Outback - Australische Kurzgeschichten

Er hatte Geld gemacht, war also eini- germaßen reich. ... sollte. Er hatte auch das nötige Geld geschickt. »Komm hier ... »Dann gehen wir besser sofort los«, sag-.
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Outback Australische Kurzgeschichten

Aus dem Australischen übersetzt und herausgegeben von Shawnee Lawrence

Balladine

Inhaltsverzeichnis Ernest Favenc Mein einziger Mord

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Barbara Baynton Erwählt

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Henry Lawson Irgendwann

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Murray Innes Hass

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Steele Rudd Dad und die Donovans

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Mary Gaunt Vermisst

73

Henry Lawson Rats

93

7

Henry Lawson Die Frau des Viehtreibers

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Ernest Favenc Verflucht

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Glossar

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Über die Autoren

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Verzeichnis der Originaltitel

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Weitere Titel aus unserem Programm

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Henry Lawson Irgendwann Die beiden Wanderarbeiter hatten sich an ihrem Lagerplatz lange miteinander unterhalten und der Mond stand schon tief über der Mulga. Mitchells Kumpel hatte gerade eine zotige Geschichte erzählt, aber sie kam nicht besonders an bei Mitchell, der in einer sentimentalen Stimmung war. Er rauchte eine Weile, dachte nach und sagte dann: »Ah! Da hat’s mal ein Mädel gegeben, in das ich schwer verliebt war. Sie kam zu uns, um meine Schwester zu besuchen. Ich glaube, sie war das beste Mädchen, das je gelebt hat – und das Hübscheste. Sie war gerade achtzehn und reichte mir kaum bis zur Schulter. Die größten blauen Augen, die du je gesehen hast. Ihr Haar reichte bis zu den Knien. War so dick, dass du es nicht mit beiden Händen umfassen konntest. Braun und glänzend. Und ihre Haut war samtweich.

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Natürlich habe ich gedacht, sie würde einen ungehobelten, hässlichen, ungebildeten Kerl wie mich überhaupt nicht wahrnehmen. Deshalb ging ich ihr aus dem Weg und benahm mich ein bisschen förmlich ihr gegenüber. Ich wollte nicht, dass die anderen denken, ich sei verliebt in sie. [. . .]

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Murray Innes Hass Seit vielen Jahren hasste Stephen Snow seinen Bruder David. David, der Ältere, hatte es im Leben geschafft. Er hatte Geld gemacht, war also einigermaßen reich. Aber am schlimmsten von allem war für Stephen, dass er ihm Sadie ausgespannt und sie geheiratet hatte. Das war vor zehn Jahren gewesen. Seit dieser Zeit war Stephen Snow allmählich die Glücksleiter abwärts gestiegen, während David sie immer weiter hinaufgeklettert war. Von Kindheit an war David bevorzugt worden. Er war auf die höhere Schule geschickt und mit allem versorgt worden, was er sich wünschte. Während des Krieges war David bis zum Captain aufgestiegen. Stephen blieb Gefreiter. Sadie war seine Freundin gewesen, als er sich, bevor der Truppentransport ausfuhr, auf dem Bahnsteig von Waterloo in den Krieg

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verabschiedete. Doch David hatte aufgrund seines höheren Ranges viele Gelegenheiten, London zu besuchen. Gleich nach dem Ende des Krieges heiratete David Sadie. Und Stephen hatte zehn Jahre lang schweigend die Eifersuchtsattacken und Hassanfälle ertragen. Was ihn am meisten schmerzte, war die Art, mit der sein älterer Bruder ihn unterstützte – der Erfolgsverwöhnte kümmerte sich um den weniger glücklichen Mann. Nach Sadies Tod hatte David Stephen geschrieben, dass er nach Australien kommen sollte. Er hatte auch das nötige Geld geschickt. »Komm hier heraus zu mir und ich werde dir eine feste Anstellung besorgen«, hatte er geschrieben, »ich bin Geschäftsführer der Sydney Rubber Company und ich kann dich fördern. Es wird besser sein als dein untätiges Herumlungern in London, und Australien wird dir gefallen.« Stephen kam. Als er die Gangway des Schiffs hinunterlief, um David zu treffen, gingen ihm all diese Gedanken durch den Kopf. Und er entdeckte, dass er seinen Hass auf David immer noch im Herzen trug. [. . .]

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Mary Gaunt Vermisst Die Brigg war ein Wrack. Von Zeit zu Zeit konnten sie durch die schäumenden Brecher die dunkle Masse ihres Hecks sehen, aber dann war es vom weißsprühenden Wasser bedeckt und verschwunden. Ein oder zwei Spieren und ein paar von den Deckkörben wurden an Land gespült, doch es war vollkommen unmöglich, dass sich noch irgendein Lebewesen an Bord der Britannia befand. Am Strand stand das Grüppchen der Überlebenden, drei Männer und eine Frau. Es war ein Novembertag. Der Sturm war vorüber, der Himmel war ein wolkenloses Blau, und die strahlende Sonne trocknete rasch ihre feuchte Kleidung und wärmte ihre verfrorenen Glieder. Die Frau, bei der es sich beinahe noch um ein Mädchen handelte, zitterte erbärmlich

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und zog ihren Umhang fester um sich. Ihr war übel, sie fühlte sich krank und hatte furchtbare Angst. Und sie wünschte von ganzem Herzen, dass die See nicht so gnädig gewesen wäre. »Kopf hoch, meine Hübsche«, sagte der alte Mann neben ihr, beruhigend die Hand auf ihre Schulter legend. »Wo sind wir?«, fragte sie. Der Alte blickte zu seinem Freund, der gerade vorsichtig einen gebrochenen Arm versorgte. »Ninety Mile Beach, denke ich«, sagte er, auf den Sand heruntersinkend, »an der Gippsland Küste.« 1839 wussten diese Menschen weniger über Gippsland als wir über Zentralafrika. Hinter ihnen befand sich dichtes Buschland mit Teebäumen, deren dunkelgrüne Kronen im Sonnenschein leuchteten. Vor ihnen lag der endlos gelbe Strand, der bis zum Horizont reichte, und das in der Sonne glitzernde tückische Meer. »Wir können zur Siedlung laufen«, schlug der alte Seemann vor. Sein Freund schüttelte den Kopf. »Hab ge-

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Mary Gaunt

Vermisst

hört, der Busch ist zu dicht. Wenn wir dagegen an der Küste entlang gehen, müssen wir Corner Inlet und Western Port passieren. Nein, Bootsmann, Twofold Bay ist unsere einzige Hoffnung«. Er blickte die Frau traurig an. »Dann gehen wir besser sofort los«, sagte der Bootsmann, legte einen Arm um die Frau, stellte sie auf die Füße und wandte sein wettergegerbtes Gesicht gegen Osten. Die anderen folgten ihm schweigend. Sie hatten kein Essen und kein Wasser. Alles, was sie besaßen, waren die Kleider auf ihrem Leib. Und nach allem, was sie wussten, konnte es in dem undurchdringlichen Gestrüpp zu ihrer Linken von blutdürstigen Wilden nur so wimmeln. Mittags erreichten sie einige Felsen, die aus dem Meer herausragten. Sie suchten und fanden Muscheln und löschten ihren überwältigenden Durst an einem Rinnsal, das aus dem dichtbewachsenen Buschland hervorquoll. Die Frau war am Ende, ebenso der Freund. Sie wären eher gestorben, als auch nur einen Schritt weiterzugehen. Da die anderen sie nicht verlassen wollten, legten sich alle in den Schatten eines Teebaums und ruhten aus.

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Sie schliefen, ohne für eine Wache zu sorgen. Vielleicht lagen die Schwarzen schon auf der Lauer, aber ihre Lage konnte kaum übler werden. Der Tod wäre möglicherweise weniger grausam als dieser kräftezehrende Marsch entlang der Küste nach Twofold Bay. Am Abend kam der Tod. [. . .]

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Ernest Favenc Verflucht Jim Turner saß, einen Brief lesend, auf der Veranda seines bescheidenen Farmhauses. Der Postbote hatte gerade den Beutel abgelegt, und zwischen den diversen Sendungen befand sich ein Brief von einem alten Freund, einem Dick Beveridge, dessen Inhalt ihm Informationen zukommen ließ, die ihm einiges Unbehagen bereiteten. »Vielleicht hast du noch nicht gehört, dass Charley Moore tot ist, und wie er gestorben ist. Sein Pferd stürzte auf ihn, machte ihn zum Krüppel. Vierundzwanzig Stunden lag er dort, bevor man ihn fand, und da war er gerade einmal eine Stunde tot. Sein Körper war von Ameisen bedeckt. Stell dir vor, wie er gelitten haben muss! Nun, da er tot ist, sind wir beide die letzten von uns fünf.« Fünf von ihnen. Ja, er erinnerte sich gut. Zu fünft – enthusiastisch, jung und hoffnungs-

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voll – waren sie vor erst sechzehn Jahren in das noch unbesiedelte Gebiet gekommen. Sie fanden gutes Land und jeder von ihnen verleibte sich ein ordentliches Stück davon ein. Inzwischen waren nur noch Beveridge und er selbst am Leben. Die übrigen drei waren eines gewaltsamen Todes gestorben. Wie genau er sich noch an den Vorfall erinnerte, der diese düstere Bedrohung heraufbeschworen hatte, die seitdem wie ein Damoklesschwert über ihnen zu schweben schien. [. . .] *** Ende der Leseprobe ***

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