MYTHOS MOBILFUNK

»Als ich bei Ericsson als Umweltmanager auf den zwei größten Ge- schäftsgebieten, den Festnetz- und Mobiltelefon-Systemen, ar bei tete, hatte ich mich um ...
313KB Größe 7 Downloads 426 Ansichten
Werner Thiede

MYTHOS MOBILFUNK Kritik der strahlenden Vernunft

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter www.oekom.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 oekom, München oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, Waltherstraße 29, 80337 München Satz und Layout: Reihs Satzstudio, Lohmar Umschlaggestaltung: Elisabeth Fürnstein, oekom verlag Umschlagabbildung: Werner Thiede Druck: Digital Print Group, Nürnberg Dieses Buch wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt. Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-404-3 e-ISBN 978-3-86581-528-6

hier bitte FSC-Logo einsetzen

Werner Thiede

MYTHOS MOBILFUNK Kritik der strahlenden Vernunft

Gewidmet der unermüdlich forschenden und dokumentierenden, ungezählten Betroffenen selbstlos helfenden, mancherlei Undank und Spott tapfer ertragenden und den Mythos Mobilfunk stets hoffnungsfroh hinterfragenden Ärztin Dr. Cornelia Waldmann-Selsam

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung: Ein Mythos macht mobil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

A Mobilfunk – der Mythos des 21. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . I.

. . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Die mystische Funktion des Mobilfunk-Mythos 1. Zur Magie der Mobilfunk-Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Autonomie und Mobilfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Die »strahlende« Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

II.

Die kosmologische Funktion des Mobilfunk-Mythos 1. Mythos Mobilfunk und die Tabuisierung der Vergänglichkeit der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Unsichtbare Kräfte: Mobilfunknetz und »Weltseele« . . . . . . . . . 52 3. Was die Welt des mobilen Internets mit der Welt macht . . . . . . . 60

III. Die gesellschaftliche Funktion des Mobilfunk-Mythos 1. Geld regiert die Welt: Monetäre Aspekte des Mobilfunks . . . . . . 70 2. Wie Politik und Behörden den Mobilfunk-Mythos schützen. . . . . 79 3. Totalitäre Tendenzen der Mobilfunk-Gesellschaft . . . . . . . . . . . 89

IV. Die psychologische Funktion des Mobilfunk-Mythos 1. Mobilfunk-Nutzung und Narzissmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Inwiefern Mobilfunk zu Lüge und Selbsttäuschung verleitet . . . 104 3. Psychologie der Beweisforderung: Studien und ihre Widerlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

B V.

Die notwendige Entmythologisierung des Mythos Mobilfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . 127

Entmythologisierung der »Grenzenlosigkeit« des Mobilfunks 1. Die rein thermischen Grenzwerte und die Entlarvung ihrer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Mobilfunk und der Verlust der Autonomie . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Der gefühlte Mobilfunk-Mythos und die Macht der Medien . . . 143

VI. Entmythologisierung der mobilfunkbegeisterten Weltsicht 1. Die verfunkte Lebenswelt und die Ärzteschaft . . . . . . . . . . . . 150 2. Mythos »Smart Grid«: Zählerdaten-Übermittlung per Mobilfunk? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Inwiefern das mobile Internet unsere Welt gefährdet. . . . . . . . 166

VII. Enttabuisierung des gesellschaftlichen Mobilfunk-Tabus 1. Zur Tabuisierung der Schädigung von Pflanzen und Tieren durch Mobilfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Warum die Enttabuisierung menschlicher Funk-Sensibilität überfällig ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Die industrielle Revolution frisst ihre Kinder – gefragt sind Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

VIII. Enttabuisierung funkbasierter Ethik-Vergessenheit 1. Warum technischer Fortschritt die Ethik »veralten« lässt . . . . . . 209 2. Warum das juristische Tabu des Mobilfunk-Mythos fallen muss . 216 3. Warum gerade Theologie und Kirche den Mythos Mobilfunk entzaubern sollten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Statt eines Nachworts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Literatur in Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Anmerkungsteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Vorwort

Mythen deuten und prägen Wirklichkeit. Um nichts Geringeres geht es beim Streit um den Segen oder Fluch der Mobilfunk-Technologie: Sie durchdringt unsere Lebenswelt in einem immer umfassenderen Ausmaß. Tatsächlich gibt es so etwas wie einen »Mythos Mobilfunk«, der gesamtgesellschaftlich wirksam ist und die stille Revolution der Digitalisierung unserer Gesellschaft forcieren hilft. Angestrebt wird inzwischen ernsthaft, dass Mensch und Welt bald mit Mobiltechnik regelrecht durchdrungen sind. Die Wortkombination »Mythos Mobilfunk« mag aufs Erste befremdlich klingen. Wer trotzdem neugierig geworden ist, ahnt vielleicht schon einen gut verdrängten Zusammenhang in unserer mehr und mehr durchtechnisierten Kultur, den ins Bewusstsein zu heben das Ziel dieses Buches ist. Um Aufklärung der »strahlenden« Vernunft geht es, um Befreiung aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit. Denn man kann vieles von dem sehr wohl wissen, was ich in diesem Buch zusammengestellt und reflektiert habe. Kein Naturwissenschaftler hat sich hier an die Arbeit gemacht, sondern ein Geisteswissenschaftler. Als Professor für Systematische Theologie und Pfarrer bin ich auch Ethiker. Bekanntlich können und müssen Ethiker nicht unbedingt Experten des von ihnen reflektierten Themengebiets sein, aber sich dennoch hinreichend mit der Materie befasst haben, um wichtige Fragen sachgemäß behandeln und einschätzen zu können. In diesem Sinn habe ich mich einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung gewidmet, deren Problematik zum einen vielfach – bewusst oder unbewusst – verdrängt wird und zum andern von betroffenen Seiten, insbesondere von zahllosen Bürgerinitiativen sowie Ärzte- und Wissenschaftler-Initiativen, deutlich benannt worden ist. Es handelt sich um nicht weniger als um einen subtil wirksamen Leit-Mythos des 21. Jahrhunderts, wie das im Folgenden näher dar- und offengelegt wird.

8

Vorwort

Dass sich der Mythos gegen Versuche zur Wehr setzt, ihn zu entmythologisieren, liegt in seiner Natur. Umso mehr gilt es, kritische Argumente und Impulse in ein geistiges Konzept zu bringen, das damit selbst ein wirksamer, aufklärender Impuls für mehr Nachdenklichkeit bei allen Beteiligten und Betroffenen werden möchte. Es geht um die Einsicht, dass die Begeisterung für Mobilfunk und der Einsatz für seinen Weiterbau auch bestimmte ethische und weltanschauliche Herausforderungen impliziert – und dass er nicht nur das Gesundheitsproblem, sondern insgesamt fragwürdige kulturelle Konsequenzen zeitigt. Es gilt die Wahrnehmung zu stärken für eine Reihe von Vorgängen, die in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Medien, Jurisprudenz und Medizin ablaufen und doch oft wenig durchschaut, ja mitunter wohl kaum so gewollt werden. In einem industriepolitischen Grundsatzpapier spricht der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) von einer »vierten Stufe der Industrialisierung«, die »schon heute große Auswirkungen auf unser Leben« habe – von der Zukunft ganz zu schweigen. Aber nicht alles, was machbar ist, ist auch wünschenswert. Die erforderliche Abwägung bedarf einer klareren Reflexion auf entschieden humanere Grenzziehungen und Ausgestaltungen bei der MobilfunkTechnologie. Fast jedes der acht Kapitel ließe sich zu einem eigenen Buch ausweiten. Doch weder um Vollständigkeit noch um Vollkommenheit geht es hier, sondern um den Versuch, nach bestem Wissen und Gewissen Aufklärung und ethische Orientierung in einer schwierigen, die Allgemeinheit betreffenden Frage zu fördern. Jedenfalls will ich als Theologe zu den gegebenen Herausforderungen nicht schweigen. Dem Verlag danke ich für den Mut, sich an der Infragestellung des Mythos Mobilfunk zu beteiligen, und der Evang.-Luth. Landeskirche in Bayern sowie der »Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie« für die Unterstützung durch Druckkostenzuschüsse. Werner Thiede

Einleitung: Ein Mythos macht mobil »Die Einführung der jeweils neuen Technologie erfolgt ohne Rücksicht darauf, ob die Menschen oder Kulturen darauf vorbereitet sind, auch ohne Rücksicht auf die Verluste, die dabei eintreten.« Hartmut von Hentig1

Seit ungefähr der Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es Mobilfunknetze. Es handelt sich um organisierte Vernetzungen regional begrenzter, jeweils benachbarter »Zellen«, die auch mit den jeweiligen Festnetzen verknüpft sind. Dass sich der Mobilfunk zu einem »Mythos« entwickelt haben soll, ist eine These, die sich freilich erst auf den zweiten Blick erschließen mag. Dann aber dürfte schnell einleuchten, dass er ja tatsächlich in seiner längst weltumspannenden Weite gleichsam magische Fähigkeiten bietet. Die unsichtbare, meist nicht spürbare Signal- und Informationsübertragung fast rund um den Globus, von der Bergspitze bis in den tiefsten Keller, trägt mit ihrer Effizienz einen Zauber in sich2, der auch die entsprechenden Geräte rasch mit dem Begriff »Mythos« in Verbindung bringen lässt. Nicht von ungefähr ist etwa vom »Mythos iPhone«3 die Rede. Schon das Handy wurde mitunter als »Mythos« bezeichnet; so findet man etwa unter www.handymeile-nord.de die Überschrift »Handys – Mythos oder Gebrauchsgegenstand« samt der Erläuterung: »Handys werden immer kleiner und handlicher. Kultfaktor Nr. 1 bei dem größten Teil der Bevölkerung!« Zugleich wird hier aber auch ein anderer, eher kritischer Sinn von »Mythos Handy« benannt: »Per definition ist ein Mythos die Erzählung von Ereignissen. Nun verrät ein Handy viel über seinen Besitzer und könnte sicher auf eine Vielzahl von Ereignissen zurückblicken, also scheint ein Handy auch ein Mythos zu sein. Denn könnte es aus sich heraus kommunizieren, hätte es sicher eine Menge an Ereignissen in der Geschichte seines Nutzers zu erzählen.«4

10

Einleitung: Ein Mythos macht mobil

So ist es. Freilich muss der Begriff des »Mythos« im Folgenden grundsätzlicher beleuchtet werden. Immerhin deutet jenes Zitat zum »Kultfaktor Handy« gleich einmal darauf hin, dass die Begriffskombination Mythos Mobilfunk nicht nur dessen faszinierendes Element, sondern auch seine erschreckende Seite anspricht – ganz im Sinne von Rudolf Otto, der in seinem Buch über »Das Heilige« das Faszinosum und das Tremendum als die zwei Seiten desselben Grundphänomens beschrieben hat.5 Kommen nicht bei all jenen, denen ihr Handy bzw. Smartphone »heilig«6 ist, bewusst oder unbewusst diese beiden Seiten zum Tragen? Denn dass der Mobilfunk und seine Gerätschaften durchaus Ambivalenzen in sich tragen, ahnen oder wissen wohl mindestens die Hälfte ihrer begeisterten Nutzer.7 Zudem kann der Begriff »Mythos« in moderner Verwendung den kritischen Sinn von Lügenerzählung, unseriöser Darstellung oder irrationalem Glaubensgebäude haben. Auf den Mobilfunk bezogen, lässt sich das Wort »Mythos« anwenden sowohl zur überheblichen Benennung von angeblich irrationalen Ängsten vor gesundheitlicher Schädigung durch die hochfrequente, häufig gepulste elektromagnetische Strahlung8 als auch gegenteilig zur Hinterfragung von Behauptungen weitestgehender Unschädlichkeit solcher Strahlung. Solche popularistischen Redeweisen vom Mythos Mobilfunk könnten freilich auf dem oberflächlichen Niveau von Schlagwörtern und »Totschlagargumenten« bleiben. Im Folgenden wird unter der Wortkombination Mythos Mobilfunk durchaus noch Komplexeres und Tiefgehenderes verstanden. Es soll deutlich gemacht werden, dass und inwiefern die Mobilfunk-Technologie mit ihren weit und immer weiter greifenden Möglichkeiten eine Kulturumwandlung zur Konsequenz hat, die weltanschauliche9 und weltgestaltende, politische und sozialethische Implikationen von zum Teil unüberschaubaren Ausmaßen mit sich bringt – und dabei zumindest unbewusst10 mythischen Impulsen folgt. Dies sich wenigstens ansatzweise bewusst zu machen, ist ein dringendes Erfordernis unserer Zeit und sollte sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern dieser Technologie als unumgängliche Aufklärung anerkannt und wahrgenommen werden.

Einleitung: Ein Mythos macht mobil

11

Bei genauerer Überlegung zum Mythos-Begriff11 sticht ins Auge, dass es sich gewöhnlich um einen Ausdruck handelt, der an archaische Denkweisen, insbesondere an kosmische Ursprungs-12 und Göttererzählungen denken lässt. Was sollte er also mit der modernen Mobilfunk-Technologie zu tun haben? Nun hat freilich gerade das 20. Jahrhundert deutlich gemacht, dass die Mythen-Produktion des menschlichen Geistes auch unter modernen Bedingungen keineswegs versiegt ist. »Rückkehr zum Mythos« (Raimon Panikkar) lautete die Devise vor rund drei Jahrzehnten, als Morris Berman zugleich von der »Wiederverzauberung der Welt« (1985) sprach. Ein halbes Jahrhundert zuvor blühte der so verhängnisvolle, totalitäre »Mythus des 20. Jahrhunderts«13 (Alfred Rosenberg). Und in der Gegenwart begegnet man weiterhin den Remythologisierungen der Esoterik- und namentlich der »New Age«-Bewegung.14 Ob menschliche Vernunft überhaupt von mythologischen Denkkategorien frei werden und bleiben kann, ist eine strittige Frage. Sogar der marxistische Denker Lezek Kolakowski spricht von der Notwendigkeit des Mythos.15 Und der Mythenforscher Joseph Campbell macht im letzten Band seiner Gesamtdarstellung »Die Masken Gottes« deutlich, dass Mythenbildung ein schöpferischer, lebendiger Prozess bleibt: Zunächst hat vielleicht ein Einzelner »eine eigene Erfahrung – der Ordnung, des Grauens, der Schönheit oder auch nur eines überschwenglichen Gefühls – gemacht und ist nun bestrebt, sie durch Zeichen mitzuteilen; und wenn sein Erlebnis eine gewisse Tiefe und Tragweite hatte, wird seine Mitteilung den Wert und die Kraft eines lebendigen Mythos haben – für diejenigen nämlich, die sie von selbst, ohne Zwang annehmen, sich davon betroffen fühlen, sich darin wieder erkennen.«16 In diesem Sinne heute von der »Kraft eines lebendigen Mythos« zu reden, und zwar mit Blick auf die Mobilfunk-Kultur unserer Zeit, verlangt nach genauer erläuterten Bezügen des Funks zum Mythos-Begriff. Campbell selbst nennt vier grundlegende Funktionen, die jedem mythischen Symbol zu Eigen sind: »eine mystische, eine kosmologische, eine gesellschaftliche und eine psychologische«.17 Dass sich tatsächlich jede dieser vier Funktionen des Mythischen am Phänomen Mobilfunk aufzeigen lässt, soll inhaltlich und auch formal durch die gesamte Struktur

12

Einleitung: Ein Mythos macht mobil

des vorliegenden Buches aufgezeigt werden. Die ersten vier Kapitel dienen der Erläuterung der mystischen, kosmologischen, gesellschaftlichen und psychologischen Funktion des Mobilfunk-Mythos; die weiteren vier Kapitel sollen in jeweiliger Entsprechung verdeutlichen, warum und wie an seine fällige Entmythologisierung zu denken ist. Tatsächlich ist das Zeitalter der Moderne insgesamt alles andere als mythenfrei. Das gilt nicht nur im Blick auf politische Mythen,18 sondern auch hinsichtlich des »Mythos Technik«19 schlechthin. Von ihm bildet der »Mythos Mobilfunk« ein Teilstück – allerdings ein ganz besonders markantes. Denn er ist nicht nur einflussreich, sondern im wahrsten Sinn des Wortes übergriffig und dadurch übermächtig. Kaum ein Mensch, kaum ein Lebewesen vermag mehr der hochfrequenten Mikrowellenstrahlung aus ungezählten künstlichen Quellen zu entkommen: »Höchst alarmierend sind diese hochfrequent strahlenden Technologien, die sich eingenistet haben in allen Ecken und Winkeln des Hauses, der Schule, am Arbeitsplatz, im Krankenhaus, auf der Straße, im Bereich drahtloser Autoschlüssel, in Zügen, Bussen und Flugzeugen, in Bibliotheken, in der Wildnis wie etwa Nationalparks, in Wild- und Wasservögeln, in Haustieren, in der Haut älterer Wanderer, in Hörgeräten, Insulinpumpen und Gehirnstimulatoren sowie im Spielzeug auf dem Handy für Zweijährige!«20 Bei diesen hochfrequenten Feldern wechseln elektrisches und magnetisches Feld zwischen zigtausend und mehreren Milliarden Mal pro Sekunde ihre Richtung. Daher besteht eine enge Kopplung von magnetischer und elektrischer Komponente, und man spricht somit von »elektromagnetischen Feldern« (EMF). Langfristige Gesundheitsgefahren infolge von insbesondere chronischer EMF-Einwirkung stehen neben den unmittelbaren Beschwerden Elektrohypersensibler. Allein im deutschen Sprachraum dürfte die Zahl der Menschen, die sich durch hochfrequente EMF-Einwirkung gesundheitlich beeinträchtigt sehen, im zweistelligen Millionenbereich liegen.21 Weit mehr Zeitgenossen allerdings unterliegen der Faszinations- und Suggestionskraft entsprechender, zweifellos oft sehr

Einleitung: Ein Mythos macht mobil

13

nützlicher Funkgerätschaften – und stehen auf diese Weise freiwillig oder unfreiwillig unter ihrem Diktat. Die Omnipräsenz des Mobilfunks hat neben ihrer physisch-biologischen auch eine psychische und soziokulturelle Dimension, wobei letztere den wirtschaftlichen Aspekt mit einschließt. Erst deren Zusammenwirken macht den Mythos Mobilfunk aus und verleiht ihm seine gewaltige Kraft. Mittels solcher Power macht er mobil: Nicht nur robust und expansiv will er sein, sondern auch kämpferisch und taktisch intelligent, um sich siegreich auf dem Feld der Wirklichkeit und ihrer Deutung zu behaupten. List und Tücke gehören mit zum Arsenal solcher Mobilmachung, folglich auch geschickte Maßnahmen zur Verhinderung der Aufdeckung und Entlarvung von entsprechend taktischem Vorgehen (s. u. IV. 2.). In dieser Hinsicht gibt es einleitend über den Mythos Mobilfunk etwas beizubringen, das an ein typisches Grundelement des Mythischen erinnert. Gemeint ist das Element einer »Ursprungserzählung«. Diese kann beim Mobilfunk natürlich nur eine zeitgemäße sein. Ein Text, der in diesem Sinn verstanden werden kann, wurde von dem Schweden Örjan Hallberg, einem ehemaligen Branchenmitarbeiter, im August 2009 unter dem Titel »A Telecom Strategy« formuliert und lautet folgendermaßen:

»Als ich bei Ericsson als Umweltmanager auf den zwei größten Geschäftsgebieten, den Festnetz- und Mobiltelefon-Systemen, arbeitete, hatte ich mich um alle Umweltaspekte unserer Arbeit zu kümmern. Mit Ausnahme des einen: dem Einfluss der elektromagnetischen Strahlung. Dieses spezifische Gebiet wurde von speziell nominierten Experten behandelt, die dem Management immer erzählten, was dieses zu hören wünschte: Strahlung war für die Gesundheit unbedenklich. Aber so wie die Zeit verging, begannen sich die Fakten anzuhäufen. Die Experten sind keine Idioten  – und das TopManagement auch nicht. Alle die Tausende von Milliarden Dollars, die in den Basisstationen begraben waren, mussten so lange wie möglich ausgenützt werden. Eine Strategie musste beachtet und peinlich genau befolgt werden. Und hier ist die Strategie: Zur TelekomGeheimstrategie gehört: ›Nur die nationale Behörde sollte das Recht