Kostenaspekte der elektronischen Gesundheitskarte - Fakultät für ...

und CDU/CSU, FDP) im Sommer 2003 auf das "Gesetz zur Modernisierung der ..... http://www.gesundheitskarte-rheinland-pfalz.de/modules.php?name= ...
258KB Größe 1 Downloads 48 Ansichten
Seminararbeit Verfasser:

Ulf Hecker (59293), [email protected]

Studiengang:

Informatik (Diplom)

Kostenaspekte der elektronischen Gesundheitskarte verfasst: August 2006

Veranstaltung:

Proseminar Informatik und Gesellschaft, Sommersemester 2006, Friedrich Schiller Universität Jena. Schwerpunktthema: Die elektronische Gesundheitskarte

Veranstalter:

Prof. Dr. Eberhard Zehendner, Institut für Informatik, Fakultät für Mathematik und Informatik, FSU Jena

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung

3

1.1 Die verantwortlichen Institutionen

3

1.2 Akteure

4

1.3 Handlungsgründe aus finanzieller Sicht

5

2. Finanzielle Potentiale der elektronischen Gesundheitskarte

6

2.1 Theoretische Einsparpotentiale

8

2.1.1 Krankenversicherungen

8

2.1.2 Apotheken

9

2.1.3 Verallgemeinerter volkswirtschaftlicher Nutzen

9

2.1.4 Fazit

10

2.2 Kostenträger der Reform

10

2.2.1 Ärzte

10

2.2.2 Patienten

12

2.3 Fazit

12

3. Das Projekt auf dem Weg zur Fertigstellung

13

3.1 Planungsfehler bei der Kostenerwartung

13

3.2 Auf dem Weg zur Endausbaustufe

15

3.3 Gegenüberstellung

16

2

1. Einleitung Im Zuge der Umsetzung der Agenda 2010 einigten sich Regierung und Opposition (SPD/Die Grünen und CDU/CSU, FDP) im Sommer 2003 auf das "Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung" (abgekürzt GKV-Modernisierungsgesetz, GMG), das im Allgemeinen auch einfach als Gesundheitsreform (2003) bezeichnet wird. Es wurde im Oktober 2003 im Bundesrat verabschiedet und ist seit 1. Januar 2004 in Kraft. Dieses Gesetz bildet auch die Grundlage zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in Deutschland, deren Erscheinungs- und Aushändigungstermin auf 1. Januar 2006 verbindlich festgesetzt ist, außerdem nennt es den technischen Funktionsumfang der Karte, sowie Umsetzungsprioritäten. Das deutsche Gesundheitssystem ist ein System mit hohen Informationsanforderungen. Die elektronische Gesundheitskarte soll als Schlüssel fungieren der alle Institutionen und Akteure des Gesundheitswesens informationstechnisch verbindet. Bei den Funktionen der neuen Karte wird dabei unterschieden zwischen dem Teil, der für jeden Versicherten verpflichtend ist (Pflichtteil) und jenem, dessen Nutzung freiwillig ist. Zum Pflichtteil gehören die Speicherung administrativer Daten und des elektronischen Rezeptes. Die Implementierung dieser Funktionen hat Priorität. Zusätzlich dazu bieten die Funktionen E-Patientenakte, Notfalldatensatz, Arzneimitteldokumentation, Patientenquittung, EArztbrief einen informationstechnischen Zugewinn, jedoch ist Ihre Nutzung durch den Karteninhaber momentan freiwillig. Angesichts der Anforderungen an Hardware, Infrastruktur, Planung und Investitionsvolumen in seiner Endausbaustufe wird dieses von der Bundesregierung angestrebte Projekt von Verantwortlichen und Experten gleichermaßen als eines der größten jemals realisierten IT-Projekte bezeichnet. Klares Ziel dieses monumentalen Telematik- und IuK- (Informations- und Kommunikations-) Projektes ist ein durch schnellen Austausch medizinischer, versicherungs- und verwaltungstechnischer Daten eintretender Effizienzgewinn. Planmäßig soll dies eine Kostenreduktion im finanziell belasteten Gesundheitswesen bewirken.

1.1 Die verantwortlichen Institutionen Der gesetzlichen Grundlage zur elektronischen Gesundheitskarte als Teil der Gesundheitsreform gingen einige wichtige grundlegende Entwicklungen voraus: Im Mai 2002 einigten sich die Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens auf den Ausbau der Telematik oder auch der Anwendungen von IuK-Technologien (Informations- und Kommunikations-Technologien) in Deutschland. Im März 2003 wurde zu diesem Zweck eine Projektgruppe im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) gegründet. Die Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens, d.h. die Verbände der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen und die Spitzenorganisationen der Ärzte,

3

Apotheken und Krankenhäuser stellten ein gemeinsames Gremium auf, das auch als ‚Selbstverwaltung’ bezeichnet wird. Im gleichen Monat folgte die Aufforderung des BMGS an diese Selbstverwaltung, den Plan einer kompletten Infrastrukturlösung für die elektronische Gesundheitskarte bis zum 01. Oktober 2004 vorzulegen. Im August des selben Jahres wurde ein Projekt ausgeschrieben, dessen Zuschlag ein Konsortium (BIT4Health – better IT for better health) unter der Leitung von IBM Deutschland erhielt. Zu diesem Konsortium gehören außerdem die Unternehmen SAP, InterComponentWare, Orga Kartensysteme und das Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO). Dieses Konsortium plant und erarbeitet die herstellerneutrale Rahmenarchitektur und Sicherheitsinfrastruktur für die elektronische Gesundheitskarte im Auftrag der Selbstverwaltung. Weitere begleitende Aktivitäten liegen z.B. in den Bereichen Projektmanagement und Akzeptanzbildung. Im Juni 2004 erklärte die Selbstverwaltung, dass sie die Umsetzungsverantwortung einschließlich der Finanzierung übernimmt. Die Selbstverwaltung unterzeichnete im Januar 2005 einen Gesellschaftsvertrag zur Etablierung der Betriebsordnung und tritt seither als GEMATIK GmbH auf. Eine stabile und nachhaltige Umsetzung des Projektes elektronische Gesundheitskarte sollte somit gewährleistet werden. Gesellschafter sind die oben genannten Spitzenorganisationen aus dem Gesundheitswesen. Im April 2005 wurde das Gesetz zur Organisationsstruktur der Telematik im Gesundheitswesen verabschiedet. Auf der Seite der Initiatoren und Verantwortlichen sind die Rollen nun klar definiert: Die Bundesregierung und im Speziellen das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung stellen ihre politischen Forderungen und setzen die gesetzlichen Rahmenbedingungen; die Selbstverwaltung Gematik GmbH erarbeitet unter Einigung aller beteiligten medizinischen Verbände die praktisch notwendigen Vorgaben für Betrieb, Integration und Nutzbarkeit; das BIT4Health Konsortium erarbeitet daraufhin Technik- und Sicherheitsinfrastruktur und alle notwendigen technologischen Lösungen für Hard- und Software gemäß den Vorgaben der Gematik.

1.2 Akteure Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte hat weitreichende soziale und gesellschaftliche Konsequenzen. Entworfen wurde sie, um kostspielige und zeitaufwändige Verwaltungsarbeiten zu rationalisieren, Geschäftsprozesse zu vereinfachen, zu beschleunigen oder gar überflüssig zu machen – letztlich aus der Notwendigkeit, Geld zu sparen. Um die Frage zu klären, welche finanziellen Konsequenzen sich durch die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ergeben, lohnt es sich, zuerst alle davon Betroffenen zu identifizieren.

4

Die neue elektronische Gesundheitskarte ersetzt die bisherige Versichertenkarte der gesetzlich Versicherten und wird auch von den privat Versicherten genutzt werden. Demzufolge hat das Projekt eGK (elektronische Gesundheitskarte) Auswirkungen auf ca. 80 Millionen deutsche Krankenversicherte. Hinzu kommen ca. 2200 Krankenhäuser, ca. 188.000 niedergelassene Ärzte, ca. 21.000 Apotheken und ca. 290 Krankenkassen für die die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte auch finanzielle Veränderungen mit sich bringti.

1.3 Handlungsgründe aus finanzieller Sicht Betrachtet man den sich abzeichnenden Umfang und die Komplexität des angestrebten Projektes, so stellt sich unweigerlich die Frage, welche Gründe für solch eine umfassende Neuerung sprechen. Es ist allgemein bekannt, dass das deutsche Gesundheitssystem in einer finanziellen Krise steckt. Indikatoren über dessen Ausmaß lassen sich beispielsweise aus der am 6.07.2004 vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten ‚Krankenkostenrechnung 2002’ erkennen. Demzufolge waren im Jahr 2002 die Krankenkosten Gesamtausgaben 223,6 Mrd. Euro sogar größer als die Steuereinnahmen des Bundes. Diese beliefen sich auf lediglich 192 Mrd. Euro. Den Krankenkosten des Jahres 2002 mit 223,6 Mrd. Euro stehen Einnahmen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen von insgesamt 160 Mrd. Euro gegenüberii. Seit 2004 erfolgte seitens des Bundesamtes für Statistik keine weitere statistische Erhebung zu diesem Thema. Jedoch ist zu erwarten, dass sich die finanzielle Situation keineswegs entspannt, sondern eher verschlechtert hat. Seitens der gesetzlichen Krankenkassen lässt sich durchaus von einer Kostenexplosion im Bereich Verwaltungskosten sprechen. Lag der durchschnittliche Verwaltungsaufwand pro Mitglied im Jahr 1992 bei jährlich 106 Euro, so stieg er zeitweilig auf über 161 Euro im Jahr 2003 und lag im Jahr 2005 bei 159,69 Euro (siehe Diagramm1)iii. 170 €

161,67 157

160,28

159,69

160 €

Gesetzl. Krankenkassen: jährliche Verwaltungskosten je Mitglied

143

150 € 135

140 €

129

130 € 118

120 € 110 € 1994

1996

1998

2000

2002

2003

2004

2005

Diagramm 1

Ebenso weisen Krankenkassen auf Grund steigender Kosten und rückläufiger Einnahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen keine ausgeglichenen Finanzergebnisse mehr auf. Für das erste Quartal 2006 sind 1,22 Mrd. Euro mehr ausgegeben worden, als an Einnahmen zur Verfügung standen. Ulla

5

Schmidt zufolge werde ein „weitgehend ausgeglichenes Finanzergebnis“ für 2006 nur noch durch einen Bundeszuschuss in Höhe von 4,2 Milliarden Euro sowie durch neue Maßnahmen zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben gewährleistet werden könneniv,v. Für das Jahr 2007 wird ein Defizit von 3,5 Mrd. Euro erwartet, intern ist sogar die Rede von bis zu 7 Mrd. Euro. Da die Aufrechterhaltung, Finanzierung und weitere Bezuschussung des Gesundheitssystems oft unvorhersehbare und in letzter Zeit hohe Kosten verursacht, ist auch die reibungslose Umsetzung der Gesundheitsreform gefährdet. Ohne Genaueres zu nennen, wird auch seitens des Gesundheitsministeriums angedeutet, dass hohe Betriebskosten zu Verzug im Zeitplan in vielen Teilen der Reform geführt haben. Dabei bleibt die Finanzierung einzelner Pakete der Gesundheitsreform weiter unklar, jedoch wird auch seitens Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eingeräumt, dass es außer Steuern kaum noch Finanzquellen zur Umsetzung der Reform gibt und dass sich die Ziele der Reform sowieso nur noch Stufenweise umsetzen lassenvi. Die Umsetzung der elektronischen Gesundheitskarte könnte hierzu gezählt werden, denn auch sie liegt in ihrer Entwicklung und Umsetzung weit im Zeitplan zurück. Finanzielle Belastung für die Krankenkassen stellen ebenfalls die auf Grund in einer Zeit steigender Zuzahlungen und Beiträge für Versicherte und geringer werdender Vergütungen und Zuschüsse für Kassenärzte immer häufiger auftretenden Betrugsfälle dar. Dabei spielt neben dem klassischen Abrechungsbetrug von Kassenärzten für nicht erbrachte Leistungenvii auch der Chipkartenbetrug zum Erschleichen medizinischer Leistungen ohne Berechtigung eine größer werdende Rolleviii. So lassen sich mittlerweile auch Privatpatienten mit fremden Versichertenkarten auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen behandeln. Hintergrund davon ist, dass viele Privatversicherte am Jahresende eine Beitragsrückzahlung ihrer privaten Krankenversicherung erwarten können, wenn sie keine oder nur geringe Leistungen ihrer Versicherung in Anspruch genommen haben. Mit Versichertenkarten des bisherigen Typs lässt sich Derartiges kaum verhindern. Eine Überprüfung der Identität des Kartenträgers findet in den Arztpraxen so gut wie nie statt. Die bisherigen Chipkarten verfügen weder über leicht überprüfbare Identitätsmerkmale wie beispielsweise ein Passfoto noch lassen sich als missbraucht erkannte Versichertenkarten durch die Krankenkassen elektronisch sperren. So kommt es, dass Betrugsfälle selten oder so gut wie nie aufgedeckt werden und gebrauchte oder gefälschte Gesundheitskarten auf dem Schwarzmarkt für ca. 200 Euro gehandelt werden. Den Krankenkassen allein entsteht durch Chipkartenbetrug ein Schaden von 800 Mio. bis 2 Mrd. Euroix.

2. Finanzielle Potentiale der elektronischen Gesundheitskarte Die Erwartungen der Politik an die elektronische Gesundheitskarte sind hoch. Wichtig sind hier in erster Linie messbare Einsparungen, die finanzielle Lage ist angespannt, der Druck von Außen groß. Verschiedenste Analysen, Dossiers und Papiere versuchten und versuchen noch immer, den komplexen Umfang und die weitreichenden finanziellen Konsequenzen in fassbare Zahlen zu verwandeln. Daher gehen die Schätzungen verschiedener Institute und Organisationen oftmals weit

6

auseinander. Zu viele noch ungeklärte, wichtige Fragen gilt es zuvor zu beantworten, zu sehr ist der Zeitplan in Verzug, nicht eingehalten worden, durcheinander geraten. Auch gilt es zu verstehen, dass die Telematikplattform der elektronischen Gesundheitskarte verschiedene Ausbaustufen besitzt, die jeweils verschiedene Einsparpotentiale bieten. Dabei müssen von der Politik aufgegriffene Zahlen zum Thema Einsparung letztlich genauer hinterfragt werden, denn allzu gern zitiert man theoretisch mögliche Einsparungen der elektronischen Gesundheitskarte aus Dossiers dessen Kalkulationen auf Grund aktueller Änderungen längst veraltet sind, zitiert Einsparungen, die mit Ausbauphasen möglich sein werden, deren Umsetzung aber noch in weiter Ferne liegt. Mit Einführung der elektronischen Gesundheitskarte sind zuerst nur die Basisanwendungen gesichert. Diese sind, wie anfangs erwähnt, die Speicherung administrativer Daten und die des elektronischen Rezeptes. Nach heutigem Stand ist anzunehmen, dass die Umsetzung der Telematik - Infrastruktur schrittweise über einen längeren Zeitraum erfolgen wird. Nachfolgende Schätzungen beziehen sich jedoch auf die vollständige Ausbaustufe der elektronischen Gesundheitskarte und sind deshalb zu relativieren. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt beispielsweise plante im März 2004 mit einem Einsparpotenzial von einer Milliarde Euro für das erste Jahr durch die für 2006 geplante Einführung der elektronischen Gesundheitskarte mit voller Ausbaustufe. Die Kosten von schätzungsweise 700 Millionen bis einer Milliarde Euro für die Entwicklung und Einführung der Karte sollten sich spätestens nach zwei Jahren amortisierenx. Im Vergleich dazu berichten andere Quellen nur wenig später, im Juni 2004, bereits von Einführungskosten von 1,5 Mrd. bis 1,7 Mrd. Euro. An dieser Stelle fällt die sehr kurz gesetzte Zeit zur Amortisierung auf. Hier wird unter Anderem deutlich, wie knapp und ‚wackelig’ die Finanzierung der elektronischen Gesundheitskarte kalkuliert ist; eine sich schnell amortisierende Investition ist der einzige Weg, eine derart große finanzielle Ausgabe ohne erhebliche Beitragssteigerungen durchzuführen – und sie stellt realistisch betrachtet wohl eher ein Wunschdenken dar. Wird das Projekt teurer und / oder sinken die prognostizierten Einsparungen, verzögert sich die Amortisierung erheblich. Ohne alternativen finanzierungsplan würden als direkte Folge die Krankenversicherungsbeiträge um mindestens 0,7% allein im ersten Jahr (2006) ansteigen und der Traum von kostensenkender Telematik schnell in einem politischen und volkswirtschaftlichen Fiasko endenxi,xii. Zum Vergleich: Einem Planungspapier von IBM und ORGA Kartensysteme zufolge liegen die Einsparungen durch die Nutzung aller Funktionalitäten der elektronischen Gesundheitskarte im ersten Jahr bei lediglich 516,5 Mio. Euro jährlichxiii. Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information mit Vorarbeit durch den Analysten Debold & Lux berichtet in ihrem Papier ‚Materialien und Empfehlungen für eine nationale Telematikplattform‘ aus dem Jahr 2002, dass man durch die Pflichtanwendungen der elektronischen Gesundheitskarte, das entspricht der ersten Ausbaustufe, mindestens 450 Mio. Euro pro Jahr sparen könne.

7

Es fallen deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Analysten hinsichtlich der Gewinnerwartungen der elektronischen Gesundheitskarte auf. Zum einen liegt das an unterschiedlichen Grund- und Kostenannahmen, sowie auch am Fortschreiten des Projektes selber – plötzliche Änderungen, Kopf – durch – die – Wand – Methoden, zu spät geklärte grundlegende Fragen und fehlende praktische Erprobung machen Vorab - Kalkulationen schwer und erfordern auch das Rechnen mit nicht gefestigten Annahmen. Dies sorgt auch für verständliche Kritik bei verschiedensten ärztlichen Vereinigungen, Lobbyisten und Politkern der Opposition: die Kosten – Nutzenrechnung sei unseriös kalkuliert, erfolgte erst nach der Definition und Planung des Projektes durch den Gesetzgeberxiv,xv,xvi.

2.1 Theoretische Einsparpotentiale Unter Berücksichtigung und Nutzung der Ergebnisse vorhandener Kalkulationen lassen sich grundlegende Sparpotentiale für die durch die elektronische Gesundheitskarte verbunden Akteure erkennen. Die meisten der Kalkulationen beziehen sich hierbei wieder auf die Endausbaustufe der elektronischen Gesundheitskarte. 2.1.1 Krankenversicherungen Einer Studie des DIMDI (Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information) zufolge sollen dadurch, dass der enorme administrative Aufwand, der mit den herkömmlichen Papierrezepten einher geht, durch ein elektronisches Rezept wegfällt, im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) jährlich 135 Millionen Euro gespart werden. Dazu kommen insgesamt 285 Millionen Euro pro Jahr, die die Versicherungen sparen, weil sie in dem geplanten Onlinesystem die Versichertenkarten via Netzwerk aktualisieren können und nicht mehr, wie jetzt die reinen Speicherkarten, ganz austauschen müssen. Auch die zusätzlichen Einnahmen durch die zeitnahe Online-Aktualisierung des Zuzahlungsstatus sind in diesen 285 Millionen Euro enthaltenxvii,xviii. Der Projektdokumentation von IBM und ORGA Kartensysteme kann man noch eine genauere Aufschlüsselung und relative Gewichtung einzelner Sparpotentiale entnehmen: Für die gesetzlichen Krankenversicherungen werden Einsparungen im Zuzahlungsmanagement von jährlich ca. 150 Mio Euro, bei der Rezeptprüfung (Retaxierung) von jährlich ca. 75 Mio. Euro und bei der Leistungsinanspruchnahmeprüfung von jährlich ca. 63 Mio. Euro genannt. Für die privaten Krankenversicherungen werden Einsparungen von jährlich ca. 30 Mio. Euro bei der Leistungsinanspruchnahmeprüfung genannt.

8

2.1.2 Apotheken Bisherige Rezepte und Verordnungen ziehen einen mehrstufigen Kommunikationsprozess (ArztPatient-Apotheke-Apothekenrechenzentrum-Krankenkassenrechenzentrum-Krankenkasse) nach sich. Dabei kommt es zu einem Medienbruch (Papier, Datensatz), denn die Apotheken sind verpflichtet, digitalisierte Rezeptdaten an die Krankenkassen zu liefern. Meistens übernehmen Apothekenrechenzentren gegen Gebühr diese Aufgabe. Nach IBM und ORGA können Apotheken mit dem e-Rezept nun die Gebühren an die Apothekenrechenzentren von ca. 38 Mio. Euro jährlich sparen. Dem Kartenhersteller Gieseke & Devrient zufolgeix führt die Abschaffung sogenannter „Media Breaks“ durch vollständig elektronische Abarbeitung zum Wegfall der Scankosten zur Digitalisierung von Papierrezepten und spart den Apotheken sogar ca. 180 Mio. € jährlich. Festzuhalten bleibt, dass mit dem e-Rezept für die Krankenkassen, nicht aber für Apotheken oder Ärzte Rationalisierungsvorteile entstehen, demzufolge liegen die größten Einsparungen in diesem Fall bei den Krankenkassen. 2.1.3 Verallgemeinerter volkswirtschaftlicher Nutzen Eine reibungslose, vielseitige, sichere und zuverlässige Telematikanwendung, als welche die elektronische Gesundheitskarte geplant ist, kann sich durch eine Vielzahl positiver Synergieeffekte, Sparpotentiale, Optimierungspotentiale etc. positiv auf die gesamte Volkswirtschaft auswirken; sie soll außerdem Lebensqualität und medizinische Versorgung vereinfachen, verbessern, individueller gestalten. Viele der von ihr verursachten Effekte sind nur schwer zu beziffern oder einzuschätzen, aus verschiedenen Quellen (beispielsweise Gieseke & Devrient) jedoch kann man zusammentragen, dass sich beispielsweise der Chipkartenbetrug erheblich reduzieren wird, der den Gesundheitshaushalt mit geschätzten 800 Mio. bis 2 Mrd. Euro jährlich belastet. Auch geht man von einer erheblichen Senkung von Behandlungskosten auf Grund von Medikamenten - Unverträglichkeiten und – Wechselwirkungen aus, vor denen das neue System automatisch warnen wird. Hier entsteht jährlich ein volkswirtschaftlicher Schaden, der mit rund 500 Mio. Euro beziffert wird. Die Vermeidung von Doppeluntersuchungen, die Reduzierung von Behandlungskosten durch Früherkennung und das Entstehen von Synergien durch Vernetzung und Integration stellen den eigentlichen Nutzen und Sinn der elektronischen Gesundheitskarte dar. Dieser kann aber nur bei Erreichen der Endausbaustufe, nahtloser informationstechnischer Integration aller Akteure und breiter Akzeptanzbildung zu diesem neuen Medium geschehen. Im Idealfall stellt dies ohne Zweifel einen milliardenschweren Hauptteil aller möglichen Einsparpotentiale dar, der sich heute noch nicht konkret beziffern lässt, da in diesem Bereich absolutes Neuland betreten wird.

9

2.1.4 Fazit Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass für die Krankenkassen mit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte erhebliche finanzielle Entlastungen verbunden sind. Auch Apotheken können vom neuen System profitieren, wenn auch nicht im gleichen Maße. Das Erreichen der Endausbaustufe, wie es einst im Planungskonzept festgelegt wurde bietet eindeutig große Chancen zur Verbesserung der finanziellen Situation des Gesundheitswesens.

2.2 Kostenträger der Reform Es fällt auf, dass bis jetzt noch nicht alle anfangs identifizierten Akteure behandelt worden sind. Aussagen für Ärzte und Patienten stehen noch aus. Bei allen betrachteten Planungspapieren zum Thema elektronische Gesundheitskarte, auch jenen, die verantwortliche Politiker als Beschluss- und Rechtfertigungsgrundlage benutzen, tauchen Ärzte und Patienten und deren Interessen allenfalls passiv auf. Infolgedessen sind es die Ärzte selbst, die, mit den da kommenden Neuerungen konfrontiert, auf eine Vielzahl von unbedachten Problemen für sich und ihre Patienten und auf möglicherweise gravierende finanziellen Schwierigkeiten hinweisen. Das ist insofern kritisch, als dass es zur erfolgreichen Durchsetzung des Projekts eben genau die breite Zustimmung und Akzeptanz der Gruppe Ärzte (und Patienten) braucht. Von ihnen hängt es letztlich ab, ob sich diese Neuerung durchsetzen kann oder auf Grund schlechten Rufs, Impraktikabilität, mangelnder Vorteile oder gar gravierender Nachteile durch Boykott und Ablehnung scheitert. Insofern ist es berechtigt, den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft an dieser Stelle erhebliche Kurzsichtigkeit vorzuwerfen. 2.2.1 Ärzte Die Schaffung einer neuen, bundesweiten, vernetzten informationstechnischen Struktur geht in der Regel mit Anfangsinvestitionen einher. Dies betrifft besonders die medizinischen Leistungserbringer, denn für sie wird die elektronische Gesundheitskarte und Ihre Schnittstellen praktisches Handwerkszeug sein. Von den 124000 in Deutschland ansässigen Arzt- und Psychotherapeutenpraxen arbeiten nur 96000 mit EDV; für viele kleinere und Kleinst - Praxen war der Investitionsaufwand gemessen am Nutzen bisher zu groß. Nur rund 75 bis 80 Prozent der verbleibenden 96000 Praxen, die heute elektronisch abrechnen, haben ausbaufähige Systeme, die dem System der elektronischen Gesundheitskarte gewachsen sind. Somit folgt, dass sich rund 40000 Vertragsärzte in Deutschland komplett neue EDV zulegen müssenxix. Schätzungen zu folge betragen die Investitionen für eine Neuanschaffung, die den Spezifikationen der elektronischen Gesundheitskarte genügt ca. 10000 €. Für die verbleibende Gruppe mit ausreichenden EDV-Systemen spricht man von Investitionen von 2000 bis 3000 Euro pro Praxis.

10

In jedem Fall werden die Betriebskosten des neuen Systems je Praxis und Jahr auf ca. 1000 Euro geschätzt. Das Investitionsvolumen, das alle angeschlossenen Praxen zur Erstanschaffung zu tagen haben beläuft sich auf insgesamt 855 Mio. Euro. Die Aufwendungen werden im Einzelnen notwendig für die Anpassung der Praxisverwaltungssysteme, für neue multifunktionale eHBA- und eGK-taugliche Chipkarten-Terminals, für den so genannten Konnektor - eine Hard- und/oder Softwarelösung, die die Arztsoftware mit der Telematikplattform verbindet und die die Grundfunktionalitäten Verschlüsselung, Authentifizierung und elektronische Signatur unterstützt - , für die VPN (Virtual Private Network) - Box, die die sichere Einwahl in das geschützte Telematiknetz gewährleistet und für monatliche Gebühren für Wartung und OnlineDienste. Hinzu kommen noch die Kosten für die Anschaffung des elektronischen Heilberufs- und des Institutionsausweises, für die organisatorische Umstellung der Arbeitsabläufe und für Schulungen des Personals etwa im Hinblick auf neue Datensicherheitskonzeptexx,xxi. Diese Sachverhalte sind nicht in offiziellen Planungspapieren zu finden, es handelt sich um Probleme, die bisher von offizieller Seite nur wenig Beachtung gefunden haben. Die Politik ging stillschweigend davon aus, dass diese Kosten weitestgehend von den Ärzten getragen werden. Um nicht durch eine zu hohe Unattraktivität der elektronischen Gesundheitskarte deren Einführung zu gefährden, gibt es auch Modelle zur Rückvergütung und Attraktivitätssteigerung: Die Krankenkassen beispielsweise schlagen deswegen einen Bonusplan vor, der die Anschaffungskosten der eGK-spezifischen Architektur (Chipkarten-Terminals und bit4health-connector) langfristig (über 10 Jahre) abdeckt, nicht jedoch notwendige neue EDV-Systemexxii. Die Analysten von Soreon Research empfehlen darüber hinaus: „Damit die eGK überhaupt in großem Maßstab benutzt wird, müssen vor allem Anreize für die Ärzte geschaffen werden. Soreon schlägt einen Rezeptbonus vor. Er soll ‚für eine durchschnittlich große Arztpraxis mit ca. 1100 Patienten im ersten Jahr 0,65 Euro betragen, in den Folgejahren dagegen nur noch 0,10 Euro. Eine kleinere Praxis mit lediglich 500 Patienten sollte dagegen im ersten Jahr 1,10 Euro und in den Folgejahren 0,20 Euro je eRezept erhalten.’ Bei der durchschnittlich großen Arztpraxis würden so im ersten Jahr 200 Euro zusätzlich eingenommen werden, in den Folgejahren 130 Euro.“xxiii Letztlich bleibt zu bemerken, dass trotz der Bemühungen zur teilweisen finanziellen Kompensation die Ärzte auf einem Großteil ihrer Kosten für neu angeschaffte EDV im Rahmen der elektronischen Gesundheitskarte sitzen bleiben. Nach den aktuellen Plänen amortisieren sich die anzuschaffenden Geräte wie der BIT4health – Connector oder die Kartenterminals nur sehr langsam, was mancherorts zu besorgniserregenden, bisweilen groteskten Konsequenzen führt: Viele ältere Praxisärzte sind nicht gewillt, in eine Aufrüstung ihrer EDV zu investieren, wenn sich die Kosten für sie nicht mehr amortisieren. Im Osten Deutschlands ist jeder dritte Hausarzt beispielsweise über 60 Jahre alt. Aus einer diesbezüglichen Meinungsumfrage geht hervor, dass viele Hausärzte erwägen, deshalb lieber in den Ruhestand zu gehenxxiv.

11

2.2.2 Patienten Nicht nur die Ärzte werden finanzielle Bürden tragen müssen. Einer Empfehlung der Soreon Reseach Group aus dem Jahr 2004 an die Verantwortlichen der elektronischen Gesundheitskarte zufolge sei es sinnvoll, während man die Ärzte teilweise finanziell für ihre Mehraufwendungen entschädigt „bei den Versicherten eine Kartengebühr von 5 Euro pro Quartal zu erheben. Diese Gebühr sollte nach den Empfehlungen der Studie über die ersten drei Jahre nicht erhoben werden, um die Einführung der Gesundheitskarte nicht zu gefährden.xxv“ Im Umgang mit der elektronischen Gesundheitskarte und Ihrer Anwendungen in der entgültigen Ausbaustufe wird auch die Verwendung von User – Zertifikaten notwendig. Diese müssen von Trust – Centern generiert werden. Ihre Verwendung ist immer dann notwendig, wenn der Karteninhaber Zugriff auf sensible Daten authentifizieren soll und gegebenenfalls mit seiner digitalen Signatur eine Willenserklärung abgibt. Für die Zertifikatserstellung wird mit Kosten von jährlich 10 Euro gerechnetxxvi. Pro digitaler Signatur ist eine Gebühr von je 1 Euro realistisch. Deutlich erkennbar wird auch hier die Tatsache, dass auch der Patient einen kleinen Teil der Kosten des neuen Systems mittragen werden muss, sei es nun Betriebkosten deklariert als Grundgebühr für die elektronische Gesundheitskarte oder Ähnliches. Genaueres steht zum heutigen Zeitpunkt leider noch nicht fest. 2.3 Fazit Gesamt betrachtet kann man - unter der Vorraussetzung einer vollständigen und erfolgreichen Umsetzung - das Sparpotential der neuen elektronischen Gesundheitskarte als durchaus hoch einstufen. Auffällig bleibt, dass die direkten und sofortigen Einsparungsmöglichkeiten im wesentlichen die Krankenkassen betreffen, währenddessen die eigentlichen positiven Resultate für Karteninhaber und Ärzte eine vollständige Umsetzung des Projektes erfordern und demzufolge in absehbarer Zeit nicht eintreten. Im Gegenteil sind Ärzte und im geringeren Maße auch Patienten nach augenblicklichen Stand aus finanzieller Sicht die Leidtragenden. Hierin liegt auch ein wichtiger Kritikpunkt, denn wie bereits erwähnt steht und fällt die elektronische Gesundheitskarte mit der breiten Akzeptanz ihrer Nutzer. Diese haben aber die wenigsten Anreize, müssen am längsten auf positive Auswirkungen warten und müssen außerdem nicht unerhebliche Teile der zukünftig entstehenden Kosten tragen, die aus heutiger Sicht teilweise noch gar nicht genau beziffert werden können.

12

3. Das Projekt auf dem Weg zur Fertigstellung Der in ehrgeizigen Planungspapieren genannte und auch von der Politik immer wieder gebrauchte Termin zur flächendeckenden Einführung der elektronischen Gesundheitskarte war der 1. Januar 2006. Zum Zeitpunkt dieser Ausarbeitung steht eine flächendeckende Einführung jedoch in weiter Ferne. Bei Recherchen zur Frage der Verzögerung stößt man auf Äußerungen wie: "Ich bin froh, dass ich nichts mehr mit der Gesundheitskarte zu tun habe". Dies sagte beispielweise ein Ex-Manager des Computerkonzerns IBM, der den technischen Rahmen der Karte im Projektierungskonsortium Bit4health mitabgesteckt hatxxvii; oder auf Nachrichten vom 27. September 2005 wie: ‚Die Ersatzvornahmemöglichkeit durch Rechtsverordnung mit vorgeschaltetem Weisungsrecht durch das Bundesministerium für Gesundheit und soziales wird angekündigt (...). Die Gesellschafter der Gematik haben nun keine Möglichkeit mehr, Beschlüsse für die Ausgestaltung des IT-Projektes zu fällen. Das ist die Konsequenz aus der Tatsache, dass es den Gesellschaftern der Projektgesellschaft Gematik nicht gelungen ist, Beschlüsse mit der notwendigen Mehrheit von 67 Prozent zu fällenxxviii’. Diese und ähnliche Mitteilungen lassen erahnen, in welchem Ausmaß die Verantwortlichen unter Anderem mit Interessenskonflikten zu kämpfen haben. Das Projekt elektronische Gesundheitskarte muss hierbei die Interessen verschiedenster Interessensgruppen berücksichtigen, wobei Kompromisse nicht leicht zu finden sind. Über allem steht die Bundesregierung und drängt auf Resultate und schnellstmögliche Umsetzung, wobei sich Gesundheitsministerium und Gematik häufig uneinig in entscheidenden Fragen der elektronischen Gesundheitskarte sind. Obige Beispiele sind repräsentativ für ein generelles Problem der Gematik GmbH. Ihre Gesellschafter vertreten sowohl Ärzte, als auch Krankenversicherungen. Das führt divergenten Interessen, Kompetenzgerangel und häufigen Detailänderungen welche auch den Vertretern des BIT4health – Konsortiums Zopfzerbrechen bereiten. Demzufolge verwundert es kaum, dass sich schließlich auch die Politik von der geplanten Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für das Jahr 2006 distanziert hat. Es bleibt hier noch zu bemerken, dass aus den Projektplanungsdossiers von IBM und ORGA Kartensysteme hervorgeht, dass der 1. Januar 2006 schon im Jahr 2004 als nicht einhaltbar galt, ohne nicht schwerwiegende Abstriche in der IT - Sicherheit zu riskieren.

3.1 Planungsfehler bei der Kostenerwartung IBM und ORGA Kartensysteme haben 2004 einige wichtige Grundlagenpapiere zur technischen und praktischen Umsetzung der elektronischen Gesundheitskarte erarbeitet, auf die sich Verantwortliche

13

und Politik gleichermaßen gern berufen. IBM und ORGA ihrerseits weisen darauf hin, dass es sich nur um einen Planungsschritt, einen möglichen ersten Entwurf handelt. In ihrem Dossier behandeln sie die exemplarisch verschiedene theoretische Ausbaustufen der elektronischen Gesundheitskarte, welche auf zwei technologisch völlig verschiedene Kartentypen zurückgreifen. Die Kosten der ersten Modellvariante (nachfolgend Variante 1 genannt) wurden von der Presse und von den politischen Entscheidungsträgern aufgegriffen und als „Gesamtsystemkosten“ veröffentlicht, was aus den Dokumenten des Konsortiums IBM und ORGA Kartensysteme aber so gar nicht abgeleitet werden kannxxix, denn unter Anderem sind wesentliche bislang ungelöste Probleme und zu deren Lösung notwendige Systemkosten wie jene der digitalen Standardisierung und Strukturierung von sektorübergreifenden Medizinsoftwaresystemen im Projektplan gar nicht erfasst. Eine alternative Variante, die auf Folgeseiten im Projektplan erscheint (nachfolgend Variante 2 genannt) hingegen beinhaltet die technischen Funktionen, die die „freiwilligen“ Zusatzfunktionen der elektronischen Gesundheitskarte erst ermöglichen. In der Presse und bei allen Diskussionsteilnehmern werden diese als der Hauptgrund für die Notwendigkeit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte genannt. Insgesamt folgt daraus, dass nur die alternative Variante 2 tatsächliche medizinische und größere finanzielle Vorteile für das Gesundheitswesen bringt, denn sie ist jene, die digitale Signaturen verwalten kann. Diese digitale Signaturfähigkeit ist Grundlage für alle Onlineapplikationen der elektronischen Gesundheitskarte. IBM und Orga kalkulierten für die Kartenvariante 1 (ohne Signaturfähigkeit) unter Annahme eines mittlere Kartenpreises von 7,50 €, sowie der Investitionskosten der Leistungserbringer Folgendes: Das zu erwartende Investitionsvolumen bis zur Ausbaustufe e-Rezept beläuft sich in Abhängigkeit des Kartenpreises auf rund 1,0 bis 1,4 Mrd. Euro. Das ist genau jener Wertebereich, auf den Politik und Presse ständig bei Ihren Aussagen und Prognosen zurückgegriffen haben, ohne zu sehen, dass dieses Modell die Endanforderungen gar nicht erfüllen kann. Die notwendigen Kartentypen für die elektronische Gesundheitskarte im Komplett-Ausbau der Infrastruktur im Mittel rund 30€ und nicht die einst angenommen 7,50 Euro, da die notwendige Signaturfähigkeit spezielle Prozessorkarten erfordertxxx. Dadurch würden sich die Gesamtkosten für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte um 1.775.673.000,00 Euro erhöhen, vorausgesetzt alle Versicherten würden die nutzvolle Variante 2 wählen. Es ergäbe sich also ein Gesamtkostenaufwand für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in der 2. nutzvolleren Variante von rund 3.2 Mrd. Euro.

14

3.2 Auf dem Weg zur Endausbaustufe Neben den noch höchst spekulativen und bei weiterer Verzögerung des Projektes sicherlich weiter steigender Einführungskosten geht aus dem Planungspapier eine relativ gesicherte Zahl zu den Betriebskosten hervor, denn diese sind vom Kartenpreis weitestgehend unabhängig. Im ersten Jahr des Kartenbetriebes sollen sie zwischen 120 und 147,9 Mio. Euro liegenxxxi. Auf dem Weg zu einer funktionierenden, deutschlandweiten Telematikanwendung wird ein Problem immer deutlicher: Die notwendige sektorübergreifende Kommunikation zwischen einer Vielzahl von Leistungserbringern und dem Patienten stellt eine Herausforderung dar, deren Komplexität weltweit alle bisherigen IT Projekte übersteigt. Das hat sofortige und gravierende Auswirkungen auf den Zeitplan und die Kostenentwicklung. Niemand kann heute abschätzen, wie lange es noch dauert, Lösungsansätze für eine annähernde Funktionsfähigkeit zu entwickeln, kann heute abschätzen mit welchen Kosten die deutsche Volkswirtschaft auf Grund der Errichtung der Telematikplattform in den nächsten Jahren rechnen muss. [vgl. dazu Abb. 1] Für die Bundesregierung indes stellt die außerplanmäßig schleppende Entwicklung des Projektes elektronische Gesundheitskarte, wie eingangs erwähnt, ein finanzielles Fiasko dar. Geplant war eine Amortisierung binnen zwei Jahren. Was man bisher erreicht hat ist ein Projekt im Verzug, mit explodierenden Kosten, unklaren Umsetzungsplänen, streitenden Führungsgremien. Mit aller Macht drängt man auf eine schnellstmögliche Umsetzung (Zitat auf www.heise.de): „...wenn die Erfahrungen in den Testregionen im Jahr 2007 gesammelt werden, dürfte die allgemeine Einführung der Karte 2008 kommen. Dieser „entspannte“ Zeitplan ist nun im Gesundheitsministerium auf heftige Kritik gestoßen. So erklärte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gestern in Berlin, dass man möglichst rasch in die Tests einsteigen solle. Weil das Verfahren der Gematik aus Sicht der amtierenden Bundesregierung zu langsam ist, möchte sie die Kriterien für die Testregionen "auf dem Verordnungswege" festsetzen. (...) Bei der Gematik stößt die politische Drängelei auf Unverständnis. Ohne die Ergebnisse der Labortests sei keine sinnvolle Ausschreibung möglich, heißt es...“ Nach momentanen Entwicklungsstand ist nun schließlich mit einer flächendeckenden Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in der Grundausbaustufe bis e-Rezept ohne X.509 – Zertifikatsfunktion ab ca. 2008 zu rechnen. Diese beinhaltet dann lediglich folgende Einsparpotentiale: 135 Mio. Euro durch das e-Rezept, 285 Mio. Euro durch automatisches Kartenupdate und den Wegfall von Austauschkosten, und wenig gesicherte 800 Mio. bis 2 Mrd. Euro durch die Reduzierung von Chipkartenbetrug. Diese Ausbaustufe ist, wie bereits erwähnt, für Ärzte und Patienten wenig attraktiv, da sie die verursachten Kosten nur mit wenigen bis gar keinen Vorteilen aufwiegen kann. Auch für das Bundesgesundheitsministerium bleibt die Lage unbefriedigend, vergleicht man einst prognostizierte

15

Einsparungen mit letzteren Zahlen. Schließlich ist erneut ein unerwünschtes Szenario aufgetreten, das es unbedingt zu vermeiden galt: der Steuerzahler muss wieder einmal die erheblichen Mehrkosten durch Planungsfehler und schleppende Umsetzung tragen, das Gesundheitssystem bleibt weiterhin finanziell stark belastet. Zu guter Letzt ist die voraussichtliche Einführung der elektronischen Gesundheitskarte mit Zertifikatsfunktion und mit allen Funktionalitäten ist nicht eher als 2012 zu erwartenxxxii - eine große Zeitspanne, in der heute noch gar nicht absehbare Entwicklungen eintreten werden. Man sollte hier von weiteren finanziellen Prognosen lieber absehen. 3.3 Gegenüberstellung Am Schluss soll nun noch der Versuch einer abschließenden Gegenüberstellung von Kosten und Einsparungserwartungen einen gewissen Einblick bieten. Es sei bemerkt, dass die hier dargestellten Zahlen möglicherweise wenig den eintretenden realen Tatsachen entsprechen, nicht zuletzt sind ihre Berechnungs- und Schätzungsgrundlage mehrere Jahre alt, sowie entstammten sie verschiedenen Quellen. Diagramm 2 stellt alle wesentlichen herausgearbeiteten Beträge in ihrer Gewichtung dar. Im oberen linken Bereich befinden sich jene Einsparungen, die durch Optimierung von Geschäftsprozessen innerhalb der Institutionen, sowie jene, die durch die erweiterten Funktionalitäten der elektronischen Gesundheitskarte erreicht werden. Dem gegenüber stehen auf der rechten Seite alle aufgeführten Investitionen und Folgeinvestitionen. Nach Amortisierung der Anfangsinvestition kann man deutlich sehen, dass der Sparvorteil der elektronischen Gesundheitskarte überwiegt. Auffällig ist jedoch ein erhebliches Finanzvolumen von 1,6 Mrd. Euro, das alle insgesamt 80 Millionen Karteninhaber jährlich allein durch geplante Kartengebühren erzeugen würden. Das schließt die jährlichen Gebühren für Zertifikate noch nicht ein. Dazu stellt sich die Frage, welche Kosten mit diesen Gebühren gedeckt werden sollten, denn vernachlässigt man die Beträge für Anfangsinvestitionen, so lassen sich die Einnahmen aus den Kartengebühren scheinbar mit keiner der verbleibenden Ausgaben rechtfertigen. Diese Gegebenheit lässt sich vom Verfasser augenblicklich nicht erklären und bedarf weiterer Betrachtungen.

16

Apotheken Scankosten PKV Leistungsinanspruchnahmeprf. GKV Leistungsinanspruchnahm eprf. GKV Retaxierung GKV Zuzahlungsmanagement GKV e-Rezept Kartenbetrug Einsparung (jährlich) Anfangsinvestitionen Bundesregierung (einmalig)

M edikam entenunvertägl. Behandlungseinparung (jährlich)

'Betriebskosten' für Patient Zertifikat (jährlich)

Betriebskosten Infrastruktur (jährlich) 'Betriebskosten' für Patient Kartengebühr (jährlich)

Anfangsinvestitionen M ediziner (einmalig) Betriebskosten M ediziner (jährlich)

Diagramm 2

17

Abbildung 1

18

Quellen i

http://www.dimdi.de/dynamic/de/ehealth/karte/downloadcenter/veroeffentlichungen/vortraege/05 0114_paland_potsdam.pdf ii

http://www.heise.de/newsticker/meldung/48927 iii

http://de.wikipedia.org/wiki/Gesetzliche_Krankenversicherung iv

http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=24451 v

http://www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp?typ=PDF&id=1635 vi

http://www.handelsblatt.com/pshb?fn=tt&sfn=go&id=1222240 vii

vgl. bspw. http://www.krankenkassen-direkt.de/news/news.pl?val=1149959250&news=119530348 viii

http://www.krankenkassen-direkt.de/news/news.pl?val=1149959250&news=76776420 ix

http://www.gide.com/pls/portal/maia.display_custom_items.DOWNLOAD_SEEALSO_FILE?p_ID=6065&p_page _id=122792&p_pg_id=36 x

http://www.heise.de/newsticker/meldung/45879 xi

http://www.heise.de/bin/tp/issue/r4/download.cgi?artikelnr=17421&pfad=/tp/r4/artikel/17/17421 xii

http://www.soreon.de/site1/index.php/german/soreon_studien/erfolgversprechende_gesch_fts_fina nzierungsmodelle_f_r_telematik_im_gesundheitswesen/zentrale_ergebnisse_erfolgversprechende_g esch_fts_finanzierungsmodelle_f_r_telematik_im_gesundheitswesen xiii

http://www.euromed-data.de/Dokumente%20IBM.ORGA/Projektdokumentation.pdf Seite 16 xiv

vgl. bspw. http://blog.doccheck.com/index.php?itemid=198 vom Dez. 2005 xv

http://www.freieaerzteschaft.de/content/articles/1021/1077/index.html?catid=1077&topid=1021&sID=43cfe7b861af0 4c34de15a88d1c90194

19

xvi

http://www.freieaerzteschaft.de/content/articles/1021/1062/index.html?catid=1062&artid=35007&topid=1021&nosu m=1 vgl. Gliederungspunkt 6 xvii

http://www.dimdi.de/de/ehealth/public/telematikbuch19_02_03_web.pdf xviii

vgl. http://www.dimdi.de/static/de/ehealth/karte/index.htm xix

http://www.heise.de/newsticker/meldung/58391 xx

http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikeldruck.asp?id=47871 Mitte xxi

vgl. alternativ: http://www.gesundheitskarte-rheinland-pfalz.de/modules.php?name=News&file=article&sid=193 xxii

http://www.heise.de/newsticker/meldung/52459 xxiii

http://www.heise.de/newsticker/meldung/49805 xxiv

http://www.gesundheitskarte-rheinland-pfalz.de/modules.php?name=News&file=article&sid=193 xxv

http://www.heise.de/newsticker/meldung/49601 xxvi

http://www.heise.de/newsticker/meldung/52116 xxvii

http://www.heise.de/newsticker/meldung/61654 xxviii

vgl. http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Elektronische_Gesundheitskarte&redirect=no xxix

http://www.euromed-data.de/Druckversion.pdf auf Grundlage von http://www.euromed-data.de/Dokumente%20IBM.ORGA/anforderungsdossier.pdf sowie http://www.psynfo.de/act/modules/news/index.php?storytopic=8&storynum=5&start=5 http://www.psynfo.de/act/modules/news/article.php?storyid=10 und alle Folgelinks und http://www.golem.de/print.php?a=31495 „Bundesrechnungshof: Lernresistenz bei IT-Fehlern beim Bund“

20

xxx

vgl. dazu http://www.euromed-data.de/Dokumente%20IBM.ORGA/anforderungsdossier.pdf Seite 305 xxxi

vgl. dazu http://www.euromed-data.de/Dokumente%20IBM.ORGA/anforderungsdossier.pdf Seite 16 xxxii

vgl bspw. http://www.heise.de/newsticker/meldung/49157 und http://www.euromed-data.de/bit4health.htm

21