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Mittlerweile ist dieser Durchfall-auslösende Keim dabei, dem. Klassiker Staphylococcus aureus den Rang als meistgefürchteter Erreger in Kliniken abzu- laufen.
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Infektionsbiologie

Systembiologie, Toxine und Epidemiologie von Clostridium difficile DIETER JAHN BRICS – BRAUNSCHWEIG INTEGRATED CENTRE OF SYSTEMS BIOLOGY, INSTITUT FÜR MIKROBIOLOGIE, TECHNISCHE UNIVERSITÄT BRAUNSCHWEIG

Clostridium difficile is increasingly causing deadly infections. It is growing in the gut and produces toxins due to microbiome deficiency caused by antibiotic treatment. Stool transplants are currently the only efficient strategy for the treatment of recurrent infections. An obvious lack of basic knowledge due to the difficult cultivation and genetic manipulation of these bacteria is a major challenge. The recently founded CDiff consortium is now investigating its systems biology, infection, and epidemiology. DOI: 10.1007/s12268-015-0606-7 © Springer-Verlag 2015

ó 1935 wurde Clostridium difficile erstmals aus dem Stuhl eines gesunden Kindes isoliert. Seine schwierige Isolation und Kultivierung ist verantwortlich für den Namen „difficile“. In den 1970er-Jahren wurde der Keim erstmals in Verbindung mit pseudomembranöser Colitis und Antibiotika-assoziierter Diarrhö gebracht. Man hat ihn inzwischen aus einer Vielzahl von Tieren isoliert, aber auch in Umweltproben gefunden. Das stäbchenförmige Bakterium ist Gram-positiv, mikroaerophil bis anaerob und bildet Endosporen (Abb. 1).

Evolution und Epidemiologie Krankenhauskeime sind ein erhebliches Problem auch in Gesundheitssystemen mit hohen Qualitätsstandards. Das Sporen-bildende Bakterium C. difficile legte hier in den letzten Jahren eine steile Karriere hin. Mittlerweile ist dieser Durchfall-auslösende Keim dabei, dem Klassiker Staphylococcus aureus den Rang als meistgefürchteter Erreger in Kliniken abzulaufen. In Deutschland sind nur die schweren, wiederkehrenden Infektionen meldepflichtig. Zudem werden Fälle bei niedergelassenen Ärzten nicht systematisch erfasst.

¯ Abb. 1: Elektronenmikroskopische Aufnahme von Clostridium difficile. Die vegetativen Zellen sind durch eine extrazelluläre Matrix miteinander verbunden (Bild: Manfred Rohde, HelmholtzZentrum für Infektionsforschung, Braunschweig).

Das statistische Bundesamt und das RobertKoch-Institut sprechen trotzdem von etwa 30.000 C. difficile-Infektionen pro Jahr in Deutschland, davon etwa 700 tödliche. Wahrscheinlich liegen die Zahlen um den Faktor 5 bis 10 höher. Dem US-amerikanischen Gesundheitssystem entstehen bei 285.000 Infektionen jährlich Kosten von über zwei Milliarden Dollar. Großbritannien verzeichnet 8.000 C. difficile-Infektionen mit tödlichem Ausgang pro Jahr. Die deutlich höhere Mortalitätsrate wird den dort verbreiteten hypervirulenten BI/NAP1/027-Stämmen zugeschrieben [1, 2]. Hinter dem Namen C. difficile verbirgt sich eine besonders heterogene Gruppe von Bakterien. Ribotyping (ribosomale Typisierung) unterscheidet über 100 verschiedene Typen, mit deutlichen Unterschieden zwischen nosokomialen und ambulant erworbenen Infektionen. Der hypervirulente Ribotyp 027 hat sich mittlerweile über ganz Deutschland verbreitet. Die Aufklärung mehrerer Hundert Genome in der Zwischenzeit bestätigt das Bild einer sehr diversen Population. Man geht momentan von einem Pangenom von 9.640 offenen Leserastern (CDS) aus mit einem extrem kleinen Core-Genom von nur 15 bis 20 Prozent. Das natürliche Reservoir dieser Bakterien bleibt unbekannt; über eine zoonotische oder Lebensmittel-assoziierte Herkunft wird spekuliert [3, 4].

Mikrobiom, Antibiotika und wiederkehrende Infektionen Die Mikrobiomforschung boomt. Das Mikrobiom reflektiert unsere Ernährungsgewohnheiten, ist Bestandteil unserer Verdauung und schützt uns vor Infektionen und anderen Krankheiten. Defekte im Mikrobiom, ausgelöst durch einseitige und falsche Ernährung, genetische Prädisposition oder AntibiotikaBehandlung werden inzwischen mit einer Vielzahl von Krankheiten in Verbindung gebracht. Dies gilt auch für C. difficile-Infektionen. Hier ist besonders der Schritt der Sporenauskeimung vom Zustand des Mikrobioms

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abhängig. Ein gesundes und intaktes Mikrobiom setzt z. B. primäre in sekundäre Gallensäuren um – erstere fördern die Auskeimung von C. difficile-Sporen. Aber auch durch Mikrobiombakterien produzierte Bakteriocine und weitere Metaboliten schützen den gesunden Menschen vor C. difficile-Infektionen. Eine Antibiotika-Behandlung hingegen reduziert das Mikrobiom und verändert seine metabole und schützende Aktivität. So können nun primäre Gallensäuren die Auskeimung der Sporen fördern, die wiederum auf wenig Widerstand aus dem dezimierten Mikrobiom treffen. Toxinbildung durch die vegetative Zelle und die inflammatorische Antwort des Darms tragen zu Durchfall und den Folgeerkrankungen bei. Mit Antibiotika wie Vancomycin und Metronidazol kann man in vielen Fällen trotzdem erfolgreich behandeln. Allerdings werden Rückfälle häufiger. Oft trifft es die Patienten, wenn sie bereits aus dem Krankenhaus entlassen sind: Der Durchfall kommt in schlimmerer Form zurück. In diesen Fällen hat das Antibiotikum zwar C. difficile zurückgedrängt, allerdings hat sich das Mikrobiom nicht schnell genug erholt, und so beginnt alles von vorn. In schwierigen Fällen bleibt dann nur die Stuhltransplantation: die direkte Gabe gesunden Mikrobioms. Dies funktioniert erstaunlich gut, was die Frage nach den Schlüsselorganismen, die diesen protektiven Prozess vermitteln, aufwirft. Daran wird gerade intensiv geforscht [4, 5].

Stoffwechsel, Toxine, Sporulation C. difficile nutzt in einem ungewöhnlichen Energiestoffwechsel Aminosäuren in einer nach seinem Entdecker Leonard Hubert Stickland benannten Reaktion. Bei der Stickland-Reaktion wird eine Aminosäure, beispielsweise Leucin, schrittweise desaminiert, decarboxyliert und reduziert. Die entstehende Ketosäure wird phosphoryliert und zur ATP-Bildung genutzt. Die frei werdenden Elektronen werden über die Reduktion einer zweiten Aminosäure unter Nutzung spannender Radikalbiochemie zurückgewonnen. Der Stoffwechsel von C. difficile unterscheidet sich also komplett vom Stoffwechsel anderer Pathogene und bedarf deshalb einer besonderen Berücksichtigung bei Therapieansätzen [6]. Drei Toxine stehen in ihrer Struktur und Wirkung im Mittelpunkt der C. difficile-Forschung: Toxin A und Toxin B sind große Moleküle, die nach einem komplexen Aufnahmeprozess als Monoglykosyltransferase in den Wirtszellen ankommen und dort gezielt Rho-GTPasen wie Rho, Rac, Cdc42, Ral und Rap glykosylieren und so inaktivieren. Das führt zur Depolymerisation des Zytoskeletts und als Folge zum Zelltod der betroffenen Darmepithelzellen (Abb. 2). Der Zusammenbruch dieser Barriere erklärt die daraus resultierenden Krankheitsbilder. Das dritte, binäre Toxin ist eine aktinspezifische ADP-Ribosyltransferase, die ebenfalls zur Zerstörung des Zytoskeletts beiträgt [7, 8]. C. difficile bildet Endosporen, die harsche Umweltbedingungen wie Hitze, diverse Chemikalien, UV-Licht und eine Vielzahl der üblichen Sterilisationstechniken überstehen. Da Antibiotika gegen vegetative Zellen gerichtet

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teils in die Untersuchungen zur Unterscheidung der verschiedenen C. difficile-Stämme ein. ó

Literatur

˚ Abb. 2: Die Fluoreszenzaufnahmen zeigen das Aktinzytoskelett (rot) und die Zellkerne (blau) von Leberzellen nach Behandlung mit Toxin B (TcdB) von Clostridium difficile. In hoher Konzentration (1 nM) bewirkt TcdB neben dem Abrunden von Zellen (r) auch einen pyknotischen Zelltyp (p), der sich durch extreme Kondensation des Chromatins auszeichnet. Dieser Effekt wird auch durch die Glykosyltransferase-defiziente TcdBNXN-Mutante erzielt. Die Aufnahmen stellte freundlicherweise Ralf Gerhard zur Verfügung.

sind, können Sporen eine Antibiotika-Behandlung überleben und so zu Rückfällen führen. Auf den ersten Blick gleicht die Sporulation von C. difficile der von Bacillus subtilis. Experimente in den letzten fünf Jahren zeigten jedoch, dass ein Phosphorelay für die initiale Sporulationskontrolle wie in B. subtilis fehlt. Masterregulator der Sporulation ist in beiden Bakterien das Protein Sp0A. Aber die Transkriptionskontrolle für die sukzessive Abfolge der verschiedenen Stadien der Sporulation durch die Kommunikation zwischen Mutterzelle und Spore ist in C. difficile deutlich weniger koordiniert und läuft meist unabhängig in beiden Kompartimenten ab. Somit werden zwar strukturell ähnliche Komponenten benutzt, aber für eine komplett andere Initiation und Kontrolle des Sporulationsprozesses [9].

Das CDiff-Konsortium Trotz beeindruckender Fortschritte im Verständnis gerade der Toxinwirkung wurde das Bakterium C. difficile verglichen mit anderen pathogenen Organismen bisher besonders in der mikrobiologischen, epidemiologischen und immunologischen Grundlagenforschung stiefmütterlich behandelt. Deshalb hat sich ein Konsortium von über 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Braunschweig, Hannover, Greifswald und Göttingen gefunden, um die Erforschung von C. difficile-Infektionen voranzutreiben. Ziel ist es, die Überlebensstrategien und Evolution des Bakteriums zu verstehen, um sinnvolle Maßnahmen zur Behandlung der Infektionen zu entwickeln und deren Ausbreitung in Krankenhäusern und Arztpraxen zu verringern. Das CDiff-Konsortium (www.tu-braunschweig. de/forschung/zentren/brics/forschung/cdiff)

führt dabei in drei Projektbereichen Ergebnisse aus allen relevanten Themengebieten zusammen: Die Systembiologie entwickelt genetische Werkzeuge und erfasst Transkriptom-, Proteom- und Metabolomdaten, um Regulation und Stoffwechsel des Bakteriums zu verstehen (Petra Dersch, Kathrin Riedel, Dörte Becher, Michel Hecker, Dietmar Schomburg, Dieter Jahn). Wie funktioniert der Energiestoffwechsel in Abhängigkeit von der Nahrungsquelle? Wie verändert sich der Stoffwechsel unter Stressbedingungen wie Antibiotika-Behandlung, Eisen- oder Sauerstoffmangel? Der zweite große Projektbereich beschäftigt sich mit den Toxinen und deren Wirkung (Ingo Just, Andreas Pich, Ralf Gerhard, Wulf Blankenfeldt, Dirk Heinz, Stefan Dübel, Michael Hust, Reinhard Köster, Michael Steinert). Sie untersuchen mithilfe von zellbiologischen Methoden und Proteomanalysen, aber auch mit Antikörpern, Zebrafisch als Tiermodell und Zellkulturen die Wirkung von Toxinen auf das Darmepithel (Abb. 2). Dieser Projektteil wird derzeit erweitert, um Interaktionen mit dem Mikrobiom und dem Immunsystem stärker zu erfassen. Der dritte Projektbereich beschäftigt sich mit der Epidemiologie und Evolution von C. difficile (Rolf Daniel, Heiko Liesegang, Jörg Overmann, Sabine Gronow, Sebastian Suerbaum, Ralf Vonberg, Uwe Groß). Welche Varianten von C. difficile kursieren im Krankenhaus? Wie unterscheiden sie sich von Stämmen, die aus der Umwelt isoliert wurden? Wie verbreitet sind Antibiotika-Resistenzen in Deutschland, Indonesien und Afrika? Die Genomanalysen, die hierfür erforderlich sind, bilden auch die Grundlage für den Systembiologie- und Toxinteil. Umgekehrt fließen die Ergebnisse des Systembiologie- und Toxin-

[1] Tillotson GS, Weiss K (2013) Clostridium difficile: New Challenges for an Old Foe. Future Medicine LtD, London [2] Wilcox MH (2015) Clostridium difficile Infection. Infect Dis Clin North Am 29:1–185 [3] Knight DR, Elliott B, Chang BJ et al. (2015) Diversity and evolution in the genome of Clostridium difficile. Clin Microbiol Rev 28:721–741 [4] Lübbert C, John E, von Müller L (2014) Clostridium difficile infection: guideline-based diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 111:723–731 [5] Seekatz AM, Young VB (2014) Clostridium difficile and the microbiota. J Clin Invest 124:4182–4189 [6] Bouillaut L, Dubois T, Sonenshein AL et al. (2015) Integration of metabolism and virulence in Clostridium difficile. Res Microbiol 166:375–383 [7] Aktories K (2011) Bacterial protein toxins that modify host regulatory GTPases. Nat Rev Microbiol 9:487–498 [8] Genth H, Dreger SC, Huelsenbeck J et al. (2008) Clostridium difficile toxins: more than mere inhibitors of Rho proteins. Int J Biochem Cell Biol 40:592–597 [9] Fimlaid KA, Shen A (2015) Diverse mechanisms regulate sporulation sigma factor activity in the Firmicutes. Curr Opin Microbiol 24:88–95

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dieter Jahn Institut für Mikrobiologie Technische Universität Braunschweig Spielmannstraße 7 D-38106 Braunschweig Tel.: 0531-391-5801 Fax: 0531-391-5854 [email protected] www.tu-braunschweig.de/ifm/abt/jahn www.tu-braunschweig.de/forschung/zentren/ brics

AUTOR Dieter Jahn Jahrgang 1959. 1987 Promotion an der Universität Marburg. 1988–1992 Postdoc an der Yale University, New Haven, CT, USA, bei Prof. Dr. D. Söll. 1994 Habilitation am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg bei Prof. Dr. R. Thauer. 1996–2000 C3-Professor für Biochemie, Universität Freiburg. Seit 2000 C4/W3-Professor für Mikrobiologie, TU Braunschweig, momentan Vizepräsident für Forschung, Sprecher des CDiff-Verbundes und des Systembiologiezentrums BRICS.

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