DEBATTE / ANZEIGEN 17

DONNERST A G, 22. OK TOB ER 20 15

Weil die Teile stärker sind als das Ganze Österreich leidet darunter, dass es zu viele Einzelinteressen gibt. Dies muss sich dringend ändern, damit das Land wieder auf die Überholspur kommt.

Arno Gasteiger

DEBATTE

Auflösung zum Kreuzworträtsel Nr. 1722000

A B E L E M R A M I A U L D L A M S A

S T R A S S G E A R I N U S S

T D E U E R E N E N T I A H N A R A L E I T E N T E T I R

Mit Tränen in den Augen musste ein österreichischer Finanzminister in den 90er-Jahren zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung im Nationalrat keine Mehrheit für ein Sparpaket in der Verwaltung finden konnte. Die aus dem Beamtenstand kommenden Abgeordneten beider Regierungsparteien waren fest entschlossen, mit der Opposition gegen das Paket zu stimmen. Die geplante Reform fand nicht statt. Die längst überfällige Bildungsreform scheitert am Widerstand der Lehrergewerkschaft, die Föderalismusreform am Veto der Landeshauptleute, die Pensionsreform am Nein der Gewerkschaft, die Modernisierung der Gewerbeordnung am Gegenwind aus der Wirtschaftskammer, die Durchforstung der Agrarsubventionen am Protest der bäuerlichen Interessenvertretungen und eine gesamtösterreichische Krankenanstaltenplanung am „aktiven Desinteresse“ der Länder als Rechtsträger des Großteils der Krankenanstalten. Die notwendige und sinnvolle Zusammenlegung von Bezirksgerichten wurde von der Mehrzahl der Länder bekämpft und durch Jahrzehnte hindurch verhindert. Die Raumordnungskompetenz in der Hand von 2100 Gemeinden fördert die Zersiedelung und den Landschaftsverbrauch. In dieser Disziplin ist Österreich Europameister. Laut einer Studie der Österreichischen Hagelversicherung werden in Österreich jedes Jahr 0,5 Prozent der Agrarfläche verbaut, in Deutschland und der Schweiz nur 0,25 Prozent. Für die Finanzierung des Gesundheitswesens sind 19 Krankenkassen, der Bund, die Länder und die Gemeinden zuständig. Die Finanzierung aus einer Hand scheitert daran, dass weder Kassen noch Länder bereit sind, Eingriffe in ihre Kompetenzen hinzunehmen. Österreich ist ein Land mit sehr viel Lebensqualität, ein sicheres Land und ein reiches Land mit hohen sozialen Standards. Wichtige Indikatoren zeigen allerdings, dass Österreich in den vergangenen zehn Jahren im europäischen Vergleich zurückgefallen ist. Das Wirtschaftswachstum ist gering, die Arbeitslosigkeit wächst, das Bildungssystem ist teuer und zu wenig effizient, die Steuerlast zu hoch und die Bürokratie ufert aus. Die Energiepolitik

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Arno Gasteiger war Vorstandssprecher der Salzburg AG und Landeshauptmann-Stv. (ÖVP).

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Der überwiegende Teil der Mandatare der SPÖ kommt aus ÖGB und Arbeiterkammer, jener der ÖVP aus dem Bereich der Interessenvertretungen von Wirtschaft und Landwirtschaft sowie der Beamten. Auch hier stellt sich die Frage nach der Loyalität: „Fühle ich mich dem Teil oder dem Ganzen verpflichtet?“ Verstärkt wird die Stärke der gesetzlichen Interessenvertretungen durch die Pflichtmitgliedschaft, die sie zu einem kleinen Staat im Staat macht. Erfolge bei Wahlen in die Kammern sind wichtig und binden sehr viel Kraft. Hin und wieder entsteht der Eindruck, dass sie für Spitzenkandidaten wichtiger sind als ein gutes Abschneiden bei bundesweiten Wahlen. Wie kann der Stillstand überwunden werden? 1. Die Regierungsparteien erkennen, dass sie durch die Dominanz der Teile auf Bundesebene immer schwächer werden, und drehen die Vorzeichen um. Die Länder und Interessenvertretungen nehmen sich zurück, die Gesamtverantwortung wird gestärkt. Für einen solchen Paradigmenwechsel ist es spät, aber noch nicht zu spät. 2. Die Teile werden durch gezielte Gesetzesänderungen schwächer, etwa durch die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in den gesetzlichen Interessenvertretungen und eine Wahlrechtsreform mit dem Ziel, den Einfluss der Landesebene zu verringern. 3. Es entstehen neue Parteien, die sich nicht auf die Teile, sondern auf das Ganze konzentrieren. Wer etwa bei Wahlen in Interessenvertretungen nicht kandidiert, muss sich von den Interessenvertretungen auch nicht beherrschen lassen. Die Regierungsparteien haben in den vergangenen zehn Jahren auf konfliktträchtige Reformen verzichtet. Sie sind dabei von Wahl zu Wahl schwächer geworden. Es wäre an der Zeit, die Lähmung durch die Dominanz der Teile zu überwinden und die notwendigen Reformen anzupacken. Dabei gibt es keine Erfolgsgarantie. Aber die Erfolglosigkeit des bisherigen Wegs ist nachweisbar.

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wird von Lobbys gesteuert, Verkehrspolitik findet nicht statt. Für das Erkennen dieser und vieler anderer Probleme, die Österreich zurückfallen lassen, ist kein wissenschaftlicher Apparat erforderlich. Sie sind offensichtlich. Eine wichtige Aufgabe der Politik besteht darin, die Rahmenbedingungen an neue Herausforderungen anzupassen, die Ressourcen effizient einzusetzen und künftige Entwicklungen zu gestalten, statt zu erleiden. Warum geschieht dies in Österreich nicht? Weil die Teile stärker sind als das Ganze. In der derzeitigen Regierungskonstellation müssen wichtigen Entscheidungen zustimmen: der Wiener Bürgermeister, der Landeshauptmann von Niederösterreich, der ÖGB, die Arbeiterkammer, die Interessenvertretungen der Wirtschaft und der Landwirtschaft, die Beamtengewerkschaft, bei Bildungsfragen die Lehrergewerkschaft und bei manchen Themen alle Landeshauptleute. Da ist der kleinste gemeinsame Nenner meist sehr klein. Dazu kommt die Scheu, ein halbes Jahr vor Landtagswahlen sowie vor Wahlen in Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer brisante Themen anzugreifen. Das sind elf Wahltermine bei einer Legislaturperiode, die auf Bundesebene fünf Jahre beträgt. Die Landeshauptleute der großen Länder sind deshalb so stark, weil die Abgeordneten zum Nationalrat auf von Landesparteivorständen erstellten Landeslisten gewählt werden. Wer wiedergewählt werden will, braucht viel mehr die Zustimmung seines Landeshauptmanns und Landesparteiobmanns als die seines Bundeskanzlers, Vizekanzlers und Bundesparteiobmanns. So ist die Loyalität zum Teil stärker als zum Ganzen. Der Wiener Bürgermeister und der Landeshauptmann von Niederösterreich bestimmen nicht allein, aber doch maßgeblich, wer „unter ihnen Bundeskanzler oder Vizekanzler wird“. Geht es hart auf hart, lassen sie das die Bundesspitzen auch sehr deutlich spüren. Nachhaltige Beschädigungen ihrer Spitzenmandatare nehmen sie dabei in Kauf. Innerhalb der Parteien sind sie noch stärker, als dies nach außen erkennbar ist. Verstärkt wird die Dominanz der Teile durch die Stärke der Interessenvertretungen.

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