiger durchgeführt werden und aktueller sein können und damit die Qualität demokratischer Entscheidungen verbessern könnten.

Erste Frage: Hilft E-Partizipation gegen „Politikverdrossenheit“? Politikverdrossenheit ist mehr als das alltägliche Herummäkeln an den Defiziten demokratischer Politik, nämlich Ausdruck einer nachlassenden Integrationsfähigkeit moderner Gesellschaften. Dabei gelingt vor allem die Integration „unterprivilegierter Milieus“11 immer weniger, was durchaus als Gefährdung demokratischer Prinzipien, die ja eine gleiche Beteiligung implizieren, interpretiert werden kann.12 Partizipation erfordert nicht nur den Willen, sondern auch Kompetenzen der Akteure und ist daher von der Verfügung

»Eine Reduzierung der Politikverdrossenheit in unterprivilegierten bzw. unterrepräsentierten Milieus ist durch elektronische Partizipationsverfahren nicht zu erwarten, im Gegenteil.«

Beide Argumente mögen auf den ersten Blick plausibel erscheinen, erweisen sich aber im Abgleich mit politikwissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere demokratietheoretischen Überlegungen als problematisch. Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf einen egalitären Begriff von Demokratie, für den die Gleichheit der Individuen zentral ist. Diese Gleichheit kommt in dem normativen Prinzip „one man, one vote“8 zum Ausdruck, das, unabhängig von allen weiteren Eigenschaften,9 Individuen den gleichen Einfluss auf kollektive Entscheidungen sichern soll.10

über Zeit, Qualifikationen und andere Ressourcen abhängig. Die (Selbst-)Ausschließung „unterprivilegierter Milieus“ von traditionellen demokratischen Verfahren resultiert u.a. aus Unsicherheit, Unkenntnis, Uninformiertheit, Demotivation und Deprivationserfahrungen und wirkt verstärkt bei elektronischen Partizipationsverfahren, weil für diese weiteres spezifisches Wissen sowie entsprechende technische Voraussetzungen notwendig sind. Die Diskussion um digital divide

5

Vgl. Crouch 2008, Armingeon 2013, Streeck 2013.

11

6

Vgl. SAS Deutschland 2013

Im Sinne von Vester 2009, S. 42 ff., vgl. auch Vester et al. 2001, S. 116 ff.

7

Vgl. bspw. den vom Bundesministerium des Innern und dem Deutschen Städte- und Gemeindetag mitherausgegebenen Leitfaden Online-Konsultation, Koop 2010, S. 18 ff.

12

Vgl. Nève 2009, S. 138 ff.; Jörke 2013, S. 487 ff.; Merkel/Petring 2011, S. 99 ff.

13

Vgl. Norris 2001, Bélanger/Carter 2011, Mossberger et al. 2012, für Deutschland grundlegend Kubicek/Welling 2000 sowie Marr/Zillien 2010, Dudenhöffer/Meyen 2012, Kersting 2012, S. 36 ff. Digital divide umfasst dabei die ungleiche Nutzung nicht nur zwischen Gruppen mit unterschiedlichem sozio-ökonomischen Status, sondern auch zwischen Gruppen mit anderen Unterscheidungsmerkmalen vgl. Carstensen/ Winker 2012. Ich beschränke mich in den weiteren Ausführungen aber auf die Probleme in der Be-

8

So die traditionelle Formulierung, ich verwende im Weiteren die Bezeichnung „one wo/man, one vote“.

9

Dabei werden im Folgenden demokratietheoretische Probleme ausgeblendet, die sich aus der Begrenzung von Partizipationsrechten durch Kriterien wie Alter, Staatsbürgerschaft o.ä. ergeben.

10

Vgl. Balinski/Young 2001 sowie jüngst Jörke 2013, S. 487 ff.

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zeigt deutlich, dass reale soziale Benachteiligung im virtuellen Raum nicht ausgeglichen, sondern vertieft wird.13 Mag sein, dass bestimmte Akteursgruppen, wie zum Beispiel Jugendliche, bei OnlineBefragungen besser repräsentiert sind als bei Wahlen. Für Milieus, die aus sozialen und ökonomischen Gründen „demokratiefern“14 sind, verschärft sich in der Regel das Problem der Unterrepräsentation in der virtuellen Welt: Die vergleichsweise gründliche Evaluation des Kölner Bürgerhaushalts 2009 führt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass die ca. 32 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner Kölns mit Volks- und Hauptschulabschluss ca.

fünf Prozent, die 45 Prozent Hochschuloder Fachhochschulabsolventinnen und -absolventen jedoch 78 Prozent der Partizipierenden stellten.15 Und dies bei einer Beteiligungsquote von insgesamt ca. 1,25 Prozent der wahlberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner.16 Eine Reduzierung der Politikverdrossenheit in unterprivilegierten bzw. unterrepräsentierten Milieus ist durch elektronische Partizipationsverfahren nicht zu erwarten, im Gegenteil: Im Allgemeinen wird Unterre-

teiligung weniger privilegierter Milieus im oben angeführten Sinne. Die meisten Argumente sind auf andere Felder von Privilegierung/Deprivilegierung übertragbar. 14

Dieser Begriff wird hier im Sinne einer Ablehnung der typischen repräsentativen Instrumente der parlamentarischen Demokratie gebraucht.

15

Vgl. Taubert/Krohn/Knobloch 2010, S. 23 ff., vgl. auch Schneider 2011, S. 15 ff.

16

Vgl. Taubert/Krohn/Knobloch 2010, S. 96. Und dieses Ergebnis wird bereits als „beachtlich“ gewertet. Bürgerhaushalte mit Beteiligungsquoten über 1,5 Prozent scheinen in Deutschland selten, vgl. Franzke/Kleger 2010, S. 81.

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Weiß, Wer rettet die Demokratie vor der E-Partizipation? präsentation und mangelndes Verständnis von und für Beteiligungsmechanismen die Politikverdrossenheit noch verstärken.

aus: Die Themen von E-Konsultationen sind gerade nicht die der unterprivilegierten Milieus.

Ob die Unzufriedenheit mit „der Politik“ – im Sinne des oben beschriebenen Herummäkelns – in anderen, eher „demokratieaffinen“ Milieus durch elektronische Partizipationsverfahren reduziert werden kann, hängt vor allem von der politischen Verbindlichkeit erkennbarer Bürgervoten ab. Akteure, die oft nach ihrer Meinung gefragt werden, dann aber die Erfahrung machen, dass ihre Meinung nicht umgesetzt wird, verlieren typischerweise schnell ihre Motivation zur Beteiligung. So scheinen die Beteiligungsquoten von über mehrere Perioden durchgeführten Bürgerhaushaltsverfahren in der Regel rückläufig zu sein.17

Demokratisch „bessere“ Ergebnisse im Sinne einer besseren Repräsentierung der Bevölkerung im Sinne von „one wo/man, one vote“ sind also von elektronischen Partizipationsverfahren nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Im Allgemeinen gilt, dass in Partizipationsverfahren die soziale Selektivität mit abnehmender Beteiligung zunimmt.21 So, wie eine unterschiedliche Verfügung über wirtschaftliche Ressourcen, vermittelt durch lobbyistische Strukturen, die Interessenrepräsentation verzerrt, so wirken auch die ressourcen-

Zweite Frage: Verbessert E-Partizipation die Qualität der Demokratie? Die Mobilisierungsdynamiken von Online-Bewegungen haben bereits verschiedentlich für Überraschungen gesorgt und sollen gestandene Minister aus dem Amt gedrängt haben.18 Selbst zur spieltheoretisch äußerst unwahrscheinlichen Produktion von Plagiatsprüfung als Kollektivgut ist das Internet mit neueren Web 2.0-Technologien offenbar geeignet. Auch bei der Mobilisierung für Formen der Online-Partizipation scheinen die wesentlichen Erkenntnisse der Theorie kollektiven Handelns bzw. der Repräsentation schwacher Interessen zu gelten. Kleine Gruppen mit starken Interessen und hinreichenden Ressourcen können sich real wie virtuell in der Regel relativ gut organisieren, Anhängerinnen und Sympathisanten mobilisieren und ihre Interessen effektiv vertreten. Große Gruppen, denen es an entscheidenden Ressourcen fehlt, sind dagegen schwer mobilisierbar.19 Die bereits am Beispiel des Kölner Bürgerhaushalts erläuterten Über- und Unterrepräsentationen setzten sich in regionalen Differenzierungen fort, und so tragen elektronische Partizipationsverfahren zu einer weiteren Differenzierung und Segmentierung von Lebensverhältnissen bei.20 Typischerweise wirken sich die Asymmetrien der Organisierbarkeit von Interessen bereits in der Phase des Agenda-Setting VM 6/2013

durch neue, vielfältige Möglichkeiten der politischen Interaktion verändert, vor allem junge Generationen nutzen das Internet als Ort der politischen Interaktion.23 Dabei erscheinen diese Interaktionen in einer nicht überschaubaren Zahl von Foren, Blogs, Microblogs etc. kaum als konsensorientierte und demokratisch strukturierte Diskurse. Die teil-anonyme Online-Welt hat ihre eigenen Regeln, fördert asymmetrische Beteiligung und begünstigt eskalierende Diskussionskulturen.24 Etablierte Tageszeitungen schließen mittlerweile ihre Kommentarfunktionen über Nacht, um nicht-moderierte Nutzungszeiten zu vermeiden, in denen ggf. strafrechtlich relevante Meinungsäußerungen von Userin-

»Die teil-anonyme Online-Welt hat ihre eigenen Regeln, fördert asymmetrische Beteiligung und begünstigt eskalierende Diskussionskulturen.«

bezogenen Beschränkungen des Zugangs zu Online-Verfahren im normativen Sinne antidemokratisch. Und positive Wirkungen auf die Legitimations- und Integrationswirkungen lassen sich deshalb in elektronischen Partizipationsverfahren auch nicht – oder nur in Ausnahmefällen – ausmachen.

Dritte Frage: Wer integriert die Vielfalt der Meinungen? „Partizipationsaktivitäten sind Minderheitenaktivitäten, online ebenso wie offline“,22 und das wird auch so bleiben. Die „politische Öffentlichkeit“ hat sich aber

nen oder Usern nicht rechtzeitig erkannt würden. Verfahren der Online-Partizipation brauchen Moderation und damit entsteht die nächste demokratietheoretische Frage: Wer soll und kann diese Aufgabe übernehmen? Wenn Online-Verfahren verbindliche Entscheidungen generieren sollten, müsste eine weitgehende Neutralität der Moderation gewährleistet sein. Dort, wo diese nicht gewährleistet ist, verbietet sich eine verbindliche Umsetzung von Entscheidungen, was wiederum die Glaubwürdigkeit des Verfahrens untergräbt.

17

Vgl. als Beispiele Köln: 2008/2009 ca. 1,15 Prozent, 2010 ca. 1,0 Prozent und Freiburg: 2009/2010 1,2 Prozent, 2011/2012 1,1 Prozent.

21

Vgl. Merkel/Petring 2011, S. 113 ff.

18

Vgl. www.sueddeutsche.de/digital/guttenbergsturz-und-das-internet-das-netz-sagt-guttbye-1.1066424.

22

Emmer/Wolling 2010, S. 46.

23

Vgl. ebd., S. 44 ff.

19

Vgl. Olson 2004, Willems/Winter 2000.

24 Vgl. Albrecht 2010, S. 160 ff. und 231 ff. sowie die Erkenntnisse von Sascha Lobo zur Dynamik von Internetdiskursen und dem Verhalten sog. Trolle unter http://saschalobo.com/tag/trolle/.

20 Vgl. zur politischen Repräsentation marginalisierter Stadtteile Häußermann 2009 und zur sozial-

räumlichen 2009.

Differenzierung

Bishop/Cushing

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Weiß, Wer rettet die Demokratie vor der E-Partizipation? Die wesentlichere Frage ist allerdings, ob es überhaupt gelingen kann, in OnlinePartizipationsverfahren zu einem von der überwiegenden Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmern akzeptierten Ergebnis zu kommen oder ob vielmehr in der OnlineWelt die Ausdifferenzierung von Diskursen noch schneller stattfinden wird als in der physischen Welt. Dann wäre auch das legitimationsfördernde Potenzial von elektronischen Partizipationsverfahren gering. Statt eines integrativen und legitimationsfördernden Online-Diskurses würde sich eine virtuelle Welt unverbundener, diffe-

stärken.25 Die Nutzung von Internet-Technologien verringert diese Ungleichheiten nicht, sondern verstärkt sie. Wenn schon gilt, dass die einfache Internetnutzung soziale Ungleichheiten verstärkt,26 so gilt dies noch ausgeprägter für die Beteiligung an Online-Partizipation. E-Partizipation verändert die politischen Ressourcen von Akteuren, erzeugt neue Akteurskonstellationen und verändert ohne Zweifel politische Öffentlichkeit,27 ohne aber eine Angleichung von Partizipationschancen und realer Partizipation dort zu bringen, wo sie notwendig wäre. Deshalb ist es prob-

»So wird deutlich, dass OnlinePartizipationsverfahren Teil der postdemokratischen Transformation sind. …Die, die sich nicht beteiligen, sind in dieser Logik selbst schuld.«

renzierter und vermutlich auch sehr widersprüchlicher und exklusiver Communities herausbilden.

Der Beitrag der E-Partizipation zur Postdemokratie – und mögliche Kriterien für den Einsatz von E-Partizipation Es mag sein, dass die aufgeworfenen Fragen in einzelnen Partizipationsverfahren bereits erkannt und resultierende Probleme manchmal auch bearbeitet wurden. In vielen begleitenden Veröffentlichungen wird der digital divide thematisiert, allerdings fehlt die Konsequenz in der Praxis. In der Summe wirken die derzeitigen Online-Partizipationsverfahren demokratietheoretisch naiv. Wie und mit welcher Beteiligung Ergebnisse entstehen (sollen) und wie diese im politischen Prozess umgesetzt werden (sollen) ist oft unklar. Selbst wenn Partizipationsverfahren allgemein zugänglich sind, tendieren sie in einer Welt mit divergierenden Ressourcen der Akteure dazu, Ungleichheiten zu ver286

lematisch, die Zunahme der Anzahl von Verfahren der E-Partizipation als Stärkung der Demokratie zu interpretieren. E-Partizipation ist ein Projekt politischer Akteure für die aufgeklärte und onlineaffine Mittel- und Oberschicht, also für den – durchaus wachsenden – Anteil von derzeit ca. 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, der regelmäßig und intensiv das Internet nutzt.28 Politische Akteure versuchen, mit der Durchführung von Verfahren der E-Partizipation ihre Modernität zu demonstrieren und die für Online-Verfahren offenen Wählerinnen und Wähler an sich zu binden, indem sie diesen Artikulations- und Partizipationsmöglichkeiten bieten. Verstärkt wird diese Entwicklung durch das kommerzielle Interesse und das vertriebliche Engagement von Anbietern entsprechender Software-Lösungen sowie die Tatsache, dass Online-Partizipation als Produkt – Software/Beratung/Moderation – klar abgrenzbar und für die öffentliche Verwaltung damit leicht zu beschaffen ist. Die Marktfähigkeit von Partizipations-

verfahren ist ein großer Schritt zur Ökonomisierung der Demokratie. Hersteller von E-Partizipationsplattformen und entsprechend spezialisierte Beratungen haben ein Interesse daran, die Anzahl der Partizipationsverfahren zu erhöhen – aber nur der Verfahren, für die solvente Nachfrager auch bezahlen. Damit wird die Durchführung von Online-Beteiligungsverfahren zum Gegenstand privatwirtschaftlicher Gewinnmaximierungsstrategien. So wird deutlich, dass Online-Partizipationsverfahren Teil der postdemokratischen Transformation sind. Beteiligungswilligen Bürgerinnen und Bürgern wird die Möglichkeit eingeräumt, zu vielfältigen Themen Stellung zu beziehen, wenn auch ohne verbindliche Konsequenz. Die, die sich nicht beteiligen, sind in dieser Logik selbst schuld: „In der Demokratie werden die[se] Privilegien im Namen der unteren Schichten in Frage gestellt; im post-demokratischen Zeitalter wird sowohl die Existenz der Privilegien als auch die der sozialen Hierarchie geleugnet“.29 Gleichzeitig werden demokratische Verfahren, bisher öffentliche Leistungen, die nicht unerheblich auch durch ehrenamtlichen Einsatz erbracht wurden, kommerzialisiert. Über das Agenda-Setting können Marktforschung, Public Relations und die Finanzierbarkeit entscheiden. Wenn überhaupt, so bieten InternetTechnologien nur dann Chancen, klassische demokratische Verfahren weiter zu entwickeln, wenn diese Technologien selbst zum Gegenstand demokratischer Verfahren gemacht werden. Weil das Internet weder anarchistisches Niemandsnoch Neuland ist, sondern eine weitgehend und zunehmend nach Marktlogik entwickelte Technik, werden sich aber egalisierende und demokratisierende Wirkungen nicht von selbst einstellen.

25

Vgl. Jörke 2013, S. 499 f.

26 So Dudenhöffer/Meyen 2012, S. 20 27

Vgl. Priddat 2002, S. 294

28 Vgl. hierzu und zu den Nutzertypen Initiative D21 2013, S 46 ff. 29 Crouch 2008, S. 71. Schäfer/Schoen 2013, S. 96 ff. charakterisieren diese Form der „Demokratisierung“ als Strategie, „mehr Einflussmöglichkeiten für diejenigen zu schaffen, die sich beteiligen wollen“ (kursiv i.O.).

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Weiß, Wer rettet die Demokratie vor der E-Partizipation? Insbesondere für die Durchführung von elektronischen Partizipationsverfahren durch öffentliche Auftraggeber ergeben sich aus diesen Überlegungen demokratietheoretische Mindestkriterien, die für die Praxis operationalisiert werden könnten:  Bereits in der Phase des Agenda-Settings, also der Auswahl von Themen für Partizipationsverfahren, muss die adäquate Repräsentation unterprivilegierter Milieus gesichert sein.  Auftraggeber müssen mögliche Repräsentationsdefizite im Verfahren reflek-

 Die Durchführung elektronischer Partizipationsverfahren sollte von privatwirtschaftlichen Interessen entkoppelt werden, indem lediglich kostenlose Software eingesetzt wird. Für Ergebnisse aus Verfahren, die diesen möglicherweise noch zu ergänzenden Mindestkriterien gerecht werden, wären verbindlichere Regelungen zur Umsetzung denkbar. Bei Verfahren, die diesen Kriterien nicht gerecht werden, wäre es redlich, diese nicht als demokratisierende Maßnahmen, sondern als Interessenpoli-

Literatur Albrecht, S. (2010): Reflexionsspiele. Deliberative Demokratie und die Wirklichkeit politischer Diskurse im Internet, Bielefeld. Armingeon, K. (2013): Austeritätspolitik: Was Parteien bewirken und Märkte mögen, in: Schmidt, M. G./Armingeon, K. (Hrsg.): Staatstätigkeiten, Parteien und Demokratie. Festschrift für Manfred G. Schmidt, Wiesbaden, S. 113–137. Balinski, M. L./Young, H. P. (2001): Fair representation. Meeting the ideal of one man, one vote, Washington, D.C. Bélanger, F./Carter, L. (2011): The Impacts of the Digital Divide on Citizens’ Intentions to Use Internet Voting, in: International Journal On Advances in Internet Technology 3, 3 and 4, S. 203–211. Bishop, B./Cushing, R. G. (2009): The big sort. Why the clustering of like-minded America is tearing us apart, Boston, MA.

»Weil das Internet weder anarchistisches Niemands- noch Neuland ist, sondern eine weitgehend und zunehmend nach Marktlogik entwickelte Technik, werden sich egalisierende und demokratisierende Wirkungen nicht von selbst einstellen.«









tieren und vor der Durchführung herausarbeiten und dokumentieren. Im Verfahren müssen Maßnahmen zur Mobilisierung unterrepräsentierter Interessen vorgesehen sein. Kosten und Aufwand der Beteiligung für Akteure aus diesen Interessengruppen dürfen nicht über denen anderer Akteure liegen. Das Verfahren muss neutral moderiert werden. Bei der Festlegung von Moderationsregeln und der Bestimmung von Moderatorinnen und Moderatoren müssen unterprivilegierte Gruppen mitwirken. Ist abzusehen, dass aufgrund von großen Unterschieden in der Verfügung über Ressourcen, bestimmte Gruppen z.B. durch Public-Relations-Kampagnen überproportionalen Einfluss nehmen werden, und können solche Effekte nicht beschränkt werden, so sollte auf das Verfahren verzichtet werden. Alternativ könnte ein Veto-Recht für die unterprivilegierten Gruppen vorgesehen werden.30

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tik mit neuen Instrumenten zu begreifen. Online-Beteiligungsverfahren wären dann nur eine öffentlich finanzierte, zusätzliche Arena für Akteure, die sich ohnehin stark und aktiv in politischen Prozessen artikulieren (können).31

Böhnke, P. (2011): Ungleiche Verteilung politischer und zivilgesellschaftlicher Partizipation, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2011, S. 18-25. Bundesregierung (2009): Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. 17. Legislaturperiode. Koalitionsvertrag. Carstensen, T./Winker, G. (2012): Intersektionalität in der Internetforschung, in: Medien und Kommunikationswissenschaft 60, 1, S. 3-23. Crouch, C. (2008): Postdemokratie, Frankfurt am Main. Dudenhöffer, K./Meyen, M. (2012): Digitale Spaltung im Zeitalter der Sättigung, in: Publizistik 57, 1, S. 7–26. Emmer, M./Wolling, J. (2010): Online-Kommunikation und politische Öffentlichkeit, in: Beck, K./ Schweiger, W. (Hrsg.): Handbuch Online-Kommunikation, Wiesbaden, S. 36–58. Franzke, J./Kleger, H. (2010): Bürgerhaushalte. Chancen und Grenzen, Berlin. Häußermann, H. (2009): Die politische Repräsentation marginalisierter Stadtteile, in: Linden, M. (Hrsg.): Die politische Repräsentation von Fremden und Armen, Baden-Baden, S. 183–199. Initiative D21 (2013): D21-Digital-Index. Auf dem Weg in ein digitales Deutschland?! Jörke, D. (2013): Re-Demokratisierung der Postdemokratie durch alternative Beteiligungsverfahren?, in: Politische Vierteljahresschrift 54, 3, S. 485–505. Kersting, N. (2012): The Future of Electronic Democracy, in: Kersting, N. (Hrsg.): Electronic democracy, Opladen, Berlin, Toronto, S. 11–54. Koop, A. (2010): Leitfaden Online-Konsultation. Praxisempfehlungen für die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger über das Internet, Gütersloh. Kubicek, H./Welling, S. (2000): Vor einer digitalen Spaltung in Deutschland, in: Medien und Kommunikationswissenschaft 48, 3, S. 497–517. Kuhn, F. (2006): Elektronische Partizipation. Digitale Möglichkeiten - Erklärungsfaktoren Instrumente, Wiesbaden.

30 Vgl. den Vorschlag von Jörke 2013 , S. 499 ff. 31

Zu ähnlichen Kritiken an konventionellen Partizipationsformen vgl. auch Böhnke 2011, Schäfer/ Schoen 2013

Märker, O. (2009): Studie: E-Partizipation in Deutschland, in: JeDEM - eJournal of eDemocracy and Open Government 1, 1, S. 45–54.

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Weiß, Wer rettet die Demokratie vor der E-Partizipation? Marr, M./Zillien, N. (2010): Digitale Spaltung, in: Beck, K./Schweiger, W. (Hrsg.): Handbuch Online-Kommunikation, Wiesbaden, S. 257–282. Merkel, W./Petring, A. (2011): Politische Partizipation und demokratische Inklusion, in: Mörschel, T./Krell, C. (Hrsg.): Demokratie in Deutschland. Zustand, Herausforderungen, Perspektiven, Wiesbaden, S. 93–119. Mossberger, K., et al. (2012): Unraveling Different Barriers to Internet Use Urban Residents and Neighborhood Effects, in: Urban Affairs Review 48, 6, S. 771–810. Nève, D. d. (2009): NichtwählerInnen – eine Gefahr für die Demokratie?, Opladen, Farmington Hills. Norris, P. (2001): Digital divide. Civic engagement, information poverty, and the Internet worldwide, Cambridge, New York. Olson, M. (2004): Die Logik des kollektiven Handelns. Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen, Tübingen. Priddat, B. P. (2002): eGovernment/eDemocracy: Eine neue Dimension der Gemeinwohlorientierung in der Politik, in: Münkler, H./Bluhm, H. (Hrsg.): Gemeinwohl und Gemeinsinn, Berlin, S. 289–310. SAS Deutschland (2013): Open Government. Wünschen Bürger mehr Beteiligung?

Schriften der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften Schriften der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften Band 37

Schriften der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften Band 36

Die Erneuerung des arbeitenden Staates

Bürokratie im Irrgarten der Politik

Herausgegeben von Utz Schliesky und Sönke E. Schulz

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Gedächtnisband für Hans-Ulrich Derlien Herausgegeben von Dieter Schimanke, Sylvia Veit und Hans Peter Bull

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Die Erneuerung des arbeitenden Staates

Bürokratie im Irrgarten der Politik

Herausgegeben von Prof. Dr. Utz Schliesky und Dr. Sönke E. Schulz

Gedächtnisband für Hans-Ulrich Derlien

Schneider, S. (2011): Bürgerhaushalt Oldenburg 2010/2011. Evaluationsbericht, Oldenburg.

2012, Band 37, 157 S., brosch., 36,– €, ISBN 978-3-8329-7682-8

Streeck, W. (2013): Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus Fankfurter Adorno-Vorlesungen 2012, 2013.

www.nomos-shop.de/19381

Herausgegeben von Prof. Dr. Dieter Schimanke, StSekr a.D., Sylvia Veit und Prof. em. Dr. Hans Peter Bull

Schäfer, A./Schoen, H. (2013): Mehr Demokratie, aber nur für wenige? Der Zielkonflikt zwischen mehr Beteiligung und politischer Gleichheit, in: Leviathan 41, 1, S. 94–120.

2012, Band 36, 368 S., brosch., 78,– € ISBN 978-3-8329-7142-7

Taubert, N./Krohn, W./Knobloch, T. (2010): Evaluierung des Kölner Bürgerhaushalts, Bielefeld. Vester, M., et al. (Hrsg.) (2001): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung, Frankfurt am Main. Vester, M. (2009): Soziale Millieus und die Schieflagen politischer Repräsentation, in: Linden, M. (Hrsg.): Die politische Repräsentation von Fremden und Armen, Baden-Baden, S. 21– 59.

www.nomos-hop.de/14289 Die Beiträge des wissenschaftlichen Tagungsbandes untersuchen die komplexen arbeitsteiligen Prozesse der öffentlichen Verwaltung.

Willems, U./Winter, T. v. (2000): Politische Repräsentation schwacher Interessen, Opladen.

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Prof. Dr. Hans-Ulrich Derlien hat die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der öffentlichen Verwaltung seit den 1970er Jahren mit vielfältigen Impulsen belebt und vertieft. Die Fakultät für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Bamberg hat deshalb zusammen mit der Deutschen Sektion des IIAS und dem Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer am 3. und 4.12.2010 ein Gedächtnis-Symposion durchgeführt. Dieser Band versammelt die Beiträge.

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