Schillers Pädagogik im Horizont von Leibniz und Kant - Libreka

und zur Humanistischen Psychologie bei Maslow und Rogers ..................... 119 .... ginnenden Studium der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants ein- setzt.
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Essener Schriften zur Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaft

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Andreas Bär studierte ####### und promovierte an der Universität Duisburg-Essen im Fach ###.

Bär · Schillers Pädagogik im Horizont von Leibniz und Kant

Die Subjektivitätsfrage, ##########

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Andreas Bär

Schillers Pädagogik im Horizont von Leibniz und Kant Zur historisch-systematischen Entwicklung des Bildungsgedankens vom frühen bis zum späten Schiller

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Universitätsverlag Rhein-Ruhr UVRR Universitätsverlag Rhein-Ruhr

Essener Schriften zur Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaft Band 8

S S E



Herausgegeben von Heinz Eickmans, Werner Jung, Ulrich Schmitz & Jörg Wesche

Andreas Bär

Schillers Pädagogik im Horizont von Leibniz und Kant

Andreas Bär

Schillers Pädagogik im Horizont von Leibniz und Kant Zur historisch-systematischen Entwicklung des Bildungsgedankens vom frühen bis zum späten Schiller ESS-KuLtur. Band 8

Universitätsverlag Rhein-Ruhr

Die vorliegende Studie wurde als Dissertation von Andreas Bär, geboren in Duisburg, zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) von der Fakultät für Bildungswissenschaften an der Universität DuisburgEssen unter folgendem Titel angenommen: Schillers Pädagogik im Horizont von Leibniz und Kant. Traditionslinien der historisch-systematischen Entwicklung des Bildungsgedankens beim frühen bis zum späten Schiller – im Ausgang von seinen theoretischen Schriften und ausgewählten literarischen Werken. Gutachter waren: Prof. Dr. Norbert Meder und Prof. Dr. Werner Jung. Die Disputation fand statt am 28.01.2015.



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Mike Luthardt

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

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ISBN

978-3-95605-013-8 (Printausgabe)



ISBN

978-3-95605-014-5 (E-Book)



Satz

UVRR

Druck und Bindung

FORMAT Druckerei, Jena Printed in Germany

Für Lara, Demien, Tom und Stefanie

Danksagung Die vorliegende Arbeit ist am 20. August 2014 von der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen als Dissertation angenommen worden. Ich danke Prof. Dr. Norbert Meder für seine langjährige und engagierte Unterstützung und mitunter dafür, dass er es ermöglicht hat, in zwei Aufsätzen Teilergebnisse der Dissertationsschrift in seiner Zeitschrift Spektrum Freizeit an die Öffentlichkeit zu bringen. Ebenso zu Dank verpflichtet bin ich Prof. Dr. Werner Jung für die Übernahme des Zweitgutachtens und für seine persönliche Beratung mit Blick auf die Publikation der Dissertationsschrift. Mein besonderer Dank gilt meiner Ehefrau Stefanie Bär für ihre liebevolle, reflektierte und motivationale Begleitung auf dem Weg der Entstehung und Fortentwicklung der Arbeit – und unseren Kindern Lara und Demien, denen ich lichtvolle Lebenseinsichten in Bildung verdanke, die in die Arbeit eingeflossen sind und die sie entscheidend mitgeprägt haben. Ganz herzlicher Dank gebührt schließlich meinen Eltern, weiterhin Prof. Dr. Jürgen Biehl, Dr. Günter Nahberger, Marc-André Hochheuser, seiner Ehefrau Sarah Lantosoa Hochheuser, Marc Andreoli und schließlich Dirk Bisalski für zahlreiche tiefsinnige Gespräche fachlichen Austauschs, für ihr aufrichtiges Interesse und ihre herzliche Anteilnahme am Schicksal der Arbeit. Hamminkeln, den 25.04.2015 Andreas Bär

„Schon mehrere Philosophen haben behauptet, daß der Körper gleichsam der Kerker des Geistes sey, daß er solchen allzusehr an das Irrdische hefte, und seinen sogenannten Flug zur Vollkommenheit hemme. Wiederum ist von manchem Philosophen mehr oder weniger bestimmt die Meinung gehegt worden, daß Wissenschaft und Tugend nicht sowohl Zwek, als Mittel zur Glükseeligkeit seyen, daß sich alle Vollkommenheit des Menschen in der Verbesserung seines Körpers versammle. Mich deucht, es ist diß von beiden Theilen gleich einseitig gesagt. […] Aber dessen ungeachtet ist es doch nichts mehr als eine schöne Verirrung des Verstandes, ein wirkliches Extremum, das den einen Theil des Menschen allzuenthusiastisch herabwürdigt, und uns in den Rang idealischer Wesen erheben will, ohne uns zugleich unserer Menschlichkeit zu entladen; ein System, das allem, was wir von der Evolution des einzelnen Menschen und des gesammten Geschlechts historisch wissen und philosophisch erklären können, schnurgerade zuwiderläuft, und sich durchaus nicht mit der Eingeschränktheit der menschlichen Seele verträgt. Es ist demnach hier, wie überall, am rathsamsten, das Gleichgewicht zwischen beiden Lehrmeinungen zu halten, um die Mittellinie der Wahrheit desto gewisser zu treffen.“ (Ueber den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen; NA 20, S. 40 [d. Verf.])

Anmerkungen zu Abkürzungen und zur Zitierweise Schillers theoretische Schriften, Briefe, Dramen, Novellen und Gedichte werden nach der Nationalausgabe (Schillers Werke. Nationalausgabe. Begründet von Julius Petersen, fortgeführt von Lieselotte Blumenthal und Benno von Wiese. Herausgegeben im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik und des Schiller-Nationalmuseums Marbach von Norbert Oellers. Weimar 1943ff.) unter Angabe der Sigle NA, der betreffenden Bandund Seitenzahl zitiert. Die direkte Zitation erfolgt unter Beibehaltung der Orthographie und Interpunktion der Primärtexte; die Briefe Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen werden unter dem Kurztitel Briefe über die ästhetische Erziehung zitiert. Datierte Briefe werden immer mit Adressat/in und Datum, soweit bekannt, angegeben. Nachfolgend genannte Primärquellentexte werden durch die Angabe folgender Siglen nachgewiesen:

Schillers Werke Friedrich Schiller: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Im Deutschen Klassiker-Verlag herausgegeben von Otto Dann, Heinz Gerd Ingenkamp, Rolf-Peter Janz, Gerhard Kluge, Herbert Kraft, Georg Kurscheidt, Matthias Luserke, Norbert Oellers, Mirjam Springer und Frithjof Stock. Frankfurt am Main 1988ff. (=FA) Schillers Briefe. Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Fritz Jonas. Kritische Gesamtausgabe. Sieben Bände. Stuttgart/ Leipzig/ Berlin/Wien 1892-96. (=JO)

Primärtexte anderer Autoren Kant, Immanuel: Werke in zehn Bänden. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Sonderausgabe Darmstadt 1983. (=KW) Leibniz, Gottfried Wilhelm: Sämtliche Schriften und Briefe. Akademieausgabe Darmstadt (dann: Berlin) 1923ff. (=LA) Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die philosophischen Schriften. Herausgegeben von Carl Immanuel Gerhardt. 7 Bände. Berlin 1875-1880. Hildesheim 1973. (=GP) Lessing, Gotthold Ephraim: Werke und Briefe. Herausgegeben von Wilfried Barner, Klaus Bohnen, Gunter E. Grimm, Helmuth Kiesel, Arno Schilson, Jürgen Stenzel und Conrad Wiedemann. 12 Bände. Frankfurt am Main 1985ff. (Bibliothek deutscher Klassiker) (=LWB)

Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1903– 36 (Neudruck 1968). (=HA) Auch diese Texte werden in deren Rechtschreibung und Zeichensetzung zitiert. Bis zum Zeitraum der Endredaktion erschienene Forschungsbeiträge sind berücksichtigt.

Inhalt 1

Schiller als Pädagoge – zum Theoriestatus seines Bildungsideals........................................................................17

1.1

Problemstellungsperspektiven und Verortung der Untersuchung im bildungstheoretischen Forschungsbereich historisch-systematischer Pädagogik...........................................17

1.2

Einordnung des vorliegenden Beitrages in die Landschaft der erziehungs- und bildungstheoretisch orientierten Schiller-Forschung – von nationalpädagogischen bis zu postmodernen pädagogischen Lesarten....................................25

1.3

Begründung der methodischen Vorgehensweise der vorliegenden Untersuchung und der Orientierung am problemgeschichtlichen Forschungsansatz in der Historischen Pädagogik............................................................57

2

Die Bildungstheorie des frühen Schiller im Horizont seiner Leibniz-Rezeption (1772–1787).................................73

2.1

„Nie wird dieser Bund vergehn, / Keine Zeit ihn mindern, / Schöner wird er auferstehn / In geliebten Kindern“ (NA 1, S. 155f.): Bildungstheorie der Freundschaft und Liebe als „Widerschein dieser einzigen Urkraft“ (NA 20, S. 119) – Schillers Grundlegung seiner Bildungskonzeption in allen bildungshistorischen Schaffensphasen......................................... 73

2.2

„Das Gleichgewicht zwischen beiden Lehrmeinungen“ (NA 20, S. 40): zum Integrationsversuch idealistischer und materialistischer Kernmotive und Grundgedanken in Schillers früher Bildungskonzeption..........................................96

2.2.1

„Alle Moralität des Menschen hat ihren Grund in der Aufmerksamkeit“ (NA 20, S. 27): Bildung im Horizont der Philosophie der Physiologie (1779) – Schillers Bildungsmodell der Informationsverarbeitung und der Aufmerksamkeitssteuerung......................................................................... 103

2.2.2

„Alle Sorgen und Lasten der Geschöpfe begräbt der Schlaf, sezt alles ins Gleichgewicht“ (NA 20, S. 75): Schillers Grundbedürfnistheorie im Zeichen des prästabilierten Ordnungszusammenhangs von Leib und Geist und der Kritik der Aufmerksamkeitssteuerungstheorie in seiner dritten Dissertation Ueber den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit einer geistigen (1780) – mit einem Exkurs zur Grundbedürfniskonzeption und zur Humanistischen Psychologie bei Maslow und Rogers...................... 119



2.2.3

„Durch den Mund der Liebe an das Herz seines Freundes reden“ (NA 22, S. 149): Schillers bildungstheoretische Begründung der Antinomie von Zwang und Freiheit in seiner vorkantischen Schaffensphase – Kritik der Bildungskonzeption der Freundschaft und Liebe in den Briefen über Don Karlos (1788)................................................................... 127

2.2.4

„In der ganzen Geschichte des Menschen ist kein Kapitel unterrichtender für Herz und Geist als die Annalen seiner Verirrungen“ (NA 16, S. 7): zur kriminalsoziologischen Dimension des Bildungsgedankens beim frühen Schiller als Teil des Integrationsversuchs idealistischer und materialistischer Kerngedanken – Umwege und Abwege menschlicher Bildung im Teufelskreislauf einer delinquenten Entwicklung........................ 137

2.2.4.1 „Bey der Erzählung hingegen wird das Besondre erst zum Allgemeinen erhoben“ (NA 20, S. 159): Schillers Poetologie der Novelle als Teil des Integrationsversuchs idealistischer und materialistischer Grundmomente innerhalb seiner frühen Bildungskonzeption...................... 137 2.2.4.2 Die „Begehrungskraft“ des sich Bildenden im Kreislauf „einer engen bürgerlichen Sphäre“ und einer „schmalen Umzäunung der Gesetze“ (NA 16, S. 7): Bildung im Umkreis einer delinquenten Entwicklung........... 144

3

„Ausflüsse eines wahrhaft empfindenden Herzens“ (NA 22, S. 189): Poetisches Schreiben als Bildungsmedium – zum Stellenwert und zur Bedeutung von Schillers Leibniz-Rezeption in ihrem biographisch begründeten und ideengeschichtlichen Zusammenhang mit Humboldts Sprach- und Bildungsphilosophie und der frühschillerschen Herzensausflusspoetik.......................155

3.1

Freundschaft und Liebe als „Wirkung der Dichtungskraft“ (NA 23, S. 80): Vergleich der bildungstheoretischen Perspektiven der Leibniz-Rezeption Humboldts und Schillers und ihrer Konsequenzen für ihre Bildungskonzeptionen..........................158

3.2

„Horch der hohen Harfe, / Dann Gott entzittert ihr“ (NA 1, S. 4): Dichten und Poetisches Schreiben als konstitutive Möglichkeitsbedingungen des Zugangs des Menschen zur Welt der Stoffe – Schillers bildungstheoretische Begründung seiner Herzensausgusspoetik im Horizont seiner Leibniz-Rezeption..................................................................167

3.3

Exkurs zur bildungstheoretischen Fundierung und Legitimation der Kreativen Schreibdidaktik von Kaspar Spinner......................................................................181

4

„Fruchtbar und weit umfassend ist das Gebiet der Geschichte; in ihrem Kreise liegt die ganze moralische Welt“ (NA 17, S. 359): die Bildungstheorie der historischen Schriften des Philosophieprofessors Schiller (1787–1792)..................197

4.1

„Durch immer neue und immer schönere Gedanken-Formen schreitet der philosophische Geist zu höherer Vortreflichkeit fort“ (NA 17, S. 362): zum Zusammenhang von materialer und formaler Bildung im autopoietischen Vorgang der ästhetischen Formung der Stoffe im Studium der Universalgeschichte..........................................................203

4.2

„Wahrheit und Schönheit, als zwo versöhnte Geschwister umarmen“ (NA 20, S. 88): zu Schillers Auffassung des Verhältnisses und des Zusammenhangs von Wissenschaft und Kunst gemäß seiner Theorie der historischen Bildung....... 211

5

„Das Uebergewicht der herrschenden Kraft unterscheiden wir von dem Uebergewicht der subordinierten Kräfte, und nennen jenes Schönheit, Vollkommenheit“ (NA 34I, S. 226): Schillers späte Pädagogik und sein bildungstheoretisch motiviertes Interesse an der Philosophie Kants – zum Versuch Schillers, sie auf dem Hintergrund seiner Rezeption von Leibnizschen und materialistischen Motiven, Ideen und Gedanken in einer Bildungstheorie des Schönen und Erhabenen zu integrieren (1792–1805).........................233



6

Zusammenfassung und Ausblick.........................................269

7 Bibliographie........................................................................285

1

Schiller als Pädagoge – zum Theoriestatus seines Bildungsideals „Man hat das Erdreich des Vesuvs untersucht, sich die Entstehung seines Brandes zu erklären; warum schenkt man einer moralischen Erscheinung weniger Aufmerksamkeit als einer physischen? Warum achtet man nicht in eben dem Grade auf die Beschaffenheit und Stellung der Dinge, welche einen solchen Menschen umgaben, bis der gesammelte Zunder in seinem Inwendigen Feuer fing? Den Träumer, der das Wunderbare liebt, reizt eben das Seltsame und Abenteuerliche einer solchen Erscheinung; der Freund der Wahrheit sucht eine Mutter zu diesen verlorenen Kindern. Er sucht sie in der unveränderlichen Struktur der menschlichen Seele und in den veränderlichen Bedingungen, welche sie von außen bestimmten, und in diesen beiden findet er sie gewiß.“ (Der Verbrecher aus verlorener Ehre; NA 16, S. 9)

1.1

Problemstellungsperspektiven und Verortung der Untersuchung im bildungstheoretischen Forschungsbereich historisch-systematischer Pädagogik

Im 15. seiner Briefe Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen1 spricht Friedrich Schiller den anthropologischen Grundsatz aus, der zeitlebens für ihn verbindlich bleibt: Der Mensch sei weder ausschließlich als Materie, noch allein als Geist zu fassen.2 Klaus Berghahn bemerkt in seiner unter dem Titel Schiller – Ansichten eines Idealisten3 veröffentlichten Monographie zu Schiller: „Diese Einsicht bestimmte Schillers Leben, Denken und Dichten. Sie ist das wiederkehrende Thema seiner theoretischen Schriften und die vorherrschende Dialektik seiner Dramen.“4 Der bildungstheoretische Gehalt der Grundaussage Schillers über die Beschaffenheit des menschlichen Wesens erschöpft sich allerdings nicht in der ästhetischen Läuterung des Menschen zum wahren Menschsein; er geht nicht in der 1

2 3 4

Der Originaltitel lautet: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Im Folgenden werden sie als Briefe über die ästhetische Erziehung bezeichnet und wie die übrigen in dieser Arbeit herangezogenen Schriften von Schiller auch nach der 1940 von Julius Petersen begründeten Nationalausgabe zitiert, die von den handschriftlichen Originalen der Schiller-Schriften ausgeht und aufgrund ihrer historisch-kritischen Edition wie auch aufgrund ihrer ausführlichen Kommentierungen für die textkritische Arbeit mit dem opus von Schiller unverzichtbar ist. Vgl. NA 20, S. 356. Vgl. BERGHAHN 1986. BERGHAHN 1986, S. 28.

18

Kapitel 1

Beantwortung der Frage auf, inwieweit die Theorie und Praxis der Dramen wie auch die Konzeption einer ästhetischen Erziehung des Menschen dessen Bildung zur Humanität initiieren, anregen und bereichern; er reicht weiter zurück bis zum bildungstheoretischen Denken Schillers, das bereits vor dem im Februar 1791 mit der Lektüre der Kritik der Urteilskraft 5 beginnenden Studium der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants einsetzt. Im 15. seiner Briefe über die ästhetische Erziehung formuliert Schiller den anthropologischen Kernsatz seiner Spieltheorie und Bildungstheorie des Schönen, wenn er an den Herzog von Augustenburg schreibt: „Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (NA 20, S. 359) Das Zitat Berghahns aus der Sekundärliteratur zu Schillers Konzeption einer ästhetischen Menschenbildung und das von Schiller fassen dessen Bildungstheorie zusammen  – allerdings erst in ihrer Spätphase. Will man Schillers bildungstheoretisches Denken in seinem Grund, im doppelten Sinne von seinem Unter- und Beweggrund, verstehend erfassen, so führt dieses Untersuchungsvorhaben auf den wechselseitigen Zusammenhang von der Beschaffenheit des als monadisch gedachten menschlichen Wesens und der Kunst. Um diesen Problemzusammenhang in seiner Facettenhaftigkeit zu verstehen, wie er von Schillers frühem Bildungsgedanken her konzipiert ist, reicht es nicht aus, ihn allein oder hauptsächlich unter den Leitaspekten der Adaption und produktiven Weiterentwicklung Kantischer Ideen zu befragen. Der bildungstheoretische Gehalt der Texte des jungen Schiller lässt sich nicht in seiner gesamten Bedeutung für Schillers Grundlegung einer Bildungstheorie und Didaktik der Menschheit wie überhaupt in seiner interdisziplinären Facettenhaftigkeit erschließen, wenn man allein oder hauptsächlich die von Schillers Adaption und produktiven Weiterentwicklung Kantischer Ideen inspirierten ästhetischen Abhandlungen im Hinblick auf Ansätze zu einer Pädagogik des Schönen und Erhabenen untersucht. Ebenso wenig wie eine einseitige problemgeschichtliche Fokussierung der Untersuchung auf Schillers Übernahme, Neu- und Weiterverarbeitung der Erkenntnis-, Moral- und Kunstphilosophie von Kant ist eine Konzentration auf Schillers konstruktive Leibniz-Rezeption ausreichend, um seine Bildungstheorie in der ihr gebührenden Vielschichtigkeit zu begreifen, die sie in ihrer Entwicklung und der ihres Autors erfährt. So konstitutiv Schillers Applikation der Leibnizschen Monadenkonzeption, dessen Lehre von der prästabilierten Harmonie, seiner Auffassung der Welt als ein Stufenreich von Perzeptionskräften und der Stellung des Menschen im Gefüge der gottgegebenen und gottdurchwirkten Seinsordnung auf seine, 5

Vgl. KW 8.

Schiller als Pädagoge – zum Theoriestatus seines Bildungsideals

19

Schillers, Bildungsidee auch ist, so wesentlich ist auch seine produktive Ausformung materialistischer Momente. Die Auffassung, dass diese mit idealistischen Momenten im dichotomischen und antinomischen Spannungsverhältnis zueinander stehen und sie dennoch im Bildungsvorgang des Menschen und in einer vielschichtigen Bildungstheorie in Korrelation gebracht werden müssen, will man das Wesen des Menschen nicht verfehlen, hält sich im gesamten bildungstheoretischen Denken von Schiller als Konstante.6 Grundzüge der idealistischen und materialistischen Gottes6



Der Korrelationsbegriff wird in der vorliegenden Arbeit im Sinne einer wechselseitigen Beeinflussung verstanden und ist in jeder Periode von Schillers bildungstheoretischem Denken deskriptiv (als Teil von Seinsaussagen) und normativ (als Teil von Sollensaussagen) gemeint: In jedem Denkstadium ist es Schiller daran gelegen, bei sich und seinen Mitmenschen eine sachliche Auseinandersetzung und einen reflektierten Umgang mit dem Problemzusammenhang zu fördern, inwiefern, inwieweit und nach welchen Gesetzlichkeiten (in und außerhalb der Psyche des Menschen) sich Stoff und Form, causa materialis und causa formalis, Sinnlichkeit einerseits und Verstand wie Vernunft andererseits gegenseitig beeinflussen (a beeinflusst b, und b beeinflusst a). Wenn es um Schillers Rezeption und um seine produktive Neu- und Weiterverarbeitung materialistischer Momente des menschlichen Bildungsvorgangs geht, kennzeichnet der Korrelationsbegriff einen Ist-Zustand (Mehrere Momente wirken wechselhaft aufeinander, bedingen und stärken sich gegenseitig, sodass der Bildungsprozess des Menschen auf Irrwegen, Umwegen oder Abwegen einer humanen Bildung oder auch nicht in die Richtung der menschlichen Höherbildung verläuft). Wenn in der vorliegenden Schrift auf Schillers Bildungsidee der harmonischen Zusammen- und Ineinanderwirkung der menschlichen Kräfte wie auch auf das bildende Verhältnis von Stoff und Form Bezug genommen wird, dann wird der Korrelationsbegriff als Moment einer Sollensaussage begriffen; in diesem Fall beschreibt er einen nach Schiller von jedem Menschen anzuvisierenden Soll-Zustand. Die vorliegende Monographie soll zudem aufzeigen, inwiefern sich Kausalität des Stoffes und Finalität der Form, und das heißt für Schiller: materialistische und idealistische Momente nicht nur im Bildungsvorgang des Menschen, sondern auch im künstlerischen und wissenschaftlichen (Theorie-)Bereich wechselseitig und produktiv-kritisch beeinflussen, bedingen und befördern sollen. Gemäß Schillers Kunstund Wissenschaftsverständnis sollen Elemente von Thesen und Antithesen auch auf wissenschaftlicher Ebene im Sinne des dialektischen Dreischritts nach Hegel zu einer Synthese verbunden und geformt werden. Korrelation als wechselseitige Beeinflussung in diesem dialektischen Kontext referiert auf Schillers Bestreben der Synthese idealistischer und materialistischer Momente in einer umfassenden Bildungstheorie. Sie soll Schiller zufolge Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Dichotomien und Spannungsfelder in sich aufheben im doppelten Sinne: sie sollen in seinem Bildungsgedanken Aufbewahrung und Konservierung finden, im Wandel geschichtlicher Ereignisse und Umbrüche auf Dauer gestellt werden, also aufgehoben werden; darüber hinaus gilt es die zwischen ihnen bestehende Spannung auf eine gedanklich höhere Stufe zu heben und in dieser Überhöhung einen Synthese-Kompromiss einzugehen, die spannungsreichen Momente auszugleichen und zu versöhnen, also aufzuheben im zweiten Sinne. Vgl. zur Begründung des bereits frühschillerschen

20

Kapitel 1

und Weltanschauung wie auch gerade an Leibniz orientierte idealistische und materialistische Momente der Auffassung von der menschlichen Natur sind ihm im Rahmen seiner Ausbildung zum „philosophischen Arzt“ durch den Unterricht an der Hohen Karlsschule vermittelt worden.7 Die damit verbundenen biographischen und ideengeschichtlichen Einflüsse hinterlassen einprägsame Spuren in der späten Denkperiode und damit in seiner Konzeption einer ästhetischen Erziehung und Bildung. Die Briefe über die ästhetische Erziehung gelten als eines der Hauptdokumente dieser Schaffensphase. Liest man sie genau, so fällt auf, dass Schiller auch mit seiner Spieltheorie ein von materialistischen Einfüssen nicht unberührtes Menschenbild zu verknüpfen sucht: So erblickt er zum Beispiel die Voraussetzung und Möglichkeitsbedingung dafür, dass der schöne Schein der Kunst seine kräfteharmonisierende und sittlich-moralisch bildende Wirkung auf den Rezipienten zu initiieren, anzuregen und zu entfalten vermag, im Schönen; zugleich schränkt er dessen Wirkungsspektrum ein, so zum Beispiel im 19. der Briefe über die ästhetische Erziehung; dort stellt Schiller heraus, dass von dem Wesen und der Wirkweise des schönen Scheins der zur Humanität bildenden Kunst nicht angenommen werden dürfe, dass von seiner Seite her jemals „die Kluft könnte ausgefüllt werden, die das Empfinden vom Denken, die das Leiden von der Thätigkeit trennt; diese Kluft ist unendlich“ (NA 20, S. 369). Bevor Schiller die endlose Differenz zwischen Leiden und Denken, sinnlich-stofflicher Affizierung und formgebender Verstandes- und Vernunftarbeit durch die Annahme und Begründung des Spieltriebs in seiner späten Textproduktionsphase aufzuheben versucht, sucht er mitunter in seiner Erzählung

7

Wissenschaftsverständnisses und zur Synthetisierungsaufgabe bildungstheoretischen Denkens Schillers dritte Dissertationsschrift. (Vgl. NA 20, S. 40) Vgl. zum Verständnis, zum Stellenwert und zur Bedeutung des dialektischen Dreischritts im Bildungsgedanken bei Hegel LÖWISCH 1998, S. 200–211, bes. S. 206. Mithin schon die Stammbuchblätter aus den Jahren 1776–1781 verarbeiten zentrale Kernmomente der Freundschafts- und Liebesphilosophie. (Vgl. NA 1, S. 26ff.) Auch in diesen frühen Gedichten lässt Schiller sie mit materialistischen Momenten korrelieren; erst nach der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse nach Nahrung und körperlicher Gesundheit ist der Mensch offen für Glückseligkeit und zum Gotteslob fähig. Entsprechend findet sich als Sentenz und Rat an einen anonymen Freund der anthropologische Grundsatz gerichtet: „Wenn du gegessen und getrunken hast, und […] satt bist, / so sollst du den Herrn deinen Gott loben.“ (NA 1, S. 27 [d. Verf.]) Das Gedicht hat den Titel Einem ausgezeichneten Esser. Diesen von Johann Wilhelm Petersen überlieferten Bibelspruch (vgl. 5 Mose 8,10) hat Schiller in das Stammbuch eines Karlsschülers geschrieben; der genaue Adressat kann nicht mehr rekonstruiert werden. Vgl. zur Entstehung und Überlieferung des Gedichttextes NA 2II/A, S. 37.

Schiller als Pädagoge – zum Theoriestatus seines Bildungsideals

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Der Verbrecher aus verlorener Ehre aufzuzeigen, welche Probleme und Schwierigkeiten sich für den Menschen ergeben können, wenn ihm die Gelegenheit verwehrt wird, im Angesicht des Kunstschönen im zweckfreien Spiel seiner Kräfte die Möglichkeiten seiner eigenen inneren Vervollkommnung zu antizipieren. Damit ist ein umfassendes Kernthema getroffen, das auch seine Dramen als übergreifendes Gesamtthema miteinander verbindet. Neben seinem dichterischen Schrifttum hat Schiller ein bildungsphilosophisch reflektiertes essayistisches opus hinterlassen. Von seinen drei medizinischen Dissertationen und frühen philosophischen Aufsätzen führt es über poetologische Traktate, historische Abhandlungen wie auch Rezensionen und Miszellen bis hin zu den Schriften zur Geschichtsphilosophie und Ästhetik. Dass Schiller sich von der inhaltlichen und formalen Vielfalt seines Werkes her als ein Schriftsteller erweist, der dem aufklärerischen Ideal des polyhistorisch und vielseitig publizierenden Gelehrten in stärkerem Maße gerecht wird, als „die mit seinem Namen gemeinhin verbundenen Vorstellungen zunächst erwarten lassen“8, hebt Wolfgang Riedel zu Recht im Vorwort seiner ideengeschichtlich verfahrenden Untersuchung der Zusammenhänge von Anthropologie und Literatur hervor. Riedels Dissertationsschrift untersucht sie auf der hermeneutischen Quellengrundlage, wie sie sich am Beispiel der wissenschaftlichen und erzählenden Prosa Schillers in der – frühen – Schaffensperiode von 1779 bis 1789 textkritisch erfassen lassen. „Tatsächlich genügt es, sich zu vergegenwärtigen, daß der Dichter Schiller von seiner Ausbildung her eigentlich Arzt, von Beruf in seinen ersten Jenenser Jahren jedoch Professor für Geschichte und schließlich zeit seines Lebens Philosoph aus Neigung war, um ermessen zu können, daß die Spannweite des Wissens, aus dem dieser poeta doctus schöpfen konnte, beträchtlich gewesen ist – selbst für eine Zeit, in der Poesie und Wissenschaft noch nicht entzweit waren“, betont Riedel. So nimmt es nicht wunder, dass er auf eine „anthropologische Spur in Schillers Denken“ aufmerksam wird, „die den Blick öffnen könnte für die Kontinuität seiner Theoriebildung von der ‚Philosophie der Physiologie‘ bis zu den ‚Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen‘ (eine Kontinuität, die sich auch über die Zäsur der Kant-Rezeption hinweg verfolgen ließe) und zugleich die Brücke zum literarischen Werk schlägt, das doch über weite Strecken ebenfalls die ihm eigene konzeptionelle Kraft jener spezifisch anthropologischen Neugierde seines Autors verdankt.“9 8 9

Riedel 1985, S. V. Riedel 1985, S. V.

22

Kapitel 1

Verfolgt man im Sinne Riedels den Werdegang und die Stadien des anthropologischen Denkens und weiterführend seines Bildungsgedankens, so wird man mit einem entscheidenden Problem konfrontiert, das über Riedels ideengeschichtliches Erforschungsspektrum der Quellen und Einflüsse hinausreicht, die zu Schillers Anthropologie führen und die er rezipiert. Dabei handelt es sich um das Problem, wie nach Schiller eine Bildung gefasst werden kann, die die Stellung wie auch den Erziehungsund den Bildungsvorgang des Menschen im Spannungsfeld von Finalität der Form und Naturkausalität des Stoffes inauguriert. Bildung, deren Förderung wie auch deren Hemmung verlaufen und bewegen sich danach in antinomischen Spannungsfeldern. Deren Erforschung und Auflösung hat sich Schiller zur Lebensaufgabe seines bildungstheoretischen Denkens und zur Aufgabe der Objektivierung seiner Ideen in seinen Publikationen gemacht. Will man seine Beleuchtung des Bildungsproblems in seinen Verstehenshorizont einholen, dann wird man auf die Frage geführt, wie nach Schiller eine Bildung zu denken ist, die dem Menschen fortschrittliche Entwicklung, innere Erfüllung wie auch die Fähigkeit zum sittlich guten Handeln zubilligt; zugleich aber soll der Mensch innerhalb einer Bildungstheorie nicht einseitig subjekttheoretisch dahingehend missverstanden und euphemistisch idealisierend überbewertet werden, dass sie seine Grenzen verkennt und ihm rein autonomes Denken und wesensmäßiges Verstehen zuspricht, auf das seine Bildung, als Vorgang reiner Selbstgestaltung, zielstrebig und allein zuzulaufen hätte. Anders formuliert gelangt man zur Frage- und Problemstellung: Wie also ist eine Bildung des Menschen zu denken, deren Auslegung sich nicht auf die Momente des Fortkommens von Fremdgesetzgebung und ein Fortschreiten zur Selbstgesetzgebung – im Sinne von Konzeptionen von Autonomie in Reinform – zentriert begreift? Denn „bei allen Differenzen unter den um Bildungstheorie Bemühten scheint heute Einigkeit darin zu bestehen, daß wir nicht ohne weiteres an den Gebrauch des Wortes ‚Bildung‘ anknüpfen können, wie er uns aus dem deutschen Sprachzusammenhang und insbesondere aus den pädagogischen Theorien um 1800 überliefert ist“10, bemerkt Ruhloff bezeichnenderweise. So ist die Frage, ob nicht ein Rückgang auf einen zentralen und spannungsreichen aufklärerischen Bildungsgedanken, wie er bei Schiller zu finden ist, Denkmöglichkeiten bereitstellt, eben nicht einseitig, hypostasierend und verabsolutierend-dogmatisch die idealistische Traditionslinie der neuhumanistischen Dimension von Schillers Bildungsgedanken zu rezipieren. Genauer gesagt: Es geht um die Rekonstruktion und Erhellung eines Bildungsbegriffs in Begrün10

RUHLOFF 1996, S. 148.

Schiller als Pädagoge – zum Theoriestatus seines Bildungsideals

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dungszusammenhängen, deren Fokus nicht die idealistisch-neuhumanistische Gedankenlinie zum Ausgangspunkt und Hauptbezugspunkt einer Bildungskonzeption macht, so wie umgekehrt auch die Auslegung und Begründung von Bildung nicht allein oder hauptsächlich von der materialistischen Philosophie des 18. Jahrhunderts und deren Verarbeitung her erfolgen sollte. Schiller bietet Begründungsperspektiven auf Möglichkeiten der Kombination und Korrelation von idealistischen und materialistischen Momenten von Bildung. Aus seiner Sicht müssen und dürfen idealistische und materialistische und damit auch formale und materiale Bildung und Didaktik keine konkurrierenden Konzepte darstellen. Stellt man didaktische Realisierungsmöglichkeiten so verstandener Bildung in das Blickfeld bildungstheoretischer Untersuchung, so tritt die Notwendigkeit in den Vordergrund, nicht nur auf unterrichtsmethodische Förderungsmaßnahmen einer gelungenen allgemeinen Bildung zu reflektieren, sondern auch weiterführend auf eine Bildungstheorie, die psychische und gesellschaftliche Faktoren und Grundbedingungen nicht allein berücksichtigt; ihr wechselseitiges Bezogensein in einer umfassenden Bildungskonzeption zu systematisieren und zu erfassen, ist für Schiller in jeder Phase seines Schaffens Ziel und Aufgabe einer Bildungstheorie, die den Menschen in seiner Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft wie überhaupt im Prozess vielseitiger emotionaler, kognitiver, ästhetischer und sittlich-moralischer Erziehung und Bildung nicht verfehlen will. Die vorliegende Untersuchung widmet sich dem Problem, wie sich das bildungstheoretische Denken und Forschen von Schiller historisch-systematisch entwickelt hat. Gerade ein problemgeschichtlicher Zugriff auf den Ursprung, die Grundmotive und die bildungshistorische Reflexion der verschiedenen Facetten und Dimensionen der Bildungskonzeption Schillers zeigt, inwiefern der Gemeinplatz der Schiller-Forschung berechtigt ist, dass die religiöse, politische und moralische Orientierung das Ausgangsmotiv bei Schiller bildet. Insoweit steht er nicht nur in der Tradition des Kantischen Denkens. Seine Bemühungen, das Bildungsproblem zu lösen, führen ihn zu immer neuen Perioden seiner bildungsphilosophischen Versuche, idealistische und materialistische Motive und Gedanken in einer facettenreichen Bildungstheorie so zu integrieren, dass individuelle Glückseligkeit und Menschenbildung im Zeichen und Wechselspiel einer politisch gerechten Gesellschaft in den Verstehenshorizont und Prospekt einer nahen Zukunft gerückt werden. Schon von diesen Leitmotiven der Bildungsphilosophie von Schiller her wird offenkundig, dass Schiller im aufklärerischen Programm steht. Von diesem Standort verwundert es nicht, dass er von Leibniz her das von Kant reflektierte Problem zu lösen versucht, die intelligible Welt mit der empirischen in Einheit oder

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Kapitel 1

auch nur im Verbund theoretisch zu fassen. Ein Kernproblem der dritten Antinomie der reinen Vernunft, nämlich die Frage, wie man zur Willensund Handlungsfreiheit erziehen kann, obwohl doch Erziehung Zwang ist, bleibt bei Kant letztlich unbeantwortet. Er hat sie selbst als Frage stehengelassen. Das Problem der Höherentwicklung der einzelnen Menschen im gesellschaftlichen Zusammenleben, des Menschen im Kollektivsingular, im Verbund mit und unter der Leitung von legalen staatlich beschlossenen und legitimen sittlich-moralischen Gesetzen hat er dann eher rechtsphilosophisch zu lösen versucht. So liefert er in seiner Schrift Zum ewigen Frieden11 von 1795 als Erster den rechtlichen Rahmen einer Weltgesellschaft, der noch heute zu den Statuten der UNO taugen würde. Die facettenreiche Verbindung von Leibniz und Schiller systematisch und historisch zu begründen, ist Aufgabe der vorliegenden Dissertationsschrift. Dabei kann man sich nicht auf die pädagogischen Arbeiten des späten Schiller (ab 1791) beschränken, wie dies in der bisherigen Schiller-Forschung weitgehend im Rahmen von Rekonstruktionsversuchen von Kant her gemacht worden ist. Nach Maßgabe der Entwicklung seines Bildungsgedankens im Horizont der Leibnizschen Monadenkonzeption, der Leibnizschen Theodizee und der Traditionslinien seiner bildungsgeschichtlichen Entwicklung gilt es Denkperioden zu unterscheiden  – je nachdem sie eher an Leibniz, an Momenten der materialistischen Philosophie oder an Kant orientiert sind – je nachdem sie eher der Freundschaftsund Liebessemantik folgen, oder dem Motiv der erkenntnistheoretischen Informationsverarbeitung oder aber dem Motiv der Dialektik von Form und Materie, Individuum und Gesellschaft in der Gefolgschaft der materialistischen Dimension von Bildung und in der Gefolgschaft von Kant. Gerade die letztere Unterscheidung in der thematischen Fokussierung legt den Beitrag frei, den Schiller zu modernen didaktischen Theorien leistet. Die Nähe zu modernen Unterrichtsmethoden, zu didaktischen, teils auch psychologischen Konzeptionen und deren aufklärerisch-idealistischen Begründungszusammenhängen sollte  – über die vorliegende Arbeit hinausweisend – herausgearbeitet und im problemgeschichtlichen Nexus und auf der Grundlage ihrer bildungshistorischen Verbundenheit mit Schillers Bildungsgedanken im Horizont und Spannungsfeld von Leibniz, materialistischen Momenten und Kant reflektiert werden. Wegweisend für dieses Forschungsvorhaben ist dabei, dass in jeder Denkperiode von Schiller dessen Bemühen, Form und Materie in Einheit oder wenigstens im Zusammenhang zu denken, ein entscheidender Stellenwert zukommt. Materiale und formale Bildung werden von Schiller in jeder 11

Vgl. KW 9, S. 191–251.

Schiller als Pädagoge – zum Theoriestatus seines Bildungsideals

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Phase seines bildungsphilosophischen Denkens nicht als sich gegenseitig ausschließende Momente des Bildungsvorgangs oder als konkurrierende Konzeptionen gedacht, sondern in ihrer wechselhaften Bezogenheit auf bildungsphilosophisch und bildungshistorisch facettenreiche Fundamente gestellt. In einzelnen Exkursen soll gezeigt werden, dass Bildung im Sinne von Schiller auch in seiner Nachfolge teils in gemeinsamer Denktradition und Kontinuität mit ihm, teils aber auch unter Berufung auf ihn oder im Zusammenhang mit Momenten seiner Bildungskonzeption ausgelegt wird und dass die von ihm behandelten Probleme und Momente menschlicher Bildung bis heute virulent sind. Den Zusammenhang von Form und Inhalt, den Kant letztendlich nicht angemessen hat lösen können, führt der frühe Schiller bereits ohne Kenntnisse der Schriften und Philosophie von Kant vielschichtigen Lösungsversuchen zu und eröffnet sich den Weg zu seiner späten Periode im Horizont der Kantischen Transzendentalphilosophie, die ja an wesentlichen Stellen explizit gegen die Leibnizsche Position gerichtet ist. Seine späten Lösungsversuche sind dabei wie gerade seine Kant-Rezeption vorgeprägt von denjenigen, die er in den beiden bildungstheoretischen Denkstadien vor seiner Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants unternimmt. Diesen Standpunkt hat die bisherige bildungstheoretisch orientierte Schiller-Forschung bislang noch nicht eingenommen. Die Perspektive eines Zusammenhangs von philosophischen Konzepten von Leibniz und Kant geht im Übrigen weit über Schiller hinaus. Die vorliegende primär bildungshistorisch angelegte Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, die pädagogische Aufklärung in einem solchen Spannungsfeld zu betrachten, aufklärerische Bildungstheorien und in deren Problemkontext stehende Erziehungs- und Bildungstheorien in diesem Spannungsfeld zu verstehen und die bildungshistorischen Wurzeln mit ihnen zusammenhängender moderner Erziehungs- und Bildungskonzeptionen zu analysieren.

1.2

Einordnung des vorliegenden Beitrages in die Landschaft der erziehungs- und bildungstheoretisch orientierten Schiller-Forschung – von nationalpädagogischen bis zu postmodernen pädagogischen Lesarten

Es ist die Funktion von Forschungsberichten, den eigenen Ansatz und Beitrag in das Vorfeld der Forschung einzuordnen. Dies ist hier auf besondere Weise gefordert. Die Darstellungssystematik folgt der Periodisierung des Bildungsdenkens von Schiller in die Denkphasen der frühen Freundschafts- und Liebestheorie, der Konzeption der historischen und schließlich der ästhetischen Bildung. Gerade zur letzteren Phase existiert