Stephan Buhofer Der Klimawandel und die internationale Klimapolitik ...

Stephan Buhofer. Der Klimawandel und die internationale Klimapolitik in Zahlen. Eine Übersicht. ISBN 978-3-96006-001-7. 148 Seiten, 14,8 x 21cm, 24,95 Euro.
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Stephan Buhofer Der Klimawandel und die internationale Klimapolitik in Zahlen Eine Übersicht ISBN 978-3-96006-001-7 148 Seiten, 14,8 x 21cm, 24,95 Euro oekom verlag, München 2017 ©oekom verlag 2017 www.oekom.de

0,85 °C

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2 Auswirkungen der Emissionen auf das Erdklima Verschiedene Teile des klimatischen Systems haben begonnen, auf die veränderten Umstände zu reagieren. Dabei ist zu beachten, dass natürliche Einflüsse ebenfalls eine Rolle spielen und die nachfolgend beschriebenen Auswirkungen nicht ausschließlich auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen sind. Die Wissenschaft formuliert die entsprechenden Wahrscheinlichkeiten mit großer Vorsicht. Sie geht jedoch davon aus, dass die Erwärmung, ­welche seit den 1950er-Jahren zu beobachten ist, vorwiegend durch anthropogene Treibhausgase verursacht wurde. Andere klimatische Veränderungen hängen damit zusammen, besitzen aber jeweils ihre eigene innere Dynamik und Anteile menschlicher und natürlicher Ursachen.227 Zwischen 1880, dem Zeitpunkt, ab welchem verlässliche Messungen vorliegen, und 2012 hat die durchschnittliche Erdtemperatur um 0,85 Grad Celsius (°C) zugenommen. Davon sind 0,72 °C seit 1951 zu verzeichnen. Zwischen 1951 und 2012 betrug der durchschnittliche Temperaturanstieg 0,12 °C pro Jahrzehnt.228 Die oberste Wasserschicht der Ozeane erwärmte sich zwischen 1971 (der Zeitpunkt, seit dem verlässliche Daten existieren) und 2010 um 0,1 °C pro Jahrzehnt.229 Durch die vermehrte Aufnahme von Kohlendioxid sind die Ozeane

227 IPCC, AR5 WGI, Summary for Policy Makers D.3 (S. 17-19), 10.3.1.1.3 (S. 881–888), 10.9 (S. 927-931), Table 10.1 (S. 932-939). Siehe für eine Zusammenfassung der hier erwähnten Auswirkungen auch IPCC, AR5 WGI, Summary for Policy Makers, B (S. 4-11). 228 IPCC, AR5 WGI, 2.4.3 (S. 194). Wie die Einflussfaktoren (Treibhausgase, anthropogene Aerosole, Sonnenaktivität, Vulkanismus, usf.) ist auch die Entwicklung der Temperatur über kurze Zeiträume Schwankungen unterworfen und kann vom Trend abweichen. Dass die Temperatur zwischen 1940 und 1970 nicht anstieg, hängt zum Beispiel wahrscheinlich mit dem Einfluss von Aerosolen aus der Luftverschmutzung zusammen. Siehe z. B. Bolin (2007), S. 200–201. Zwischen 1998 und 2012 fiel die durchschnittliche Erhöhung der Temperatur hauptsächlich aufgrund von natürlichen Faktoren geringer aus als zwischen 1951 und 2012. Für Schwankungen über einige Jahre bis ein Jahrzehnt ist die Vorhersagbarkeit auch durch Klimamodelle sehr gering. IPCC, AR5 Synthesis Report, Box 1.1 (S. 43); IPCC, AR5 WGI, 2.4.3 (S. 194), Box 9.2 (S. 769–772), und generell Chapter 11 (S. 959 ff.). Zur möglichen vorübergehenden zukünftigen Abschwächung der Erwärmung durch den Eintritt in eine Phase schwächerer Sonnenaktivität siehe oben, Anmerkung 118. 229 IPCC, AR5 WGI, 3.2.2 (S. 261–262), FAQ 3.1 (S. 266–267).

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zudem seit dem Beginn der Industrialisierung saurer geworden, der pH-Wert nahm um rund 0,1 pH von 8,2 auf 8,1 pH ab.230 1.0

Temperaturanomalie (C)

0.8 0.6 0.4 0.2 0.0 –0.2 –0.4 –0.6 1880

NASA GISS 1970

1920

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2020

Abb. 2.1 Globaler Temperaturanstieg. Die Grafik gibt die Abweichung von der Normaltemperatur (Jahresmittel) wieder, wobei hier für Letztere der Durchschnitt zwischen 1951 und 1980 definiert wurde. Es ist üblich, nicht die Entwicklung der absoluten Temperatur aufzuzeigen, sondern eine Abweichung von der Normaltemperatur zu einem Vergleichszeitraum (um kurzfristige Schwankungen auszugleichen), da die absolute Temperatur schon auf kurze Distanzen stark variiert, während Abweichungen von der Normaltemperatur für sehr viel größere Regionen Gültigkeit besitzen. Solche Trends sind unabhängig von der Wahl des Vergleichszeitraums. Um die absolute Temperaturänderung zu erhalten, kann die Abweichung zu einer solchen addiert werden. Der globale Durchschnitt der absoluten Temperatur liegt bei 14–15 °C.231 Quelle Grafik: GISTEMP Team, 2017: GISS Surface Temperature Analysis (GISTEMP). NASA Goddard Institute for Space Studies, basierend auf Hansen et al., (2012).232

230 IPCC, AR5 WGI, 3.8.2 (S. 294), Box 3.2 (S. 295), FAQ 3.3 (S. 297–298). Der Endzeitpunkt der Messungen ist nicht angegeben und wird daher um das Bericht-Erscheinungsjahr 2013 bzw. etwas davor liegen. 231 Siehe für diese Erläuterungen National Aeronautics and Space Administration (NASA), Goddard Institute for Space Studies (GISS), GISS Surface Temperature Analysis (GISTEMP) (http://data.giss. nasa.gov/gistemp, »Frequently Asked Questions, and Answers« und »The Elusive Absolute Surface Air Temperature«). 232 https://data.giss.nasa.gov/gistemp, Graphs, Option für die Selektion von Parametern.

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Das arktische Meer-Eis nahm seit 1978, dem Zeitpunkt, seit welchem genaue Daten existieren, bis 2012 durchschnittlich um rund 3,8 % pro Jahrzehnt ab. Die Zahlen sind jedoch je nach Region und Jahreszeit sehr unterschiedlich und die Abnahme Ende September, wenn die Eisfläche nach der Sommer-Eisschmelze das Minimum erreicht, beträgt 11 % pro Jahrzehnt.233 Der genaue Anteil anthro­ pogener und natürlicher Ursachen ist Gegenstand der Forschung. Gemäß der aktuellen wissenschaftlichen Einschätzung ist jedoch etwa die Hälfte dieser Eisschmelze auf natürliche Schwankungen zurückzuführen.234 In der Antarktis hat die Meer-Eis-Masse im selben Zeitraum um etwa 1,5 % pro Jahrzehnt zugenommen.235 Die kontinentalen Eisschilde in Grönland und der Antarktis nahmen in der Zeitspanne zwischen 2002 und 2011 um etwa 362 Milliarden Tonnen pro Jahr ab, was einem Anstieg des Meeresspiegels um ca. 0,99 mm pro Jahr entspricht. Innerhalb von 20 Jahren zwischen 1992 und 2011 (vor allem in der zweiten Hälfte dieser Periode) haben sie rund 4 260 Milliarden Tonnen an Masse verloren.236 Dies entspricht einem Anstieg des Meeresspiegels um etwa 11,7 mm. Im Gegensatz zum Eis auf dem Festland führt das Schmelzen von Meer-Eis zu keiner Erhöhung des Wasserspiegels, da Eis im Wasser etwa dieselbe Verdrängung bewirkt wie Wasser selbst. Die Gletscher (die Peripherie der kontinentalen Eisschilde nicht miteinbezogen) verlieren ebenfalls zunehmend an Eis. In der Zeit zwischen 2005 und 2009 belief sich dieser Verlust weltweit auf schätzungsweise 301 Milliarden Tonnen Eismasse pro Jahr, was einem Anstieg des Meeresspiegels um etwa 0,8 mm pro Jahr entspricht.237 Der Meeresspiegel steigt aufgrund der thermischen Expansion im Zusammenhang mit der Erhöhung der Wassertemperatur sowie dem zugeführten Wasser aus schmelzenden Eismassen der Gletscher und der kontinentalen Eisschilde in Grönland und der Antarktis.238 Zwischen 1901 und 2010 stieg der Meeresspiegel um 19 cm, im Durchschnitt 1,7 mm pro Jahr. Die jährliche Zunahme hat sich für den Zeitraum zwischen 1993 und 2010 auf 3,2 mm pro Jahr erhöht.239 233 IPCC, AR5 WGI, 4.2.2.1 (S. 324), FAQ 4.1 (S. 333–334). 234 IPCC, AR5 WGI, 10.5.1.1 (S. 907). 235 IPCC, AR5 WGI, 4.2 (S. 330), FAQ 4.1 (S. 333–334). Der Grund für die Zunahme der Eisfläche in der Antarktis ist nicht geklärt, es wird jedoch vermutet, dass diese mit Änderungen regionaler Windmuster in Verbindung steht. IPCC, AR5 WGI, FAQ 4.1 (S. 334). 236 IPCC, AR5 WGI, 4.4.3 (S. 353). 237 IPCC, AR5 WGI, 4 Executive Summary (S. 319), Table. 4.5 (S. 344), Glossary »Sea level equivalent (SLE)« (S. 1462). Die gesamte Eismasse der Gletscher wird auf zwischen 114 000 und 192 000 Milliarden Tonnen geschätzt (2012). IPCC, AR5 WGI, 4.3.1 (S. 335). 238 IPCC, AR5 WGI, 10.4.3 (S. 905). 239 IPCC, AR5 WGI, 1.3.3 (S. 134–136), 3.7.2 (S. 287), 3.7.6 (S. 291), 3.9 (S. 301).

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Abb. 2.2 Arktisches Meer-Eis. Satellitenauf­nahmen (existierend seit 1979) der Arktis jeweils am Ende des arktischen Sommers im September, wenn das Meer-Eis sein jährliches Minimum erreicht. Die Fläche fluktuiert von Jahr zu Jahr (weshalb der Vergleich von nur zwei Jahren irreführend sein kann), doch der Trend ist abnehmend. Rechts im Bild ist die ebenfalls eisbedeckte Landmasse von Grönland zu sehen. Das Festland-Eis schmilzt jedoch sehr viel weniger schnell als das Meer-Eis. Quelle Bilder: NASA Scientific Visualization Studio (svs.gsfc.nasa.gov).

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Veränderungen lokaler Wetterphänomene wie Warm- oder Kälteperioden, Niederschlagsmengen und -muster sowie Dürren, Wirbelstürme und generell extreme Wetterverhältnisse werden zumindest teilweise als wahrscheinliche Folge des erhöhten anthropogenen Strahlungsantriebs angesehen. Messungen sind hier jedoch schwieriger und aufgrund der hohen natürlichen Schwankungen ist ein direkter Zusammenhang einzelner Wetterphänomene mit dem menschlichen Einfluss momentan nicht einfach herzustellen.240 Das Thema wird daher in der Wissenschaft kontrovers diskutiert, die Meinungen gehen auseinander. Die festgestellte statistische Zunahme ungewöhnlicher Wetterverhältnisse, welche mit der globalen Erwärmung einhergeht, kann jedoch als Indiz für einen Zusammenhang angesehen werden.241 Mit der Zunahme außergewöhnlicher Temperaturen im lokalen Bereich erhöht sich die Wahrscheinlichkeit entsprechender anderer Wetterphänomene, wie starker Niederschlag (wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, was stärkeren Regen zur Folge hat) oder Dürreperioden.242

240 IPCC, AR5 WGI, 10.3.2.2 (S. 896–897); 10.6.1 (S. 910–914); IPCC, Special Report Managing the Risks of Extreme Events and Disasters, Summary for Policy Makers, S. 8–9, Chapter 3 (S. 109 ff.). 241 Hansen et al. (2012), E2415 ff. 242 Hansen et al. (2012), E2422. Siehe auch die Veränderung der beobachteten Niederschlagsmengen in IPCC, AR5 WGI, Figure SPM.2 (S. 8).

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3 Die erdgeschichtliche Perspektive 3.1 Klimatische Verhältnisse der erdgeschichtlichen Vergangenheit Die Paläoklimatologie (von gr. palaiós, »alt«) ist ein Wissenschaftszweig, welcher die klimatischen Verhältnisse der erdgeschichtlichen Vergangenheit rekonstruiert. Der Strahlungshaushalt der Erde und somit das Klima kann auf drei hauptsächliche Arten beeinflusst werden: durch eine Veränderung der einfallenden Sonnenstrahlung, des reflektierten Anteils der Sonnenstrahlung oder durch die Veränderung der langwelligen Strahlung, welche von der Erde ins Weltall zurückgestrahlt wird (zum Beispiel aufgrund von Variationen in der Konzentration von Treibhausgasen).243 Diese Faktoren haben seit der Entstehung der Erde immer wieder zu Schwankungen des Klimas geführt. Während der letzten annähernd drei Millionen Jahre durchlief das Erdklima abwechselnde Warm- und Kaltperioden, die Eiszeiten. Gegenwärtig befindet sich die Erde in einer Warmzeit (Zwischeneiszeit), dem Holozän, welche vor etwa 12 000 Jahren begann.244 Die Wissenschaft geht davon aus, dass die globale Durchschnittstemperatur während des Höhepunkts der letzten Eiszeit vor 21 000 Jahren weltweit 3 °C bis 8 °C unter dem heutigen Durchschnitt lag.245 Lokal existierten jedoch zum Teil sehr viel größere Unterschiede, zum Beispiel bis zu schätzungsweise 25 °C kältere Temperaturen in Grönland.246 Der Prozess der Temperaturerhöhung am Ende der letzten Eiszeit war ein langsamer und erstreckte sich hauptsächlich über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren. Die Zunahme betrug durchschnittlich 0,3 °C bis 0,8 °C pro Jahrtausend, wobei zeitweilig höhere Raten von bis zu zwischen 1 °C bis 1,5 °C pro Jahrtausend erreicht wurden.247 Die momentane Temperaturerhöhung verläuft etwa zehn Mal

243 IPCC, AR4 WGI, FAQ 6.1 (S. 449). 244 IPCC, AR5 WGI, Glossary »Holocene« (S. 1455). 245 IPCC, AR5 WGI, 5.3.2.2 (S. 400), Table 5.2 (S. 404), Glossary »Last Glacial Maximum« (S. 1456). Dies ist generell etwa die Temperaturdifferenz zwischen den Eis- und den Warmzeiten. IPCC, AR4 WGI, FAQ 6.2 (S. 465). 246 IPCC, AR5 WGI, 5.3.3.1 (S. 404), Table 5.2 (S. 404). 247 IPCC, AR5 WGI, 5.3.2.2 (S. 400).

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schneller.248 Regional gab es während des letzten Eiszeitzyklus auch abrupte große Temperaturänderungen innerhalb von wenigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten, welche jedoch die globale Durchschnittstemperatur nicht wesentlich beeinflussten. In Grönland konnten solche Ereignisse eine Temperaturänderung von bis zu rund 16 °C innerhalb weniger Jahrzehnte ausmachen.249 Es gibt verschiedene Theorien für die Ursachen, wie zum Beispiel Veränderungen in Meeresströmungen, Eismassen oder in der Sonneneinstrahlung, aber eine sichere Erklärung existiert nicht.250 Eiszeiten werden in erster Linie durch Veränderungen in der Umlaufbahn der Erde um die Sonne und damit verbundenen Abweichungen in der Stärke der Sonneneinstrahlung ausgelöst, den sog. Milankovitch-Zyklen.251 Die tieferen Temperaturen bewirken, dass im Sommer nicht mehr aller Schnee des Winters schmilzt, womit sich dieser anhäuft und mit der Zeit eine permanente Eisdecke entsteht.252 Sonnen- und Vulkanaktivität haben ebenfalls auf das Klima in der Vergangenheit eingewirkt, aber weniger stark und in kurzfristigeren Zeiträumen als die Eiszeiten. Erstere sind die primäre Ursache für klimatische Veränderungen der letzen tausend Jahre.253 Untersuchungen an Eisbohrkernen erlauben es, den Gehalt von Treibhausgasen in der Atmosphäre bis zu 800 000 Jahre zurückzuverfolgen. Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre folgt den großen eiszeitlichen Temperaturbewegungen mit einer Verzögerung von einigen hundert Jahren. Sie erreicht den höchsten Punkt von etwa 300 ppm während der Zwischeneiszeiten und den tiefsten Punkt von etwa 180 ppm während der Eiszeiten. Entsprechende Bewegungen existieren für die anderen Treibhausgase.254 Während diese Konzentrationsschwankungen nicht der Auslöser und die Hauptursache für die Eis248 IPCC, AR4 WGI, 6, Executive Summary (S. 435), 6.4.1.2 (S. 451), FAQ 6.2 (S. 465). 249 IPCC, AR5 WGI, 5.7 (S. 432); IPCC, AR4 WGI, FAQ 6.1 (S. 449), 6.4.2 (S. 454–455). 250 IPCC, AR5 WGI, 5.7 (S. 432); IPCC, AR4 WGI, 6.4.2.2 (S. 456). 251 Es wird dabei je nach Umlaufbahn der Erde um die Sonne zwischen verschiedenen Periodizitäten unterschieden. Warmzeiten dauern unterschiedlich lang, sind aber normalerweise kürzer als Kaltphasen. Während in der Vergangenheit Warmphasen rund 10 000 Jahre anhielten, könnte aufgrund des aktuellen Zyklus die nächste Eiszeit erst in mehreren zehntausend Jahren einsetzen. Beginn und Ende einer Eiszeit sind aber auch von der Konzentration des Kohlendioxid in der Atmosphäre abhängig, und die momentan hohen Werte verhindern bzw. verzögern vermutlich eine nächste Eiszeit für eine längere Zeit, als dies ohne diesen Einfluss zu erwarten wäre. Rahmstorf, Schellnhuber (2012), S. 21–22; IPCC, AR5 WGI, 5.8.3 (S. 435); IPCC, AR4 WGI, Box TS.6 (S. 56), 1.4.2 (S. 106), FAQ 6.1 (S. 449), 6.4.1.8 (S. 453–454); Weart (2003), S. 18, 46. 252 IPCC, AR4 WGI, FAQ 6.1 (S. 449). 253 IPCC, AR5 WGI, 5.2.1 (S. 388–391); IPCC, AR4 WGI, FAQ 6.1 (S. 450). 254 IPCC, AR5 WGI, 5.2.2.1 (S. 391); IPCC, AR4 WGI, FAQ 6.1 (S. 449).

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zeiten sind (da sie dem Temperaturverlauf in kurzem Abstand folgen), so haben sie doch einen wichtigen Verstärkungseffekt im Sinne einer Rückkopplung,255 welcher im Falle des Kohlendioxids etwa zu einer Verdoppelung der Temperaturänderung führte.256 Der Grund für diese Schwankungen ist nicht endgültig geklärt und es bestehen vermutlich mehrere Ursachen. Man geht davon aus, dass vor allem Veränderungen in der Aufnahme und Abgabe von Kohlendioxid der Meere dafür verantwortlich sind.257 Während der letzten 7 000 Jahre waren Bewegungen in der Konzentration von Kohlendioxid bis zu 10 ppm pro Jahrhundert und 20 ppm pro Jahrtausend zu verzeichnen.258 Heute wird eine Zunahme von 10 ppm innerhalb von wenigen Jahren erreicht.259

360 320 280 240 200 800

700

600

500

400

300

200

100

CO2 Konzentration (ppm)

400

0

1000 Jahre vor heute

Abb. 3.1 Atmosphärische Konzentration von Kohlendioxid über die letzten 800 000 Jahre, rekonstruiert anhand von Messungen an Eisbohrkernen aus der Antarktis (Lüthi et al., 2008). Die Daten sind kombiniert mit direkten Messungen seit 1958. Der heutige Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre ist über 30 % höher als je zuvor in den letzten 800 000 Jahren. Quelle Grafik: Universität Bern, Physikalisches Institut, Abteilung für Klima- und Umweltphysik.

Weiter zurückliegende Verhältnisse werden anhand geologischer Untersuchungen von Gesteinen und Ablagerungen erforscht. Im mittleren Pliozän vor ungefähr 3 Millionen Jahren war es das letzte Mal, dass die Temperaturen und 255 IPCC, AR5 WGI, 5.3.2.1 (S. 399), 6.2.1 (S. 480–483); IPCC, AR4 WGI, FAQ 6.1 (S. 449). 256 Archer (2010), S. 13. 257 IPCC, AR4 WGI, Box 6.2 (S. 446); Archer (2010), S. 13, 68 ff, 101. 258 IPCC, AR5 WGI, 5.2.2.1, S. 391. 259 Siehe Daten des U. S. Department of Commerce, National Oceanic & Atmospheric Administration (NOOA), Earth System Research Laboratory, Global Monitoring Division (http://www.esrl.noaa.gov/ gmd, Data and Products, Trends in CO2, Growth Rate).

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das Kohlendioxid für längere Zeit über den heutigen Werten lagen. Es wird geschätzt, dass die Konzentration von Kohlendioxid zum damaligen Zeitpunkt auf zwischen 350 ppm bis 450 ppm anstieg, die Temperatur etwa 2–3 °C über den vorindustriellen Werten und der Meeresspiegel 15 bis 25 Meter über dem heutigen Stand lag. Eine Welt, welche jener, die für das späte 21. Jahrhundert bei anhaltenden Emissionen vorausgesagt wird, gleicht.260 Der letzte vor dem Pliozän liegende Zeitraum mit erhöhter Kohlendioxidkonzentration war das mittlere Miozän vor 15 bis 17 Millionen Jahren, welches eine Konzentration von höchstens 350 ppm bis 400 ppm aufwies.261 Abgesehen von diesen beiden Ausnahmen überstieg bis zum Zeitpunkt vor 23 Millionen Jahren die geschätzte Konzentration des Kohlendioxids das vorindustrielle Niveau von 280 ppm nicht.262 In der Zeit zwischen 23 und 65 Millionen Jahren geht die Wissenschaft von einer Bandbreite der Konzentration von Kohlendioxid zwischen 300 ppm und 1500 ppm und wärmeren Temperaturen als heute aus.263 Insbesondere eine Warmperiode vor 55 Millionen Jahren, das sog. Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum zeichnete sich durch einen abrupten Anstieg der Temperatur und der Kohlendioxidkonzentration aus und gilt in der Wissenschaft als mögliches Modell für die Folgen des heutigen raschen Kohlendioxidanstiegs, welcher damals allerdings nicht so schnell erfolgte wie heute.264 Darüber hinaus herrschten während eines großen Teils der letzten 500 Millionen Jahre deutlich wärmere Temperaturen auf der Erde als heute und der Planet war vermutlich während der meisten Zeit frei von Eis, auch an den Polarregionen.265

3.2 Der Kohlenstoffkreislauf Das atmosphärische Kohlendioxid ist Teil eines Kreislaufs, welchen der Kohlenstoff (carbon) durchläuft und der aus einem System von Speichern in der Luft, im Meer und auf dem Land besteht.266 Diese tauschen Kohlenstoff untereinan260 IPCC, AR5 WGI, 5.2.2.2 (S. 394); IPCC, AR4 WGI, 6.3.1 – 6.3.2 (S. 440–442). 261 IPCC, AR5 WGI, 5.2.2.2 (S. 394); Foster et al. (2012), S. 243 (Abstract), S. 244. 262 IPCC, AR5 WGI, 5.2.2.2 (S. 394). 263 IPCC, AR5 WGI, 5.2.2.2 (S. 394). 264 IPCC, AR5 WGI, 5.3.1 (S. 398–399); IPCC, AR4 WGI, 6.3.3 (S. 442); Latif (2012), S. 44. 265 IPCC, AR4 WGI, FAQ 6.1. (S. 449). 266 Siehe generell IPCC, AR5 WGI, 6.1.1.1 (S. 470–472), Box 6.1 (S. 472–473), Fig. 6.8 (S. 487), FAQ 6.2 (S. 544–545); IPCC, AR4 WGI, 7.3.1 (S. 511–517); Archer (2010), S. 105–124; Latif (2009), 1.3.5 (S. 41–44).

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der aus und der Abfluss aus einem Speicher bedeutet einen Zufluss in einem anderen. Dabei wird zwischen einem Kreislauf mit kurzfristigem und einem Kreislauf mit langfristigem Austausch unterschieden. Kohlenstoff in der Atmosphäre, im Ozean und Süsswasser, in der Vegetation und im Boden bildet ein System schnellen Austauschs, in welchem Kohlenstoff von zwischen wenigen Tagen bis zu einigen tausend Jahren kurzfristig gespeichert werden kann. Es wird durch die Photosynthese der Pflanzen aus der Atmosphäre entfernt und in den Pflanzen und bei deren Absterben im Boden gebunden. Durch die Atmung von Lebewesen (inkl. Mikroben) sowie weiteren Prozessen wie zum Beispiel Feuer gelangt dieser Kohlenstoff wieder in die Atmosphäre. Weiter findet zwischen dem Ozean und der Atmosphäre ein Gasaustausch statt, welcher durch partielle Druckunterschiede in der Luft und im Meer bedingt ist. Gestein und andere Sedimente bilden sodann langfristige Speicher, in welchen Kohlenstoff Zehntausende von Jahren und länger verbleibt. Der Austausch mit den kurzfristigen Speichern erfolgt über die physikalische und chemische Verwitterung (weathering), Sedimentation, Erosion, Vulkanismus und tektonische Bewegungen, welche Sedimente freilegen.267 Ähnliche Kreisläufe existieren für die anderen Treibhausgase. Unter den kurzfristigen Kohlenstoffspeichern ist der umfangreichste das Meer, mit etwa 38 700 Petagramm Kohlenstoff (PgC)268, während die Vegetation und das Erdreich auf dem Land um 4 000 PgC269 speichern und die Atmosphäre vor der Industrialisierung 589 PgC enthielt.270 Gestein und Sedimente, der hauptsächliche langfristige Speicher, enthalten mit in der Größenordnung von 60 000 000 PgC die größten Mengen an Kohlenstoff auf der Erde.271 Fossile Brennstoffe (Öl, Kohle, Gas), ebenfalls Teil des langfristigen Speichers, machten vor der Industrialisierung schätzungsweise zwischen 1002 und 1940 PgC272 267 IPCC, AR5 WGI, 6.1.1 (S. 470–472), Glossary »weathering« (S. 1464); Kump et al. (2010), Figure 8–12 und Figure 8–16, Text S. 159–170; Archer (2010), S. 122–124. 268 1 Petagramm (Pg) entspricht 1 Gigatonne (Gt), also einer Milliarde Tonnen. Siehe oben, Anmerkung 223. 269 Der Kohlenstoff in der Vegetation und Böden wird auf zwischen 1 950 und 3 050 PgC geschätzt, wozu noch Kohlenstoff kommt, welcher in Böden von Feuchtgebieten und dem Permafrost vorkommt. Letzterer wird auf zwischen 2000–2400 PgC beziffert, wobei sich die Zahlen teilweise überlappen. IPCC, AR5 WGI, 6.1.1 (S. 470). Der gesamte Kohlenstoffvorrat in Vegetation und Erdreich wird auf rund 4 000 PgC geschätzt. IPCC, AR5 WGI, FAQ 6.2 (S. 545). 270 IPCC, AR5 WGI, 6.1.1.1 (S. 470–472), Figure 6.1 (S. 471), FAQ 6.2 (S. 545); Archer (2010), S. 5–6. 271 Über diese Zahl existieren verschiedene Angaben. Zum Beispiel spricht Kump et al. (2010), Figure 8–3 (S. 151), von 50 000 000 PgC (ohne fossile Brennstoffe, welche aber nicht ins Gewicht fallen), und Rahmstorf, Schellnhuber (2012), S. 16, von 66 000 000 PgC. 272 IPCC, AR5 WGI, Figure 6.1 (S. 471) (Zahl für das Jahr 2006). Mit 4700 PgC deutlich höher: Kump et al. (2010), Figure 8–3 (S. 151).

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aus, wobei davon zwischen 1750 und 2011 durch die menschliche Nutzung rund 375 PgC in die Atmosphäre gelangten.273 Hinzu kommen etwa 180 PgC anthro­ pogene Emissionen durch Landnutzungsänderungen, vor allem Waldrodungen.274 Die Nettozunahme von Kohlenstoff in der Atmosphäre betrug seit der Industrialisierung 240 PgC, was zu einem Wert 2011 von 828 PgC führte.275 Somit hat sich etwas unter der Hälfte des durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Landnutzungsänderung in die Atmosphäre gelangten Kohlenstoffs dort angesammelt.276 Der Kohlenstoffkreislauf zwischen der Atmosphäre, dem Meer und dem Land gleicht die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre und somit auch die Temperatur auf der Erde über längere Zeit aus. Er funktioniert wie ein Thermostat, der die Temperatur auf der Erde in einer gewissen Bandbreite langfristig stabilisiert und Leben auf dem Planeten ermöglicht.277 An diesem Ausgleich sind langfristige Speicher beteiligt und er findet entsprechend über geologische Zeiträume, also Hunderttausende bis Millionen von Jahren statt. Die Wirkung erfolgt über die Regulierung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre. Steigt diese an, führen die höheren Temperaturen zu erhöhter Luftfeuchtigkeit, mehr Niederschlag und daher vermehrtem Wasserabfluss. Das bewirkt eine gesteigerte Verwitterung des Gesteins und somit Bindung und Ablagerung von Kohlendioxid in Sedimenten. Dieser Kohlendioxidsenke steht das natürliche Austreten von Kohlendioxid aus dem Boden, vor allem durch Vulkanausbrüche und tektonische Veränderungen, gegenüber. Ist die Kohlen­ dioxidkonzentration in der Atmosphäre zu hoch, steigen die Temperatur und die Verwitterungsrate, womit mehr Kohlendioxid im Boden gebunden wird. Dieses System unabhängiger Kohlendioxidquellen und einer konzentrationsabhängigen Senke sorgt für den Ausgleich.278 Durch geologische Veränderungen 273 IPCC, AR5 WGI, Figure 6.1 (S. 471) korrigiert in den Errata, 6.3.1 (S. 486). 274 IPCC, AR5 WGI, 6.3.1 (S. 486). 275 IPCC, AR5 WGI, 6.1.1 (S. 470), 6.3.1 (S. 486). (Wohl aufgrund von Rundungsunterschieden weicht damit die vorindustrielle Zahl um 1 PgC ab von den oben im Text erwähnten 589 PgC.) 276 IPCC, AR5 WGI, 6.3.1 (S. 486). 277 Archer (2010), S. 2, 24–25. Höhere Treibhausgaskonzentrationen in der Vergangenheit sind die wahrscheinlichste Erklärung, warum das Klima seit der Entstehung der Erde einigermaßen stabil blieb, obwohl die Kraft der Sonneneinstrahlung in diesem Zeitraum um 25–30 % zugenommen hat (»faint young sun paradox«). Archer (2010), S. 2, 24; Kump et al. (2010), S. 18–19, S. 234–239; Rahmstorf, Schellnhuber (2012), S. 14–15. 278 Archer (2010), S.10, 22–25; Kump et al. (2010), S. 154–170; Rahmstorf, Schellnhuber (2012), S. 15. Es existieren verschiedene Verwitterungsprozesse, manche binden Kohlendioxid, andere setzen es frei. Siehe z. B. Kump et al. (2010), S. 161, 163, 166.

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Kapitel 3

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wie zum Beispiel das Entstehen von Gebirgen kann die Höhe der langfristig ausgeglichenen Temperatur verändert, der ›Thermostat‹ anders reguliert werden.279 Dies führte dazu, dass das Klima der Erde im Zeitraum von Dutzenden bis Hunderten von Millionen Jahren zu- oder abnahm. Das Klima durchläuft langfristig wärmere und kältere Phasen, sog. hot­house und icehouse Zeiträume. In den Kaltzeiten entstehen Eisschilde an den Polarregionen und in den Warmzeiten herrscht auf der ganzen Erde ein tropisches Klima. Das letzte solche warme Klima herrschte vor etwa 50 Millionen Jahren (die Zeit der Dinosaurier endete vor 65 Millionen Jahren) und seither kühlte sich die Erde ab. Die Eisschilde an den Polarregionen entstanden langsam vor rund 35 Millionen Jahren.280 Diese langfristige, stabilisierende Wirkung des Kohlenstoffkreislaufes muss von dessen kurzfristiger Wirkung unterschieden werden, welche unterschiedlich ausfallen kann. Während den Eiszeitzyklen, also in Zeiträumen von zehntausenden von Jahren, hatte der Kohlenstoffkreislauf wie oben gesehen (Kapitel 3.1) eine verstärkende Wirkung. Momentan hingegen wirkt der Kohlenstoffkreislauf abschwächend, indem etwa die Hälfte der anthropogenen Kohlen­ dioxidemissionen durch Land und Meere absorbiert wird. Mittelfristig könnte der Kreislauf jedoch auch als positive Rückkopplung, also verstärkend wirken, zum Beispiel indem nach dem Auftauen von gefrorenen Landmassen darunterliegende Moore Kohlendioxid abgeben.281 Das momentan durch die Menschheit ausgestoßene Kohlendioxid wird durch die schnellen, kurzfristigen Kohlenstoffspeicher über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren abhängig von der erreichten Höhe der Konzentration zu 60 % – 85 % absorbiert. Der Rest wird allmählich durch den langfristigen Kohlenstoffkreislauf im Boden gebunden, womit das Gleichgewicht letztendlich wiederhergestellt wird. Nach 100 000 Jahren wird das Kohlendioxid weitgehend, aber nicht vollständig abgebaut sein und bis zum vollständigen Abschluss des Prozesses werden mehrere 100 000 Jahre vergehen.282 Finden sich keine technologischen Lösungen zum Entzug von Kohlendioxid aus der Atmosphäre, wird der heute verursachte Klimawandel bis dahin spürbar bleiben.

279 Archer (2010), S. 10, 25–27. 280 Archer (2010), S. 26, 58. 281 Archer (2010), S. 15–16, 20; IPCC, AR5 WGI, FAQ 6.1 (S. 530–531). 282 Archer (2010), S. 56; Archer (2005), S. 1, 3, 5; IPCC, AR5 WGI, FAQ 6.2 (S. 545).

Die erdgeschichtliche Perspektive

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