Resilienz: Ein Entwicklungspotential für Kinder

62. IV. 9. 4 Analyse narrativer Interviews. 63. IV. 9. 5 Dokumentarische Textinterpretation. 63. IV. 10 Fallrekonstruktion/Fallkontrastierung. 64. V. ERGEBNISSE.
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Jana Schubert-Rakowski

Resilienz Ein Entwicklungspotential für Kinder

disserta Verlag

Schubert-Rakowski, Jana: Resilienz: Ein Entwicklungspotential für Kinder. Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95425-714-0 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-715-7 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 Covermotiv: © laurine45 – Fotolia.com

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Inhaltsverzeichnis I. EINLEITUNG

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II. KONZEPTUELLER RAHMEN

17

II. 1 Kindheit II. 1. 1. gesellschaftstheoretische Ansätze

17 17

II. 1. 2 sozialisationstheoretische Ansätze und das Kind als sozialer Akteur

18

II. 1. 3. strukturelle Ansätze

20

Kindheit in der Generationenbeziehung (Leena Alanen)

20

Kinder als ökonomische Generation (Jens Qvortrup)

21

II. 1. 4 biographietheoretischer Ansatz und Kindheit als Teil des Lebenslaufes II. 2 Familie II. 2. 1 Begriff

22

23 24

II. 2. 2 Familie als Sozialisationsinstanz

25

II. 2. 3 Familie als Schutz- und Schonraum

26

II. 3 Armut II. 3. 1 Ressourcenansatz

27 27

Absolute Armut

27

Relative Einkommensarmut

28

II. 3. 2 Lebenslagenansatz

29

II. 3. 3 Lebenslagen von Kindern/Kinderarmut

30

II. 4. Resilienz II. 4. 1 Was ist Resilienz?

31

II. 4. 2 Forschungsstand

32

II. 4. 3 Charakteristika

34

II. 4. 4 Konzepte von Resilienz

35

31

Konzept der Bewältigung von Krisen (Oevermann)

35

Das Moderatorkonzept/Puffer-Modell (Rutter)

36

Konzept der Resilienz von Familien (Walsh)

37

Rahmenmodell von Resilienz (Kumpfer)

37

II. 4. 5 Kritik an den Konzepten von Resilienz

38

II. 4. 6 Schlussfolgerungen

39

III. DAS KINDER- UND JUGENDPROJEKT: DIE ARCHE

41

III. 1 Das Projekt

41

III. 2 Intentionen und Ziele

42

III. 3 Visionen

42

III. 4 Das Kinder- und Jugendwerk „Die Arche“ e.V. in Hellersdorf

43

IV. DIE FELDSTUDIE: DESIGN UND METHODISCHES VORGEHEN

45

IV. 1 Qualitative Sozialforschung als Ansatz

45

IV. 2 Grounded Theory (Glaser/Strauss)

46

IV. 3 Objektive Hermeneutik (Oevermann)

47

IV. 4 Dokumentarische Methode (Bohnsack)

49

IV. 5 Interview IV. 5. 1 biographische Methode

50 50

IV. 5. 2 Das narrativ-biographische Interview

51

IV. 5. 3 Interviews mit Kindern

52

IV. 6 Fallauswahl

52

IV. 7 Datenerhebung IV. 7. 1 Vorgehensweise

55 55

IV. 7. 2 Leitfadeninterview

56

IV. 7. 3 Memos

57

IV. 8 Transkription

57

IV. 9 Datenauswertung IV. 9. 1 Datenanalyse im Rahmen der Grounded Theory

58 58

IV. 9. 2 Kodierparadigma

60

IV. 9. 3 Objektive Hermeneutik

62

IV. 9. 4 Analyse narrativer Interviews

63

IV. 9. 5 Dokumentarische Textinterpretation

63

IV. 10 Fallrekonstruktion/Fallkontrastierung

64

V. ERGEBNISSE

67

V. 1 Fall 1 – Annika

68

V. 1. 1 Interviewsituation

68

Hintergrund

68

Das Interview – Melanie und Christian

69

Das Interview – Annika

70

V. 1. 2 Biographie der Familie

71

Melanie

71

Christian

73

Elternbeziehung

74

Eltern-Kind-Beziehung

79

V. 1. 3 Portrait Annika

84

Persönliche Merkmale

84

Lebensumwelt

89

V. 1. 4 Deutungsmuster

92

Melanie

92

Christian

93

Annika

94

V. 1. 5 Hypothese zum Fall Annika: Krise als Möglichkeit zur Entwicklung V. 2 Fall 2 – Anna V. 2. 1 Interviewsituation

95

96 96

Hintergrund

96

Das Interview - Jens

97

Das Interview - Anna

97

V. 2. 2 Biographie der Familie

99

Jens

100

Marion

102

Elternbeziehung

102

Eltern-Kind-Beziehung V. 2. 3 Portrait Anna

106 111

Persönliche Merkmale

111

Lebensumwelt

117

V. 2. 4 Deutungsmuster

120

Jens

120

Anna

121

V. 2. 5 Hypothese zum Fall Anna: Krise als Gefahr für die Entwicklung

122

V. 3 Fall 3 – Daniel V. 3. 1 Interviewsituation

123 123

Hintergrund

123

Das Interview – Andre und Kerstin

124

Das Interview - Daniel

124

V. 3. 2 Biographie der Familie

125

Andre

125

Kerstin

126

Elternbeziehung

127

Eltern-Kind-Beziehung

134

V. 3. 3 Portrait Daniel

140

Persönliche Merkmale

140

Lebensumwelt

143

V. 3. 4 Deutungsmuster

145

Andre und Kerstin

146

Daniel

146

V. 3. 5 Hypothese zum Fall Daniel: Krisen als Chance

147

VI. FALLVERGLEICH UND FALLKONTRASTIERUNG

149

VI. 1 Krisen und Wendepunkte

149

VI. 2 Potenziale der Kinder an Resilienz

152

VI. 3 Typenbildung

155

VII. SCHLUSS

159

LITERATURVERZEICHNIS

165

VERZEICHNIS DER INTERNETADRESSEN

170

ANHANG

171

Anhang I - Interview mit Bernd Siggelkow vom 06.12.2004

171

Anhang II Anhang II/1 Leitfaden für Interviews mit Kindern

177

Anhang II/2 Leitfaden für Interviews mit Eltern

179

177

Anhang II/3 Leitfaden für Interviews mit Betreuern

181

Anhang II/4 Transkriptionsregeln

182

Anhang III Anhang III/1 – exemplarisches Interview mit einem Kind Anhang III/2 – exemplarisches Interview mit Eltern

183 183 190

Anhang IV – exemplarisches Memo

209

Anhang V – exemplarisches Interview mit einem Betreuer

211

„Dazu kommt noch, dass ich außerordentlich viel Lebensmut habe, ich fühle mich immer so stark und im Stande, viel auszuhalten, so frei und so jung! Als ich das zum ersten Mal merkte, war ich froh, denn ich glaube nicht, dass ich mich schnell unter den Schlägen beuge, die jeder aushalten muss.“ (Tagebuch der Anne Frank, S. 306)

I. Einleitung Wieso kann ein Mensch ertragen, was den anderen verstört oder zerstört? Wie wirken sich schwierige, teils aussichtslose Lebenslagen und Lebenssituationen auf Kinder aus? Welchen Schutz erfahren Eltern und Kinder aus benachteiligten Verhältnissen durch staatliche Institutionen? Mit diesen Fragen werde ich mich im vorliegenden Buch beschäftigen.

Seit den 1990er Jahren wird die Armut von Kindern und Jugendlichen im Kontext von Armuts- und Sozialberichterstattung in der Fachöffentlichkeit zunehmend zur Kenntnis genommen. Auch aktuell wird das Thema Kinderarmut in den Medien diskutiert. Anlass ist das vermehrte Bekanntwerden von Vernachlässigungsfällen und Gewalt gegen Kinder. Als Ursachen werden elterliche Überforderung, mangelnde elterliche Anteilnahme und Unterstützungsfähigkeit deklariert.

Bereits im Jahre 2003 lebten 1,1 Millionen Kinder von Sozialhilfe. Die entsprechende Sozialhilfequote ist mit 7,2 % mehr als doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung. Nach der Studie des paritätischen Wohlfahrtsverbandes lag im August 2005 die Zahl der Kinder unter 15 Jahren, die nach Inkrafttreten der Hartz IV-Regelungen Anfang 2005 in Bedarfsgemeinschaften auf Sozialhilfeniveau lebten, bei 1,5 Millionen. In Berlin lag die so gemessene Kinderarmutsquote bei 29,9 % (448.500 Kinder). Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit weist im März 2006 einen diesbezüglichen Anstieg um weitere 290.000 aus. Rechnet man die Jahrgänge der 15- bis 18-Jährigen (nach UN-Konvention über die Rechte von Kinder gehören sie zu den Kindern) und diejenigen, die Leistungen nach SGB XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, hinzu, so leben heute in Deutschland 2,2 Millionen Kinder auf Sozialhilfeniveau (vgl. Deutscher Kinderschutzbund – Bundesverband e.V., 2006, S. 27). Armut führt zu sozialer Ausgrenzung. Sie schränkt die Chancen der Betroffenen ein, am sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Leben der Gesellschaft teilzuhaben. Sie können sich nicht so verwirklichen, wie es ihren individuellen Fähigkeiten und 11

Lebensentwürfen entspricht. Angesichts des immer größer werdenden Anteils der von Armut betroffenen Kinder, stellt sich die Frage, ob diese noch der Mehrheitsgesellschaft angehören oder ob sich hier eine Subgesellschaft entwickelt, deren Tragweite und Einfluss bislang nicht abschätzbar ist.

Mit Gewalt gegen Kinder ist jedoch nicht nur die physische Misshandlung von Kindern gemeint. Vielmehr ist dieser Begriff weiter zu fassen. Er schließt entsprechend dem Gewaltbegriff von Johan Galtung neben Vernachlässigung auch strukturelle Gewalt ein. Viele Kinder sind in ihren sozialen Verhältnissen gefangen. Diese hemmen sie in ihrer Entwicklung, schränken sie ein und enthalten ihnen Chancen vor. Im schlimmsten Fall unterliegen Kinder einer materiellen, sozialen und mentalen Benachteiligung. Hier erfahren sie das ganze Ausmaß an Gewalt. Diese Art der Gewalt wird von Individuen oft nicht wahrgenommen, da die eingeschränkten Lebensnormen bereits internalisiert sind. Kinder sind in diesem Fall durch Armut stark bedroht. Die Bedrohung wirkt auf ihre konkrete Lebenslage. Sie sind ihrem Selbstverständnis und in ihrer Persönlichkeit betroffen. Ihre Armut drückt sich vor allem darin aus, dass sie ihre potentiellen Formen der Kommunikation, des Lernens und des gesellschaftlichen Lebensstils der Allgemeinheit nicht verstehen und anwenden können.

Wie nun gerade diesen Kindern eine altersgerechte Entwicklung gelingen kann, zeige ich in diesem Buch auf. Die dafür erforderlichen Widerstandskräfte von Familien wurden bislang wenig untersucht. Genauso wie Kinder Armut von ihren Eltern „sozial erben“ können, sind sie in der Lage, Widerstandskräfte von ihnen zu übernehmen. Sind Familien bzw. Eltern nicht in der Lage, ihren Kindern den Erwerb von Bewältigungskompetenzen und Widerstandskräften zu vermitteln und einen kindgerechten Schutz- und Vorbereitungsraum zur Verfügung zu stellen, sollten diese Aufgaben von sozialen Einrichtungen übernommen werden. Damit können die Einflüsse von materieller Armut verringert und die soziale Reduktion relativiert werden. Den Kindern kann die Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlich-kulturellen Leben und Entfaltungschancen eingeräumt werden.

Diesen Gedanken folgend werde ich in der vorliegenden Studie aufzeigen, was das Konzept der Resilienz zum Verständnis der Lebenssituation von benachteiligten Kindern in dem christlichen Kinder- und Jugendwerk „Die Arche“ e.V. in Berlin-Hellersdorf1 beitragen kann. 1

Das christliche Kinder- und Jugendwerk „Die Arche e.V.“ in Berlin-Hellersdorf wird im Folgenden „Arche“ genannt.

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Fraglich ist, inwieweit das Konzept der Resilienz die Arbeit der Betreuer in der Arche beeinflusst. Ich wende eine mehrdimensionale Analyse der Lebenslagen der Kinder und ihrer Eltern an. So erscheint ein ganzheitliches Bild von Armut. Ausgehend von der Analyse der jeweiligen persönlichen Eigenschaften und Merkmale sowie der Lebensumwelt, soll herausgearbeitet werden, welche Faktoren schützend oder risikoträchtig für die kindliche Entwicklung sind. Zugleich soll der interne Zusammenhang zwischen Risiko- und Schutzfaktoren aufgedeckt werden. Mit der Untersuchung zeige ich, in welchem Ausmaß die Kinder über Potenziale und Widerstandskraft verfügen und welcher Stellenwert diesen Fähigkeiten durch die Mitarbeiter der Arche eingeräumt wird. Der Schwerpunkt meiner Studie wird auf dem Konzept der Resilienz von Familien und dem Rahmenmodell für die Entwicklung von Resilienz liegen. Besondere Bedeutung wird den von Eltern sozial erworbenen Merkmalen der Kinder sowie der kindlichen Selbsteinschätzung, ihren Verhaltensmustern und Adaptionen, sozialen Fertigkeiten und Formen der Problembewältigung beigemessen. Zu fragen ist, welche Rolle die Arche bei der Verbesserung kindlicher Chancen und beim Erlernen der vorgenannten Fertigkeiten spielen kann. Es wird sich herausstellen, ob die dauerhafte Begleitung der Kinder durch die Archemitarbeiter dazu geeignet ist, den Kindern Selbstwertgefühl, soziale Kompetenzen und Widerstandskraft zu vermitteln. Die Sichtweise der Kinder wird dabei im Zentrum meiner Aufmerksamkeit stehen und den Blickwinkel vorgeben.

Das vorliegende Buch gliedert sich in zwei Teile. Im theoretischen Teil lege ich mein Vorverständnis von relevanten Begriffen wie Kindheit, Familie, Armut und Resilienz dar und setze mich detailliert mit ihnen auseinander. Ansätze wie der symbolische Interaktionismus und die Phänomenologie fließen in die Darstellung ein. Bezüglich der Kindheit (Kap. II. 1) stelle ich sozialisationstheoretische, strukturelle und biographietheoretische Ansätze vor und gehe auf Kindheit in Generationenbeziehungen ein. Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang die gesellschaftliche Wahrnehmung des Kindes als sozialer Akteur, der sein Leben im Generationengefüge aktiv gestaltet. Meiner Betrachtungsweise liegt ein biographietheoretischer Ansatz von Kindheit zugrunde.

Die Aufgaben der Familie (Kap. II. 2) als Sozialisationsinstanz und ihre Zuständigkeit bei der Bereitstellung eines kindlichen Schutz- und Schonraumes führe ich im Anschluss aus. Nachfolgend stelle ich theoretische Ansätze von Armut (Kap. II. 3) vor, wobei für meine Studie der Lebenslagenansatz ausschlaggebend ist. Zur Erfassung kindlicher Lebenslagen werden die Kriterien zur Erfassung der Erwachsenenlebenslagen auf die von Kindern übertra13

gen, abgeändert und angepasst. Im Weiteren setze ich mich mit verschiedenen Konzepten von Resilienz (Kap. II. 4) auseinander. Ich gehe hierbei auf vier Ansätze ein, die mich in meiner Untersuchung beeinflussen werden. Es handelt sich um das Konzept zur Bewältigung von Krisen nach Oevermann, das Moderatorenkonzept von Rutter, das Konzept der Resilienz von Familien nach Walsh und das neuere Rahmenmodell von Kumpfer. Maßgeblich ist, welche Krisen Wendepunkte in den Biographien der Familien auslösen und welche Mechanismen und Handlungen zur Entwicklung von Potenzialen gegenüber Resilienz bei Kindern und Eltern führen. Der zu entwickelnde Ansatz soll ganzheitlich konstruiert sein. Resilienz wird hier nicht als spezifische Eigenschaft eines Kindes gesehen, sondern als ein Potenzial, welches sich bei Eltern und Kindern zeigen und von Eltern auf Kinder (und umgekehrt) übertragen werden kann. Zusätzlich kann eine soziale Hilfseinrichtung die Entwicklung entsprechender Potenziale begünstigen, in dem sie den Kindern und Eltern Handlungsspielraum und Entfaltungsmöglichkeiten bereit stellt.

Im Anschluss stelle ich das Kinder- und Jugendhilfsprojekt „Die Arche“ e.V. vor (Kap. III). Ich gehe hierbei besonders auf dessen Arbeitsweise und Ziele ein. Meine Untersuchung führte ich in der im Jahre 1995 gegründeten Arche in Berlin-Hellersdorf durch, welche ich ebenfalls vorstellen werde. Anschließend erläutere ich die eingesetzten methodischen Ansätze, mein Forschungskonzept und die methodischen Ansprüche an die Datenerhebung und Datenanalyse (Kap. IV). Die hauptsächlich angewandten Methoden bestehen in der Grounded Theory, der objektiven Hermeneutik und der dokumentarischen Textinterpretation. Der dokumentarischen Textinterpretation nach Bohnsack kommt in der Datenanalyse besondere Bedeutung zu. Bohnsack schlägt die Rekonstruktion des Falles und die Kontrastierung aller Fälle vor. Hierauf greife ich in der Auswertung und Darstellung meiner Fälle zurück. Zuvor erhob ich Daten im Rahmen biographisch-narrativer und Leitfadeninterviews. Es schloss sich die Transkription und das Fertigen von Memos an. Bei der Auswertung gab ich der Interpretation des Datenmaterials durch schrittweise Vorgehensweise nach der Grounded Theory und nach sinnverstehenden Ansätzen wie objektiver Hermeneutik den Vorzug. Diesen umfassenden Methoden kann ich aus Gründen des mir gesetzten Rahmens für die Studie nicht in Gänze folgen.

Am Ende eines jeden Kapitels befinden sich Hinweise auf meine konkrete Vorgehensweise und meine Schlussfolgerungen.

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Eine umfassende Darstellung der Fälle (Kap. V) erfolgt dann im empirischen Teil der Studie. Hier beschreibe ich anfangs für jeden Fall separat die Interviewsituation, das Verhalten und das Auftreten der Befragten. Ich gehe auf Probleme während des Interviewens ein und stelle die Reaktionen und Interaktionen zwischen den Interviewpartnern dar. Des Weiteren wird besonders auf die Biographie der Familie, die Elternbeziehung, die Eltern-Kind-Beziehung sowie die persönlichen Ressourcen der Kinder eingegangen. Ich erläutere, inwieweit ihre Lebensumwelt einen risikohaften Einfluss auf ihre Lebenssituation darstellt. Es werden explizit die Risiko- und Schutzfaktoren der Kinder, ihrer Eltern und der Lebensumwelt herausgearbeitet, ihre Wirkungsweisen analysiert und in Zusammenhang gebracht. Daraus ergibt sich ein Deutungsmuster für den Fall. Jeder Fall schließt mit einer ersten Hypothese ab. Die Falldarstellungen münden in einem Fallvergleich und einer Fallkontrastierung (Kap. VI). Es werden verschiedene Typen von Potenzialen an Resilienz und Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder herausgearbeitet. Abschließend werden die Ergebnisse meiner Diplomarbeit kurz umrissen und komprimiert dargestellt (Kap. VII). Es werden die wichtigsten Argumente zusammengefasst und die wesentlichen Aspekte meiner Fragestellungen beantwortet.

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II. Konzeptueller Rahmen Ich möchte im folgenden Kapitel ausführen, welche Begriffe der Fragestellung und dem Thema meiner Studie zugrunde liegen und von welchem Verständnis von Kindheit, Familie, Armut und Resilienz ich ausgehe.

II. 1 Kindheit Das heutige Leitmotiv der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung ist die Forderung, Kinder als Personen aus eigenem Recht zu betrachten. Kinder sollen nicht länger als Werdende, sondern als Seiende verstanden werden, die für sich selbst sprechen. Diese Perspektive auf Kinder ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, wie die bisherige Literatur zur Kindheitsforschung zeigt. Deren grundlegende Ansätze sollen im Folgenden dargestellt werden.

II. 1. 1. gesellschaftstheoretische Ansätze Philippe Ariés und Lloyd deMause beschäftigten sich in den 1960er und 1970er Jahren mit der Genese und dem Wandel von Kindheit seit dem Mittelalter. Die mittelalterliche Gesellschaft hatte ein Verhältnis zur Kindheit, welches darauf gründete, Kinder als integrierten Bestandteil der Gesellschaft zu sehen. Die kindliche Besonderheit wurde nicht bewusst wahrgenommen. Kinder galten als in der Größe reduzierte Erwachsene. Sie gehörten der Erwachsenenwelt an, sobald sie der Fürsorge ihrer Mutter nicht mehr bedurften (vgl. Ariès, P., 1977, S. 209). Erst seit dem 14. Jahrhundert ist eine Tendenz zu verzeichnen, dem Kind eine eigene Persönlichkeit zu verleihen. Kindheit wurde nunmehr als gesellschaftliche Konstruktion angesehen, welche Wandlungsprozessen und damit stetigen Veränderungen unterliegt.

In den 1980er Jahren wurde vor allem von Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim Kindheit unter dem Aspekt von Individualisierungs-, Enttraditionalisierungs- und Modernisierungstendenzen untersucht. Alle Individuen sind in erster Linie “mit den Vorgaben gesellschaftlicher Institutionen konfrontiert und unterliegen den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes, des Bildungssystems und des Sozialstaates“ (Grunert, C./Krüger, H.-H., 2006, S. 29). Die Gestaltung der Lebensführung ist damit den gesellschaftlichen Strukturbedingungen unterge-

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