Nicht wegschauen, sondern zuhören

da noch an Nigeria und jene schrecklichen Nachrichten vom. April 2014, welche von einem is- lamistischen Terrorkommando berichteten, das 276 Schülerin-.
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8 KULTUR

FREITAG, 19. F EBRUAR 2016

WIEN. „Feel-bad cinema“, also Schlechtfühlkino, nannte ein Kritiker der „New York Times“ vor zehn Jahren das, was typischerweise aus Österreich kommt. Das Urteil bezog sich damals auf Werke von Haneke, Seidl und Albert, und wird bis heute gerne zitiert. Die vier österreichischen Langfilmbeiträge in Nebenschienen der Berlinale scheinen dem Image recht zu geben: Postindustrielle Menschenleere, Strichjungen, Schicksalsschläge und ein Briefwechsel unter Dichtern, das alles klingt schwermütig. Doch zwei dieser Arbeiten sind funkelnde Schätze im Programm: Nikolaus Geyrhalter ist mit „Homo Sapiens“ ein überwältigender Essay über vom Menschen verlassene Gegenden gelungen. Zerstörte Landschaften um Fukushima, leere Kir-

Wie die Harmonie im Gewaltausbruch endet chen, Schulen, Tierfabriken und Discos werden zu Schauplätzen: Was zum Verlassen dieser Orte geführt hat, wie die Natur sich diese Plätze zurückerobert, wo der Mensch den Planeten irreparabel beschädigt hat, all das erzählen diese Bilder und erzählen es nicht, während auf der Tonspur ein Plätschern, Knistern, ein Zwitschern oder bloße Stille vom Dasein nach dem Homo sapiens berichtet. Der zweite Film, der aus dem Festival heraussticht, ist „Die Geträumten“ von Ruth Beckermann. Der Schauspieler Laurence Rupp und die besser als Soap & Skin bekannte Sängerin Anja Plaschg lesen im Tonstudio die Briefe von Ingeborg Bachmann und Paul Celan: zu Beginn leidenschaftliche Affäre, spä-

ter Kränkungen, dann innige Liebe, literarischer Austausch, große Freundschaft. Zwischen den Aufnahmen gehen die beiden aus dem Studio, rauchen, trinken Limonade, sprechen über Musik, Narben und Verletzungen. Beckermann stapelt Schicht um Schicht Fiktionen aufeinander: Da sind die realen Personen Laurence und Anja, ihre scheinbar dokumentarischen Leinwandversionen, da sind die brieflichen Fiktionen der realen Personen Ingeborg und Paul, und die stürmische Freundschaft der beiden Dichter, die Laurence und Anja aufwühlt. Der Film spielt im ORF-Radiokulturhaus – eine Hommage an den denkmalgeschützten Bau, der verkauft werden soll. Vor allem das Studio, in dem die beiden ihren Briefdialog aufnehmen, prägt den Film. Den Schauplatz teilen sich „Die Geträumten“ mit einem weiteren österreichischen Berlinale-Beitrag: In „Kater“ von Händl Klaus haben die beiden Hauptfiguren ihren Arbeitsplatz beim ORF-Radiosymphonieorchester. Der eine ist Hornist, der andere in der Organisation, die beiden führen eine Beziehung, mit Haus und Garten und Kater und zärtlichem Füreinander-da-Sein, bis ein Gewaltausbruch die Harmonie zerstört. Der Detailreichtum hallt nach, doch der Film bleibt zu sehr im Stadium der Versuchsanordnung stecken. Weniger Zuseher wird „Brüder der Nacht“ finden, eine Doku über junge Roma, die sich als Sexarbeiter in Wien durchschlagen. Für die bald beginnende Diagonale in Graz bedeutet der BerlinaleJahrgang jedenfalls gute Nachrichten: Österreichisches Kino überzeugt, mitsamt allen Stimmungsschwankungen. Magdalena Miedl

„Die Geträumten“: Laurence Rupp und Anja Plaschg.

BILD: SN/STADTKINO

BILD: SN/LANDESTHEATER/ANNA-MARIA LÖFFELBERGER

Österreich bei der Berlinale: Sieg auf den Nebenschienen

Sofie Gross gibt den geraubten Mädchen eine Stimme.

Nicht wegschauen, sondern zuhören Die Reportage „Die geraubten Mädchen“ erzählt Unfassbares über den Terror von Boko Haram. Kann man das ins Theater bringen? KARL HARB SALZBURG. Das ist wohl der Lauf

der Geschichte in einer immer grausamer zerrissenen Welt: Was gestern noch für Erschütterung, Entsetzen und weltweite Empörung gesorgt hat, ist heute verdrängt, aus dem Blick geraten, im schlimmsten Fall vergessen. Heute beherrschen die Flüchtlingskrise und die kollektive Angst vor dem IS-Terror die Schlagzeilen und das Denken unserer Zeit. Wer erinnert sich da noch an Nigeria und jene schrecklichen Nachrichten vom April 2014, welche von einem islamistischen Terrorkommando berichteten, das 276 Schülerinnen entführt hatte? Die Kinder und jungen Frauen wurden auf Lastwagen gezwungen und in den Wald von Sambisa gebracht, dem die meisten bis heute nicht entkommen konnten. Und das nur, weil sie vom Menschenrecht auf Bildung Gebrauch machen wollten, das den „archaischen“ Vorstellungen einer Gruppe zuwiderläuft, die ihr Programm

zum Namen gemacht hat: Boko Haram, übersetzt: Westliche Bildung ist Sünde. Und die dieses „Programm“ mit unvorstellbarer Gewalt und Brutalität durchzieht. Dem weltweiten Aufschrei folgte recht bald weitgehendes Verstummen. „Zu weit entfernt ist der Nordosten Nigerias von den Machtzentren der Welt“, schreibt der Journalist Wolfgang Bauer in einer beklemmenden Reportage 2015 im „Zeitmagazin“. Er ist den Spuren der Verschwundenen nachgegangen und hat Frauen, denen die Flucht gelang, ihre Geschichten erzählen lassen. Das Protokoll der authentischen Berichte von Sadiya, 31 Jahre, ihrer 14-jährigen Tochter Talatu, der 38-jährigen Cousine Batula und deren 13-jähriger Tochter Rabi sowie der 25-jährigen Agnes, die Unfassbares erleiden und mitansehen musste, ist kaum auszuhalten. Soll man, kann man diese Geschichten überhaupt auf die Theaterbühne bringen? Der Versuch des Salzburger Landestheaters, eine szenische Einrichtung herzustellen und sie für einige Aufführungen im Foyer der Kammerspiele ins Pro-

gramm zu nehmen, ist wichtig als Appell gegen das Verdrängen. Theresa Hübchen und Marcus Bluhm haben das behutsam und fern von allem Voyeurismus gemacht. Sie haben die Geschichten in einen auch Distanz ermöglichenden Monolog für eine Schauspielerin verwandelt. Vielstimmig wird ihm die ausgezeichnete Sofie Gross gerecht, Erzählung und emotionales „BeteiligtSein“ in kluger Balance haltend. Aus der Gemütlichkeit unserer heilen Welt gleitet der einstündige Abend in die grausamen Geschichten einer „fernen“ Welt, die wir uns nur zu gern vom Leib halten wollen. Das geschieht nicht mit theatralischer Emphase, sondern mit klarer, gerade deswegen beklemmender Direktheit. Man wird zum Zuhören, zum Hinhören gezwungen. Den Frauen eine Stimme geben: Das ist unaufdringlich, genau und nachdenklich gelungen. Theater: „Die geraubten Mädchen“, Salzburger Landestheater, Kammerspiele-Foyer, bis 6. 4. Das Buch „Die geraubten Mädchen“ von Wolfgang Bauer erscheint im Mai (Suhrkamp).

BILD: SN/SALZBURGER BACHGESELLSCHAFT

Matthäus-Passion in Salzburg Am Mittwoch, 23. März, kommen Liebhaber der klassischen Musik im Großen Saal der Stiftung Mozarteum voll auf ihre Kosten – im Mittelpunkt steht Johann Sebastian Bach. In der Geschichte der Passionsvertonungen nehmen die beiden erhalten gebliebenen Passionen Bachs nach den Evangelisten Matthäus und Johannes eine überragende Stellung ein. Beide Werke hat Bach selbst sehr geschätzt und bis an sein Lebensende immer wieder aufgeführt. Das Collegium Vocale der Salzburger Bachgesellschaft und das L’Orfeo Barockorchester interpretieren mit einem erlesenen Solistenensemble unter der Leitung von Michi Gaigg

das Opus magnum Bachs in der von Bach vorgesehenen Besetzungsstärke, was eine transparente Durchhörbarkeit der musikalischen Struktur garantiert. Eine wahrlich besinnliche Einstimmung auf das österliche Geschehen und ein würdiger Auftakt zum 40Jahr-Jubiläum der Salzburger Bachgesellschaft!

Virgil Hartinger, Tenor Markus Volpert, Bass Stefan Zenkl, Bass Collegium Vocale Salzburg Salzburger Domkapellknabenund -mädchen L’Orfeo Barockorchester (auf Originalinstrumenten) Leitung: Michi Gaigg

Ulrike Hofbauer, Sopran Margot Oitzinger, Alt

Preise: Karten von 25 Euro bis 48 Euro (Studenten zahlen 11 Euro)

Das L’Orfeo Barockorchester unter der Leitung von Michi Gaigg begeistert am 23. März im Großen Saal der Stiftung Mozarteum.

Termin: Mittwoch, 23. März, 19.30 Uhr, Großer Saal der Stiftung Mozarteum SN-Card-Inhaber erhalten 15 Prozent Rabatt auf die Karten im Vorverkauf.

Infos und Karten: Salzburger Bachgesellschaft Kaigasse 36/I, 5020 Salzburg Tel: +43 662 / 435371 [email protected] WWW.SALZBURGER-BACHGESELLSCHAFT.AT

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