Unterschiede in der Vorbildnennung österreichischer männlicher Ju

tritt ein „relevantes Ereignis“ innerhalb der Entwicklung eines Kindes (vgl. Baur, 1989, S. ... dessen Karriere ist inzwischen allgemein bekannt. Angesichts der ...
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Ingrid Ritzinger

Die Vorbildwirkung auf den Sportvereinseintritt von Kindern Unterschiede in der Vorbildnennung österreichischer männlicher Jugendlicher im Alpin-Skifahren und Fußball

disserta Verlag

Ritzinger, Ingrid: Die Vorbildwirkung auf den Sportvereinseintritt von Kindern: Unterschiede in der Vorbildnennung österreichischer männlicher Jugendlicher im Alpin-Skifahren und Fußball. Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95935-052-5 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95935-053-2 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 Covermotiv: pixabay.com   

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Vorwort und Danksagung Ich bin seit vielen Jahren aktiv im Leistungs- und Breitensport tätig. Nachdem mir jedoch in meinen Sportarten immer ein richtiges Vorbild fehlte, was vielleicht mit der Tatsache zusammenhängt, dass beide Vereinssportarten, sowohl Kunstturnen als auch Voltigieren, die ich bereits als kleines Mädchen ausführte, keine Mediensportarten sind und meine Vorbilder der Nähe diese Sportarten nie ausübten, konnte ich es nicht verstehen, wie es möglich ist, sich als sehr kleiner Fußballspieler mehrere Stunden am Tag mit dem Trikot eines großen „Idols“ zu schmücken. Außerdem war ich fasziniert davon, wie euphorisch die Kinder, mit denen ich mich in meinen Jugendjahren umgab, von ihren Idolen reden konnten, es schien, als würden sie sich vollständig mit ihrem Star identifizieren wollen. Diesem für mich damals unerklärlichen Umstand möchte ich in dieser Studie etwas näher kommen. Zusätzlich war es mir wichtig, die Auswirkungen des „Vorbild-Besitzes“ auf den Sportvereinseintritt zu untersuchen. Nachdem mein Buchthema von meinem Betreuer Dr. Günter Amesberger angenommen wurde, kam von Dr. Sabine Würth, welche die Studie unterstützend betreute, der Vorschlag, eine quantitative Untersuchung innerhalb zweier geschichtlich verankerten, jedoch unterschiedlichen Sportarten in Österreich durchzuführen. Ich möchte mich an dieser Stelle sowohl bei Dr. Amesberger für die offizielle Betreuung der Studie als auch bei Dr. Würth bedanken, die mir wichtige Anregungen und Ideen zu meinem Buch lieferte. Außerdem gilt mein Dank den vielen befragten Sportlern, deren Eltern und natürlich den zahlreichen Trainern und Obmännern. Ohne diese Personen wäre mein Buch nicht machbar gewesen. Durch deren Weiterleitungen bzw. Beantwortung der Fragebögen wurde meine Stichprobe groß genug, um in weiterer Folge statistische Auswertungen vorzunehmen. Viele Sportler und deren Eltern waren ohne Umstände bereit, mich bei meinem Buch zu unterstützen. Außerdem bedanke ich mich bei Patrick Knebl für Anregungen hinsichtlich statistischer Analyseverfahren. Ich möchte auch meiner ganzen Familie danken, insbesondere meinem Vater und meiner Mutter. Ohne die Unterstützungen meiner Familie wären mein Studium und die vorliegende Buch nicht möglich gewesen. Meine Familie spielt eine besondere Rolle, da ich ohne sie nie den Zugang zum Sport und in weiterer Folge die Möglichkeit zu studieren gehabt hätte. Es ist mir an dieser Stelle sehr wichtig, meine Eltern, Prof. Mag. Alfred Zeilinger und OStR Annegret Ritzinger, zu nennen. Sie waren jederzeit bereit, mir bei Problemen und Sorgen weiterzuhelfen. Ohne meine Eltern hätte mir der Bezug und folglich das Interesse am Sport und an diesem Buch gefehlt. Abschließend soll hier vermerkt werden, dass in der vorliegenden Untersuchung einige Begrifflichkeiten wie beispielsweise „Jugendliche“ für beide Geschlechter benützt werden. Da die untersuchte Stichprobe nur aus männlichen Sportlern besteht, sind aber die Endungen großteils auch auf das männliche Geschlecht bezogen. Außerdem werden Bezeichnungen wie „Skifahren“, „Skilauf“ etc. für das „Alpine Skifahren“ verwendet.

Für meine liebe Familie

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung.............................................................................................................................. 9 2. Theorie ............................................................................................................................... 10 2.1 Zentrale Tendenzen des heutigen Aufwachsens in Österreich .................................... 10 2.2 Sozialisationstheorie..................................................................................................... 12 2.3 Entwicklungsphasen vor dem Erwachsenenalter ......................................................... 14 2.4 Der Begriff des Handelns ............................................................................................. 16 2.5 Das Vorbild ................................................................................................................... 17 2.6 Studien zum Thema Vorbild ......................................................................................... 18 2.7 Zusammenhang zwischen Vorbildnennung und konkretem Handlungsanreiz ............. 22 2.8 Studien zu den Handlungsanreizen eines Vorbilds ...................................................... 23 2.9 Gründe für den Sportvereinseintritt von Jugendlichen ................................................. 23 2.10 Skisport in Österreich ................................................................................................. 26 2.10.1 Geschichte des Skilaufs in Österreich ................................................................. 26 2.10.2 Die „Skifahrernation“ Österreich .......................................................................... 27 2.10.3 Mediensport Skifahren......................................................................................... 28 2.11 Fußballsport in Österreich .......................................................................................... 28 2.11.1 Geschichte des Fußballsports in Österreich........................................................ 28 2.11.2 Fußball als Sport der Unterschicht ...................................................................... 29 2.11.3 Mediensport Fußball ............................................................................................ 29 2.11.4 Fußball im Verein ................................................................................................ 30 2.12 Vergleich beider Sportarten ........................................................................................ 31 2.13 Nationale Sporthelden ................................................................................................ 35 2.14 Nationale Sporthelden - Fußball und Skifahren .......................................................... 36 2.15 Forschungsdefizit .......................................................................................................37 3. Hypothesen ........................................................................................................................ 38 4. Untersuchungsablauf ......................................................................................................... 39 4.1 Untersuchungsdesign ................................................................................................... 39 4.1.1 Grundgesamtheit und Stichprobe .......................................................................... 39 4.1.2 Untersuchungsziel ................................................................................................. 40

4.1.3 Entwicklung des Fragebogens .............................................................................. 40 4.1.4 Der Online-Fragebogen ......................................................................................... 42 4.1.5 Allgemeine Problematik der Untersuchung ........................................................... 43 4.1.6 Spezielle Problematik der Untersuchung .............................................................. 44 4.2 Datenerhebung ............................................................................................................. 44 4.2.1 Untersuchungszeitraum......................................................................................... 45 4.2.2 Repräsentativität der Stichprobe ........................................................................... 45 5. Operationalisierung ............................................................................................................ 46 5.1 Gewinnung des Datensatzes........................................................................................ 46 5.2 Operationalisierung & statistische Auswerteverfahren / Hypothesenprüfung............... 46 5.3 Operationalisierung & statistische Auswerteverfahren weiterer Ergebnisse des Fragebogens / Deskriptiver Überblick allgemeine Unterschiede ........................................ 49 5.4 Operationalisierung & statistische Auswerteverfahren weiterer Ergebnisse des Fragebogens / Beschreibung der Stichprobe ..................................................................... 50 6. Ergebnisse ......................................................................................................................... 52 6.1 Ergebnisse der Unterschiedshypothesen ..................................................................... 52 6.2 Weitere Ergebnisse des Fragebogens ......................................................................... 62 6.2.1 Deskriptiver Überblick über den allgemeinen Unterschied zwischen den Sportarten hinsichtlich ihrer Vorbilder............................................................................. 62 6.2.2 Beschreibung der Stichprobe ................................................................................ 69 7. Diskussion .......................................................................................................................... 77 8. Zusammenfassung und Ausblick ....................................................................................... 84 9. Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 86 10. Abbildungsverzeichnis...................................................................................................... 91 Fragebogen ............................................................................................................................ 93 Anhang ................................................................................................................................. 103

1. Einleitung Etwa ein Drittel aller Sieben- bis Neunjährigen ist Mitglied eines Sportvereins. Nach einer Untersuchung von Sack (1980; zit. n. Baur, 1989, S. 151) haben sich von den Zehn- bis Zwölfjährigen sogar 53.9 % einem Sportverein angeschlossen, bei den 13- bis 15-Jährigen sind es bereits 59.9 %. Diese Zahlen von Deutschland können mit großer Wahrscheinlichkeit auf Österreich übertragen werden. Wenn man bedenkt, dass im Durchschnitt – mit erheblichen Streuungen – zwei bis drei Stunden wöchentlich trainiert wird, so ist sicherlich der Vereinseintritt ein „relevantes Ereignis“ innerhalb der Entwicklung eines Kindes (vgl. Baur, 1989, S. 110). Dazu kommt noch, dass die Teilnahme am Vereinssport schon in frühem Alter auf den Leistungssport ausgerichtet ist und die Übungsstunden als „Unterricht“ organisiert sind, die die erfolgreiche Teilnahme an Wettkämpfen zum Ziel haben. Da der Eintritt in einen Sportverein häufig – für Kind und Eltern – mit großem zeitlichen, organisatorischen und finanziellen Aufwand verbunden ist, stellt sich nun die Frage, welche Motive und Anreize vom Kind/Jugendlichen selbst angeführt werden, sich einem Sportverein angeschlossen zu haben. Im Mittelpunkt der Untersuchung soll näher dargestellt werden, welchen Anreiz dabei ein Vorbild bietet. Dass sportliche Erfolge zu verstärkter Akzeptanz einer Sportart führen können, ist seit dem „Becker-Effekt“ in Deutschland und dem „Muster-Effekt“ in Österreich bekannt. Im Jahre 1997, zwei Jahre, nachdem Thomas Muster zum „Sportler des Jahres“ gewählt und für Kinder zwischen sechs und 15 Jahren das bedeutendste Sportidol wurde, erreichte die Mitgliederanzahl in österreichischen Tennisvereinen die Rekordzahl von 204.382 Mitgliedern, wobei dieser Boom nicht nur mit der Vorbildwirkung Musters zu erklären ist, sondern die Entwicklung des österreichischen Tennissports und der „Mustereffekt“ sich gegenseitig bedingten (vgl. Norden, 2007, S. 277). Diese Erscheinung der Vorbildwirkung lässt vermuten, dass auch in den beiden Nationalsportarten Fußball und Skifahren ähnliche Beeinflussungen zu beobachten sind. Junge Fußballspieler z. B. weisen häufig durch bestimmte Kleidung für alle sichtbar auf den Namen ihres Vorbilds hin. Großteils geschieht die Arbeit eines Vorbilds jedoch im Verborgenen und gerät nur dann an die Öffentlichkeit, wenn der Sportler selbst berühmt wird. So ist es David Alabas Vater gewesen, der den Zehnjährigen zum Wechseln von einem provinziellen Verein in die Kooperationsschule des FK Austria Wien in Favoriten veranlasst hat. Der große Einfluss von Hirschers Vater auf dessen Karriere ist inzwischen allgemein bekannt. Angesichts der Tatsache aber, dass nur ein winziger Bruchteil der Sportler den Sprung in die Medien schafft, bleiben solche Vorbildwirkungen unbekannt, sind aber dennoch von großem öffentlichen Interesse, denn das staatliche Ziel „Bewegte Schule“ setzt für die Verantwortlichen solcher Aktionen voraus, über die Anreize der Kinder, Sport zu treiben, genauer als bisher Bescheid zu wissen. 9

2. Theorie Im folgenden Kapitel wird die für das vorliegende Thema wichtige Literatur behandelt. Zunächst werden Tendenzen des heutigen Aufwachsens und Sporttreibens in Österreich, Sozialisationstheorie und Entwicklungsphasen vor dem Erwachsenenalter skizziert. Es folgt die Erklärung der theoretischen Grundlagen und Forschungsergebnisse der für die vorliegende Thematik wesentlichen Begriffe „Handeln“ und „Vorbild“. Anschließend werden diese Begriffe miteinander in Beziehung gebracht. Als nächster Punkt der Theorie werden die historische Verankerung und der Stellenwert der Sportarten Fußball und Skifahren dargestellt, die anschließend miteinander verglichen werden. Die abschließenden Kapitel der Theorie behandeln nationale Sporthelden in Österreich allgemein und die Sporthelden der Sportarten Fußball und Skifahren im Speziellen. Aus dem dargestellten Forschungsstand wird schließlich das Forschungsdefizit formuliert.

2.1 Zentrale Tendenzen des heutigen Aufwachsens in Österreich Die oben erwähnte Tendenz, dass sich nämlich der Sportvereinseintritt auf die Jahre der Schulkindheit vorverlagert hat, hat unter der Bezeichnung „Versportung“ in der Literatur Eingang gefunden. Man versteht darunter die Tatsache, dass sich der Vereinssport nicht mehr den informellen und unkontrollierten Spiel- und Bewegungspraxen von Kindern nachfolgend anschließt, sondern dass der Vereinssport diese Phase ersetzt. Der Sport im Verein habe historisch „viele Elemente von zuvor nicht sportbezogener (lokaler und nachbarschaftsbezogener) Kinderkultur aufgesogen und ersetze Teile des Kinderstraßenalltags“ (vgl. Büchner (1990; zit. n. Rose, 1995)). Der Hauptgrund für diese Entwicklung liegt einmal in der verkehrstechnischen Entwicklung der Städte, zum anderen im Rückgang der Kinderzahl. Dass sich diese Bevölkerungsentwicklung auch auf die Mitgliedszahlen der Sportvereine, was die Kinder betrifft, auswirkt, ist einsichtig. So war es z. B. bei vorliegender Erhebung im Bereich Skifahren kaum möglich, genügend Probanden der betreffenden Altersstufe zu finden, pro Skiclub gab es etwa nur einen Probanden. Die „Versportung“ kann also den Mitgliederschwund nicht ausgleichen, genaue, speziell auch altersbezogene Mitgliederzahlen waren leider von keinem der befragten Vereine erhältlich. Es ist hier darauf hinzuweisen, dass sogar der 6. Bericht zur Lage der österreichischen Jugend bezüglich der Vereinszugehörigkeitszahlen mit deutschen Zahlen arbeitet. Es gibt auch Veränderungen in der Familienstruktur. Die traditionelle Kernfamilie mit Vater, Mutter und Geschwistern als stabilem Beziehungsrahmen ist heutzutage nicht mehr überall vorhanden. Es treten neue „Familien“-Konstellationen auf. Beispielsweise ist die Zahl der Ein-Eltern-Familien gestiegen, die Zahl der Scheidungen steigt tendenziell, Kinder werden zu „Scheidungswaisen“ und wachsen dann teilweise in Familien mit einem Stiefelternanteil auf (vgl. Rose, 1995, S. 15 f.). Das

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Aufwachsen mit Geschwistern wird heute seltener, das weitere Verwandtschaftsnetz verkleinert sich, die Konzentration von familienbezogenen Primärbeziehungen (bspw. Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins) reduziert sich und die Bedeutung nicht-familiärer Beziehungen (bspw. Freunde, Betreuungspersonen wie Tagesmutter, Kinderfrau etc.) nimmt zu. Eine weitere Veränderung liegt in der Zunahme der mütterlichen Erwerbstätigkeit, durch die ein neuer Betreuungsbedarf von Kindern entsteht.

Abbildung 1: Bevölkerungspyramide für die Jahre 2011, 2030 und 2060 (Quelle: Statistik Austria, 2013)

Der verfrühte Vereinseintritt kann auch als Folge eben erwähnter Veränderungen gesehen werden. Hand in Hand mit dem verfrühten Vereinseintritt geht eine Spezialisierung auf bestimmte Sportarten einher. Überwiegt im Vorschulalter noch die „sportartenunspezifisch“ angelegte Turnstunde, so dominieren nach dem Schuleintritt schon spezielle Sportarten, bei den Jungen meist der Fußball (vgl. Rose, 1995, S. 32). Gleichzeitig hat sich das Wettkampfsystem immer jüngeren Altersgruppen geöffnet. Die Gesellschaft hat offensichtlich das „sportive Körperkapital“ von Kindern entdeckt. Es wird von den Vereinen erwartet, dass der kindliche Körper so professionell, effektiv und spezialisiert geschult wird, dass sich ein Kinderhochleistungssport entwickelt, auf dem sich eine spätere Karriere aufbaut (vgl. Zinnecker, 1990). Hauptgrund ist die Kommerzialisierung und Kapitalisierung aller Lebensbereiche, vor allem auch des Sportes. Auf der anderen Seite klagen viele Übungsleiter über das Problem der „Rosinenkindergeneration“. Gemeint ist damit die Tatsache, dass Kinder nur mehr das Angenehme wollen - die 11

Rosinen. Bei unangenehmen Erlebnissen steigen sie sofort aus, wechseln in eine andere Sportart oder in einen anderen Verein (vgl. Rose, 1995, S. 10). Geht es bei Vorherigem darum, gewisse Entwicklungen – früher Sportvereinseintritt, frühe Spezialisierung, hohe Fluktuation usw. – zu interpretieren und Theorien zu bilden, sollen in der vorliegenden Untersuchung die betroffenen Jugendlichen selbst nach ihren Gründen und Anreizen, in einen spezialisierten Sportverein einzutreten, befragt werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung soll die Frage stehen, welche Rolle der Anreiz eines Vorbilds spielt. Da das, was ein Kind als eigene Meinung äußert, vielfältigen Einflüssen unterliegt, müssen zunächst Grundlagen dieser Einflüsse untersucht werden.

2.2 Sozialisationstheorie Bereits vor einem Sportvereinseintritt, so früh er auch sein mag, befindet sich das Kind in einem sozialen Eingliederungsprozess, der in der Wissenschaft unter dem Namen „Sozialisation“ bekannt ist. Es gibt eine Vielzahl von Sozialisationstheorien, deren Darstellung den Rahmen der Untersuchung sprengen würde. Die folgende Darstellung stützt sich in wesentlichen Grundzügen auf die von Heinemann (1998) entwickelte. Allgemein versteht man unter Sozialisation einen sozialen Prozess, durch den Mitglieder einer Gesellschaft oder einzelner gesellschaftlicher Daseinsbereiche in die Lage versetzt werden, in moralisch, sozial-normativ und symbolisch strukturierten Handlungssituationen angemessen zu interagieren. Gleichzeitig ist aber Sozialisation Aufbau eines eigenen Ichs. Die „Ich-Identität“, der Aufbau einer eigenen Identität, bleibt trotz normativer Zwänge und Erwartungen gewahrt (vgl. Heinemann, 1998, S. 157). Auf den Sport bezogen unterscheidet Heinemann (1998) sechs Etappen (siehe Abbildung 2). Die für die vorliegende Studie wichtige Etappe ist die Phase „Art und Grund der Einbindung in den Sport“. Hier werden die Wahl der Sportart und die Entscheidungen über den Grad der Einbindung in den Sport, wie beispielsweise angestrebtes Leistungsniveau, getroffen. Es spielen hierbei Gelegenheiten, eine bestimmte Sportart ausüben zu können, Alternativen der Freizeitgestaltung, Belastungen im Beruf oder Karriereplanungen sowie signifikante Andere jene Personen, die einen starken Einfluss auf Wertorientierungen, Einstellungen und Verhaltensmuster besitzen - eine Rolle (vgl. Heinemann, 1998, S. 159). Die Phasen vor der Einbindung in den Sport sind die der „Vorsozialisation“ oder „Vorgängige Sozialisation“ und die der „Sozialisation in den Sport“. Wie weit diese Zuwendung zum Sport geschieht, hängt von Einflüssen der Sozialisationsagenten wie Eltern, Peer-group etc. ab. In der Phase der „Sozialisation in den Sport“ wird gefragt, welche Impulse dazu führen, dass der Einzelne tatsächlich Sport treibt (vgl. Heinemann, 1998, S. 157 f.).

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Nach Geulen (2002; zit. n. Heinemann, 1998) dokumentieren zahlreiche Studien, dass und wie stark gesellschaftliche Instanzen während der Ontogenese von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter die Persönlichkeitsentwicklung in zentralen Aspekten wie Motivation, Moral, Sprache oder Kognition bestimmen. Die Prozesse an der Subjekt-UmweltSchnittstelle werden als Interaktion begriffen. Die zugrundeliegende These ist hierbei die Beziehung der sozialen Wirklichkeit zu einem konstruktiv tätigen Subjekt. Hier gehen sowohl die traditionellen Annahmen einer Übernahme von Normen als auch die Weiterentwicklung dieser Normen durch das Subjekt ein. Laut Rheingold (1969; zit. n. Heinemann, 1998) sozialisieren demnach nicht nur Eltern ihre Kinder, sondern auch die Kinder die Personen ihrer Umwelt. Dieses interaktionistisch-konstruktivistische Sozialisationsmodell stellt das menschliche Subjekt in einen sozialen und ökologischen Kontext, der auf das Subjekt einwirkt, aber zugleich auch durch das Individuum beeinflusst, verändert und gestaltet wird (vgl. Hurrelmann (2002; zit. n. Heinemann, 1998)). Das oben genannte Modell beinhaltet somit sowohl das Konstrukt der Selbstsozialisation als auch das Konstrukt der Fremdsozialisation. Beide werden als Kontinuum begriffen, dessen Endpunkte nur als Konstrukte existieren, weil es weder reine Selbst - noch reine Fremdsozialisation gibt (vgl. Fuhrer, 2009, S. 44).

Abbildung 2: Phasen und Einflussfaktoren im Kontext von Sport und Sozialisation (Quelle: Heinemann 1998, S. 158)

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2.3 Entwicklungsphasen vor dem Erwachsenenalter In welchem Alter beginnt nun diese Sozialisation in den Sport? Es gibt verschiedene Ansätze, die Phasen vor dem Erwachsenenalter zu beschreiben. Allgemein unterscheidet man zwischen der Kindheit und dem Jugendalter, wobei als grobe - biologische Grenzlinie die ersten Anzeichen der Pubertät (13 Jahre) genommen wird. Da jedoch im Laufe der Jahrhunderte eine deutliche Tendenz zur Akzeleration zu beobachten ist, geht man gegenwärtig von folgender Periodisierung aus:

Abbildung 3: Das Jugendalter, in Anlehnung an Oerter & Dreher 1998 (Quelle: Würth, 2011, S. 15)

Auch für die vorherliegende Periode, für die Kindheit, gibt es unterschiedliche Strukturierungsmöglichkeiten, für die vorliegende Studie wird die Einteilung in Säuglingsalter, Kleinkindalter, Vorschulalter und mittlere Kindheit zugrunde gelegt (vgl. Baur, 1989, S. 240).

Baur beobachtet für das Kleinkindalter den „Aufbau eines elementaren Bewegungsrepertoires“, für das Vorschulalter die Erweiterung desselben: In dieser Phase werden neben dem familiären Handlungsraum neue Handlungsfelder erschlossen. Das Kind ist hier von der Unterstützung seiner primären Sozialpartner unabhängiger und „autonomer“ geworden und kann seinen Handlungsraum erweitern. Viele Kinder kommen nun in den Kindergarten und etwa 10 % aller Kinder in diesem Altersbereich werden laut DSB (1988) schon in einen Sportverein gebracht. Die nähere Wohnumgebung, in der sich die Kinder mit Gleichaltrigen der Nachbarschaft in diesem Alter aufhalten, ist meist die Grenze des erlaubten Handlungsraumes (vgl. Engelbert (1982; zit. n. Baur, 1989)).

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Die Kinder erlernen, zum Teil durch Anregung und mit Unterstützung der Eltern und älteren Geschwister, vor allem im Umgang mit den gleichaltrigen Kindern aus der Nachbarschaft, eine Vielzahl neuer Bewegungsfertigkeiten. Einige erlernen bereits das Skifahren (vgl. Baur, 1989, S. 259–260).

Mittlere Kindheit – Der Aufbau eines sportbezogenen Bewegungsrepertoires: Die Altersspanne der „mittleren Kindheit“ umfasst den Altersbereich zwischen dem sechsten/siebten und dem elften bis 15. Lebensjahr. Hier setzen sich die Kinder schon mehr von ihren Eltern ab, um sich Gleichaltrigen zuzuwenden. Die Grenzen des Handlungsraums werden in die weitere Wohnumgebung hinein ausgedehnt (vgl. Baur (1989; zit. n. Baacke, 1984)). Kinder kommen nun in neue Handlungsfelder, wie die Schule und teilweise auch in einen Sportverein. Sie werden dort von den bisher vertrauten Sozialpartnern getrennt und mit anderen Personen zusammengeführt. Mitgliederstatistiken dokumentieren gerade für die Sieben- bis Zwölfjährigen einen sprunghaften Mitgliederanstieg im Sportverein, etwa die Hälfte aller Kinder dürfte in dieser Altersspanne irgendwann einmal für kürzere oder längere Zeit einem Sportverein angehören. Hier lassen sich die Kinder auf neue Aufgaben ein und sie entwickeln Beziehungen zu neuen Sozialpartnern. Das Kind muss außerdem lernen, sein Handeln an den sozialen Regeln, Normen und Definitionen der verschiedenen sozialen Handlungszusammenhänge auszurichten. In die Bewegungsaktivitäten werden zunehmend Elemente aus den verschiedenen Sportarten, inklusive Fußball im Sommer und Skifahren im Winter, aufgenommen. Spätestens in diesem Altersbereich kommen die Kinder mit dem Sport in Kontakt (vgl. Baur (1989; zit. n. Holzapfel, 1982)). In dieser Phase beginnen sich die Regelungen des institutionalisierten Sports durchzusetzen. Zusätzlich wird das Wissen über Körper und Bewegung, Kenntnisse über Training und die gesundheitlichen Wirkungen des Sporttreibens erweitert. Formale und verbindliche Leistungsbewertungen werden den Sportaktivitäten in Schule und Sportverein unterlegt. Es kommt zu einer Differenzierung der Körper- und Bewegungskarrieren. Auf der einen Seite gibt es Kinder, die am Schulsport teilnehmen, sich aber in der Freizeit nicht für Sport, sondern für andere Dinge vermehrt interessieren. Auf der anderen Seite findet man jene Kinder, die in einem oder mehreren Sportvereinen verschiedene Sportarten betreiben. Setzt man nun die Periodisierung der Kindheit und Jugendzeit mit den oben beschriebenen Sozialisationsphasen und der Theorie der „Versportung“ in Bezug, so ist festzustellen, dass die dritte Sozialisationsphase, die Hinwendung zu einem bestimmten Sport, schon zu Beginn der mittleren Kindheit, ja sogar in der Vorschulphase geschieht. Somit entfällt laut Rose (1995, S. 36) der ehemals vorgelagerte Entwicklungsabschnitt der nicht-vereinsgebundenen Bewegungsspiele, was an anderer Stelle schon erwähnt wurde. Die Folgen sind bisher sehr wenig erforscht.

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2.4 Der Begriff des Handelns Die Hinwendung zu einem bestimmten Sport – der Eintritt in einen Sportverein – wird in dieser Untersuchung als Handeln bezeichnet. Da sich die Untersuchung mit dem Eintritt in einen Sportverein beschäftigt, ist es nötig, dass man sich zunächst mit bestimmten Aspekten des Handelns auseinandersetzt. Bei der Beschreibung und Bewertung einer konkreten Handlung sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen, einmal die schon bestehende Wertungsdisposition, die laut Gabler (2002, S. 48) durch langjährige Erfahrung auf der Grundlage angeborener Verhaltungstendenzen entstand. Die individuellen Dispositionen werden auch „Motive“ genannt und als situationsüberdauernde, zeitlich überdauernde und persönlichkeitsspezifische Wertungsdispositionen definiert. Motive sind nicht real gegeben und deshalb auch nicht beobachtbar. Sie können nur über Fremdbeobachtung aktueller Handlungen oder über die Aussage der Handelnden zum Ausdruck gebracht werden. Eine konkrete Handlung entsteht dann im Zusammenwirken (Interaktion) zwischen Persönlichkeitsdisposition und situativen Umweltbedingungen, wobei nach moderner Auffassung nicht nur die Situation auf den Menschen, sondern auch die Person auf die Umwelt wirkt. Da eine Handlung meist zielgerichtet ist – sieht man von Tagträumen, reflexhaften Reaktionen ab – geht man von folgenden Grundkomponenten einer Handlungsepisode aus, nämlich den Handlungen selbst, den Handlungsergebnissen und den Handlungsfolgen mit den jeweiligen Vollzugsanreizen, Ergebnisanreizen und Folgenanreizen. „Ich gehe im Verein Skifahren, da ich so gut Skifahren möchte wie mein Vorbild“ wäre ein Vollzugsanreiz für eine Handlung, während die Motivation „Ich gehe im Verein Skifahren, da ich der Beste beim Vereinswettkampf sein möchte“ unter Ergebnisanreiz fällt. Der Folgenanreiz würde folgendermaßen lauten: „Ich gehe im Verein Skifahren, da mir meine Mutter versprochen hat, ein neues Handy zu kaufen, wenn ich beim nächsten Rennen gewinne.“ Aus der subjektiven Wahrnehmung dieser Grundkomponenten ergeben sich dann bestimmte Erwartungen, z. B. die Handlungsergebniserwartung, das heißt, die Person muss dann bewerten, welches Ergebnis ihr Handeln vermutlich haben wird (vgl. Schnotz, 2011, S. 102–104).

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