MYTHEN DER ATOMKRAFT

Die Kernenergie hat mitnichten das Po- tenzial, einen entscheidenden Beitrag für den Klimaschutz zu leisten. Zurzeit tragen weltweit 436 Reaktoren etwa sechs ...
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Gerd Rosenkranz

R E D N E H T MY T F A R K M O T A

Wie uns die y b b o l e i g r e En hinters t r h ü f t h c i L

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter: www.oekom.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

2. Auflage, 2011 © 2010 oekom verlag, München Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße 29, 80337 München Visuelle Gestaltung: Torge Stoffers Satz: oekom verlag Druck: Kessler Druck + Medien, Bobingen Der Innenteil dieses Buches wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany ISBN 978-3-86581-198-1

e-ISBN 978-3-86581-619-1

Gerd Rosenkranz

Wie uns die Energielobby hinters Licht führt

Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung

Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Aus Erfahrung klug werden

9

Einleitung: Forsmark – 22 Minuten Angst und Schrecken

13

1 Erster Mythos: Die Atomkraft ist sicher

16

2 Zweiter Mythos: Die Gefahren durch Missbrauch und Terror lassen sich beherrschen

31

3 Dritter Mythos: Atommüll? Kein Problem!

43

4 Vierter Mythos: Es gibt genug vom Brennstoff Uran

52

5 Fünfter Mythos: Atomkraft dient dem Klimaschutz

57

6 Sechster Mythos: Wir brauchen längere Laufzeiten

70

7 Siebter Mythos: Die Atomkraft erlebt eine Renaissance

78

8 Das Ende vom Mythos Atomkraft

94

9 Vor der Entscheidung: Die Zukunft der Energieversorgung

98

Literatur 107

Vorwort: erden Aus Erfahrung klug w Als vor 25 Jahren der Atommeiler in Tschernobyl explodiert ist, schien das Ende dieser Form der Stromproduktion gekommen. Tatsächlich kam der Neubau von Atomkraftwerken weitgehend zum Erliegen. Schweden und Deutschland beschlossen den Ausstieg aus der Atomenergie. Aber mit den Jahren verlor der Name Tschernobyl seine Bannkraft. Die Bundesregierung setzte den Konsens zum Atomausstieg außer Kraft, von einer globalen »Renaissance der Atomenergie« war gar die Rede. Das war gestern. Heute findet vor unseren Augen ein neues nukleares Drama statt. Die Besatzung des Kernkraftwerks Fukushima kämpft verzweifelt gegen die ganz große Katastrophe. Der Ballungsraum Tokio mit seinen 35Millionen Einwohnern ist keine 300 Kilometer entfernt. Wird nun »Fukushima« zur neuen Chiffre für das Ende des Atomzeitalters? Fest steht, dass die Atomlobby in Politik und Energiewirtschaft in die Defensive geraten ist. Das gilt zumindest für den demokratischen Teil der Welt, wo der Einsatz von Risikotechnologien nicht einfach von oben verordnet werden kann. Tschernobyl konnte noch als das Versagen eines bankrotten kommunistischen Systems abgetan werden. Dagegen ereig9

net sich der aktuelle Atomunfall in einer hochindustriellen Zivilisation mit einer ausgeprägten Risikokultur. Ausgelöst wurde er von einer Naturkatastrophe. Sie legte mit einem Schlag die Verwundbarkeit der technischen Zivilisation offen. Naturkatastrophe und industrielle Katastrophe gingen ineinander über. Man kann einige hunderttausend Menschen im direkten Umkreis der havarierten Atommeiler evakuieren, aber eine Megametropole wie Tokio kann nur hilflos zusehen, wie sich der Unfall entwickelt und wohin der Wind weht. Gütertransport, Flugverkehr, Strom- und Wasserversorgung sind massiv eingeschränkt, die Industrieproduktion bricht ein, die Börsenkurse rauschen in den Keller. Ein ganzes Land taumelt dem Notstand entgegen. Ist es Hysterie und Nabelschau, wenn angesichts dieser Ereignisse in Deutschland der Ruf nach dem Ausstieg aus der Atomenergie unüberhörbar wird? Zweifellos sind Ängste im Spiel. Sie als irrationale Aufwallung abzutun ist falsch. Die Angst vor der atomaren Katastrophe hat einen rationalen Kern. Welchen Beweis braucht es noch, dass den Sicherheitsschwüren der Atomlobby nicht zu trauen ist? Was gestern noch ein zu vernachlässigendes Restrisiko war, kann heute schon verheerende Wirklichkeit werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Unwahrscheinliche geschieht. Je länger Anlagen am Netz bleiben, die heute nicht mehr genehmigungsfähig wären, desto höher das Risiko eines katastrophalen Unfalls. Oft wird suggeriert, der Ausstieg aus der Atomenergie sei ein deutscher Sonderweg, dem keiner folgen will. Dabei stand die 10

behauptete »Renaissance der Atomkraft« schon vor Fukushima auf wackligen Füßen. Tatsächlich nimmt die Zahl der Atomkraftwerke weltweit stetig ab. In den nächsten 15 bis 20 Jahren gehen mehr alte Anlagen vom Netz, als neue in Betrieb genommen werden. Kein Unternehmen wagt heute den Neubau eines Atomkraftwerks ohne staatliche Subventionen und Bürgschaften. Neue Anlagen werden vor allem dort gebaut, wo Staat und Energiewirtschaft eine unheilige Allianz bilden. Die Kosten explodieren. So hat sich der kalkulierte Baupreis des neuen Atomkraftwerks im finnischen Olkiluoto bereits von drei Milliarden Euro auf rund 5,4 Milliarden erhöht. Dazu kommen die ungelösten Probleme der Endlagerung, die enormen Stilllegungskosten und die hohe Störanfälligkeit dieser Technologie. Werden jetzt im Gefolge der japanischen Unfallserie die Sicherheitsstandards erhöht, steigen die Kosten der Atomkraft weiter. Mit der weiteren Verbreitung der Atomenergie wächst auch die Gefahr der nuklearen Proliferation. Zivile und militärische Atomtechnik sind siamesische Zwillinge. Es gibt keine zuverlässige Mauer zwischen beiden – wie das iranische Atomprogramm belegt. Es ist reine Illusion, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern, während man zugleich Atomtechnologie in alle Welt exportiert. Auch der Klimawandel taugt nicht als Argument pro Atomkraft. Die Kernenergie hat mitnichten das Potenzial, einen entscheidenden Beitrag für den Klimaschutz zu leisten. Zurzeit tragen weltweit 436 Reaktoren etwa sechs Prozent zum Primärenergieverbrauch bei. Um in relevantem Um11

fang CO2 zu reduzieren, wäre ein Ausbau auf mindestens 1.000 bis 1.500 Reaktoren erforderlich. Man muss kein Angsthase sein, um das für ein Horrorszenario zu halten. Entgegen dem Mantra der Bundesregierung taugt die Atomenergie auch nicht als Brücke ins Solarzeitalter. Schon bald kann allein die Windenergie bei günstiger Wetterlage und geringer Nachfrage den gesamten deutschen Strombedarf decken. Weil die Leistung der großen Atom- und Kohlekraftwerke nicht rasch abgeregelt werden kann, wird der Überschussstrom zu »negativen« Preisen exportiert. Dieser Systemkonflikt wird mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien noch schärfer werden. Die Zukunft der Energieversorgung besteht aus einem weiträumigen Verbund von Windstrom, Wasserkraft, Solarenergie, Biomasse und dezentralen Gaskraftwerken. Parallel brauchen wir eine Effizienzrevolution, die den Energieverbrauch drastisch senkt. Wenn wir auf diesem Weg vorangehen, können wir zum globalen Kompetenzzentrum für die Energiewende werden. Wir danken dem Autor Gerd Rosenkranz für den hier vorliegenden Essay, der nun in der zweiten Auflage erscheint und in bester Kürze die wichtigsten Details und Fakten zum Thema Atomkraft auf den Tisch bringt. Wer zu diesem aktuellen Thema weitere Informationen sucht, dem empfehlen wir die Website der Heinrich-Böll-Stiftung: www.boell.de. Berlin, im März 2011 Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung 12

– Einleitung: Forsmark nd Schrecken 22 Minuten Angst u Es ist der 25. Juli 2006, mittags um 13:19 Uhr, als Elektriker bei Wartungsarbeiten außerhalb der schwedischen Atomzentrale Forsmark einen Kurzschluss an einer Umspannstation auslösen. So etwas passiert. Immer mal wieder und überall, wo sich riesige Turbinen drehen und enorme Strommengen aus großen Kraftwerksblöcken abtransportiert werden müssen. Normalerweise bringt eine solche Störung im benachbarten Stromnetz kein Atomkraftwerk in ernste Schwierigkeiten. Die Sicherheitssysteme sind darauf vorbereitet. Der Reaktor wird vom gestörten Stromnetz getrennt, bevor der Kurzschluss draußen die Elektrik drinnen erreicht. Schlimmstenfalls schaltet sich der Reaktor automatisch ab und wird dann, weil der heiße Zerfall des radioaktiven Inventars in seinem Inneren noch tagelang weitergeht, über Notkühlsysteme allmählich in einen unkritischen Zustand gebracht. Aber an diesem Dienstag ist nichts normal in Forsmark. Weil die Trennung vom Netz zu langsam erfolgt und die eigentlich unspektakuläre Störung eine regelrechte Kaskade weiterer Komplikationen auslöst, kollabiert ein Großteil des elektrischen Sicherheitssystems in Block 1 des Siedewasserreaktors. Zwei von 13