Prämissen, Perspektiven, Parteilichkeit - Evangelische Akademie ...

29.11.2016 - nanzmittel hinzuwirken, weitere Drittmittel zu erschließen und weitere konkrete Handlungsfel- der mit konkreten Maßnahmen wie auch Perso-.
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Frankfurt am Main  29. November 2016

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Nr. 48

 Prämissen, Perspektiven, Parteilichkeit. Einblicke in Diskurse und Erfahrungen der Jungen- und Männerarbeit Fachtagung »ZEHN« anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e. V., Evangelische Akademie Meißen, 15.–16.6.2016

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 Vorwort »Zehn« – ein kleine, banale Zahl und ein beinahe zu vernachlässigendes Alter für eine Institution oder einen Verein. Aber aus der Perspektive der Landesarbeitsgemeinschaft Jungen- und Männerarbeit Sachsen e. V. (LAG) war dies ein besonderes und bewegtes Jubiläum, verbunden mit einem Rückblick auf Gewordenes und Erreichtes. Nach einem Aufruf zur Vernetzung durch die Evangelische Akademie Meißen folgte am 3. April 2006 ebenda die Gründungsveranstaltung. Damals war dies erst der sechste Landesverband bundesweit, es folgte die Etablierung der Landesfachstelle Jungenarbeit Sachsen, im vergangenen Jahr die der Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen: die erste bundesweit. Zwischenzeitlich ist die Arbeit und sind die mittlerweile fünf Mitarbeitenden bekannt und anerkannt. Gleichwohl blickt der Verein auf interne und externe Herausforderungen zurück. Zu den externen zählen im Positiven wie Negativen insbesondere finanzpolitische Entscheidungen der jeweiligen Landesregierungen. Festzuhalten ist nach der ersten Dekade, dass Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und geschlechtergerechte Arbeit mit allen gesellschaftlichen Handlungsfeldern, aber auch in den Identitäten und Biografien derjenigen, mit denen wir zusammenarbeiten, verwoben sind. Zudem können wir beobachten, dass die Quantität der Nach- und Anfra-

gen an die Mitarbeitenden das Maß an der leistbaren Arbeit übersteigt. Dazu gehören andererseits zunehmende kritische Stimmen, die in politischer Kampfrhetorik bspw. vom »Genderwahn« sprechen. In diesem Sinne verstehen wir den Beschluss der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf ihrer Tagung in Magdeburg am 9. November 2016 zur »Verstetigung des Förderprogramms ›Demokratie leben!‹« als Bestätigung und Ansporn für unsere Arbeit. In diesem Beschluss dankt die EKDSynode »den Christinnen und Christen, Kirchengemeinden, zivilgesellschaftlichen Initiativen und allen engagierten Menschen in unserem Land, die täglich für Demokratie und Menschenwürde einstehen«. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hat in seinem Bericht vor der Synode am 6. November die heute in der Gesellschaft wieder stärker werdenden sozialen Homogenitätsvorstellungen aus der Perspektive des ersten Korintherbriefs kommentiert. Es sei bemerkenswert, »wie sensibel mit Blick auf das Aushalten von Differenzen und von Vielfalt das in diesen biblischen Texten sichtbar werdende Verständnis von Gemeinschaft ist. Es steht in klarer Spannung zu heutigen Renationalisierungsphantasien, die an Homogenität orientiert sind und gerade keine Sensibilität gegenüber Unterschiedlichkeit zeigen«.

Jungen- und Männerarbeit nach unserer Auffassung steht in dieser kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Tradition demokratischen Arbeitens an der Gemeinschaft. Das Jubiläum des zehnten Geburtstages war für uns Anlass, dies in einem öffentlichen Festakt zu feiern. Umrahmt war dieses Fest von einer bundesweiten Fachtagung in Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit. Die Fachtagung griff fachpolitische Fragestellungen und daraus resultierende Handlungsnotwendigkeiten auf. In der vorliegenden Dokumentation finden Sie ausgewählte Vorträge dieser Fachtagung. Die ersten Beiträge skizzieren die sozialpädagogischen Handlungsfelder. Es folgen Aufsätze zur Jungen- und Männerarbeit und zu altersübergreifenden Handlungsfeldern. Danken möchten wir allen Autoren*, den Mitarbeitenden der Landesarbeitsgemeinschaft, Peter Bienwald, Enrico Damme und Sandra Haase, sowie Silke Lehmann von der Evangelischen Akademie Meißen und dem Evangelischen Pressedienst für die Möglichkeit dieser Veröffentlichung. Christian Kurzke, Vorstandsvorsitzender LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e. V. und Studienleiter Jugend der Evangelischen Akademie Meißen

Quellen: Prämissen, Perspektiven, Parteilichkeit. Einblicke in Diskurse und Erfahrungen der Jungen- und Männerarbeit Fachtagung »ZEHN« anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e. V., Evangelische Akademie Meißen, 15.-16.6.2016

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Inhalt: Prämissen, Perspektiven, Parteilichkeit. Einblicke in Diskurse und Erfahrungen der Jungen- und Männerarbeit. Fachtagung »ZEHN« anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e. V., Evangelische Akademie Meißen, 15.-16.6.2016 ► Christian Kurzke: Vorwort

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► Christian Kurzke: 10 Jahre LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e. V. Ein Porträt aus der Perspektive eines Vorstandes

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► Christian Kurzke: Ohne »Gender-Aspekte« wird es unprofessionell. Die Notwendigkeit der Einbindung von Gender-Thematiken in die Arbeit der Evangelischen Akademie Meißen

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► Peter Wild: Einführung in die Jungensozialisation

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► Peter Bienwald, Jan Wienforth: Provokationen für die Jungen*arbeit!?

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► Kai Dietrich: Weiße Männer werden wollen – Jungenarbeit als Pädagogik gegen Rassismus und Neonazismus

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► Frank Scheinert, Dag Schölper, Torsten Weber: Bestandsaufnahme, Perspektiven und Positionen für eine Männerarbeit mit Profil

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► Olaf Jantz: Migration und Männlichkeiten – Jungen und männliche Jugendliche aus dem Blickfeld von Mehrfachzugehörigkeiten

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► Bernard Könnecke: Männliche Jugendliche als Betroffene von sexualisierter Gewalt – Ergebnisse einer Studie und Schlussfolgerungen für die pädagogische (Jungen*-)Arbeit

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► Marc Melcher: Projekt »Daddy, be cool! – Wenn ich einmal Vater bin.«

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► Eberhard Schäfer, Marc Schulte: Stark und verantwortlich – engagiert Vater bleiben nach der Trennung. Arbeit mit Vätern in Trennungssituationen im Väterzentrum Berlin

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► Autorenverzeichnis

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10 Jahre LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e. V. Ein Porträt aus der Perspektive des Vorstandes Von Christian Kurzke, Vorstandsvorsitzender LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e.V. Prämissen, Perspektiven, Parteilichkeit. Einblicke in Diskurse und Erfahrungen der Jungenund Männerarbeit. Fachtagung »ZEHN« anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e.V., Evangelische Akademie Meißen, 15.-16.6.2016 Der Anfang Die Entscheidung dafür, dass stellvertretend für alle Akteure ich den Artikel zur Geschichte der LAG verfassen werde, ist nicht nur eng mit meinem persönlichen Wirken, sondern auch mit dem damit verbundenen Arbeitsaufwand auf meinem Schreibtisch verbunden. Zugleich verdeutlicht es klassische Herausforderungen von Schnittmengen zwischen professionellem Handeln, fachpolitischen Kommentierungen und zusätzlichem – privatem – Ehrenamt. 2003 bin ich in den Freistaat Sachsen gezogen. Vorab hatte ich mich bereits mit der geschlechtergerechten Arbeit, Gender Mainstreaming wie auch geschlechterbezogener Forschung auseinandergesetzt. Recht schnell wurde mir deutlich, dass es in Sachsen eine auffällige Dichte an lokalen Akteuren und Strukturen gab, für eine überschaubare Region fanden zahlreiche, meist lokale Fachveranstaltungen statt. Zugleich wurde in diesen Jahren vor allem in der Sozialarbeit und damit auch in der Jugendhilfe der geschlechterdifferenzierte Blick auf Lebenslagen und dazugehörige Ursachen und Hintergründe von Mädchen*1 und Jungen* zunehmend als essentiell für ein fachliches und politisches notwendiges Handeln erkannt. Diese Aspekte bildeten den Rahmen dafür, in einer Fachtagung zur Jungenarbeit der Evangelischen Akademie Meißen einen Programmpunkt einzubinden, welcher dazu einladen sollte, über die Option eines landesweiten Dachverbandes miteinander nachzudenken. Am 5. Oktober 2005 diskutierten in Meißen unter dem Programmpunkt »Auf dem Weg zu einer LAG Jungen in Sachsen?« ca. 30 Akteure, motiviert durch folgende einleitende Fragestellungen:

»Verschiedene Entwicklungen lassen immer deutlicher werden, dass ein Austausch darüber notwendig ist, welchen Platz Jungenarbeit in der sächsischen Jugendhilfe einnehmen soll und wie eine Lobby für dieses Tätigkeitsfeld im Freistaat Sachsen entwickelt werden kann. Wie lässt sich ein Netzwerk zwischen den verschiedenen Personen und Institutionen aufbauen? Kann und sollte hierfür eine LAG Jungen (und Männer) geschaffen werden? Wenn ja, welche Form kann diese haben und welche Aufgaben umsetzen?« Ein Kreis von ca. zehn Personen erhielt in der Folge das Mandat, eine Vereinsgründung vorzubereiten. Etwa ein halbes Jahr lang arbeitete dieser Personenkreis intensiv, besonders unterstützt durch die strukturellen und räumlichen Möglichkeiten des Männernetzwerks Dresden e. V. Ausgearbeitet wurden alle notwendigen Handlungsschritte und Dokumente für eine rechtlich konforme Vereinsgründung, als Handlungsschwerpunkte wurden folgende Aspekte zusammengetragen: – Bestandserhebung und Beteiligung an der überörtlichen Jugendhilfeplanung – Kooperation & Vernetzung – Fort- und Weiterbildung – Konzept- und Projektentwicklung – Qualitätsentwicklung – Fachberatung Am 3. April 2006, fand in der Evangelischen Akademie Meißen die Vereinsgründung statt. Es entstand die erst sechste LAG in der BRD, die »Landesarbeitsgemeinschaft Jungen- und Männerarbeit Sachsen e.V.«. Es begann eine ausschließlich ehrenamtliche Arbeit, vier Hauptaufgaben prägten die ersten Jahre: – Etablierung der LAG in Sachsen und darüber hinaus, – Mitwirkung im Beirat des »Landesmodellprojekts Jungenarbeit Sachsen«, angegliedert bei der »Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Sachsen e. V.«,

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– Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit der »LAG Mädchen und junge Frauen in Sachsen e.V.« im Rahmen einer Fachtagung in der Evangelischen Akademie Meißen sowie – die Vorbereitung eines Aufbaus einer »Landesfachstelle Jungenarbeit Sachsen« Aufbau der Landesfachstelle Jungenarbeit Sachsen Letzteres war aus unserer Perspektive zwingend notwendig, geleitet vom Eigeninteresse aus der Ehrenamtlichkeit und Überlastung in eine Hauptamtlichkeit mit Nachhaltigkeit überzugehen sowie aus dem Wissen um die Bedarfe die notwendige Stärkung einer Fachlichkeit vorantreiben zu können. Daher lag es nahe, beim Sächsischen Landesjugendamt einen Förderantrag einzureichen, um aus öffentlichen Mitteln maßgeblich diese notwendige Arbeit zu finanzieren. In unseren Augen eine Selbstverständlichkeit, in den Augen der Bewilligungsbehörde weniger, das Bestehen von fachlichen Bedarfen wurde im Ablehnungsbescheid infrage gestellt. Dank des dreijährigen Landesmodellprojektes Jungenarbeit, welches im Abschlussbericht sowohl die Bedarfe herausarbeitete, Qualitätsstandards für Jungenarbeit in Sachsen definierte und eine Vernetzung forderte, hatte ein Antrag Erfolg. Unterjährig erfolgte der Förderungsbescheid für das Jahr 2009, im Sommer konnte die Arbeit mit einem aus Mitteln des Freistaates Sachsen geförderten Geschäftsführenden Bildungsreferenten beginnen. Die erhoffte Erleichterung des ehrenamtlichen Vorstandes erwies sich mit dem Eintreten der Förderung zunächst als eine fehlgesteuerte Hoffnung, im Gegenteil: Wir fingen irgendwie erneut »bei Null« an und die notwendigen Gespräche waren kaum zählbar. Meiner Erinnerung nach war die Gründungsphase der Landesfachstelle Jungenarbeit Sachsen eine ziemliche Verdichtung an Arbeitsprozessen und Entscheidungen. Als Vorstandsvorsitzender habe ich dies auch als Belastung empfunden, weil damals alles, was sich heute verteilt und Teil des Arbeitsalltages ist, geballt in einem kurzem Zeitfenster auftat: Buchhaltung, Versicherungen, Dienstaufsichtsregelungen etc. Dazu kam vom ersten Tag an die fördermittelrechtlich notwendige Eigenmittelsicherung oder besser -akquise für die Existenzsicherung sowie die konkrete Definition von fachlichen Themen und Handlungsfeldern, deren Notwendigkeit bzw. Erfolg es zu sichern galt. Begonnen hat die Arbeit der Landesfachstelle in einer Bürogemeinschaft mit dem Männernetzwerk

Dresden. Es folgt ein notwendiger Umbruch, die LAG suchte sich eigene Büroräume, die Einstellung eines neuen Geschäftsführenden Bildungsreferenten wurde notwendig und auch in der Zusammensetzung des Vorstandes war aufgrund biographischer Umbrüche bei einzelnen Mitgliedern ein Wechsel zu verzeichnen. Doch für einige Jahre gelang es nun, mit einer nun auch stabilen Vorstandsbesetzung, in Ruhe zu arbeiten. Eine bundesweit einzigartige Bürogemeinschaft mit der LAG Mädchen und junge Frauen e. V. wurde möglich, Veranstaltungsreihen, eine Ausbildungsreihe, Mitwirkung in diversen Gremien und die Etablierung der Landesfachstelle wurden möglich. Die Bedarfe stiegen derart, dass es Dank öffentlicher Mittel im Jahr 2013 möglich war, eine zweite Bildungsreferentenstelle auszuschreiben und zu besetzen. Seitdem verzeichnen wir eine verlässliche Möglichkeit der Arbeit mit stetig steigendem Bedarf und Anfragen an die Arbeit der Landesfachstelle. Aufbau der Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen Doch in einer Phase der eingespielten und zuverlässigen Arbeit drängen die Themen in den Vordergrund, welche bislang weniger Beachtung erfuhren: Seit 2006 standen wir inhaltlich und fachlich aus triftigen Gründen »auf nur einem Bein«, der Verein handelte nur zu Aspekten der Jungenarbeit, aber nicht im Kontext der Männerarbeit. Dies entsprach nicht dem Vereinszweck, dem Anliegen der Mitglieder, einem fachlichen Anspruch und der Realität in den Handlungsfeldern. Aber wir wussten auch, dass die Förderungsbedingungen für eine Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen, sofern wir sie überhaupt finden würden, sich völlig anders gestalten würden als bislang gewohnt. Es begann eine Zeit steter informeller Gespräche und dem steten Transport der Vision, anklopfen an zahlreiche Türen, erneut Irritationen aushalten, Befürworter*innen finden und stetig informieren, bei bestimmten Personen einfach regelrecht penetrant weiterarbeiten und die Vision immer wieder kommunizieren. Damit verbunden war die Notwendigkeit für uns, diverse Texte und Konzepte zu schreiben, letztlich Notwendigkeit und fachliches Handeln wie auch die Wirkung für Sachsen nachlesbar zu machen. Das alles führte dazu, dass wir im CDU-Wahlprogramm für die Landtagswahl 2014 konkret die Notwendigkeit einer Landesfachstelle Männerarbeit nachlesen konnten, sich das Thema aber auch in anderer Form im SPD-Wahlprogramm wiederfand. Das

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alles hat wohl zumindest in diesem Punkt die späteren Koalitionsverhandlungen dieser beiden Parteien recht unkompliziert sein lassen, zumindest ist das Bestreben, eine Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen zu etablieren, kurz und prägnant im Koalitionsvertrag benannt. Mit Beginn der Arbeit der neuen Landesregierung konnten wir folgende drei bedeutende Entwicklungen für uns beobachten: Die Zuständigkeit für die nun auch politisch gewollte Vision lag in dem neu geschaffenen Sächsischen Staatsministerium für Gleichstellung und Integration, welches mittlerweile unter gleichlautendem Namen als eine konkrete Abteilung im Sächsischen Staatsministerium für Soziales aufgegangen ist. Die Landesregierung musste sich nun auch vor dem Hintergrund dieser neuen Koalition in einen arbeitsfähigen Zustand bringen, weiter verhandeln und Prioritäten benennen. Dies alles wurde insbesondere in den beiden zuvor benannten Ressorts besonders herausgefordert durch die 2015 einsetzende starke Zuwanderungsbewegung nach Deutschland und den zugleich sich in Sachsen massiv verstetigenden rechtspopulistischen und rechtsextremen Handlungen sowie der alltäglichen Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Vor diesem Hintergrund, wir befanden uns in den »Startlöchern«, konnten wir nur feststellen, dass zunächst nichts weiter passierte. Sehr anregend für ehrenamtlich arbeitende Strukturen, galt es plötzlich mitten in der Sommer- und Urlaubspause 2015 zu handeln, konkrete Antragspapiere, Finanzpläne etc. einzureichen, die Stellen auszuschreiben etc. Dies konnten wir zum Glück ermöglichen, der Zuwendungsbescheid folgte und zugleich setzten wir einen intensiven aber angenehmen Stellenbesetzungsprozess um. Seit September/Oktober 2015 arbeitet nun die neue und bundesweit erste Landesfachstelle Männerarbeit in Sachsen. Derzeit befindet sich die Landesfachstelle Männerarbeit in der Phase, die Einrichtung von Männerschutzwohnungen, welche in Sachsen ebenfalls erstmalig bundesweit mit öffentlicher Unterstützung existieren werden, voranzutreiben. Des Weiteren steht der Beginn der gemeinsam mit der Staatsministerin für Gleichstellung und Integration umgesetzten Kampagne »Mann, gib Dich nicht geschlagen«. Die Aufbauphase der neuen Landesfachstelle verlief wesentlich reibungsloser, da die Kolleg*innen der beiden Landesfachstellen auch aufgrund der gemeinsamen Büroräume verlässlich im Austausch und gegenseitiger Beratung stehen.

Handlungsschwerpunkte der beiden Landesfachstellen Der folgende Abschnitt ist eine Skizze ausgewählter Tätigkeitsschwerpunkte der LAG sein und bildet nicht die Vollständigkeit der Arbeit der beiden Landesfachstellen wie auch der LAG ab. Das Aufgabenportfolio ist jeweils eng abgestimmt mit der jeweiligen für die Finanzierung zuständigen sächsischen Behörde bzw. dem Ministerium. Jungenarbeit Wichtige Bezugspunkte sind die einzelnen regionalen »Arbeitskreise Jungenarbeit«, die sich in Sachsen gebildet haben. Mit diesen Arbeitskreisen wird eng zusammengearbeitet, diese werden beraten und in ganz unterschiedlichen Kontexten unterstützt. Derzeit sind sie in den Städten/Regionen Dresden, Leipzig, Chemnitz, Görlitz und Pirna aktiv. Des Weiteren entwickelt sich die Beratung von Jugendämtern zu einem weiteren Handlungsschwerpunkt. Sehr prägend, aber zugleich impulssetzend ist die aktive Mitgliedschaft in der Bundesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit, z. Zt. mit dem Schwerpunkt Qualitätssicherung in den bundesweiten Ausbildungen zum Jungenarbeiter. Die Landesfachstelle Jungenarbeit bietet zertifizierte Zusatzqualifikationen an. Zu benennen sind hier die Zusatzqualifikation zum/zur Gendertrainer*in sowie die modulare Weiterbildung zur Fachkraft für Jungenpädagogik. Die Landesfachstelle Jungenarbeit hat zahlreiche inhaltliche Angebote entwickelt, oftmals in Kooperation mit ganz unterschiedlichen Kooperationspartnern. Es besteht zusätzlich auch die oft angefragte Möglichkeit, bestimmte inhaltliche Aspekte gezielt für die anfragenden Institutionen / Akteure zu entwickeln und auch vor Ort dann zu realisieren. Eine große Nachfrage erfahren die Einsteiger*innenseminare zur Sozialisation und zur Frage »Was ist Jungenarbeit?«. Veranstaltungsreihen haben sich u. a. entwickelt zur »Genderpädagogik in Sachsen« (in Kooperation mit LAG Mädchen und junge Frauen in Sachsen) wie auch zum in Sachsen recht neuen Aspekt von Migration und Männlichkeit. Konkrete Bildungsveranstaltungen finden darüber hinaus statt zu Fragestellungen wie bspw. »Outing in der Jugendhilfe«, »Jungen in der Pubertät«, »Jungenaggression«, »Jungen und Selbstbehauptung«, »Jungenarbeit trifft: Sexualpädagogik«,

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»Männlichkeit und Neonazismus«, »Männlichkeit und PEGIDA« wie auch »Umgang mit sexualisierter Sprache«. Neu entwickelt werden derzeit gemeinsam mit der Landesfachstelle Männerarbeit Fachtagungen zu Väter- und zu Jungen- und Männergesundheit. Außerdem Lehraufträge an einer Hochschule zu Geschlechterverhältnissen in der Sozialen Arbeit wie auch Jungenarbeit und Mädchenarbeit. Die Kollegen bekommen darüber hinaus zahlreiche Coachinganfragen wie auch zunehmend für Inhouse-Seminare aus dem Kontext Kita und Hort. Männerarbeit Bereits die Anfänge der Landesfachstelle Männerarbeit verdeutlichen, dass sich im Vergleich zur Jungenarbeit ganz andere Handlungsschwerpunkte und Herangehensweisen entwickeln. Drei konkrete inhaltliche Schwerpunkte haben sich etabliert: - Männer als Betroffene von Gewalt: In Deutschland existieren derzeit drei Männerschutzwohnungen (Detailinfos unter www.maennerberatungsnetz.de). Die Landesfachstelle Männerarbeit setzt sich seit Beginn des Jahres 2016 für die Förderung und die Etablierung von drei Männerschutzprojekten in Sachsen ein. Inzwischen fördert das Sächsische Staatsministerium für Gleichstellung und Integration zwei Männerschutzprojekte in Dresden (Träger: Männernetzwerk Dresden e.V. – www.maennernetzwerk-dresden.de) und in Leipzig (Träger: LEMANN e.V. – www.lemannnetzwerk.de). In Chemnitz existiert eine Projektgruppe Männerschutzwohnung, deren Akteure sich für die Etablierung einer Männerschutzwohnung in Chemnitz engagieren. Die Landesfachstelle, welche diesen Prozess begleitend berät und moderiert, hat am 19.9.2016 zur Unterstützung der regionalen Projekte die Kampagne »Mann, gib dich nicht geschlagen.« begonnen. Die Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, Frau Petra Köpping, ist Schirmherrin der Kampagne (www.gib-dich-nicht-geschlagen.de). - Männergesundheit: Die Kolleg*innen der Männerarbeit arbeiten in der Arbeitsgruppe Frauen und Männergesundheit des Sächsischen Gleichstellungsbeirates mit. Die Arbeitsgruppe setzt sich aktuell für einen Sächsischen Gleichstellungsbericht mit dem Fokus Frauen- und Männergesundheit ein. Dazu kommt die Mitwirkung im bundesweiten

Netzwerk Jungen- und Männergesundheit. Auch hier ist eine landesweite Kampagne zum Thema Männergesundheit für das Jahr 2017 geplant. Wie vielfältig die Arbeit der LAG ist, wird auch in diesem Vorhaben deutlich: Denn es geht neben der Präsentation des Themas in den Medien und der Sensibilisierung durch eine breite gesellschaftliche Debatte auch um Projekte und Angebote mit und für klein- und mittelständische Unternehmen bei der mittelfristigen Etablierung von passgenauen Gesundheitspräventionsangeboten für Männer. Geplant ist ebenso die Zusammenarbeit mit Krankenkassen, Handwerkskammern und Unternehmensnetzwerken. - Männlichkeit und Migration: Die Landesfachstelle hat die Fortbildungsinitiative »Migration und Asyl« mit etabliert und bringt sich mit konkreten Angeboten dort ein. In den kommenden Monaten soll eine Bildungsreferentenstelle »Männerforschung/ Projekte/ Kampagnen« etabliert und dadurch handlungsfeldbezogene Beiträge zur Verbesserung der Datenbasis im Bereich Männerarbeit geleistet und Kampagnen und Projekte der Männerarbeit entwickelt und evaluiert werden. Inhaltlich sollen die Themen »Väterarbeit in Sachsen«, »Männerberatung« sowie »Männer im ländlichen Raum« aufgegriffen werden. Perspektive Mit dem Aufbau der Landesfachstelle kann nun das zweite zentrale Tätigkeitsfeld behandelt werden, und somit ist die LAG mittlerweile in der Lage, eine komplette männliche Biografie thematisch, politisch und fachlich abzudecken. Die Anfragen und Aufträge haben eine hohe Zahl erreicht, welche die Mitarbeitenden nicht mehr vollständig bedienen können. Die Mitarbeitenden stehen nun gemeinsam mit dem Vorstand vor der Aufgabe, auf eine Sicherung der öffentlichen Finanzmittel hinzuwirken, weitere Drittmittel zu erschließen und weitere konkrete Handlungsfelder mit konkreten Maßnahmen wie auch Personalstellen zu begleiten. Der Vorstand kann sich nun ganz spürbar wieder mehr mit konkreten Grundsatzfragen und Strategien für den Verein auseinandersetzen und ist weniger belastet mit den Fragestellungen der täglichen Arbeit. Neben der inhaltlichen Bildungsarbeit wird nun auch wieder verstärkt die Lobbyarbeit für das Handlungsfeld in den Blick rücken. Somit wird die LAG auch wieder mehr dem Dachverbandscharakter für die mehrheitlich juristischen (instituti-

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onellen) Mitglieder gerecht. Daher ist es auch notwendig, mit der Erarbeitung eines neuen Trägerleitbildes zu beginnen. Darin werden bisherige und aktuelle landes- und bundesweite Leitvorstellungen zur Jungen- und Männerarbeit einfließen. Anschließend wird mit den Mitgliedern, wichtigen Netzwerkpartnern und weiteren Akteuren ein Leitbild für die Sächsische Männerarbeit formuliert. Essentials Einige resümierende Gedanken sollen den Beitrag abschließen. Die Arbeit für eine geschlechtergerechte Gesellschaft ist von zwei Perspektiven geprägt: zum einen vom konkreten Einsetzen für die fachliche Kompetenz der Akteure wie auch vom Einsetzen für die Jungen und Männer und letztlich auch für die Mädchen und Frauen in unserer Gesellschaft. Dies bedeutet auf problematische Lebenslagen aufmerksam zu machen, fachpolitische Arbeit zu leisten und stete Beratungs- und Bildungsangebote fortzuschreiben. Zum anderen verdeutlicht dies aber auch die Querschnittsaufgabe der LAG. Beinahe alle fachlichen und gesellschaftlichen Themen haben konkrete Berührungspunkte mit den Fragestellungen einer geschlechtergerechten Gesellschaft. Es liegt ein Querschnittsthema vor, dessen öffentliche Förderung genau aus diesem Grund auch immer wieder kritisch beleuchtet werden wird, denn eine Querschnittsaufgabe unterscheidet sich nun einmal von einem konkreten fachlichen Handlungsfeld, für das sich in den meisten Fällen ebenfalls Dachverbände oder fachliche Institutionen gebildet haben. Eine ganz andere und sich in jüngster Zeit verstärkende Herausforderung bilden die Positionen von Anti-Gender, Anti-Genderwissenschaften bzw. Anti-Gender-Mainstreaming. Diese genderkritischen Positionen gewinnen zunehmend an Aufmerksamkeit. Sie ziehen biologistische Grenzen und stellen nicht nur eine verankerte wissenschaftliche Perspektive in Frage, sondern eben auch ein komplettes fachliches Handlungsfeld. Hervorgehoben sein soll auch die zentrale Wirkung und Verantwortung von Ehrenamtlichen für eine solche Arbeit. Ein signifikantes Aufgabenportfolio liegt für einen ehrenamtlichen Vorstand vor, die Verantwortung für eine höhere Summe

an finanziellen öffentlichen Mitteln, Personalführung, rechtliche Fragestellungen etc. Einen besonderen Punkt der Belastung erfährt diese Aufgabe, mit der nach wie vor vorhandenen privaten Haftung, wenn zu Beginn eines (jeden) Kalenderjahres über Monate kein Zuwendungsbescheid vorliegt, weil sich politische und/oder administrative Prozesse so lange verschleppen und letztlich die Perspektiven der Arbeit und die Situation der Angestellten dadurch nicht geklärt sind. Das verstärkt den Verantwortungsdruck. Und zugleich ist es ein Symptom einer nicht unproblematischen öffentlichen Förderung / Förderpolitik, verbunden mit intransparenten Phasen, wenn wie bspw. im aktuellen sächsischen Haushaltsentwurf die Bezeichnung und die Zusammenfassungen diverser Haushaltstitel sich erneut verändert hat und dadurch für Außenstehende kaum ein nachvollziehbares Lesen des Haushaltes möglich wird. Das heißt, dass der Erfolg des Vereins nicht nur ein Ergebnis des Zusammenwirkens aller Vorstände und Mitarbeitenden ist, sondern essentiell von der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit zahlreichen Kooperationspartner*innen und Wegbegleiter*innen abhängt.

Anmerkung: 1

Der Asterisk* steht im Allgemeinen für eine geschlechterge-

rechte Sprache. Im Besonderen – z. B. bei Mädchen* oder Jungen* bzw. Männern* etc. – weist er darauf hin, dass z. B. Männer eben nicht einfach nur Männer im klassischen Geschlechterrollenverständnis sind, sondern sie sich selbst auch anders kategorisieren, beispielsweise als asexuell.

Quellen: AGJF Sachsen e.V.: http://agjf-sachsen.de/modellprojektjungenarbeit/articles/modellprojekt-jungenarbeit.html – zuletzt eingesehen am 10.09.2016 Evangelische Akademie Meißen: Tagungsprogramm »Die Krise der Kerle. Treffen der Netzwerke & Methoden der Jungenarbeit«, 04./05. Oktober 2005 Evangelische Akademie Meißen: www.ev-akademie-meissen.de/ akademie/jugend.html – zuletzt eingesehen am 10.09.2016 Koalitionsvertrag 2014 bis 2019 zwischen der CDU Sachsen und der SPD Sachsen, 10. November 2014