"Sigmar Gabriel muss Führung zeigen"

31.12.2015 - Für eine bloße Leistungsbilanz wird die SPD wieder nur so viele. Stimmen erreichen wie 2013 - 25,7 Prozent. Die Menschen wollen zu Recht ...
85KB Größe 5 Downloads 58 Ansichten
Artikeltextausgabe

31.12.15, 03:40

Politik

"Sigmar Gabriel muss Führung zeigen" Interview: Der Vorsitzende der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion, Achim Post, fordert ein neues "Godesberger Programm" für die Modernisierung seiner Parteiund nennt die Sozialdemokratie in Schweden als Vorbild. Deren 30-Prozent-Ergebnis sei auch die Zielmarke der SPD bei der Bundestagswahl

Herr Post, der SPD-Parteitag ist drei Wochen her. Wie blicken Sie mit diesem Abstand auf die wichtigsten Ergebnisse?

Achim Post: Wenn man vom Wahlergebnis für den Vorsitzenden Sigmar Gabriel mal absieht, war es ein guter Parteitag. Wir haben die zentralen Debatten der Innen- und Außenpolitik geführt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat eine sehr gute Rede über seine Friedensinitiativen gehalten. Der Parteitag hat mit mehreren Regierungschefs unserer Nachbarländer über die Zukunft Europas diskutiert.

Und wenn man von Sigmar Gabriels Ergebnis nicht absieht?

Post: Das war unterhalb des Erwartbaren. Von daher war es für die SPD kein erfolgreicher Parteitag.

Wie stark sind Ihrer Meinung nach Führungskraft und Führungsfähigkeit des Parteivorsitzenden beschädigt?

Post: Das liegt vor allem in Sigmar Gabriels Händen. Er muss weiter Führung zeigen. Nur Willy Brandt war seit dem Krieg länger SPD-Vorsitzender. Auch 75 Prozent sind ein ordentliches Ergebnis, mit dem der Parteivorsitzende gut arbeiten kann, zumal es keine organisierte Gegenbewegung gab und gibt. Das gilt auch für die Jusos.

Wie sehen Sie die Erfolgsaussichten der SPD?

Post: Wir sind eine sehr erfolgreiche Regierungspartei. Im Bund haben wir in der Großen Koalition sehr viel sozialdemokratische Politik durchgesetzt. Wir regieren in 14 von 16 Bundesländern und stellen in zwei Dritteln der Großstädte den Oberbürgermeister.

Bundesweit allerdings scheinen nicht mehr als 25 Prozent möglich zu sein.

Post: Es ist gut, wenn die SPD regiert. Aber wir müssen auch immer Programmpartei sein und die Zukunftsfragen unseres Landes diskutieren. Nicht zuletzt: Wir müssen eine starke Mitgliederpartei bleiben, die wieder attraktiver für politisch Interessierte wird, vor allem für junge Leute. Das Godesberger Programm von 1959 war hervorragend für das 20. Jahrhundert. Für das 21. Jahrhundert könnte die SPD ein neues Godesberg gut gebrauchen.

Und wie sind Ihre Antworten?

Post: Wir dürfen nicht in der Vergangenheit leben. Sozialdemokratische Parteien in ganz Europa sind kaum noch in der Lage, wie zu Zeiten Willy Brandts, Helmut Schmidts oder Gerhard Schröders Ergebnisse von über 40 http://epaper3.neue-westfaelische.de/digiPaperRef/servlet/articl…rvlet?page=2058990&text=18638264&showtext=true&showpicture=false

Seite 1 von 3

Artikeltextausgabe

31.12.15, 03:40

Prozent zu erreichen. Selbst die erfolgsverwöhnte Sozialdemokratie in Schweden liegt bei 30 Prozent. Das ist auch die Zielmarke der SPD.

Das reicht nicht zum Regieren.

Post: Nun ja, in Schweden oder Österreich reicht es, um in unterschiedlichen Bündnissen den Regierungschef zu stellen. Aber es stimmt: Heute arbeiten nur noch 25 Prozent der Menschen im industriellen Bereich. Der Kern der sozialdemokratischen Wählerschaft ist deutlich kleiner geworden. Der zweite Teil der Wahrheit lautet: Mitte der 70er Jahre gab es auf der linken Seite des politischen Spektrums nur die SPD. Jetzt sind wir nicht mehr allein.

Was sind denn die Zukunftsfragen, für die die SPD 2017 Antworten bereithält?

Post: Soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit sind und bleiben das Kernanliegen sozialdemokratischer Politik. In Deutschland und anderen europäischen Ländern wächst die Ungleichheit, wird der Abstand zwischen Arm und Reich größer. Ein ursozialdemokratisches Thema.

Was bedeutet eine Politik der sozialen Gerechtigkeit konkret?

Post: Ich habe selbst von der Politik Willy Brandts für Bildung und Chancengleichheit profitiert und konnte zum Gymnasium und zur Universität gehen. Wir brauchen eine neue Bildungsoffensive. Leistung muss zählen, nicht Herkunft. Wir brauchen für die vielen Menschen, die zu uns kommen, dringend eine durchdachte und nachhaltige Integrationspolitik. Nicht zuletzt: Wir brauchen 2016 in Deutschland mehr Investitionen in Infrastruktur und Innovationsfähigkeit.

Geht es konkreter?

Post: Noch vor 20 Jahren wurde mehr als die Hälfte aller öffentlichen Investitionen auf kommunaler Ebene getätigt, auch bei uns in Ostwestfalen-Lippe. Heute ist dieser Anteil auf 36 Prozent gesunken. Das ist auf die Dauer unhaltbar. Wir brauchen handlungsfähige Kommunen, und wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, meiner Meinung nach auch eine Stärkung der staatlichen Autorität insgesamt.

Was meinen Sie damit?

Post: Ich bin schon ziemlich irritiert, dass wir jeden Falschparker mit einem Strafmandat über 30 Euro ohne Ausnahme zur Rechenschaft ziehen, während es eher die Ausnahme zu sein scheint, Brandstifter von Asylbewerberheimen dingfest zu machen. Hier ist die Politik gefordert: Beim Kampf gegen Neonazis und Islamisten geht es um uns alle, geht es um unsere Demokratie. Dabei haben wir alle Möglichkeiten, energischer gegen diese Feinde der Demokratie vorzugehen.

Letzter Blick auf die Wahlen: Was muss die SPD bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 leisten?

POST: Wir müssen wieder mehr Politik wagen. Für eine bloße Leistungsbilanz wird die SPD wieder nur so viele Stimmen erreichen wie 2013 - 25,7 Prozent. Die Menschen wollen zu Recht von uns wissen, was wir in den nächsten zehn Jahren für sie erreichen wollen. Die SPD ist dann stark und mehrheitsfähig, wenn sie die Partei der Arbeit ist, wenn sie sich um die kümmert, die gearbeitet haben oder jetzt in Arbeit sind. Das betrifft die Mehrheit der Bevölkerung: in der Arbeitnehmerschaft oder im Mittelstand, im Handwerk oder im öffentlichen Dienst. Das betrifft all diejenigen, die sich unentgeltlich um Familie und Gesellschaft kümmern. Wir müssen uns http://epaper3.neue-westfaelische.de/digiPaperRef/servlet/articl…rvlet?page=2058990&text=18638264&showtext=true&showpicture=false

Seite 2 von 3

Artikeltextausgabe

31.12.15, 03:40

also um die kümmern, die das Land mit ihrer Arbeit am Laufen halten.

Das Gespräch führteThomas Seim

© 2015 Neue Westfälische 14 - Lübbecker Land, Donnerstag 31. Dezember 2015

http://epaper3.neue-westfaelische.de/digiPaperRef/servlet/articl…rvlet?page=2058990&text=18638264&showtext=true&showpicture=false

Seite 3 von 3