Migrationspolitische Bildung in Kanada: Ein Vorbild für ... AWS

einer 2,5 mal höheren Rate als bei den einheimischen Jugendlichen – und gerade einmal zehn Prozent der Nichtdeutschen erreichen die Hochschulreife. Die Schule in Deutschland ist nicht auf eine sprachlich und kulturell heteroge- ne Schülerschaft vorbereitet, obwohl Migration seit den 60er Jahren stark präsent ist (vgl.
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Lidia Crimu

Migrationspolitische Bildung in Kanada Ein Vorbild für Deutschland?

Diplomica Verlag

Crimu, Lidia: Migrationspolitische Bildung in Kanada: Ein Vorbild für Deutschland? Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2014 Buch-ISBN: 978-3-8428-9205-7 PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-4205-2 Druck/Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2014 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung……………………………………………………….…………. 5 1.1 Anlass und Zielsetzung der Studie…………………….……………….. 5 1.2 Methodisches Vorgehen…………………………………………...…… 7 2. Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund - Begriffsbestimmungen…………………..….… 9 2.1 Integration…………..……………………………………………….…. 9 2.2 Migrationshintergrund....………………………………..………...…... 11 3. Kanada.………………………………………...……………………..…... 13 3.1 Landeskundliche Hintergründe: geographische und (migrations-)politische Aspekte.…….…….…...… 13 3.2 Das kanadische Schulsystem….…………………………………….… 15 3.2.1 Die Geschichte des kanadischen Schulsystems.…….….……..... 15 3.2.2 Das kanadische Schulsystem in der Gegenwart………….....….. 18 3.2.2.1 Die Struktur des Schulsystems…………………….…... 18 3.2.2.2 Verfassungsrechtliche Grundlagen und Steuerung des Schulsystems……………………….…... 21 3.2.2.3 Bildungspolitische Reform- und Innovationsstrategien…………………………..………. 23 3.2.2.4 Lehrerprofessionalisierung .i...…...……………… ……. . 25 ii

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3.3 Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im kanadischen Schulsystem – Multikulturelle Pädagogik…………………………………………….. 27 3.3.1 Entwicklung des Multikulturalismus im Kontext des Bilingualismus.…………..…………...….……. 27 3.3.2 Prinzipien und Ideen des Multikulturalismus und deren schulische Gestaltung…….……………….……….................... 29 3.3.3 Sprachprogramme………………………………………………31 3.3.3.1 Immersion language programs ………… ……..……… 32 ii

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3.3.3.2 Heritage language programs ………………….……… 34 ii

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4. Deutschland………………………………………………………….……. 36 4.1 Landeskundliche Hintergründe: geographische und (migrations-) politische Aspekte ………………………………………... 36 4.2 Das deutsche Schulsystem…..…………………………………………... 37 4.2.1 Die Geschichte des deutschen Schulsystems…………………….. 37 4.2.2 Das deutsche Schulsystem in der Gegenwart……………….……. 40 4.2.2.1 Die Struktur des Schulsystems………………………….. 41 4.2.2.2 Verfassungsrechtliche Grundlagen und Steuerung des Schulsystems…………………………….. 43 4.2.2.3 Bildungspolitische Reform- und Innovationsstrategien…………………………..……….. 45 4.2.2.4 Lehrerprofessionalisierung ……………………………... 46 ll

4.3 Integration von Kindern und Jugendlichen im deutschen Schulsystem – Interkulturelle Pädagogik ………………………………. 48 4.3.1 Von Ausländerpädagogik zur Interkulturellen Erziehung……...… 48 4.3.2 Prinzipien und Ideen der Interkulturellen Pädagogik und deren schulische Gestaltung……………………………………………. 50 4.3.3 Sprachprogramme……………………………...…………………52 4.3.3.1 Internationale Vorbereitungsklassen, DaZ-Kurse und DaZ-Förderkurse…………………….... 54 4.3.3.2 Durchgängige Sprachförderung als Förmig-Ziel………..55 5. Anregungs- und Innovationspotentiale des kanadischen Schulsystems im Hinblick auf die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund………………………………………………….. 56 5.1 Multikulturalismus als offizielle und gelebte Staatsideologie: Einbettung der Schule in ein „ethnisches Mosaik“……………..…..…56 5.2 Interessengeleitete Gestaltung aktiver Immigrationspolitik: Kumulation von sozialem, kulturellem und ökonomischem Kapital…………………………………………….…. 60 5.3 Immersion language programs und heritage language programs: Schulische Sprachförderprogramme zur Entwicklung konzeptionell-schriftlicher Kompetenzen…………….... 62

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5.4 Integrierter Kindergarten, gebundene Ganztagsschule und Gesamtschulstruktur: Strukturelle Aspekte zur Minderung der Selektion…………………………………………. 65 5.5 Akademisierter Erzieherberuf, einheitliches Lehramtsstudium, Qualifizierung für bilinguale Sprachprogramme und finanzielle Anreize für Weiterbildung: Aspekte der Lehrerprofessionalisierung in Kanada mit einem hohen Veränderungspotenzial…………………. 70 5.6 Outputorientierte Innovationsstrategien in der Bildungspolitik: Chance zur Ausmerzung segregierender Strukturen…………………. 72 6. Anregungs- und Innovationspotentiale des kanadischen Schulsystems im Hinblick auf die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund – Abschließende Betrachtung……………….. 74 Literaturverzeichnis………………………………………………………… 77

Abbildungen 1: Schematische Darstellung des kanadischen Bildungssystems……………. 84 2: Schematische Darstellung des deutschen Bildungssystems………………. 85 Tabellen 1: Population and dwelling counts, for Canada, provinces and territories, 2006 and 2001 censuses……………….………………….. 86 2: Bundesländer nach Fläche und Bevölkerung…………………………...… 89 3: Immigration nach Bildungsniveau (ab 15 Jahren), Kanada 2002………… 88 4: Ausländische Erwerbstätige nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten, Deutschland 1999…………………………………89

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1. Einleitung 1.1 Anlass und Zielsetzung der Studie Die weltweite Veröffentlichung der PISA1-Ergebnisse im Dezember 2001 führte in Deutschland aufgrund der schlechten Resultate zu einem „PISASchock“. Der Reformbedarf des einst international anerkannten Bildungssystems ist nicht mehr abzustreiten. Mit PISA wurde eine neue brisante Bildungsdebatte in Gang gesetzt, die bis heute andauert. Auf der Suche nach innovativen Strategien hoffen die bildungspolitischen Entscheidungsträger und die breite interessierte Öffentlichkeit, von den Erfahrungen „erfolgreicher“ Staaten lernen zu können und analysieren deren Bildungssysteme, um neue Impulse zu finden. Vor diesem aktuellen Hintergrund ist auch diese Studie angelegt, das ein wichtiges Anliegen des bildungspolitischen Diskurses, die Integration von Kindern und Jugendlichen, im Fokus hat. Anhand der PISA-Daten lässt sich feststellen, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund weltweit im Allgemeinen schlechtere schulische Leistungen erbringen als die gleichaltrigen Autochthonen. Dies ist auch hierzulande der Fall. 20 Prozent der Schüler mit ausländischem Pass erreichen keinen Bildungsabschluss – das entspricht einer 2,5 mal höheren Rate als bei den einheimischen Jugendlichen – und gerade einmal zehn Prozent der Nichtdeutschen erreichen die Hochschulreife. Die Schule in Deutschland ist nicht auf eine sprachlich und kulturell heterogene Schülerschaft vorbereitet, obwohl Migration seit den 60er Jahren stark präsent ist (vgl. HÖRNER 2007, 134). Bundespräsident Horst Köhler resümiert in seiner Berliner Rede vom 17. Juni 2008: „Deutschland muss endlich gute Bildungschancen für alle bieten. Es ist beschämend, wie oft in unserem Bildungssystem die Herkunft eines Menschen seine Zukunft belastet.“ (BUNDESPRÄSIDENT HORST KÖHLER 2008). Die Bundeskanzlerin Angela Merkel äußert in ihrer Rede vom 16. Oktober 2007 beim internationalen Symposium „Integration durch Bildung“: „[M]an kann sagen, dass Deutschland diese Aufgabenstellung nicht immer nur mutig, sondern manchmal auch etwas verzagt angegangen ist“ und fordert auf, diese Abhängigkeit zu durchbrechen: „Lasst uns die Chance, die wir haben, nutzen und lasst uns nicht die

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Abgekürzt für Programme for International Student Assessment

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Augen vor den Problemen, die wir auch haben, verschließen.“ (DIE BUNDESKANZLERIN 2007). Jedoch gibt es einige Länder, die die Abhängigkeit des Schulerfolges von der ethnischen Herkunft auflösen und es stellt sich die Frage: Wie gehen wirksame Integrationsbildungswesen mit der Herausforderung der weltweiten Migration um? Welche Rolle spielen die Familiensprachen im Bildungssystem? Wie zeichnet sich der Umgang mit besonderen Förder- und Entwicklungsbedürfnissen der Schüler mit Migrationshintergrund aus? Werden sie ausgesondert, um das Lerntempo der anderen nicht zu beeinträchtigen? Und die spannendste Frage lautet: Welche Merkmale dieser Länder können auf das deutsche Bildungssystem übertragen werden? In dieser Studie sollen Antworten auf die Fragen anhand einer Analyse des kanadischen und deutschen Schulsystems gegeben werden. Kanada scheint als Referenzstaat aus zwei Gründen am geeignetsten zu sein: Erstens gehört Kanada nach dem obengenannten Bericht der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) neben den ebenfalls klassischen Einwanderungsländern Australien und Neuseeland sowie Macau (China) zu den Ländern, in denen die Leistungen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund messbar mit denen der Autochthonen sind (vgl. ORGANISATION FOR ECONOMIC CO-OPERATION AND DEVELOPMENT 2003, 1ff.). Zweitens handelt es sich bei Kanada ebenfalls um eine westliche Industrienation mit ähnlichem soziokulturellen Hintergrund und drittens verfügt es – genauso wie Deutschland – über eine föderative Staatsordnung. Aufgrund der vergleichbaren Kriterien lässt sich bei Kanada am besten das Prinzip des „Most-Similar-Konzepts“ von Przeworski und Teune (1970) anwenden (vgl. AVENARIUS 2007c, 16). Der Vergleich ist vor allem darauf ausgerichtet, Anregungs- und Innovationspotentiale des Schulwesens in Kanada zu erkennen, die im deutschen Schulsystem nicht oder zu wenig berücksichtigt worden sind, und beansprucht nicht, eine umfassende Einsicht in die Schulpolitik und die Schulpraxis Kanadas und Deutschlands zu geben. Er konzentriert sich vor allem auf Motive der Elementar- und Sekundarschulen.

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1.2 Methodisches Vorgehen In dieser Studie sollen – wie schon im vorigen Abschnitt dargestellt – Innovationspotenziale des kanadischen Schulsystems identifiziert werden, die im deutschen Schulsystem bisher nicht oder nicht ausreichend beachtet wurden. Um diese zu entdecken, müssen jedoch wesentliche Informationen über beide Systeme erarbeitet werden. Dies erfolgt in einer Analyse des jeweiligen Schulsystems. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen: Da der Schwerpunkt auf die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gelegt wird, ist es unverzichtbar, zu Beginn die Unschärfe der beiden Begriffe „Integration“ und „Migrationshintergrund“ aufzulösen. Im zweiten Kapitel wird deshalb der Terminus „Integration“ mit Hilfe von Wiater (2004) eingegrenzt und eine PISA- und Statistisches-BundesamtDefinition zu „Migrationshintergrund“ gegeben. Anschließend werden in Kapitel 3 und 4 jeweils die beiden Schulsysteme nach sorgfältig ausgesuchten Kriterien untersucht. Die Vorgehensweise ist bei jedem der beiden Abschnitte gleich und verbindet historisch-deskriptive mit empirischen Befunden. Jede Analyse orientiert sich an Mehr-Ebenen-Modellen und untersucht System-, Schul- und Unterrichtsmerkmale. Folgende Aspekte werden beleuchtet: Da die Entfaltung der Schulsysteme stets im gesellschaftlichen Kontext eingebettet ist, werden im Kapitel „Landeskundliche Hintergründe“ (Kapitel 3.1 bzw. 4.1) die Themen Geographie (Lage des Landes, Einwohnerzahl, Bevölkerungsdichte), Politik (Staatssystem, Staatsoberhaupt) und Migrationspolitik (Immigrationsbedingungen, Anteil der Migrationsbevölkerung, Herkunftsländer der Migrantinnen und Migranten) behandelt. Kapitel 3.2 bzw. 4.2 gibt Auskunft über das jeweilige Schulsystem, wobei dieses aus zwei Perspektiven betrachtet wird: aus der historischen, weil die momentan herrschende Struktur eines Bildungssystems nicht nur von augenblicklichen Gegebenheiten geprägt wird, sondern in hohem Maße durch historische Ereignisse mitbestimmt, und aus der gegenwärtigen. Der jeweils letzte Teilabschnitt beschäftigt sich mit vier verschiedenen Aspekten: Struktur des Schulsystems (vorschulische Erziehung, Primar- und Sekundarausbildung, 7