Neue Diagnose für eine alte Linde

finanziellen Risiko werden. Denn die kan- ... lungsleiter Versicherung, auf Kulanz: «Bei alten Bäumen ist die ... sagt René Salzmann, Risiko- und Baum-.
692KB Größe 5 Downloads 147 Ansichten
Die Stabilität und Standfestigkeit alter Bäume ist schwierig zu beurteilen. Mit der in der Schweiz noch relativ wenig bekannten Baumtomographie kann der Baum in situ untersucht werden. Das Verfahren lieferte wertvolle Informationen für den Erhalt einer mächtigen Linde im Mittelland.

Text: Michael Staub, Journalist BR / SFJ, Kriens Bilder: M. Staub (5); zvg (2)

Zahlreiche Kronenanker verbinden Teilstämme und Äste der mächtigen Linde. Sie haben zur Erhaltung beigetragen.

Neue Diagnose für eine alte Linde Seit rund 450 Jahren steht die mächtige Sommerlinde in einem privaten Park im Schweizer Mittelland. Auf einer Zeichnung aus dem Jahr 1670 wird sie bereits mit einer stattlichen Krone gezeigt. Der Baum war damit Zeuge grosser und kleiner Wendungen der Geschichte: der Gründung der ersten Post auf schweizerischem Boden durch die Berner Familie Fischer (1675), des Einmarsches napoleonischer Truppen und der Ausrufung der helvetischen Republik (1798), der Gründung des Bundesstaates (1848) oder der Mondlandung (1969). «Wie alt der Baum wirklich ist, wissen wir nicht. Es gibt keine Aufzeichnungen zum Garten», sagt die Eigentümerin.

Weiterführende Links www.rinntech.de www.livingwoods.net

1

Nicht nur die Zeit, sondern auch die Baumchirurgie hat in den vergangenen Jahrzehnten an der Linde ihre Spuren hinterlassen. Ein Blick in die Krone zeigt unzählige Kronenanker, deren Stahlringe längst mit dem Baum verwachsen sind. Einige grosse Hohlstellen wurden vermutlich in den 1950er- oder 1960er-Jahren mit Beton verfüllt. Der heutige Baumpfleger Peter Spycher betont, dass der Baum ohne die früheren Eingriffe heute wahrscheinlich nicht mehr stehen würde.

Er vermutet jedoch, dass gerade die Einbringung des Betons zu neuen Problemen geführt hat: «Heute weiss man, dass der Baum stark genug ist, um mit Hohlräumen umzugehen. Wenn man sie ausbetoniert, schwächt dies die Widerstandskraft.» Bei seiner Routineuntersuchung der Linde konnte Spycher 2013 erstmals einen ausgedehnten Fäulnisherd als Brandkrustenpilz identifizieren. Aus zwei Gründen ist dieser bei Baumpflegern besonders gefürchtet: Erstens lässt er sich weder eindämmen noch stoppen. Zweitens zersetzt er die Tragfähigkeit des Baumes von innen. Selbst diejenigen Bäume, die durch den Pilz gefährlich morsch geworden sind, wirken von aussen noch vital und zeigen praktisch keine Zeichen einer Schwächung. Blick ins Innere Wegen der vielen Kronenanker und der Fäulnisherde ist eine Prognose der mutmasslichen Schäden bei einem Stammoder Astversagen nicht möglich. «Niemand weiss, wohin der Baum fallen würde,» sagt die Besitzerin. Der Abstand zwischen der Linde und den Gebäuden im weitläufigen Park dürfte vermutlich ausreichen. Doch jenseits der Parzellengrendergartenbau Ausgabe 4/2014

baumpflege

Bröckelnde Betonfüllung: Die frühere Lösung ist zu einem Problem geworden.

Der Stammumfang der mächtigen Linde beträgt nahezu elf Meter.

Mit seinen eindrücklichen Dimensionen dimensioniert der Baum den Privatpark.

ze und in einer möglichen Fallrichtung des Baumes steht ein öffentliches Gebäude. Eine verlässliche Prognose zu allfälligen Sach- und Personenschäden ist faktisch unmöglich. Diese Ungewissheit treibt auch die örtliche Gemeindeverwaltung um, die sich seit Jahren an den Kosten der Baumpflege beteiligt. Die Situation sei schwierig, sagt die Besitzerin: «Natürlich macht man sich Sorgen über mögliche Unfälle. Aber die Linde gehört einfach hierher. Ich würde es nur sehr schwer übers Herz bringen, sie fällen zu lassen.»

sind, können sie für ihre Besitzer zum finanziellen Risiko werden. Denn die kantonalen Gebäudeversicherungen machen oftmals hohe Vorgaben. «Ein Eigentümer muss alles unternehmen, um vorhersehbare Schäden abzuwenden», sagt Harald Stiebellehner, Leiter Zentrale Dienste und Schadenexperte bei der Gebäudeversicherung Zug. Kranke Bäume müssten mit geeigneten Massnahmen abgesichert, im schlimmsten Fall auch gefällt werden, um Schäden an Gebäuden zu vermeiden. Zwar würden Sturmschäden an eigenen und fremden Gebäuden infolge umgestürzter Bäume übernommen. Dies gelte aber per Definition nur für einen Sturm mit Wind-

geschwindigkeiten über 75 Stundenkilometer und für Schäden, die «nicht vorhersehbar» seien.

Um Aufschluss über den tatsächlichen Zustand des Baumes zu gewinnen, schlugen die Verantwortlichen der Gemeinde schliesslich eine Baumtomographie vor. Diese Diagnosetechnik ist in der Baumpflege noch relativ neu. Spezielle Sensoren werden kreisförmig um einen Stamm oder Ast herum angebracht. Die Geräte senden und empfangen gepulste Schallwellen und können damit den Querschnitt des untersuchten Abschnitts digital abbilden. So lassen sich Wandstärken, der Zustand des Holzkörpers und allfällige Pilzschäden zerstörungsfrei erheben (vgl. Kasten auf der nächsten Seite). Heterogener Versicherungsschutz Während alte Solitärbäume bei Behörden, Landschaftsarchitekten und Privaten zunehmend als Gartendenkmäler anerkannt dergartenbau Ausgabe 4/2014

Bei der Gebäudeversicherung Luzern (GVL) setzt man laut Peter Sidler, Abteilungsleiter Versicherung, auf Kulanz: «Bei alten Bäumen ist die Vorgeschichte wichtig. Wenn der problematische Zustand mit geeigneten und fachgerechten Massnahmen stabilisiert wurde, verzichten wir in der Regel auf eine Regressforderung.» Gerade bei kranken oder geschwächten Bäumen seien die Empfehlungen von Gärtnern oder Baumpflegern ein wichtiges Kriterium: «Wer als Eigentümer die

Baumpfleger Peter Spycher platziert Sensoren für die Baumtomographie.

2

baumpflege Massnahmen umgesetzt hat, ist in unseren Augen entlastet.» Zudem achte man bei der GVL auf den Kontext, etwa ob ein Sturm auch gesunde Bäume in der Nachbarschaft gefällt habe. Sach- und Personenschäden durch umstürzende Bäume werden teilweise auch durch Privathaftpflichtversicherungen gedeckt. «Eine Leistungskürzung ist nur dann ein Thema, wenn jemand seine Sorgfaltspflichten in grobfahrlässiger Weise verletzt oder einen Schaden in Kauf genommen hat», sagt Jürg Thalmann, Pressesprecher der Mobiliar. Eigentümer, die ihre Bäume regelmässig untersuchen und die empfohlenen Massnahmen durchführen liessen, könnten im Schadenfall auf den Versicherungsschutz zählen. «Wenn es schon für Spezialisten schwierig ist, die Gefahren abzuschätzen, werden wir dem Eigentümer keinen Strick draus drehen», meint Thalmann. Risikoprofil Vor dem Hintergrund des Pilzbefalls und der haftungsrechtlichen Bedenken erweist sich bei dieser Linde das Baumtomographieverfahren als eine sehr wertvolle Erweiterung des baumpflegerischen Werkzeugkastens. «Der klassische Zugang stützt sich primär auf das Äussere des Baumes. Wir können dieses Bild mit einer Innensicht des Baumes ergänzen», sagt René Salzmann, Risiko- und Baumsachverständiger der Livingwoods AG, Zürich. Die mit dem Tomographieverfahren gewonnen Schnittbilder von Stämmen und Ästen können nach den Kriterien der International Society of Arboriculture (ISA) beurteilt werden. Anschliessend kann aufgrund der Restwandstärke eines Stammes oder Astes die Bruchwahrscheinlichkeit bestimmt und ein ISA-Risikoprofil erstellt werden. «Der Zustand der Linde ist nicht optimal. Man muss aber sehen, dass nur wenige Bäume ein so hohes Alter erreichen», meint Salzmann. Die Astanalysen zeigten ein gutes Bild, neben einer gelegentlichen Kontrolle der Kronenanker seien keine Massnahmen angezeigt. Etwas anders sieht es beim mächtigen Stamm aus: Weil dessen Restwandstärke nicht überall dem erwünschten Minimum entspricht, könnte die problematische, aber nicht mehr entfernbare Betonverfüllung gerade bei Windlasten zu Problemen und einem teilweisen oder vollständigen Bruch der Stammwand führen. Deshalb liegt eine zusätzliche Sicherung des Stammes nahe. Wie diese

3

Der Baumriese braucht Pflege und Rücksicht. Parkiert wird hier schon lange nicht mehr. konkret ausgeführt werden soll, wird der Baumpfleger in Absprache mit der Eigentümerin entscheiden. «Für sein Alter hat der Baum eine gute Vitalität», meint Peter Spycher. Die Linde sei nicht in der Rückzugsphase und stelle

ein eindrückliches Monument dar: «Das Ziel ist nach wie vor die Erhaltung. Dank der Tomographie haben wir jetzt zusätzliche Hinweise, wie wir dies am besten erreichen können.»

Baumtomographie In der Humanmedizin gehören Computer- und Magnetresonanztomographie seit Jahren zu den wichtigsten Diagnoseverfahren. Ob es um vermutete Knochenbrüche, unerklärliche Beschwerden oder ernsthafte Erkrankungen geht: Die «Röhre» soll klären, was dahinter steckt. Der grosse Erfolg dieser bildgebenden Verfahren reicht schon längst über die Medizin hinaus. Das zeigt ein Blick auf die Holzbranche: Der italienische Hersteller Microtec bietet seit einigen Jahren spezielle Scanner für die Rundholztomographie in Sägewerken an, und an der Berner Fachhochschule untersucht man die Konstruktion alter Holzbrücken mit einer mobilen Röntgenblitzröhre auf mögliche Schwachstellen. Nun wird das Tomographieverfahren auf lebende Bäume ausgeweitet. Der deutsche Hersteller Rinntech fertigt unter dem Namen «Arbotom» einen Impulstomographen, welcher den inneren Zustand von Bäumen erfassen kann. In der Schweiz wird die Arbotom-Baumtomographie durch die Firma Livingwoods angeboten. Mehrere Sensoren, die gleichzeitig als Sende- und Empfangsgerät dienen, werden kreisförmig um einen Stamm- oder Astabschnitt angeordnet. Mittels Schallimpulsen wird der Baum nun gewissermassen akustisch durchleuchtet: Wenn ein Impuls sehr schnell beim gegenüberliegenden Sensor ankommt, deutet dies auf einen gesunden und stabilen Holzkörper hin. Dauert die Reise des Schalls durch den Stamm dagegen eine lange Zeit, verweist dies auf Probleme wie hohle Stellen, Holzfäule oder verminderte Wandstärken. Die Laufgeschwindigkeiten der Schallimpulse werden mittels Software auf Meter pro Sekunde umgerechnet und grafisch dargestellt. Schnittbilder zeigen durch ihre Farbverteilung, wo der Baum noch genügend Stärke besitzt und wo er bereits angegriffen ist. Damit eine Tomographie bezogen auf die Gesundheit und Standfestigkeit des untersuchten Baumes aussagekräftig ist, müssen allerdings Ort und Höhe der Messungen richtig bestimmt und die Schnittbilder korrekt ausgewertet werden.  M. Staub

dergartenbau Ausgabe 4/2014