Von Karaokesängern und Dozenten

27.11.2013 - zutreffende Spezies – sich überhaupt auf diese Bühne begibt und nicht sofort in einem re- nommierten Think Tank oder einem außeruniversitären Forschungsinstitut auf die Zielgerade zum Nobelpreis einbiegt. Hier vermag ein biologisch-psychologischer Ansatz aufzuklären. Bullerjahn und Heipcke ...
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Von Karaokesängern und Dozenten (Vortrag Fachschaftstreffen Religionswissenschaft, 27.11.2013)

In ihrem im illustren Buch Theatralisierung der Gesellschaft erschienenen Aufsatz „Karaoke, eine Tautologie des Populären. Befragungen zu Motivation und Fremdwahrnehmung von Karaokesängern“ 1 beschreiben Claudia Bullerjahn und Stefanie Heipcke u.a. Eigenschaften und Motivationen von Karaokesängern, die einige Ähnlichkeiten mit den Auftritten von Wissenschaftlern haben. Diese Ähnlichkeiten, aber auch einige entscheidende Unterschiede, sollen im folgenden aufgezeigt und diskutiert werden. Bullerjahn und Heipcke definieren Karaoke als „das amateurhafte, mikrofongestützte Singen von populären Songs zu einem vorproduzierten Halb-Playback vor Publikum“, das vom Singen mit „‚sing-along‘-Bändern“ im privaten Bereich zu Übungszwecken und vom Singen in Castingshows abzugrenzen sei. Letzteres sei „zwar in den Endausscheidungsrunden auch mikrofongestützt vor Publikum und zu vorproduziertem Halb-Playback“, habe jedoch „in aller Regel professionelle Ansprüche an den Gesang“ zu befriedigen und erfordere eine „treffsichere Intonation“, einen „dem jeweiligen populären Musikstil adäquate[n] Stimmklang sowie emotionale Textausdeutung“. Des weiteren werde in Castingshows eine dem Motto gerechte Kleidung und Aufmachung sowie gegebenenfalls eine „auf den Song abgestimmte Tanz- oder Bewegungschoreographie“ erwartet. (S. 395). Seminare und noch mehr Vorlesungen an einer Universität sind vor diesem Hintergrund je nach Ausgestaltung und Qualität mal dem Genre Karaoke, mal dem Genre Castingshow zuzuordnen. Zwar sollte auch ein Seminar oder eine Vorlesung wie ein Auftritt in einer Castingshow professionellen Ansprüchen genügen, den (wissenschaftlich) richtigen Ton treffen und vom Vortragenden selbst nicht durch ein unpassendes Äußeres torpediert werden, um ein positives Voting der Zuhörenden – Studierende, Kollegen, Mitglieder von Berufungskommissionen etc. – zu erhalten. Doch nicht immer ist dies der Fall, so daß manchmal, ob mikrofongestützt oder nicht, lediglich amateurhaft Populäres dargeboten wird. Das passiert z.B. dann, wenn eine Stelle an jemanden aufgrund persönlicher Beziehungen statt Qualifikation vergeben wurde, oder der Vortragende zur Gattung „opportunistischer Trittbrettfahrer“ zählt, der auf jeden Zug modischer Themen – bevorzugt „Diskurse“ genannt – aufspringt, um sich und der Welt zu beweisen, wie up to date und Insider er doch sei, dabei aber bevorzugt allgemein zugängliche Tagesnachrichten zum besten gibt. „Vorproduziertes Halb-Playback“ bekommt 1

Bullerjahn, Claudia/Heipcke, Stefanie: „Karaoke, eine Tautologie des Populären. Befragungen zu Motivation und Fremdwahrnehmung von Karaokesängern“, in: Willems, Herbert (Hrsg.): Theatralisierung der Gesellschaft. Bd. 1: Soziologische Theorie und Zeitdiagnose. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 395-416.

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genau dann ein Geschmäckle, wenn die Texte, die verlesen werden, nicht der eigenen Feder entstammen, was öfter vorkommt, als manch Studierender gerade in den ersten Semestern, in denen er den Dozenten ehrfürchtig zu lauschen geneigt ist, glauben mag. Während bei einer Castingshow eine Expertenjury, ein Saal- und ein Fernsehpublikum, die sich selbst nicht dem Wettbewerb stellen, anwesend sind, sei bei der Karaoke „gerade der Wechsel zwischen der Rolle als Sänger und Publikumsmitglied kennzeichnend“. Wer als Studierender schon in Seminaren saß, in denen der Dozent nichts anderes machte, als die Studierenden langatmige Referate halten zu lassen und diese, wenn überhaupt, nur lapidar zu kommentieren, wird an dieser Stelle den Karaokecharakter eines Seminars wiedererkennen. Spätestens an dieser Stelle drängt sich dem Betrachter die Frage auf, warum der eigentlich und selbstverständlich zu Höherem Berufene – dies eine im universitären Umfeld häufig anzutreffende Spezies – sich überhaupt auf diese Bühne begibt und nicht sofort in einem renommierten Think Tank oder einem außeruniversitären Forschungsinstitut auf die Zielgerade zum Nobelpreis einbiegt. Hier vermag ein biologisch-psychologischer Ansatz aufzuklären. Bullerjahn und Heipcke schreiben: „Vokale Äußerungen gehören zu den elementaren Bedürfnissen und Handlungen des Menschen, denn schon die erste Äußerung des Neugeborenen – das Schreien – ist vokaler Natur. Die als Reaktionen auf diese ersten vokalen Äußerungen erlebten emotionalen Zuwendungen sorgen dafür, dass auch spätere Lautäußerungen als lustvoll und befreiend erlebt werden können.“ (S. 396)

Der Aspekt der erlebten emotionalen Zuwendung infolge vokaler Äußerungen ist mit Blick auf Dozenten nicht zu unterschätzen, was sich vor allem in Situationen zeigt, in denen das vermeintlich wissenschaftliche Geplärr keinen Zuspruch beim Publikum findet, was vom derart Vernachlässigten dann in individueller Form beklagt wird. Allerdings nutze der professionelle Karaokesänger, wie Bullerjahn und Heipcke mit Verweis auf eine Studie von Adamek (Singen als Selbsthilfe, 1996) weiter ausführen, die Bühne auch oder gerade zum sogenannten Coping, d.h. zur Bewältigung von Emotionen (laut Adamek hauptsächlich negativer Art). Anscheinend werde, so folgern sie, „die elektronisch verstärkte Stimme vom Karaokesänger selbst als angenehm empfundene Selbst-Verstärkung und Selbst-Spiegelung wahrgenommen, was das narzisstische Vergnügen am mikrofongestützten Singen erklären könnte“. (S. 397) Und da ist er wieder, der Professor, der sich selbst während seines Vortrags am besten gefällt! Trefflich sind auch die weiteren Ausführungen. So referieren Bullerjahn und Heipcke Studienergebnisse, denen zufolge Menschen in jeder sozialen Situation eine Rolle spielten, sich selbst darstellten – und das gemäß der Impression-Management-Theorie, um die Urteile Dritter über sie selbst zu kontrollieren und positiv bewertet zu werden, „wofür zumeist die Eigenwerbung (Self-Promotion) als Selbstdarstellungsstrategie eingesetzt wird.“ (S. 398) Ein Unteraspekt der Eigenwerbung sei dabei das sogenannte BIRGing („Basking In Reflected 2

Glory“), d.h. „das sich Sonnen im Ansehen anderer“. 2 So wie bei der Karaoke „permanent“ Bezug zum prominenten Vorbild gesucht werde (Stimmklang oder Aussehen), ist auch der ein oder andere Wissenschaftler geneigt, nicht nur seine eigenen Leistungen bei passender Gelegenheit herauszukehren, sondern mehr oder weniger subtil auf seine selbstverständlich hervorragenden Kontakte zu den Großen der Zunft zu verweisen. Da aber im Falle der Karaoke „etwas bereits Populäres auf Amateurebene vervielfältigt und somit erneut popularisiert“ (S. 398) werde, empfiehlt es sich für eine wissenschaftliche Karriere, diese Stufe rasch hinter sich zu lassen und selbst zu einem Großen der Zunft aufzusteigen, mit dem sich andere dann wiederum zwecks „symbolischer Selbstergänzung“ (ebd.) der eigenen Person in Verbindung bringen. Der Spaß hat in der Wissenschaft indes dort meist ein Ende, wo bei der Karaoke das SelfDisclosure und das Self-Handicapping beginnen, d.h. das sich Öffnen gegenüber Dritten oder das Bekennen zu persönlichen Schwächen. Gelten Self-Disclosure und Self-Handicapping bei der Karaoke als ein Vertrauensbeweis gegenüber dem Publikum, dem man die eigene Verletzlichkeit und Unvollkommenheit zeigt, um einerseits glaubwürdiger und sympathischer zu erscheinen, sich aber andererseits auch aus der Verantwortung für das Gelingen des Auftritts zu ziehen (S. 398f.), so werden Self-Disclosure und Self-Handicapping im wissenschaftlichen Kontext zu vermeiden versucht. Schließlich gilt es zu beweisen, daß man wissenschaftlich versiert, neutral, objektiv und emotional distanziert zum untersuchten Gegenstand ist. Unterläuft einem doch einmal wider Erwarten ein Fehler, findet sich rasch ein anderer Schuldiger, der irgend etwas vermasselt hat (bevorzugt rangniedrigere Mitarbeiter und Studierende). Damit wären wir beim Publikum angelangt, denn ohne dieses kein wirklicher Auftritt und auch kein Offenbarwerden möglicher Fehler. Dieses bildet im Falle der Karaoke mit seiner Abwechslung aus Zuschauern und Sängern das „Ensemble“ (S. 400), nach Goffman „eine Gruppe von Individuen, die eng zusammenarbeiten muß, wenn eine gegebene Situationsbestimmung aufrechterhalten werden soll“. 3 Ensembles seien „gemeinsam darum bemüht, die Bestimmung und Aufgabe des Einzelnen in einer speziellen Situation aufrecht zu erhalten“. Die „dramaturgische Mitarbeit“ des Einzelnen in einer bestimmten „Inszenierung“ sei unerläßlich. 4 Dabei müsse das Ensemble nicht gewachsen, sondern könne vielmehr künstlich ent-

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Bullerjahn/Heipcke zitieren Mummendey, Hans Dieter: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen: Hogrefe 1995, S. 92. Bullerjahn/Heipcke 2009, S. 398. 3 Bullerjahn/Heipcke zitieren Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper 1969, S. 96. Bullerjahn/Heipcke 2009, S. 400. 4 Bullerjahn/Heipcke zitieren Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper 1969, S. 78. Bullerjahn/Heipcke 2009, S. 401.

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standen und eine „formalisierte Beziehung“ sein, die automatisch angeboten und angenommen werde, sobald der Einzelne in das Ensemble eintrete. 5 Die Ähnlichkeiten zur Seminargruppe werden an dieser Stelle deutlich: Ohne dramaturgische (= studentische) Mitarbeit keine (universitäre, wissenschaftliche) Inszenierung. Dabei könne das Ensemble, so Goffman, sein eigenes Publikum sein, sich an ein reales Publikum wenden oder auch an eins, „das körperlich gar nicht anwesend ist“ 6. Letzteres ist im universitären Kontext allerdings eher ungünstig und wird daher bevorzugt durch die körperliche Anwesenheit des gesamten Ensembles bei gleichzeitig geistiger Abwesenheit einzelner Mitglieder kompensiert. Die gemeinsame Darstellung des Ensembles bestehe entweder aus analogen Einzeldarstellungen oder sich unterscheidenden Darstellungen seiner Mitglieder, 7 angeleitet von einem Regisseur, dem „das Recht übertragen wird, die dramatische Handlung zu regeln und zu dirigieren“ 8. Nach Goffman besitzt der Regisseur zwar das Recht auf Einmischung, habe jedoch in einem gut funktionierenden Ensemble die vornehmliche Aufgabe, andere zu „stimulieren“, sei es durch klare Verhaltensanweisungen, sei es durch subtilere, aber nicht minder wirksame Motivation zu herausragenden Leistungen. 9 Während bei der Karaoke die Rolle des Regisseurs dem Moderator oder dem DJ zufällt, ist es im Seminar Aufgabe des Dozenten, die „Darstellungen Einzelner mehr oder weniger geschickt in den richtigen Rahmen“ einzubetten. (S. 401) Dabei kann das Recht des Regisseurs, „Erscheinungen [zu korrigieren] und größere und kleinere Vorrechte [zuzuteilen]“ 10, „jedoch zur Entwicklung eines übertriebenen Anspruchs und damit zu einer Entfremdung vom Ensemble und letztlich einem Rollenkonflikt führen.“ (ebd.) Dies ist in der Universität z.B. dann der Fall, wenn der Dozent sich eigentlich zu schade ist, Erstsemester zu unterrichten, und sie es auch spüren läßt, daß er sich erst lau ab der Master- und richtig erst ab der Promotionsebene für sie interessierte, wenn sie nicht ohnehin, wie die Mehrheit der Studierenden, zu dumm für ein Studium nach seinen Standards wären. Zur Gewährleistung einer guten Arbeitsatmosphäre seien daher auch für ein Seminar einige der informellen Regeln für Karaokesänger empfohlen: 1. Do not sing when you are drunk. 2. Do not sing too loudly. 3. Do not abuse the echo effect too much. 5

Ebd. Bullerjahn/Heipcke zitieren Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper 1969, S. 77. Bullerjahn/Heipcke 2009, S. 401. 7 Ebd. 8 Bullerjahn/Heipcke zitieren Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper 1969, S. 90. Bullerjahn/Heipcke 2009, S. 401. 9 Bullerjahn/Heipcke zitieren Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper 1969, S. 91. Bullerjahn/Heipcke 2009, S. 401. 10 Bullerjahn/Heipcke zitieren Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper 1969, S. 92. Bullerjahn/Heipcke 2009, S. 401. 6

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4. Do not monopolize the microphone. 5. Do not sing songs written for the opposite sex unless you want to surprise the audience. 6. Do not sing songs composed by very gifted writers (because they are usually too difficult for lay persons). 7. Do not be too narcissistic. 11

Das zu starke Herausstellen aus der Gruppe, das bei der Karaoke als unangemessen gilt, sei an dieser Stelle auch dem ein oder anderen Selbstdarsteller im Uni-Betrieb als Negativbeispiel vorgehalten. Doch zurück zur bereits erwähnten Frage: Was treibt jemanden auf die Bühne? Von Bullerjahn und Heipcke durchgeführte leitfadengestützte Experteninterviews mit Kennern der Karaokeszene ergaben, daß Karaoke den Sängern als Ventil zum Ablassen schlechter Laune dient. Dabei errege eine besonders ausdrucksstarke Darstellung die besondere Aufmerksamkeit des Publikums, worin neben der Emotionsregulation auch eine Regulation des Selbst gesehen werden könne: „Ein möglicherweise angegriffenes Selbstkonzept wird durch das aufmerksam gewordene und applaudierende Publikum wiederhergestellt. Auch im Sinne der Interaktionsregulation ist diese Handlung zu werten: Es werden interaktionsbezogene Selbstbilder kommuniziert, und Anderen wird ein erwünschtes Verhalten entlockt.“ (S. 408)

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt und besonders exzentrischen Dozenten an dieser Stelle ein „angegriffenes Selbstkonzept“ unterstellt… (Er könnte Recht haben.) Während die Motivation, Karaoke zu singen, u.a. darin liegen könne, so Bullerjahn und Heipcke weiter, „sich selbst durch die Herausforderung des Präsentierens vor Publikum besser kennen zu lernen und u. U. neue Wege zu finden, die eigene Stimmungslage positiv zu beeinflussen“, wobei Aus-sich-Herausgehen erlaubt sei, solange die Bedürfnisse der anderen dabei nicht verletzt würden (S. 409), ist die Sachlage im akademischen Kontext mitunter eine andere. Es gibt zweifelsohne diejenigen, die sich durch die Interaktion mit anderen besser kennenlernen. Aber es gibt auch diejenigen, die aus ihrer Sicht grundsätzlich alles besser wissen, daher keiner Korrektur ihres Verhaltens im Umgang mit anderen bedürfen und die Bedürfnisse Dritter nicht beachten. Aus eigener Anschauung folgt die Theorie, daß dies meist einer Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Narzißmus zuzuschreiben ist. Im Miteinander ist es hier ratsam, die eigenen Prinzipien nicht voreilig oder aus Angst vor Punktabzügen oder anderen Konsequenzen über Bord zu werfen, sondern sich selbst treu zu bleiben und für die eigene Meinung einzustehen. Bei der Karaoke darf bekanntlich jeder singen, der es sich zutraut. Dies ist im universitären Rahmen nicht der Fall. Hier wird stärker auf das Prinzip Castingshow rekurriert. Nach einer Vorauswahl werden einzelne zum Vorsingen eingeladen, wobei es angesichts der bevorste-

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Bullerjahn/Heipcke zitieren Mitsui, Toru/Hosokawa, Shuhei (Hrsg.): Karaoke around the world – Global technology and local singing. London: Routledge 1998, S. 18. Bullerjahn/Heipcke 2009, S. 402.

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henden Aufgaben, insbesondere in der Lehre, erstaunlich ist, daß meistens auf das tatsächliche Singen, d.h. eine Lehrprobe, oder wenigstens die Einreichung eines Seminarkonzepts, verzichtet wird. Gute Referenzen im Lebenslauf und schmeichelhafte Worte für die Jury haben nicht selten stärkeres Gewicht. So kommt es manchmal zur paradoxen Situation, daß das studentische Publikum trotzdem den Eindruck gewinnt, als stünde ein random singer vor ihm. Einig sind sich die Zuhörer von Karaokesängern und Dozenten gleichermaßen, daß die Performance authentisch sein muß, um zu gefallen. 12 Nur: Woran erkennt man Authentizität? An Mimik und Gestik, Stimme, Textauswahl? Wird diese, mittels welcher Kriterien auch immer, „erkannt“, folgt der Applaus – eine Motivation und Bestätigung für Karaokesänger (S. 411), die auch vielen Dozenten nicht abgesprochen werden kann. Bemerkenswert ist die – erneut durch eigene Anschauung bestätigte – Parallele, daß beide Gruppen ihr eigenes Können jeweils unterschiedlich einschätzen, mal realistisch, d.h. sie erkennen ihre Defizite, mal unrealistisch, d.h. sie werten „gut gemeinten“ Applaus (bzw. das Klopfen auf die Tische) „als echte Anerkennung ihres […] Könnens.“ (ebd.) Bullerjahn und Heipcke kommen mit Blick auf Karaokesänger schließlich zu folgendem Ergebnis: „Jedoch zeigt das Beispiel Karaoke, dass das Singen von Profis und Laien eine friedliche Koexistenz führen kann. Das Karaokepublikum fängt anscheinend jeden auf, die Qualität des Vortrages macht sich nicht an der gesanglichen Qualität, sondern an seiner Glaubwürdigkeit fest. So können auch ‚Nicht-Sänger‘ zu Sängern werden. Beim Karaokesingen nähern sich Laien mit Profi-Equipment und mehr oder minder defizitärem Stimmgebrauch den Medienangeboten der Pop-Profis […].“ (S. 414)

Dabei gehe es bei Karaoke nicht allein um das Singen, sondern ganz entscheidend auch um das sich Darstellen vor einem Publikum, wobei dieses „nicht dem festen sozialen Gefüge einer üblichen Gruppe“ entspreche. Vielmehr seien Unverbindlichkeit und zufällige Bekanntschaften von kurzer Dauer und geringer Intensität Hauptmerkmale, was den Vergleich mit der Struktur eines Ensembles im Sinne Goffmans rechtfertige. Daneben bildeten aber auch „Anerkennung und Toleranz, gesichert durch ein differenziertes soziales Regelwerk, wichtige Grundlagen für das Funktionieren von Karaokeclubs“. Denn erst durch sie könne das Singen „als wesentliche Coping-Strategie und zur symbolischen Selbstergänzung genutzt werden“. (ebd.) Inwiefern sich Bullerjahns und Heipckes Ergebnisse auf den universitären Rahmen übertragen lassen, bleibt Ihrer persönlichen Schlußfolgerung überlassen.

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Für Karaoke: Bullerjahn/Heipcke 2009, S. 411.

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