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Günther Fischer / Manfred Prescher

Nur noch kurz die Welt retten Berühmte Songzeilen und ihre Geschichte

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Konrad Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Michael Sailer, München Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau Einbandabbildung und Einbandgestaltung: Christian Hahn, Frankfurt a. M. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3028-4

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3062-8 eBook (epub): 978-3-8062-3063-5

Inhaltsverzeichnis Vorwort

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Berühmte Songzeilen und ihre Geschichte Alle Songzeilen von A bis Z Alle Namen von A bis Z

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Vorwort Wir waren sehr erfreut über den Erfolg unseres ersten Liedzeilenbandes „Alles klar auf der Andrea Doria“ – und besonders über die wiederholte Bitte, eine Fortsetzung zu schreiben. Da waren einfach noch so viele Namen, Songs und Zeilen, die sich im Laufe der Jahrzehnte im kollektiven Gedächtnis angesammelt und festgesetzt haben. Die Geschichten dahinter sind es, die uns am Herzen liegen. Der Songkatalog ist natürlich immer noch lange nicht erschöpft. Da wir genreübergreifend arbeiten und praktisch alle relevanten ­Stile aufnehmen, haben wir noch genug Material für etliche Folge­ bände. Aber erst einmal freuen wir uns, Ihnen „Nur noch kurz die Welt retten“ präsentieren zu dürfen. Und wir hoffen, dass Ihnen die Auswahl der Songs und die Texte diesmal genauso zusagen, wie es bei „Alles klar auf der Andrea Doria“ der Fall war. Auch dieses Mal laden wir Sie zu einem Streifzug durch die Jahrzehnte der Popmusik ein. Unsere ältesten Songs stammen erneut aus den 30er-Jahren: „Minnie The Moocher“ und „Strange Fruit“. Beide sind Evergreens, weil sie zeitlose Geschichten erzählen. Allerdings muss man bei „Strange Fruit“ von Billie Holiday das Wort „leider“ hinzufügen. Auch ist die Verbindung zu Public Enemys „Fight The Power“ offensichtlich, obwohl zwischen den beiden Liedern fünf turbulente Jahrzehnte liegen. Diese Zeitspanne decken wir mit unterschiedlichen Künstlern und ihren Songs ab. Die Bandbreite reicht von Crosby, Stills, Nash & Young, den Bee Gees und Elvis Presley über Bob Dylan, Dion, Frank Sinatra und Joy Division bis hin zu The Smiths, Sportfreunde Stiller, Marvin Gaye und Coldplay. Evergreens wie „Summertime“, „Don’t Worry, Be Happy“, „Fever“, „Wind Of Change“, „Don’t Let 7

The Sun Go Down On Me“ stehen neben relativ aktuellen Songs, deren Haltbarkeit wir uns ziemlich sicher sind. Wir rücken unter anderem „Prayer In C“ von Lilly Wood & The Prick And ­Robin Schulz und „Im Ascheregen“ von Casper in den Mittelpunkt, erzählen, was hinter Aviciis „Hey Brother“ und „Get Lucky“ von Daft Punk steckt, was sich Kanye West bei „Black Skinhead“ gedacht hat. Wir laden Sie ein ins „Haus am See“, nach „Jackson“ und nach „Avalon“, stellen Ihnen „Layla“, „Diana“, „Willy“, den „Sixty ­Minute Man“ und die „Venus In Furs“ vor. Unser Anliegen ist es, Sie zur Entstehung eines Liedes mitzunehmen. Seien Sie dabei, wenn U2 den Song „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ und Dolly Parton ihr unsterbliches „I Will Always Love You“ schreiben. Wer beim letztgenannten Lied an Whitney Houston denkt, hat natürlich recht: Vor ­allem durch sie wurde die „perfekte Schnulze“ auch in Europa bekannt. Andere Originale und Evergreens, etwa „Seasons In The Sun“, „Fever“, „Good Rockin’ Tonight“ und „My Way“, holen wir ebenfalls aus der Asservatenkammer der Popmusik und erzählen, wie diese Songs oft über Umwege zu Welthits wurden. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Blättern und Lesen in diesem Buch! Die Texte sind so angelegt, dass sie rasch und leicht an beinahe jedem Ort der Stille gelesen werden können. Wie im ersten Band finden Sie auch in diesem Buch im Anhang zwei umfangreiche Register – eines mit den alphabetisch geordneten Liedzeilen, eines mit den Namen der Bands, Sängerinnen und Sänger sowie anderen relevanten Personen. Das erleichtert Ihnen die Suche nach Ihrem Lieblingslied und das Herstellen von Querverbindungen. Darüber hinaus bleibt auch dieses Mal nur, uns für die viele Geduld und das große Verständnis – vor allem bei nächtlichen Ruhestörungen durch exzessives Musikhören – zu bedanken: bei unseren Kindern David, Sarah, Samuel und Marvin sowie bei den gestrengen Mitleserinnen Bettina Koch und Ilka Schöning. Wenn Sie uns schreiben möchten oder sich ein bestimmtes Lied wünschen: [email protected] Günther Fischer / Manfred Prescher

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Berühmte Songzeilen und ihre Geschichte „Mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein / Werden wir Weltmeister sein“ aus: „54, 74, 90, 2006“ von Sportfreunde Stiller Mit dem Timing ist das so ’ne Sache – es klappt nicht immer. Das gilt in der Musik genauso wie im Fußball. Das musste auch die Rockband Sportfreunde Stiller aus Germering bei München erfahren. Die Fußballbegeisterung zieht sich durch die Geschichte der Band. Zu Beginn wollten Peter Brugger (Gesang, Gitarre), Florian „Flo“ Weber (Schlagzeug, Gesang) und Andi Erhard (Bass) ihre Band „Bodden“ nennen – nach Olaf Bodden, der einst als Stürmer für den TSV 1860 München auflief. „Stiller“, die nächste Namensidee, geht auf Hans Stiller zurück, den Trainer der Bezirksligamannschaft SV Germering, in der Brugger und Weber spielten. Nur leider: Eine Hamburger Band heißt zu der Zeit auch Stiller, die Germeringer müssen sich also einen neuen Namen suchen – so entsteht „Sportfreunde Stiller“. Damit nicht genug: Das Lied „Ich, Roque“ bezieht sich auf den früheren Bayern-München-Stürmer Roque Santa Cruz, wobei die ­ Band aber nichts dagegen hat, wenn man den Titel als „Ich rocke“ miss­ versteht. Der Song „Lauth anhören“ wiederum erweist dem TSV-1860-Stürmer Benjamin Lauth seine Reverenz. Ihr erstes Album, 2000 erschienen, trägt den Titel „So wie einst Real Madrid“. 2006 schreiben sie den Soundtrack zum sogenannten WM-Sommermärchen. Der Titel des Songs verweist mit „54, 74, 90, 2006“ auf die drei bisher von der deutschen Nationalmannschaft gewonnenen 9

Weltmeisterschaften und mit 2006 auf die Hoffnung, auch in diesem Jahr das WM-Turnier gewinnen zu können. Fast prophetisch lesen sich Zeilen wie: „Wir haben nicht die höchste Spielkultur / Sind nicht gerade filigran, / Doch wir haben Träume und Visionen / Und in der Hinterhand nen Masterplan.“ Ob Jogi Löw, 2006 noch Assistenz­ trainer unter Jürgen Klinsmann, sich das zu Herzen genommen hat? Die Musik: eine einfache Rocknummer für den Stammtisch, eine Hymne, die für Stadien taugt und dort auch fleißig gesungen wird, ein echter Mitgrölsong und sicher nicht für die Ewigkeit geschrieben. „54, 74, 90, 2006“ mit seinem mitreißenden Refrain „(Eins und zwei und drei und) vierundfünzig, vierundsiebzig, neunzig, zweitausendsechs / Ja, so stimmen wir alle ein / Mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein / Werden wir Weltmeister sein“ bleibt in Deutschland drei Wochen auf Platz eins und 37 Wochen in den Charts. Nur – die Hoffnung trügt: „Beim ersten Mal war’s ’n Wunder / Beim zweiten Mal war’s Glück / Beim dritten Mal der verdiente Lohn / Und diesmal wird’s ’ne Sensation.“ Die Sensation bleibt aus, die nächste Chance kommt 2010, wofür Sportfreunde Stiller den Text ihres Liedes leicht umschreiben – „54, 74, 90, 2010“ – und eine neue Strophe einfügen. Die CD, auf der das Lied erscheint, heißt „You Have To Win Zweikampf“ – das wiederum ist ein berühmter Satz und das Leitmotto von Bixente Lizarazu, früher ein erfolgreicher Spieler des FC Bayern. Leider gewinnt die deutsche Fußballmannschaft erst 2014 wieder die Weltmeisterschaft. Für den Song der Sportfreunde Stiller und ihr Lied kommt dieser Erfolg um vier bzw. acht Jahre zu spät – aber sie haben es sicher verschmerzt. Wie gesagt: Mit dem Timing ist das gf eben so ’ne Sache. Original: Sportfreunde Stiller: „You Have To Win Zweikampf“ (2006, Vertigo, CD)

„I’ve been through the desert on a horse with no name / It felt good to be out of the rain“ aus: „A Horse With No Name“ von America America entsteht in Großbritannien. Dewey Bunnell, Dan Peek und Gerry Beckley – alle drei singen und spielen Akustikgitarre – 10

leben mit ihren Familien im Vereinigten Königreich, weil ihre Väter hier als Soldaten stationiert sind. Schon als Jugendliche ­ ­haben die drei Freunde an der Highschool eine Folkrockband ­namens Daze gegründet. Jetzt nennen sie sich schlicht: America. In Großbritannien schreibt Bunnell auch seinen Song „A Horse With No Name“. So klingt es also, wenn ein heranwachsender 19-Jähriger einige Dinge der Welt zum ersten Mal erblickt – in diesem Fall die Weiten Amerikas. Eine Reise quer durch die USA hat Bunnell offenbar so beeindruckt, dass er zur Feder greift. Allerdings inspiriert ihn die Urlaubsfahrt zu Textzeilen, die bei allem Überschwang manchmal doch etwas naiv wirken: Er kommt in den USA an und stellt gleich zu Beginn der Reise fest, dass es auch dort Pflanzen, Vögel, Felsen und andere Dinge gibt („On the first part of the journey / I was looking at all the life / There were plants and birds and rocks and things“) sowie Sand, Hügel, summende Fliegen und einen wolkenlosen Himmel („There was sand and hills and rings / The first thing I met was a fly with a buzz / And the sky with no clouds“). In der Wüste bekommt er eine rote Haut („After two days in the desert sun / My skin began to turn red“), dann endlich sieht er auch das Meer, entlässt sein Pferd in die Freiheit („After nine days I let the horse run free / ’cause the desert has turned to sea“) und beklagt voll jugendlichem Idealismus, dass die Menschen zur Liebe unfähig sind („But the humans will give no love“). All diese Erkenntnisse haben ihn wohl auf dem Rücken eines Pferdes in der Wüste ereilt, die er schon alleine deswegen liebt, weil es da im Gegensatz zum nasskalten, verregneten England keinen Regen ­ gibt: „I’ve been through the desert on a horse with no name / It felt good to be out of the rain.“ Im Januar 1972 wird das Lied der einfachen, unverfälschten Eindrücke veröffentlicht. Weil man den Begriff „Horse“ in den USA aber auch als Slangausdruck für Heroin verstehen kann, weigern sich e­ tliche Radiosender, den Song zu spielen. Dem Erfolg tut das keinen Abbruch: America erreicht mit der Single „A Horse With No Name“ Platz drei der britischen, Platz eins der US-Charts – und löst dort Neil Youngs „Heart Of Gold“ als Spitzenreiter ab. Auch weltweit erobert 11

der Song – und das dazugehörige Debütalbum (auf dessen erster Ausgabe von 1971 der Song gar nicht enthalten war) – Spitzenplatzierungen. Kein Wunder also, dass die Band sogar einen Grammy in der Kategorie „Best New Artist“ gewinnt. Ein Jahr später ziehen die drei Musiker von Großbritannien zurück in die USA und feiern in den nächsten ­Jahren mit Songs wie „Sister Golden Hair“, „Ventura Highway“, „Tin Man“ und „Lonely People“ weitere große Erfolge. gf Original: America: „America“ (2. Ausg. 1972, Warner, LP)

„All I wanna do is have some fun / I got a feeling I’m not the only one“ aus: „All I Wanna Do“ von Sheryl Crow Plötzlich ist der Ohrwurm da. Plätschert fröhlich aus dem Radio, macht Laune, fordert unmissverständlich Spaß ein: „All I wanna do is have some fun.“ Die Interpretin: unbekannt. Dabei hat die am 11. Februar 1962 in Kennett, Missouri geborene Sheryl Crow eine bewegte Vergangenheit hinter sich: Ihre Eltern waren Amateur­ musiker der Woodstock-Generation, ihre Mutter brachte ihr schon früh das Klavierspiel bei. Mit 13 schrieb sie ihren ersten Song. Während ihrer Zeit auf dem College war sie Mitglied einer Band namens „Cash­mere“ (benannt nach dem Led-Zeppelin-Song „Kashmir“). Sie studierte Komposition, Piano und Musikpädagogik und hat zwei Jahre lang in St. Louis als Musiklehrerin gearbeitet, bevor sie mit 24 nach Los Angeles zieht. Ohne Geld und vor allem ohne große Aussichten jobbt sie dort zunächst als Kellnerin, schreibt Werbejingles (unter anderem für ­ McDonald’s) und bewirbt sich als Backgroundsängerin für Michael Jackson, der sie prompt engagiert. Wenig später steht sie mit blonder Perücke hinter Jackson auf der Bühne und kurz darauf auf den Titelseiten der Boulevardblätter, die den beiden eine Affäre andichten. Während der 16 Monate dauernden Zusammenarbeit mit „Jacko“ auf dessen „Bad“-Tournee 1987–89 werden Musiker wie Sting, ­Stevie Wonder und Eric Clapton auf ihre gesanglichen Fähigkeiten aufmerksam. Ihr Talent zieht Kreise: Sheryl arbeitet in der Folge als Back-up-Vokalistin für Bob Dylan, Rod Stewart, George Harrison, 12

Foreigner, John Hiatt, Joe Cocker, Sinéad O’Connor, Bette Midler, Céline Dion und Don Henley sowie als Songwriterin für Wynonna Judd und Tina Turner. Ex-Eagles-Mitglied Don Henley ermutigt sie, eine Solokarriere zu wagen. 1991 bekommt Sheryl einen Vertrag bei A&M und nimmt ihr erstes Album auf. Allerdings missfällt es ihr, und sie überzeugt die Plattenfirma, es nicht zu veröffentlichen. Das 1993 erscheinende Album „Tuesday Night Music Club“ spielt sie dann mit einer Feierabendband ein, der Titel geht auf diese nächtlichen Sessions zurück. Es findet aber erst Beachtung, als im Sommer ­darauf die Single „All I Wanna Do“ veröffentlicht wird, die bald darauf in den USA und Deutschland bis auf Platz zwei und in Großbritannien auf Platz vier der Charts steigt. Das von Bill Bottrell (der auch für Tom Petty arbeitet) produzierte Album ist ebenfalls erfolgreich: Platz drei in den Staaten, Platz acht in Großbritannien, Platz neun in Deutschland. Es ist aber vor allem der genau beobachtete Text über das USamerikanische Alltagsleben, der ihr den Ruf einer exzellenten Songwriterin einbringt: Irgendein Nobody („He says his name is William / But I’m sure he’s Bill or Billy or Mac or Buddy“) hängt in einer Bar ab, schüttet sich mittags schon mit Bier zu („We are drinking beer at noon on Tuesday“), während gegenüber all die braven Angestellten die Mittagspause dazu nutzen, ihre Autos auf Vordermann zu bringen („And the good people of the world / Are washing their cars on their lunch breaks“). Und all das ist irgendwie in Ordnung, weil ­jeder Mensch ja eigentlich nur Spaß haben möchte: „All I wanna do is have some fun / I got a feeling I’m not the only one.“ Zwar gewinnt Sheryl Crow 1995 drei Grammys (Aufnahme des Jahres, bester neuer Künstler und beste weibliche Pop-Gesangs­ darbietung) – mit dem Spaß in ihrem Leben ist es aber erst mal vorbei: Sie zerstreitet sich mit den Musikern ihres „Tuesday Night ­Music Club“. Kevin Gilbert, Keyboarder des Clubs und ihr zeitweiliger Lebensgefährte, fällt nach der Trennung in tiefe Depressionen gf und kommt unter ungeklärten Umständen ums Leben.  Original: Sheryl Crow: „Tuesday Night Music Club“ (1993, A&M, CD)

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„Now the party’s over / I’m so tired / Then I see you coming out of nowhere“ aus: „Avalon“ von Roxy Music Avalon ist ein wichtiger Teil der britischen Legende um König Artus und seine Tafelrunde, „eine sehr romantische Sache“, wie Bryan ­Ferry, der Sänger von Roxy Music, findet. „Als König Artus stirbt, bringen ihn nach seinem Tod die königlichen Fähren nach Avalon“, erklärt Ferry den Titel des Liedes. „Avalon ist eine Art verzauberte Insel, die plötzlich aus dem Nebel auftaucht und von der niemand weiß, wo sie wirklich liegt. Das ist für mich die ultimative romantische Fantasie …“ Wie einst Artus’ Regentschaft geht auch die Zeit von Roxy ­Music mit „Avalon“ zu Ende – es ist die letzte Studioaufnahme der britischen Band: „Now the party’s over / I’m so tired.“ Und so wie Artus hofft, dass die Insel Avalon (die an der Stelle des heutigen Glastonbury im Süden Englands vermutet wird) aus dem Nichts auftaucht, übt sich auch Bryan Ferry in zweckgebundenem Optimismus: „Then I see you coming out of nowhere.“ Schließlich verliert die Vergangenheit an Bedeutung („And the background fading / Out of focus“), und das zukünftige Ziel ist noch unbekannt („And your destination / You don’t know it“). Aber – und das kann bei einem Musiker nicht anders sein – Ferry tanzt ins Unbekannte hinein: „When you bossanova / There’s no holding / Would you have me dancing / Out of nowhere …“ Die Single „Avalon“ ist 1982 der 15. und vorletzte Hit für Roxy Music in Großbritannien, das Album steht drei Wochen an der Spitze der britischen Charts (in den USA kommt es nur auf Platz 53). Es mag anmaßend wirken, wenn sich eine Band wie Roxy Music mit Avalon und König Artus vergleicht – aber mit dem Album und dem Song „Avalon“ hat sich die Band ebenso stilvoll, elegant und einprägsam von der Popbühne verabschiedet wie einst Artus, die sagengf hafte Lichtgestalt, aus der Geschichte.  Original: Roxy Music: „Avalon“ (1982, Virgin, LP)

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„You used to think that it was so easy / But you’re tryin’, you’re tryin’ now“ aus: „Baker Street“ von Gerry Rafferty 1978 ist das Jahr des 1947 in Paisley in Schottland geborenen Gerry Rafferty. Nach eher unerquicklichen Versuchen mit den Bands The Humblebums und Stealers Wheel (Achtungserfolg: „Stuck In The Middle With You“) schafft er mit „City To City“ einen sensationellen Erfolg: Sein zweites Soloalbum stößt den Soundtrack zu „Saturday Night Fever“ vom Thron und setzt sich wochenlang auf Platz eins der US-Charts fest. Den wichtigsten Anteil am Erfolg dieses Albums hat „Baker Street“. In diesem verträumten Realitäts-Check, unterlegt mit dem wohl bekanntesten Saxofonsolo der Poprock-Geschichte, gespielt von Raphael Ravenscroft, imaginiert Rafferty einen einsamen, seinen Kummer ersäufenden Großstadtbewohner – wohl den Menschen, der er selbst einmal war: „Winding your way down on Baker Street / Light in your head and dead on your feet / Well another crazy day / You’ll drink the night away.“ Dieser Mensch weiß zwar, dass er am falschen Ort lebt („And it’s taken you so long / To find out you were wrong“), er hat auch die Hoffnung nicht aufgegeben, irgendwo Ruhe zu finden („He’s got this dream about buyin’ some land / (…) / And then he’ll settle down / And forget about everything“), aber es gelingt ihm nicht: „’cause he’s rollin, he’s the rolling stone.“ Obwohl er es sich so einfach vorgestellt hat: „You used to think that it was so easy / You used to say that it was so easy / But you’re tryin’, you’re tryin’ now / Another year and then you’d be happy.“ Rafferty erwähnt die Straße nur ein einziges Mal im Song, in der ersten Zeile. Damit macht er klar, dass die Straße im Grunde ausgetauscht werden, dass es jede beliebige Straße in jeder beliebigen Stadt sein kann. Wichtig ist etwas anderes: Das Verharren in festen Strukturen, verbunden mit dem unbestimmten Wunsch nach Veränderung, dieses Nicht-anders-Können – das spricht sehr vielen Menschen aus dem Herzen. Die Single „Baker Street“ klettert auf Platz zwei der US- und Platz drei der britischen Charts und verkauft sich fünf Millionen Mal. Raffertys Plattenfirma ist natürlich happy – ­allerdings nur so lange, bis sich herumspricht, dass sich ihr unbeque15

mer Star weigert, in Amerika auf Tour zu gehen. Die Fans sind enttäuscht: „Night Owl“, Raffertys nächstes Album, kann den Erfolg nicht wiederholen. Gerry Rafferty starb im Januar 2011 an Leber- und Nierenversagen – die Folgen jahrelanger Alkoholsucht. Ob es ihm gefallen hätte, dass Viktor Janukowitsch, der 2014 geschasste Präsident der Ukraine, den Korridor im ersten Stock seiner Luxusvilla nahe Kiew ebengf falls „Baker Street“ genannt hat?

Original: Gerry Rafferty: „City To City“ (1978, United Artists, LP)

„What a beautiful noise / Comin’ up from the street“ aus: „Beautiful Noise“ von Neil Diamond Mitte der 70er-Jahre ist Neil Diamond bereits ein Weltstar. Der 1941 in Brooklyn/New York geborene Songwriter hat seine Zeit als Lohnschreiber („I’m A Believer“ war zum Beispiel für die TV-Retortenband The Monkees ein Welthit), seine ersten Erfolge („Solitary Man“, „Cherry Cherry“, „Cracklin’ Rose“, „I Am … I Said“) und auch seine erste Scheidung hinter sich. Wunderbare Alben wie „Velvet Gloves And Spit“, „Moods“ und „Serenade“ sind erschienen. Doch das reicht dem ehrgeizigen Diamond nicht. Um den vermeintlichen Makel, ein musikalisches Leichtgewicht zu sein, abzuschütteln – diesen Vorwurf hat ihm vor allem die Kritik an der von ihm komponierten Filmmusik zu „Jonathan Livingston Seagull“ eingebracht –, soll das nächste Album etwas Besonderes werden. Als Produzent wünscht er sich deswegen Robbie Robertson, den Gitarristen und Mastermind von The Band. Ein paar Jahre zuvor waren sie noch Bob Dylans Begleitband gewesen, heute zählt diese Formation längst zu den einflussreichsten der Rockgeschichte. Doch Robbie Robertson musste erst mal überzeugt werden. 32 Jahre später erzählt Diamond im britischen Musikmagazin Q, wie es ihm gelang, den Gitarristen zur Zusammenarbeit zu bewegen und dazu, sein Album zu produzieren: „Wir kannten uns flüchtig, weil wir beide in Malibu lebten. Trotzdem wollte ich einen Song schreiben, um ihn zu überzeugen. Ich war gerade mit meinen beiden Töchtern in einem Hotel in New York. Wir wohnten im vierten Stock, die 16

Fenster standen weit offen, auf der Fifth Avenue rechts von uns zog eine puerto-ricanische Parade vorüber. Die Musik war wundervoll, rhythmisch und fröhlich. Meine Tochter Marjorie sagte: ‚Was für ein wundervoller Lärm, Daddy!‘ Boom! Ich hatte den Titel, ich schrieb den Song, und als ich ihn Robbie vorspielte, mochte er ihn.“ Was für ein wundervoller Lärm, der da von der Straße herauf dringt … Neil Diamond, New Yorker mit Leib und Seele, der schon mit „Brooklyn Roads“ seine Kindheit in dieser Stadt glorifizierte, schreibt 1976 mit „Beautiful Noise“ eine der schönsten Hymnen an seine Stadt. Zeilen wie „It’s a beautiful noise / Goin’ on everywhere / Like the ­clickety clack / Of a train on a track“ und „What a beautiful noise / Comin’ up from the park / It’s the song of the kids / And it plays until dark“ bleiben, einmal gehört, unauslöschlich im Gedächtnis. Ein ähnliche Liebeserklärung an die Stadt gelingt erst Frank Sinatra drei Jahre später wieder, mit der ebenso unvergess­ lichen Zeile „I want to wake up in a city that never sleeps“ (aus „Theme From ‚New York, New York‘“, ein Song, den Liza Minelli schon 1977 für den Film „New York, New York“ gesungen hat – allerdings nicht sehr erfolgreich). Der Erfolg gibt Diamond recht: Die LP „Beautiful Noise“ bekommt beste Kritiken und wirft neben dem Titelsong zwei weitere mittlere Hits ab: „If You Know What I Mean“ und „Don’t Think … Feel“. Dem Song „Dry Your Eyes“ wird eine besondere Ehre zuteil: Robbie Robertson und The Band spielen ihn gemeinsam mit Neil Diamond bei ihrem legendären Abschiedskonzert gf „The Last Waltz“. Original: Neil Diamond: „Beautiful Noise“ (1976, Columbia, LP)

„How can we dance when our earth is turning? / How do we sleep while our beds are burning?“ aus: „Beds Are Burning“ von Midnight Oil Schon mal den Namen Pintupi gehört? Nein? Nun: Die Pintupi waren die letzten Ureinwohner Australiens, die ihre traditionelle Lebensweise aufgaben. Diese Aborigines wurden erst 1930 in der Gibsonwüste entdeckt und später gewaltsam nach Papunya vertrie17