was bleibt Horst Heilmann und Kilian Lipp Kunstausstellung der Villa ...

19.03.2016 - Darin besteht das Wunder von Bildern: Sie eröffnen uns eine weitere .... zweites Mal – eine unter sehr vielen Auszeichnungen, die sein ...
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was bleibt Horst Heilmann und Kilian Lipp Kunstausstellung der Villa Jauss, Oberstdorf Eröffnung 19. März 2016

Ein Bild betrachten. Sich davorstellen, stehen und schauen. Auf sich wirken lassen. In das Bild gedanklich hineintreten. Dazu lädt die Villa Jauss – kontinuierlich und konsequent. Darin besteht das Wunder von Bildern: Sie eröffnen uns eine weitere Dimension, einen Raum, die andere Seite. Liebe Gäste, diese Ausstellung umfasst 73 Werke, vor allem ganz neue, bislang nicht gezeigte Bilder. Schauen Sie sich nicht alle bei Ihrem ersten Besuch an. Dosieren Sie das Kunsterlebnis. Kommen Sie wieder! Denn: Die Bilder, die Sie hier sehen, sind über Jahre vorgefühlt, gedacht, intuitiv konstruiert, haben Kraft getankt aus zwei ganzen Künstlerleben, aus Lebenserfahrung, Seherfahrung, Malenergie, von zwei Männern von enormer Lebenswahrnehmung, sind Konzentrat aus großer Leidenschaft und Meisterschaft. In ihrer Malerei höchst artifiziell, technisch ausgereizt und emotional intensiv. Diese Bilder besitzen eine Tiefe und Innerlichkeit, die sich ins Innere ihrer Betrachter überträgt. Nicht jeder wird das nachvollziehen. Aber wer sich auf ein solches Bild einlässt, es als interessant, wirksam oder sogar erhellend erlebt, wird die Betrachtung als Genuß erfahren. Es verwundert nicht, dass Menschen mit diesen Bildern wohnen und leben möchten, denn sie vermitteln spezifische Gestimmtheiten, die sich auf den Betrachter übertragen. Die Villa Jaus, mit ihrem ehrenamtlichen Team, setzt damit wieder Maßstäbe, führt zusammen, was eigentlich Konkurrenz im künstlerischen Sinne sein müsste, aber gar nicht ist, und diese äußerst bemerkenswerte Oberstdorfer Galerie zeigt sich aufs Neue ganz offen, auch und gerade da die Künstler, nicht nur, aber auch stark in der Region wirken: mehr als selbstbewusst lädt sie zu dieser dualen Ausstellung. Zwei große Namen – es wäre schon grandios das komplexe Werk des Kemptener Künstlers hier zu präsentieren – ebenso wunderbar wäre es, den Regionalmatador aus dem Ostrachtal zu zeigen. Und nun: diese beiden Charakterkünstler erstmals in der Zusammenschau. Vor allem sind sie beide Maler mit spezifischen malerischen Fähigkeiten. Eine Herausforderung der Galerie, für Sie, für mich! Eine Freude! Ein Ereignis! Intensivere und eigenständigere Malerei bekommen Sie kaum irgendwo zu Gesicht. In Kopenhagen wurde jüngst die Ausstellung „Paint“ mit ganzen neun Gemälden bestritten. Bekannte Bilder von Courbet, Cézanne, Van Gogh wurden erstmals pur gezeigt, ohne Rahmen, die Werke wirkten wie befreit und frisch aus Künstlerhand. Ähnliches können Sie hier erfahren, denn Kilian Lipp lässt seinen Keilrahmen ebenfalls Luft und Horst Heilmann deckt seine Papiere nicht mit Passepartouts ab, sondern zeigt sie vollständig.

Diese Ausstellung präsentiert zwei Künstler mit unterschiedlichen Malweisen und unterschiedlichen Motivkreisen. Allerdings handelt es sich nicht um divergierende Positionen, dafür wiederum arbeiten sie zu ähnlich. Was die beiden verbindet: Ein virtuoser Umgang mit Farbe, mit Tonigkeit, Nuancen, beide sind sie hochsensible Maleristen voller Temperament und Subtilität. Beide widmen sich dem, was sie umgibt, Kilian Lipp ganz direkt, aus der täglichen Anschauung, Horst Heilmann meist in einem übertragenen Sinne, aus dem Kopf. Man kann das, bei aller Distanz, die sie wahren und in ihren Bildern erzeugen, als Heimatverbundenheit und Bodenständigkeit deuten. Beide haben ein besonderes Verhältnis zu Bäumen als Metaphern für das Lebendige in langer Dauer. Beide malen Menschen mitten in den Bildraum, sodass sie dem Betrachter direkt begegnen können. Jeder setzt prägnante grafische Zeichen zum Abschluss der Malerei, Heilmann seine Signatur und teilweise auch einen Titel, Kilian Lipp Signatur und rote Linie, jeweils markant und das Werk abrundend. Am Auffälligsten ist, dass beide im Figurativen daheim sind, auch wenn dabei stark abstrahierende Bereiche auftauchen und die Figuration gar nicht das Wesentliche darstellt. Beide haben sich der figurativen Malerei nicht erst zugewendet, als das z.B. durch die Leipziger Schule wieder trendig wurde. Vielmehr fand jeder für sich sein Material, seine Materie, sein Feld der Malerei, jeweils auf einem arbeitsund ausstellungsreichen Weg. Diese künstlerischen Felder, diese definierten Bereiche - oder auf Allgäuerisch: dia g’mähte Wiesle – werden jetzt bestellt, in vielfältigen Variationen. Das bleibt. Nun darf ich Ihnen die beiden Künstler näher vorstellen und ihre Themen beschreiben. Horst Heilmann. Horst Heilmann arbeitete auf der einen Seite als Kunsterzieher, d.h. er führte Generationen von Jugendlichen an die Kunst heran, eine ganze Menge auch in den Kunstberuf, an Akademien, in Museen, ins freie Künstlertum. In seinem Studium und später in seinem eigenen Unterricht wandte sich Horst Heilmann der Kunst von einer analytischbeschreibenden Seite zu und ist vertraut mit den künstlerischen Positionen der Geschichte wie der Zeitgenossen. Parallel dazu war und ist er immer Bildender Künstler. In dieser Doppelrolle betrachtet er seine eigenen Werke stets aus einer kritischen Sicht und konzipiert aus einer reflektierten Warte. „Das Repertoire der Gegenwart“, so sagt er, „ist mir geläufig“, - er weiß um Harmonie, Proportion, Perspektive, Kontrasteffekte und Illusionismen. Seit seinen Aktübungen an der Akademie verfügt er über das Rüstzeug für Anatomie, Körper, Haut, Mann, Frau. Was er macht, geht er sehr bewusst an. Dementsprechend konzentriert bereitet er seine Bilder vor, um sich dann in dynamische Lineamente, expressive Farbsetzungen und eben nur bedingt kontrollierte Kompositionen hineinziehen zu lassen. „Sich Räume öffnen“ nennt er das Vorgehen, mit dem er im fortscheitenden Malprozess auf Signale aus dem Bild reagiert. Auf der Basis einer groben Skizze entfaltet er tiefe, komplexe, leuchtende Bildräume. Die Beschränkung gilt allein dem Format und der Palette, für jedes Bild wählt sich Horst Heilmann eine prägnante Farbgruppe - im Duktus hingegen arbeitet er frei, großzügig, geradezu verschwenderisch.

Seine Pinselführung, die Struktur der Farbsetzung, die Verschränkung der Farbebenen, die Akzentuierung in Kontrasten, mittels Kontur oder Auflösung der Konturen und die Durchdringung aller Bildbereiche – all das ist von einer Expressivität und Explosivität, die in jedem Einzelwerk eine ganz eigene Magie entfaltet. Seine Themen stimmen vordergründig mit denjenigen von Kilian Lipp überein: Mensch, Architektur, Landschaft. Alles drin – jeweils ganz anders. Die eigentlichen Themen heißen: Raum, Licht, gedanklicher Raum. Das Bild mit dem Titel „mit dunkler Ecke“ zeigt einen langgestreckten Raum, eine Art Werkstatt oder Atelier mit regelmäßiger Fensterreihe. Der Raum ist nur teilweise zu sehen, die Funktion ist unklar, was angelehnt herumsteht, ist nicht zu erkennen. Malerisch sind alle Bereiche durchgearbeitet, sogar wunderschön, wie das Tageslicht auf dem vermutlichen Dielenboden reflektiert wird. Ein Farbenspiel, ein Lichtmirakel, ein Ort, an dem man sich versenken möchte. Der Maler gibt keine Hilfestellung durch konkrete Detailangaben. Nur: mit dunkler Ecke. Weniger könnte man über einen so sinnenhaft dargestellten Raum kaum aussagen. Jeder Bildbetrachter wird mit diesen minimalen Angaben charmant, aber massiv auf sich selbst zurückgeworfen. Für die dunkle Ecke hat jeder seine eigene Idee, ohne sie näher betrachten zu wollen. Ein Sujet von allgemeiner Gültigkeit. Mit den Frauen verhält es sich ebenso. Zentral konfrontiert Horst Heilmann Betrachter und Figur. Eine nackte Frau, in die Mitte des Bildraumes gestellt, blickt aus dem Bildraum heraus, schreitet uns entgegen. Der Maler präsentiert uns weibliche Körper mit allen Zeichen von Weiblichkeit, Schönheit, Volumen, Üppigkeit, Alterung, Umriss, Haltung. Präzise Angaben zu Taillenumfang oder Körbchengröße sind auch hier nicht gegeben. In seiner sehr flirrenden Malweise wird uns die Frau optisch offeriert, und zugleich dem haptischen Zugriff entzogen. Einen ganz differenzierten Motivkreis bilden Architekturen, ganze Stadträume oder Einzelobjekte, wie die „Plätze der Macht“. Horst Heilmann gelingt es, wie in einem megamonumentalen Bühnenraum gigantische Szenarien zu arrangieren, in denen der Betrachter mit den Augen weite Wege zurücklegen, ganz eintauchen kann. Auch diese Darstellungen entziehen sich bei genauer Betrachtung der Detaildefinition, dennoch bilden sie eine bildräumliche Wirklichkeit, welche Machtarchitektur mächtig in den Blick stellt. Und vor allem: Leben und Tod. Ein wichtiges Thema, wenn nicht eine Grundstimmung im Werk Horst Heilmanns ist „Leben und Tod“. Das eine nicht ohne das andere. Unter anderem beschäftigte er sich mit seinem Onkel gleichen Namens, Horst Heilmann, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus in der Berliner Roten Kapelle, welcher im Alter von 19 Jahren im Jahr 1942 in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden ist, vor der Geburt seines Neffen, aber von diesem nicht vergessen. Doch auch die Begegnung mit seinem eigenen skelettierten Schädel ist immer wieder Thema des Künstlers. Für eine jener Darstellungen, Titel „Mit Begleiter“, erhielt er den Kunstpreis der Stadt Kempten ein zweites Mal – eine unter sehr vielen Auszeichnungen, die sein stringentes, gleichwohl

vielfältiges Werk würdigen. Horst Heilmann steht durchaus in dem Ruf, Düsteres, Bedrohliches, Geheimnisvolles, Elementares, Endgültiges zu thematisieren. Er macht das tatsächlich, und zwar in den kraftvollsten, heitersten, hoffnungsvollsten Farben, Formen und Raumentwürfen, die dafür zu finden sind. Kilian Lipp. Kilian Lipp, dem Alter nach etwas jünger, doch auch er stellt sich unter den Titel „was bleibt“. Ein Künstler schafft Bleibendes. Er wählt ein bleibendes Material, Kilian Lipp malt in Öl auf qualitätvolle Leinwand, organisches Material, das bei richtiger Behandlung Jahrhunderte halten kann. Eine Perspektive und Verantwortung, der sich der Künstler sehr bewusst ist: Das bleibt, von mir, für andere. Unter diesem Aspekt – Nachhaltigkeit in der Kunst – sieht man die eigene Arbeit anders. Es geht nicht nur um die Ausstellung hier, um das Haus des Sammlers da, die Pinakothek dort, sondern um eine längerfristige Bedeutung und Deutung der Gegenwart. Kilian Lipp hat sich für die Darstellung und Überlieferung an die Zeitgenossen, an uns, und an künftige Betrachter, unsere Nachkommen, ebenfalls ein spezifisches Thema vorgenommen: Landschaft Ostrachtal, beispielhaft für einen alpinen Lebensraum, eine Berglandschaft am Ende einer langen Epoche, im Übergang zu einer post-agrarischen, tourismus-bilderbuch-tauglichen Gesellschaft. Wie bei Heilmann zeigen die Bilder auf den ersten Blick eine heile Welt, einen geschlossenen Kosmos, eine Schönheit der natürlichen, der gebauten und kultivierten Umwelt, eines kräftigen, ernsten, aber zufriedenen Menschenschlags, in Übereinstimmung mit Tier und Berg und Jahreszeiten. Bei genauerer Betrachtung wird die Oberfläche hinterfragt, die Fragilität und Endlichkeit des alpinen Traditionsraums angesprochen. In den Bildern zeigt sich mehr als die romantische Sicht eine realistische Position des Malers, der die Entwicklung zu erkennen und bildlich zu bannen sucht. Als junger Mann musste Kilian Lipp das Tal erst einmal verlassen, die Welt bereisen, das Meer erleben, bevor er mit geschärftem Blick zurückkam und sich hier mittels der Kunst den Raum neu erschließen konnte. Zustimmung zu seiner Interpretation des Allgäus bekommt er nicht nur von Kunstfreunden im In- und Ausland, sondern auch von den Hiesigen, wenn ein Hirtenmotiv nach Lipp als Lüftlmalerei an eine Fassade gemalt wird, wenn seine gemalten Skispringer in Oberstdorf zu Werbezwecken am Ortseingang prangen oder wenn im 5-Sterne-Hotel Sonnenalp in einer speziellen Kili-Lounge an die 50 seiner Gemälde das Ambiente bestimmen. Seine Werke wurden teilweise schon zu Spekulationsobjekten; so tauchen sie regelmäßig in den Versteigerungen des Allgäuer Auktionshauses auf. Dieses Mal sogar als ein Hauptwerk für den Titel. Auch Kilian Lipp wurde mit zahlreichen Kunstpreisen ausgezeichnet. Und nicht zuletzt gelingt es ihm, mit seiner Frau Annette ein eigenes Kunsthaus erfolgreich zu betreiben und künftig auch eine Galerie für junge Kunst aus der Region. Das sind Impulse, die sich bei anderen Künstlern, wenn überhaupt, erst posthum ergeben. Kilian Lipp wartet nicht darauf, sondern bestimmt selbst, was bleibt.

Das Kunsthaus Lipp ist ein vorbildlich restauriertes, denkmalgeschütztes Bauernhaus in spektakulärer Südlage mit phänomenaler Aussicht. Die Umgebung scheint man durch die Gemälde schon genau zu kennen, die Hänge, den Birnenbaum, die Städel, die Kapelle, das Kugelhorn. Innen begegnet man diesen Panoramen erneut. An einer Wand findet sich aber, und Sie sehen es auch hier in der Ausstellung, ein Triptychon mit dem Titel „Guantanamo“ – ein Leidensbild, das – wie alle Motive von Kilian Lipp – über den einzelnen Menschen, das einzelne Opfer hinausreicht. Sein Blick weitet den unseren vom Kleinen ins Große, verbindet den Mikrokosmos Ostrachtal mit der Welt, betont die Qualität des Alten und Bewährten, und fordert Demut dafür, einfach deshalb, weil er es im Bild bewahrt. Das bleibt. Kilian Lipp. Horst Heilmann. Die beiden Künstler arbeiten seit Jahrzehnten parallel hier im Allgäu, 40 km voneinander entfernt. Sie schätzen sich und stellen nun gemeinsam aus. An diesen beiden Persönlichkeiten zeigt sich auch: Das Allgäu ist extrem divers. Ein jeder hat seinen Raum und sein Feld. Zwischen Vorderhindelang/Gailenberg und Kempten West liegen Welten, früher noch mehr als heute. Kilian Lipp ist zweisprachig aufgewachsen, mit alamannisch und Hochdeutsch. Horst Heilmann hat die grundlegende Entwicklung seiner Stadt Kempten beobachtet und dokumentiert als „Bilder einer Stadt“. Aus diesen nahen und fernen Positionen können sie ein dialogisches Résumé ziehen. Der Titel „was bleibt“ ist nicht als Frage zu verstehen. Im Sinne von: Was bleibt von uns? Was bleibt von unseren Dingen? Von unseren Erinnerungen, Vorstellungen und Werten? Vielmehr bezieht sich „was bleibt“ hier auf das Wirken der beiden Maler, auf das konkrete Oeuvre. Mit Ausrufezeichen. Horst Heilmann und Kilian Lipp zeigen, was sie können, und was sie für eine Nachwelt für überliefernswert halten. Sie malen, nicht nur für sich, sondern für alle, die sich dafür interessieren – heute oder künftig. Eines der ausgestellten Bilder von Horst Heilmann aus dem Jahr 2014 trägt den Titel „Was bleibt“. Es zeigt einen Mann vor einem Gemälde auf blauer Wand. Der Mann, sitzend sich seitwärts drehend, schaut aus dem Bildraum hinaus, in eine offene Zukunft. Das Bild scheint eine Aussage Friedrich Nietzsches zu vergegenwärtigen. Zum Abschluss zitiere ich Ihnen seine kurze Kunstlehre von 1878, die auch das Schaffen unserer beiden Künstler unterstreicht: „Welche Stellung bleibt der Kunst? Vor allem hat sie durch die Jahrtausende hindurch gelehrt, mit Interesse und Lust auf das Leben in jeder Gestalt zu sehen und unsere Empfindung so weit zu bringen, dass wir endlich rufen, ‚wie es auch sei, das Leben, es ist gut.‘ Diese Lehre der Kunst, Lust am Dasein zu haben und das Menschenleben wie ein Stück Natur, ohne zu heftige Mitbewegung, als Gegenstand gesetzmäßiger Entwickelung anzusehen, - diese Lehre ist in uns hineingewachsen, sie kommt jetzt als allgewaltiges Bedürfnis des Erkennens wieder ans Licht.“ Also: Was bleibt? Die Kunst! Text: Ursula Winkler