KULTUR9 Sag doch nicht gucken, wenn du schaust

„Die deutsche Sprache ist, unbe- schadet der den sprachlichen Min- derheiten bundesgesetzlich einge- räumten Rechte, die Staatssprache der Republik.
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KULTUR

SAM ST AG, 16 . JÄ NNER 20 16

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Sag doch nicht gucken, wenn du schaust Das Österreichische hat’s sprachlich nicht leicht. Wie es lebt und wie es zur Sprache kommt, wird auf breiter Basis erforscht. BERNHARD FLIEHER

Offiziell klingt, was hierzulande sprachlich gilt, so: „Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik.“ So steht es in der Bundesverfassung, Artikel 8, erster Absatz. Aber man muss sich ja nicht an alles immer wörtlich halten. Und so ist es eben ein besonderes Deutsch das in Österreich gesprochen wird. Auf die Suche nach diesem Deutsch in Österreich macht sich nun eine Forschungsgruppe. Für die gilt ganz grundsätzlich: Der sprachliche Ausdruck in Österreich hat aufgrund der vielen Dialekte und Einflüsse aus anderen Sprachen besonders viele Facetten – und bietet damit einen ergiebigen Forschungsgegenstand. „Deutsch in Österreich“ – so lautet der Titel des Vorhabens. An dessen Ende soll eine klare Erkenntnis stehen: „Wer spricht mit wem in welcher Situation welche Form von Deutsch?“ „Wenn vom österreichischen Deutsch gesprochen wird, dann geht es meistens um die Standardsprache und deren Unterschiede in der Schrift zum bundesdeutschen Deutsch“, sagt Germanistin Alexandra Lenz. Das österreichische Deutsch sei jedenfalls sehr variantenreich, sagt die aus Deutschland stammende „Österreichisch“-Forscherin von der Universität Wien. Dieser Variationen- und Varietätenreichtum des Deutschen zwischen Burgenland und Bodensee liegt SALZBURG, WIEN.

nicht nur an einer „historisch gewachsenen Mehrsprachigkeit“. Verantwortlich für Eigenheiten sind auch die zahlreichen Kontakte mit anderen Sprachen in der Gegenwart. Die Germanistin Lenz leitet den neuen Spezialforschungsbereich, der die Unterschiede zum im Duden fixierten Deutsch beleuchtet. Und diese Unterschiede sind beträchtlich – und sie führen durchaus auch zu emotional geführten Debatten. Das passiert etwa dann, wenn die Europäische Union eine Richtlinie erlässt, in der bestimmt wird, dass etwas „Konfitüre“ oder „Konfitüre extra“ heißen muss, was hierzulande locker und jederzeit als „Marme-

Wer spricht mit wem welche Form von Deutsch? lade“ durchgehen kann. Gleichzeitig geht es – ganz abgesehen von Vorschriften – bei Sprachdifferenzen zwischen dem Österreichischen und dem Deutschen auch um eine Art „Rettung“ von Eigenständigkeit. Und so wird durchaus leidenschaftlich gekämpft, wenn Worte wie „Paradeiser“ von Tomaten“ oder „Hendl“ von „Huhn“ bedroht werden. Seit Langem schon beschäftigt sich auch der Grazer Germanist Rudolf Muhr mit dem Österreichischen – und auch mit den Schwierigkeiten, sich gegen ein deutschländisches Deutsch zu behaupten. Österreich leide dabei unter einem „Sprachkontaktphänomen“, sagt

In Österreich wird geschaut statt geguckt.

Muhr, dessen Forschungsstelle „Österreichisches Deutsch“ in Graz unter anderem die österreichischen „Wörter des Jahres“ kürt. Eine wichtige Quelle dafür seien das Fernsehen und dort vor allem die „Synchronisation von fremdsprachigen Serien und Filmen durch norddeutsche Synchronisierungsanstalten“, sagt Muhr. Aber auch andere Quellen macht Muhr aus, „etwa die Überflutung des österreichischen Kinderbuchmarkts durch deutsche Verlage oder Hörbücher und Lehrmaterialien, die von ,deutschländischen‘ Sprechern gesprochen werden“. Da wird dann, wo in Österreich „geschaut“ oder „geblickt“ wird, sehr oft ein gnadenlos im nördlichen Deutschland beheimatetes „gucken“ eingesetzt. Der Verfügbarkeit von Fernsehsendern aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und einer befürchteten Annäherung der

BILD: SN/HACHRI/FOTOLIA

Sprache stehe allerdings ein stärkeres Bewusstsein für „verschiedene Varietäten des Deutschen als Standardsprache“ gegenüber, sagt Lenz. Eine Art „gesamthaftes Bild“ darüber, in welche Richtung sich das österreichische Deutsch insgesamt bewegt, wollen die Forscherinnen und Forscher herausarbeiten. „Wir sind in einer Umbruchsituation, aber wohin es geht, kann ich nicht sagen“, analysiert Lenz die Ausgangslage. Um möglichst viele Aspekte abzudecken, wird die Arbeit interdisziplinär angelegt. Beteiligt sind neben der Universität Wien auch die Germanistik-Fachbereiche aus Salzburg und Graz sowie die Österreichische Akademie der Wissenschaften. Klar ist schon vor dem Start der Forschungsarbeit, dass die Anzahl an Dialektsprechern abnimmt. Andererseits stieg in den vergangenen 15 bis 20 Jahren das Bewusstsein für

Ich denke, also lebe ich in intelligenter Wurstigkeit Mir ist der in dieser Zeitung zuletzt diskutierte Zustand des Grantig-Seins absolut fremd. Ich plädiere für intelligente Wurstigkeit.

JOURNAL

Bernhard Flieher

Dass ich Grant nicht kenne, bestätigt gerne jederzeit mein nächstes Umfeld, soll ich im Auftrag eben dieses Umfelds schreiben: Sonst glaubt das ja keiner! Zum Beispiel muss meine Frau zuletzt öfters Fragen beantworten, ob ich denn nicht grantig sei, jetzt, da nach einem Radunfall beide Hände lädiert sind, ich zeitweise gerade noch allein aufs Klo gehen konnte (nachdem jemand beim Öffnen von Gürtel und Hosenknöpfen geholfen hat) und ich bloß langsam meine Glossen tippen kann. Was – und vor allem auf wen bitte – soll ich denn da grantig sein? Auf mich? Also Selbstgeißelung nach einem deppert selbst verschuldetem Radunfall? Ja, so weit käm’s noch. Anderseits: Es fühlt sich – wie mir der Grant unterstellt wird, als folge der einem Automatismus – schon so an, dass es längst so weit gekommen ist. Man hört ja, dass die Leute überfordert sind

mit der Welt und also mit dem Ich in dieser Welt. Da wächst Grantigkeit als Ausdruck des Hilflosen. Wie sonst ist es erklärbar, dass es für jeden Lebensbereich Coaches gibt? Dass schon für Kinder ein riesiger Markt an Unterhaltungsangebot existiert? Jetzt, da ich so alt bin, dass Erinnerung schon erlaubt ist, frage ich mich: Wie konnte meine Generation überhaupt Ende 40 werden, ohne dieses Angebot? Wie überlebten wir ohne pädagogische Konzepte wilde Räuber-und-Gendarm-Spiele? Was hätte aus uns werden können, hätten wir statt Fahrradreparieren im Kindergarten Chinesisch gelernt und statt einem Plattenladen Spotify? Vielleicht sind wir halbwegs was geworden, weil es viel weniger gab, das Anlass zu Grant und Überforderung bot. Grant ist ja bloß Zeitverschwendung. Zorn, ja den hatten wir; diesen heiligen Furor, der nicht so

letschert wie der Grant dahingrummelt, sondern ordentlich auf den Putz haut, weil er einer Revolution gleicht. Davon sind wir jetzt weit entfernt. Das fiel mir ein, als ich zur Therapie musste. Wegen der lädierten Hände bekam ich eine Ergotherapie verschrieben. Da zeigen einem freundliche, kompetente Frauen im Unfallkrankenhaus, wie man Handgelenke und Finger nach Prellung und Bruch in Schwung bringt. Und jetzt, da ich diese Glosse schreibe, merke ich, dass die Therapie wirkt und mich die Freundlichkeit der Fingerexpertin nachhaltig beeindruckt. Dieses Gefühl wäre mir entgangen, hätte es mich nicht vom Rad geschmissen. Da können jetzt die, die alles besser wissen, sagen, dass es vielleicht besser gewesen wäre, keinen Unfall zu haben. Ist das so? Ich bin nicht sicher. WWW.SALZBURG.COM/FLIEHER

den Wert von Dialekten und der sogenannten inneren Mehrsprachigkeit – im Sinne der Fähigkeit, verschiedene Varianten einer Sprache zu sprechen und zu verstehen. Die Forschung bei „Deutsch in Österreich“ wird sich „dem Gesamtspektrum des Deutschen in Österreich“ widmen. Wichtiger Ansatzpunkt dabei ist, wie im Alltag Sprache eingesetzt wird, wie Menschen verschiedene Spracharten verwenden und mischen und in welchem Maße sich die Sprechenden zwischen Standardsprache und Dialekt hin- und herbewegen. Diesem anhaltenden Wandel in der Sprache wollen die Forscher besonderes Augenmerk schenken. Erfasst werden sollen allerdings auch die Meinungen zum Österreichischen in der Bevölkerung und zu den Veränderungen, denen es unterliegt. Gerade über Letztgenanntes lässt sich ja vortrefflich streiten. Um der Verwendung der Sprache genau wie nie zuvor auf den Grund zu gehen, wird enormer Aufwand betrieben. So will die Forschungsgruppe gesprochene Sprache etwa mittels Komplettaufzeichnungen über ganze Tage hinweg dokumentieren. Man setzt darauf, dass Untersuchungsteilnehmer – ausgestattet mit kleinem Mikrofon und Aufnahmegerät – bei längerer Beobachtung auf ihren Einsatz vergessen und so direkter und unverfälschter sprechen. „Damit soll gezeigt werden, wie komplex unser Sprechen im Alltag eigentlich ist“, sagt Lenz. Auf Onlineplattformen sollen die gesammelten Daten zugänglich gemacht werden.