Krieg der Zahlen Deutscher Ubootkrieg, britische Blockade und ...

U-35. Er versenkte während des Ersten Weltkriegs über 200 Schiffe mit 450.000 BRT, sämtlich nach Prisenordnung. Nur Truppentrans- porter, bewaffnete ...
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Krieg der Zahlen Deutscher Ubootkrieg, britische Blockade und Wilsons Amerika 1914-1919

Band II: Frieden oder Uboote?

Hans Joachim Koerver

Ó 2017 Hans Joachim Koerver. Alle Rechte vorbehalten.

Cover: Präsident Wilson verliest seine Botschaft an den Kongreß am 2. April 1917 abends und empfiehlt eine Kriegserklärung an das Deutsche Reich.

LIS Reinisch, A-7441 Steinbach www.lis-og.com · [email protected] ISBN: 978-3-902433-85-5

Inhalt 1916 Frieden in Sicht?

8

Der Handelskrieg mit Ubooten Die Ubootstreitkräfte Das Mittelmeer – A Story of Aces Flandern und der englische Kanal - Mission impossible Die Ostsee - Britische Uboote und deutsche Konvois Die Hochseeflotte im Ubootstreik

20 23 34 38 41

Krupp: Waffen für die Welt Kanonen und Butter Die Germaniawerft U-Deutschland

44 48 53

Der Ubootstreik der Hochseeflotte

64

Die neue Armeeführung Der Sturz Falkenhayns Die neue OHL und der Ubootkrieg Bethmanns erster Friedensfühler Krieg mit Amerika? Bethmanns zweiter Friedensfühler Attack on Reason – die Ubootpropaganda Attack on America – U-53 vor der US-Ostküste

71 74 77 78 83 84 89

Der eingeschränkte Ubootkrieg

95

England und die deutschen Uboote Die Ubootabwehr Das britische Kabinett Get by with a little help from my friends

103 109 112

Frieden oder Uboote? Deutschland vor dem Steckrübenwinter Bethmanns dritte Friedensinitiative Die Oberste Heeresleitung Neue Zwischenfälle auf See

119 124 125 129

Ubootfrieden? Der Holtzendorff-Plan Bethmanns Vorschlag einer Friedenskonferenz Wilsons Friedensvorschlag Berlin zum Jahreswechsel

136 139 142 146

1917 Die deutsche Entscheidung

167

Der amerikanische Abbruch der diplomatischen Beziehungen

181

Februar – der erste Monat Ubootkrieg Die Kaiserliche Marine England Amerika

185 189 195

März – der zweite Monat Ubootkrieg Die Uboote Das Zimmermann-Telegramm Großbritannien Der Steckrübenwinter Give peace a chance? High Noon im Atlantik - das schwarze Wochenende

201 206 213 219 223 225

Mr. Wilson goes to war Die amerikanische Kriegserklärung England Deutschland

230 233 235

Das Epochenjahr

237

Anhang Geschichte und Geschichtsschreibung Die Quellen Die Zahlen Dokumente

251 258 262 267

Bibliographie

281

Index

291

1914: Europa im Weltkrieg Alliierte bzw. Entente (blau): Großbritannien, Frankreich, Rußland und Italien (1915). Mittelmächte (rot): Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich und Bulgarien (1915). Neutrale (grün): Schweden, Norwegen, Dänemark, Holland, Schweiz und Spanien. Bis 1916: Portugal, Griechenland, Rumänien.

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Handelnde Personen Kaiser Wilhelm II (1859-1941), Deutscher Kaiser von 1888 bis 1918. Theobald von Bethmann Hollweg (1856-1921), deutscher Reichskanzler 1909 bis 1917. Großadmiral Alfred von Tirpitz (1849-1930), Staatssekretär des Reichsmarineamtes (RMA) 1897 bis 1916. Admiral Henning von Holtzendorff (1853-1919), Chef des Admiralstabs der Kaiserlichen Marine 1915-1918. Admiral Reinhard Scheer (1863-1928), Chef der Hochseeflotte 1916-1918. Erich von Falkenhayn (1861-1922), Chef des Generalstabes der Armee 1914-1916. Paul von Hindenburg (1847-1934) Chef des Generalstabes der Armee 1916-1919. Erich Ludendorff (1865-1937), Stabschef des Generalstabes der Armee 1916-1918. Woodrow Wilson (1856-1924), Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika 1913-1921. Edward M. House (1858-1938), engster Berater Präsident Wilsons. Robert Lansing (1864-1928), Auswärtiger Staatssekretär 19151920. David Lloyd George (1863-1945), britischer Premierminister 1916-1922. Admiral John R. Jellicoe (1863-1945), Befehlshaber der Schlachtflotte 1914-1916, 1. Seelord der Admiralität 1916-1918.

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Timeline 1914

1915

1.-4. Aug. Krieg zwischen Deutschland, Russland, Frankreich und England. 5. Aug. Britische Fernblockade nördlich Schottlands und im Kanal, deutsche Schiffe werden aufgebracht. 4. Feb. Die Kaiserliche Marine erklärt die Gewässer um die britischen Inseln zum Kriegsgebiet und kündigt den Ubootkrieg ab dem 18. Februar an. 7. Mai Versenkung der Lusitania. 19. Aug. Versenkung der Arabic. 19. Sep. Abbruch des ersten deutschen Ubootkrieges.

1916

26. Feb. Rücksichtsloser Ubootkrieg der Flandern-Uboote eröffnet. 24. Mrz. Warnungslose Torpedierung der Sussex. 20. Apr. Wilsons Sussex-Note: Forderung nach Einstellung des uneingeschränkten Ubootkrieges. 27. Apr. Abbruch des Ubootkrieges im Atlantik durch die Kaiserliche Marine. 27. Mai Wilson bietet den Europäern eine Friedensvermittlung an. 2. Sep. Bethmanns erster Friedensfühler bei Wilson. 26. Sep. Bethmanns zweiter Friedensfühler. 9. Okt. Eingeschränkter Ubootkrieg der Hochseeflotte. 24. Okt. Bethmanns dritter Friedensfühler. 12. Dez. Bethmanns Vorschlag einer Friedenskonferenz. 18. Dez. Wilsons Friedensvorschlag. 19. Dez. Premierminister Lloyd George weist die amerikanische Friedensinitiative zurück.

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1917

9. Jan. Die deutsche Entscheidung zum uneingeschränkten Ubootkrieg ab dem 1. Januar. 17. Jan. Das Zimmermann-Telegramm wird verschickt und von den Briten entschlüsselt. 22. Jan. Rede Wilsons: Frieden ohne Sieg. 26. Jan. Note Wilsons an die deutsche Regierung zur Eröffnung von Friedensgesprächen. 31. Jan. Der deutsche Botschafter in den USA verkündet die Eröffnung des uneingeschränkten Ubootkrieges zum 1. Februar. 1. Feb. Beginn des uneingeschränkten deutschen Ubootkrieges. 3. Feb. Wilson bricht die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich ab. 25. Feb. Wilson erfährt den Inhalt des ZimmermannTelegrammes durch die Briten. 1. Mrz. Das Zimmermann-Telegramm wird veröffentlicht. 16. Mrz. U-70 versenkt den amerikanischen Frachter Vigilancia ohne Warnung. 21. Mrz. Wilson entschließt sich zum Krieg und beruft den Kongress ein. 6. Apr. Kriegserklärung des amerikanischen Kongresses an das Deutsche Reich.

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5

1916 Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 hatte die britische Royal Navy eine Seeblockade gegen das Deutsche Reich errichtet: deutsche Handelsfrachter wurden auf allen Ozeanen als Feindschiffe aufgebracht und die Ladung neutraler Frachter mit deutschen Bestimmungshäfen entgegen allen völkerrechtlichen Abkommen in internationalen Gewässern beschlagnahmt. Als Vergeltung eröffnete die deutsche Kaiserliche Marine im Februar 1915 den ersten uneingeschränkten Ubootkrieg in den Gewässern um die Britischen Inseln. Statt die feindlichen Handelsschiffe nach geltendem Seerecht (Prisenordnung bzw. Kreuzerkrieg) anzuhalten und die Besatzungen vor dem Versenken von Bord gehen zu lassen, torpedierten die Uboote die alliierten Schiffe ohne Warnung. Die Versenkung der britischen Passagierdampfer Lusitania und Arabic mit vielen amerikanischen Toten im Mai bzw. August 1915 führte zu schweren diplomatischen Konflikten mit dem US-Präsidenten Woodrow Wilson. Unter dessen Druck stellte der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg den Ubootkrieg im September 1915 ein. Anfang 1916 nahm die Kaiserliche Marine erneut den rücksichtslosen Ubootkrieg auf. Diesmal wurden auch neutrale Schiffe torpediert. Die warnungslose Versenkung der französischen Kanalfähre Sussex im März 1916 brachte das Deutsche Reich an den Rand eines Krieges mit den USA. Nur ein erneuter Abbruch des Ubootkrieges durch die Reichsleitung im April konnte den Frieden retten. Das deutsche Versprechen, künftig nur noch Ubootkrieg nach Prisenordnung zu führen, war in der Erwartung gegeben worden, das Wilson im Gegenzug gegen die britische Blockade Deutschlands vorgehen würde.

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Frieden in Sicht?

US-Präsident Woodrow Wilson Amerika Nach der überstandenen Sussex-Krise richtete sich die amerikanische Aufmerksamkeit im Frühjahr wieder verstärkt auf die britische Blockade, die zunehmend auf die neutralen Staaten Europas ausgedehnt wurde. Großbritannien erlaubte diesen nur noch den Import des Eigenbedarfs, um den indirekten Handel Deutschlands über die Neutralen zu unterbinden und es vom Weltmarkt abzuschließen. Die Verletzung der Rechte Neutraler im internationalen Handel und die Weigerung der Briten, selbst medizinische Artikel oder Kindernahrung nach Deutschland passieren zu lassen, sorgte in den USA für Empörung.1

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Arthur S. Link: Wilson. Campaigns for Progressivism and Peace 1916-1917, Princeton 1965, S. 10ff.

Der irische Osteraufstand im April 1916 und seine brutale Niederschlagung durch die britische Armee verschlechterten das Ansehen Großbritanniens in den USA katastrophal. England war offiziell in den Krieg gezogen, um Deutschlands Überfall auf Belgien zu rächen, aber gegenüber Irland sowie den europäischen Neutralen verhielt es sich nicht besser als die Deutschen. Der Wilson-Biograph Arthur S. Link: „Alles was der britische Liberalismus dem preußischen Junkertum voraus zu haben schien, war wie weggewischt.“2 Auf die Versorgung der Alliierten mit amerikanischen Lebensmitteln und Waffen hatte dies aber keinen Einfluß. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren eine ökonomische Supermacht, die die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung erbrachte. Monatlich gingen alliierte Bestellungen im Wert von 300 Mio. USD (ca. 30 Mrd. USD 2016) in den USA ein und sorgten für Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung. Link: „Wie es ein Mitglied des [britischen] Kabinetts schrieb, würden die Amerikaner ihre Geldbörsen niemals der Politik opfern.“3 Die überwiegende Mehrheit der Amerikaner wollte keine Beteiligung am Krieg der Europäer. Und Ende 1916 standen Präsidentschaftswahlen an.4 Link: „Ein Friedensvorschlag wäre auf jeden Fall sehr populär, und eine erfolgreiche Friedensvermittlung hätte [Wilson] im Präsidentschaftswahlkampf unbesiegbar gemacht.“5 Großbritannien Die Briten jedoch wiesen Anfang Mai 1916 erste amerikanische Friedensfühler ab. Sie hofften auf den Erfolg der gleichzeitigen alliierten Sommeroffensiven an Ost- und Westfront. Colonel Edward M. House, Wilsons wichtigster politischer Berater, beklagte sich beim britischen Außenminister Grey am 10. Mai: „Der Eindruck wächst, daß die Alliierten mehr auf einer Bestrafung Deutschlands bestehen als auf einer Festlegung von FriedensbedingunIbid., S. 13. Ibid., S. 15. 4 Ibid., S. 15-17. 5 Ibid., S. 17. 2 3

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gen, die von den Neutralen als gerecht empfunden würden.“6 House war enttäuscht: „Wir haben alles für sie getan, aber sie verlangen immer noch mehr.“7 Am 13. Mai schrieb er in sein Tagebuch: „Seit zwei Jahren erzählt mir Grey, daß die Lösung der internationalen Probleme vom Willen der USA zum Eingreifen in das Weltgeschehen abhänge. Jetzt, da wir dies ankündigen, zieht er sich zurück, blockt ab, hinterfragt. Ich bin schwer enttäuscht. Ich erkenne einen gewissen Hahnenstolz bei den Alliierten seit [ihrem Abwehrerfolg bei] Verdun. Sollten sie selber einmal [Offensiv-]Erfolge erzielen, dann sehe ich Probleme mit ihnen.“8 Wilson ließ sich nicht entmutigen. Am 27. Mai 1916 verkündete er öffentlich, daß die US-Regierung bereit sei, „eine Friedensmöglichkeit zwischen den Kriegsführenden nach folgenden Prinzipien vorzuschlagen oder zu initiieren: Zuerst eine Vereinbarung zwischen den Kombattanten basierend auf einem Interessensausgleich. Zweitens eine Weltgemeinschaft der Nationen um die unverletzliche Freiheit der Seewege zu garantieren und jeden Krieg zu verhindern – eine gegenseitige Garantie territorialer Unverletzlichkeit und politischer Unabhängigkeit.“9 Wilson war kein naiver Idealist. Er vertrat zuallererst die amerikanischen Interessen. Sein oberstes Ziel war es, die Neutralität der USA zu bewahren. Er hoffte aus dieser Position einen Frieden oder zumindest eine Einstellung der Kämpfe in Europa vermitteln zu können und durch die Gründung einer „Weltgemeinschaft der Nationen“ eine neue, stabile Nachkriegsordnung herstellen zu können. Die amerikanische Zeitung The New Republic urteilte: „Mr. Wilson hat mit der amerikanischen Tradition des Isolationismus auf die einzige Weise gebrochen, die Hoffnung für die Menschen verspricht.“10

Ibid., S. 19. Ibid., S. 19. 8 Ibid., S. 12. 9 Ibid., S. 26. 10 Ibid., S. 26. 6 7

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Der französische Ministerpräsident Clemenceau bemerkte dagegen: „Wenn der liebe Gott 7 Tage brauchte, um ein Menschenpaar zu erschaffen, dessen Erstgeborener seinen Bruder erschlug, ist Mr. Wilson mit einem einzigen majestätischen Wort in der Lage, eine neue Art Mensch zu kreieren, der einzig der Liebe und der internationalen Harmonie bedarf.“11 Der britische Außenminister Grey hatte Furcht vor einer amerikanischen Vermittlung, sein Generalstabschef drohte für diesen Fall mit dem Rücktritt. Ein unentschiedener Frieden, ein unbesiegtes Deutschland hätte in den Augen des britischen Kabinetts eine Stärkung des Deutschen Reiches bedeutet. Es bestand auf einem „fight to the finish“, der Niederwerfung des Gegners, der Ausschaltung Deutschlands als Großmacht in Europa.12 Die alliierten Soldaten warteten nur darauf, nach wochenlangem Trommelfeuer auf die gegnerischen Stellungen aus den Schützengräben zu steigen und die feindlichen Linien zu durchbrechen. Diesmal würde es gelingen, so hatten es die Generale geschworen. Solange es in einem der beiden verfeindeten Lager in Europa noch Hoffnung gab, den Gegner niederzuwerfen zu können, war eine Friedensvermittlung aussichtslos. Wilsons Initiative verlief im Sande. Deutschland: Sieg- oder Verhandlungsfrieden? Im Deutschen Reich waren der Reichskanzler und der Generalstabschef Erich von Falkenhayn davon überzeugt, den Krieg zu Lande nicht mehr gewinnen zu können. Der Flaggleutnant im Stabe der Hochseeflotte, Ernst von Weizsäcker, beschrieb in einem Tagebucheintrag vom Februar 1916 die Enttäuschung der Marine: „Die Armeeleitung weiß auch nicht recht weiter. Es kommt also dann auf eine gegenseitige Erschöpfung heraus, also Remis. Das wäre sehr zu bedauern. Amerika würde uns um die Früchte

Ibid., S. 26. Justus D. Doeneke, Nothing less than war. A new history of America’s entr into World War I, Lexington 2011, S. 178, 182ff. 11 12

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des Sieges bringen. Die Auffassung der Armee über die allgemeine militärische Lage ist schwer enttäuschend. Die Marine hat von wirklich wirksamen Mitteln eigentlich nur den Ubootkrieg, den Amerika nicht dulden will.”13 Über den Einsatz der Uboote, der einzigen zur Verfügung stehenden Offensivwaffe, war im Innern ein heftiger Streit entbrannt. Die Marine versprach mit einem uneingeschränkten Ubootkrieg, der warnungslosen Versenkung von allem, was auf den Wassern schwamm, sei es feindlich oder neutral, die Niederwerfung Englands innerhalb eines halben Jahres, einen Siegfrieden. Bethmann Hollweg hielt dem entgegen, daß er den Kriegseintritt der USA mit ihren gewaltigen Ressourcen und den Verlust des Krieges bewirken würde. Die Alternative dazu war der Kreuzerkrieg der Uboote zur allmählichen Reduzierung der Welthandelsflotte von über 20.000 Schiffen mit 43 Mio. BRT, die Hälfte davon britisch. Dies würde die Alliierten unter wirtschaftlichen Druck setzen und schrittweise zur Verhandlungsbereitschaft führen. Hinzu kam Wilsons ökonomische Machtposition, mittels derer er Druck auf die Entente in Richtung Frieden ausüben konnte. Der eingeschränkte Ubootkrieg stand für einen Verhandlungsfrieden, der uneingeschränkte für den Siegfrieden. Und hier setzte die Propaganda der politischen Rechten und speziell der Alldeutschen für den totalen Ubootkrieg ein. Der „Alldeutsche Verein“ hatte zu dieser Zeit 20.000 Mitglieder aus den höheren Schichten der Verwaltung, des Militärs und des Bürgertums. Er repräsentierte die Oberschichten des alten Preußens und erhob mit sektiererischem Eifer Nation und Rasse in den Rang einer Religion. Die Alldeutschen forderten den Siegfrieden, Deutschlands Aufstieg zur Weltmacht mittels Gebietsannexionen in Europa und in den Kolonialreichen der Feinde. Sie predigten Gewalt nach Außen und nach Innen – ein energischer „Führer“, unterstützt von einer selbster-

Leonidas E. Hill: Die Weizsäcker Papiere 1900-1932, Propyläen Verlag, Berlin 1982, 20. Februar 1916, S. 186. 13

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nannten Elite, sollte anstelle des „schwachen“ Kaisers und seines „schlappen“ Kanzlers herrschen. Warum war diese Propaganda bei den Mittelschichten der wilhelminischen Gesellschaft so erfolgreich, warum war ein Verständigungsfrieden unpopulär? Das Bürgertum Ein Verständigungsfrieden bedeutete zuerst einmal, daß es keine Kriegsentschädigungen - wie 1871 seitens Frankreichs – geben würde. Der Krieg kostete ca. 2 Mrd. RM monatlich und im Mai 1916 betrugen die Kriegsschulden schon 45 Mrd. RM (900 Mrd. EUR). Dies entsprach dem Bruttosozialprodukt des Friedensjahres 1913, oder etwa einem Sechstel des Volksvermögens, das sich buchstäblich in Pulverrauch aufgelöst hatte. Ohne Reparationen auswärtiger Mächte hätte Deutschland diese Summe selber abtragen müssen. Die Kriegskosten wurden durch den Verkauf von Anleihen finanziert: der brave Bürger löste sein Sparbuch auf, belieh seine Lebensversicherung und nahm Hypotheken auf sein Haus auf, die patriotische Mittelschicht wandelte ihr Vermögen in Kriegsanleihen zu 5% Zinsen um. Eine Tilgung dieser gewaltigen Schuldenlast bei einem unentschiedenen Kriegsende wäre nur durch eine Inflation und/oder höhere Steuern möglich gewesen. Bei den Arbeitern, die von ihren kargen Löhnen mehr schlecht als recht lebten, war nichts zu holen, beim zahlenmäßig kleinen Adel ebenso wenig, die Großindustrie würde sich zu wehren wissen. Der Mittelstand hätte – wie immer - die Zeche zu zahlen gehabt.

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In den Augen des wilhelminischen Bürgertums drohten bei einem Verständigungsfrieden Vermögensverlust, Steuer- und Gesellschaftsreformen und schlimmstenfalls die Revolution. Die Armee Beim Heer und in den höheren Stellen der Staatsverwaltung spielte der preußische Adel, die Junker, die Hauptrolle. Politisch war der Adel in Preußen durch ein dreiklassiges Vermögenswahlrecht privilegiert, das immer für die nötige konservative Mehrheit im preußischen Landtag sorgte und jegliche Reformen im Reich zu Ungunsten dieser Klasse verhindern konnte. Jede Änderung des gesellschaftspolitischen Status quo drohte sie zu Verlierern zu machen, was sie vor dem Krieg durch eine jahrzehntelange Reformblockade erfolgreich verhindert hatten. Ihr Standesgenosse Bismarck mit seinen Sozialreformen war für sie ein „Communist“ gewesen, und der reformverdächtige Bethmann galt ihnen als der leibhaftige Beelzebub. Ein unentschiedenes Kriegsende hätte für sie zu nachteiligen gesellschaftspolitischen Umwälzungen geführt und das ökonomische Ende ihrer Klasse bedeutet. Die Kaiserliche Marine Für die Flotte wäre ein Verständigungsfrieden existenzbedrohend gewesen. Ihr weiterer Ausbau war schon vor 1914 an finanzielle Grenzen gestoßen. Eine von Wilsons zentralen Forderungen für einen dauerhaften Frieden war die Abrüstung, die Wiederherstellung des militärischen Gleichgewichts. Zusammen mit der Finanznot nach dem Kriege wäre die Marine stark reduziert worden. Der Traum vom Ausbruch zur Weltmacht mittels der Hochseeflotte wäre ausgeträumt, die stolzen Marineoffiziere arbeitslos geworden. Der Marinehistoriker Holger Herwig: „Nur der ‚Siegfriede‘ konnte den spezifischen preußisch-deutschen Obrigkeitsstaat und seine konstituie-

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renden Elemente erhalten, und allein in diesem wilhelminischen Klassenstaat durften die Seeoffiziere darauf hoffen, ihre bevorrechtete Stellung als ‚erster Stand im Staat‘ zu bewahren; denn nur ein siegreiches Deutschland würde in großem Stil Weltpolitik betreiben können, wozu es einer riesigen Schlachtflotte bedurfte.“14 Die Ubootpropaganda Propaganda muß primitiv sein. Die Marine stellte einfach die unbewiesene Behauptung in den Raum, daß ein totaler Ubootkrieg das Mehrfache an Versenkungserfolgen erbringen würde als der konventionelle Seekrieg nach Prisenordnung und daher der sichere Weg zum schnellen Sieg wäre. Der Chef des Admiralstabs Admiral Henning von Holtzendorff hatte Anfang 1916 „berechnet“, daß die Uboote in diesem Fall 600.000 BRT an Schiffraum monatlich versenken und damit England in 5 Monaten zur Kapitulation zwingen könnten.

Kaiser Wilhelm, Tirpitz und Holtzendorff vor dem Kriege

Holger Herwig: Das Elitekorps des Kaisers. Die Marineoffiziere im Wilhelminischen Deutschland, Hamburg 1977, S. 153. 14

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Wie wirkte das alles auf den Normalbürger des wilhelminischen Kaiserreiches? Wenn er der offiziellen Regierungsdarstellung folgte, dann hatten die Feinde das aufstrebende Deutschland aus Handelsneid erst umstellt und schließlich überfallen. Sollten all die Toten und die persönlichen Opfer umsonst gewesen sein – man stand schließlich tief im Feindesland! Der Krieg war gerecht, ein heiliger Kreuzzug zur Verteidigung deutscher Kultur, Sitte und Rasse vor allem dunkel drohendem Fremden. Und wenn die unbestrittenen Fachleute, die Admirale, versicherten, daß es ein Mittel gäbe, den Krieg in wenigen Monaten siegreich beenden zu können - Gott, warum beschritten dann Kaiser und Kanzler nicht diesen Weg? Aber Propaganda und Wirklichkeit lagen weit auseinander. Schon innerhalb der Marine war die Wirksamkeit des totalen Ubootkrieges stark umstritten. Stabsoffizier Weizsäcker: „Die Garantie: Beendigung des Krieges gegen England in ½ Jahr [könne] eigentlich nicht gegeben werden, und die Zahlen über die zu versenkende Tonnage sowie die vermuteten Begleitwirkungen [stehen] nicht auf absolut sicheren Boden. Ich kann die Versprechungen des Admiralstabes und RMA, in ½ Jahr England mit den U-Booten auf die Knie zu zwingen, nicht mehr recht verstehen. Alle [Marine-]Fachleute, die man fragt, sind sich einig darüber, daß dieser Termin zu optimistisch ist. Wie soll eine Reichsleitung reagieren, wenn ihr so falsche Angaben gemacht werden, wie soll sie Vorschläge annehmen, deren Unglaubwürdigkeit ihr nicht verborgen bleiben kann?”15 Tatsächlich deutete die Marine in der Öffentlichkeit märchenhafte Zahlen an vorhandenen Uboote an. Kurt Riezler, der enge Berater des Kanzlers, über die unglaubwürdigen Angaben der Marine: „Die Gewissenlosigkeit mit der gehetzt [wird], die Leute glauben wir haben 60-200 Uboote thatsächlich haben wir 15 große [in der Nordsee].“16 Und Generalstabschef Falkenhayn dazu: “[Die Marine] log ununterbrochen

Hill, Weizsäcker Papiere, 20. Februar 1916, S. 185, 187. K. D. Erdmann (Hg.): Kurt Riezler, Tagebücher, Aufsätze, Dokumente, Göttingen, 1972, 22. Februar 1916, S. 334f.

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und war nicht zu fassen. Über die Zahl der verfügbaren Unterseeboote erfuhr ich alle Augenblicke etwas anderes.”17 Die Regierung Theobald von Bethmann Hollweg stammte aus einem konservativ-liberalen, adeligen Elternhaus. Mit nur 29 Jahren wurde er Landrat und erlebte über Jahrzehnte eine sich durch die stürmische Industrialisierung rasch wandelnde preußische Gesellschaft. Schon früh hatte er den Anti-Reform-Trotz der um ihr ökonomisches Überleben kämpfenden Junkerkaste miterlebt. Er selber blieb seinen standesegoistischen Klassengenossen gegenüber zutiefst skeptisch. Mit 49 Jahren wurde er preußischer Innenminister und 4 Jahre später, 1909, Reichskanzler. Die Kriegspolitik Bethmanns stützte sich im Inneren wesentlich auf die Zusammenarbeit mit der politischen Mitte, den Linksliberalen, den Sozialisten und den Gewerkschaften, nicht aus Sympathie für deren Ideale, sondern wegen der Reformblockade der Rechten. Riezler hielt „eine wirkliche entschiedene Politik mit einer vernünftigen auswärtigen Linie nur mit der Linken für machbar, diese aber bei uns kaum möglich, wegen Kaiser, preußischem Beamtentum Militär und Marine.“18 Auch der Regierung war nicht ganz wohl bei ihrem Kurs, aber sie hatte keine andere Alternative, als zu versuchen, sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu arrangieren. Und diese aus der Not geborenen innenpolitischen Zugeständnisse würden nach einem Friedensschluß unmöglich zurückzurollen sein, es war erst der Anfang eines durch den Krieg in Gang gekommenen, sich immer weiter beschleunigenden

Holger Afflerbach: Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich, München 1996, S. 403. 18 Erdmann, Riezler-Tagebücher, 3. November 1916, S. 378. 17

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Prozesses. Riezler: „Was wird aus Deutschland im Innern. Die Gewerkschaften ohne große Concessionen nach links kaum zu halten. [Die sozialistische SPD ist eine] große radikale Partei - mit dem Pacifismus verbündet. Bei Dummheiten der Regierung Revolution möglich.“19 Und: „Der Kanzler sprach von dem Alpdruck der Revolution nach dem Kriege, der auf ihm laste. Ungeheure Ansprüche der heimkehrenden Feldgrauen, Enttäuschung über den Frieden. Unbrauchbarkeit der bürgerlichen Parteien, die sich gegen Links nur durch Aufstachelung [von] Leidenschaften halten können. Die Parteien müssen ganz neu werden, der öffentliche Geist von Grund auf umgestaltet werden. Wird er das nicht, geht Deutschland zu Grunde. Unmöglichkeit Ostelbien [das Junkersystem] zu ändern - muß gebrochen werden - untergehen.“20 Dieser Kurs machte Bethmann bei den Konservativen erst recht verhaßt. Riezler im Sommer 1916: „Wie seltsam daß die Leute noch gar nicht begreifen, daß wir im Innern wahrscheinlich vor den allergroßen Umwälzungen stehen, mögen sie still oder laut sein - daß der ganze bisherige Geist des offiziellen Deutschland Chauvinismus Kaiser Klimbim Militarismus im schlechten Sinn Flottenreden etc. unhaltbar sein wird. Völlige Unvernunft der politischen Oberschicht in diesem Punkte, bis auf wenige.“21 Die rechte Opposition wehrte sich mit allen Mitteln gegen diese Perspektive. Die Ubootpropaganda wurde zum Kampfmittel gegen den Reformkanzler und einen Verhandlungsfrieden. Für diese Kreise gab es keine Kompromisse, nach außen gab es nur Sieg oder Niederlage und nach innen entweder Demokratisierung oder Militärdiktatur. Fazit In den Augen der politischen Rechten in Deutschland drohte bei einem Verhandlungsfrieden eine Umwälzung der bestehenden Gesellschaftsordnung entweder durch Reformen von oben und/oder einer Ibid., 4. Juli 1916, S. 363. Ibid., 14. Juni 1916, S. 359. 21 Ibid., 22. November 1916, S. 383f. 19 20

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Revolution von unten. Nur ein Siegfrieden konnte den Erhalt der bestehenden Gesellschaftsordnung und die Weiterherrschaft der alten Eliten garantieren. Der totale Ubootkrieg wurde zum Oppositionsprogram der Rechten – Wilson würde darauf mit dem Abbruch der Beziehungen reagieren und somit waren weitere amerikanische Friedensinitiativen nicht mehr zu erwarten, Bethmann Hollweg würde zurücktreten und das Thema innere Reformen wäre damit erst mal vom Tisch. Bethmanns Kampf während des gesamten Jahres 1916 bestand darin, den totalen Ubootkrieg zu verhindern und zu Verhandlungen über einen Ausgleichsfrieden zu kommen. In dieser Situation würden die Politiker und Diplomaten die Militärs entmachten und ihren Handlungsspielraum zurückgewinnen können.

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Der Handelskrieg mit Ubooten

Verfügbare deutsche Hochsee-Uboote 1916 (Monatsdurchschnitt)22 Die Ubootstreitkräfte Die deutsche Ubootflotte wuchs während des Jahres 1916 von 2 Dutzend auf knapp 100 Einheiten an. Sie machte aber auch dann mannschafts- und tonnagemäßig immer weniger als 10% der Gesamtflotte aus. Etwa zwei Drittel dieser Boote gehörten zur Hochseeflotte mit den schweren Überwassereinheiten der Marine in Wilhelmshaven, befehligt von Admiral Reinhard Scheer, und operierte von den deutschen Nordsee-Häfen aus in Nordsee und Atlantik. Die in Brügge, im besetzten Flandern, stationierten Hochsee-Uboote23 wurden im englischen Kanal, der irischen See und der Biskaya eingesetzt und unterstanden dem Reichsmarineamt in Berlin. 22 23

Erich Gröner: Die deutschen Kriegsschiffe 1815-1945. UC-II, UB-II und später UB-III Klasse.

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Die in den österreichisch-ungarischen Adria-Häfen stationierten Uboote der Mittelmeer-Flottille wurden vom Admiralstab befehligt.

Einsatzbereite deutsche Hochsee-Uboote Ende 1916 Die Hochseeflotte unter Admiral Scheer, das Reichsmarineamt unter Admiral Eduard von Capelle und der Admiralstab der Kaiserlichen Marine unter Admiral Henning von Holtzendorff waren drei selbständige, dem Kaiser direkt unterstellte Marinebehörden. Sie verfolgten mit ihren Ubootstreitkräften sehr unterschiedliche Einsatzstrategien. Admiral Scheer hatte Ende April 1916 aus Protest gegen das Nachgeben von Kaiser und Kanzler in der Sussex-Krise seine Uboote aus den Gewässern westlich Englands abgezogen. Er weigerte sich kategorisch, anstelle eines uneingeschränkten einen Handelskrieg nach Prisenordnung zu führen. Die Uboote der Hochseeflotte wurden 1916 nur sehr spärlich eingesetzt. Dadurch war der Ubootkrieg auf den atlantischen Zufuhrwegen Englands von Mai bis Mitte Oktober 1916, ein knappes halbes Jahr lang, komplett eingestellt.

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Prozentualer Einsatz der verfügbaren Hochsee-Uboote im Handelskrieg24 Die Flandern-Uboote liefen ab Juli 1916 wieder zum Ubootkrieg nach Prisenordnung in den Kanal aus. Einzig die Uboote im Mittelmeer führten das ganze Jahr 1916 hindurch einen permanenten Handelskrieg.

Ubootbestand: Gröner, Kriegsschiffe; Ubooteinsatz: TNA, HW 7/1, 2 und 3; Spindler, Handelskrieg; Bendert, UB- und UC-Boote.

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Das Mittelmeer – A Story of Aces25

Das Mittelmeer Deutsche Uboote im Mittelmeer Schon im September 1915 waren mehrere deutsche Uboote zum Handelskrieg in das Mittelmeer verlegt worden. Einsatzbasis war der österreichisch-ungarische Kriegshafen Cattaro (heute Kotor, Montenegro) nahe dem Ausgang der Adria ins Mittelmeer, von wo aus die Boote innerhalb von 24h ins Operationsgebiet gelangen konnten. In der Vorkriegszeit hatten alle außerhalb der Heimatgewässer stationierten deutschen Kriegsschiffe dem Admiralstab unterstanden, und dies hielt man auch bei den Mittelmeer-Ubooten bei. Italien hatte im Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg erklärt, aber nicht dem Deutschen Reich, dieser Schritt erfolgte erst im August 1916. Die deutschen Uboote im Mittelmeer operierten daher unter der KuK-Flagge als ‚formell‘ österreichisch-ungarische Kriegsschiffe und führten auch gegen die italienische Handelsmarine Krieg. Schon auf der Überführungsfahrt im November 1915 versenkte U-38 unter Kapitänleutnant Max Valentiner 14 Schiffe mit 45.000 BRT, darunter den italienischen Passagierdampfer Ancona am 8. November Wenn nicht anders gekennzeichnet: TNA, HW 7/1 und 2, Chapter XIV, S. 515ff. [Koerver, Room 40, Bd. I, S. 260ff.]. 25

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1915. Bei der warnungslosen Torpedierung kamen 208 Passagiere ums Leben, darunter 8 Amerikaner. US-Präsident Wilson hatte scharf auf die deutsche Versenkung der Lusitania im Mai und der Arabic im August 1915 reagiert, und protestierte hier erneut. Österreich-Ungarn mußte die Schuld auf sich nehmen, sich bei den USA entschuldigen und die Bestrafung des „österreichischen Kommandeurs“ versprechen. Wien intervenierte bei den deutschen Stellen und bestand auf einem Ubootkrieg gemäß Prisenordnung. Der deutsche Admiralstabschef Holtzendorff legte am 4. Dezember 1915 die Ubootkriegsführung im Mittelmeer fest: neutrale Schiffe sowie unbewaffnete feindliche Frachter durften nur nach Kreuzerkriegsregeln aufgebracht werden.26 Als aber der schießfreudige Max Valentiner am 30. Dezember 1915 das britische Passagierschiff Persia warnungslos torpedierte und es 334 Tote gab, weigerten sich die Österreicher, noch einmal den Sündenbock zu spielen. Gegenüber den USA gaben sie zu, daß deutsche Uboote im Mittelmeer operierten, und vom deutschen Admiralstab verlangten und erreichten sie einen Befehl an die Uboote, jeglichen Angriff auf Passagierschiffe zu unterlassen. Von da ab wurde der Handelskrieg im Mittelmeer strikt nach Prisenordnung geführt. Admiralstabschef Holtzendorff, der schärfste Befürworter eines radikalen Ubootkrieges, sah sich in diesem Fall gezwungen, außenpolitische Rücksichten walten zu lassen. Der Kriegsschauplatz Der Erfolg des Ubootkrieges im Mittelmeer ergab sich vor allem aus der Nähe der Basen zu den Einsatzgebieten, was eine längere Verweildauer im Operationsgebiet ermöglichte als im Norden, wo die Boote 810 An- und Abmarschtage pro Atlantik-Einsatz von den NordseeBasen aus verloren. Zudem waren die Wetterverhältnisse im Mittelmeer günstiger, hier tobten nicht die heftigen Nordatlantik-Stürme, die jeden Waffeneinsatz der Uboote tage- oder wochenlang unmöglich 26

BA-MA, RM 5/6266 Bl. 40-41, 4. Dezember 1915 [Granier, Bd. IV, Nr. 605, S. 54f.].

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machten. Die feindliche Abwehr war schwach und zwischen italienischen, französischen und britischen Kommandostellen aufgesplittet. Der Admiralstab in Berlin war fern und die jungen Ubootoffiziere weitgehend unter sich, ohne politisierende Admirale oder eine aufgeputschte öffentliche Meinung. Es war der Krieg der Kapitänleutnants. Von den zehn erfolgreichsten deutschen Ubootkommandanten des Ersten Weltkriegs stammten sechs aus der Mittelmeer-Flottille. Diese sechs alleine versenkten während des Krieges 675 Schiffe mit 1,7 Mio. BRT Tonnage, d.h. die Hälfte des Ergebnisses im Mittelmeer (3,4 Mio. BRT) und ca. 15% der deutschen Gesamtversenkungen (knapp 11 Mio. BRT).27 Sie alle überlebten den Krieg. Im Mittelmeer gab es nie eine Konzentration des Ubootkrieges auf bestimmte Räume, etwa den Ausgang des Suezkanals oder die Straße von Gibraltar, sondern es wurde ein stetiger, flächendeckender Krieg zur Dezimierung der Welthandelstonnage geführt. Der Feind wurde an seiner schwächsten Stelle angegriffen, den langen, wenig verteidigten Schiffsrouten kreuz und quer über das Mittelmeer, und nicht in der Nähe seiner gutverteidigten Flottenstützpunkten. Zu Recht charakterisierte die britische Marineaufklärung, „Room 40“, die Geschichte des Mittelmeer-Handelskrieges als eine „Story of Aces“. Die großen Erfolge und die lockere Kontrolle erlaubten den jungen Kommandanten weitgehende Freiheit bei der Ausführung der Befehle. „Top gun“ war der dreißigjährige Lothar von Arnauld de la Periere auf U-35. Er versenkte während des Ersten Weltkriegs über 200 Schiffe mit 450.000 BRT, sämtlich nach Prisenordnung. Nur Truppentransporter, bewaffnete Handelsschiffe und Fahrzeuge im Konvoi griff er warnungslos an. Die Analysten in Room 40, der Entschlüsselungsstelle der britischen Admiralität, beschrieben ihn folgendermaßen: „Er entwickelte eigene Einsatztaktiken, die er mit großem Erfolg anwandte. Außer bei Angrif-

Berechnungen des Autors basierend für den Ubooteinsatz auf: TNA, HW 7/1, 2 and 3; Spindler, Handelskrieg; Bendert, UB- und UC-Boote, und für die Schiffsversenkungen auf: TNA, ADM 1/8509/1, ADM 137/3921, 4814, und 4817. 27

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fen auf Kriegsschiffe gab er praktisch den Torpedo als Waffe auf. Er bevorzugte das Bordgeschütz. Er ließ seine beiden 8,8 cm Kanonen gegen ein weittragendes 10,5 cm Deckgeschütz austauschen, bedient von einem handverlesenen Geschützführer der Hochseeflotte. Seine übliche Taktik war es, das Feuer auf 6.000 m zu eröffnen, und langsam bis auf 3.000 m heranzugehen, aber nicht näher, bis die Besatzung das Schiff verlassen hatte. In seiner ganzen Karriere zeigte er große Rücksichtnahme auf das Leben der Mannschaften der versenkten Schiffe. Selbst nach Eröffnung des uneingeschränkten Ubootkrieges [1917] ließ er ihnen immer genug Zeit, in die Rettungsboote zu gehen. Sein Verhalten stand in krassem Gegensatz zu Max Valentiner, der ebenfalls ein sehr erfolgreicher Ubootkommandant war. Trotz der zunehmenden Bewaffnung der Dampfer mit Artillerie im Jahre 1917 vertraute von Arnauld weiter auf sein Deckgeschütz und nutzte nur selten den Torpedo. Sein brillantester Einsatz fand im Juli und August 1916 statt.”28

Kapitänleutnant Lothar von Arnauld de la Periere, U-35, vor seinem Bordgeschütz

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TNA, HW 7/1 and 7/2, Chapter XIV [Koerver, Submarine Warfare, S. 218f.].

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Diese Fahrt war bereits die achte Handelskriegsoperation von U-35 im Mittelmeer, der bis dahin 58 Schiffe mit 153.000 BRT zum Opfer gefallen waren. Betrachten wir anhand dieses Einsatzes einmal die Kampfbedingungen der Uboote im Detail. U-3529 U-35 lief am 26. Juli 1916 kurz vor Mitternacht unter der KuK-Kriegsflagge aus der Bucht von Cattaro aus. Das Boot verdrängte getaucht knapp 900 Tonnen, hatte eine Besatzung von 35 Mann und konnte bis zu 6 Wochen in See bleiben. Die Dieselmotoren gaben U-35 eine Höchstgeschwindigkeit von 16 kn über Wasser. Getaucht konnte es bis zu 80 sm zurücklegen, bevor die Batterien zum Antrieb des Elektromotors erschöpft waren und bei Überwasserfahrt wieder aufgeladen werden mußten. Die Bewaffnung bestand aus einer 10,5 cm Bordkanone und 6 Torpedos.

Ausguck U-35 Der frischgebackene Ubootkommandant Arnauld hatte seit seinem ersten Einsatz Ende 1915 die Stärken und Schwächen des Waffensy29

Wenn nicht weiter angegeben: KTB U-35, NARA PG 61579 (BA-MA, RM 97/766).

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stems Uboot in seiner Einsatztaktik perfektioniert. Seine weitreichende Bordkanone wirkte in einem Radius von 6 km und beherrschte damit eine Fläche von über 100 Quadrat-Kilometern. Mit seiner überlegenen Überwassergeschwindigkeit konnte er jeden flüchtenden Dampfer einholen und ihn in einem Kanonen-Duell dazu zwingen, die Flagge einzuholen, oder falls er sich als zu kampfstark erwies oder sich feindliche Kriegsschiffe am Horizont abzeichneten, das Gefecht kurzerhand abbrechen und wegtauchen. Ein Torpedoeinsatz wäre vollkommen ineffizient gewesen: Arnauld hätte sich bei unterlegener Unterwassergeschwindigkeit einem beweglichen Punktziel auf unter 1.000 Metern annähern müssen, und bei 6 Torpedos an Bord und einer Fehltrefferquote von 50% selbst bei erfahrenen Ubootkommandanten hätte diese Taktik höchstens zur Versenkung von 3 Frachtern pro Ubootfahrt gereicht. Im Handelskrieg war das Deckgeschütz die wirksamste Waffe. Feindliche Kriegsschiffe waren dem Uboot an Geschwindigkeit und Feuerkraft überlegen und konnten es mit einem einzigen gutsitzenden Treffer in den Druckkörper tauchunfähig machen und damit seiner Verteidigung berauben. Arnaulds Lebensversicherung war der Abstand, sei es zu Kriegsschiffen, Ubootfallen oder bewaffneten Handelsschiffen, der es ihm zeitig erlaubte, zwischen Rückzug oder Angriff zu entscheiden. Torpedos dienten ihm nur als ultima ratio, als letztes Verteidigungsmittel gegen Zerstörer, und auf seinen Feindfahrten reduzierte er deren Anzahl zugunsten der Artilleriemunition. Am 28. Juli abends hielt Arnauld vor Malta seinen ersten Dampfer an und versenkte ihn mittels Geschütz. Für die nächsten 3 Wochen waren Kapitän und Mannschaft von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang pausenlos damit beschäftigt, Schiffe mit oder ohne Erfolg zu verfolgen, anzuhalten, zu untersuchen und dann entweder freizulassen oder zu versenken, vom kleinen Fischerboot über Segelschiffe bis hin zu großen Dampfern. Nachts gönnte Arnauld der Besatzung Ruhe bei dem Marsch in neue Einsatzgebiete. U-35 wechselte ständig das Operationsgebiet. Arnauld: „Besonders hat sich die verstärkte Bewachung bemerkbar gemacht. Bei der starken Gegenwirkung besteht m.E. Aussicht auf einen Erfolg nur, wenn

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möglichst täglich noch vor dem Einsetzen von Gegenwirkung der Standort gewechselt wird.“30

Besatzung U-35 Nach Malta lief er die tunesische Küste entlang, steuerte dann Kurs auf Sardinien und Marseille, schlug einen Haken zu den Balearen, kehrte zurück zur französischen Riviera, fuhr Richtung Genua und von dort an der Ostküste Korsikas vorbei mit Südkurs Richtung Malta, bevor er die Otranto-Straße ansteuerte und am Abend des 20. August nach 25tägiger Fahrt wieder in Cattaro einlief. Das Wetter während der gesamten Reise war stabil, es herrschte meist Windstille, die See war ruhig und die Sichtigkeit hervorragend. Arnaulds Einsatztaktik war von äußerster Vorsicht geprägt. Er begann seine Angriffe aus großer Entfernung mit Warnschüssen aus dem Bordgeschütz. Bei zu heftiger Gegenwehr bewaffneter Dampfer brach er das Gefecht kurzerhand ab und tauchte weg. Passagierdampfer und Lazarettschiffe ließ er unbehelligt. Hatte er ein Schiff zum Beidrehen gebracht, gab er Signal, die Schiffspapiere per Beiboot zum Uboot herüberzubringen. Arnauld nahm sich die Zeit, das Schiff und seine Ladung anhand der Dokumente in Ruhe 30

KTB U-35, NARA, PG 61579 (BA-MA, RM 97/766).

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an Bord von U-35 zu identifizieren. Währenddessen hielt er den Frachter notfalls per Warnschuß auf Distanz, um nicht Opfer eines Rammstoßes zu werden. Alliierte Schiffe wurden grundsätzlich versenkt, bei neutralen wurde der Ubootkommandant zum Staatsanwalt und Richter zugleich. Bestand eine für den Feind bestimmte Ladung z.B. aus Holz, mußte er entscheiden, ob es sich um Baumstämme (Konterbande-frei) oder fertig zugeschnittene Grubenstempel (Konterbande) oder um Bretter zur Herstellung von Kisten handelte – sollten sie zu Munitions- oder Obstkisten verarbeitet werden? Entschloß sich Arnauld zur Versenkung eines neutralen Schiffes wegen Konterbande, so stellte er dem Handelsschiffkapitän einen „Versenkungsschein“ aus, der die Umstände und die Gründe erläuterte. Mit dieser „Urkunde“ konnten die Eigentümer von Schiff und Ladung vor einem deutschen Seerecht-Gerichtshof, dem „Prisengericht“, die Entscheidung anfechten und auf Entschädigung klagen. Und nicht selten hatte dies Erfolg - es gab noch Richter in Preußen-Deutschland. Solange es das Eigentumsrecht Neutraler betraf, ging im Kriege alles seinen kapitalistischen Gang. Vor der Versenkung gab Arnauld der Schiffsbesatzung 20 Minuten Zeit, mit ihren Habseligkeiten in die Rettungsboote zu gehen. Dann schoß er aus dem Deckgeschütz „Luftlöcher“ unter die Wasserlinie des Frachters, oder schickte ein Kommando im Beiboot von U-35 an Bord, daß das Schiff durch Öffnen der Bodenventile oder durch Sprengpatronen versenkte oder im Fall von hölzernen Segelschiffen einfach in Brand steckte. Das Übersetzen an Bord der zu versenkenden Schiffe hatte zudem noch einen besonderen Grund. Die von der deutschen Propaganda als „Ritter der Tiefe“ verklärten Ubootmänner mußten sich an Bord recht fade von Brot, Tee, Marmelade und Büchsenfleisch ernähren. Room 40 beschrieb dies aus Kriegsgefangenenaussagen: „Es gab drei tägliche Mahlzeiten: morgens Kaffee und Marmelade; mittags Suppe mit Fleisch oder Speck, Büchsennahrung oder Gemüse, dazu Kartoffeln;

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abends Tee und Marmelade.”31 Zur Hebung der Laune ließen viele Kapitäne zu Beginn eines Einsatzes erst ein Plünderungskommando an Bord eines der zu versenkenden Schiffes gehen, um die karge Bordküche aufzufrischen und die Moral der Besatzung zu heben. Room 40: „Die Kriegsgefangenen gaben zu, daß sie glücklich über die zusätzlichen Rationen von Bord der zu versenkenden Schiffe waren.”32 Im Falle beraubter neutraler Schiffe führte dies des Öfteren zu diplomatischen Geplänkeln, ließ sich aber während des gesamten Krieges nie abstellen. Ubootabwehr Auf seiner 25-tägigen Reise sichtete Arnauld ein Dutzend Mal feindliche Kriegsschiffe, denen er sofort über Wasser ausweichen konnte. Zweimal mußte er vor Flugzeugen tauchen, dreimal wurde sein Uboot von feindlichen Kriegsschiffen verfolgt und mit Artillerie oder Wasserbomben angegriffen. Die gefährlichste Situation ergab sich am frühen Vormittag des 15. August, als ein gestoppter Dampfer auf 6.000 m aus getarnten Geschützen das Feuer eröffnete. Arnauld ging sofort auf Tiefe: „Während des Tauchmanövers kann ich durch das Turmfenster verfolgen, wie die Aufschläge immer näher kommen bis auf 50 m vom Boot. Als das Boote eben auf 9 m [Tiefe] ist, höre ich die Aufschläge direkt am Turm. Boot kommt glücklich herunter, ist unbeschädigt.“33 Gegen Ubootfallen half nur äußerste Vorsicht und großer Abstand. Fazit Am Abend des 20. August lief U-35 nach 25-tägiger Reise wieder in Cattaro ein. Arnauld hatte 4.407 sm über und 241 sm unter Wasser zurückgelegt und 5 Torpedos (davon 2 Fehlschüsse), 389 Schuß Muni-

TNA, ADM 137/3897, Examination of the Crew of UC-61, sunk 26 July 1917. Ibid. 33 KTB U-35, NARA, PG 61579 (BA-MA, RM 97/766). 31 32

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tion und 3 Signalpatronen verschossen und damit 54 Schiffe mit über 90.000 BRT versenkt. U-35 selber hatte keinerlei Mannschaftsverluste oder Beschädigungen zu beklagen, die Schiffsmaschinen und Bordwaffen arbeiteten zuverlässig, lediglich Funkgerät und Bordkompaß fielen gelegentlich aus. Auf Feindseite hatte es einen Toten bei einem Artillerieduell mit einem bewaffneten englischen Dampfer gegeben. Arnaulds „Mittelmeer-Verfahren“ war taktisch erfolgreich und konform mit den Kreuzerkriegsregeln, der warnungslose Torpedoangriff auf armierte Frachtschiffe wurde von Wilson stillschweigend toleriert, da die Bewaffnung von Handelsschiffen außerhalb des geltenden Seerechts stand. Die richtige Mischung aus Vorsicht und Angriffsfreudigkeit beim Kommandanten, ein zuverlässiges Boot mit eingespielter Besatzung, gutes Wetter, lange Aufenthaltszeiten im Operationsgebiet und eine schwache und zersplitterte Feindabwehr machten den Erfolg der Mittelmeer-Boote aus. Während des uneingeschränkten Ubootkrieges von Februar bis April 1916 sowie ab Herbst 1916 stieg der Anteil der warnungslos versenkten Tonnage drastisch, da der Admiralstab nachdrücklich das Torpedieren von bewaffneten feindlichen Handelsschiffen befahl.34 Je intensiver der Torpedogebrauch und je höher der Anteil der warnungslos versenkten Tonnage war, desto geringer fiel der Versenkungsdurchschnitt pro Uboot und Tag in See aus, wie man es aus der folgenden Graphik für den März und November 1916 deutlich ersehen kann.

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BA-MA, RM 47/771 Bl. 211-214, 28. September 1916 [Granier, Bd. IV, Nr. 617, S. 74ff.].

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Versenkungsergebnisse der Uboote im Mittelmeer35 Die stark schwankenden täglichen Versenkungsquoten pro Boot in See ergaben sich auch durch einen Zufallsmix von Faktoren wie dem Wetter, der feindlichen Verkehrsdichte, der gegnerischen Abwehr, dem jeweils eingesetzten Ubootkommandanten und dessen Jagdglück. Im gesamten Jahr 1916 versenkten die Uboote im Mittelmeer über 380 Schiffe mit 923.000 BRT. Bei den 84 Ubooteinsätzen dieses Jahres gingen 3 Boote durch Minen verloren, kein einziges wurde durch feindliche Kriegsschiffe vernichtet. Auf ein verloren gegangenes Uboot kamen über 300.000 BRT versenkter Handelstonnage. Während das Mittelmeer in den ersten Kriegsjahren ein idealer Jagdgrund für die Uboote war, sah es in den schwerbewachten, flachen Gewässern des Ärmelkanals ganz anders aus.

Berechnungen des Autors basierend auf: TNA, HW 7/1, 2 and 3; Spindler, Handelskrieg; Bendert, UB- und UC-Boote, TNA, ADM 1/8509/1, ADM 137/3921, 4814, und 4817. 35

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Flandern und der englische Kanal - Mission impossible36

Im Frühjahr 1915 wurden in den belgischen Häfen Brügge, Zeebrugge und Ostende 2 Dutzend Küsten-Uboote der UB-I und UC-I Klasse stationiert. Diese 250 Tonnen-Boote mit 15 Mann Besatzung hatten keine Geschützbewaffnung, sondern waren mit Torpedos und Minen ausgerüstet. Sie standen wöchentlich 2-3 Tage in See und dienten der Küstenvorfeldverteidigung. Im Handelskrieg spielten diese Küsten-Uboote nur eine unbedeutende Rolle in den Gewässern zwischen Holland und England. Die Kaiserliche Marine hatte sich an der Küste des besetzen Belgiens stark exponiert. Es gab Stellungen schwerer Artillerie, Marineinfanterie, Marinejagdflieger und Seeaufklärer, Torpedoboote, Zerstörer und die Uboote. Dieses „Marine-Korps Flandern“ wurde von Admiral Ludwig von Schröder kommandiert und unterstand dem Reichsmarineamt unter Großadmiral von Tirpitz (bis März 1916), später Admiral von Capelle.

Wenn nicht anders gekennzeichnet: TNA, HW 7/1, Chapter IX [Koerver, Room 40, Band 1, S. 159ff.]. 36

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UB-I Küsten-Uboot Ubootstützpunkt war die im Hinterland gelegene malerische Stadt Brügge, von der aus die Boote über Kanäle zu den Einsatzhäfen gelangten. Wegen häufiger Beschießung durch die Royal Navy wurden dort die ersten Ubootbunker errichtet.

Deutscher Ubootbunker im Hafen von Brügge Im Frühjahr 1916 erreichten die ersten hochseefähigen Boote der neuen UC-II und UB-II Klassen Flandern, die 10 bis 14 Tage in See stehen und damit auch im Kanal bis zur Irischen Südküste oder in der Biskaya operieren konnten.

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Ihre strategische Aufgabe war die Störung der alliierten Truppen- und Munitionstransporte im Englischen Kanal, was aber aufgrund der intensiven Abwehr auch nicht ansatzweise gelang. Die Truppen- und Nachschubtransporter wurden von Torpedobooten und Zerstörern geleitet und die Uboote mußten ständig vor patrouillierenden Kriegsschiffen alarmtauchen, dazu kamen häufige Schlechtwetterperioden und eine schwierige Navigation in flachen Küstengewässern bei starken Gezeitenströmen.

Ein UB-II Uboot läuft in den Hafen von Ostende ein. Dies alles führte zu hohen Verlusten. 60 der 77 während des Krieges nach Flandern verlegten Atlantik-Uboote der UC-II, UB-II und UB-III Klassen gingen im Einsatz verloren.37 Die Lebenserwartung eines Flandern-Ubootes betrug 10 Monate, was bereits den Einsatzbedingungen des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1943 entsprach. Bei den Ubootfahrern erhielt die Flandern-Flottille den Spitznamen „Absaufkommando“. 1916 betrugen die Verluste der Flandern-Uboote gerechnet auf die Versenkungserfolge schon das 4-fache der Mittelmeer-Uboote, und 1917 sollte dieser Faktor auf das 19-fache ansteigen. Der englische Kanal war das am stärksten gegen Uboote gesicherte Gebiet der Welt.

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Gröner, Kriegsschiffe.

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Das Waffensystem Uboot war eine asymmetrische Waffe – es wirkte verheerend gegenüber den langsameren Handelsschiffen auf offener See, war aber äußerst verwundbar durch feindliche Kriegsschiffe und Minen. Ein Angriff auf stark gesicherte feindliche Flottenverbände oder -Stützpunkte wäre Selbstmord gewesen, und auch gegnerische Handelshäfen konnte es angesichts der zahlreichen Patrouillenboote und gezielt gelegter Minensperren nicht blockieren. Nur in weiter entfernten, wenig gesicherten Einsatzgebieten – wie dem Mittelmeer oder dem offenen Atlantik – ließen sich größere Erfolge bei geringeren Verlusten erzielen.

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Die Ostsee - Britische Uboote und deutsche Konvois38

Die Ostsee war für die Kaiserliche Marine ein Nebenkriegsschauplatz. Die russische Flotte hatte sich hinter einen Minengürtel im Finnischen Meerbusen zurückgezogen und brach nur gelegentlich mit leichten Überwasserkräften daraus hervor. Die Analysten aus Room 40 bezeichneten den Ostsee-Kriegsschauplatz als den „Schrottplatz der deutschen Flotte“. Die deutsche OstseeFlotte bestand aus alten Kreuzern und Torpedobooten sowie einer Handvoll Ubooten für militärische Einsätze. Im August 1915 durchbrachen ein halbes Dutzend moderner britischer E-Klasse Uboote die deutschen Sperren am Ostsee-Eingang und verlegten in russische Basen im Finnischen Meerbusen. In den nächsten Monaten versenkten sie in der Ostsee mehrere deutsche Frachter mit schwedischem Erz an Bord nach den Regeln des Kreuzerkrieges.

Wenn nicht anders gekennzeichnet: TNA, HW 7/1, Chapter VII [Koerver, Room 40, Band 1, S. 106ff.]. 38

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Als endlich im Winter 1915/1916 die Ostsee zufror, hatten die Deutschen Zeit, ihre Abwehr zu reorganisieren. Die Patrouillen an den Ostsee-Zugängen wurden verstärkt, um das Eindringen weiterer britischer Uboote zu verhindern. Sie stellten Handelsschutz- und Ubootsuchflottillen aus hunderten kleinerer Hilfsschiffe zusammen, legten weiträumige Netz- und Minensperren, schickten Zeppeline und Flugzeuge auf Patrouille und rüsteten eine Handvoll Schiffe zu Ubootfallen aus. Als weitere Maßnahme organisierte die Kaiserliche Marine im März 1916 einen „Geleitdienst zum Schutz der Handels-Schiffahrt in der Ostsee“: „Die Handelsdampfer haben 3mal wöchentlich Gelegenheit auf den angegebenen Strecken unter Geleit von Kriegsfahrzeugen zu fahren.“39 Es war die Kaiserliche Marine, die im Ersten Weltkrieg als Erste das Konvoi-System für Handelsschiffe einführte. Das Verfahren war ein durchschlagender Erfolg, und die deutschen Reeder drängten sofort, diesen Dienst auf alle Strecken auszuweiten, in höherer Frequenz und mit mehr Geleitschiffen.40 Die britischen Uboote wurden durch die Konvois zur Wirkungslosigkeit im Handelskrieg verurteilt und beschränkten sich auf militärische Einsätze gegen deutsche Kriegsschiffe. Ein warnungsloser Einsatz britischer Uboote gegen die zum großen Teil neutrale Ostsee-Schiffahrt verbot sich für England von selbst: es war auf die dänischen, norwegischen und schwedischen Schiffe der Welthandelsflotte und die Ressourcen dieser Länder angewiesen und wagte nicht, über diese Frage einen Konflikt mit den skandinavischen Neutralen vom Zaun zu brechen. Und jenseits des Atlantiks wachte Wilson, der sich nicht nur gegenüber den Deutschen vehement für die Einhaltung der Seekriegsregeln aussprach. Ein rücksichtsloser britischer Ubootkrieg in der Ostsee zur Unterbrechung der lebenswichtigen deutschen Erzzufuhr wurde aus außenpolitischen Rücksichten fallengelassen.

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BA-MA, RM 5/5073. BA-MA, RM 5/5091.

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Die Deutschen hatten also selber die Medizin zu schmecken bekommen, die sie anderen zu verabreichen gedachten. Eine Handvoll Uboote band hunderte Schiffe und Tausende Soldaten. Der Wert des Konvois im Handelskrieg dürfte ihnen kaum entgangen sein.

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Die Hochseeflotte im Ubootstreik Scheer hatte Ende April 1916 den Uboothandelskrieg gegen die atlantischen Zufuhrwege Großbritanniens eingestellt. Weizsäcker: „Am 24ten [April] abends traf der Funkspruch ein, daß bis auf weiteres die UBoote vorläufig nur noch nach Prisenordnung Handelskrieg führen dürfen. Dieses letztere ist ohne zu große Gefährdung der U-Boote nicht möglich.“41 Die 15 von Februar bis Anfang Mai eingesetzten Uboote der Hochseeflotte hatten 69 Schiffe versenkt, davon lediglich 8 ohne Warnung mit Torpedo. Ein Uboot fiel einer Ubootfalle zum Opfer. Aus diesen Zahlen sprach weder eine „große Gefährdung der U-Boote“ noch die entscheidende Rolle des Torpedierens gegenüber dem Handelskrieg nach Prisenordnung. Weizsäcker weiter: „Die U-Boote werden daher von der Westküste zurückgerufen. Für die militärische Verwendung der U-Boote ist das ja ein Gewinn; wir können nun Flottenunternehmungen großzügig mit U-Booten unterstützen.“42 Die Hochseeflotte bereitete eine größere Aktion vor. Die unterlegene deutsche Schlachtschifflotte konnte nicht auf einen entscheidenden Sieg hoffen, aber sie brauchte zu ihrer weiteren Existenzberechtigung vorzeigbare Erfolge. Scheer benötigte die Uboote als Aufklärer und brach daher den Handelskrieg unter einem Vorwand ab. Eine Aufforderung zum Einsatz der Uboote nach Prisenordnung, wie im Mittelmeer, ignorierte Scheer. Admiral Müller, der Vertreter der Marine am Kaiserlichen Hof, am 27. April: “Im Mittelmeer hat sich ein Verfahren herausgebildet, das solchen Möglichkeiten vorbeugt (Ubootverlusten bei Prisenordnung). Das habe ich Scheer mitgeteilt, es ist wohl noch nicht durchgedrungen.”43

Hill, Weizsäcker Papiere, 24. April 1916, S. 202. Ibid. 43 BA-MA, RM 5/921, Bl. 172-173, Holtzendorff an Müller 27. April 1916 [Granier, Bd. III, Nr. 406, S. 290]. 41 42

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Die Hochseeflotte monierte, das „dieses Verfahren aber auch keineswegs ganz sicher [ist], das U-Boot exponiert sich auch dabei.“44 Scheer verweigerte den Einsatz seiner Kampfmittel wegen der Gefahr von Verlusten! Scheers Stabschef von Trotha bestritt in einer Sitzung mit dem Admiralstab am 7. Mai 1916, einen eingeschränkten Uboothandelskrieg im Norden führen zu können. Die Hochseeflotte betrachtete diese „Art Kriegsführung aussichtslos. Sie würde bei starkem Verschleiß an UBooten einen minimalen Ertrag liefern.“45 Er lehnte selbst einen vom Admiralstab geforderten Versuch ab. Auch eine Mahnung Holtzendorffs - „Seine Majestät würde verlangen, daß der U-Handelskrieg in irgendeiner Form weitergeführt würde“46 – konnte ihn nicht beeindrucken. Admiral Müller protestierte am 16. Mai beim Chef des Admiralstabes, Admiral Holtzendorff: „Vorläufig ruht also im Norden der U-Bootkrieg völlig. Das ist mehr als eine Blamage, das ist ein schwerer Fehler der Kriegsführung.”47 Scheer beharrte in einem Schreiben an Holtzendorff vom 17. Mai 1915 auf der Unmöglichkeit, die Uboote der Hochseeflotte nach Prisenordnung gemäß dem „Mittelmeer-Verfahren“ einsetzen zu können: „Ich habe die Überzeugung, daß der Einsatz der Uboote für die Handelskriegsführung nach dem vorgeschlagenen Verfahren in einem militärisch nicht zu rechtfertigenden Mißverhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg steht.“48 Er schob die zunehmende Bewaffnung der Handelsschiffe vor, die im Norden zu hohen Verlusten führen würden. Nur durch warnungsloses Torpedieren sei hier ein Ubootkrieg zu führen.

Hill, Weizsäcker Papiere, 7. April 1916, S. 200. Ibid., S. 203. 46 BA-MA, RM 47/771 Bl. 39-40, /6378 Bl. 171-174, 7. Mai 1916, Niederschrift von Trotha. [Granier, Bd. III, Nr. 410, S. 302ff.]. 47 Walter Görlitz (Hg.): Regierte der Kaiser? Kriegstagebücher, Aufzeichnungen und Briefe des Chefs des Marine-Kabinetts, Admiral Georg Alexandre von Müller 1914-1918, Göttingen 1959, 17. Mai 1916, S. 179. 48 BA-MA, RM 47/771 Bl. 39-40, /6378 Bl. 171-174, 7. Mai 1916, Niederschrift von Trotha. [Granier, Bd. III, Nr. 410, S. 302ff.]. 44 45

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Müller kritisierte das Bestehen Scheers auf einem rücksichtslosen Ubootkrieg am 21. Mai 1916 in einem Schreiben an die Hochseeflotte: „Meiner Ansicht nach sind die Erwartungen der Marine bezüglich der Wirkung des [uneingeschränkten] U-Bootkrieges ebenso sehr überspannt, wie von ihr die Wirkung eines Bruches mit Amerika unterschätzt wird.“49

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Görlitz, Müller-Tagebücher, 21. Mai 1916, S. 182f.

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