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aufwirbelnden Dunst, den Rest Grün weit unten im Tal. Herman sah für einen winzigen Moment. Details in dem behauenen Felsen. Kleine Kristalle spielten mit dem scharfen Licht der Sonne. Wie die feinen Nadeln aus Ammoniak, die im Ab- grundleuchten des Iupiter sich zu den fliegenden. Schläuchen verwebten.
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Peter Jungk

Verloren in Hellas Band 1

Verschlungene Wege Roman

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© 2012 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2012 Umschlaggestaltung: Bernd Stegmann Printed in Germany ISBN 978-3-86254-647-3 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn der Autor geschaffen hat, und spiegelt dessen originale Ausdruckskraft und Fantasie wider.

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...Vor des Herakles Geburt hatte Zeus im Rate der Götter erklärt, der erste Perseusenkel, welcher geboren werden würde, sollte der Beherrscher aller übrigen Nachkommen des Perseus werden. Diese Ehre war seinem und Alkmenes Sohne zugedacht. Aber Heras Hinterlist, welche dieses Glück dem Sohne der Nebenbuhlerin nicht gönnte, kam ihm zuvor und ließ den Eurystheus, der auch ein Enkel des Perseus war, obwohl er später zur Welt kommen sollte, früher geboren werden. Dadurch war Eurystheus König zu Mykene im Argiverlande und der später geborene Herakles ihm unterworfen. Jener sah mit Besorgnis den steigenden Ruhm seines jungen Verwandten und berief ihn, als seinen Untertan zu sich, um ihm verschiedene Arbeiten aufzutragen. Da Herakles nicht gehorchte, so ließ Zeus selbst, der seinem Ratschluss nicht zuwiderhandeln wollte, seinem Sohne befehlen, dem Argiverkönig seine Dienste zu widmen. Aber der Halbgott entschloss sich ungern, der Diener eines Sterblichen zu sein; er ging nach Delphi und befragte das Orakel darüber. Dieses gab ihm zur Antwort: Die von Euryst4

heus erschlichene Oberherrschaft sei von den Göttern dahin gemildert, dass Herakles zehn Arbeiten, welche jener ihm auflegen würde, zu vollbringen habe. Wenn solches geschehen, sollte er der Unsterblichkeit teilhaftig werden ... Gustav Schwab: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums. Aus der Heraklessage

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Zeitpfade Die Wand aus zerklüfteten schartigen Steinklötzen wuchs, wurde gigantisch, fraß die ganze Umgebung. Das tiefe Blau des Himmels mit dem aufwirbelnden Dunst, den Rest Grün weit unten im Tal. Herman sah für einen winzigen Moment Details in dem behauenen Felsen. Kleine Kristalle spielten mit dem scharfen Licht der Sonne. Wie die feinen Nadeln aus Ammoniak, die im Abgrundleuchten des Iupiter sich zu den fliegenden Schläuchen verwebten. Seltsame Wesen, deren Götter die Astronauten sind. Glitzernde Juwelen wie der blaue Stein, der in die Abgründe der Zeit stürzt, seine Wiederkehr vergisst und sogar Menschen unter Menschen zu Göttern macht ... Was für ein Stein? Was für Tiefen? Plötzlich war es dunkel. Bis in der Magnetbahn die Beleuchtung erwachte. Die Geschwindigkeit des Zuges vermischte ihr Licht mit dem Dunkel der Tunnelwände zu einem flackernden Schattenspiel. Irgendwo hier mussten die Trassenbauer den Archäologen weichen und den Physikern, die sich die Gravitationsanomalie nicht erklären 6

konnten. Rings um einen Hohlraum aus frühgeschichtlicher Zeit, den alle für eine Grabstätte hielten. Ein Skelett hatte indes niemand gefunden. Nur undefinierbare Holzgegenstände, an denen man die Zeit ihrer Herstellung bestimmen konnte. Eine Grabstätte ohne einen Toten. Wenn es hier jemanden gab, dann ist er schon damals verschwunden. Spiegelwelt. Da sah Herman eine Nase, die viel zu groß war für ein normales Gesicht. Sie begann schon auf der Stirn und verdarb, schief, wie sie war, alle Symmetrie. Die Augen waren groß und aus dem Gesichtsprofil hervortretend. Das seltene Bild eines Nasenfroschs. Irgendwie hypertrophiert das alles. Lurch Herman. Liebt zu sehr das Wasser. Das Meer. Die Zeit und ihre Wogen, ihre Abgründe ... Spinner! Er streckte seinem aufdringlichen Spiegelbild die Zunge heraus. Fantasierst wieder einmal und weißt nicht warum. Wieder nicht. Seine Hände spielten mit dem Stoff seines Overalls und drehten kleine Warzen hinein. Glatt 7

fügte sich das Gewebe dem Zugriff. Wollte zerrissen werden und Wunden bedecken. Warum? Ein unbestimmtes Grauen kroch in ihm auf. Warum denke ich immer an Blut, wenn ich Stoff sehe? Das Gewebe blieb trotz aller Verformungen stabil, folgte nur für den Moment den Fingern, die es deformierten. Herman dachte daran, wie er als kleiner Junge in solchen Momenten fremdartiger Wahrnehmungen seine Hemden zerfetzte. In kleine Streifen. Warum nur? Er versuchte, die Warzen herauszustreichen. Es blieben ein paar Sekunden lang kleine Pyramiden. Unbedeutend auf dem metallic schimmernden Muskelberg. Unbedeutend, aber fordernd nach einer Erinnerung, die nicht abrufbar war. Er war geboren auf dem Mars, der jungfräulich grünte nach abgeschlossenem Terraforming. Durch die geringe Schwerkraft war in Hermans Genen das Programm zum Riesenwuchs. Das harte körperliche Training auf der Erde ermöglichte ihm das Leben auch auf Welten mit größe8

rer Schwerkraft. So wurde er zum Planetenerkunder aus der ersten Reihe. Praktiker mit enorm viel Bizeps. Und wenig Zugriff zu dem, was allgemeine Bildung ausmacht? Zum Wissen, zur Universalinformation? Warum geht nicht beides?Warum denkst du ausgerechnet jetzt daran? Weißt du eigentlich noch, wo du hinfährst? Und ob er das wusste! Ihm wurde heiß. Diane! Ihr Ruf war ihr vorausgeeilt, bevor sie die Fernerkunder besuchte. Randan-Preisträgerin der höchsten Stufe! Sie hatte schließlich den Feldgenerator erfunden! Und eine Frau, die ... Es war erst vor wenigen Tagen! Wenige Tage? War es wirklich so kurz? Oder beginnt auf diese Weise etwas, das man Ewigkeit nennt? Abgekoppelt von dem, was als Zeit messbar ist? Es war im Odeon der Orbitalstation. Da sah er sie zum ersten Mal. Niemand hatte ihm gesagt, dass sie es ist, doch er wusste es sofort. Sie saß nicht auf ihrem Sessel. Sie hatte offenbar völlig vergessen, dass es so etwas wie Sitzgelegenheiten gab. Da stand sie nun.

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Zart und zerbrechlich ihr feingliedriger Körper, eine schwarze Wolke ihre Haare, die ein kleines Gesicht mit großen braunen Augen umrahmten. Versunken im Meer der Töne sah sie auf die Spieler des Klangkörpers, der ein Violinkonzert aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert aufführte. Mit Instrumenten, wie sie damals üblich waren. Aus dem Spiel des Soloinstrumentes sprach eine Sehnsucht, die schon fast wehtat, und das Orchester nahm das Thema auf mit behutsamer Antwort. Dieser Dialog steigerte sich, schwang sich auf zu einem erlösenden Zwischenspiel, um sich schließlich doch wieder in lyrischer Verträumtheit zu verlieren. Diane war wie diese Musik. So rührend schön, dass man kämpfen musste, um nicht zu weinen. Das tat sie selbst. Ihre Wangen waren feucht, die Augen schwammen. Wie dann in Hermans Armen ... Sie weint bei jeder Gelegenheit. Wenn sie sich freut, wenn sie lacht, wenn sie wütend ist. Temperament hat sie, aber sie kann es zügeln, wenn es nötig ist! Sie ist stark! Viel stärker als ich! Und sie geht um mit dem, 10

was sie aus den Tiefen der Universalinformation zutage fördert, dass man sich daneben vorkommt wie ein vollendeter Idiot. Herman lehnte sich zurück. Das Froschgesicht schrumpfte und zog sich auf einen athletischen Körper zurück, zu dem es eigentlich gar nicht passte. Ausgerechnet von Diane, von seiner Diane, stammte dieser geschmacklose Vorschlag, die Geometrie seines Gesichtes zurechtrücken zu lassen! Schönheitsoperation! Der Glaube an sich selbst hängt am Zweifel und am Unsymmetrischen. Schönheit ist jenseits von Gut und Böse. Kein Blick könnte sich mehr festhalten an diesem Riechknorpel. Diane war sich der Wirkung dieses Vorschlages nicht bewusst. Er entsprach vielmehr ihrem Ordnungssinn und war nicht persönlich gemeint. Wahrscheinlich wäre sie, erfüllte er ihren Wunsch, genauso entsetzt wie er. Quaken aus einem Bilderbuchgesicht! Dem Storch würde der Appetit vergehen. Storch Diane! Ja! Es gibt keinen Weg an ihr vorbei und keinen von ihr weg. Doch wie der Frosch nicht zum Athleten passt, so we-

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nig findet der Storch in dieser schönen Frau seine Entsprechung. Das ist es! Es gibt einfach keinen Fehler an ihr! Jedes Wort durchdacht, gefeilt mit Werkzeug, das er nicht zur Verfügung hatte. Aus einer verschlossenen Kiste kann man eben nichts entnehmen. Herman hatte sich schon als fünfjähriger Junge fürs Praktische entschieden und so auf den tiefen Zugriff zur Universalinformation verzichtet. Aus Angst vor diesen Abgründen. Dort lauerte etwas Vergessenes, das in seinen Träumen wie ein dunkler Schatten nach ihm griff. Herman konnte seine Hände nicht stillhalten. Immer wieder berührten sie den Stoff des Overalls, zipfelten daran und strichen glatt. Sie berührten etwas unter der Haut, das sich wie ein Knochen anfühlte. Wieder wurde ihm heiß, und er musste zurückdenken an den Ausgangspunkt seiner Reise: die Forschungsstation in der lebendigen Wolkenwelt des Iupiter. Der Generator! Alles war damit möglich! Wirklich alles? Und Tina, und Harry? Ihn hatte er zum Iglu geschleift. 12

Nicht wissend, dass er schon tot war. Mit dem Feld hätte er ihn bequem tragen können. Für Tina war alles zu spät gewesen. Mit dem zerstörten Graviplan war sie in den Ozean glühenden Luftsirups gefallen. Sie hatte nichts mehr davon gemerkt, als der Iupiter sie verschluckte. Herman sah wieder sein Spiegelbild. Waren da nicht glänzende Tropfen auf seiner Stirn? Vielleicht hätte ich auf Ganymed zwei bleiben sollen? Doch ich fliege nach Nova Tuby! Urlaub machen! Auf die Berge und dann wieder runter und jauchzen ob der Verbesserung des inneren Gleichgewichts. Und im Iglu will niemand mehr einen Auftrag übernehmen! Wegen des individuellen Feldes! Wegen des Generators, den sich jeder der Planetenerkunder auf Anraten der Raumfahrtzentrale hatte implantieren lassen! Wegen der Sicherheit. Nicht unbedingt wegen Diane, die das Prinzip entwickelt hatte! ...Ja, Diane, alle wollen sich operieren lassen! Ihn loswerden, diesen Klotz in der Brust! Sie haben Angst, entsetzliche Angst vor sich selbst! Sie fühlen sich durch das Ding, das sie schützen soll vor Gefahren,

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über alle Maßen bedroht! Es ist die gleiche Art von Angst, die entstünde, könnte jemand Gedanken lesen! Kannst du inzwischen Gedanken lesen, Diane? Dass nichts unmöglich ist, das begreife ich schon. Aber doch nicht alles auf einmal! Warum gibt es eigentlich immer nur Probleme? Harry lebt nicht mehr! Ist es meine Schuld? Sicher! Es ist auch meine Schuld. Ich habe die fliegenden Schläuche verrückt gemacht! Wollte die Eisburgen sehen, die sie errichtet hatten. Ich weiß, nicht warum, aber ich glaube, sie haben es uns zur Ehre getan. Sie hatten Harrys Graviplan überschüttet mit einer riesigen Menge Ammoniakeis. Gerade in dem Moment, als das Feld nicht aktiv war. Das Kabinendach war eingebrochen. Sie konnten nicht wissen, was sie anrichteten in ihrem Eifer, aber ich! Warum glaubst du mir das nicht, Diane? Dir war es sogar gelungen, mir meine Schuld auszureden! Sonst wäre ich jetzt nicht auf dem Wege nach Nova Tuby. Was ist das nun? Frostige Logik in warmer Verpackung? Besser wäre es doch umgekehrt! Dann wäre wenigstens ein Grund zum Fliehen da, zum Fliehen vor dir. Warum eigentlich fliehen? Ich bin doch noch gar nicht 14

bei dir! Du rufst „heureka!“ und ich komme! Gibt es eine Wahl? Nach einer solchen Zeit mit dir! Unmöglich, etwas vor dir zu verbergen, unmöglich, nicht zu dir zu gehen. Du bist ein Genie! Und das Schönste noch dazu! Ich frage mich, warum du dir diesen Weg gemacht hast, wo du doch von ganz anderem sprachst, was zu tun ist und dass du ein paar Tage zu deiner Mutter nach Ätolien wolltest, ins Elysium, wie du ihr Anwesen nennst. Stattdessen erwartest du mich in Nova Tuby. Warum nicht in Ätolien? Wir beide wären in deinem Paradies, und ich hätte Alina auch einmal kennengelernt. Sie muss eine bemerkenswerte Frau sein! Bemerkenswert und geheimnisvoll wie du ... Womit willst du mich überraschen? Es ist nicht nur das schnelle Wiedersehen, zu dem es nun keine Alternativen mehr gibt! Du hast noch was auf Lager! Doch dann, als wir uns zum Abschied umarmten ... Du warst so angespannt. So sehr, dass es mir Angst machte, dich gehen zu lassen. Er vermochte sich nicht von seinem Spiegelbild zu trennen. Wehrte sich vergebens gegen diese Art von Beobachtung, hoffte, der Spuk würde verschwinden, die Bahn aus dem Tunnel tauchen.

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