Der Mythos des Singulären

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David P. Schweikard

Der Mythos des Singulären

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Eine Untersuchung der Struktur kollektiven Handelns

Schweikard · Der Mythos des Singulären

Gemeinsame Aktivitäten, von spontanem Kooperieren von zwei Akteuren bis zum Handeln in oder von in komplexer Weise organisierten Kollektiven, gehören zu den Grundphänomenen des alltäglichen menschlichen Lebens. Diese Untersuchung ist den zentralen handlungstheoretischen und sozialontologischen Problemen gewidmet, die diese Phänomene aufwerfen. Es wird unter Rekurs auf neuere Literatur zu kollektiver Intentionalität und Sozial­ontologie ein systematischer Vorschlag zur Individuation kollektiver Handlungen, zur Intentionalität gemeinsamen Handelns und zur Akteurschaft von Kollektiven entwickelt. Die Hauptthese dieses Vorschlags ist kritisch gegen Spielarten reduktionistischer und individualistischer Analysen gewendet und besagt, dass kollektives Handeln nur dann adäquat analysiert werden kann, wenn die Vorstellung, es sei durch Zusammensetzungen aus für sich vollständig bestimmten individuellen Handlungen und Absichten gekennzeichnet, aufgegeben wird. Im Einzelnen wird für eine nicht-reduktive Analyse gemeinsamer Handlungsabsichten sowie für die Auffassung argumentiert, dass bestimmte Kollektive eine Art interner Struktur aufweisen, die ihre Anerkennung als Akteure rechtfertigt.

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Schweikard · Der Mythos des Singulären

David P. Schweikard

Der Mythos des Singulären Eine Untersuchung der Struktur kollektiven Handelns

mentis PADERBORN

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2011 mentis Verlag GmbH Schulze-Delitzsch-Straße 19, D-33100 Paderborn www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anne Nitsche, Dülmen (www.junit-netzwerk.de) Satz: Rhema – Tim Doherty, Münster [ChH] (www.rhema-verlag.de) Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-721-6

Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2009 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Ich danke all denjenigen individuellen und kollektiven Akteuren, die mich bei der Bearbeitung dieses Projektes unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt den beiden Gutachtern, den Professoren Michael Quante und Thomas Grundmann, sowie den Mitgliedern der Prüfungskommission, den Professoren Andreas Speer, Jan Opsomer, Dieter Lohmar und HansPeter Ullmann. Ein Forschungsaufenthalt an den Universitäten Pittsburgh und Princeton ist großzügig vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) unterstützt worden; meinen dortigen Gastgebern, den Professoren Robert Brandom und Philip Pettit, danke ich für zahlreiche Gespräche über die Themen dieser Arbeit. Die Drucklegung der Arbeit wurde durch einen Zuschuss der VGWort ermöglicht, wofür ich ebenfalls sehr dankbar bin. Herrn Dr. Kienecker vom mentis Verlag danke ich für die gute Zusammenarbeit. Mit vielen Kolleginnen und Kollegen konnte ich während der Arbeit an dieser Untersuchung Besonderheiten kollektiver Phänomene, ihrer philosophischen Untersuchung sowie Stärken und Schwächen meiner Argumente diskutieren und dies hat wesentlich zur Präzisierung meiner Position beigetragen. Dafür danke ich insbesondere Robert Audi, Michael Bratman, Robin Celikates, Sara Chant, Philipp Degens, Simon Derpmann, Dominik Düber, Kristina Engelhard, Frank Hindriks, Sebastian Kohl, Ludwig Siep, Tom Smith, Philipp Steinkrüger und Raimo Tuomela. Matthias Willes Anmerkungen und Anregungen zum Manuskript waren ebenso wertvoll wie seine ausstrahlende Begeisterung für die philosophische Analyse. Hans Bernhard Schmid hat als Experte auf dem hier behandelten Gebiet das gesamte Projekt mitverfolgt und war von der Konzeption bis zur letzten Manuskriptfassung stets anregender Gesprächspartner und im besten Sinne hartnäckiger Kritiker. Ganz besonders danke ich Michael Quante, der ein ideales Umfeld für eigenständiges systematisches Philosophieren geschaffen hat und bei dem ich in den vergangenen Jahren mehr über Philosophie gelernt habe, als in dieser Arbeit zum Ausdruck kommt. Von Herzen danke ich außerdem meiner Familie, Freunden und Jazzmusikerkollegen, die mir jenseits der philosophischen Zirkel Rückhalt geboten und mich begleitet haben, besonders Faith, Dieter, Fiona und, am allermeisten, Friederike. David P. Schweikard

Münster, im Februar 2011

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

TEIL I: DIE INDIVIDUATION KOLLEKTIVER HANDLUNGEN

.....

25

...........

27

1. Was ist Individuation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ist die Individuation von Handlungen relevant? . . . . . . . . . . . 3. Ist das Problem der Handlungsindividuation bloß ein verbales Problem? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 33 37

Handlungsindividuation als Individuation komplexer Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

§ 1

§ 2

§ 3

Das Problem der Handlungsindividuation

1. Das Grundmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Goldmans handlungstheoretische Adaption des Grundmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Goldmans Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Arten von Stufengenerierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Handlungsbäume und Zeitprobleme . . . . . . . . . . . . . . . d. Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zum Proliferationseinwand gegen das Grundmodell . . . . . . .

43 54 56 63 69 77 83

Kollektive Handlungen als komplexe Ereignisse . . . . . .

90

1. Versuch einer Abkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Kompositionale Generierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Das Kriterium der nicht-additiven Konsequenz . . . . . . . . 2. Eine Taxonomie von Handlungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundlagen der Individuation kollektiver Handlungen . . . . . . a. Die zeitliche und räumliche Einheit kollektiver Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Notwendig gemeinsame Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . c. Kontingenterweise gemeinsame Handlungen . . . . . . . . . . d. Handlungen von Kollektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91 92 96 105 109 109 114 123 127

8 § 4

Inhaltsverzeichnis

Zweifacher Klärungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Absichten als Konstituenten von Handlungsereignissen? . . . . . 131 2. Gibt es kollektive Akteure? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

TEIL II: DIE INTENTIONALITÄT GEMEINSAMEN HANDELNS . . . . . 139 § 5

Das Problem gemeinsamen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . 145

§ 6

Grundlagen der Analyse gemeinsamer Absichten . . . . . . 154 1. Die Grundstruktur von Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Absichten als praktitionale Einstellungen . . . . . . . . . . . . . b. Zur Lenkung von Handlungen durch Absichten . . . . . . . c. Absichtliches individuelles Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Absichtliches gemeinsames Handeln: Spezialprobleme . . . . . . a. Auf wessen Handlungen können sich Absichten beziehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Können mehrere Akteure dieselbe Handlung beabsichtigen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Bedingte und wechselseitig bedingte Absichten . . . . . . . . d. Träger von Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematische Optionen in der Analyse gemeinsamer Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Adäquatheitsbedingungen einer Analyse gemeinsamer Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 7

154 156 164 168 173 173 180 181 185 190 194

Verteidigung einer relationalen Analyse gemeinsamer Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Die Thesen der relationalen Analyse . . . . . . . . . . . . 2. Bratmans Analyse ›geteilter Absichten‹ . . . . . . . . . . a. Handlungskoordination: intra- und interpersonal . b. Die Struktur geteilter Absichten . . . . . . . . . . . . . c. Zentrale Einwände gegen Bratmans Analyse . . . . d. Neuformulierung der Kritik und Anschlussfragen 3. Wir-Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Analysen von Wir-Absichten . . . . . . . . . . . . . . b. Kritik am Individualismus bezüglich Wir-Absichten c. Ein alternatives Verständnis von Wir-Absichten . . 4. Überwindung des individualistischen Theorierahmens a. Relationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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196 198 200 205 220 230 233 234 262 271 281 285

Inhaltsverzeichnis

b. Basale Normativität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Vorreflexivität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Struktur gemeinsamer Handlungen: Ergebnisse der relationalen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Gemeinsame Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Zur Individuation gemeinsamer Handlungen . . . . . . . . . . TEIL III: GIBT ES KOLLEKTIVE AKTEURE? § 8

9 291 297 306 306 309

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

Der dritte Mythos: Singularismus in der Handlungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 1. Die Thesen des Nicht-Singularismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 2. Zwei Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

§ 9

Handelnde Kollektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 1. Pluralsubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Merkmale gemeinsamen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Vereinte Festlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Kollektive als Pluralsubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wir-Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Wir-Absichten, Vereinte Absichten und Gruppenabsichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Gruppeneinstellungen und die Struktur von Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Gruppenhandlungen und Gruppenüberzeugungen . . . . . . 3. Rationale kollektive Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Bedingungen für Akteurschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Abstimmungen und das diskursive Dilemma . . . . . . . . . . c. (Auf-)Lösung des Dilemmas: Probeabstimmungen . . . . . . d. Zum Status von Kollektivurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Praktische Integrität von Kollektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Drei beispielhafte kollektive Akteure . . . . . . . . . . . . . . . b. Integration gemeinsam Handelnder . . . . . . . . . . . . . . . . c. Zur Organisation von Kollektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Zur Rationalität von Kollektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Merkmale praktisch integrer Kollektive . . . . . . . . . . . . . . 5. Einstellungen und Handlungen von Kollektiven . . . . . . . . . .

331 332 336 342 347 348 351 357 363 365 372 380 386 393 396 397 404 409 421 425

10

Inhaltsverzeichnis

§ 10 Ausblick: Sozialontologischer Pluralismus und die Struktur kollektiven Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 1. Bausteine der Probleme mit dem ontologischen Status von Kollektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. These zur Konstitution kollektiver Akteure . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Abgrenzung der Konstitutionsthese . . . . . . . . . . . . . . . 4. Für einen Pluralismus in der Ontologie des Sozialen . . . . . . . 5. Schlussbetrachtungen: Jenseits des Mythos des Singulären – Die Struktur kollektiven Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis Personenregister Sachregister

434 435 437 438 439

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462

Our main topic here is the structure of human agency; our purpose, to deepen our understanding of human nature. (Hector-Neri Castañeda)

Einleitung Menschen handeln gemeinsam. Sie kommunizieren miteinander, kochen zusammen, spielen Tennis oder Schach, gehen miteinander spazieren, besuchen zusammen Konzerte oder Kundgebungen, streichen gemeinsam das Haus, engagieren sich kollektiv in gemeinnützigen Organisationen, gründen Vereine, Parteien und Unternehmen, bilden und unterstützen Mannschaften, die Fußballmeisterschaften gewinnen und vieles mehr. Ob nun zwei oder mehr Personen beteiligt sind, ob sie zufällig und einmalig kooperieren oder als Gruppe, Vereinigung oder Mannschaft organisiert und aufgestellt sind, ob sie miteinander oder gegeneinander, mit vereinten Kräften oder im erbitterten Wettstreit agieren, derlei gemeinsame Aktivitäten gehören zu den Grundphänomenen des alltäglichen menschlichen Lebens. Die vorliegende Untersuchung ist der Struktur dieser Phänomene kollektiven Handelns gewidmet. Ein Interesse an diesem Phänomenbereich gründet in den Fragen, ob und inwiefern der Begriff der Verantwortung nur auf individuelles Handeln und individuelle Akteure oder auch auf kollektives Handeln und gemeinsam Handelnde bzw. kollektive Akteure anwendbar ist. 1 Die Konzentration gilt im Folgenden jedoch den handlungstheoretischen und sozialontologischen Grundlagen einer solchen Erörterung der gemeinsamen Verantwortung individueller Akteure bzw. der kollektiven Verantwortung. Wer diese normativen Fragen diskutieren und beantworten will, hat zuallererst die Struktur der fraglichen Handlungsphänomene aufzuklären – dies definiert den Gegenstand der hier entwickelten Analysen. Phänomene kollektiven Handelns werfen zum einen Fragen nach den Konstituenten der jeweiligen Handlungsereignisse und zum anderen Fragen nach ihren sozialontologischen Implikationen auf. Somit ist sowohl zu klären, welche Merkmale für kollektive Handlungen als Ereignisse charakteristisch bzw. konstitutiv sind, als auch, welche Einsichten sich daraus mit Blick auf die Beschaffenheit sozialer Prozesse und Entitäten ergeben. In Anlehnung an das dieser Arbeit vorangestellte Motto, ein Zitat aus einer späten handlungstheoretischen Arbeit Hector-Neri Castañedas, 2 lässt sich die Verknüpfung dieser Fragestellungen folgendermaßen auf den Punkt bringen: Wir beschäftigen uns hier mit den Strukturen kollektiven Handelns, unser Interesse gilt dabei aber letztlich und stets dem Studium dessen, was menschliches Handeln und das Wesen sozialer Phänomene ausmacht. Die nachfolgenden Analysen fügen sich ein in einen Prozess, den man als Erweiterung handlungstheoretischer und als Renaissance sozialontologischer Fra1

Vgl. French (1984), May (1987), May/Hoffman (Hrsg., 1991), May (1992) & May/Tuomela (Hrsg., 2007). 2 Vgl. Castañeda (1990b: 274).

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Einleitung

gestellungen in der Philosophie bezeichnen kann. Die Debatten in der ersten Hochphase der analytischen Handlungstheorie in den 1950er bis 1970er Jahren waren ausschließlich auf Handlungen einzelner, also auf individuelle Handlungen bezogen, deren ontologische Struktur und deren normative Implikationen es zu ergründen galt. 3 Wenige Vorläufer 4 ausgenommen hat Raimo Tuomela mit A Theory of Social Action (1984) die erste systematische Studie zur Theorie kollektiven Handelns vorgelegt und damit die Erweiterung des Gegenstandsbereichs der analytischen Handlungstheorie begründet. Diese und Margaret Gilberts Studie On Social Facts (1989) sowie einige kleinere Arbeiten von John Searle (1990) und Michael Bratman (1999, Kapitel 5 & 6) bilden die Ausgangspunkte für eine in den 1990er Jahren stetig an Aufmerksamkeit gewinnende, mittlerweile etablierte interdisziplinäre Debatte rund um den Zentralbegriff der kollektiven Intentionalität. 5 Zu den Schwerpunkten dieser Debatte zählen inzwischen auch sozialontologische Fragen. Umfasste dieser Bereich, besonders in Michael Theunissens in den 1960er Jahren veröffentlichten Studien, 6 noch vorrangig die Erforschung der spezifisch sozialen Existenz des modernen Individuums, 7 so sind sozialontologische Studien seit den 1980er Jahren der metaphysischen Struktur 8 und der Konstruktion der sozialen Wirklichkeit gewidmet. 9 Besonders John Searles Erweiterung seines philosophischen Systems auf den Bereich des Sozialen, in dem kollektive Intentionalität einen Grundbaustein darstellt, hat die Diskussionen über die ontologische Verfasstheit der sozialen Wirklichkeit angeheizt. 10 Detaillierte Rekonstruktionen der Debatten über speziellere Fragen der Theorie kollektiven Handelns und der Sozialontologie sind den einzelnen Teilen dieser Untersuchung vorbehalten. Einleitend werde ich nun den Phänomenbereich, auf den die nachfolgenden Analysen gemünzt sind, näher bestimmen, die im Titel dieser Arbeit angedeutete Kernthese erläutern und dann einen Überblick über den Gang der Untersuchung geben.

3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. die Beiträge in White (Hrsg., 1968). Vgl. Gruner (1976), Londey (1978) und Brooks (1981). Zu dieser Debatte vgl. Schmid/Schweikard (Hrsg., 2009). Vgl. Theunissen (1965). Vgl. Gould (1978). Vgl. Ruben (1985). Vgl. Searle (1995 und 2010); zu Problemstellungen und zur Entwicklung der Sozialontologie siehe auch Scholz (2008). Vgl. Holmström-Hintikka/Tuomela (Hrsg., 1997), Meggle (Hrsg., 2002), Koepsell/Moss (Hrsg., 2003) & Tzohatzidis (Hrsg., 2007); vgl. Schmid (2008c).