Nachhaltige Städte – Lebensräume der Zukunft AWS

21 kommunale Aufgabenfelder für eine nachhaltige Entwicklung. Leitziele – Aufgaben – Lösungen. .... Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass wir mit dem 21. Jahr- hundert in ein »Urban Millennium« .... ihren Lokale-Agenda-Prozessen ökologische, soziale und wirtschaftliche Im pulse gesetzt haben. In diesen zwei ...
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Dr. Wolfgang Schuster

Nachhaltige Städte – Lebensräume der Zukunft

Soziales

Ökologie

Ökonomie

Kultur

Kompendium für eine nachhaltige Entwicklung der Stadt Stuttgart

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter www.oekom.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 oekom, München oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, Waltherstraße 29, 80337 München Korrektorat: Claudia Mantel-Rehbach, Entraching Layout und Satz: Reihs Satzstudio, Lohmar Umschlaggestaltung: Ulrike Schellenberger, Stadt Stuttgart Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH Dieses Buch wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt. Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-327-5 e-ISBN 978-3-86581-530-9

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Dr. Wolfgang Schuster

Nachhaltige Städte – Lebensräume der Zukunft Kompendium für eine nachhaltige Entwicklung der Stadt Stuttgart

Inhalt Vorwort Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus Töpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Einführung. Nachhaltigkeit als Chefsache Dr. Wolfgang Schuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Kapitel 1 Nachhaltige Entwicklung nicht ohne Städte und nicht ohne BürgerInnen 1. Konsequenzen aus der Rio+20-Konferenz . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Nachhaltige Entwicklung nicht ohne Städte . . . . . . . . . . . . . . 13 3. Nachhaltige Entwicklung nicht ohne BürgerInnen . . . . . . . . . . . 16

Kapitel 2 21 kommunale Aufgabenfelder für eine nachhaltige Entwicklung Leitziele – Aufgaben – Lösungen . . . . . . . . 1. Städtebauliche Entwicklung . . . . . . . 2. Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen 3. Energiewende . . . . . . . . . . . . . . 4. Klimawandel . . . . . . . . . . . . . . . 5. Lebenslanges Lernen . . . . . . . . . . . 6. Technologische Entwicklungen . . . . . . 7. Wirtschafts- und Arbeitsplatzentwicklung 8. Integrative Stadtgesellschaft . . . . . . . 9. Demografische Entwicklung . . . . . . . 10. Wohnen und Wohnumfeld . . . . . . . . 11. Mobilität für alle . . . . . . . . . . . . . 12. Kultur in Vielfalt, Breite und Spitze . . . . 13. Sport und Bewegung. . . . . . . . . . . 14. Freizeitgestaltung . . . . . . . . . . . . 15. Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . 16. Nahrungsproduktion und Ernährung . . . 17. Sicherheitspartnerschaft . . . . . . . . . 18. Personalentwicklung . . . . . . . . . . . 19. Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Bürgergesellschaft . . . . . . . . . . . . 21. Lokale-globale Verantwortung . . . . . .

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Kapitel 3 Für eine Alltagskultur der Nachhaltigkeit 1. Grundlagen für eine Kultur der Nachhaltigkeit Aus religiöser Sicht . . . . . . . . . . . . . Aus philosophischer Sicht . . . . . . . . . . Die Goldene Regel . . . . . . . . . . . . .

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2. Wege zu einer gelebten Alltagskultur der Nachhaltigkeit Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . Psychologische Befindlichkeiten. . . . . . . . . . . . Kultur der Nachhaltigkeit in Unternehmen . . . . . . Verantwortung von uns Konsumenten . . . . . . . . Bildung für nachhaltige Entwicklung . . . . . . . . . Nachhaltige Bürgergesellschaft . . . . . . . . . . . .

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Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

Vorwort

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus Töpfer

Im Jahre 2013 jährt es sich zum 300. Mal, dass der sächsische Berghauptmann Carl von Carlowitz die Überlegungen zu Papier gebracht hat, die viele Jahre später von der Brundlandt-Kommission in ihrem Schlussbericht »Our Common Future« zum Leitmotiv gemacht wurden: Nachhaltige Entwicklung – Sustainable Development. In der gesamten Breite menschlichen Lebens und Handelns hat sich »Nachhaltigkeit« als Handlungsmaxime durchgesetzt. Zunehmend kam und kommt die Besorgnis auf, dass die geradezu inflationäre Verwendung dieses Begriffes eine Entwertung, eine Beliebigkeit ausgelöst haben könnte. Vor diesem Hintergrund ist es in besonderer Weise verdienstvoll, dass sich 20 Jahre nach dem Earth Summit, der »United Nations Conference on Environment and Development« im Jahre 1992, ein kommunalpolitischer Praktiker daran gemacht hat herauszuarbeiten, welche kommunalen Aufgabenfelder konkret nachhaltig gestaltet werden müssen und wie dieses erreicht werden kann. Mehr noch: Über das ganz Pragmatisch-Praktische hinaus wird aus der Alltagserfahrung eines langjährigen, erfolgreichen Oberbürgermeisters das Plädoyer für eine »Alltagskultur der Nachhaltigkeit« vorgetragen. Diese systematische Analyse, dieses Kompendium für eine nachhaltige Entwicklung hat sich aus den Ergebnissen der Konferenz Rio+20 noch einmal verstärkt als zwingend notwendig erwiesen. Die Schlusserklärung dieser Konferenz 20 Jahre nach dem Earth Summit »Our Common Vision – The World we want« lässt deutlich erkennen, dass zur Bewältigung der großen Herausforderungen, denen sich dieser Blaue Planet Erde gegenübersieht, mehr denn je die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft und nicht zuletzt mit besonderem Nachdruck das kommunale Engagement erforderlich ist. Die Regierungen von Staaten sind offenbar immer weniger in der Lage, regional und global erforderliche Handlungsprogramme mit zeitlichen Vorgaben und verbindlicher Erfolgskontrolle auf den Weg zu bringen. Umso wichtiger war es in Rio+20 feststellen zu können, dass sich im nichtstaatlichen Bereich nicht nur Begeisterung, sondern große Sachkenntnis und viel Bereitschaft zum Handeln herauskristallisiert. Dieses Kompendium der Nach-

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haltigkeit, konkretisiert an der Stadt Stuttgart, wird in der Zeit nach dieser Konferenz vorgelegt, in einer Zeit, in der die Entwicklung der Stadt im globalen Rahmen zu einer der entscheidenden Herausforderungen wird. Bereits gegenwärtig leben mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, besser in großen Agglomerationsgebieten. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass wir mit dem 21. Jahrhundert in ein »Urban Millennium« eingetreten sind. Der Verstädterungsprozess geht mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit weiter – weltweit, nicht nur in den bevölkerungsreichen asiatischen Staaten. Es ist eine zunehmend ungefragte Erkenntnis geworden, dass globale nachhaltige Entwicklung nur gelingen kann, wenn dieser Verstädterungsprozess nachhaltig gestaltet wird. So ist es nicht überraschend, dass die letzte Weltausstellung in Shanghai 2010 unter dem Titel »Better City – Better Life« durchgeführt wurde. Geradezu unzählige Konferenzen und Workshops, Fallstudien und Grundlagenuntersuchungen belegen dies. Große Wirtschaftsunternehmen entscheiden sich dafür, die infrastrukturellen Erfordernisse der Stadtentwicklung integrativ zu sehen und in einer eigenständigen Organisationseinheit zu bewältigen. In diese Zeit hinein ist dieses Kompendium für die nachhaltige Entwicklung einer großen Stadt in Deutschland, eines Verdichtungsraumes geschrieben. Mit großem Kenntnisreichtum, konkret-detailliert, aber keineswegs sich im Detail verlierend, wird in diesem Buch die Breite der Aufgabe nüchtern und präzise dargestellt. Es wird der so häufige Fehler vermieden, Nachhaltigkeit lediglich auf ein ökologisches Konzept zu reduzieren. Im Gegenteil: Die Bedeutung der sozialen gesellschaftlichen Integration und der wirtschaftlichen Stabilität und Zukunftsfähigkeit wird auf Augenhöhe mit den ökologischen Konsequenzen erörtert – dies nicht nur in jeweiliger Isolierung, sondern sehr deutlich auf die wechselseitigen, positiven wie negativen Einflussmöglichkeiten hin verfolgt. Diese differenzierte, aber dennoch integrierte Betrachtungsweise verdient es besonders herausgehoben zu werden. Damit erliegt diese Argumentation nicht der allzu oft zu beobachtenden Gefahr, aus der detailverliebten, hoch sachverständigen Kenntnis eines Aufgabenfeldes heraus Lösungen für das komplexe Gebilde einer modernen Stadt zu verdecken. Dieser wichtige Beitrag eines kommunalpolitisch über viele Jahre hinweg tätigen und erfahrenen Praktikers plädiert für »eine Alltagskultur der Nachhaltigkeit«. In allen Weltreligionen, so wird nachgewiesen, ist diese Verpflichtung zur Mäßigung, zum Denken über die kurze Frist des eigenen aktuellen Wohlergehens hinaus eingefordert. Alle Religionen verpflichten ihre Gläubigen, das Handeln in seinen langfristigen Konsequenzen zu bedenken und daraufhin auszurichten. Dies wird unmissverständlich als religiöse Verpflichtung eingemeißelt. Verantwortung übernehmen, Unterschiede in Rasse und Religion, in Wohlstand und in Lebensentwürfen als eine Bereicherung für das Zusammenleben zu verstehen und zu

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nutzen – eine Konsequenz, die die Stabilität des städtischen Lebens kennzeichnen muss. Es wird erkennbar, dass gerade aus der Vielfalt, aus dem Unterschiedlichen heraus gesellschaftliche Stabilität und Zukunftsfähigkeit gewonnen werden. Damit ist dieses Buch deutlich mehr als ein »Technisches Kompendium«. Es ist ein Beleg der großen Chance, die mit der Verantwortung zur Nachhaltigkeit verbunden ist.

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Einführung Nachhaltigkeit als Chefsache

Dr. Wolfgang Schuster, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart

In Baden-Württemberg werden die Bürgermeister und der Oberbürgermeister auf acht Jahre direkt vom Volk gewählt. Als Vertreter der Bürgerschaft, Vorsitzender des Gemeinderats und Chef der Verwaltung erhält der Oberbürgermeister die besondere Chance, aber auch Verantwortung, für seine Stadt langfristige Perspektiven zu entwickeln und umzusetzen. Ich konnte vier Jahre als Bürgermeister für Kultur, Bildung und Sport und 16 Jahre als Oberbürgermeister die Entwicklung Stuttgarts mitprägen. Eine wesentliche Führungsaufgabe ist dabei, die drei Handlungsfelder energetisch zu verbinden: als verlässlicher Dienstleister für alle BürgerInnen da zu sein, als Initiator und Moderator für eine Bürgergesellschaft zu wirken und als politisch Verantwortlicher städtebauliche, wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Entwicklungen zu gestalten. Damit diese Entwicklungen nachhaltig sind, bedarf es inhaltlicher Visionen für die verschiedenen kommunalen Aufgabenfelder. Zugleich gilt es, nachhaltige Entwicklung als Querschnittsaufgabe zur Chefsache zu machen, um sie in konstruktiver Zusammenarbeit mit Gemeinderat und Stadtverwaltung sowie mit der Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft auch umsetzen zu können. Für die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Unternehmern, Verantwortlichen von Verbänden und Vereinen, Repräsentanten der Kirchen und nicht zuletzt mit den 23.000 MitarbeiterInnen des Konzerns Stadt Stuttgart danke ich von Herzen. Durch ihr Wirken tragen sie dazu bei, dass die Nachhaltigkeitsziele konkret in die praktische Arbeit einfließen und Schritt für Schritt realisiert werden. Stuttgart ist keine Insel, sondern mehr und mehr verflochten mit der regionalen, Landes-, Bundes-, europäischen und internationalen Ebene. Um ganzheitliche Lösungen zu finden und sie nachhaltig realisieren zu können, bedarf es des Zusammenwirkens der politischen Ebenen über Parteigrenzen hinweg im Sinne eines »Regierens in Partnerschaft«. Auch dafür bin ich dankbar. Um unsere heterogenen, internationalen und multikulturellen Stadtgesellschaften zu einer nachhaltigen Bürgergesellschaft zu entwickeln, brauchen wir allge-

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mein verständliche und allgemein verbindliche Regeln auf der Grundlage der Kultur der Nachhaltigkeit. Deshalb ist die Kultur die notwendige vierte Dimension für eine nachhaltige Entwicklung. Bei der Realisierung dieses Buches hat mich eine Reihe von MitarbeiterInnen unterstützt. Mein besonderer Dank gilt Frau Reichenbächer, Frau Ries, Frau Schellenberger, Herrn Dr. Hellmich, Herrn Matis, Herrn Dr. Schlossnikel und Herrn Vogt für Ratschläge, Recherchen und Layout. Für Kritik und Anregungen bin ich dankbar, die ich auch gerne in meine Arbeit als Mitglied des Rates für nachhaltige Entwicklung einspeisen werde. Ich hoffe, dass die LeserInnen die praktischen Beispiele zum Anlass nehmen, die Situation in der eigenen Kommune, im eigenen Wohnumfeld, im eigenen Verantwortungsbereich, und vielleicht auch den eigenen Lebensstil zu reflektieren. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass unser Lebensstil nachhaltiger und unser CO2-Footprint kleiner wird. Denn letztlich gilt für uns alle der Satz von Mahatma Gandhi:

»Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.«

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Kapitel 1

Nachhaltige Entwicklung nicht ohne Städte und nicht ohne BürgerInnen

1. Konsequenzen aus der Rio+20-Konferenz »The future we want« Unter diesem verheißungsvollen Titel stand die Rio+20-Konferenz im Juni 2012. Ausgangspunkt war die Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung vom Juni 1992. Erstmalig beschlossen die Staats- und Regierungschefs Grundsätze zum Schutz unseres Planeten und zur Zusammenarbeit im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, nicht zuletzt um die Armut von Milliarden von Menschen zu beseitigen. Die auf vier Seiten zusammengefassten 27 Grundsätze waren in den vergangenen 20 Jahren nicht nur Grundlage für zahlreiche Initiativen vor Ort, die mit ihren Lokale-Agenda-Prozessen ökologische, soziale und wirtschaftliche Impulse gesetzt haben. In diesen zwei Jahrzehnten wurde auch eine große Zahl von internationalen Konventionen der UN verabschiedet zum Schutz der Biodiversität und zum Klimawandel mit (zum Teil) rechtlich verbindlichen Zielen durch die Mitgliedsstaaten. Allerdings teilen viele dieser Konventionen das Schicksal des Kyoto-Protokolls, das vor allem von den Staaten nicht unterzeichnet wurde, auf deren Mitwirkung und Verpflichtung es entscheidend ankommt. Die Erwartung an den Weltgipfel Rio+20 war groß. Je nach Messlatte wird man die Ergebnisse als Schritte in die richtige Richtung – so Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel – oder als Misserfolg – so viele Umweltorganisationen – bewerten. Positiv zu bewerten ist immerhin, dass sich alle Mitgliedsstaaten der UNO aktiv eingebracht haben. Zum Abschluss sind über 100 Staats- und Regierungschefs und darüber hinaus Regierungsmitglieder aus fast allen Mitgliedsstaaten gekommen, um gemeinsam das Abschlussdokument mit einem Umfang von rund 50 Seiten zu beschließen. Dies ist zumindest ein Hinweis auf die Bedeutung, die viele Staaten der Aufgabe einer nachhaltigen Entwicklung unserer Erde beimessen. Aus dem Abschlussdokument folgt auch eine generelle Bereitschaft, sich im Rahmen eines weiter zu entwickelnden Systems des »Global Governance« einzubringen. Die Abschlusserklärung legt zwar keine quantitativen und rechtlich verbindlichen Ziele fest, sie ist dennoch ein historisch wichtiges Dokument. Aufbauend auf den 27 Grundsätzen der Rio-Erklärung von 1992 sind erstmals in einem gemein1. Konsequenzen aus der Rio+20-Konferenz

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samen Dokument wesentliche Ziele und Aufgaben zusammengefasst, die notwendig sind, um weltweit zu einer nachhaltigeren Entwicklung zu kommen. Entsprechend den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, der ökologischen, der ökonomischen und der sozialen, werden die Millenniumsziele der UNO zur Überwindung von Armut, Hunger, Krankheiten und Ausbeutung in die Nachhaltigkeitsziele integriert. Da die Nachhaltigkeitsziele alle wesentlichen Aufgabenfelder beschreiben, ist dies zugleich das erste Dokument der Weltengemeinschaft, in dem das Leitbild der Nachhaltigkeit ganzheitlich beschrieben wird. Die beschriebenen Aufgabenfelder haben eine globale, europäische, nationale, regionale und lokale Dimension. Sie können ohne Einbeziehung der verschiedenen Regierungsebenen, aber auch ohne Einbindung der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Wissenschaft nicht erfolgreich angepackt und umgesetzt werden: ob Abfallwirtschaft, Abwasserbehandlung, Agrarwirtschaft, Armutsbekämpfung, Ausbildungs- und Arbeitsplätze, Bevölkerungsentwicklung, Bildung, Biodiversität, Bodenschätze, Einwanderung, Energieversorgung, Finanzmarktregulierung, Fischereirechte, Frauenförderung und Frauenrechte, Gesundheitsförderung, Gleichberechtigung, Green Economy, Green Technologies und Green Growth, Klimakatastrophenschutz, Klimawandel, Mobilität, Meeres- und Ozeanschutz, Nahrungsmittelproduktion und -verteilung, Siedlungsentwicklung, Staatsschuldenkrise, Tourismus, Verkehrsentwicklung und Verkehrssicherheit, Walderhaltung, Wasserversorgung, Wohnungsbau, wirtschaftliches Wachstum. Diese stichwortartige, unvollständige Aufzählung der Rio-Abschlusserklärung zeigt die Aufgabenvielfalt, die eine nachhaltige Entwicklung erfordert. Ihre Komplexität vervielfacht sich aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeiten einzelner Aufgabenfelder und der notwendigen Vernetzung der Umsetzungsschritte. Sie müssen letztlich vor Ort entwickelt, geplant, getätigt und finanziert werden. Und dies in möglichst großem Konsens mit den BürgerInnen. Wie lassen sich solche komplexen Vorgänge steuern und Lösungswege organisieren? Dazu wird gerne der Begriff einer »Global Governance« gebraucht. Doch es ist eine Illusion zu glauben, dass diese Aufgaben durch Regulierung von oben nach unten gelöst werden können. Unabhängig von der mangelnden Bereitschaft der einzelnen Nationalstaaten, ihre Souveränitätsrechte an eine supranationale UN-Organisation abzutreten, ist dies auch nicht praktikabel. Vielmehr bedarf es einer gemeinsamen Dialogkultur und komplexer Abstimmungsprozesse in verbindlichen Netzwerkstrukturen. Um auf die Ergebnisse solcher Prozesse Einfluss nehmen zu können, bedarf es vieler Verbündeter. Bei dem Rio +20-Gipfel hat sich gezeigt, dass der Einfluss der einzelnen EU-Staaten nur dann Gewicht hat, wenn Europa mit einer Stimme spricht. Doch auch der Einfluss der Europäer schwindet in der neuen multilateralen Weltordnung.

12 | Nachhaltige Entwicklung nicht ohne Städte und nicht ohne BürgerInnen

Damit aus der Vision »The future we want« nicht eine Illusion und aus der gemeinsamen Abschlusserklärung nicht ein Dokument des Scheiterns wird, sind intensive Anstrengungen aller politischen Ebenen wie der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Wissenschaft notwendig. Deshalb sind in dem Abschlussdokument auch alle »Stakeholders« aufgefordert, die in Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft Verantwortung tragen, verstärkt zusammenzuarbeiten, voneinander zu lernen und nicht zuletzt durch einen intensiven Technologietransfer dazu beizutragen, dass »Green Economy« auch zu »Green Growth« führt. »Wenn wir unsere Wirtschaftsweise nicht ändern, dann berauben wir uns unserer Lebensgrundlagen«, so Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Nur nachhaltiges Wachstum führt langfristig zu sicheren Arbeitsplätzen, fairer Globalisierung, sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle. Dieser verantwortungsvollen Aufgabe müssen sich auch die Städte stellen. Die Abschlusserklärung ist zugleich eine nachdrückliche Aufforderung an die Städte, für eine nachhaltige Entwicklung vor Ort zu sorgen. Was bedeutet dies für die kommunalpolitische Arbeit der gewählten Vertreter und für die kommunalen Verwaltungen? Was bedeutet nachhaltige Entwicklung für uns als BürgerInnen, die wir einen Lebensstil in Deutschland pflegen, der bekanntlich nicht nachhaltig ist? Was ist also konkret zu tun, damit sich eine Stadt nachhaltig entwickelt? Wie können wir dabei einen Lebensstil für uns BürgerInnen gestalten, der den Kriterien der Nachhaltigkeit besser entspricht?

2. Nachhaltige Entwicklung nicht ohne Städte Die Rio+20-Konferenz hat einmal mehr gezeigt, dass nachhaltige Entwicklung ohne nachhaltige Städte nicht erfolgreich sein kann; und dies faktisch wie politisch: Faktisch, weil über die Hälfte der Menschen inzwischen in Städten leben. Dort werden 75 Prozent der Energie verbraucht und 80 Prozent der Treibhausgase emittiert. Jährlich wachsen die Städte um 60 Millionen Menschen. Unsere Städte sind zugleich Motor für wirtschaftliches Wachstum, stehen aber auch für konsumorientierten Lebensstil. Angesichts knapper werdender Ressourcen und steigender Umweltbelastungen müssen deshalb Veränderungsprozesse ganz wesentlich in den Städten gestaltet werden. Politisch sind diese Veränderungsprozesse zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung eine wesentliche kommunalpolitische Aufgabe. Dies gilt vor allem für Städte in den Ländern, die sich durch eine traditionell starke kommunale Selbstverwaltung auszeichnen, zum Beispiel Österreich, Schweiz, die Niederlande, die skandinavischen Länder und Deutschland. Dabei stehen wir in Deutschland in einer 2. Nachhaltige Entwicklung nicht ohne Städte

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