Korrespondenz - EZI Berlin

16.05.2012 - und Personalentwicklung kirchlicher Mitarbeitenden. Lutz-Ulrich Besser / Sabine Hufendiek. Aufregung und Chaos bei der Aufdeckung von ...
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Korrespondenz

Themenheft

Gewalt und Grenzverletzungen in Beziehungen

Wenn Erinnerungen die Paarbeziehung belasten Seite 5 Sexualberatung nach sexueller Traumatisierung Seite 11 Bedeutung von Gewalt in der Paarbeziehung für Kinder Seite 19 Kinder im Blick (KiB) – gegen Elternstreit … Seite 30

25

Frühjahr 2012

ISSN 0724-3995

2

Inhalt

Editorial

a

3

Astrid Riehl-Emde

Wenn Erinnerungen die Paarbeziehung belasten

75

Umgang mit unverarbeiteten Ereignissen aus paartherapeutischer Perspektive S Ruth Gnirss-Bormet

Sexualberatung nach sexueller Traumatisierung - Intimität und Sexualität (wieder) leben lernen

Tr 11 st

Karl-Heinz Brisch

Die Bedeutung von Gewalt in der Paarbeziehung für die Psychotherapie mit Kindern Achim Haid-Loh & Samuel Sieber

„Kinder im Blick“ (KiB ) - Ein Breitband-Antibiotikum gegen Elternstreit...

19 n

d30 s

Dieter Wentzek

Prävention zum Schutz vor sexuellen Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt in der Kirche als integraler Bestandteil von Aus- und Fortbildung und Personalentwicklung kirchlicher Mitarbeitenden

34

Lutz-Ulrich Besser / Sabine Hufendiek

Aufregung und Chaos bei der Aufdeckung von Gewalt und Kindesmisshandlung − Was passiert gerade in unserer Gesellschaft? - Ein Zwischenruf Erinnerungen an Ingeborg Langus-Mewes

s 40

k43

Film-Revue zum Thema

Das weiße Band Und wir sind nicht die Einzigen

e49

53

Buchbesprechung

Unfall in der Krise Geschwisterdynamik

54 55

Förderverein des Evangelischen Zentralinstituts für Familienberatung e. V.

57

Impressum

59

Veranstaltungskalender

60

3

Editorial

Was sind die Menschen, dass du an sie denkst, ein Menschenkind, dass du nach ihm siehst? Wenig geringer als o Gott lässt du sie sein, mit oWürde und Glanz krönst du sie. Psalm 8, 5+6 (übersetzt nach Bibel in gerechter Sprache)

Liebe Leserin, lieber Leser, manche von Ihnen werden schon auf diese EZI-Korres-

Mit ihrem Beitrag „Wenn Erinnerungen die Paarbeziehung

pondenz gewartet haben und vergeblich auf unserer seit

belasten“ öffnet Astrid Riehl-Emde der Ehe- und Lebensbe-

letztem Jahr neu gestalteten Internetseite nach der neuen

ratung aus psychotraumatologischer Perspektive den Blick

Ausgabe gesucht haben. Endlich erreicht Sie jetzt die EZI-

für die Langzeitfolgen von unverarbeiteten Erfahrungen, die

Korrespondenz 25 als download aus dem Internet oder

oft erst nach vielen Jahren zu Tage treten und die Paarbe-

per Post. Sie ist wieder als Themenheft gestaltet zu dem

ziehung belasten. Besonders in der Beratung mit älteren

aktuellen Thema „Gewalt und Grenzverletzungen in Bezie-

Paaren gewinnt darum im Prozess „Vergebung als Verstehen

hungen“ und erscheint zeitgleich zur Jahrestagung unseres

– Verzeihen – Versöhnen“ die Verarbeitung von (Grenz-) Ver-

Fachverbandes EKFuL vom 14. bis 16. Mai 2012 in Hofgeis-

letzungen eine besondere Bedeutung.

mar zum Thema „Grenzverletzung und Grenzüberschreitung in verschiedenen Beratungskontexten“.

Mit den Langzeitfolgen von sexuellen Grenzverletzungen und sexuellen Gewalterfahrungen und ihrer Auswirkung

Grenzerfahrung und Achtlosigkeit im mitmenschlichen

auf das Leben von Intimität und Sexualität beschäftigt sich

Umgang und Missachtung von eigenen und fremden

der Artikel von Ruth Gnirss, die seit vielen Jahren am EZI in

Grenzen kennzeichnet und beleuchtet die Schattenseite

Sexualberatung ausbildet. Anhand von Erfahrungen aus der

einer Gesellschaft, in der Leistung, Effektivität und optimale

Praxis der Sexualberatung schildert sie eindrücklich, wie sich

Ausnutzung und Ausbeutung, die unausgesprochenen

Traumafolgeerscheinungen massiv auf das Erleben von Se-

Maßstäbe für das Zusammenleben der Menschen geworden

xualität und Intimität auswirken und wie sie in der Beratung

sind. Beratungsstellen sind schon immer Seismograph für

thematisiert und bearbeitet werden können.

solche gesellschaftlichen Entwicklungen gewesen. In der konzeptionellen und qualitativen Weiterentwicklung von Be-

Kinder tragen lebenslang an den oft traumatisierenden es-

ratungskonzepten greifen wir sie auf und thematisieren sie in

kalierten Konflikten in hochstrittigen Trennungs- und Schei-

der Fort- und Weiterbildung von Beraterinnen und Beratern,

dungsfamilien. Das elternpädagogische Interventions- und

damit die Menschen, die sich auf der Suche nach Begleitung

Präventionsprogramm „Kinder im Blick“ (KiB), das seit Jahren

und Lebensorientierung an Beratungsstellen wenden, dort

erfolgreich im EZI vermittelt wird, trägt zur situations- und

einen sicheren Ort finden, Zeit und Raum für heilende und

altersgemäßen Bewältigung dieser emotionalen Belastung

strukturierende Lebensgestaltung, Lebensorientierung und

bei. Achim Haid-Loh und Samuel Sieber stellen mit dem

Lebensvergewisserung. Unsere Gastdozentinnen und Gast-

KiB-Programm vor, wie Eltern lernen können, dass deeskalie-

dozenten haben uns freundlicherweise mit ihren Beiträgen

rendes Verhalten zu einer spürbaren Entschärfung der Span-

in diesem Heft dabei unterstützt.

nungen und Konflikte führt und in stressreichen Situationen

Dafür herzlichen Dank!

die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt werden können.

4 Um kindliche Stressregulation und Erfüllung überlebens-

Lutz Besser und Sabine Hufendiek stellen mit ihrem „Zwi-

wichtiger Bedürfnisse durch die Eltern in der frühkindlichen

schenruf“ die jüngste Debatte um die Aufdeckung von

Entwicklung geht es auch in dem Beitrag von Karl Heinz

Gewalt und Kindesmissbrauch in geschichtliche und gesell-

Brisch „Die Bedeutung von Gewalt in der Paarbeziehung für

schaftspolitische Zusammenhänge dar. Sie fordern nicht nur

die Psychotherapie mit Kindern“. Dabei sind die verschie-

die Aufdeckung und Bewusstmachung des Unrechts an Kin-

denen Inszenierungen von grenzverletzender Gewalt in der

dern, Abhängigen und Untergebenen und der Verleugnungs-

Paarbeziehung und ihre traumatisierenden Auswirkungen

strategie der Täter, sondern „Verantwortungsübernahme

auf die Entwicklung der Kinder im Fokus, insbesondere auf

und Zivilcourage, um der Ausbeutung und Misshandlung von

dem Hintergrund einer pathologischen Bindung des Kindes

Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mutig entgegenzu-

an Täter und Opfer. An Fallbeispielen werden die Möglichkeiten von Beratung und SAFE-Sichere Ausbildung Für Eltern®

treten“.

als Präventionsprogramm im Rahmen von Frühen Hilfen

tätssicherung der kirchlichen Beratungsarbeit wollen wir im

vorgestellt.

EZI dazu unseren Beitrag leisten. Die Psychologischen Bera-

Mit unserem Fort- und Weiterbildungsangebot zur Quali-

tungsstellen sollen ein Ort bleiben, wo Verletzte, Verstörte Das Tabu des Schweigens in der Kirche zu sexuellen Grenz-

und orientierungslose Kinder, Jugendliche und erwachsene

verletzungen und zur sexualisierten Gewalt ist angesichts

Menschen sich öffnen und sich aussprechen können und wo

der jüngsten Veröffentlichung von skandalösen Fällen in

sie wieder einen Zugang zu ihren Ressourcen und Lebens-

Kirche und Schule endlich gebrochen. Das EZI ist mit seiner

kräften bekommen.

wissenschaftlichen Expertise in Beratung, Sexualberatung, Psychotraumatologie und theologischer Ethik von Anfang

Korrespondenz wird belebt von der Antwort der Leserinnen

an mit einbezogen in die Beratungen über Prävention und

und Leser. Wir erwarten gerne Ihre Reaktion, sei es in Form

Intervention zu sexualisierter Gewalt und Missbrauch am

einer Anmeldung zu unserem Kursangebot oder auch schrift-

Runden Tisch der Bundesregierung und in der neu eingerich-

lich, per E-Mail, mit Meinungen, Wünschen und Vorschlägen

teten EKD-Konferenz für „Prävention, Intervention und Hilfe

zu Kursangeboten und zu Themen in der EZI-Korrespondenz.

bei Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“ (PIH-K). Wie

Die nächste EZI-Korrespondenz wird dann zu unserem 50

Kirche als Schutzort insbesondere für die ihr anvertrauten

jährigem Jubiläum des EZI erscheinen, das wir am 6. Juni

Kinder und Jugendlichen erhalten werden kann und wie

2014 in Berlin feiern werden.

verhindert werden kann, dass Kirche zum Täterort wird, zeigt Dieter Wentzek in seinem Beitrag an der Entwicklung

Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen im Namen aller Mit-

von Modulen für die Aus- und Fortbildung von kirchlichen

arbeitenden des EZI

Mitarbeitenden.

Ihr Dieter Wentzek

5

Wenn Erinnerungen die Paarbeziehung belasten Umgang mit unverarbeiteten Ereignissen aus paartherapeutischer Perspektive Astrid Riehl-Emde 1

Verletzt werden gehört zum Leben – vergeben lernen nicht. (Weingardt 2006, S. 6) Der Bedarf an Paartherapie für ältere Paare wächst und wird in Zukunft noch weiter wachsen, da zunehmend mehr Menschen zur Gruppe der über 60-Jährigen gehören, die bereits in jüngeren Jahren Psychotherapie beansprucht haben und dies auch im Alter tun werden. Im Folgenden werden zwei Fallbeispiele aus der Spezialsprechstunde für ältere Paare (60+) des Instituts für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie, Heidelberg, dargestellt (Riehl-Emde 2008; Riehl-Emde u. Cierpka 2006), in denen der Umgang mit früheren, noch unverarbeiteten Verletzungen im Mittelpunkt stand.

Erstes Fallbeispiel Therapiesitzungen Ein Paar, beide Mitte 60 und seit 40 Jahren verheiratet, kam

sam den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie hätte

zur Paartherapie, nachdem sie relativ zeitgleich pensioniert

Trost in Gesprächen mit einer Pfarrerin gesucht und damals

worden waren. Die Gespräche begannen auf Initiative der

entschieden, ihrem Mann nie wieder ganz zu vertrauen. Die

Ehefrau, die über chronische Streitigkeiten, wenig Austausch

Therapeutin bot ihr an, die nächste Sitzung zu nutzen, um

und emotionale Distanz klagte. Sie habe mit Trennung ge-

darüber mit ihm ins Gespräch zu kommen. Es könne eine

droht, weil sie so nicht mit ihrem Mann alt werden wolle, und

Chance sein; sie möge sich aber gut überlegen, ob sie das

sehe in einer Paartherapie „die letzte Chance“ für die Ehe. Im

Risiko eingehen wolle. Dann holte die Therapeutin den vor

Verlauf der Therapie, die über zwei Jahre dauerte, fand nach

der Tür wartenden Ehemann wieder herein und teilte ihm

der fünften Sitzung auf Wunsch der Ehefrau je ein Einzelge-

mit, dass seine Frau Zeit brauche, darüber nachzudenken,

spräch mit beiden Partnern statt. Die Ehefrau begann ihr

ob sie ein bestimmtes Thema mit ihm besprechen möchte.

Einzelgespräch damit, dass ihr Mann vermutlich denkt, sie

Ob er bis zur nächsten Sitzung ihre Entscheidung abwarten

wolle die Stunde nutzen, um mir von seiner Außenbeziehung

könne? Er stimmte zu.

vor 15 Jahren zu erzählen, aber das wolle sie gar nicht, diese

Zur nächsten Sitzung kamen die beiden als „Liebespaar“. Die

Geschichte habe sie längst überwunden. Einige Sitzungen

Therapeutin erfuhr, dass die Ehefrau ein gemeinsames Es-

später brach sie im Paargespräch in Tränen aus, woraufhin er

sen in ihrem Lieblingslokal dazu genutzt hatte, mit ihm über

blitzschnell mit dem Satz „Dann gehe ich wohl besser raus“

ihre Verletzung zu sprechen, die plötzlich wieder so lebendig

den Raum verließ. Sie erzählte, während er draußen vor der

war. Sie hätte dabei erstmals das Gefühl gehabt, er höre ihr

Tür stand, dass diese Außenbeziehung sie plötzlich wieder

richtig zu. Er sagte, er hätte zum ersten Mal verstanden,

sehr belaste. Er hätte damals keinen Schlussstrich ziehen

was vor 15 Jahren so schlimm für sie war, und sich erstmals

können; die Beziehung wurde erst beendet, als die andere

entschuldigt für das, was er ihr zugemutet hatte. Sie hätten

Frau aus dem Umkreis des Paares weggezogen war. Er hätte

daraufhin beide im Lokal gesessen und geweint. Beide konn-

die Beziehung immer bagatellisiert – sie hätte nichts mit der

ten offensichtlich die Chance zur Versöhnung ergreifen. In

Ehe zu tun, würde die Ehe nicht infrage stellen – und sich

der Folge war der Vorbehalt der Frau gegenüber ihrem Mann

nie wirklich dafür entschuldigt. Er hätte ihr damals gleich-

nicht mehr spürbar.

Quelle: In: Psychotherapeut, 2009, Volume 54, Number 6, Pages 486 - 490, Springer Medizin Verlag 1



Institut für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Bergheimer Str. 54, 69115 Heidelberg



Prof.Dr. Astrid Riehl-Emde, Diplom Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, E-Mail: [email protected] Online publiziert: 29. Oktober 2009



6 Hypothesen zum Therapieausgang

verständlich der Mann die Problembeschreibung seiner Frau

a. Offenbar konnte der Ehemann besser zuhören, ohne

übernahm und in welch hohem Maß er versuchte, sich ihren

sich gleich angegriffen zu fühlen und sich zu verteidigen. Er

Wünschen und Vorstellungen anzupassen.

bagatellisierte die damalige Außenbeziehung nicht, sondern

In den ersten vier Stunden wurden überwiegend „gepflegte“

bedauerte in diesem Moment zutiefst die Auswirkungen auf

Gespräche geführt. Es schien, als suche die Ehefrau eine Art

seine Frau und auf die Beziehung, selbst wenn er damals

Seniorenuniversität, also eine mehr theoretische Beschäfti-

nicht anders konnte oder wollte. Er begriff die Tragweite

gung mit dem Thema „Paarprobleme“. Sie klagte, es gehe ihr

dieser Außenbeziehung für seine Frau und übernahm die

nach den Paargesprächen psychisch schlechter als vorher,

Verantwortung dafür.

es werde Vieles aufgerührt, das sie lieber bedeckt halten

b. Offenbar konnte auch die Ehefrau anders darüber spre-

möchte, und trotz Paartherapie gelinge es nicht, Rückfälle in

chen. Sie hatte gemerkt, dass ihr Vorbehalt gegenüber

Streitmuster zu verhindern. In der fünften Sitzung teilte die

dem Mann die Beziehung blockierte und dass ihr Groll sie

Therapeutin ihre Beobachtung mit, dass beide zu schnellen

selbst einengte. Insofern war ihre Bereitschaft, sowohl das

Themenwechseln neigen würden und dass sie insbesondere

Gespräch mit ihm zu suchen, als auch den Vorbehalt ihm

die Ehefrau oft wie auf der Flucht erlebe. Die Therapeutin

gegenüber loszulassen, gewachsen. Sie konnte mehr von ih-

fragte, ob es Schicksalsschläge oder Erlebnisse gebe, über

rem Leiden sprechen, anstatt Vorwürfe zu machen. Vermut-

die sie nicht sprechen wollten. Nachdem der Mann sich

lich hatte sie ihrem Mann auch nonverbal die Bereitschaft

der Zustimmung seiner Frau versichert hatte, berichtete

signalisiert, seine Entschuldigung anzunehmen.

er von vier Abtreibungen nach den Geburten ihrer beiden

Es kam also zu einer Versöhnung während der Paartherapie,

Kinder. Sie wären in den 70er Jahren „zu naiv zur Verhütung

allerdings ohne Anwesenheit der Therapeutin. Diese hatte

gewesen“. Sie erzählte, er wäre damals beruflich viel unter-

wahrscheinlich einen Anstoß gegeben, doch das Paar be-

wegs gewesen, sie hätte sich sehr alleingelassen gefühlt,

werkstelligte das Wesentliche ohne sie.

und beide hätten sich nicht zugetraut, weitere Kinder zu „verkraften“. Vor allem das Geschehen rund um die erste Abtreibung hätte sie als traumatisierend erlebt: Der Termin wäre eigentlich „zu spät“ gewesen und deswegen mithilfe eines psychiatrischen Gutachtens ermöglicht worden. Er hätte ihr damals alle Verantwortung zugeschoben, sowohl für die Entscheidung als auch für die Durchführung der Abtreibung. Sie hätte viel allein getrauert und sich danach innerlich von ihm distanziert. Dieser innerliche Rückzug sei heute eine „Conditio“ ihrer Ehe, sie wolle weiterhin damit leben und nichts verändern. Er reagierte emotional sehr bewegt und sagte unter Tränen, Foto: Lea Link, Schweiz

Zweites Fallbeispiel

ihr Unrecht getan zu haben, als er sie mit der Verantwortung für die Abtreibung allein ließ; er hätte sich damals völlig hilflos gefühlt. Sie reagierte betont kühl: Das müsse er allein mit sich abmachen, sie hätte das damals auch gemusst. Wäh-

Therapiesitzungen

rend sie ihm vor 30 Jahren vorgeworfen hätte, er interessiere

Ein anderes Paar, wiederum beide Mitte 60 und seit etwa

sich nicht für sie und gäbe ihr keine Kraft, weitere Kinder

40 Jahren verheiratet, kam zur Therapie mit Klagen über die

auszutragen, sei ihr heutiger Vorwurf genereller: Er habe sie

Aggressivität des Ehemanns: Unhöflichkeit und Rücksichts-

damals und auch später in vielen anderen Situationen nicht

losigkeit gegenüber Frauen im Bekannten- und Verwandten-

geschützt. Ihre jetzige Härte sei ihr Selbstschutz, den könne/

kreis seien die Ursache ständiger Auseinandersetzungen,

wolle sie nicht aufgeben und inzwischen sei ihr auch die

die regelmäßig in Wiedergutmachungsritualen des Ehe-

Liebe zu ihm abhanden gekommen.

manns (Blumensträußen für die „Geschmähten“) mündeten. Aktueller Auslöser für die Paartherapie waren Konflikte in

Es gab dann noch ein weiteres Gespräch, in dem ich erfuhr,

der Betreuung seiner im Altersheim lebenden Stiefmutter,

dass beide zwischenzeitlich ausgiebig über die Abtreibun-

um die sich die Ehefrau sehr aktiv kümmerte, während er

gen geredet hatten. Beide hätten damals „die Unschuld

für weniger Engagement plädierte. Beide wünschten, dass

verloren“, die erste Abtreibung hätte „dem Potenzial ihrer

er weniger aggressiv sei. Der Therapeutin fiel auf, wie selbst-

Beziehung einen Deckel aufgesetzt“. Er meinte, es sei wei-

7 ser, das Thema jetzt ruhen zu lassen, wenn seine Frau das

Möglicherweise konnte sie sich etwas entlasten, indem sie

so wolle. Sie meinte, trotz der traumatischen Erfahrung wäre

ihm im Paargespräch nochmals die Schuld zuschob.

die Entscheidung zur Abtreibung aus heutiger Sicht richtig gewesen. Jetzt bekomme er seine wohlverdiente Strafe

c. In diesem Fall teilten Mann und Frau die relativ eindeutige

und könne sich bei Bedarf heute einen Einzeltherapeuten

Schuldzuweisung (er Täter, sie Opfer). Je verletzender ein

suchen. Die Therapeutin erfuhr, dass beide damals den

Ereignis und je tiefer die Verzweiflung/Hilflosigkeit ist, desto

„deal“ abgeschlossen hatten, durch optimale Förderung

wichtiger kann eine moralisierende Beschreibung sein: Sie

ihrer beiden Kinder Schuld abzutragen. Deswegen hätte sie

hilft, die Selbstachtung zu bewahren, hat also eine stabili-

sich immer geärgert, wenn er die Kinder schlecht behan-

sierende Funktion für das „Opfer“, sie verhindert allerdings

delte und dies als einseitige Aufkündigung des Deals erlebt.

auch, den eigenen Anteil am Geschehen und die darin ent-

Für ihn wäre Ärger auf die Kinder keine Infragestellung des

haltene Entwicklungschance wahrzunehmen.

Deals gewesen, er hätte sich manchmal einfach nicht be-

Wut- und Rachegefühle sind typische Reaktionen auf Verlet-

herrschen können und meinte, sie hätte den Deal bisweilen

zung; sie können helfen, die eigene Kohärenz zu bewahren.

kräftig ausgeweitet. Ihr Appell an seine Schuld („Wir haben

Diese Gefühle loszulassen, ist Grundbestandteil des sog.

soziale Verpflichtung für das Leben anderer“) wäre immer

Vergebungsprozesses.

ein wirksamer Hebel gewesen, allerdings nicht wirksam genug, um ihn heute gegenüber seiner Stiefmutter auf eine gemeinsame Bahn zu bringen. Der Ehemann wäre gern zu weiteren Gesprächen gekommen, passte sich dann aber den Vorstellungen seiner Frau an, die die Gespräche nicht fortsetzen wollte. Sie beklagte, dass ihre Wunden in der Paartherapie aufgerissen würden und sie belastet nach Hause ginge, während er (so ihr Vorwurf) danach alles abstreife und gleich wieder zur Tagesordnung überginge. Zu einem Holzblock wie ihm könne sie nur auf Distanz gehen; der Preis erneut verletzt zu werden, sei zu Foto: Lea Link, Schweiz

hoch. Zwei Monate später teilte er telefonisch mit, sie hätten sich entschieden, die Vergangenheit wieder zu verdrängen und die Gespräche zu beenden.

Therapeutische Konzepte

Hypothesen zum Therapieausgang

In der Literatur hat sich in den letzten Jahren der Begriff „Ver-

a. Der Ehemann wirkte von Anfang an sehr angepasst bis

gebung“ für den Prozess der Verarbeitung einer Verletzung

unterwürfig. Vermutlich führten seine Schuldgefühle bereits

durchgesetzt. Worum geht es dabei?

seit Jahrzehnten dazu, dass er Konflikte in der Absicht, die Paarbeziehung zu schonen, vermied. Seine angebliche

Was meint Vergebung?

Aggressivität, die das Paar zur Therapie gebracht hatte,

Der kleinste gemeinsame Nenner aller Definitionen von Ver-

könnte auch als Anzeichen für einen anstehenden Wandel

gebung bezieht sich auf die Reduktion bzw. Beendigung von

verstanden werden, als Anstoß, aus dem subtilen Machtge-

Ärger, Groll und Rachegefühlen auf eine Person, die Verlet-

fälle herauszukommen und ihr „auf Augenhöhe“ in gleichbe-

zung oder Verrat verursacht hat (Kämmerer 2007; Stammel

rechtigter Position gegenüberzutreten. Dies gelang nicht. Er

u. Knaevelsrud 2009).

fühlte sich zwar in der Pflicht, die Folgen seines damaligen



Vergebung ist eine Haltung einer Person gegenüber: Der

Tuns anzuerkennen, er war aber nicht in der Lage, direkt und

verletzenden Person wird ihr schuldhaftes Verhalten

selbstbewusst auf dem Recht dazu zu bestehen und der

nicht weiter vorgeworfen; die Verletzung als solche

Ehefrau einen Widerstand entgegenzusetzen.

jedoch nicht relativiert. •

b. Die Ehefrau hatte sich über Jahrzehnte mit Leiden, Groll und

eine bewusste Entscheidung der betroffenen Person voraussetzt.

Verbitterung „eingerichtet“; ihre Liebe war „auf der Strecke geblieben“. Der Gewinn, den sie inzwischen aus ihrer Position



Vergebung hat eine emanzipatorische Seite; sie führt zu einem Zugewinn an persönlicher Autonomie.

zog, war offensichtlich größer als die Motivation, sich daraus zu befreien. Sie dominierte mit den „Waffen der Unschuld“.

Vergebung ist ein intrapersoneller Prozess, der immer



Die verletzende Person hat wenig Einfluss auf das

8 Vergeben. Sie erhöht jedoch die Chance auf Vergebung,

Im Fokus der Vergebung steht die Person, die verletzt wurde

wenn sie für ihre Tat um Entschuldigung bittet, das eige-

und Vergebung gewährt. Es ist wichtig, dass die Vergebung

ne Verhalten bedauert und Reue zeigt oder zumindest

nicht von den Reaktionen des anderen abhängig gemacht

Verantwortung für das Ereignis übernimmt.

wird, sondern als autonomer Willensakt der vergebenden Person erhalten bleibt.

Der Prozess der Vergebung durchläuft in der Regel mehrere Phasen (Kämmerer u. Kapp 2002; Kämmerer 2007):

Die Begriffe Vergeben, Verzeihen und Versöhnen über-

1. Auseinandersetzung mit der eigenen Verletztheit,

schneiden sich: Vergeben beinhaltet vor allem das Beenden

2. Auseinandersetzung mit der verletzenden Person,

eines Schuldvorwurfs, den Verzicht auf einen Anspruch

3. Entscheidung zur Vergebung und zum Loslassen der negativen Gefühle sowie 4. neues Verhältnis und neues kommunikatives Verhalten gegenüber der verletzenden Person.

zur Wiedergutmachung des „Unrechts“. Auch Verzeihen beinhaltet vom Wortsinn her „verzichten“ und ist weitgehend gleichbedeutend mit Vergeben; allerdings wird in der Literatur im Unterschied zum Vergeben betont, dass das Verzeihen die Person, die Unrecht getan hat, in das Geschehen einbezieht und dass die Tat verziehen wird (Kämmerer

Auseinandersetzung mit der eigenen Verletztheit

2007, S. 228). Zur Versöhnung zweier Menschen gehört mehr

Durch die Reflexion der eigenen Gefühle (Wut, Groll, verletzte

(Weingardt 2006, S. 22):

Selbstachtung, vermindertes Selbstwertgefühl) wird die dis-



tanzierte Betrachtung der interpersonalen Problematik möglich, die auch die eigene Involviertheit darin einschließt und

ander erreichbar. •

die eigene Position als Opfer hinterfragt. Letzteres ist eine Voraussetzung zur Distanzierung vom Anlass der Verletzung

Beide sind bereit, auf gegenseitige Anklage, Vorwürfe und Rechthaberei zu verzichten.



und ein Beitrag zur Stabilisierung des Selbstkonzepts. Auseinandersetzung mit der verletzenden Person

Beide Partner leben oder sind zumindest noch fürein-

Beide haben den Wunsch nach einer guten gemeinsamen Beziehung.



Beide sind bereit, aufeinander zuzugehen.



Beide verspüren das Bedürfnis, einen Strich unter die

Wesentlich ist die Bereitschaft zum Perspektivenwechsel

Vergangenheit zu ziehen und miteinander neu anzufan-

bzw. zur Empathie mit dem Ziel, ein komplexes und differen-

gen.

zierteres Verständnis der Beweggründe der anderen Person

Für das Setting der Paartherapie lässt sich die Versöhnung

zu gewinnen. Ziel ist, die andere Person wieder als handeln-

zweier Partner anhand von drei Stichworten beschreiben

des Subjekt statt durch den Filter der eigenen Erwartungen

(Jellouschek 1995):

und Bewertungen wahrzunehmen.



Geschichte gegenseitiger Verletzungen,



Verantwortung übernehmen sowie



Wiedergutmachung und ggf. symbolischer Neuanfang

Entscheidung zur Vergebung und zum Loslassen der negativen Gefühle

vs. Distanzierung/Trennung.

Die Vergebung ist ein Willensakt bzw. die Entscheidung, nicht weiter unter dem Vorfall zu leiden und der anderen Person

Geschichte gegenseitiger Verletzungen

wieder offen begegnen zu wollen. Dieser Willensakt ist not-

und Besprechen der gegenseitigen Verletzungen in der

Zutage fördern

wendig, doch erst das Loslassen der negativen Gefühle führt

bisherigen Paargeschichte. Jeder hört dem anderen zu, ver-

dazu, sich innerlich von der verletzenden Begebenheit zu

sucht sich einzufühlen oder zumindest die Perspektive des

befreien. Das Loslassen kann in symbolischen Handlungen

Partners zu übernehmen und die Tragweite für den Partner

oder auch im Verbalisieren der eigenen Verletzung gegen-

zu erkennen.

über dem Partner bestehen.

Verantwortung übernehmen

Es geht darum, dass beide

anerkennen, den anderen verletzt zu haben und dies nicht Neues Verhältnis und neues kommunikatives Verhalten

bagatellisieren.

gegenüber der verletzenden Person

Wiedergutmachung

Es ist möglich, dass es nach der Vergebung zu einer Wie-

gegenüber der verletzenden Person bestehen, der sich allein

derannäherung kommt, z. B. im Sinne einer Versöhnung; es

durch Verstehen und Einsehen nicht auflöst („Ausgerechnet

ist jedoch auch eine Distanzierung (temporär und/oder mit

in diesem Moment, wo ich ihn besonders gebraucht hätte“

Formulierung von Regeln und Abmachungen für die Zukunft)

o. ä.), der ein geheimes Ungleichgewicht zwischen beiden

oder endgültige Trennung möglich.

erzeugt und sich meist daran zeigt, dass aus scheinbar

Häufig bleibt ein gewisser Vorbehalt

geringfügigem Anlass „die Untat“ aus der Vergangenheit

9 wieder präsentiert wird. Solche Situationen entstehen sogar



Empathiefähigkeit und interpersonelles Vertrauen,

dann, wenn der „Unschuldige“ dem „Schuldigen“ wirklich



Vergebung und psychischer Gesundheit sowie

vergeben will. Hier kann ein Wiedergutmachungsritual hilf-



ruminative Beschäftigung (Grübeln).

reich sein (Worte, Handeln, symbolische Geste) oder auch ein symbolischer Neuanfang in der Beziehung.

Empathiefähigkeit und interpersonelles Vertrauen Dies sind wesentliche Voraussetzungen für die Fähigkeit zu

„Aufgaben“ zur Unterstützung des

vergeben. Dreh- und Angelpunkt des Vergebungsprozesses

Vergebungsprozesses

ist das Bemühen des „Opfers“ um die Perspektivenüber-

Zunächst wird jeder Partner gebeten, sich vorzustellen, wo-

nahme des Täters. Wenn dies nicht gelingt, ist Vergebung

mit er den anderen im Laufe der Beziehung wohl am meisten

unwahrscheinlich.

verletzt hat. Beide notieren unabhängig voneinander ihre Einfälle und bringen diese zur folgenden Sitzung mit. In die-

Vergebung und psychische Gesundheit

ser wird zunächst jeweils einer in Anwesenheit des anderen

Zwischen Vergebung und psychischer Gesundheit besteht

darüber befragt, womit er den anderen verletzt hat, ohne

ein positiver Zusammenhang, dessen Richtung allerdings

dass bereits bekannt ist, was der Partner notiert hat. Erst

bisher nicht ganz eindeutig ist: Eine bessere psychische Ge-

dann werden die Äußerungen einander gegenübergestellt

sundheit könnte zu vermehrter Vergebung führen. Es könnte

und besprochen.

aber auch umgekehrt sein, dass eine erhöhte Vergebungsbereitschaft zu besserer psychischer Gesundheit beiträgt.

Ergänzend wird dann eine weitere Aufgabe angeregt: Jeder möge bis zum kommenden Paargespräch notieren, was der

Ruminative Beschäftigung

andere tun könnte, damit man ihm die schwerste Verletzung

Widersprüchliche Befunde liegen dazu vor, ob eine intensive

vergibt. In der folgenden Stunde wird wiederum zirkulär

ruminative Beschäftigung (Grübeln) mit der verletzenden Tat

darüber gesprochen: Der „Schuldige“ wird zuerst nach sei-

seitens der verletzten Person Einfluss auf die Vergebungs-

ner Vermutung gefragt, was der andere sich wohl für eine

bereitschaft hat. Häufige Gedanken und Erinnerungen rufen

„Buße“ für ihn überlegt hat usw. Entscheidend ist, ob die

tendenziell immer wieder negative Emotionen hervor, die

verletzte Person dem anderen überhaupt etwas zur Wieder-

nicht nur die Bereitschaft zu vergeben mindern, sondern

gutmachung auferlegen und damit eine Chance geben will

auch die Fähigkeit, das Ereignis in einem anderen Bedeu-

oder ob dies nicht möglich ist, und was sich daraus ergibt.

tungskontext zu sehen. Frauen tendieren dazu, intensiver

Der „rote Faden“ dieser Aufgaben bezieht sich auf das, was

über eine verletzende Tat nachzugrübeln als Männer.

ist für die weitere Entwicklung der Beziehung erforderlich ist. Manchmal reicht es nicht aus, „nur“ zu akzeptieren bzw. Verantwortung zu übernehmen.

Schlussfolgerungen

Verzeihen, Vergeben und Versöhnen dürfen natürlich nicht

Die Befürchtung, eine Paartherapie könne dazu beitragen,

zum Ersatz für eine fällige Auseinandersetzung werden

alte Verletzungen und Enttäuschungen wiederzubeleben

oder den Konflikt zudecken bzw. verschieben. Wirkliche

oder eine bereits schwierige Situation noch zu verschlim-

Versöhnung bringt immer auch die Machtverhältnisse in ein

mern, wird insbesondere von älteren Männern als Vorbehalt

Gleichgewicht und ermöglicht eine konstruktive Entwicklung

gegenüber dem paartherapeutischen Setting geäußert. Oft

menschlicher Beziehungen.

ist es aber umkehrt: Der Weg zur Paartherapie ist bereits die Folge davon, dass ehemals Verdrängtes bzw. Aufgeschobe-

Empirische Befunde zur Vergebung

nes zumindest von einem Partner wieder erinnert wird, nicht nur, aber auch als Begleitsymptom einer Depression. Weitere typische Begleiterscheinungen unverarbeiteter Erlebnisse können in vermehrter Ängstlichkeit, im Verlust von Vertrau-

Der aktuelle Forschungsstand zur Vergebung zeigt, dass

en und einer Zunahme von Feindseligkeit und Groll innerhalb

noch weitgehend unklar ist, wie individuelle Vergebungs-

der Paarbeziehung bestehen. Wenn Jahre oder Jahrzehnte

und Versöhnungsprozesse genau ablaufen und wie hilfreich

zurückliegende Verletzungen die Gegenwart belasten, ist

sie tatsächlich sind. Eine Übersichtsarbeit (Stammel u.

entscheidend, welche Bedeutung diese im aktuellen Kontext

Knaevelsrud 2009) zeigt vor allem drei für die klinische Praxis

haben und welche therapeutischen Möglichkeiten bestehen,

relevante Befunde:

damit umzugehen.

10 Auch wenn es in der Praxis oftmals anders läuft als in idealty-

Beispiel traf das Paar die Entscheidung, verletzt zusammen

pischen klinischen Konzepten, ist das Wissen um die einzel-

weiterzuleben in emotionaler Distanz, also eine Form von

nen Elemente eines Vergebungsprozesses hilfreich. Obwohl

innerer Trennung beizubehalten. Ältere Paare in Langzeitbe-

der therapeutische Umgang mit Verletzungen nicht ohne die

ziehungen beenden in der Regel die Paartherapie, bevor Sie

Auseinandersetzung mit Schuld vs. Unschuld auskommt und

den endgültigen Bruch ihrer Ehe riskieren. Sie unterscheiden

Leben immer auch bedeutet, Fehler zu machen und schuldig

sich damit sowohl von jüngeren Paaren als auch von älteren

zu werden, zieht die Autorin den neutraleren, sachlicheren

Paaren in jungen Beziehungen, die sich im Fall schwerer

Begriff der „Verarbeitung einer Verletzung“ dem Begriff der

Verletzungen eher trennen und scheiden lassen.

„Vergebung“ aus den im Folgenden genannten Gründen vor. Interessenkonflikt Vergebung weckt Assoziationen an die christliche Erlösungs-

Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessen-

lehre und damit an einen überhöhten, fast religiösen Akt.

konflikt besteht.

Vielleicht wäre die Schwelle, sich auf einen solchen Prozess einzulassen, für Patienten und Therapeuten etwas niedriger, wenn der Anspruch, den der Begriff nahe legt, etwas bescheidener wäre. Vergebung beinhaltet eine eindeutige Täter-Opfer-Polarisierung. In der Paartherapie ist die Rollenverteilung selten so eindeutig, und es ist daher meist sinnvoll, eindeutige Zuschreibungen aufzuweichen bzw. an der Rücknahme von Projektionen zu arbeiten.

Fazit Die Option der Trennung wurde in den vorgestellten Fallbeispielen nicht ernsthaft erwogen. Im ersten Fallbeispiel kam es zu gegenseitigem Verstehen, Verzeihen und Versöhnen;

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eine Art Neuanfang in der Ehe wurde möglich. Im zweiten

Literatur Jellouschek H (1995) Warum hast du mir das angetan? Untreue als Chance. Piper, München Kämmerer A, Kapp F (2002) Emotionale Stiefkinder therapeutischen Handelns: zum Beispiel Vergebung. Psychother Dialog (PiD) 3:184–187 Kämmerer A (2007) Vergeben: eine Quelle von Wohlbefinden. In: Frank R (Hrsg) Therapieziel Wohlbefinden. Ressourcen aktivieren in der Psychotherapie. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, S 228–236 Riehl-Emde A (2008) Paartherapie für ältere Paare. Konzept einer Spezialsprechstunde und Einblick in die Praxis. Psychother Dialog (PiD) 9:38–42 Riehl-Emde A, Cierpka M (2006) Spezialambulanz für ältere Paare am Institut für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie. Psychother Alter (PiA) 3:99–106 Stammel N, Knaevelsrud C (2009) Vergebung und psychische Gesundheit nach traumatischen Erlebnissen: Ein Überblick. Trauma Gewalt 3:34–41 Weingardt BM (2006) Das verzeih‘ ich dir nie. Kränkungen überwinden, Beziehungen erneuern, 5. Aufl. Brockhaus, Wuppertal

11

Sexualberatung nach sexueller TraumatisierungIntimität und Sexualität (wieder) leben lernen Ruth Gnirss-Bormet

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öffentlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Wir erfahren in der Beratung und Psychotherapie täglich von den gravierenden Folgen, die sexuelle Übergriffe auf das Leben und Erleben der betroffenen Menschen haben, wenngleich die Ausprägung von Langzeitfolgen sowohl im Hinblick auf die sexuelle Ausbeutung im Kindesalter wie auch im Hinblick auf die sexuelle Traumatisierung Erwachsener stark davon beeinflusst wird, ob es weitere Belastungsfaktoren wie Bindungstraumata oder physische Gewalt gab bzw. inwieweit protektive Faktoren vorhanden waren. In der Regel gilt folgende Beschreibung: „Je näher der Täter dem Opfer steht, je früher der Missbrauch beginnt und je länger er anhält, je massiver und gewalttätiger die Übergriffe sind und je weniger das Opfer die Möglichkeit hat, sich dem Einwirken des Täters zu entziehen und/oder sich anderen zu offenbaren, umso gravierender werden die Spät- und Langzeitfolgen sein.“1 Wir wissen auch um die oft massiven Folgen auf das sexuelle Erleben. Wir erfahren von sexuellen Funktionsstörungen verschiedener Ausprägung, bei männlichen Opfern erfahren wir außerdem von sexuell- delinquentem Verhalten in der Folge erlittener sexueller Gewalt, wenn eigene traumatische Erfahrungen später reinszeniert werden 2 , 3. Viele PatientInnen erzählen von massiven Ängsten vor körperlicher Nähe, Intimität und Sexualität. „Glück lebt man, Belastendes spricht man aus, um sich davon zu befreien“, Maxi Wander

In Supervisionen wird oft die Frage gestellt, wie mit den erlebten Traumata der KlientInnen und ihren Folgen für die Sexualität im Alltag einer Beratungsstelle oder einer ärztli-

Lange Zeit wurde das Thema sexueIler Gewalt öffentlich

chen oder psychotherapeutischen Praxis umzugehen ist.

kaum diskutiert, erst seit Beginn der 80er Jahre rückte es -

SexualberaterInnen und SexualtherapeutInnen fühlen sich

auch durch die Aktionen der Frauenbewegung - ins Licht der

häufig mit den Auswirkungen traumatischer Erfahrungen

Beyer et al: Sexualmedizin, „Opfer sexueller Übergriffe“, S. 408 Dudeck et al: „Die Bedeutung von Persönlichkeit und sexueller Traumatisierung für forensische Patienten mit einem Sexualdelikt“, Zeitung für Psychotherapie, Psychosomatik, Med. Psychologie, 2006, 56 (3-4), S. 147-153 3 Reinmann, M.: „Persönlichkeitsgestörte Sexualstraftäter in der forensichen Psychiatrie“, Verlag Dr. Kovac, HH 2009, S.166-171 1 2

12 und mit den in der Traumatherapie angewandten Methoden nicht hinreichend vertraut. Sie überweisen deshalb

an

TraumatherapeutInnen, wenn ein traumatisches Geschehen bekannt oder zu vermuten ist. Die TraumatherapeutInnen wiederum sind im Hinblick auf sexuelle Probleme - wie die meisten PsychotherapeutInnen - zu wenig ausgebildet, da der Umgang mit sexuellen Problemen in den entsprechenden Ausbildungen kaum Thema ist. Hinzu kommt, dass es bislang für viele TherapeutInnen ungewohnt ist, begleitend zur Einzeltherapie oder ausschließlich im Paarsetting zu arbeiten. Dies ist für sexuelle Probleme meist

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unerlässlich, da diese Probleme beide Partner betreffen und am ehesten durch beide Partner zu verbessern sind.

Grundsätzliches zum seelischen Erleben nach Traumatisierungen

Das führt dazu, dass PatientInnen mit ihrem verständli-

Wir wissen, dass die Auswirkungen sexueller Übergriffe

chen Anliegen, bei den vorhandenen sexuellen Problemen

sehr unterschiedlich sein können. Es gibt nicht „das sexuelle

Unterstützung und Hilfe zu erfahren, beim Gegenüber oft

Trauma“, und es gibt nicht „die spezifischen Traumafolgen“.

Unsicherheit und Irritation auslösen. Diese PatientInnen

Aus Platzgründen kann dieses Thema hier nicht ausführlich

ohnehin

diskutiert werden, es sei zur vertieften Auseinandersetzung

haben aufgrund ihrer Scham- und Schuldgefühle

4

schon im Vorfeld große Probleme, ihre Anliegen deutlich zu

deshalb auf weiterführende Literatur verwiesen. 6 7

machen. Wir müssen dafür im Gespräch aktiv einen Raum eröffnen, um sich diesem Thema auf eine behutsame Art zu

Dennoch ist es hilfreich sich zu vergegenwärtigen, in wel-

nähern. Im Einzelgespräch kann man z.B. die Frage stellen,

chen Bereichen seelischen Erlebens wir häufig mit Folgen

ob es in der Kindheit, Jugend oder auch im Erwachsenenalter

eines Traumas zu rechnen haben.

sexuelle Erlebnisse gab, die als schwierig oder peinlich erlebt wurden und über die es schwierig ist zu sprechen.5 Man

Das Erleben von sexueller Ausbeutung und Gewalt beein-

kann auch fragen, ob es sexuelle Erlebnisse gab, die mit nur

trächtigt nachhaltig das Gefühl von Sicherheit und Geborgen-

teilweisem Einverständnis oder gegen den eigenen Willen

heit und stört oft die Fähigkeit, vertrauensvolle Beziehungen

erfolgten, z.B. weil man überrumpelt wurde. Wir müssen

aufzunehmen. Das Gefühl, Kontrolle über das eigene Leben

aktiv signalisieren, dass wir bereit sind, über traumatische

zu haben und sich selbst wirksam für sich und alles, was

Erfahrungen mit PatientInnen zu sprechen, damit sie über-

einem wichtig ist, einsetzen zu können, kann nachhaltig

haupt Thema werden können.

geschädigt sein. In der Folge ist das Erleben von Nähe und Intimität oft angstbesetzt. Viele Opfer sexueller Übergriffe

Mit diesem Artikel sollen Erfahrungen aus der Praxis der Se-

leiden zudem unter Gefühlen von Scham und fragen sich,

xualberatung dargestellt und reflektiert werden, um Mut zu

inwieweit sie am Geschehenen mitschuldig sind, wie es

machen, sich diesem schwierigen Thema zuzuwenden. Es

ihnen oft vom Täter suggeriert wurde. Sie leiden darunter,

wird hoffentlich deutlich werden, wie wichtig das Gespräch

sich nicht wertvoll zu fühlen. 8

über sexuelles Erleben, ggf. auch eine Sexualberatung oder

Untersuchungen aus der psychosomatischen Medizin und

Sexualpsychotherapie nach sexuellen Traumata sein kann

Psychiatrie zeigen Zusammenhänge zwischen dem Erleben

und wie wir Frauen und Männer dabei unterstützen können,

sexueller Gewalt und dem Auftreten von Essstörungen, au-

Partnerschaft und Sexualität (wieder) leben zu lernen.

toaggressivem Verhalten (z.B. Ritzen an den Armen), Depres-

Scham- und Schuldgefühle können z.B. damit im Zusammenhang stehen, während des Übergriffs sexuelle Erregung verspürt zu haben oder dazu gezwungen worden zu sein, selbst sexuell aktiv zu werden, oder sich unzureichend vor einer Wiederholung des Geschehenen geschützt zu haben. 5 Grundlegende Ausführungen zur Sexualanamnese und Sexualberatung In: Buddeberg, C.,Thieme 2005 : „Sexualberatung“, 4. aktual. Auflage 6 Richter- Appelt, H., Psychosozial Verlag, 1997: „Verführung, Trauma, Mißbrauch“,: „Sexueller Mißbrauch ist keine Diagnose“, S. 91-107 7 Richter- Appelt, H. „Psychotherapie nach sexueller Traumatisierung“ In: V. Sigusch Hrsg., Thieme Verlag, 2001: „Sexuelle Störungen und ihre Behandlung“ 8 Wirtz, U., Kreuz-Verlag, „Seelenmord - Inzest und Therapie“, S. 85-92 4

13 sionen, Angststörungen, Zwangserkrankungen, chronischen

(sich aufdrängende Erinnerungen) erleben, in denen das

Schmerzerkrankungen und Persönlichkeitsstörungen.

Trauma wieder so erlebt wird, als wäre es gegenwärtig.

9

Im Bezug auf die Sexualität finden sich neben dem

Diese sogenannten „Flash- Backs“ können ausgelöst wer-

Vorhandensein sexueller Funktionsstörungen auch die

den durch alle Reize und Sinneswahrnehmungen (Trigger),

vorzeitige Aufnahme sexueller Beziehungen mit häufigem

die an das traumatische Geschehen erinnern, was dann

Partnerwechsel, nicht selten als Ausdruck einer Suche nach

jegliche positive sexuelle Empfindung sofort auslöscht. Sie

Anerkennung und Geborgenheit seitens eines jungen Men-

können ausgelöst werden durch olfaktorische Reize wie

schen, dem zwischenmenschliche Beziehungen nur in einer

Rasierwasser oder Biergeruch, durch akustische Reize wie

sexualisierten Form bekannt sind. Daneben gibt es aber

lautes Atmen oder Stöhnen, durch bestimmte Bilder, z.B.

auch unbeeinträchtigtes sexuelles Erleben in tragfähigen

eine Fensterscheibe, auf die der Regen prasselt, oder auch

Partnerschaften.

durch bestimmt haptische Reize, wenn sich etwas ähnlich

10

anfühlt wie in der traumatischen Situation. Beim Erleben eines Traumas, aber auch noch lange danach kann es zu verschiedenen Abwehrmechanismen kommen,

Menschen, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben,

und diese Abwehrmechanismen können das sexuelle Erle-

können sich kaum vorstellen, wie verstörend es sein kann,

ben nachhaltig beeinträchtigen:

sich plötzlich in ein Geschehen und in eine so belastende Gefühlswelt versetzt zu fühlen, an die vielleicht noch nicht

Im Trauma kommt es oft zur Dissoziation.11 Diese kann als

einmal eine bewusste Erinnerung besteht. Oft tauchen da-

eine Art Notfallreaktion verstanden werden, um sich vor zu

bei starke Ekel- und Schmerzgefühle auf, die Frauen stoßen

viel Angst, Ohnmacht, Panik und Schmerz zu schützen.

ihren Partner weg oder flüchten aus der Umarmung, oder die weiter oben beschriebenen psychischen Abwehrmecha-

Traumaopfer berichten, dass sie während des Übergriffs ein

nismen werden aktiviert.

Gefühl von Unwirklichkeit erlebten (Derealisation), dass sie sich nicht mehr als sich selbst fühlten (Depersonalisation),

Eine Patientin berichtet: „Wenn mein Mann sich mir von hin-

einige berichten, dass sie die Empfindung hatten, aus ihrem

ten nähert, krieg ich totale Panik, obwohl er mich vielleicht

Körper herauszutreten, sich aus einer Distanz heraus liegen

nur liebevoll umarmen will, ich kann mich nicht mehr rühren,

zu sehen oder den Eindruck hatten, dies alles geschehe in

bin wie gelähmt, möchte schreien, kann es aber nicht.“

Wirklichkeit einer anderen Person. Andere berichten von einer plötzlichen Gefühllosigkeit, von einem Erstarren bzw.

Traumafolgeerscheinungen können sich massiv auf die

innerem Taubwerden (Numbing). Diese Zustände gingen und

Sexualität auswirken.

gehen einher mit sehr hoher, oft aber auch mit einer sehr

In der Schilderung sexueller Probleme nach Traumata kehren

geringen Körperspannung. So können „die Beine schwach

einige Phänomene immer wieder. Sie sollen im Folgenden

werden“ oder „man kann sich nicht mehr rühren“. Andere

dargestellt werden, zum einen, weil sie Hinweis darauf sein

berichten von einer extremen Anspannung in den Beinen

können, dass an ein Trauma gedacht werden muss, zum an-

und im Unterleib, die sogar mit Schmerzen einhergehen

deren, weil sie uns aufmerksam machen dafür, wie Schritte

kann.

hin zu mehr Gesundung aussehen können. PatientInnen schildern uns die Fühllosigkeit einzelner Kör-

Manche fühlten sich vom eigenen Körper wie abgetrennt,

perbereiche. Oft sind es die Bereiche, die beim Übergriff

manchmal wurden auch nur einzelne Teile des Körpers

berührt wurden. Diese Bereiche werden oft auch als über-

fühllos. Der eigene Körper kann dem Täter im Trauma wie

mäßig kalt empfunden, da auch die Physiologie in diesen

überantwortet, zur Verfügung gestellt worden sein, während

Prozess einbezogen ist. Die Durchblutung ist in diesen

man selber sich außerhalb des Körpers fühlte.

Bereichen gedrosselt, auch die Infektabwehr kann chronisch beeinträchtigt sein, es kommt z.B. zu gehäuften Infektionen

Manche Patientinnen haben kaum bewusste Erinnerungen

im Bereich der Scheide oder der Harnwege.

an das traumatische Geschehen, können aber Intrusionen Egle, U.T., Hoffmann, S.O., Steffen, M., (1997) Psychosoziale Risiko- und Schutzfaktoren in Kindheit und Jugend als Präposition für psychische Störungen im Erwachsenenalter. Gegenwärtiger Stand der Forschung. Nervenarzt: 68, S. 683-695 10 Beyer et al., Urban und Fischer, 2001: Sexualmedizin, S. 410 „Opfer sexueller Übergriffe“ 11 Beim Dissoziieren liegt eine Unterbrechung von integrativen Funktionen des Bewusstsein, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umgebung vor. 9

14 Viele Patientinnen berichten über ein Gefühl von Kraftlosig-

könnten oder brechen Beziehungen ab, sobald solche Er-

keit, manchmal eher im Unterleib, manchmal mehr in den

wartungen ins Spiel kommen.

Beinen, manchmal im ganzen Körper. Daneben kann es zu starken Muskelverspannungen mit Schmerzen kommen,

Viele Frauen und Männer in Partnerschaften leiden unter

die ebenfalls häufig Beine und Beckenboden betreffen. Hier

sexuellen Funktionsstörungen, v.a. unter Sexueller Aversi-

kann es z.B. darum gehen, dass im Körper der Impuls erin-

on12, Libidostörungen, Erregungs- und Orgasmusstörungen.

nert wird, die Flucht zu ergreifen, der gleichzeitig gehemmt

Frauen leiden unter Schmerzen beim Geschlechtsverkehr,

wurde.

weil der physiologische Erregungsablauf oft gestört ist und weil infolge des hohen, manchmal unbewussten Angst-

Diese Gefühle können dauernd vorhanden sein oder können

levels die Spannung im Beckenboden deutlich erhöht ist.

die Patientin plötzlich überfallen, wenn ein Reiz sie an eine

Diese Anspannung der Muskulatur des Beckenbodens kann

traumatische Situation erinnert, selbst wenn diese Situation

sich reflektorisch noch verstärken, wenn eine Berührung

der bewussten Erinnerung noch nicht zugänglich ist. So

des Scheideneingangs befürchtet wird oder erfolgt. Der

erzählt eine Patientin:

Scheideneingang wird dadurch stark eingeengt oder sogar

„Ich war plötzlich nicht mehr fähig, mich zu rühren, es war,

verschlossen, die Frau entwickelt eine vaginistische Reak-

als ob mein Körper nicht mehr mit meinem Kopf verbunden

tion. Dies kann eine gynäkologische Untersuchung ebenso

wäre, meine Beine waren total angespannt.“

verunmöglichen wie den Genitalverkehr. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Mehrzahl aller Frauen

Eine andere erzählt:

mit vaginistischer Symptomatik keine sexuellen Traumati-

„Ich kann nicht auf dem Rücken liegen, ich krieg sonst sofort

sierungen erlebt haben - die Ursachen des Vaginismus sind

Angst, zerquetscht zu werden, ich krieg fast keine Luft mehr.“

vielfältig. 13

Viele Frauen und Männer leben nach einem sexuellen Trauma viele Jahre weitgehend ohne bewusste positive Körperwahr-

Manchmal kann eine Traumatisierung über viele Jahre wie

nehmung. Ihr Körper ist wie ausgeblendet, oder sie spüren

vergessen sein, die Sexualität mit einem geliebten Partner

ihren Körper nur noch, wenn er ihnen Schmerzen bereitet.

wird zunächst „quasi am Trauma vorbei“ gelebt, bis durch ein Ereignis, das an das ursprüngliche Trauma erinnert, die

Ärztliche Untersuchungen können mit viel Angst verbun-

Erinnerung wiederkehrt.

den sein, weil sie unbewusst mit dem Gefühl assoziiert sind, sich ausliefern zu müssen. Dies betrifft keineswegs

So berichten einige Frauen, wie durch das Erleben ihrer

nur gynäkologische Untersuchungen. Viele Frauen berichten

ersten Geburt und die damit einhergehende Situation des

über ein „Wegswitchen“, sobald die Nähe für sie bedrohlich

Sich-Ausgeliefert-Fühlens die Erinnerung an das Trauma

wird, auch in der Untersuchungssituation. Sie sind ängstlich,

zurückkehrte. 14

wenn sie bemerken, dass eine Tür geschlossen wird. Einige beginnen zu weinen, geraten in Panik und beginnen heftig

Eine Patientin: „Ich hatte alles völlig vergessen, als junge Frau

zu zittern. Andere beschreiben Linien am Körper, an denen

entdeckte ich mit meinem Mann ganz normal die Sexualität,

eine Berührung beginnt ihnen Angst zu machen, zum Bei-

wir konnten unser sexuelles Zusammensein genießen. Mit

spiel oberhalb des Knies am Oberschenkel oder bestimmte

der Geburt kam die Erinnerung zurück. Ich ertrage die Nähe

Bereiche sind wie taub. Sie lösen bei ihren ÄrztInnen oft

meines Mannes nicht mehr. Wenn er mit mir schläft, fühle

Hilflosigkeit und Ratlosigkeit aus, wenn diese die Reaktionen

ich mich vergewaltigt. Wie schlimm es mir geht, habe ich ihm

nicht einordnen können.

bisher nicht gesagt. Aber er merkt, das alles anders ist.“

Viele Menschen leben zurückgezogen und meiden alle Beziehungen, die mit erotischen Wünschen verknüpft sein

Sexuelle Aversion geht oft einher mit massiven Angst- und Ekelgefühlen sowie Zeichen vegetativer Übererregung. Sie weist darauf hin, dass sexuelles Erleben subjektiv mit Zwang und Not in Verbindung gebracht wird und mit einem Gefühl subjektiver Überforderung. Somit kann sie ein wichtiger Hinweis sein auf vorangegangene sexuelle Traumata. Sie kann sich aber auch entwickeln, wenn Frauen/Männer sich zu lange genötigt haben oder genötigt fühlten, die sexuellen Wünsche des Partners oder der Partnerin zu erfüllen, um diese nicht abweisen zu müssen bzw. mit ihrer Enttäuschungsreaktion umgehen zu müssen. Siehe auch: Gnirss-Bormet R. : „Libidostörungen. Diagnostische Abklärung und Behandlung“. In: Psychotherapeut: 49, 2004, 5, S. 341-349. 13 Gnirss-Bormet, R.: „Dyspareunie, Vaginismus oder Endometriose - Sexualmedizinische Beratung - Begleitmaßnahmen. In: Gynäkologische Praxis : 32, 2008, S. 715-724. 14 Gnirss, R., Buddeberg, C.: Libidoverlust nach der Geburt. In: Frauenheilkunde Aktuell: 2000, 9:3. 12



15 Grenzen setzen können. Vielleicht braucht es dieses Wissen, um daran glauben zu können, dass man selbst bei diesem Gegenüber lernen und üben kann, sich selbst vor Überforderung zu schützen und notwendige Grenzen zu ziehen.

Aufklärung und Information - die wichtige Rolle der Psychoedukation Die Vermittlung von Wissen über mögliche Traumafolgen hilft, die erlebten Symptome als eine „normale Anpassungsreaktion an nicht normale Bedingungen“ zu verstehen. Die Beschreibung der häufigsten nach sexueller Traumatisierung Foto: Lea Link, Schweiz

auftretenden Symptome und Verhaltensweisen kann zur Orientierung beitragen und hilft, das eigene Erleben ein-

Wichtige Rahmenbedingungen für die Beratung Wenn in einer ärztlichen Untersuchungssituation, in einer Beratung oder in einer Psychotherapie Hinweise dafür auftauchen, dass ein traumatisches Geschehen vorliegen könnte, muss sich die BeraterIn, ÄrztIn oder TherapeutIn fragen, ob sie sich hinreichend sicher und gut genug ausgebildet fühlt, um diesen Verdacht weiter abklären zu können. Vielleicht ist es gut, im Rahmen einer Supervision dieser Frage nachzugehen bzw. sich der Unterstützung einer Supervision zu vergewissern, um in Ruhe weiterarbeiten zu können. Für die KlientInnen jedenfalls ist es wichtig, dass sie erst einmal in Ruhe ihr Anliegen formulieren und sich gehört fühlen können, ohne sofort weitergeschickt zu werden. Dann wird man ggf. in Ruhe gemeinsam überlegen, wo eine kompetente Beratung oder Therapie stattfinden kann. Oft braucht es Zeit, einen geeigneten Platz zu finden, wenn man den Eindruck hat, dass die Schwere der Traumatisierung eine Sexualpsychotherapie notwendig macht. Selbst wenn man sich einig ist, dass eine traumaorientierte Sexualpsychotherapie notwendig ist, kann es KlientInnen sehr unterstützen, wenn diese Wartezeit schon für eine Beratung genutzt werden

zuordnen. Dies wirkt entpathologisierend.

15

Hier kann es

auch hilfreich sein, geeignete Literatur zum Thema Trauma und Traumafolgen 16, 17 aber auch zum Thema Sexualität zu empfehlen, die zu Hause im eigenen Tempo gelesen werden kann. 18 Weiterhin braucht es zunächst vor allem Stabilisierung. Im Gespräch über die sexuellen Probleme müssen wir als BeraterIn darauf achten, dass wir weder uns selbst noch den PatientInnen zu viel zumuten. Wir dürfen kleine Schritte machen und wir dürfen durch emotional weniger belastende Themen und durch das Sprechen über Ressourcen immer wieder „emotionale Verschnaufpausen“ einlegen. Wir müssen als BeraterIn unsere eigene Befindlichkeit wie auch das Angstlevel unseres Gegenübers und die nonverbalen Zeichen von Anspannung beachten, um Überforderung auf beiden Seiten wenn möglich zu vermeiden. Wir vermitteln unseren KlientInnen, dass wir gut genug auf uns selber achten können. Und wir vermitteln unseren KlientInnen, dass sie jederzeit mitteilen können, wenn sie etwas nicht sagen möchten und dass wir sie bitten uns mitzuteilen, wenn es

kann und wenn sie sich begleitet fühlen.

ihnen mit einer Frage oder Intervention nicht wohl ist.

Zum Vorgehen in der Beratung

Es gilt das Prinzip der Selbstverantwortung, d.h. nur das zu

In der Beziehung zwischen BeraterIn und KlientIn braucht es

tun und nur so lange etwas zu tun, wie es einem damit gut

Sicherheit, Vertrauen und Klarheit. Zu dieser Klarheit gehören

geht. Sobald etwas unangenehm wird, ist man aufgerufen,

auch ein klares Setting und die Einhaltung des vereinbarten

dies mitzuteilen und damit die Verantwortung für die eige-

Zeitrahmens.

nen Grenzen zu übernehmen. 19

KlientInnen scheinen manchmal die BeraterInnen unbewusst

Die Wiederaneignung des Körpers- (wieder) bei sich ankom-

zu testen, ob diese gut genug für sich sorgen und nötigenfalls

men

Wöller, Wolfgang: Trauma und Persönlichkeitsstörung. Schattauer Verlag, 2006, S. 241 Wöller, Wolfgang: Trauma und Persönlichkeitsstörung. Schattauer Verlag, 2006, S. 241-246 17 Reddemann, Luise; Dehner-Rau, Cornelia: Trauma : Folgen erkennen, überwinden und an ihnen wachsen ; ein Übungsbuch für Körper und Seele. – 3., vollst. überarb. Aufl. – Stuttgart : Trias, 2008. 18 Gnirss- Bormet, R.: „Sexualberatung bei Problemen in den Wechseljahren“. In: Tägl. Praxis: 46, 2005, 303-309 19 Zum Prinzip „Selbstverantwortung“ siehe auch: Hauch et al., „Paartherapie bei sexuellen Störungen“, Thieme Verlag, 2006, S . 51-52 15 16

16 Im weiteren Verlauf der Beratung entwickelt sich oft ein ge-

finden. Ich bat sie, sich entgegen ihrer Gewohnheiten von

meinsames Suchen, wie es gelingen kann, sich den Körper

einer Freundin auf einem Fest fotografieren zu lassen. Sie

wieder auf eine gute Weise anzueignen, der bislang oft wie

war so überrascht darüber, wie hübsch sie auf diesen Bildern

fremdes Territorium erlebt wird. Kleine „Wahrnehmungsex-

aussah, dass sie sich zunächst nicht erkannte.

perimente“ für zu Hause, die gemeinsam genau vorbespro-

Viele PatientInnen profitieren von einem Entspannungstrai-

chen werden, können helfen, den Körper wieder spürbarer

ning zum Stressabbau, weil sie vegetativ übererregbar sind.

zu machen, zu beleben, seine Grenzen und seine Kraft zu

Hier ist u.a. die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson

spüren. Den Körper durch Berührung und durch Bewegung

sehr zu empfehlen, weil sie recht gut zu lernen ist.

wieder bewusst wahrzunehmen steht oft am Anfang dieses Weges. Viele Patientinnen erleben z.B. beim Schwimmen im

Durch sportliche Aktivitäten kann sich das Gefühl von

warmen Wasser erstmals wieder eine wohltuende Berührung

Selbstwirksamkeit stärken, durch Laufen, Radfahren, auch

ihrer Körperoberfläche, die sie jahrelang überhaupt nicht

durch Tanzen und Kampfsport erleben sich viele Frauen und

spüren konnten. Es geht um die Wahrnehmung der Körper-

Männer als vital, kraftvoll, durchsetzungsfähig, vielleicht

grenze, es geht darum, die Haut als Umhüllung des Körpers

auch wehrhaft. 20

wahrzunehmen und als Sinnesorgan neu zu erfahren. Mit einer weichen Bürste die Körperoberfläche zu bürsten kann

Übungen zur körperlichen Selbsterfahrung und ein zuneh-

helfen, die Durchblutung zu verbessern und dem Kälteemp-

mendes vertrauter werden mit der eigenen Genitalregion

finden entgegenzuwirken, und die Berührung mit der Bürste

helfen, den eigenen Körper besser kennenzulernen und

ist intensiv genug, um die Körperoberfläche zu spüren. Viele

sexuelle Wahrnehmungen und Wünsche zu differenzieren.

KlientInnen müssen auch erst (wieder) lernen, mit sich selbst fürsorglich umzugehen, sich warm genug zu kleiden, sich gut

Interdiszplinäre Vernetzung kann weitere Unterstützung

genug zu ernähren, gerade, wenn es in ihrer Kindheit auch

geben z.B. mit psychosomatisch orientierten Gynäkolo-

emotionale Vernachlässigung und/oder physische Gewalt

gInnen

gab. Oft haben sie kaum mütterliches Sich-Kümmern und Unterstützung erfahren und brauchen Anregungen, wie sie

Je vertrauensvoller die Zusammenarbeit zwischen Sexualbe-

gut für sich sorgen können.

raterInnen, PsychotherapeutInnen, KörpertherapeutInnen,

Hier können sich auch gemeinsame Metaphern und Rituale

AllgemeinmedizinerInnen und GynäkologInnen sich gestal-

entwickeln: Für eine meiner Patientinnen waren Bratäpfel

tet - z.B. durch gemeinsame Fallbesprechungen, desto mehr

der Inbegriff von Zuwendung und Sicherheit. Bratäpfel, wie

profitieren die PatientInnen davon. Vorsichtige, respektvolle

die Großmutter sie in den Ferien für sie zubereitet hatte.

körperliche ärztliche Untersuchungen können zusätzliche

Wenn ich den Eindruck hatte, sie könnte durchaus ein biss-

Sicherheit vermitteln, dass trotz des sexuellen Traumas

chen liebevolle Selbstfürsorge vertragen, fragte ich deshalb

organisch alles in Ordnung ist und diesbezügliche Ängste

nach, ob sie sich vorstellen könne, auf dem Markt einige

in Bezug auf den eigenen Körper auflösen. So haben viele

Äpfel zu kaufen, für den Fall, dass sie plötzlich einen Bratap-

Frauen Angst, sie könnten vielleicht nie schwanger werden

fel brauchte. Das Zubereiten und der Genuss von Bratäpfeln

- eine Angst, die oft erst nach längerer Dauer der Beratung

wurde für sie der Inbegriff einer Ressourcensituation, die sie

ausgesprochen werden kann. Hier kann es wichtig sein, dass

selbst herstellen konnte.

die Frauenärztin bzw. der Frauenarzt einmal all das erklärt, was gut funktioniert. So kann ein regelmäßiger Zyklus ein

Je nach eigener Ausbildung können imaginative Methoden in

Hinweis darauf sein, dass die Eierstöcke gut funktionieren.

der Beratung eine große Hilfe sein, sei es zur Stabilisierung,

Es besteht die Möglichkeit zu überprüfen, ob ein Eisprung

sei es zur Erkundung und Differenzierung des Körperbildes.

stattfindet. Für viele sexuell traumatisierte Frauen können auf diese Weise Ängste aufgelöst werden, sie könnten un-

Häufig braucht es eine visuelle Neu-Orientierung in Bezug

fruchtbar sein.

auf den eigenen Körper- eine Selbstvergewisserung vor

Das Eintreten einer Schwangerschaft kann aus diesem

und mit dem eigenen Spiegelbild, da der eigene Körper

Grund ebenfalls als sehr erleichternd erlebt werden. Eine

verzerrt wahrgenommen wird, manchmal aufgrund alter

meiner Patientinnen fand erst mit und durch die Geburt ihres

Zuschreibungen durch Täter. Eine meiner Patientinnen litt

ersten Kindes den Mut und die Kraft, sich mit ihrem Trauma

darunter, sich - m.E. völlig zu Unrecht - völlig unattraktiv zu 20 Siehe auch: M. Eberhard-Kächele: „Wie das Kaninchen vor der Schlange“- Körper- und Bewegungsinterventionen bei traumatisierten Men- schen. In: Wöller, Wolfgang: „Trauma und Persönlichkeitsstörung“, Schattauer Verlag, 2006, S. 241-246

17 auseinanderzusetzen, weil dieses Kind ihr die Überzeugung

die anderen selbstverständlich vorkommen, z.B. das Recht,

gab, dass vieles in ihr und in ihrem Körper heil geblieben sein

in einer sexuellen Interaktion Wünsche zu äußern oder ein

musste, wenn sie dieses Kind gebären konnte.

klares Stopp zu signalisieren. Sie brauchen Unterstützung, um sich darüber klar zu werden, dass sie das Recht haben,

Exploration der gelebten Sexualität -

ihren sexuellen Spielraum auszuloten und zu erweitern wie

Unterschiede finden, die Unterschiede machen:

sie auch das Recht haben, selbst sexuell aktiv zu sein. Nach meinen Erfahrungen gibt eigene Initiative und Aktivität

Das Gespräch über die aktuell gelebte Sexualität hat einen

im sexuellen Zusammensein oft eher Sicherheit als eine

zentralen Stellenwert. Hier kann es gelingen, durch genau-

passiv-abwartende Rolle, weil so psychisch und körperlich

es Fragen einen Suchprozess einzuleiten, wie Flash-Backs

das Gefühl der Selbstwirksamkeit und Kontrolle besser er-

künftig vermieden und sexuelles Erleben befriedigender

lebbar wird.

möglich werden kann: Allerdings sind sexuelle Traumen so unterschiedlich und •

Was ist an Zärtlichkeiten vorstellbar? Was geht gut? Gibt

in ihren Auswirkungen auf das Erleben so verschieden,

es sexuelle Aktivitäten, die (fast) immer Spaß machen?

dass wir keine Empfehlungen abgeben können, sondern



Was geht nur unter welchen besonderen Bedingungen?

besser Fragen stellen und unsere Überlegungen immer



Gibt es Orte und Situationen, die mehr Sicherheit ver-

überprüfen müssen.

mitteln? An welchen Orten entstehen in der Regel eher •







Ängste?

Wenn wir wissen, wie sich Übergriffe in der Vergangenheit

Gibt es bestimmte Reize, die oft Flash-Backs auslösen?

abspielten, können wir oft gemeinsam Vorstellungen entwi-

(Gerüche, Geräusche, ein bestimmter Blick, eine be-

ckeln, wie es am wenigsten zu Erinnerungen an das Trauma

stimmte Haltung des eigenen Körpers)

kommt.

Gibt es Berührungen oder sexuelle Aktivitäten, die (vorerst) nicht denkbar sind? Hat man mit der PartnerIn/

Die Wahrnehmung und die Veränderung der Interaktion mit

dem Partner darüber ausreichend deutlich gesprochen?

dem konkreten Partner in der Gegenwart kann ein großes

Wie könnte sie/er auf die Mitteilung reagieren?

Potential für neue positive sexuelle Erfahrungen darstellen.

Gibt es Körperhaltungen oder Positionen, die eher das

Viele Frauen erzählen, dass sie ihren Partner eigentlich als

Gefühl vermitteln, „Regie führen zu können“ und die

rücksichtsvoll erleben, aber bisher noch nie klar ein Stopp

deshalb eine angstfreiere Begegnung ermöglichen?

äußern konnten, so dass die Partner gar nicht wissen, was

Weiß die PartnerIn/der Partner, wie sie/er den Kontakt

konkret für sie schwierig ist. Wir erarbeiten dann - wenn

wieder herstellen kann, wenn es doch einmal zum

möglich gemeinsam mit dem Partner - wie wichtig genaue

Dissoziieren kommt? Was hilft da am ehesten? Wie ist

Rückmeldungen für das gemeinsame Erleben sind und wie

das z.B. mit einem liebevollen Blickkontakt oder einem

wichtig es ist, die Erfahrung machen zu können, dass man

kurzen liebevollen Ansprechen - „Hey! Hier bin ich!“

wirksam Grenzen setzen kann.

Dieses genaue Erfragen der sexuellen Interaktion ist

Man kann nur Gas geben, wenn man weiß, dass die Brem-

überaus hilfreich. Wir können dann gemeinsam eine

se funktioniert:

Liste von Auslösern anfertigen, die in der Lage sind, ein

Wenn der Partner ein ausgesprochenes Stopp beachtet,

Flash-Back auszulösen. Sind diese Auslöser identifiziert,

unterscheidet ihn das vom Täter. Deshalb muss mit ihm

kann die Frau/der Mann mit ihrem/seiner PartnerIn den

ausführlich besprochen werden, wie wichtig es ist, dass

Umgang damit besprechen und oft eine einvernehm-

er sich an ein Stopp hält. Das fällt meistens leichter, wenn

liche Lösung finden. So kann es zum Beispiel hilfreich

verdeutlicht wird, dass ein Stopp nicht bedeutet, dass er/

sein, wenn ein Partner vor dem Lieben keinen Alkohol

sie etwas falsch gemacht hat.

trinkt, wenn dieser Geruch an den Täter erinnert; es kann helfen, sich im Wohnzimmer zu lieben, wenn die

Ich ermutige immer wieder, sich dieses wichtige Unter-

Übergriffe im Schlafzimmer stattfanden oder man kann

scheidungsmerkmal bewusst zu machen und ggf. auch zu

sich auf eine andere Tageszeit oder Beleuchtung eini-

überprüfen, ob ein Stopp wirklich gehört wird.

gen, die nicht mit dem Trauma in Zusammenhang steht. Wir versuchen somit in der Sexualberatung mit sexuell trauViele Frauen und Männer, die sexuelle Gewalt erlebt haben,

matisierten Frauen und Männern, den Möglichkeitsraum in

brauchen viel Zeit, um sich sexuelle Rechte zu erarbeiten,

der sexuellen Interaktion durch ein Gefühl von Selbstwirk-

18 samkeit und Kontrolle zu erweitern, wir suchen nach Wegen,

den Rückmeldungen und mit dem Sprechen über konkrete

die Sexualität auf eine Weise zu leben, die nicht (mehr)

sexuelle Wünsche und Begegnungen im Rahmen der Bera-

übermächtig an das Trauma erinnert, sondern das Erlebte

tung kann Attunement entwickelt werden, ein Sich einstim-

so integriert, dass körperliche Nähe und Sexualität wieder

men auf den anderen, ohne sich selbst zu verlieren. Wichtig

möglich wird.

in diesem Prozess ist eine verlässliche, authentische und immer wieder auch humorvolle Begleitung.

Auch die Partner brauchen Unterstützung und Information!

Und der feste Glaube daran, dass es in uns einen Wunsch

Viele Partner erleben in der Sexualberatung oder Therapie

und ein Potential zum seelischen Wachsen gibt, wenn die

zum ersten Mal, dass sie als Mitbetroffene und Mitleidende

Bedingungen dafür stimmen.

gesehen werden. Viele haben erleben müssen, dass ihre sexuellen Wünsche für die Partnerin eine Bedrohung und Zu-

Autorin:

mutung darstellten oder dass sie für ihre sexuellen Wünsche

Ruth Gnirss-Bormet

verachtet wurden. Häufig haben sie der Partnerin zuliebe

Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychothera-

viele Jahre ihres Lebens auf gemeinsame Sexualität weitge-

peutische Medizin, Sexualtherapeutin, eigene Praxis

hend verzichtet, meist überaus ratlos, weil sie nicht wussten,

mit dem Schwerpunkt Paar- und Sexualtherapie in Kassel,

was sie zur Lösung der Probleme beitragen sollten. Sie füh-

langjährige Gastdozentin am EZI

len sich ebenfalls um das Erleben einer zufriedenstellenden Sexualität betrogen. Einige berichten, wie sie sich lange Zeit

Literaturempfehlung zum Thema Sexualität:

zu einer Art von seelenlosem Sex aufgefordert fühlten, ohne

für Patientinnen:

Vorspiel, ohne Begegnung, weil ihre Partnerin ihnen vermit-

Eckert, D (2000): Aphrodites Töchter, Kösel, München

telte, so sei es für sie am besten. Die Partner können nur

für Patienten:

verstehen, was sie selbst und gemeinsam mit der Partnerin erlebt haben, wenn sie basale Kenntnisse über die Folgen sexueller Traumatisierung haben. Diese Kenntnisse müssen wir vermitteln. Sie müssen verstehen, wie wichtig es ist, dass sie im Zusammensein die zunächst gesetzten Spielräume ausloten und ein Stopp ihres Gegenübers beachten. Und es braucht auch für die Partner einen Raum, mit ihren Gefühlen von Wut, Schmerz, Ohnmacht und Trauer akzeptiert zu sein. Manchmal braucht es auch Unterstützung dabei, mit dem neuen Wissen über ein sexuelles Trauma nicht destruktiv

Zilbergeld, B. (2000): Die neue Sexualität der Männer, 4. Auflage, Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie

Literatur zum Thema Sexuelle Traumatisierung und Traumabewältigung: Haines, Staci Ausatmen: Wege zu einer selbstbestimmtem Sexualität für Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben. Orlanda, Berlin, 2001 Herman, Judith Lewis: Die Narben der Gewalt: traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden, Paderborn, Jungfermann, 2003 Rothschild, Babette Der Körper erinnert sich: die Psychophysiologie des Traumas und der Traumabehandlung- Essen. Synthesis, 2002

umzugehen. Einige Frauen haben Angst, dass ihr Mann in seiner Wut auf den Täter keine Grenzen kennt, tatsächlich gilt es hier manchmal zu helfen, dass diese Wut nicht ausagiert wird. Häufig stellt sich heraus, dass der Partner davon profitieren könnte, selbst beraterische oder therapeutische

Neue gemeinsame sinnliche Erfahrungen Es gilt oft auch, dem gemeinsamen sinnlichen Erleben neue Räume zu erschließen. Viele Paare genießen Ausflüge in ein Thermalbad, sie genießen es, sich im warmen Wasser gegenseitig zu halten und den eigenen Körper wie auch den Körper des anderen wieder zu spüren. Frauen erleben ihren Körper durch die bereits erwähnten Aktivitäten und „Übungen“ zunehmend als heil, als kraftvoll, als liebenswert. Die Möglichkeit, für sich selbst, aber auch für das Gegenüber Empathie zu empfinden, kann durch die neuen Erfahrungen wachsen. Mit

Foto: Lea Link, Schweiz

Unterstützung zu erhalten.

19

Die Bedeutung von Gewalt in der Paarbeziehung für die Psychotherapie mit Kindern Karl-Heinz Brisch *

Einleitung In diesem Beitrag wird zunächst gezeigt, wie wichtig die Er-

ständen fatal und traumatisierend aus. Eltern sollten ihren

füllung überlebenswichtiger Bedürfnisse durch die Eltern in

Kindern ermöglichen, Selbstwirksamkeit und Selbsteffektivi-

der frühkindlichen Entwicklung ist und wie sich dies auf die

tät zu erfahren, weil hierdurch das Gefühl, ein eigenständi-

Paarbeziehung auswirkt. Es wird deutlich gemacht, welch

ges Selbst und einen Selbstwert zu haben, gefördert wird:

große Bedeutung der kindlichen Stressregulation zukommt,

eine zentrale emotionale Repräsentation. Sind die Eltern in

die durch die Hilfestellung der Eltern möglich wird, und wel-

ihrem eigenen Selbstwertsystem geschwächt oder konnten

che Auswirkungen die Stressregulation auf die Entwicklung

sie es während ihre eigenen Kindheit nicht gut entwickeln,

der kindlichen Affekte und die Fähigkeit des Kindes zur

haben sie große Schwierigkeiten, die eigenen Kinder bei der

Selbstregulation von intensiven Gefühlen hat.

Entwicklung ihres Selbstwertsystems zu unterstützen: etwa

Auf diesem Hintergrund werden verschiedene Insze-

durch Lob, positive Unterstützung und Hilfestellungen, damit

nierungen von Gewalt in der Paarbeziehung und ihre

die Kinder in ihrem Handeln Selbstwirksamkeit erfahren kön-

traumatisierenden Auswirkungen auf die Entwicklung des

nen (Meins 1997). Die Erfahrung von positiver sensorischer

Kindes geschildert. An einzelnen Fallbeispielen werden die

Stimulation im Bereich von Hören, Schmecken, Riechen,

Möglichkeiten einer Psychotherapie sowie zum Abschluss das Programm »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« vor-

Fühlen, Sehen ist ebenfalls sehr essentiell und überlebens-

gestellt, das vor allem die Wiederholung von traumatischen

fördert die Entwicklung des Kindes und auch die emotionale

Erfahrungen aus der Paarbeziehung im Verlauf der Entwick-

Sicherheit in der Paarbeziehung (Lichtenberg et al. 2000).

wichtig. Besonders die feinfühlige sensorische Stimulation

lung des Kindes und in der Beziehung zu ihm verhindern soll.

Überlebenswichtige Bedürfnisse des Kindes

Die Regulation von stressvollen Affekten

Damit sich die Liebesfähigkeit des Kindes und eine gute

Die Eltern müssen ihrem Säugling helfen, dass er eine

Beziehung zu ihm entwickeln kann, ist es von großer Bedeu-

Fähigkeit zur Selbstregulation von stressvollen Affekten

tung, dass die Eltern in der Lage sind, seine physiologischen

entwickeln kann. Hierzu ist es notwendig, dass sie von An-

Bedürfnisse zu befriedigen. Hierzu gehören Nahrungsauf-

fang an die Signale eines Säuglings feinfühlig wahrnehmen

nahme (keinen Hunger leiden müssen), das Stillen von Durst,

und stressvolle übermäßige Erregungszustände vermeiden,

Wärme, Schutz, Schlaf, aber auch frische Luft und Bewe-

indem sie auf diese Signale adäquat und feinfühlig reagieren

gung. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse muss nicht nur

und prompt die Bedürfnisse des Säuglings – die er etwa

für das Kind, sondern auch für die Eltern selbst gut reguliert

durch Schreien ausdrückt – befriedigen. Wenn der Säugling

sein – sonst kann es ihnen in der Beziehung zu ihrem Kind

schreit und dabei in Panik ist, so sind solche Zustände ver-

nicht gutgehen. Gleichzeitig ist es sowohl für die kindliche

mutlich jeweils mit Todesangst, dem Gefühl, allein zu sein und

Entwicklung als auch die Zufriedenheit in der Paarbeziehung

vernichtet zu werden und dem Empfinden von Ohnmacht

sehr wichtig, dass das Kind positive sichere Bindungser-

verbunden. Dies wirkt sich traumatisierend aus und führt

fahrungen macht und die Möglichkeit der Exploration hat.

dazu, dass der Säugling schon sehr früh lernt zu dissoziie-

Sowohl gegenüber dem Kind als auch in der Paarbeziehung

ren: entweder, indem er motorisch und affektiv »einfriert«,

sollten alle Beteiligten darauf achten, dass negative Reize

erstarrt (sympatikotone Dissoziation) oder indem er in eine

vermieden werden können. Stark negative Reize, wie sie

Art »Erschlaffungszustand« gerät (parasympatikotone Dis-

durch Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung entstehen,

soziation). Letzterer ist dann mehr durch parasympathische

sind sowohl für die kindliche Entwicklung als auch für eine

Erregung gekennzeichnet, die oft auch mit Einnässen, Einko-

positive Paarbeziehung schädlich und wirken sich unter Um-

ten, Erbrechen und ähnlichen Symptomen im Magen-Darm-

*

Quelle: Karl Heinz Brisch (Hrsg.): Bindungen – Paare, Sexualität und Kinder, Stuttgart: Klett-Cotta 2012, S. 269-291

20 Bereich verbunden ist. Beide Reaktionsweisen, sowohl das

der an sein Trauma erinnerte Partner aber nicht so von Ge-

»Einfrieren« wie auch das »Erschlaffen«, sind Formen der

fühlen überschwemmt, dass er nicht mehr handlungsfähig

psychischen Dissoziation, die wir, wie beschrieben, also

ist und sich ohnmächtig bzw. von Einsamkeit und anderen

schon bei Säuglingen beobachten können (Brisch 2007 a).

Gefühlen überflutet fühlt.

Insgesamt ist es wünschenswert und auch erforderlich, dass

Ist das Trauma dagegen nicht verarbeitet, so kommt es

der Säugling von Pflegepersonen aufgezogen wird, die auf-

durch den Triggerungsprozess zu einer hohen psychischen

grund einer eigenen guten Stressregulation in der Lage sind,

Erregung; der eine Partner fühlt sich vom anderen bedroht,

die vielfältigen Affekte des Säuglings in den ersten Lebens-

weil er von Gefühlen überflutet wird und kaum mehr oder

jahren gut »ko-regulierend« zu begleiten; auf diese Weise

gar nicht zu einer Steuerung seiner Affekte in der Lage ist.

gewinnt der Säugling die Fähigkeit zur Selbst-Regulation von

Der »triggernde« Partner, der durch sein Verhalten – oft un-

heftigen Affekten. Hierzu ist nicht nur die Feinfühligkeit, son-

bewusst – solche heftigen Gefühle auslöst, wird dann in der

dern auch die emotionale Verfügbarkeit der Bindungsperson

Regel bekämpft; auch dem von seinen Affekten überfluteten

von großer Bedeutung. Möglichst sollten Eltern potentielle

Partner ist die Ursache seiner Reaktion in der Regel vollkom-

eigene traumatische Erfahrungen bereits verarbeitet haben,

men unbewusst. Solche Trigger im Verhalten des Partners

bevor sie mit der Pflege von eigenen Kindern beginnen.

können Bindungswünsche, Wünsche nach Nähe, Weinen,

Zumindest sollten sie die Bereitschaft mitbringen, eigene

Kummer, Schmerz, Bedürftigkeit, Schreien, Wut, Ablösungs-

unverarbeitete Traumata durch eine Psychotherapie zu

und Abgrenzungswünsche sein.

bewältigen. Andernfalls ist zu erwarten, dass traumatische Erfahrungen über Generationen weitergegeben werden. Be-

Wenn der traumatisierte Partner sein Gegenüber »be-

stehen bei den Eltern unverarbeitete Traumata, dann ist zu

kämpft« bzw. unter Kontrolle zu bringen versucht, geschieht

vermuten, dass der Säugling früher oder später in bestimm-

dies etwa durch die Zurückweisung von Nähewünschen, ein

ten affektvollen Risikosituationen durch sein Verhalten alte,

Meiden des Partners, Gewalt, einen abrupten Abbruch des

nicht vernarbte Wunden aus traumatischen Erfahrungen

Kontakts mit dem Partner oder auch durch sexuelle Aktivitä-

der Eltern »triggert«, d.h. aus ihrer nur notdürftigen emoti-

ten in Kombination mit Gewalt und der Demütigung des Part-

onalen Kontrolle herauslöst, und die Eltern dann von diesen

ners. Der traumatisierte Partner kann seine heftigen Affekte

Affekten überschwemmt werden und sich diesen Affekten

meist nicht kommunizieren, sondern »agiert« sie aus. Dabei

entsprechend – oft nicht mehr kontrollierbar – verhalten,

werden Gefühle von Panik, Wut, Scham und Erregung auf

d.h. eventuell gegenüber dem Säugling gewalttätig werden

den anderen Partner übertragen, d. h. er wird als Ursache

(Brisch & Hellbrügge 2003; Lyons-Ruth et al. 2010).

dieser Gefühle erlebt und entsprechend attackiert. Dieser Partner weiß dann in der Regel gar nicht, wie ihm geschieht

Damit Fürsorgepersonen für den Säugling verlässlich emoti-

und fühlt sich seinerseits jetzt ohnmächtig, angstvoll, wird

onal und pflegend zur Verfügung stehen können, brauchen

zunehmend wütender, so dass es wechselseitig zu einem

sie einen großen »Schatz« von Ressourcen. In der Regel

intensiven Prozess von affektiver Erregung kommen kann.

achten Eltern über die ersten Monate nicht gut auf ihre

Statt seinen Partner z. B. anzugreifen, mundtot zu machen

Ressourcen, was oft dazu führt, dass sie erschöpft sind;

oder durch seine Handlungen unter Kontrolle zu bringen, ihn

dadurch können große Spannungen – oft auch zwischen

also aktiv anzugehen, kann es auch sein, dass der traumati-

den Partnern – entstehen. Die Entwicklung von Ressourcen

sierte Partner in einen kindlich regressiven Zustand verfällt,

bereits vor der Geburt und die Pflege von Ressourcen nach

sich vollkommen klein und abhängig fühlt, kleinkindliche

der Geburt eines Babys sind eine ganz wichtige Aufgabe von

Verhaltensweisen zeigt und kindliche Pflege und Versorgung

Eltern.

einfordert. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass der getriggerte Partner in einen dissoziativen Zustand gerät, affektiv

Traumatisierte Partnerschaften

»abschaltet«, d. h. für den nicht traumatisierten Partner

Es ist sehr leicht möglich, dass bei einem der Partner ein

emotional überhaupt nicht mehr erreichbar ist.

Trauma durch Auslöserreize, sprich: bestimmte Verhaltensweisen des anderen Partners, aktiviert wird. Ist das Trauma

Wenn traumatische Erinnerungen wachgerufen werden,

verarbeitet, so wird dann ein gewisses Gefühl von Wehmut

kommt es oft zu großen Affektausbrüchen und zu heftigen

in der Interaktion mit dem Partner ausgelöst. Dies bedeutet

Interaktionen, zu Streit, Agieren, bis hin zur offenen Gewalt

aber, dass – auch wenn das traumatisierende Ereignis viele

(Brisch et al. 2010a; Brisch 2007b; Milch & Janko 2006; siehe

Jahre zurückliegt – ein schwächerer oder stärkerer Schmerz

hierzu auch die Beiträge von Peichl und Huber in diesem

entstehen kann, wenn das Trauma erinnert wird; dabei wird

Band).

21 Gewalt zwischen den Partnern und die Spiegelneurone des Kindes

Pathologische Bindung des Kindes an Täter und Opfer

Wenn Kinder solch heftig affektgeladene Szenen – bis hin

Wenn die Eltern miteinander streiten und aufeinander losge-

zur gewalttätigen Auseinandersetzung – zwischen ihren

hen, wenn es also zu häuslicher Gewalt kommt, werden die

Eltern beobachten, werden ihre Spiegelneurone aktiviert

Spiegelneurone des Kindes aktiviert, und es fühlt sich eben-

(Bauer 2008). In solchen Situationen erleben sie schon im

falls durch den Täter bedroht und leidet mit dem Opfer. Es

Säuglingsalter die elterlichen Gefühle sowohl von der Opfer-

erlebt Angst und Panik, Abhängigkeit und Ohnmacht, als ob

als auch von der Täterseite mit, da ihre Spiegelneuronen sie

es selbst Opfer in dieser gewalttätigen Auseinandersetzung

körperlichen Schmerz, Panik, Wut, Ekel, Scham, Ohnmacht,

wäre. In der Regel besteht für das Kind keine Kampf- und

Hilflosigkeit sowie auch die aggressiven Affekte und Hand-

keine Fluchtmöglichkeit, sein Bindungssystem ist extrem ak-

lungsweisen des Täters und des Opfers miterleben lassen.

tiviert und es sucht nach einer Bindungsperson. Die einzigen

Nicht selten kommt es auch zu einer Identifikation mit dem

verfügbaren Bindungspersonen sind aber seine Eltern, die

Aggressor, so dass auf diese Weise ein sogenanntes »Täter-

vor seinen Augen als Täter und Opfer agieren. Aus diesem

introjekt« im Gehirn des Kindes verankert und verinnerlicht

Grunde kann sich das Kind weder an den Täter noch an das

wird. Wenn das Kind sich mit dem Täter identifiziert, kommt

Opfer wenden, um sich dort angesichts seiner großen Angst

es in der Regel auch zur Ausbildung einer sogenannten

und der extremen Aktivierung seines Bindungssystems

»Täterloyalität«. Identifiziert sich das Kind dagegen mit dem

Schutz und Sicherheit zu holen.

Opfer, fühlt es sich hilflos, überwältigt, wird depressiv, zieht sich zurück und erlebt ein Gefühl von Leere, Ohmacht und

Pathologische Bindung an den Täter

Hilflosigkeit. Dieses Muster erinnert an das Konzept der »er-

Das Kind flüchtet sich in seiner psychischen Erregung in ver-

lernten Hilflosigkeit«, das seit vielen Jahren in engem Zusam-

schiedene mögliche Lösungswege, die sich intrapsychisch

menhang mit der Entstehung von Depressionen diskutiert

abspielen. Durch die Spiegelneurone, die im Kind die Hand-

wird (Seligman 1975).

lungen und Affekte des Täters spiegeln, kann es bei ihm in Bezug auf den Täter verschiedene Wege aus dem Dilemma

Gewalt zwischen den Eltern

– als mögliche Lösungsversuche — geben:

Kommt es zur Gewalt zwischen den Eltern, ist – aus der Perspektive des Kindes – in der Regel eine Bindungsperson

Täterloyalität

bedroht, während die andere bedrohend und gewalttätig

Das Kind erlebt den Täter als stark, mächtig und aggressiv.

ist. In einer solchen Situation kommt es zu einer massiven

Durch die Spiegelneurone kann es sich selbst auch so erle-

Aktivierung des kindlichen Bindungssystems, besonders

ben und schlägt sich intrapsychisch auf die Seite des Täters,

wenn ein Kind solche aggressiven Auseinandersetzungen

verbunden mit der inneren Vorstellung: »Ich helfe dem Tä-

zwischen den Eltern direkt beobachtet. Über die Spiegelneu-

ter!« Auf diese Weise kann es intrapsychisch der Bedrohung

rone wird das gesamte Paniksystem des Kindes bis hin zur

entgehen und fühlt sich durch die Identifikation mit dem Ag-

großen affektiven Erregung im Bereich der Amygdala und

gressor stark und ebenfalls potent; die oben beschriebenen

des limbischen Systems und im Weiteren auch in der ge-

bedrohlichen Empfindungen fallen weg. Dies beruhigt sein

samten Hormon-Stress-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-

aktiviertes Bindungssystem.

Nebennierenrinden-Achse, sog. HPA-Achse) aktiviert. Das Kind sucht dann verzweifelt nach einer Bindungsperson, die

Täterimitation und -identifikation

Schutz und Sicherheit geben kann. Die Bindungspersonen

Eine weitere Möglichkeit ist die Imitation des Täters: Das Kind

selbst sind aber die Quelle des Stresses und können von

sagt sich: »Ich versuche mal, wie der Täter zu sein.« Auf die-

ihm nicht aufgesucht werden, so dass es in einer solchen

se Weise, eng gekoppelt mit der Täterloyalität, verhält sich

Situation keine hilfreiche, beruhigende Bindungsperson zur

das Kind in seiner Imagination, eventuell später aber auch in

Verfügung hat. Dies bedeutet, dass es umso mehr extremen

Handlungen, wie der Täter und wird ebenso zum Aggressor.

Stress erlebt, den es alleine überhaupt nicht bewältigen

Durch sein Handeln und seine Imitationen kann es dazu kom-

kann. Die einzige Möglichkeit zur Verarbeitung einer solch

men, dass sich das Kind übermäßig mit dem Täter identifiziert

überflutenden Situation besteht darin, dass das Kind in eine

(Täteridentifikation). In diesem Sinne sagt es sich: »Ich bin

syrnpatikotone Dissoziation oder in eine parasympatikotone

wie der Täter.« Es fühlt sich durch die Identifikation mit dem

Dissoziation flieht. Das Gehirn reagiert mit einem Notfallpro-

Täter groß und stark und übernimmt Eigenschaften, Sprache

gramm auf der Ebene des Reptiliengehirns, damit das Kind

und Handlungen des Täters — bis hin zur emotionalen und

überleben kann (van der Hart et al. 2008).

intrapsychischen Verschmelzung mit ihm. Durch diese Handlungen und emotionalen Prozesse ist es möglich, dass das

22 Kind intrapsychisch ein Introjekt vom Täter bildet. In diesem

rungen bei, wie die Forscher von der Harvard Medical School

Falle sagt das Kind in seiner Vorstellung: »Ich bin der Täter.«

in sehr detaillierten Untersuchungen des Gehirns mit Hilfe

Dann muss es sich gar nicht mehr wie der Täter verhalten,

von Kernspinnuntersuchungen herausfinden konnten.

sondern hat selbst die Fähigkeiten und Eigenschaften des Täters introjiziert, und sie werden zum Teil seiner eigenen

Weitere Folgen

Persönlichkeit und seines Selbst. Ein solches Täterintrojekt

Aufgrund der Überregung des limbischen Systems entwi-

kann ein mehr oder weniger bewusster oder – in den meis-

ckelt das Kind oft Symptome wie panische Ängste, depressi-

ten Fällen — ein stark abgespaltener Ego-State sein. Wenn

ve Zustände, Schlafstörungen, Essstörungen, somatoforme

das Kind selber später in diesen Ego-State »rutscht«, d. h.

Schmerzen, aber auch aggressive Verhaltensstörungen und

sich psychisch mit dem Täter identifiziert, dann spricht es

kognitive Leistungsminderungen. Wenn das Gehirn nämlich

wie der Täter, handelt wie er, fühlt sich wie er und wird selbst

affektiv überflutet wird, wenn das Kind Zeuge von Gewalt

gegenüber anderen – vielleicht sogar später gegenüber den

zwischen den Eltern war, gibt es – aufgrund der Aktivierung

eigenen Kindern – zum Täter. Auf diese Weise wiederholen

von Hippocampus, Amygdala und limbischem System – so

sich traumatische Erfahrungen über Generationen.

viel frei fluktuierende Angst, dass die kognitiven Funktionen, etwa wie sie in der Schule gefordert werden, von den Kin-

Pathologische Bindung an das Opfer

dern nicht mehr konzentriert genutzt werden können, was

Hat das Kind um den bedrohten Elternteil Angst, so wird es

zu einer deutlichen Leistungsminderung führt. Bei solchen

sich mit diesem identifizieren und versuchen, ihn zu schüt-

Kindern wäre eine akute Belastungsreaktion oder auch eine

zen, ihn zu versorgen, was bis dahin führt, dass das Kind zur

posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren. Auf

sicheren Basis für den bedrohten Elternteil wird. Auf diese

der Verhaltensebene fallen sie alle durch Symptome einer

Weise erlangt das Kind eine hohe soziale emotionale Kompe-

Aufmerksamkeitsstörung und von Hyperaktivität auf (Brisch

tenz, kann sich aber selbst in Bedrohungssituationen oft kei-

2010 c; Vuksanovic et al. 2010; Kern et al. 2010; Vuksanovic &

ne Hilfe holen und kann seine eigenen Bindungsbedürfnisse

Brisch 2010; Brisch et al. 2010b; Kern et al. 2011).

gegenüber potentiellen Bindungspersonen nicht äußern. In

dungsbedürfnisse bzw. seine Bedürfnisse nach Schutz und

Die Psychotherapie eines Kindes, das Zeuge von Gewalt zwischen den Eltern wurde Bedingungen einer erfolgreichen Psychotherapie

Sicherheit einzufordern. Meist werden solche Kinder durch

Damit eine erfolgreiche Psychotherapie möglich ist, braucht

die Situation massiv überfordert und entwickeln früher oder

das Kind einen sicheren äußeren Rahmen. Hierfür ist es auf

später ein sogenanntes Burn-out-Syndrom. Nicht selten

jeden Fall erforderlich, dass es nicht mehr Zeuge der Gewalt

werden diese Kinder später sehr aktive Mitarbeiterinnen

zwischen den Bindungspersonen – oftmals den Eltern – sein

und Mitarbeiter in psychosozialen Berufen, sind allseits

muss; sonst wäre das Wohl des Kindes oftmals extrem ge-

geschätzt, engagieren sich übermäßig für leidende Men-

fährdet. In der Regel besteht auch die Gefahr, dass das Kind

schen, oft mit der Folge, dass sie erschöpft sind bzw. dann

selbst in den Gewaltinszenierungen zwischen den Eltern

ein Burn-out-Syndrom entwickeln. Wir sprechen in diesem

zum Opfer wird. Oftmals ist es sogar angeraten, das Kind

Zusammenhang auch von einer »Bindungsstörung mit Rollen-

aus seiner Familie herauszunehmen und es anderswo, etwa

umkehr« (Brisch 2010 a).

in einer Pflegefamilie, unterzubringen, besonders, wenn die

der Regel kann das Kind sich weder an den Elternteil, der Opfer ist, noch an den, der Täter ist, wenden, um seine Bin-

Gewalt zwischen den Eltern sich fortsetzt und kein Einzelfall

Zeuge häuslicher Gewalt sein und die Folgen für Kinder Neurobiologische Zusammenhänge

bleibt.

Aus den Studien von Martin Teicher (2010) ist bekannt, dass

es in der Psychotherapie dann um die Entwicklung eines

es auch Folgen für das kindliche Gehirn hat, wenn das Kind

sicheren inneren Rahmens. Hierzu ist es wichtig, dass eine

»nur« Zeuge häuslicher Gewalt wurde; auch hier kommt es

sichere Bindungsperson für das Kind zur Verfügung steht, die

zu einer äußerst stresshaften Überflutung des Gehirns durch

für Pflege, Schutz und emotionale Unterstützung sorgt. Sind

Affekte und zur Traumatisierung. Dies zeigt sich darin, dass

die Eltern wegen ihrer häuslichen aggressiven, gewalttätigen

speziell die neuronalen Verbindungen zwischen visuellem

Auseinandersetzungen dazu nicht in der Lage, dann muss es

Cortex und Amygdala vermindert sind. Eine solche Vermin-

eine sichere Ersatzbindungsperson geben, wie dies z. B. Pfle-

derung der Zahl neuronaler Verbindungen hat Einfluss auf das

geeltern sein können, wenn das Kind wegen fortdauernder

soziale und das emotionale Lernen und trägt zur Entwicklung

Gewalt in Obhut genommen und bei Pflegeeltern zu seinem

von Depressionen, Angststörungen und Somatisierungsstö-

Schutz untergebracht werden muss. Auch andere Personen

Wenn der sichere äußere Rahmen gewährleistet ist, geht

23 im sozialen Umfeld des Kindes wie Erzieherinnen, andere

Es ist dringend notwendig, dass die Eltern selbst durch

Familienmitglieder oder auch pädagogische Mitarbeiter in

eine Paartherapie lernen, wie sie mit ihren Affekten bes-

einer Heimeinrichtung könnten für äußere Sicherheit sorgen

ser umgehen können und durch welches Verhalten des

und dem Kind auch zunehmend emotionale Sicherheit ver-

Partners sie jeweils »getriggert« werden. Triggerprozesse

mitteln. Das Kind könnte auch in der Therapie ein Gefühl von

können nämlich nicht nur in einer Richtung, sondern auch

emotionaler Sicherheit in der Übertragung auf die Psycho-

wechselseitig zwischen Partnern bestehen. Zeigt sich, dass

therapeutin oder den Psychotherapeuten entwickeln. Eine

ein Partner unverarbeitete traumatische Erfahrungen hat, ist

erfolgreiche Psychotherapie ist auf jeden Fall auf die Dauer

für ihn eine individuelle Therapie angezeigt. Wenn die Eltern

nur möglich, wenn der äußere Rahmen sicher ist und sich

sich durch eine Psychotherapie, die über längere Zeit durch-

ein innerer sicherer Rahmen im Sinne einer therapeutischen

geführt wurde, intrapsychisch verändern, kann erneut über

Bindung entwickelt.

die Möglichkeit von Besuchskontakten gesprochen werden.

Ort der Psychotherapie

Lehnen sie allerdings jegliche Form der Therapie ab, so ist

Die äußere Sicherheit für das Kind ist auch besonders er-

das Kind in einer Pflegefamilie oder an einem anderen siche-

forderlich, wenn die Psychotherapie ambulant durchgeführt

ren Ort wesentlich besser aufgehoben und kann sich dort

werden soll. Sie kann nur dann gewährleistet sein, wenn es

unter stressfreieren Bedingungen auch emotional gesund

wirklich nur in einem Fall zur Gewalt zwischen den Partnern

entwickeln (Brisch 2008).

kam und das Kind anschließend von den Eltern wieder emotional beruhigt werden konnte. Oft sind die Eltern über die

Grundlegende Ziele der Psychotherapie

Art der Gewalt selber erschrocken und bemühen sich, durch

Die folgenden Ausführungen gelten sowohl für die Situation,

eine Paartherapie selbst unmittelbar Hilfe und Unterstüt-

dass das Kind Zeuge von Gewalt zwischen den Eltern wurde,

zung zu bekommen, die sie emotional entlastet und auch die

als auch für die, dass es selbst Opfer von Gewalt durch die

Beziehung zu dem Kind in ein ruhigeres Fahrwasser bringt.

Eltern oder einen Elternteil wurde. Da aber die traumatisierende Wirkung der kindlichen Zeugenschaft von Gewalt

Eine stationäre Behandlung ist immer dann indiziert, wenn

zwischen den Eltern bei Richterinnen und Richtern sowie

keine äußere Sicherheit gegeben ist und sich die Gewalt zwi-

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Jugendämtern noch

schen den Eltern fortsetzt. Hier ist unmittelbar im Anschluss

wenig anerkannt wird, fokussiere ich im Folgenden beson-

an die Gewalterfahrung an eine Inobhutnahme des Kindes

ders auf die Zeugenschaft von Gewalt.

und an eine Fremdunterbringung in einer Pflegefamilie zu denken. War eine solche Unterbringung des Kindes erforder-

In der Psychotherapie geht es zunächst um die Wiederher-

lich, muss man überlegen und prüfen, ob Besuchskontakte

stellung der emotionalen Sicherheit, die durch die Beobach-

der Eltern mit Begleitung sinnvoll sind bzw. ob solche Kon-

tung der Gewalt zwischen den Eltern verlorengegangen war.

takte zwischen Eltern und Kind überhaupt notwendig und

Wurde nur einmal Gewalt zwischen den Eltern beobachtet,

möglich sein sollen, solange das Kind traumatherapeutisch

sprechen wir in der Regel von einer akuten Belastungsreakti-

behandelt wird. Es ist verständlich, dass die Eltern – etwa

on des Kindes. Wurden dagegen über lange Zeit gewalttätige

auf rechtlicher Basis – ein Umgangs- und Besuchsrecht

Auseinandersetzungen beobachtet, dann führt dies oft zu

einfordern. Wenn das Kind aber durch die Begegnung mit

einem chronischen Stresserregungszustand des Kindes.

den Eltern während solcher Kontakte wieder sehr an die

Hieraus kann über die Zeit eine pathologische Bindung des

traumatischen Szenen erinnert wird, die es zwischen den

Kindes sowohl ans Opfer als auch an den Täter entstehen.

Eltern beobachtet hat, wird es wieder unter großen Stress

Über längere Sicht kann dies zu einer Bindungsstörung

geraten. Wir sehen in solchen Fällen regelmäßig, dass die

führen, die sich infolge einer komplexen chronischen post-

Kinder somatoforme Störungen, Schlafstörungen, Essstö-

traumatischen Belastungsstörung entwickelt.

rungen entwickeln oder einnässen, einkoten und ähnliche Störungen zeigen. Dies alles sind Symptome, die als Aus-

Hat das Kind nur einmalig eine Gewaltszene zwischen den

druck von Stress gewertet werden können. Werden solche

Eltern beobachtet, kann es, wie gesagt, durchaus wieder

Symptome entwickelt, plädieren wir sehr eindeutig dafür,

Erfahrungen von Sicherheit mit ihnen machen und sie als

dass die Besuchskontakte zwischen Eltern und Kind ausge-

Bindungsressource nutzen. Hat es jedoch wiederholt Gewalt

setzt werden, da auch eine Begleitung der Besuche durch

miterlebt, womöglich schon in der frühen Kindheit, könnte es

eine pädagogische Mitarbeiterin nicht für Sicherheit für das

sein, dass das Kind in einer Psychotherapie in der psychody-

Kind sorgen kann, zumindest nicht im emotionalen Sinne.

namischen Übertragung zur Therapeutin erstmals so etwas

Der Umgang zwischen den Eltern und dem Kind dient also

wie emotionale Sicherheit und Urvertrauen entwickeln kann.

nicht dem Kindeswohl!

24 In der Anfangsphase der Psychotherapie stehen zweifelsoh-

hat. Sind die Affekte noch nicht verarbeitet, reicht oft der

ne die emotionale Stabilisierung, der Aufbau von Ressour-

Kontakt mit den Eltern allein schon aus, um das Kind in Angst

cen und damit die Etablierung eines Gefühls von Schutz und

und Not zu bringen und auch psychosomatische Symptome,

Sicherheit im Vordergrund. In der nächsten Behandlungs-

wie etwa Schlafstörungen und Einnässen, auszulösen.

phase sollten die traumatischen Bilder und Affekte verar-

Am Ende der Therapie sollte die Sicherheit emotional so

beitet werden. Hierzu könnten verschiedenste Methoden

verinnerlicht sein, dass das Kind sich – auch aufgrund der

Anwendung finden, etwa kreative Therapien wie Musik-,

äußeren neuen Sicherheit – mit dem Thema von Abschied

Kunsttherapie und konzentrative Bewegungstherapie, aber

und Trennung in der Therapie beschäftigen kann, also auf

auch die Kinder-Spieltherapie, Sandspieltherapie etc.

das Ende der Therapie und den Abschied vom Therapeuten

Probleme in der Psychotherapie

gel sollte klar sein, wo das Kind nach der Beendigung der

Aufgrund der pathologischen Bindung des Kindes an Täter

Therapie in äußerer Sicherheit weiterleben kann. Aufgrund

und Opfer möchte es ständig zu seinen Eltern zurück; gleich-

der neu gewonnenen inneren Sicherheit und der Verarbei-

zeitig hat es aber große, geradezu panische Angst vor einem

tung des Traumas kann das Kind sich dann auch auf neue

Kontakt mit den Eltern und vor einer Rückführung; denn

emotionale Beziehungen zu Freunden, Gleichaltrigen und

durch die Nähe zu den Eltern wird es auch wieder an die

auch neuen Bindungspersonen einlassen. Sollten zu einem

stressvollen Situationen und Bilder erinnert. Dies wird sich

späteren Zeitpunkt Symptome auftreten, kann das Kind

erst bessern, wenn das Kind die traumatischen Erfahrungen

jederzeit zu einer Art der Intervallbehandlung zurückkehren.

in einer gezielten Traumatherapie, die etwa auch moderne

Aufgrund der Bindungsbeziehung, die sich in der Therapie

Methoden der Therapie (EMDR, Screentechnik) anwendet,

entwickelt hat, wird das Kind seine Therapeutin bzw. seinen

verarbeiten konnte und zur Ruhe gekommen ist.

Therapeuten rasch wieder als sicheren Hafen nutzen kön-

bzw. der Therapeutin vorbereitet werden kann. In der Re-

nen, um seine neuen Stresserfahrungen emotional gut zu Da eine emotionale Entwicklung des Kindes oder die Ver-

verarbeiten.

arbeitung von traumatischen Erfahrungen in Zuständen

Werden solche Zustände von Panik aber immer wieder

Nach häuslicher Gewalt oder einer Trennung der Eltern: Die Bindung des Kindes an Vater und Mutter und der Umgang mit ihnen

durch Besuchskontakte getriggert, sollte man deutlich dafür

Die Art der Bindung des Kindes an seine Eltern und die

plädieren, diese zumindest für die Zeit der Traumatherapie

Gestaltung des Umgangs mit ihnen führen oft zu für Eltern

auszusetzen; wir treten gegenüber Richtern immer eindeutig

und Kind stressvollen Situationen, besonders wenn es zu

dafür ein, während der Therapie keinen Täterkontakt zuzu-

Gewalt und aggressiven Auseinandersetzungen zwischen

lassen. Nur unter dieser Bedingung kann sich das Kind in

den Eltern gekommen ist und das Kind Zeuge hiervon war.

einem ruhigeren emotionalen Milieu auf die Verarbeitung der

Alle Überlegungen zur Gestaltung des Kontakts zwischen

erlebten stressvollen Ereignisse einlassen.

Kind und Eltern basieren auf dem Primat des Kindeswohls.

von Angst und Panik nicht möglich ist, muss von Seiten der Erwachsenen Sicherheit für das Kind hergestellt werden.

Alle in einem solchen Prozess Beteiligten sollten sich darAuch der Kontakt mit dem Opfer – also dem Elternteil, der

über einig sein, dass die gesunde Entwicklung des Kindes,

Gewalt erfahren hat – ist nicht unproblematisch. Hat das

sowohl körperlich, psychisch, emotional und sozial, an

Kind Kontakt mit dem Opfer, werden seine Schutzimpulse

oberster Stelle steht.

im Sinne einer Rollenumkehr des Bindungssystems aktiviert. Erst wenn es seine traumatischen Erfahrungen verarbeitet

Bei den weiteren Betrachtungen ist jeweils zwischen der

hat, kommen solche Verhaltensweisen gegenüber dem

Paarebene und der Elternebene zu unterscheiden. Bei Strei-

Opfer seltener vor. Insgesamt erzeugt die Identifikation mit

tigkeiten, im Scheidungsfall oder auch im Umgangsstreit,

dem Opfer in der Regel aber weniger gravierende Symptome

werden diese beiden Ebenen oft vermischt, und dies führt

als die mit dem Täter.

zu großem emotionalem Stress.

Beendigung der Therapie

Im Folgenden wird an verschiedenen Beispielen gezeigt, wie

Die Therapie kann dann beendet werden, wenn die trau-

die Trennung bzw. Scheidung der Eltern verlaufen kann, und

matischen Affekte bearbeitet sind, so dass sie nicht mehr

es werden prototypische Therapiebeispiele angeführt, die

ausgelöst werden können, wenn das Kind seine Eltern sieht,

zeigen sollen, in welchen Szenarien sich Kinder und Eltern

und es nicht erneut in Angst und Schrecken gerät, nur wenn

befinden können. Die vorkommenden Namen sind erfunden,

es mit den Eltern einen vollkommen unkomplizierten Kontakt

um die Anonymität der Personen zu gewährleisten.

25 »Idealfall« einer Scheidung

Die Lösung dieser stressvollen Situation besteht in einer

Es ist sehr hilfreich, immer zwischen der Paar-Ebene und der

Kinder-Spieltherapie mit begleitenden Elterngesprächen.

Eltern-Kind-Ebene zu unterscheiden.

Die Eltern selbst sollten zusätzlich auf der Paarebene ihre

Gehen wir von einem fiktiven »Idealfall« einer (fairen) Schei-

Paarkonflikte und Probleme durch eine Paarberatung oder

dung aus, dann lösen beide Partner ihre Partnerschaftskon-

Psychotherapie lösen. Im weiteren Verlauf zeigt sich, dass

flikte auf der Paarebene, so dass die Ebene der Eltern (ihr

aufgrund dieser therapeutischen Intervention (Kinder-Spiel-

Verhalten als Eltern) auf längere Sicht weitgehend frei von

therapie und Paartherapie) bei Jonas eine erhebliche Beruhi-

aggressiven oder depressiven Gefühlen bleibt. Das Kind hat

gung eintritt und die Symptome immer mehr verschwinden.

im besten Fall eine sichere Bindung zu beiden Elternteilen

Gewalttätiges Verhalten eines Elternteils

und nutzt diese Beziehung zu Mutter und Vater auch im

Lösen die Partner die Partnerschaftskonflikte auf der Paar-

freien Umgang mit ihnen. Beide Elternteile können vom Kind

ebene nicht, kann es zu massiven gewalttätigen Auseinan-

als sichere emotionale Basis genutzt werden, so dass das

dersetzungen zwischen ihnen kommen, mit körperlichen

Kindeswohl aufgrund der Bindungssicherheit in Bezug auf

Attacken, gegenseitigen Beschuldigungen und Beschimp-

beide Elternteile gewährleistet bleibt.

fungen. Das Kind bekommt, wenn es Zeuge solcher Gewaltausbrüche wird, Angst vor beiden Elternteilen. Im freien

Therapiebeispiel: Nadine

Umgang mit ihnen wird es befürchten, dass ähnliche Eskala-

Nadine hat eine sichere Bindung zu beiden Elternteilen. Beide

tionen wieder auftreten und auch es selbst betreffen könn-

Eltern sind ihrerseits sicher gebunden, so dass sie auch emo-

ten. Besonders die Bindung zu demjenigen Elternteil, der

tional in der Lage sind, Trauer, Angst, Wut auf der Paarebene

aggressiv und gewalttätig war, ist in der Regel hoch belastet

zu besprechen und auch zu klären. Sie tragen beide auf der

bis gefährdet, so dass das Kind beim Umgang mit diesem

Elternebene für die Angst und die Trauer des Kindes Verant-

gewalttätigen Elternteil nicht mit ihm allein sein sollte. Aber

wortung und gehen sehr fürsorglich mit ihm um. Auf diese

auch ein begleiteter Umgang mit dem bedrohlichen Elternteil

Art und Weise ist für Nadine ein relativ stressfreier Umgang

kann das Kind nicht vor den heftigen Affekten, die in ihm

mit beiden Elternteilen möglich.

ausgelöst werden, schützen. Ständig muss es doch auf der Hut sein und befürchten, dass der Täter wieder so aggressiv

Scheidung bei Partnerschaftskonflikt

werden könnte, wie es dies bereits als Zeuge erlebt hat; es

In einem solchen Fall lösen beide Partner die Konflikte auf

wäre überfordert, den damit verbundenen Stress alleine zu

der Paarebene nicht optimal. Es kommt auf der Elternebene

bewältigen.

(d. h. vor dem Kind und in Fragen der Elternschaft) deswegen zu verbaler Aggression, Streit und depressiven Stimmungen

Eine Unterbrechung des Umgangs mit dem gewalttätigen

– Probleme, die aus der Partnerebene stammen. Beide El-

Elternteil ist dringend indiziert. Das Kind sollte in der Kinder-

ternteile bedrohen einander und werden auch vom Kind als

psychotherapie sehr gut versorgt werden und seine inneren

bedrohlich erlebt, so dass dieses bei einem freien Umgang

Konflikte und Angsterlebnisse im kindlichen Spiel darstellen

mit beiden Elternteilen Angst hat. Die Bindung zu beiden

können. Eine psychotherapeutische Betreuung und Ver-

Elternteilen ist gefährdet, weil beide Bindungspersonen vom

sorgung für die Eltern ist ebenfalls notwendig. Allerdings

Kind in der emotional bedrohlichen Situation nicht als siche-

sind die Eltern oftmals nicht, oder erst sehr spät, zu einer

rer Hafen erlebt werden. Eine Lösung könnte darin bestehen,

Therapie bereit und streiten stattdessen auf der Paarebene

dass das Kind durch eine dritte Person – dies könnte auch

über ihre Rechtsvertretungen weiter. Dies bedeutet, dass

die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut sein – in

der damit verbundene Stress auch das Kind weiter extrem

seiner verunsicherten Bindungssicherheit stabilisiert wird.

belasten wird und in der Kinderpsychotherapie kaum erfolgreich bearbeitet werden kann, da der Paarkonflikt nicht

Therapiebeispiel: Jonas

gelöst wird.

Jonas‘ Bindung zu beiden Eltern ist unsicher, die Bindungsrepräsentation beider Eltern ist unsicher. Die Wut, die Angst

Therapiebeispiel: Jessica

und die Trauer auf der Paarebene kommen sehr deutlich auf

Jessica hat eine desorganisierte Bindung zu beiden El-

der Elternebene zum Ausdruck, indem die Eltern einander

ternteilen. Bei der Mutter ist eine Borderlinestörung mit

verbal aggressiv bedrohen und auch Jonas von solchen Be-

Suchtverhalten diagnostiziert, beim Vater eine narzisstische

drohungen nicht verschont bleibt. Der große Stress, den Jonas

Störung mit gelegentlichen manisch-depressiven Episoden.

erfährt, führt bei ihm unmittelbar zu Alpträumen, Einnässen,

Beide Eltern haben ungelöste traumatische Erfahrungen, die

Nägelkauen, Schulverweigerung, Bauchschmerzen und Sym-

auch in Interaktionen immer wieder wechselseitig durch das

ptomen der Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung.

Verhalten des jeweils anderen Partners getriggert werden

26 können, so dass es bei beiden zu suizidalen Drohungen,

Als Martin acht Jahre alt ist, entwickelt er eine dissoziale

Morddrohungen und selbstverletzendem Verhalten kommt.

Störung und zeigt Verhaltensweisen wie Lügen, Stehlen,

In solchen Situationen sind die Eltern weder in der Lage,

Weglaufen, Aggressionen gegenüber anderen, was schließ-

ihrem Kind einen äußeren noch einen inneren sicheren Rah-

lich zu einer stationären psychotherapeutischen Behandlung

men zur Verfügung zu stellen und es in der Bewältigung sei-

führt. Es wurde deutlich, dass Martin bei der Verarbeitung

ner Angst gut zu unterstützen. Hier muss mit den Eltern die

seines eigenen Traumas große Schwierigkeiten hatte und in

Herausnahme des Kindes aus der Familie und seine Pflege in

dieser Phase sehr litt, weil er mörderische Alpträume hatte,

einer Pflegefamilie besprochen und – bei fehlender Bereit-

die ihn immer wieder aus dem Schlaf hochschrecken ließen.

schaft der Eltern, kooperativ zu sein und Hilfen anzunehmen

In der Kindertherapie konnte Martin auf vielfältige Weise

– auch umgesetzt werden. Vater wie Mutter benötigen für

(z.B. in der Sandspieltherapie, sowie in kreativen Therapien

sich dringend individuelle psychotherapeutische Hilfe, ins-

wie Musik-, Kunst- und konzentrative Bewegungstherapie)

besondere wegen ihrer Persönlichkeitsstörungen. Parallel

geholfen werden, seine traumatischen Erfahrungen zu ver-

kann auch eine Möglichkeit der Paarberatung sehr hilfreich

arbeiten. Der Umgang der Eltern mit Martin wurde für die

sein, damit die Eltern besser verstehen, wie ihre individuel-

Dauer der Traumatherapie durch richterlichen Beschluss

len psychischen Störungen auf der Paarebene eskalieren.

ausgesetzt, damit der Junge durch die Begegnung mit sei-

In unserem Therapiebeispiel zeichnet sich nach einiger Zeit

nen Eltern nicht immer wieder neu an seine stressvollen,

ab, dass Jessicas Mutter und Vater bereits nach wenigen

lebensbedrohlichen Erfahrungen erinnert werden sollte (s.

Stunden Psychotherapie ihre Affekte wesentlich besser kon-

hierzu beispielhaft auch einen Beschluss des Amtsgerichts

trollieren können, deswegen auch weniger agieren, ruhiger

Westerstede vom 30.04.2009, 81 F 1205/06 OS, 81 F 1205/06) 1

miteinander sprechen können und seltener dem anderen sehr entlastet und unmittelbar zu einer Verminderung ihrer

Bindungstraumatisierung durch erzwungenen Umgang

Symptome geführt.

Jegliche Form von Zwang aktiviert Angst und damit das Bin-

mit Selbstmord drohen. Diese Veränderung hat auch Jessica

dungsbedürfnis des Kindes. Es ist ein Paradoxon, dass – nach

Therapiebeispiel: Martin

den Urteilen von Richtern – der Umgang mit einem Elternteil

Vater wie Mutter haben eine Bindungsstörung mit Aggres-

oder beiden Eltern durch Zwang herbeigeführt werden soll,

sivität, d.h. sie suchen über aggressive Auseinandersetzun-

möglichst auch noch von sicher gebundenen Pflegepersonen.

gen Nähe zueinander; diese können sie über die Gewalt ge-

Diese ihrerseits würden aber ein Kind aus sich heraus nicht

genüber dem anderen auch gleichzeitig wieder vermeiden,

zu dem betreffenden Elternteil oder den Eltern bringen, weil

so dass sie sich vom anderen distanzieren können. Beide

sie doch wissen, dass es zuvor bei seinen Eltern Aggressivität

Elternteile wurden in ihrer frühen Kindheit traumatisiert.

und Gewalt – zumindest als Zeuge – erlebt hat. Es ist wichtig,

Martin ist schon von klein auf Zeuge der Gewalt zwischen den

dass Richter verstehen und anerkennen, dass eine sichere

Eltern geworden. Als er 6 Jahre alt ist, verprügelt der Vater die

Bindungsentwicklung zwischen Eltern und Kind – besonders

Mutter und Martin in einem solchen Streit, so dass beide in

nach einer Traumatisierung oder nachdem das Kind Zeuge

einer Klinik behandelt werden müssen. Die Mutter ihrerseits

traumatischer Geschehnisse war – nicht über Zwangsmaß-

hatte zuvor den Vater mit heißem Wasser überschüttet und

nahmen herbeigeführt werden kann. Es könnte geradezu zu

verbrüht. Martin kommt daraufhin in eine Pflegefamilie. Der

einer »Bindungstraumatisierung« des Kindes kommen, wenn

Vater und die Mutter möchten unbedingt Umgang mit Martin

der Umgang durch die Androhung oder die Durchsetzung von

haben. Nach einem Versuch eines begleiteten Umgangs ent-

Zwangsmaßnahmen forciert wird.

wickelt Martin massiv Symptome: Schreianfälle, Erstarren,

Ebenso wird ein erzwungener Umgang des Kindes mit sei-

Selbstverletzung, aggressiv-sadistische Verhaltensweisen

nen Eltern bei aggressiver Partnerschaftsbeziehung als hoch

gegenüber seinen Meerschweinchen. Er bekommt bei den

problematisch angesehen und von uns abgelehnt. Übermä-

kleinsten Grenzsetzungen immer häufiger Wutanfälle, in

ßige Stressreaktionen des Kindes im Rahmen des Umgangs

denen er seinen Kopf mit der Stirn auf den Boden schlägt.

zeigen sich manchmal unmittelbar, manchmal auch mit

Viele dieser Symptome sind als Ausdruck eines dissoziati-

einer Latenzzeit, oft in Symptomen wie Schlafstörungen, Ein-

ven Zustands bei großem inneren Stresserleben zu werten,

nässen, Alpträumen, aber auch darin, dass das Kind in Bezug

entstanden durch den Umgang bzw. Kontakt mit den Eltern,

auf seine Pflegeeltern immer mehr »aus dem Kontakt geht«,

weil Martin in dem Moment, in dem er seine Eltern sieht, die

indem es sich etwa zurückzieht und nicht mehr mit ihnen

er freudig erwartet, auch gleichzeitig wieder an die bedroh-

spricht. Jede Trennung – und jede Weiterentwicklung – des

lichen Auseinandersetzungen und die Gewalterfahrungen

Kindes muss mit Übergängen gestaltet sein – das Kind muss

erinnert und von Stress überflutet wird.

nach Möglichkeit entsprechend seinem Alter in einer neuen

27 Umgebung mit neuen Bindungspersonen mit ausreichend

abgelehnt. Schließlich verurteilte das Gericht den Vater zu

Zeit eingewöhnt werden, wie das folgende Beispiel zeigen

Zwangskontakten, zeitgleich entwickelte Felix schließlich

soll.

Asthmaanfälle. Eine ambulante Familientherapie mit den Eltern und Felix ergab, dass der Junge zwar gute kognitive

Fallbeispiel: Der Säugling Julia

Fähigkeiten besaß, um über den geplanten Kontakt mit dem

Julias Eltern, Herr und Frau P., haben sich getrennt, als der

Vater zu sprechen, dass aber der emotionale Stress bei der

Säugling acht Monate alt war. Der Vater hatte seit dem 6.

Begegnung mit dem Vater sehr ausgeprägt war und er über

Schwangerschaftsmonat eine neue Beziehung, wovon die

seine damit verbundenen Gefühle kaum sprechen konnte. Es

Mutter erst nach der Geburt erfuhr. Dies war für diese eine

wurde daher von uns empfohlen, Einzelgespräche mit Mutter

große Kränkung, sie entwickelte zunehmend mehr Ängste

und Vater durchzuführen und eine langsame Eingewöhnung

und depressive Verstimmungen. Julia wurde schon als Säug-

zwischen Vater und Felix herbeizuführen, während gleichzei-

ling immer mehr zur emotionalen Trösterin der Mutter. Im 10.

tig mit Felix in einer Einzeltherapie gearbeitet wurde.

Lebensmonat des Kindes forderte der Vater per Gerichtsbeschluss ein regelmäßiges Umgangsrecht mit seiner Tochter

Nach einem Gerichtsurteil 2 darf ein Vater nicht zum Um-

ein, die er gerne über das ganze Wochenende alle 14 Tage bei

gang mit seinem Kind gezwungen werden, wenn er diesen

sich haben wollte. Dies sollte ohne Eingewöhnung gesche-

ablehnt. Es wäre ein zukünftiges Ziel, dass ein entsprechen-

hen, da auch nach Ansicht des Richters Herr P. ja schließlich

des analoges Urteil auch für Kinder gefällt würde. Ein solches

der Vater des Kindes sei und damit auch eine wichtige Be-

Urteil müsste beinhalten, dass auch kein Kind zum Umgang

zugs- und Bindungsperson. Die gewaltsam herbeigeführte,

mit einem Elternteil oder einer Bindungsperson gezwungen

vom Gericht angeordnete Trennung von Mutter und Kind an

werden darf, wenn es dies ablehnt – aus welchen Gründen

den Umgangswochenenden — mit Übergabe des Kindes an

auch immer. Zwangsmaßnahmen erzeugen keine sichere

den Vater — führte zur Entwicklung von Schreistörungen,

Bindung, sondern können eine traumatische Erfahrung sein.

Essstörungen, Schlafstörungen bei Julia.

Rückführung der Kinder nach Gewalterfahrungen Die Eltern begaben sich dann in eine Paarberatung mit

Das Thema »Umgang und Rückführung« kann immer wieder

Mediation. Dem Vater wurde in wertschätzender Form, aber

mit den leiblichen Eltern oder auch mit den Pflegeeltern

auch sehr deutlich vermittelt, dass er eine wichtige zentrale

besprochen werden. Aus therapeutischer Perspektive ist

Bindungsperson für Julia werden könnte, dass Julia jedoch

vollkommen klar, dass an eine Rückführung des Kindes

Angst vor ihm habe, weil er zu diesem Zeitpunkt für sie noch

in die Primärfamilie überhaupt nur dann gedacht werden

keine sichere Bindungsperson sei. Das Ergebnis war schließ-

kann, wenn für das Kind äußere und innere Sicherheit ge-

lich, dass der Vater sich bereit erklärte, Julia zunächst im

geben sind. Zusätzlich müssen die Eltern, die zuvor durch

Beisein ihrer sicheren Bindungsperson, der Mutter, besser

Gewalt in der Partnerschaft ihre Kinder traumatisiert haben,

kennenzulernen, mit ihr viel zu spielen, sie zu wickeln und

durch eine eigene individuelle Psychotherapie eine neue

zu füttern, sie schlafen zu legen, zu trösten, bis all dies auch

psychische Orientierung und auch neue psychische Quali-

möglich war, wenn die Mutter für kurze Zeiten, die immer

täten entwickelt haben. Diese Veränderung muss durch eine

länger werden konnten, außer Haus war. Diese Form der

psychiatrisch-psychotherapeutische

feinfühligen Eingewöhnung ermöglichte es dem Vater, im-

entsprechend überprüft werden, denn nur dann ist für die

mer mehr auch zur sicheren Bindungsperson zu werden und

Kinder Sicherheit gegeben. Dies gilt ebenso für den Umgang

schließlich Julia – als ein erster Schritt – am Wochenende

der Eltern mit ihrem Kind, wenn dieser für die Zeit der Trau-

für einen Tag ganz bei sich in seiner Wohnung zu versorgen,

matherapie des Kindes ausgesetzt wurde (Brisch 2008).

Begutachtung

auch

allerdings noch ohne Übernachtung bei ihm. Durch die Form der schrittweisen Eingewöhnung Julias beim Vater fühlten

Prävention – das SAFE® -Programm

sich alle Beteiligten sicherer und Julia genoss zusehends das

Alle den beschriebenen verschiedenen Auswüchsen von

Zusammensein mit ihrem Vater.

Gewalt zwischen den Eltern, den traumatischen Erfahrungen von Kindern, die Zeuge dieser Gewalt werden oder sie selbst

Fallbeispiel: Der Umgang des Vaters mit seinem Sohn Felix

erfahren, könnte durch eine frühzeitige Prävention entge-

Felix‘ Eltern lebten nie zusammen. Der Junge hatte bis zum

gengesteuert werden. Aus diesem Grund haben wir das Programm »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« entwickelt,

10. Lebensjahr keinen Kontakt zum Vater. Jetzt war er in

in dem wir Eltern schon ab der 20. Schwangerschaftswoche

einer Entwicklungsphase, in der er den Kontakt mit dem

und bis zum Ende des ersten Lebensjahres ihres Kindes in

Vater wünschte. Dieser Kontakt wurde aber vom Vater

eintägigen, sonntäglichen Seminaren helfen, eine sichere

28 Bindung zu ihrem Kind zu entwickeln. Vor allen Dingen sollen durch die Teilnahme der Eltern am SAFE® -Programm psy-

in Zukunft so viele SAFE® -Mentoren ausgebildet sein werden und entsprechende SAFE® - oder andere Bindungsse-

chopathologisch auffällige desorganisierte Bindungen der

minare für Eltern anbieten, dass möglichst viele Kinder von

Kinder an ihre Eltern und sogar Bindungsstörungen, die zu

Anfang an eine sichere Bindungsentwicklung mit ihren Eltern

den manifesten emotionalen Störungen im ICD-10 gehören,

erleben und diese für den Rest ihres Lebens als Schutzfaktor

verhindert werden (vgl. www.safe-programm.de). Eine ausführliche Darstellung des SAFE® - Programms gibt das Buch

wirkt. Gleichzeitig wäre es wünschenswert, dass traumati-

SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern. Sichere Bindung

Traumata ein Risiko für die Bindungsentwicklung ihrer Kinder

zwischen Eltern und Kind (Brisch 2010d).

darstellen, und sich schon frühzeitig in einer Psychotherapie

sierte Eltern verstehen, dass ihre eigenen unverarbeiteten

Hilfe zur Verarbeitung ihrer Erfahrungen holen, bevor es zu

Ausbildung zum SAFE® -Mentor

einer Wiederholung von Gewalt in der Partnerschaft und mit

Viele psychosoziale Berufsgruppen, die mit Eltern und Kindern arbeiten, könnten sich zu einem SAFE® -Mentor

ihrem Kind kommt. Dies wäre eine gute Botschaft, da so ein

ausbilden lassen, wie z. B. Schwangerschaftsberaterin-

kann, die ja ein so grundlegendes stabiles Fundament der

nen, Hebammen, Stillberaterinnen, Krankenschwestern,

Persönlichkeitsentwicklung sind und sehr zur emotionalen

Geburtshelfer,

Psychologen,

Kinderärzte,

Kinder-

Beitrag zur Entwicklung sicherer Bindungen geleistet werden

und

Stabilität verhelfen und – wegen der Verbindung zur neu-

Jugendlichen-Psychotherapeuten. Auf lange Sicht ist es

gierigen Exploration – auch für die lebendige Erkundung der

wünschenswert – und eine konkrete Utopie –, dass möglichst viele ausgebildete SAFE® -Mentoren an vielen Stellen

Welt förderlich sind.

der Republik SAFE® -Kurse anbieten und den Eltern schon ab

Anmerkungen

der Schwangerschaft helfen, mögliche eigene traumatische

1 Im Internet zugänglich unter: http://www.lchbrisch.de/files/

Erfahrungen in einer individuellen Psychotherapie zu verar-

ag_westerstede_beschluss_ 30.04.2009_kindeswohl.pdf.

beiten, um sich dann emotional sicherer und feinfühliger mit ihrem Kind beschäftigen zu können (zu SAFE® -Mentoren

2 Vgl. den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1.4.2008, 1 BvR 1620/04.

vgl. Brisch 2010d, S.163 ff.).

Autor: Zusammenfassung

Karl-Heinz Brisch

Gewalt auf der Paarebene aktiviert ganz extrem die Bin-

Priv.-Doz., Dr. med. habil., ist Facharzt für Kinder- und

dungsbedürfnisse des Kindes. Da die Bindungspersonen

Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Psychotherapie,

selbst Quelle von Angst sind, entsteht eine pathologische

Psychosomatische Medizin sowie Nervenarzt und Psycho-

Bindung des Kindes an Opfer und Täter, das Kind entwickelt

analytiker, Lehranalytiker am Psychoanalytischen Institut

also eine Doppelidentifikation, die entsprechend unter-

Stuttgart, langjähriger Gastdozent am EZI

schiedliche Verhaltensweisen und Symptome zur Folge hat. Bei häuslicher Gewalt ist es notwendig, dass das Kind durch Inobhutnahme frühzeitig von seinen Eltern getrennt und in äußere Sicherheit gebracht wird. Wenn Kinder traumatische Erfahrungen gemacht haben – auch als Zeuge gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern –, ist auf jeden Fall eine intensive Psychotherapie indiziert. Zusätzlich ist eine gute emotionale Unterstützung des Kindes durch weitere Bindungspersonen hilfreich, wie Freunde, Verwandte, größere Geschwister, Erzieher, Patentanten, wenn diese Schutz und Sicherheit vermitteln können. In unserem stationären Behandlungskonzept sorgen wir bei solchen traumatisierten Kindern für eine intensive Psychotherapie (Brisch 2010b). Dies bedeutet, dass die Kinder an 4-5 Stunden Einzelpsychotherapie und mehrfach in der Woche an kreativen Gruppentherapien teilnehmen (Kunst-, Musik- und konzentrative Bewegungstherapie), um wieder emotionale Sicherheit zu erlangen und ihren traumatischen Stress zu verarbeiten. Weiterhin möchten wir die konkrete Utopie entwerfen, dass

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30

„Kinder im Blick“ (KiB ) Ein Breitband-Antibiotikum gegen Elternstreit… * Achim Haid-Loh & Samuel Sieber

1. Aktuelle Ausgangslage nach Trennung und Scheidung

Soweit zur Theorie - Doch wie kann in dieser Lage einzelnen

Laut statistischem Landesamt wird in Deutschland jede

geholfen werden? Das von Frau Prof. Walper und ihrem Team

dritte Ehe geschieden. Ehemalige Partner haben sich in den

an der LMU entwickelte Elternprogramm „Kinder im Blick“

alten Beziehungen nicht mehr wohl gefühlt und wollen neue

bietet hierauf eine spannende neue Antwort.

Eltern oder Elternpaaren noch nachhaltiger professionell

Wege in ihrem Leben gehen. Längst lässt sich feststellen, dass Trennungen und Scheidungen Teil der modernen Gesellschaft geworden sind. Immer wieder wird die Frage

1. KiB als Interventions- und Präventions- maßnahme mit Langzeitwirkung

gestellt, ob dieser Umstand für die Kinder zwangsläufig ne-

2.1. Psychosoziale Prophylaxe:

gative Folgen haben muss, wie man es früher angenommen

Als stringent eltern-pädagogische Maßnahme gegen ein

hat? Neueste wissenschaftliche Studien haben festgestellt,

eskalierendes Streitverhalten zwischen den Ex-Partnern

dass dies nicht so sein müsste, wenn es den Eltern gelänge,

und „Immer-noch-Eltern“ bietet der auf 6 Module aufge-

auch nach der Trennung in den vielfältigen Fragen wie Um-

baute Kurs „Kinder im Blick“ ein psycho-edukatives und

gangsrecht, Erziehungsstil und Personensorge zusammen

strukturiertes Verfahren für die betroffene Väter und

zu arbeiten und ihren Kindern Sicherheit, Zuwendung und

Mütter an. Die teilnehmenden Eltern können in diesem

Orientierung zu geben. Häufig jedoch sind ehemalige Partner

Kurs in getrennten, aber parallel laufenden Gruppen

aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage, anstehen-

prophylaktisch lernen, wie zum einen deeskalierendes

de Konflikte lösungs- und zukunftsorientiert zu bearbeiten

Verhalten zu einer spürbaren Entschärfung der Span-

und es kommt zu einem Zustand eskalierender Konflikte. In

nungen und Konflikte führt und wie zum anderen auch in

diesen Fällen, und das zeigt sich in der täglichen Arbeit mit

stressreichen und emotional angespannten Situationen

(hoch-)strittigen Trennungs- und Scheidungsfamilien, gera-

die Bedürfnisse der Kinder durch die betroffenen Eltern

ten die Bedürfnisse der betroffenen Kinder mehr und mehr

berücksichtigt werden können. Des Weiteren ermöglicht

in den Hintergrund. Insbesondere der Verlust des Blicks

der Kurs „Kinder im Blick“ den Teilnehmenden eine

auf die unmittelbare Situation der Kinder führt zu starken

grundlegende Haltungsänderung, in deren Folge eine

Belastungs- und perspektivischen Schädigungssituationen

Verbesserung ihrer Erziehungs- und Beziehungskompe-

(Walper; Fichtner; Normann(Hg.) 2011).

tenz und auch eine signifikante Verbesserung der ElternKind-Beziehung festzustellen ist (Krey, 2010).

Grundsätzlich gilt für Kinder wie auch für die getrennten Partner, dass die emotionale Belastung situations- und altersge-

2.2. Senkung des elterlichen Konfliktniveaus:

mäß bewältigt werden muss. Insofern bedeutet Trennung

Die Tendenz zur Abnahme der Konfliktintensität und – je

nicht nur, dass jedes Elternteil seinen individuellen Weg geht,

nach aktuellem Konfliktniveau – zur besseren Bewäl-

sondern auch, dass tragfähige Regelungen für die zukünftige

tigung der Trennung, führt mittel- bis langfristig auch

Perspektive der Kinder gemeinsam gesucht und gefunden

zur Vermeidung von gerichtlichen Verfahren wegen

werden müssen. Denn Eltern bleiben immer Eltern,

Alleinsorge und/oder Umgang. Selbst wenn solche

denn von seinen Kindern kann man sich nicht scheiden

Verfahren im Ergebnis nicht völlig zu vermeiden sind,

lassen! Und gleichfalls bleiben Kinder immer solche Kinder,

können sie schneller, einfacher und einvernehmlicher

denen nach auch elterlicher Trennung uneingeschränkt ein

beendet werden. In jedem Falle wird eine sich anschlie-

Bedürfnis nach Entwicklung und Förderung ihrer Autonomie

ßende (vielleicht gar gemeinsame) Beratung auf einem

zukommt.

höheren Motivationsniveau beginnen und sich zu bes-

* Zitat eines Vaters ein halbes Jahr nach Abschluß des KiB Kurses am Familienzentrum „Menschenskinder e.V“:, Berlin-Friedrichshain

31 seren Ergebnissen führen lassen. Die bei den Eltern zu

Ziele für die gemeinsame Erziehung und erste Ansätze

beobachtenden Veränderungen werden von dem Fami-

individuellen Umgangs („parallele Elternschaft“) erarbeitet.

liengericht in einem sehr positiven, konstruktiven Sinne wahrgenommen. In vielen Fällen kann der KiB-Kurs auch

3.3. Mein KIND und ICH:

ein „niedrig-schwelliges“ Angebot sein, sich der Notwen-

Die dritte Einheit stellt den Beziehungsaspekt zum Kind

digkeit einer individuellen am Kind orientierten Beratung

in den Vordergrund. In schwierigen Zeiten wie z. B. bei

oder Mediation vorsichtig zu nähern.

Trennung ist es wichtiger denn je, die „wertvolle Zeit“ mit dem Kind gut zu nutzen. Durch die positive Erfahrung

2.3. Selbsthilfe-Effekte:

des „beschreibenden Lobes“ durch den Elternteil – also

In der Durchführungspraxis und Didaktik macht beson-

der achtsamen Wertschätzung des kindlichen Handelns

ders die angewandte Methodenvielfalt den Kurs „Kinder

– kann das Selbstvertrauen des Kindes und die Eltern-

im Blick“ zu einem empfehlenswerten Hilfsangebot für

Kind-Beziehung gestärkt werden.

sich trennende Eltern. Neben Kurzvorträgen, „Geh-HeimTips“, Rollenspiele, einem angeleiteten Erfahrungsaus-

3.4. Wenn mein Kind unangenehme Gefühle hat:

tausch und Gruppenarbeit erzeugen die Aspekte der

Auch im Mittelpunkt der vierten Einheit steht die Bezie-

Selbsterfahrung und der Eigenreflexion bei den Eltern

hungspflege zum Kind. Hier soll durch eine Art „Emoti-

die beobachtbare Nachhaltigkeit in einer modifizierten

onscoaching“ das Zuhörverhalten der Eltern und der

und entspannteren Eltern-Eltern und Eltern-Kinder-

Umgang mit schwierigen Gefühlen der Kinder erprobt

Beziehung. Aus der Wahl von sogenannten „Tandem-

und gestärkt werden. Es ist hilfreich, die kindlichen Ge-

Partnern“ aus der Gruppe der teilnehmenden Eltern

fühle ernst und wahrzunehmen zu können, um damit die

ergeben sich ebenso wie aus den häufig noch lange über

Fähigkeiten zur Gefühlsregulation auch in schwierigen

das Ende des Kurses hinaus fortbestehenden KiB-Eltern-

oder spannungsträchtigen Situationen auch beim Kind

Stammtischen weitere Selbsthilfe-Wirkeffekte.

selbst zu fördern. Zudem soll das Autonomiestreben des Kindes durch die konkrete Unterstützung kindlicher

3. Das Angebot im Einzelnen:

Lösungsideen unterstützt werden.

Der Kurs „Kinder im Blick“ gliedert sich in 6 Einheiten, in deren Zentrum die Fragen der Trennung, der Beziehungsgestaltung

3.5. Wir haben etwas gemeinsam: UNSER KIND

zum Kind, der jeweiligen Zukunftsperspektive und der Annah-

Im Fokus der fünften Einheit steht die Sensibilisierung

me der gemeinsamen elterlichen Verantwortung in Form einer

der Eltern für die Auswirkungen konfliktgeladener und

an den kindlichen Bedürfnissen orientierten „Arbeitsgemein-

destruktiver Verhaltensformen (z. B. gegenseitige Ab-

schaft“ bzw. eines „Elternteams“ steht (Bröning, 2009). Im

wertung der Eltern oder neuer Partner). Gleichfalls stellt

Folgenden soll kurz auf die zentralen Themenschwerpunkte

sich die Frage, wie kann Kommunikation auch in emotio-

der jeweiligen Einheiten hingewiesen werden:

nal aufgeladenen Gesprächen zwischen dem jeweiligen Elternteil und dem/der „Ex“… zu einer positiven Lösung

3.1. ICH-WIR-unser KIND:

führen? Anhand der Modelle der Eskalationsstufen von

In der ersten Einheit lernen sich Kursteilnehmer und

Konflikten in der Friedensforschung, des „Gefühlsstru-

Kursleiter kennen. Neben der Darstellung der aktuellen

dels“ und der „hilfreichen inneren Kommentare“ werden

Konflikte werden erste Lösungsstrategien wie beispiels-

den Eltern individuelle Strategien der Deeskalation und

weise die „Achterbahn der Gefühle“ und der „Pausen-

der Konfliktlösung vermittelt.

knopf“ vorgestellt. Zudem stehen die Bedeutung der Selbstfürsorge („Inseln im Stressmeer“) und die Frage im

3.6. ICH-WIR-unser KIND: Gegenwart und Zukunft

Mittelpunkt, was Kinder in Trennungssituationen beson-

Die abschließende Einheit dient zum einen dazu, einen

ders belastet und welche Bedürfnisse („Sicherheit, Ori-

Rückblick auf die vergangenen Einheiten zu geben, um

entierung, Achtsamkeit …“) in diesem Zusammenhang

die vermittelten Inhalte und ihren Transfer in den Alltag

erfüllt werden sollten.

mit den Kindern zu verfestigen. Zum anderen dient die Einheit dazu, Gegenwart und Zukunft

3.2. Meine Ziele für mein Kind:

der getrennten Familiensituation zu beleuchten, um als

Im Mittelpunkt der zweiten Einheit steht der gemeinsame

Eltern den Rollenwechsel vom sich liebenden Elternpaar zu

Ausblick in die Zukunft („Leitstern“ meiner Erziehung …) und

einer kooperativen Arbeitsgemeinschaft bzw. zu paralleler

der Blick auf den respektvollen Umgang mit den Bedürfnis-

Elternschaft zu erreichen, der letztendlich den Blick auf die

sen der Beteiligten. Hier werden die Fragen der Werte und

Bedürfnisse der Kinder erst wieder ermöglicht.

32 4. Wissenschaftliche Begleitforschung und Evaluation

„Ich wollte etwas für das Familienleben mit meinen Kinder

Der Kurs „Kinder im Blick“ wird seit mehreren Jahren durch die

fröhlich und ausgleichend. In dem Kurs habe ich gelernt,

Ludwig-Maximilians-Universität in München wissenschaftlich

dass die Kinder sehr gute Diplomaten sind und sich bei

begleitet. Die Auswertung der Evaluation zeigt neben einer

Vater und Mutter oft anpassen. Für eine gute Zeit mit den

deutlichen Verbesserung der Beziehung und Kommunikation

Kindern lohnt es sich, sich über die Rollenspiele in sie hi-

zwischen Eltern und Kindern auch eine maßgebliche Redukti-

nein zu versetzen, um zu erfahren, wie es ihnen vielleicht

on der Konfliktintensität im Trennungspaar. Vielfach hat sich

innerlich geht. Toll war, dass im Kurs Männer und Frauen

nachweisen lassen, dass Eltern durch die Teilnahme am Kurs

waren und wir unsere Ideen austauschen konnten.“ (Felix

gelernt haben, die eigenen, aber auch die Bedürfnisse der Kin-

K. 3 Kinder)

der, besser wahr zu nehmen. Insbesondere dieser Aspekt hat

“Das “Beschreibende Lob” ist der Hit geworden in unseren

nachhaltige Auswirkungen auf die bekannten Belastungen der

Familien…“

Kinder in Trennungssituationen. Kinder, die von ihren Eltern

so begann eine Mutter aus dem KiB Kurs am Familienzen-

– trotz deren akuter emotionaler Belastung – ein Gefühl der

trum Friedrichshain Ihren Rückblick ein halbes Jahr nach

Sicherheit und Orientierung erhalten, sind besser in der Lage

Kursabschluß auf Ihren Familienalltag mit vier Kindern (18J +

mit den Problemen der Trennungsbewältigung umzugehen.

13 J.+ 8J + 2,5 Jahre) und sie meinte damit nicht die Familien

Die Vermittlung dieser Fähigkeiten konnte durch die Evalua-

Ihrer Tandem-Partner oder anderer Eltern in der Gruppe ,

tion uneingeschränkt nachgewiesen werden. Weiter hat die

sondern Ihre eigene Patchworkfamilie mit neuem Partner

Evaluation ergeben, dass der Nutzen des Elterntrainings dann

und die Fortsetzungsfamilie Ihres Ex-Mannes mit Stiefmutter

besonders hoch gewesen ist, wenn beide Eltern in parallelen

- ihr Ex hatte nämlich das Programm in der Parallelgruppe

Gruppen am Kurs „Kinder im Blick“ teilnehmen konnten (vgl.

ebenfalls besucht.

nach der Trennung wissen. Die Kinder sind nach wie vor

Krey, 2010) In Zusammenhang mit dem elterlichen Wohlbefinden, der Abnahme der Konfliktintensität und der positiven

5. Kostenfolgen und Fazit

Bewertung der Bewältigungsstrategien für die betroffenen

Grundsätzlich bietet das Programm nicht nur eine Anleitung

Kinder konnte im Gegensatz zur Vergleichsgruppe eine signifi-

zur Selbsthilfe. Die Teilnehmenden lernen unter entwick-

kante Verbesserung der Konfliktintensität nachgewiesen wer-

lungspsychologischer Aspekten einzuschätzen, wie wichtig

den. Zugleich können mit günstigerer Prognose mittel- und

und wertvoll die Übernahme ihrer speziellen elterlichen

langfristige Schwierigkeiten und Folgeschäden für die Kinder

Verantwortung gerade im Moment der Trennung für alle

vermieden werden.

Beteiligten ist.

Besonders interessant sind auch immer wieder die Rück-



So bietet der Kurs vielfältige Möglichkeiten der Reflexion

meldungen der Eltern, die durch die Familiengerichte in KiB-

und des Austauschs, in dessen Folge übergreifende

Programme verwiesen werden. Durchgängig beschreiben

Haltungsveränderungen ermöglicht werden und im

diese Eltern - nach anfänglicher großer Skepsis - dass sie viel

alltäglichen Umgang mit den Kindern und Jugendlichen auch Verhaltensänderungen wahrzunehmen sind.

Wissenswertes und gute praktische Tipps aus den Kursen mitnehmen. Nicht selten kommen deshalb gerade diese Eltern



Weiterhin können kostenintensivere Maßnahmen der

anschließend auch freiwillig in die Einzel- oder Elternberatung

Jugendhilfe, wie HzE oder Interventionen wegen Kindes-

der Erziehungs- und Familienberatungsstelle.

wohlgefährdungslagen, tendenziell vermindert werden, da langfristigen Schädigungen der Kinder auf Grund ei-

Zwei Äußerungen einer Mutter und eines Vaters aus einem

ner chronifizierten, konflikthaften Auseinandersetzung

KiB-Kurs im Familien-Notruf (nach: Normann, 2011) sollen

ihrer Eltern vorgebeugt wird bzw. deren Ausmaß und

dies stellvertretend für viele andere Rückmel-dungen bebil-

Folgen abgemildert werden.

dern:



Zuletzt können die Belastungen der Familiengerichte durch eine Vielzahl meist unnötiger gerichtlicher An-

„Anfangs fand ich es ziemlich unangenehm, an einem

träge vermieden werden, da die Eltern oftmals früher

solchen Kurs teilnehmen zu müssen. Ich dachte: ich

in der Lage sind, Konflikte mit Hilfe von Beratung oder

schau mal vorbei und wenn es mir nicht gefällt gehe ich

Mediation auch einvernehmlich zu lösen.

nicht mehr hin. Und jetzt am Schluss finde ich es ziemlich genial: hier habe ich Menschen getroffen, die ähnliche

Insofern lässt sich resümierend feststellen, dass dieser Kurs

Situationen erleben wie ich, es gab ein gutes Konzept und

für die Eltern viel mehr bietet als nur eine hilfreiche Beglei-

ich habe viel mitgenommen für die Beziehung mit meinen

tung in Krisenzeiten für die unmittelbar Betroffenen.

Kindern......“ (Sandra S., 2 Kinder)

33 6. Literatur

7. Kontakt

Bröning, Sonja: Kinder im Blick : theoretische und empirische Grundlagen eines Gruppenangebotes für Familien in konfliktbelasteten Trennungssituationen ; [Dissertation]. – Münster [u.a.] : Waxmann, 2009. (Internationale Hochschulschriften)

KiB-Trainer-Team am Familienzentrum „Menschenskinder-Berlin“: Achim Haid-Loh & Dr. Cornelia Holldorf, Elke Fernholz & Dr. Samuel Sieber c/o. Familienzentrum Menschenskinder-Berlin gGmbH Fürstenwalder Straße 30 10243 Berlin [email protected] oder: www.ezi-berlin.de

Dietrich, Peter S.; Fichtner, Jörg; Maya Halatcheva, Eva Sandner, Matthias Weber: Arbeit mit hochkonflikthaften Trennungs- und Scheidungsfamilien : eine Handreichung für die Praxis. - München : DJI [u.a.] ; Berlin : BMFSFJ, 2010. Hetherington, E. Mavis; Kelly, John: Scheidung, die Perspektiven der Kinder. – Weinheim ; Basel : Beltz, 2003. Krey, Mari: Der Elternkurs ‚Kinder im Blick‘ als Bewältigungshilfe für Familien in Trennung : eine Evaluationsstudie. - Berlin : Verl. Köster, 2010. (Wissenschaftliche Schriftenreihe Psychologie ; 20, D 19) Wallerstein, Judith S.; Lewis, Julia M.; Blakeslee, Sandra: Scheidungsfolgen – die Last tragen die Kinder : eine Langzeitstudie über 25 Jahre. – Münster : Votum, 2002. Walper, Sabine; Fichtner, Jörg; Normann, Katrin [Hrsg.]: Hochkonflikthafte Trennungsfamilien : Forschungsergebnisse, Praxiserfahrungen und Hilfen für Scheidungseltern und ihre Kinder. - Weinheim ; München : Juventa, 2011. Walper, Sabine; Schwarz, B. [Hrsg.]: Was wird aus den Kindern? : Chancen und Risiken für die Entwicklung von Kindern aus Trennungs- und Stieffamilien. – 2. Aufl. - Weinheim ; München : Juventa, 2002. Weiterführende Informationen:

www.kinderimblick.de

Kontakt für Ausbildungsfragen und wissenschaftliche Begleitforschung: Dipl.-Soz.-Päd. Katrin Normann Familien-Notruf-München Pestalozzistraße 46, 80469 München www.familien-notruf-muenchen.de

34

Prävention zum Schutz vor sexuellen Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt in der Kirche als integraler Bestandteil von Aus- und Fortbildung und Personalentwicklung kirchlicher Mitarbeitenden Dieter Wentzek

Freiwillig beschäftigen wir uns nicht gerne mit dem Thema sexuelle Gewalt. Wir wissen, dass es vorkommt in der Kirche, aber wir hoffen und wünschen, dass es nicht bei uns geschieht und nicht hier und jetzt. Und eigentlich halten wir es bei den Menschen, die wir kennen, auch für völlig ausgeschlossen. Wenn dann ein entsprechender Verdacht im Raum steht, sind wir ziemlich hilflos und sprachlos. Uns fehlt die professionelle Übung im Umgang mit solchen Fällen, uns fehlen die passenden Worte, fehlen erprobte Verhaltensregeln, es mangelt an geeigneten Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner. Vor allem aber lähmt die Vorstellung, dass etwas dran ist an dem Verdacht. Die Fantasie sträubt sich gegen die Bilder, die auftauchen von möglichen Täter und möglichen Opfern. Was nicht sein darf, nicht sein kann. (Gedanken eines Pfarrers, der sich an den Fall eines sexuellen Übergriffs eines Amtskollegen auf einen Jugendlichen in seinem Kirchenkreis erinnert. Die dienstrechtlichen Sofortmaßnahmen des verantwortlichen Superintendenten riefen bei den Kollegen und der Kirchenleitung ein ganzes Spektrum von Reaktionen, von Unterstützung, Ablehnung, Unverständnis, Solidarisierung mit dem Täter und Verharmlosung hervor. Gesamttendenz: Persönliche Unsicherheit und Sorge um das Image von Kirche.)

1.

Wo stehen wir in der Evangelischen Kirche im Diskurs zum Thema „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Institutionen“?

Etwa zur gleichen Zeit wurde sexuelle Gewalt in Familien in breit angelegte Studien untersucht und das Thema dadurch in die fachliche Öffentlichkeit gebracht. Durch die Skandale der letzten Jahre ist Kirche und Schule als Ort von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Die notwendige Enttabuisierung des Themas „Sexualisierte

stärker in den Blick gekommen. Warum erst jetzt?

Gewalt in der Kirche“ und das Brechen des Schweigens be-

Vielleicht weil traumatisierte Opfer lange brauchen, bis sie

gann ja nicht erst, seitdem Missbrauchsopfer in Kirche und

die Mauer des Schweigens brechen. Bei den Kriegskindern

Schule in großer Zahl an die Öffentlichkeit gingen.

und ehemaligen Heimkindern ist das deutlich geworden.

Bereits vor etwa 15 Jahren wurde es in einigen Landeskirchen

Das Schweigen, die Sprachlosigkeit und Verheimlichung

insbesondere von Frauenreferaten und Gleichstellungsbe-

gehören offenbar mit zu den Bewältigungsmechanismen der

auftragten thematisiert - fokussiert auf sexuelle Belästigung

vom Opfer erlittenen seelischen Verletzungen.

und Ausbeutung von Frauen - und in Handlungskonzepte

Wird einmal das Schweigen gebrochen, werden andere

von Prävention und Intervention umgesetzt (z.B. in der EKvW

ermutigt zu reden.

(Westfalen).

35 Außerdem erleben wir in der Debatte um Opferschutz,

Ein Blick auf die katholische Kirche, die unter größerem

Bestrafung, Entschädigung und Therapie unterschiedliche

öffentlichen Druck schon früher Maßnahmen ergriffen hat:

Phasen von medialer, politischer und fachlicher Aufmerk-

In den Richtlinien zur Prävention des sexuellen Missbrauchs

samkeit.

und sexueller Übergriffe in der Diözese Fulda wird ausge-

Momentan befinden wir uns im Übergang von der Skandali-

führt:

sierung zur Versachlichung.

„Kirche ist die Gemeinschaft der Glaubenden, in dieser

So hat in der heißen Phase der öffentlichen Diskussion die

Gemeinschaft sollen besonders Kinder und Jugendliche ein

EKD nach Bundesregierung und katholischer Kirche – mit

ganzheitlichen Ort der Entwicklung und Entfaltung finden.

heißer Nadel auch eine hot-line eingerichtet, an die sich

Dafür brauchen sie geschützte Räume … Wenn junge

Betroffene wenden können (sie wurde nur sehr wenig in

Menschen sich öffnen, machen sie sich verletzlich. Dort wo

Anspruch genommen).

für solche Gemeinschaftserfahrungen junge Menschen Ver-

Die EKD hat sich ebenso beteiligt an dem Runden Tisch,

trauen wagen, kann dies missbraucht und verletzt werden.

der von drei unterschiedlich beteiligten Ministerien (Familie,

Damit diese Verwundbarkeit von jungen Menschen nicht

Justiz, Bildung und Forschung) gemeinsam eingerichtet

ausgenutzt wird, braucht es klare Regeln und Verhaltens-

wurde. Zentrale Themen sollten die Fragen von Prävention,

standards. Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit muss ein

Intervention, dem rechtlichen Umgang und Umgang mit

verlässlicher und sicherer Ort für die Anvertrauten sein“.

Verdachtsfällen sein. Forschungsprojekte und Konsequen-

Die Auseinandersetzung mit diesem Themenbereich ist

zen für Aus-, Fort- und Weiterbildung wurden bedacht, mit

integraler Bestandteil der Aus- und Fortbildung von Pries-

Experten diskutiert und in Auftrag gegeben.

tern, ständigen Diakonen sowie pastoralen Mitarbeiterinnen

Eine Neuauflage der groß angelegten Prävalenzstudie „Se-

und Mitarbeitern … Ein entsprechendes Curriculum ist zu

xueller Missbrauch im Kinder- und Jugendalter“ im Jahr 1992

erarbeiten, durch dass Kleriker und die pastoralen Mitarbei-

(Dunkelfeldforschung) (Prof. Pfeiffer/ KFN/ DJI) bezieht nun

terinnen und Mitarbeiter für die Fragen und Probleme, die im

neben Familie auch Institutionen (Schule, Heime, Kirchen,

Kontext der hier benannten Problematik entstehen können,

Gesundheitseinrichtungen) mit ein.

sensibilisiert werden. Darüber hinaus sollen sie befähigt wer-

Ende 2011 legte der Runde Tisch den Abschlussbericht

den, angemessen mit Grenzsituationen umzugehen. Dies er-

„Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeit- und Macht-

fordert eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik

verhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und

der eigenen sexuellen Identität im Kontext seelsorgerlicher

im familiären Bereich“ vor. Der Beauftragte der Bundesregie-

Beziehungen“. (Präventionsleitlinien der Diözese Fulda,2010,

rung Rörig überwacht die Umsetzung der Empfehlungen zu

www.bistum-fulda.de)

Prävention und Intervention in allen betroffenen Bereichen. Ist die katholische Kirche schon weiter als unsere Kirche, Mit Beschluss der Kirchenkonferenz am 24.3.2011 wurde die

weil sie stärker betroffen ist? Wie stark ist die Evangelische

Konferenz „Prävention, Intervention und Hilfe bei Verletzung

Kirche betroffen?

der sexuellen Selbstbestimmung“ (PIH-K) ins Leben gerufen.

Die EKD hat sich seit 2002 bemüht einen Überblick zu er-

Seit dem kommen Verantwortliche in den Ansprechstellen

halten, wie viele Missbrauchsfälle in Landeskirchenämtern

der Gliedkirchen für Opfer sexuellen Missbrauchs zu einem

bekannt geworden sind. Für den Gesamtzeitraum von etwa

regelmäßigen Erfahrungsaustausch zusammen. Zu dieser

13 Jahren haben die Landeskirchen insgesamt 183 Fälle ge-

Gruppe gehören auch Mitarbeitende des Diakonischen Werks

meldet, und zwar sog. „Personalvorfälle“, i. d. R. also Täter-

der EKD sowie Vertreter der evangelischen Beratungsarbeit,

zahlen. Man muss allerdings damit rechnen, dass viele von

die in ihren Gliedkirchen Interventions- und Hilfsangebote im

ihnen sexuelle Übergriffe auf mehreren Menschen begangen

Bereich sexueller Missbrauch und Gewalt koordinieren und

haben, so dass die Zahl der Opfer wesentlich darüber liegt.

anbieten.

Täterinnen sind, so weit wir wissen, in den Landeskirchen

Mittlerweile hat die Kirchenkonferenz den Auftrag erteilt, ei-

im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen nicht bekannt

nen Präventionsleitfaden für EKD, Gliedkirchen und Diakonie

geworden.

zu erarbeiten.

Pfarrer und Vikare sind an dem bekannt gewordenen

Insbesondere sollen „Muster–Fortbildungsmaßnahmen und

Missbrauchsfällen ungefähr zur Hälfte (53 %) beteiligt. Die

Muster–Ausbildungsmodule“ entwickelt und standardisiert

Dunkelziffer ist allerdings groß und ein systematisch befrie-

werden und zusammen mit zuständigen Kräften der Gliedkir-

digendes Abfrageraster wird noch erarbeitet .

chen für ihre Verbreitung und Anwendung gesorgt werden.

36 2. Wie wird der Schutz- und Vertrauensraum Kirche zum Täter-Ort, an dem Grenzver- letzungen und sexuelle Gewalt möglich werden?

2.2.

Meist steht bei der Betrachtung von sexuel-



lem Missbrauch das Persönlichkeitsprofil des



Missbrauchenden im Vordergrund.

Der Beitrag, den Institutionen auf Grund ihrer Dynamik, Strukturen und speziellen Organisationskultur zu diesen

Dazu einige psychologische und organisationstheoretische

sexuellen Übergriffen ihrer Mitarbeiter leisten, wird wenig

Aspekte:

und unzureichend thematisiert. Beispielsweise haben Institutionen eine Tendenz, „Kartelle

2.1.

Die Täter – Wie konnte es dazu kommen? Was

des Schweigens“ zu begünstigen und strukturell zu etablie-



hat den Täter oder auch die Täterin bewegt?

ren. Das gilt für die Familie wie für die anderen gesellschaft-

Im Bereich der Sexualdelikte gibt es kein typisches Täterprofil.

lichen und sozialen Verbände wie Kirchen, Vereine, Internate

Täter finden sich in allen sozialen Schichten, auf allen Bil-

usw.

dungsniveaus und in jeder Altersgruppe. Es sind unauffäl-

Dies geschieht durchaus bewusst, aber auch unbewusst,

lige, gute Bürger, gebildet, verantwortlich, ja auch religiös.

durch Gruppenprozesse und eine besondere Kommunika-

Auch die lange Zeit herrschende sog. Triebstautheorie zur

tions- und Interaktionskultur in kirchlichen Institutionen.

Erklärung sexueller Gewalt gilt als überholt.

Der existentielle Wunsch des Menschen, von anderen an-

Sexualdelikte sind nicht primär sexuelle Akte unter einem

erkannt zu werden und zu einer Gruppe zu gehören, lässt

vermeintlich unkontrollierbaren Triebdruck, sondern Gewalt-

ihn wesentliche Aspekte seiner Idealvorstellungen auf die

akte. Mittels der Sexualität werden Macht- und Überlegen-

Gruppe übertragen, in der er sich zugehörig fühlt (Vertrauen).

heitsbedürfnis gewalttätig ausgelebt oder Ohnmacht- und

Werden von Mitgliedern der Gruppe Verbrechen begangen

Unterlegenheitsgefühle gewalttätig

kompensiert. Darum

und Grenzüberschreitungen, so kommt es zu einem Zusam-

wird in der Fachliteratur auch gelegentlich von sexualisierter

menbruch der Idealvorstellungen. Der Versuch, sie aufrecht

und nicht von sexueller Gewalt gesprochen.

zu erhalten und damit den eigenen Ort der Beheimatung zu

Beim sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und Abhän-

schützen, fördert die Neigung, das Geschehene zu verdrän-

gigen, zu denen ich auch Menschen mit Behinderungen zäh-

gen oder zu verleugnen, wegzuschauen, es nicht wissen

le, geht man davon aus, dass der Täter kein erwachsenes,

zu wollen oder es gar zu rechtfertigen. Dazu regt sich die

reifes Verhältnis zu seiner eigenen Sexualität entwickelt hat.

Urangst des Menschen, aus einer Gruppe ausgeschlossen

Täter mit einer pädosexuellen Veranlagung suchen gezielt

zu werden, was zumindest in der Vorstellung unweigerlich

Arbeitsfelder auf, die einen möglichst unauffälligen Kontakt

passieren würde, wenn er versucht, die Mauer des Schwei-

zu Kindern und Jugendlichen ermöglichen.

gens zu brechen. Diese Dynamik haben wir bei den jüngsten Fällen von sexu-

Nachgewiesen ist auch ein Zusammenhang zwischen früher

eller Gewalt in der Kirche und in kirchlichen Internaten ex-

erlittener sexueller Gewalt und der aktuellen Gewaltbereit-

emplarisch vor Augen geführt bekommen. Da ging es immer

schaft beim Täter.

darum, die vermeintlichen Ideale der jeweiligen Gruppe zu

In der Forschung geht man davon aus, dass Delikte gegen

verteidigen und zu schützen, um jeden Preis.

sexuelle Selbstbestimmung innerhalb von Institutionen nur

Dadurch wurden die Opfer ein weiteres Mal angegriffen,

zu 10 % von Frauen ausgeübt werden.

geschädigt und in ihrem Glauben an die Verlässlichkeit von Beziehungen erneut zutiefst erschüttert.

Zusammenfassend lassen sich einige situative Merkmale

Außerdem erleiden die Ideale der Institutionen schweren

benennen, die eine latente Gewaltbereitschaft eher manifest

Schaden. Die Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit von

werden lassen:

Kirche und ihrer Repräsentanten steht auf dem Spiel.



Machtgefälle und Abhängigkeitsverhältnisse,



persönliche Erfahrungen früher erlittener Gewalt auf

„Sexuelle Übergriffe durch kirchliches oder diakonisches

der Täterseite und

Personal werden von den Betroffenen und der Öffentlichkeit

persönliche Schwäche und Verletzbarkeit auf der Opfer-

als noch gravierender erlebt, als sie es ohnehin sind. Ob es

seite und

uns passt oder nicht, die ethischen Standards werden bei

fehlende soziale Kontrolle und Öffentlichkeit.

kirchlichem Personal höher angesetzt. Die Bereitschaft,

• •

innerhalb des kirchlichen Raums vorbehaltlos Vertrauen zu Im kirchlichen Kontext profitieren die Täter von einem ge-

schenken, ist größer. Pfarrerinnen und Pfarrer kennen das

wissen Amtsschutz, vom Vertrauensvorschuss und einer

von den überhöhten Erwartungen, die Gemeinden – oft un-

gewissen Gehorsamsbereitschaft der potentiellen Opfer.

reflektiert – an ihr privates und berufliches Verhalten haben.

37 In diesem Sinne gibt es nicht nur einen Amtsbonus, sondern



auch einen Amts-Malus.

mit das Thema aus der Tabuzone geholt und das Schwei-

Wenn bei nüchterner Betrachtung zwar immer konzediert wird, dass auch Pfarrerinnen und Pfarrer nur „Menschen

Welche Entwicklungsschritte sollen gefördert werden, dagen gebrochen wird?



Was braucht es, dass der professionelle Umgang mit die-

wie Du und Ich“ sind, auf einer anderen, weniger rationalen

sem Thema ein integraler Bestandteil der beruflichen Rolle

Ebene werden sie als Experten für die Moral und das Heilige

wird?

betrachte, die durch ihre vermutete Nähe zu diesen Sphären weniger menschlich, d.h. weniger fehlbar sein sollten. Sind

3.1. Entwicklung von Beziehungskompetenz

sie es doch, so wird das als tiefe Enttäuschung und Kränkung



erlebt mit Auswirkungen auf das idealisierte Bild von Kirche

Seelsorger und Pädagogen sind Beziehungsarbeiter, sie

und - was schlimmer ist – auf die eigenen Glaubenshal-

arbeiten in und mit verlässlichen und vertrauensvollen

tungen. Von religiösen Gewaltopfern wissen wir, dass ihre

ziehungen.

Gewalterfahrung sie in tiefste Glaubenszweifel stürzt.“

Darum ist Selbstreflexion und Selbsterfahrung wichtig, in der

(Sigrid Häfner, Dienstlicher Umgang mit Anschuldigungen

das Verhältnis zwischen Nähe und Distanz in der professio-

von sexualisierter Gewalt und sexueller Belästigung, 9/2004

nellen Beziehung geklärt wird, konkreter : das Verhältnis von

epd-Dokumentation, S. 7f)

Zuwendung zu den anvertrauten und schutzbefohlenen Kin-

Dies gilt übrigens in gleicher Weise für alle anderen kirchli-

dern und Jugendlichen und den Verletzungen ihrer Integrität

chen Mitarbeitenden.

in der pädagogischen Beziehung.

und Kontaktfähigkeit Be-

Wie achte ich die Grenzen bei mir und bei anderen? Ein anderer wichtiger Aspekt:

Wann überschreite und verletzte ich Grenzen bei mir und bei

Man weiß, dass besonders im beruflichen Stress die eigene

anderen ?

psychische Bedürftigkeit nach Zuwendung und Anerkennung



zunimmt. Wenn dann die Institution auf Grund ihrer Dynamik

3.2. Entwicklung von pädagogischer Kompetenz

und Strukturen keine ausreichende Unterstützungen und

Sie zeigt sich in der psychosozialen und psychosexuellen

Wertschätzung der Arbeit und der Person der Mitarbeiten-

Stärkung von schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen in

den signalisiert, kann dies mit dazu beitragen, dass das Be-

Unterricht und Kinder- und Jugendarbeit:

dürfnis nach Zuwendung und Anerkennung durch sexuelle



Bestimmungsrecht über den eigenen Körper

Übergriffe auf Abhängige und Anbefohlene befriedigt wird.



Wahrnehmung von Gefühlen, Vertrauen in eigene Intuition



Unterscheidung zwischen ´guten´, ´schlechten´, ´ komischen` und ´verwirrenden` Berührungen

Marie Luise Conen fand in ihrer Praxis als Supervisorin heraus, dass sowohl über- wie auch unterstrukturierte Einrich-



Umgang mit Geheimnissen

tungen sexuellen Missbrauch fördern. Überstrukturierte Ein-



Nein-Sagen-Können und Ja-Sagen-Können

richtungen produzieren Beziehungskälte, unterstrukturierte



Hilfe holen / Informationen über Unterstützungsangebo-

Einrichtungen fördern die Tendenz zu informeller Leitung

te (nach Marlene Kruck-Homann, Sexuelle Gewalt gegen

und Machtausübung und die persönlicher Ausnutzung von

Kinder, Berlin 2010)

Freiräumen (in: Bange/Dörner(Hrsg.) Handwörterbuch Sexu-



eller Missbrauch, Göttingen, 2002, www.context-conen.de).

3.3. Reflexion der professionellen Rolle zwischen

Claudia Enders von Zartbitter e.V. weist auch immer wieder



darauf hin, dass das Risiko, zum Tatort zu werden, bei klaren



Organisationsstrukturen gering ist, bei differenzierten Strukturen mittelgroß, und bei autoritären und verwahrlosten

Person und Organisation Schärfung der Aufmerksamkeit für die Schutzbefohlenen



Strukturen hoch ist.

Vorbereitung auf die besondere Leitungsverantwortung aller Amtsinhaber, den Schutz- und Vertrauensraum Kirche unter allen Umständen zu gewährleisten

3.

Prävention, Intervention, Hilfe bei Ver- letzung der sexuellen Selbstbestimmung als Thema in Aus- und Fortbildung von Pfarrern und Gemeindepädagogen

Die Leitfrage ist: •



Umsetzung von Präventions- und Interventionskonzepten für den Bereich, in dem eigene Führungsverantwortung wahrgenommen wird.



Reflexion des Führungshandelns



das ist besonders wichtig, wenn die Organisation sich

Welche Kompetenzen brauchen zukünftige Seelsorger

in einer Legitimationskrise befindet, die immer mit

und Seelsorgerinnen, Pädagogen und Pädagoginnen in

Vertrauensverlust einhergeht („traumatisierte Organi-

der Kirche?

sation“).

38 •

Umgang mit Beichtgeheimnisse und seelsorgerliche

(vgl. Bailing, Rolf(2005): Diagnose von Organisationskulturen

Schweigepflicht

in:Zt. für Transaktionsanalyse 4/2005)

3.4. Supervision- und Coachingerfahrungen

3.6. Ein beispielhaftes Modell aus der Vikarsausbil-

Der Erwerb von Handlungskompetenz durch permanente



Reflexion ist Voraussetzung für die Ausgestaltung berufli-

Pfarrerin Dr. Britta Jüngst hat im Rahmen der Vikarsaus-

cher Rollen.

bildung einen Tag zum Thema „Umgang mit sexualisierter

In der Supervision können Fragen der Kommunikation und

Gewalt“ durchgeführt.

Kooperation, das Erleben von Druck, Befürchtung und Be-

Drei Leitgedanken dabei waren wichtig:

lastung, der professionellen Umgangs mit Nähe und Distanz

1. das Thema aus dem Tabu zu holen, sprachfähig zu

dung in Westfalen:

in der Kontakt- und Beziehungsgestaltung ausgesprochen,

werden

befragt und reflektiert werden.

2. den Widerstand gegen das Thema abzubauen

In der Supervision werden das Zusammenwirken von Rollen

3. eine gelingende Kommunikation zu entwickeln in einer

und Aufgaben, von Strukturen und organisationalen Bedin-

Situation, die uns sprachlos macht, für die wir auch

gungen sowie personale Kompetenzen und Ressourcen

keine geübte Sprache haben.

miteinander ins Gespräch gebracht.

4. und das Thema zum Querschnittsthema zu machen.

Supervision ist ein geschützter Raum, der ermöglichend ist und in dem in komplexen Situationen die bestehenden

Konkret sieht das Ausbildungsmodul folgendermaßen aus:

Erwartungen, die aneinander gerichtet sind, besprochen

1. Arbeit an der eigenen Person, Nähe-Distanz-Übung:

werden können. Über Erwartung zu sprechen, führt zu neuer oder zurück

Grenzüberschreitung 2. Bibeltext zu sexueller Grenzverletzung z.B. Tamar 2. Sa-

gewonnener Verhaltenssicherheit. Dies ist in Organisationen

muel 13 dazu eine Aufstellungsarbeit oder Bibeldrama.

besonders wichtig, in denen Vertrauensverlust ein Thema

3. Information

ist, da sich Vertrauen auch über Erwartungssicherheit bildet.



– Wie führe ich ein Erstgespräch?

Schon im Vikariat sollte Supervision als langfristiger Lernpro-



– Welche Verfahrensschritte sind nötig?

zess angelegt und begonnen werden.



Evtl. Fallbesprechung

Supervision bietet ebenso eine Verknüpfung von Berufstätigkeit (Rolle) und Biografiearbeit (Person) an, in der sich die

3.7. Ein Modell im Rahmen der Fortbildung in

Auswirkungen biografischer Themen und Erfahrungen auf



den ersten Amtsjahren (FEA):

die professionelle Beziehungsgestaltung erschließen.



„Grenzen wahrnehmen und Grenzen achten“



- ein Fortbildungsmodul für Pfarrer/innen und

3.5. Führungskraftentwicklung



ordinierte Gemeindepädagog(inn)en

Führungskräfte sind verantwortlich für die Qualitätsentwicklung und Entwicklung der Organisationskultur. Deren

Dieses Modul verortet das Thema sexuelle Grenzverlet-

wesentliches Merkmal ist es, dass durch die Mitwirkung und

zungen im Kontext der Entwicklung einer verantwortlichen,

Beteiligung aller Mitarbeitenden Transparenz und Klarheit

professionellen Beziehungsarbeit als Grundlage pastoraler

über Strukturen und Prozessabläufe der Organisation ent-

Arbeit.

steht und die Organisationskultur geprägt wird.

Darum ist sinnvoll, dieses Modul in der Phase der Übernahme



von Leitungs- und Personalverantwortung im Pfarramt ein-

Die künftigen Führungskräfte werden befähigt, auch Ver-

zusetzen, ergänzt durch flankierende Supervisionsprozesse.

decktes, Informelles in der Organisationskultur zu entde-

Mitarbeitende im Verkündigungsdienst, in der Seelsorge und

cken, darauf zu reagieren und aktiv zu gestalten, wenn sie

im Unterricht sollen durch dieses Fortbildungsmodul unter-

fragen:

stützt werden, folgende Fähigkeiten zu entwickeln : •

Sie reflektieren ihre professionelle Rolle .



Sie nehmen ihre Verantwortung wahr, auf die Grenzen



Wie wird mit Konflikten üblicherweise umgegangen?



Wie werden Entscheidungen getroffen?

in der Beziehung zu Schutzbefohlenen und Gemeinde-



Welches Handlungsrepertoire im Umgang mit Krisen

gliedern zu achten und finden eine hilfreiche Balance

steht eigentlich zur Verfügung?

von Nähe und Distanz.



Welchen Stellenwert haben Macht und Autorität?



Welche Themen sind tabuisiert?

von Seelsorge, Beratung und Unterricht und achten auf



Welche Fehlerkultur wird gelebt?

sich.



Sie kennen ihre eigenen Gefährdungen in Situationen

39 •

Sie erkennen strukturelle Gefährdungen durch Tabus,

Diese umfassen ebenso die prinzipielle Stärkung der

Kultur und mangelhafte Transparenz in ihrer Organisa-

Entwicklungspotenziale und des Selbstbewusstseins

tion und Institution.

der Mädchen, Jungen, jungen Erwachsenen und Menschen mit Behinderung sowie der Entwicklung eines Klimas gegenseitigen Respekts.

Anhang

Ein weiteres wesentliches Ziel ist es,

Diskussionspapier der UAG des Runden Tisches der

eine hohe Sensibilität und Handlungskompetenz bei Übergrif-

Bundesregierung

fen zu fördern, beispielweise durch Leitfäden, Arbeitsmittel,

„Qualifizierung von Haupt- und Ehrenamt“

Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner etc.

Arbeitsgruppe „Prävention – Information – Intervention“

Kompetenzen der Mitarbeitenden:

Fünfte Sitzung am 14. März 2011

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit Mädchen, Jungen, jungen Erwachsenen und Menschen mit Behinderung arbei-

Um den Schutz von Mädchen, Jungen, jungen Erwachsenen

ten, werden durch Qualifizierungsangebote

und Menschen mit Behinderung vor sexueller Gewalt zu



verbessern, bedarf es der Implementierung der entsprechenden Lerninhalte in die Ausbildungscurricula von

men der Intervention zu ergreifen. •

pädagogischen sowie von Sozial- und Gesundheitsberufen. Für andere Berufsgruppen sowie die Ausbildungen von Eh-

für eine gute Organisationskultur und effektive Arbeit.

Sie sind für das Erkennen von sexueller Gewalt sensibilisiert und aufmerksam,



Qualifikationen einschließlich der Prüfung der Wirksamkeit getroffener Maßnahmen sind unverzichtbare Gütemerkmale

Sie achten auf ein dem Arbeitsbereich adäquates NäheDistanz-Verhältnis,



Die regelmäßige Prüfung der Erfordernisse zur Auffrischung des Wissens über Kinderschutz und Erweiterung von

Sie reflektieren ihre Einstellungen und Haltung zu Machtverhältnissen,



ehrenamtlich Tätigen ist ein dem Aufgabengebiet entsprechendes Grundlagenwissen zu vermitteln.

Sie werden angeregt, eigene Einstellungen und Haltungen zum Thema sexuelle Gewalt zu reflektieren.



renamtlichen ist Entsprechendes zu prüfen. Den im Beruf aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und

sensibilisiert, sexuelle Gewalt zu erkennen und Maßnah-

Sie verfügen über Kenntnisse, um bei sexueller Gewalt Maßnahmen des Kinderschutzes einzuleiten.



Sie fördern die Partizipation von Mädchen, Jungen und jungen Erwachsenen sowie von Menschen mit Behinderung.

Zur Förderung der Effektivität von Qualifizierungsmaßnahmen müssen auch die strukturellen Rahmenbedingungen in den Blick genommen werden, die die Wahrnehmung

Autor:

und Bearbeitung von Gewalt behindern oder Gewalt fördern.

Dieter Wentzek

Dazu gehören beispielweise eine angemessene Personal-

Pfarrer, Diplompsychologe, Coach und Supervisor DGSv,

ausstattung und eine verantwortungsvolle Personalführung,

Direktor des EZI

die zu angstfreier Kommunikation ermutigt, Transparenz in

E-Mail: [email protected]

der Einrichtung herstellt und die Anliegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst nimmt. Grundsätzlich stellen Bildungsmaßnahmen einen Schlüssel zur Entwicklung und Förderung der Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit der Beteiligten und damit des gesamten Systems dar. Qualifizierungsmaßnahmen sind Bestandteil von Maßnahmen der erforderlichen Organisations- und Personalentwicklung.

40

Aufregung und Chaos bei der Aufdeckung von Gewalt und Kindesmisshandlung − Was passiert gerade in unserer Gesellschaft? − Ein Zwischenruf Lutz-Ulrich Besser / Sabine Hufendiek

Seit ungefähr zwei Jahren tauchen immer mehr Hinweise und

misshandlung nicht auf die Nachkriegszeit der 50er und 60er

Fakten über jahrelange institutionelle Kindesmisshandlungen

Jahre beschränkt blieben, sondern nachweislich bis in die 90

in verschiedenen Formen in pädagogischen Einrichtungen

Jahre hinein reichten und auch heute noch geschehen.

auf. Es begann mit Einrichtungen der katholischen Kirche, es folgten Heime der evangelischen Kirche und setzte sich fort

Wie reagieren die Täter?

über staatliche Heime in West- und Ostdeutschland bis hin

Sie – aber auch weite Teile der Öffentlichkeit – reagieren

zu der reformpädagogischen Odenwaldschule . Die Betrof-

erschrocken, dass diese ungeheuerliche Wahrheit nach so

fenen, jene ehemaligen Opfer, brechen nach Jahrzehnten die

langer Zeit nun ans Licht kommt. Allerdings ist es bei den

Mauer des Schweigens. Sie berichten über ihre Schmerzen

Tätern kein Erschrecken über das Unrecht der Taten oder

und ihre Not und das erzwungene Redeverbot über das, was

über das eigene Handeln, sondern es ist das Erschrecken

sie in ihrer Kindheit und Jugend erlitten haben. Sie können

und die Angst vor den Konsequenzen. Deshalb greifen sie

offenbar erst jetzt gehört werden.

zu ausgefeilten Verleugnungsstrategien wie das Abstreiten

1

jeglicher Fakten (,Ich habe so etwas niemals getan) solanSie sind Zeitzeugen eines ungeheuren Gewaltpotentials in

ge keine belastenden Beweise vorliegen, bis hin zu einem

unserer Gesellschaft, des Machtmissbrauchs an Kindern,

abgestuften Verleugnen der Tatdetails. Dieses so genannte

Abhängigen und Schwächeren durch Lehrer, Priester und

„Grau-gestehen“ von Tätern lautet dann: „Ja ich habe etwas

andere Menschen aus psychosozialen Berufen unter dem

gemacht, es war aber nur eine Watschn, es war so üblich

Dach des Katholizismus, des Staates, der Reformpädagogik.

damals, ich habe mir nichts dabei gedacht“, usw. Zu dem die

Die ehemaligen Opfer haben gelitten und geschwiegen. Nun

Wahrheit vernebelnden „Grau-gestehen“ gehört weiterhin

klagen sie in großer Zahl mutig an und machen auf das Un-

die Verleugnung des Ausmaßes der Tätlichkeiten, wie z.

recht aufmerksam, das ihnen angetan wurde.

B. die Züchtigung mit Gegenständen (Stöcken, Riemen u. ä.), und auch der Umfang und die Dauer der Misshandlung

Die Aufdeckung von Gewalttaten und Kindesmisshandlun-

werden minimiert.

gen aus der Nachkriegszeit – in der zuvor durch das faschistische System systematisch gedrillt, erniedrigt, gequält und

Ebenso wird verleugnet, dass solche Misshandlungen

ein fragwürdiges Menschenbild des ,angepassten Untertan‘

gezielt und geplant durchgeführt wurden, genauso wie der

herangezogen wurde – erschreckt, verwirrt und bewegt

ausgeübte emotionale und manipulative Druck, um das

derzeit viele Menschen.

Schweigen der Opfer zu erzwingen. Darüber hinaus werden die schweren psychischen Folgen solcher traumatisierender

Erziehung ist in den Köpfen mancher heute alter Männer und

Misshandlungen bagatellisiert. Des weiteren wird von den

Frauen, die in einem entsprechenden Zeitalter sozialisiert

Tätern, von Teilen der Gesellschaft und sogar häufig von

wurden, mit einem `Zucht-‘ und ‚Aufzuchtgedanken‘ – und

unserem Rechtssystem verkannt und ausgeblendet, dass

der dazu gehörigen Züchtigungslegitimation – verknüpft.

solche Taten deutliche Konsequenzen und nicht „mildernde

Mit dieser Haltung sind viele Kinder in Internaten und Heim-

Umstände“ nach sich ziehen müssen und die Verantwortung

einrichtungen, aber auch in anderen sozialen Kontexten,

für die Schadensregulierung zunächst beim Täter liegt.

gedemütigt, geschlagen, gequält und häufig auch sexuell ausgebeutet worden. Besonders erschreckend ist es, dass

Eine profane Entschuldigung ist keine Konsequenz und stärkt

diese nun in Aufdeckung begriffenen Formen der Kindes-

eher das „Verantwortungsübernahme-Abwehrsystem“ der

Siehe: Dehmers, Jürgen; Wie laut soll ich denn noch schreien? Die Odenwaldschule und der sexuelle Mißbrauch Hamburg 2011 und Jens, Tilmann; Freiwild Die Odenwaldschule – Ein Lehrstück von Opfern und Tätern Gütersloh 2011 1

41 Täter. Das Prinzip der Vergebung kann nur ernst genommen

Gerechtigkeit die Öffentlichkeit über das ausgeübte Unrecht

werden und zur Heilung der seelischen und körperlichen

zu informieren, als Täter bezeichnet und mit Diffamierungen

Verletzungen der Opfer beitragen, wenn das volle Ausmaß

und sogar Verleumdungsklagen eingeschüchtert. Die Täter

der verübten Gewalttaten eingestanden und bereut wird.

handeln dabei nach dem Prinzip „Angriff ist die beste Ver-

Eine Einstellungs- und Verhaltensänderung im Inneren der

teidigung“. Dadurch kann es im Helfersystem durch Unwis-

leugnenden Täter zu erreichen, erweist sich jedoch ohne

senheit, Unsicherheit und Angst vor jenen Repressalien zu

klare Konsequenzen als die größte Herausforderung, solan-

einer Spaltung zwischen Opfern und Helfern kommen. Oder

ge täterloyale und Gewalt bagatellisierende Haltungen in Ge-

aber es kann auch innerhalb der helfenden Berufsgruppen

sellschaft und Justiz weit verbreitet vorhanden sind. Vielfach

zur Schwächung von Auflehnung gegen und Aufdeckung von

wird sogar nach erfolgter „Entschuldigung“ destruktives

Unrecht durch Gewalttätigkeit kommen.

Verhalten fortgesetzt, insbesondere dann, wenn es für den Täter keine Konsequenzen hatte.

Es gibt jedoch kaum plausible Gründe, warum Menschen, die in Kindheit, Jugend oder als Erwachsene Opfer von

Um der Verantwortungsübernahme und den Konsequenzen

körperlicher Gewalt und sexuellen Misshandlungen waren

zu entgehen, zielen die Strategien der Täter darauf ab, die

und sind, sich solche Geschichten ausdenken, Leid und

Glaubwürdigkeit der Opfer mit Hilfe von gut bezahlten (Un-)

viele Symptome vortäuschen und Falschaussagen machen

Rechtsanwälten in Frage zu stellen. Dabei ist das Opfer in un-

sollten. Es gibt jedoch viele Gründe dafür, warum die ans

serem Rechtssystem ohnehin schon in der Pflicht, als Zeuge

Tageslicht kommenden Taten von denjenigen, die sie verübt

die Anschuldigungen zu beweisen. So wird es auch im Falle

haben, gänzlich abgestritten, verleugnet oder bagatellisiert

eines Strafverfahrens bezüglich seiner Aussagen vereidigt.

werden.

Der Täter dagegen darf ungestraft lügen bis die Tat nachgewiesen werden kann oder er sogar freigesprochen wird.

Es mag ein Zufall sein, passt jedoch in die schwierige Geschichte der Aufdeckung von Unrecht durch Gewalt in

In dubio pro reo! Die Unschuldsvermutung bis zum Beweis

Deutschland, dass vor einiger Zeit vermutlich eines der

des Gegenteils ist eine Säule der Rechtsstaatlichkeit mit

letzten Naziverbrecher-Verfahren vor den Gerichten in Mün-

hohem Wert für wirklich Unschuldige. Jedoch für die Opfer

chen stattfand: Erst vor einiger Zeit kam einer der letzten

von Misshandlungen, die mutig als Zeugen gegen Täter aus-

Nazi-Täter, der inzwischen verstorbene John Demjanjuk,

zusagen bereit sind, birgt dieses Prinzip in sich die Gefahr

der die Ermordung von circa 30.000 Juden im KZ Sobibor zu

einer schweren Re-Traumatisierung.

verantworten hat, bisher ungeschoren davon und stand erst vor zwei Jahren vor Gericht. Die deutsche Justiz hatte jetzt

Bei der Aufdeckung und Bewusstmachung von Unrecht an

65 Jahre später die verantwortungsvolle Aufgabe, die lange

Kindern, Abhängigen und Untergebenen befinden sich Op-

versäumte Pflicht nach zu holen, das ungeheure Unrecht

fer, Täter, Mitwisser, täterloyale Personen und Institutionen

seiner Taten eindeutig zu benennen, auch wenn nur noch

nur scheinbar in vergleichbaren Situationen. Sie tragen alle

wenige Zeitzeugen leben, aber Zeugenaussagen ganze Ak-

das Risiko, beschuldigt und evtl. von der Gegenseite selbst

tenbände füllen.

angeklagt zu werden. Nicht selten beginnen die Täter zu Beginn der Aufdeckung ihrer Taten erneut, die damaligen

Selbst wenn bis auf Mord die verschiedenen Formen von

kindlichen Opfer, heute immerhin erwachsene Menschen,

strafrechtlich relevanten Gewalttaten, dazu gehören eben

mit den verschiedensten Mitteln zu manipulieren, einzu-

auch die körperlichen und sexuellen Misshandlung von

schüchtern, das Schweigen erneut zu besiegeln oder sogar

Kindern, Jugendlichen, Schutzbefohlenen, Abhängigen und

die Opfer zur Zurücknahme der Anklage zu bewegen oder zu

Widerstandsunfähigen, unterschiedlichen Verjährungsfris-

zwingen. Damit gelingt es den Tätern nicht selten eine Täter-

ten bezüglich eines zu eröffnenden Strafverfahrens unterlie-

Opfer-Umkehr zu erreichen. Ehemalige Opfer und sogar

gen und somit Täter oft nicht mehr strafrechtlich verurteilt

psychologische, medizinische und juristische Fachkräfte, die

werden können, so verjährt keinesfalls das Unrecht und das

den Betroffenen zur Seite stehen, werden dann plötzlich als

Leid, das sie den Betroffenen angetan haben.

„Täter“ gegenüber den vermeintlich unschuldigen Verdächtigten bezeichnet.

Die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen einen der höchsten Kirchenmänner in Deutschland wegen eines aktu-

So geschieht dies aktuell auf entsprechenden Internetseiten.

ell nicht ausreichend begründbaren Verdachtes des sexu-

Dort werden Helfersysteme beziehungsweise diejenigen, die

ellen Missbrauchs von Kindern ändert jedoch nichts an der

den Mut haben, auch im Sinne der Opfer auf der Suche nach

Tatsache, dass er ein Gewalt-Täter ist, wie viele andere auch,

42 wenn Zeugenaussagen belegen, dass er Schutzbefohlene

Lutz-Ulrich Besser

geschlagen, geprügelt und mit Gerätschaften gezüchtigt und

Facharzt für Psychosomatische Medizin

damit schwer misshandelt hat.

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Wir hoffen, dass unsere Gesellschaft in ihren Institutionen

Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie

und auch jeder in privaten Lebensbereichen genug Kraft

Leiter des zptn (Zentrum für Psychotraumatologie und

und Mut haben wird, der Ausbeutung und Misshandlung

Traumatherapie Niedersachsen

von Kindern, Jugendlichen, und Erwachsenen entschlossen entgegen zu treten sowie Unrecht zu benennen und dort, wo

Sabine Hufendiek

es geschehen ist, zu ahnden. Wir brauchen endlich wieder

Dipl.Päd. Supervisorin (DGSV)

mehr kollektive Zivilcourage im Kampf gegen Unrecht und

Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin

Gewalt in Deutschland, ausgeblendet und verleugnet haben

Einzel-und Paarberaterin

wir immer wieder und lange genug.

Dozentin am EZI

EZI-Seminare zum Thema „Gewalt und Grenzverletzungen in Beziehungen“ Vorankündigung 2013 •

Suizidgefährdung und Krisenintervention bei gefährdeten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen



10. – 12.01.2013, Meurer •

Wahnsinnskinder und Kinder frühgestörter Eltern 08. – 09.02.2013, Dr. Neraal



Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren Grundkurs 13. – 17.05.2013, Vertiefungskurs 16. – 20.09.2013, Dr. Gnirss



Beratung und Rituale beim Thema „Schuld, Schuldgefühl und Vergebung 13. – 17.05.2013, Prof. Dr. Klessmann, Hufendiek



Zweieinhalbjährige Fortbildung in tiefenpsychologisch-systemischer Paarberatung für erfahrene Fachkräfte aus Beratung und Psychotherapie. Beginn 03.06.2013



Lebensrückblick als Therapie 17. – 18.06.2013, Dr. Verena Kast



Was tun, wenn Krieg zwischen Eltern herrscht? 08.- 10.07.2013, Alberstötter



Zweieinhalbjährige Fortbildung in konfliktzentrierter und strukturbezogener Beratungsmethodik bei Kindern und Jugendlichen - KJB Beginn 19.08.2013



Vergessen – Vergeben – Verletzt zusammen weiterleben? 26. – 28.09.2013,







Prof. Dr. Riehl-Emde •

Paare und Trauma – Vortrag und Workshop 03. – 04.10.2013, Dr. Huber



Psychotraumatologie, -beratung und -therapie Siebenteilige Weiterbildung







für beraterisch und psychotherapeutisch tätige Berufsgruppen.







Beginn 2014, Besser und PD Dr. Brisch





43

Erinnerungen an Ingeborg Langus-Mewes (*14. März 1931 † 6. November 2o11)

Nachruf „Für das Institut war sie mit ihrer unpretentiösen Klugheit

Studenten aus der nahegelegenen Universität. Erst nach

ein Segen“, schrieb eine ihrer langjährigen Weggefährtinnen.

einigen Jahren, mit gewachsener Akzeptanz der psychologi-

Ein Blick auf ihre Berufsbiographie zeigt auch, wie Psycho-

schen Beratung als kirchlicher Tätigkeit wurde auch Ehebe-

logische Beratungsstellen der Evangelischen Kirche sich

ratung gefragt, zunächst von Frauen allein, später auch von

entwickelten.

Paaren gemeinsam. Neben ihrer Beratungstätigkeit, zu der damals auch Testdiagnostik mit Kindern, Jugendlichen und

Ingeborg Mewes studierte von 1956-1961 Psychologie an der

Erwachsenen gehörte, gab sie Supervision für Psychologie-

FU in West Berlin. Während eines der obligatorischen Praktika

Praktikanten, Kindergärtnerinnen, Theologen und bereits

lernte sie die Beratungsarbeit im Team der Ev. Beratungsstel-

ab 196O als Mentorin der EKFuL für Teilnehmende an der

le für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen in Berlin-Steglitz

Eheberaterausbildung am Evangelischen Zentralinstitut für

unter der Leitung des Theologen und Psychoanalytikers Dr.

Familienberatung (EZI) in Berlin.

Joachim Scharfenberg kennen. Als fertige Diplompsycholo-

Diese vielfältige Praxis wurde untermauert und in ihrer

gin erhielt sie dort 1961 auch ihre erste Anstellung. Doch ging

Qualität ermöglicht und gesichert durch eine beständige,

sie schon 1962 nach Frankfurt, um am Aufbau einer neuen

berufsbegleitende Fortbildung in Theorie und Praxis der

Beratungsstelle zusammen mit ihrem Berliner Teamkollegen

Tiefenpsychologie. Sie erfolgte durch Supervision, Fallbe-

Dr. Wolfram Lüders mitzuwirken.

sprechungen und theoretische Arbeitsgruppen im Rahmen der Beratungsstelle unter Leitung der beiden Psychoanaly-

In einem Interview mit Barbara Schneider erzählt sie 1987

tiker Joachim Scharfenberg und Wolfram Lüders sowie am

über diese Zeit: Am Anfang stand vor allem vermittelt durch

Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt.

kirchliche Kindergärten die Arbeit mit Kindern, Eltern und

Ihr besonderes Interesse in der Zusammenarbeit mit Wolf-

Jugendlichen im Vordergrund, über die dann im Rahmen der

ram Lüders galt der Frage, wodurch sich psychoanalytische

Öffentlichkeitsarbeit berichtet wurde - auch durch Schulfunk-

Beratung

sendungen, für die Ingeborg Mewes „Gespräche mit Kindern

und wie in der psychologischen Beratung „das Therapeuti-

und Jugendlichen“ über altersspezifische Fragen schrieb. Zur

sche geschieht, ohne dass es Therapie ist“. (Interview 1987).

Beratung mit Einzelnen (Lebensberatung) kamen vor allem

von psychoanalytischer Therapie unterscheidet

44 Mit großer und fundierter praktischer Erfahrung und einer

Über ihre Pensionierung im Jahr 1996 hinaus gab sie noch

exzellenten Theorie (vgl. Wolfram Lüders, Psychothera-

Fortbildungsveranstaltungen für Mentoren und Mentorinnen

peutische Beratung, Theorie und Technik, Göttingen 1974)

am EZI. In ihrem kleinen Praxiszimmer über der alten Com-

ausgestattet ging Ingeborg Langus-Mewes 1973, inzwischen

merzbank in der Breisgauer Strasse empfing sie noch viele

verheiratet und Mutter eines Sohnes, – auch aus familiären

Jahre Ratsuchende und Supervisanden.

Gründen - nach Berlin und brachte als Dozentin die „Frankfurter Schule“ mit ins Dozenten - Kollegium des EZI. Hier

Nach ihrem 80. Geburtstag wurde ihr Gesundheitszustand

bildete nun die Konzeptionalisierung psychologischer Bera-

schlechter. Wie sie gelebt hatte begann sie nun mit großer

tung als eines eigenständigen Verfahrens einen Schwerpunkt

Autonomie, Besonnenheit, Fürsorge und Konsequenz sich

ihrer Tätigkeit. Unter Verknüpfung tiefenpsychologischer

zurückzuziehen und „abzuschliessen“, wie sie beiläufig sag-

Verstehensmodelle mit Handlungsmodellen anderer the-

te. Nach 4 Wochen schwerer Krankheit schlief sie umsorgt

rapeutischer Schulen, die für die Beratungsarbeit geeignet

von ihrem Sohn und befreundeten Kolleginnen friedlich ein.

erschienen, arbeitete sie im Team an Beratungs- und Ausbildungskonzepten für verschiedene Felder evangelischer

Als ich mit Jan Langus die Traueransprache vorbereitete, zog

Beratungsarbeit: für die Beratung einzelner zusammen mit

er zwei dicke, rot gebundene Ordner hervor. Sie enthielten

Bernd Löffler und Anne Neumann, für die Beratung von Paa-

sorgfältig geordnet die Dokumente eines langen Lebens.

ren zusammen mit Löffler, Neumann und Martin Koschorke,

Darunter eine Konfirmationsurkunde aus dem Jahr 1946

für die Beratung mit Eltern und Kindern zusammen mit Inge-

von St. Jakobi in Lübeck, wo die vierzehnjährige infolge der

borg Volger, Klaus Brauner und Achim Haid-Loh, schließlich

Schrecken des Krieges und in der Not der Nachkriegszeit im

für Supervision zusammen mit Brauner und mir.

geteilten Deutschland als Flüchtling mit ihrer Mutter bei Verwandten untergekommen war. Mir scheint, als sei ihr Kon-

Kennzeichen ihres Vorgehens war – in welchem Setting auch

firmationsspruch (Offenbarung 2,10) – mehr oder weniger

immer – die Arbeit in und an der Beziehung im systemischen

bewußt – Motto ihres Lebens geworden. Er war ursprünglich

Kontext, um Ratsuchenden realistische und befriedigende

an Menschen innerhalb der jungen christlichen Aufbruchs-

Lösungen zu ermöglichen und zuzumuten. Schwierigkeiten

bewegung gerichtet, denen es

verstand sie als Herausforderungen. In einer Kurzrezension

Gewalterfahrungen um ein neues, besseres Leben ging:

schrieb sie unverkennbar: „Der ärztlich nicht vorgebildete Le-

nämlich um Anerkennung des individuellen Lebensrechts

ser sollte sich nicht durch die medizinischen Fachausdrücke

jeder Person unabhängig von Geschlecht, Geburt, Stand

abschrecken lassen, das Buch zu benutzen. Es bietet zwar

und Leistungsvermögen, um Freiheit statt Verfolgung und

keine leicht lesbare Einführung in das Thema, ist aber ein

Unterdrückung, um Aufnahme in die statt Ausschluss aus

Nachschlagewerk, das in aller Kürze gute Orientierung und

der Gemeinschaft, um Vergebung statt Rache, um Hoffnung

Information gibt.“ (EZI-Korrespondenz 4, 1985, S.6). In Super-

statt Gleichgültigkeit und Resignation. „Sei getreu bis in den

visionen fragte sie, was muss der Klient, was muss das Paar

Tod, so will ich dir die Krone (den Kranz) des Lebens geben“

lernen? Es ging ihr um Lernen durch Erfahrung. Wenn man

hieß und heißt: bleib deiner selbst gewonnenen Überzeu-

die Psycho- und Beziehungsdynamik in langsamen Schritten

gung treu und richte dich – gleich unter welchen Umständen

sich klar gemacht hatte, konnte sie fragen: „Hast Du sie denn

- immer wieder neu nach vorne hin aus, strecke dich dem

auch genug genötigt?“. Doch vor Nötigung brauchte sich bei

kommenden Gott, dem erhofften Heil entgegen - und du

ihr niemand zu fürchten. Denn sie beherrschte vorbildlich

wirst es erfahren. Ich denke, so hat sie gelebt und Segen

die Kunst, Rollen-Distanz zu wahren und gleichzeitig dem

gestiftet, für den viele Menschen von Herzen dankbar sein

Gegenüber Interesse, Wärme und Verständnis entgegen zu

dürfen und dankbar sind.

angesichts destruktiver

bringen und auf Entwicklungsschritte hinzuweisen. Friedrich-Wilhelm Lindemann Im Dozenten - Kollegium hatte sie die Position des ruhenden Pols. Sie äußerte sich nicht zu allem, aber wenn sie etwas sagte, dann hatte es Gewicht. Im Haus, der Schlachtenseer Jugendstilvilla in der Matterhornstrasse, kümmerte sie sich um die Kunst an den Wänden, um eine gediegene Bibliothek und um Frieden unter den Mitarbeitenden, wozu auch die Gründung einer MAV gehörte. Nach außen vertrat sie das Institut als Psychologin in Fachgremien, auf Kongressen und mehrere Jahrzehnte im Ausbildungsausschuss der EKFuL.

März 2012

45

Lebenfreude und Neugier Wenn ich an Ingeborg denke, fällt mir sofort ihr Lachen ein, ein herzhaftes und fröhliches Lachen, das oft das eine oder andere Schwere leicht gemacht und manche Situation in ihrer Widersprüchlichkeit auf den Punkt gebracht hat, ein Lachen, das aber immer auch Ausdruck ihrer Lebensfreude und ihres Bemühens war, das Leben von der fröhlichen und,

Herbert Grönemeyer. Zwar gehörten wir nicht gerade zu den Jüngsten und konnten der Lautstärke auch nicht wirklich Erhebendes abgewinnen, doch hatten wir unseren Spaß und konnten uns, wenn schon nicht verbal, so aber doch über unser Lachen verständigen. Als Ingeborg mir kurze Zeit später am Telefon auf meine Frage, was sie gerade tue, antwortete: „Ich schließe ab!“ wurde mir klar, dass ich beginnen musste, von ihr Abschied zu nehmen.

ja, auch komischen Seite zu sehen.

Ingeborg Volger März 2012

Zunächst aber habe ich, als ich 1983 ans Institut kam, eine andere Facette an Ingeborg schätzen gelernt, nämlich ihre große Offenheit und Bereitschaft zu kollegialer Zusammenarbeit und Unterstützung, in den mir neuen Strukturen des

Leuchtturm

Instituts eine Orientierung zu finden. Welche Frage auch

Seitdem ich Ingeborg vor einigen Jahren einen Kalender mit

immer sich mir stellte, bei Ingeborg fand ich stets die Be-

Leuchttürmen geschenkt habe, bekam ich immer mal wie-

reitschaft, sich für mein Anliegen Zeit zu nehmen, ein hohes

der überraschend eine Ansichtskarte aus ihrem Urlaub mit

Gut, was auch im damaligen Institut eine knappe Ressource

einem Leuchtturm. Die vom letzten Sommer war besonders

war. Auch meine zunächst auf das Zweiersetting ausgerich-

schön, war sie doch eine eigenhändige Fotografie, die Inge-

tete therapeutische Orientierung hin zur Paarberatung hatte

borg mit den Worten kommentierte „Ich kann es nicht las-

viel mit Ingeborgs konsequenter Haltung zu tun, mit großer

sen, Dir einen Leuchtturm zu schicken, das ist der auf Rügen

Beharrlichkeit immer wieder auch die paardynamische Per-

an der Nordseite, der kleine und der Große!“ Aufgenommen

spektive ins Gespräch zu bringen, bis ich schließlich Feuer

aus der Froschperspektive ragt der große Leuchtturm in die

fing und begann, mich intensiver dieser Thematik zuzuwen-

Höhe und berührt den Himmel und ich stelle mir vor, dass In-

den. Unsere Zusammenarbeit war dabei nicht nur intensiv,

geborg jetzt aus der Vogelperspektive zuschaut und lächelt

sondern meist auch vergnüglich.

und sich am Panorama der vielen größeren und kleineren Leuchttürme freut, die durch ihr Wirken entstanden sind und

Aus dieser Zusammenarbeit entwickelte sich allmählich eine

sich entwickelt haben.

tiefe Freundschaft, die insbesondere geprägt war durch Ingeborgs Neugier und Tatendrang. Dies führte u.a. dazu,

Ingeborg nutzte einmal für mich sehr eindrücklich das Bild

dass ich mich nicht nur darauf verlassen konnte, wenn ich

der „Frosch- und Vogelperspektive“, um die verschiedenen

die Zeitungslektüre nur oberflächlich geschafft hatte, von

Blickrichtungen und Perspektivenwechsel in der Beratung zu

ihr über die neuesten Theaterinszenierungen, Konzerte

verdeutlichen, die sie selber vorzüglich vorlebte: das genaue

oder Ausstellungen auf dem Laufenden gehalten zu werden,

Zuhören und facettenreiche Wahrnehmen, Beobachten,

sondern Ingeborg auch noch bereit war, die entsprechenden

Anschauen, von allen Seiten Beleuchten eines Problems,

Karten zu besorgen. Auf diese Weise verbrachten wir viele

das sich in Beziehung setzen und Verbinden mit dem Gegen-

belebende und berührende Abende miteinander, die meist

über aus der jeweiligen Perspektive wie auch die Drauf- und

mit einem guten Wein und langen Gesprächen endeten. Aber

Fernsicht, um sich einen Überblick über die Problem- und

nicht nur unsere Freude an der Kultur hat uns verbunden,

Konfliktlagen, Möglichkeiten und Grenzen der Ratsuchenden,

sondern auch ihre Unterstützung bei der Kinderbetreuung,

der Kursteilnehmenden, des Gegenübers zu verschaffen und

wenn ich wegen Abendterminen oder Kursanfängen spät

vorausschauend angemessene Ziele formulieren zu können,

nach Hause kam. Dann fand ich die Kinder oft am Klavier mit

ohne den Fokus aus den Augen zu verlieren und Mittel und

Ingeborg vierhändig spielend und kam in den Genuss eines

Wege zu finden wieder mehr oder weniger flott durch die

kleinen „Hauskonzerts“. Dies ist lange her, hat aber bei uns

Beratung, die Ausbildung und das Leben zu navigieren.

allen tiefe und bleibende Spuren hinterlassen. Ingeborg war selbst wie ein Leuchtturm, hatte für mich wie Die Neugier aber, ihr Interesse auch für altersbedingt un-

für viele Vorbildfunktion, setzte oft auch im Verborgenen

gewöhnliche Aktivitäten, ist Ingeborg bis zuletzt erhalten

sichtbare Zeichen. Mit ihren einfühlsamen, interessierten,

geblieben. Unser letzter gemeinsamer „Kulturausflug“ führte

anregenden, vertiefenden, manchmal auch unbequemen

uns im letzten Sommer ins Olympiastadion zum Konzert von

Fragen brachte sie Licht ins Dunkel und bot Navigationshilfe,

46 um die eigene Position klarer bestimmen und formulieren zu können. Bisweilen wirkte allein ihre hochgezogene Augenbraue bei Gesprächen und Diskussionen, z.B. in Teamsitzungen schon wie ein Signal, eine Warnung vor Untiefen, um inne zu halten, den Kurs vor der weiteren Fahrt zu überdenken und ggf. zu verändern. Aus meinen Anfängen 1987 am EZI erinnere ich mich besonders lebhaft an den Besuch eines Familientherapiekongresses, wo wir gemeinsam an Seminaren teilnahmen, Fragen der Paar- und Familientherapie diskutierten, über Paar- und Geschwisterdynamiken nachdachten. Beim Durchstreifen der wunderschönen Stadt Prag im Mai und Genuss von Kunst und Kultur war für mich erstmals Ingeborgs Neugier und Reiselust und die Vielfalt und Tiefe ihrer kulturellen Interessen erfahrbar. Vor allem aber schafften Ingeborgs feinfühlige, zurückhaltend-neugierige Fragen, ihre Kunst des Zuhörens und ihr warmherziges, echtes Interesse an mir, meinem Leben, beruflichen und privaten Erlebnissen erste persönliche Verbindungen und eine Brücke zum EZI-Team, die den Grundstein für eine sich langsam vertiefende, später auch freundschaftliche Beziehung legten und immer wieder neue Räume und Horizonte eröffneten. Am EZI stand Ingeborg für mich in erster Linie für die Tradierung und Identifizierung mit dem tiefenpsychologischen Weiterbildungskonzept in der Ehe- und Paarberatung und das Ringen darum, wie sich die tiefenpsychologische mit der systemischen Perspektive verknüpfen ließe. Zusammen gearbeitet haben wir vor allem in der Weiterbildung zur Ehe-, Familien- und Lebensberatung und im Paarcurriculum. Aber auch die Gründung einer Mitarbeitervertretung und gemeinsame Positionierung zum Gegenüber haben uns verbunden. Nach ihrem Ausscheiden aus dem EZI haben wir uns immer wieder bei gemeinsamen Spaziergängen, Kino- und Theaterbesuchen und äußerst anregenden, tiefgehenden, oft humorvollen Gesprächen

gefunden. Unvergessen bleibt

eine Führung und stille Wanderung über einen historischen Friedhof vor vielen Jahren. Dass ich Ingeborg in den letzten Stunden vor ihrem Tod begleiten konnte, war ein besonderes Geschenk. Die Ruhe, die sie wie im Leben so auch kurz vor ihrem Tod ausstrahlte, werde ich für immer in mir behalten. Annelene Meyer März 2012

Lichtblicke Meine erste Begegnung mit Ingeborg Langus fiel in die Zeit nach dem Fall der Mauer - eine aufregende Zeit auch für das Team des EZI. Für mich persönlich war der Moment unserer ersten Begegnung verknüpft mit der Aufregung meines Vorstellungs- und Bewerbungsgespräches im damaligen Dozentenkollegium; eindrücklich in Erinnerung geblieben ist mir dabei Ingeborgs zurückhaltende Zugewandheit, ihr vielsagendes Schweigen und ihr warmes, wohlwollendes Lächeln - ein Lichtblick in völlig fremdem Terrain! Die spannende Zeit der Aufbauarbeit dieser frühen 90er Jahre verband uns viele Jahre - ein neues Curriculum zur Erziehungsberatung wurde gemeinsam aus der Taufe gehoben und mit der „EB“ hielt auch Ingeborgs ureigenstes, früheres Arbeitsgebiet aus der Anfangszeit Ihrer praktischen Tätigkeit an der Frankfurter Beratungsstelle wieder (neu) Einzug im Zentralinstitut an der Matterhornstraße.

47 In diesen turbulenten Anfangsjahren meiner Dozententätigkeit am EZI war mir Ingeborg als erfahrene Kollegin und

Bereichernde Begleitung

„Frau der ersten Stunde“ ein echter Fels in der Brandung: die Tür zu ihrem Büro stand oft offen und ich durfte sie

Mein erster Kontakt zu Ingeborg Langus-Mewes war im

hinter mir schließen, wann immer ich scheinbar einfache

September 1986. Ich war Teilnehmerin des 1. Kursteils in

Fragen, größere Sorgen oder echte Nöte hatte.... Die kluge

Ehe-und Lebensberatung im EZI, saß in der Eingangsrunde

Gelassenheit, Aufmerksamkeit und Sicherheit, mit der Inge-

und es ging um „Visitenkarten“. Ich bekam die Visitenkarte

borg mir begegnete war damals oft hilfreich und wohltuend

von Ingeborg Langus-Mewes. Auf der Visitenkarte war eine

für mich und manchmal ein echter Segen! Manche Klippen

Putte. Die Putte befand sich in einer Kirche. Ingeborg hatte

und Abgründe ließen sich gemeinsam sicher umschiffen; sie

sie am Abend zuvor - während eines Barockkonzertes- an-

wirkte ausgleichend und als ruhender Pol in der manchmal

geschaut und gleichzeitig der schönen Musik gelauscht. Ich

hektischen Betriebsamkeit und Teamdynamik unseres Do-

habe diese Szene bis heute nicht vergessen.

zentenkollegiums. In der Grundausbildung, in der Ausbildung zur Paarberatung Über mehr als ein Jahrzehnt unserer Zusammenarbeit lernte

und im ersten Durchgang zur Weiterbildung in Supervision

ich aber auch eine andere, eher im Verborgen wirkende Seite

erlebte ich sie als Dozentin, in Vorlesungen, in Arbeitsgrup-

ihres Wirkens an unserem Institut sehr zu schätzen:

pen und in der T-Gruppe in der Supervisionsweiterbildung. Ich habe viel von ihrer ruhigen, klugen Art gelernt.

Als Mitarbeitervertreterin, MAV-Vorsitzende und Vertreterin der Dozenten im Aufsichtsrat war sie so etwas wie der spitze

Viele Jahre später – vor nunmehr fast 10 Jahren – begann

„Stachel im Fleisch“ der bürokratischen Abläufe und instituti-

ich meine Arbeit als Dozentin am EZI. Wir bezogen eine

onellen Administration. Ob es um die Belange der Köchin, die

Wohnung ganz in der Nähe des alten EZI`s am Schlachtensee

Zulagen der hauswirtschaftlichen Kraft oder die Sicherung

und ganz in der Nähe von Ingeborgs Wohnung. Ingeborg

der Rentenversorgung für die KollegInnen ging - stets trat sie

kam zu Besuch und regte an, dass wir unsere „Paare“ aus

mit klaren Worten sowie Zähigkeit und Geduld für nachhaltig

der Praxis der Paarberatung in einer Art Intervisionsgruppe

gerechte Lösungen im Interesse Aller ein.

besprechen könnten. Bis zum Frühjahr 2011 haben wir uns

In den Jahren nach ihrer Pensionierung habe ich sie am Insti-

regelmäßig alle 14 Tage getroffen und uns ausgetauscht über

tut oft vermisst - dafür entwickelte sich unsere Beziehung zu

unsere unterschiedlichsten Paarfälle.

einer freundschaftlichen Verbundenheit weiter, die manch

Ich konnte – bei einer guten Tasse Tee – von ihrer Erfahrung

lustvollen gemeinsamen Kulturgenuss oder lange Abende

bezüglich Paaren profitieren und mit ihr austauschen, was

bei einem guten Glas Wein auf dem Balkon Ihrer Wohnung

wir zu diesem oder jenem Fall diagnostisch und methodisch

im Grünen einbrachte.

für Gedanken hatten.

Bis zuletzt konnten wir - und dafür bin ich Ihr sehr dank-

Zu Beginn des Jahres 2011 stellte ich eine deutliche Verän-

bar - auch das entspannte zusammen Arbeiten nicht ganz

derung bei Ingeborg fest. Ihre Krankheit begann sie zu zeich-

lassen. Es war einfach vergnüglich, mit ihr Klausurfragen zu

nen. Es war ein gutes Erlebnis, sie gemeinsam mit ihrem

entwickeln und Prüfungsarbeiten von Absolventen unserer

Sohn und mit den Kolleginnen bis zu ihrem Tod zu begleiten.

Weiterbildungen zu diskutieren. Wie viel habe ich von ihr ge-

Auch in der Gestaltung des Sterbens habe ich viel von ihr

lernt, wenn sie mit dem scharfsinnigen geschulten Blick der

gelernt. Ich bin ihr dafür sehr dankbar.

Professionistin die „blinden Flecke“ und „Schwachstellen“ fokussierte und dabei zugleich mit der milden Weisheit Ihrer

Sabine Hufendiek

ganzen Person die Ressourcen und Entwicklungspotentiale

März 2012

der jeweiligen Kandidaten ins Zentrum zu rücken vermochte. Auch schwere und konfliktträchtige Arbeit kann viel Spaß machen - Ingeborg Langus wußte wie das geht! Achim Haid-Loh April 2012

48

Vertiefende Perspektiven

Heute, ein halbes Jahr nach ihrem Tod, ist mir Frau Langus noch gegenwärtig. Manchmal bespreche ich mit ihr einen Fall und höre ihre Antwort. Noch häufiger sehe ich aber ihr

Als ich vor knapp sechs Jahren an das Evangelische Zent-

Lächeln, besonders wenn ich eine Tasse Tee trinke oder

ralinstitut kam, war vieles neu, die Arbeit, die Kolleginnen

Tulpen irgendwo in einer Vase stehen. Und manchmal lächle

und Kollegen, die Stadt - und ich war supervisionslos. Da ich

ich dann zurück.

niemanden so richtig kannte, fragte ich meine Kolleginnen und bekam eine Empfehlung für Ingeborg Langus. Ich war

Martin Merbach

skeptisch. Supervision bei jemandem zu nehmen, den die

April 2012

anderen alle kannten, wird das funktionieren? Andererseits wusste ich, dass Frau Langus das Institut stark geprägt hatte, und ich fand es spannend, in diesem Konzept fachlich begleitet zu werden. Mit diesen widersprüchlichen Gefühlen fuhr ich nach Schlachtensee, eine Stunde S-Bahn. Die Länge des Weges ließ mich schon wieder zweifeln. Ich war zu früh, kehrte beim Bäcker zwei Häuser weiter ein, um dann pünktlich an der Haustür zu klingeln. Das Treppenhaus roch irgendwie vertraut, ein wenig wie das Pfarrhaus meiner Kindheit. Oben öffnete mir eine sympathische, ältere Dame, die lächelte, mich hereinbat und fragte, ob ich Tee wolle. Ich, der ich damals nur Kaffee trank, nickte. Frau Langus geleitete mich in den Arbeitsraum, vor dessen Fenstern das Grün in den Raum zu wuchern schien. Ich setzte mich auf den angebotenen Stuhl und so begann sie, meine Supervision. In den folgenden fünf Jahren wurden mehr als 100 Stunden daraus. Das Wetter vor dem Fenster wechselte. Weihnachten gab es Plätzchen zum Tee, Ostern kleine Ostereier. Die Blumen auf dem Tisch spiegelten die Jahreszeit wider, Tulpen waren oft darunter. Mir wurden meine Paare klarer, meine Verstrickungen teilweise lieb, oder auch unaushaltbar. Die angenehm schweigende Art von Frau Langus, wenn ich begann, Fälle zu schildern, mochte ich. Oft brachten mich bereits ihr Blick oder ihr Lächeln an einer bestimmten Stelle meiner Erzählung ins Nachdenken, eröffneten andere Perspektiven. Aber ihre Fragen, die unverhofft aus einer Tiefe kamen, waren unschlagbar. Sie fokussierten auf das Wesentliche, ohne mich zu verletzen. Im letzten halben Jahr ihres Lebens spürte ich Veränderungen. Ich schob es auf das Alter, auf eine momentane Erkrankung. Wir weigerten uns beide, darüber zu sprechen, wohl ahnend, dass ein Reden auf das Ende unserer Arbeitsbeziehung hinauslaufen würde. Schließlich durchbrach sie eines Tages das Schweigen, es wurde meine letzte und die traurigste Supervisionssitzung bei ihr.

49

Film-Revue zum Thema von Ilka Quindenau

Michael Haneke

Das weiße Band (2009)

Zum Regisseur Michael Haneke ist 1942 in München

Folgen. Im Namen der Verantwortung

geboren und im ländlich-voralpinen

für die Gemeinschaft wird ein Klima

Wiener Neustadt aufgewachsen. Sein

der Angst und der Einschüchterung

Studium der Philosophie, Psychologie

geschaffen, das den Boden für neue

und Theaterwissenschaften brach er

Gewalt bereitet.

vorzeitig ab, um beim Südwestfunk als Redakteur und Dramaturg zu arbeiten.

Zur Geschichte des Films

Nach kleineren Theaterinszenierungen

Das weiße Band erweckt den Eindruck

und Fernsehspielen entstand 1989 sein

einer Literaturverfilmung des ausge-

erster Kinofilm mit dem Titel Der siebte

henden 19. Jahrhunderts. Darin besteht

Kontinent. Der internationale Durch-

bereits der erste Verfremdungseffekt,

bruch als Filmemacher gelang ihm im

dem noch viele folgen werden, denn

Jahr 2000 mit der Verfilmung von Elfrie-

es handelt sich keineswegs um die Ver-

de Jelineks Roman Die Klavierspielerin.

filmung von Literatur, vielmehr schrieb

Das zentrale Thema in Hanekes Filmen

Haneke als Regisseur das Drehbuch

besteht in der Visualisierung von Ge-

selbst. Die Machart des Films erinnert

waltzusammenhängen. Im Film Bennys

an manchen Stellen etwa an Theodor

Aus: Psyche – Z Psychoanal 66,

Video (1992) geht es um die kaltblütige

Fontanes Effi Briest in der Verfilmung

2012, 268–274 www.psyche.de

Ermordung einer Schülerin durch einen

von Rainer Maria Fassbinder, wie er

Stuttgart, Klett-Cotta Verlag

Gleichaltrigen, der die Tat mit seiner

mit der Stimme des Erzählers aus

Kamera aufzeichnet. In Funny Games

dem Off beginnt. Es ist die Stimme des

(1997) endet ein harmloser Familienur-

Dorflehrers, der im Alter, lange nach

laub in einem brutalen Blutbad. Die KlaDie Filme Michael Hanekes besitzen

seiner Pensionierung die Geschichte

vierspielerin (2000) handelt von Terror

eine hohe Affinität zur Psychoanaly-

erzählt. Durch die Perspektive des

und Selbstverstümmelung und in Caché

se. Wie kaum ein anderer Regisseur

Rückblicks wird die Historisierung des

(2005) untersucht Haneke die unsicht-

versteht er es, die Wirkungsweise des

Stoffes unterstützt, es schafft für die

bare Gewalt konstanter Bedrohung.

Unbewussten

ZuschauerInnen eine Art kontemplati-

Das weiße Band (2009) mit dem Unter-

Seine Filme gehen im buchstäblichen

ver Distanz. Die Geschichte wird nicht

titel Eine deutsche Kindergeschichte

Sinne unter die Haut, durchbrechen

miterlebt, sondern zieht eher in Form

wurde mehrfach preisgekrönt und mit

den Reizschutz und konfrontieren die

einer Chronik am Auge des Zuschauers

der Goldenen Palme in Cannes ausge-

Zuschauer mit sich selbst, mit den eige-

vorbei. In episodischer Struktur werden

zeichnet. Es ist ein filmischer Diskurs

nen verdrängten Strebungen. 1

die Familien des Dorfes gezeichnet, die

über Autorität, Disziplinierung und ihre

Kamera zieht von Haus zu Haus und

spürbar

zu

machen.

Dem vorliegenden Text liegt ein Vortrag bei der DPV-Herbsttagung 2010 zugrunde. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen aus dem Forum für die spannende Diskussion, diemir viele Anregungen gab. 1

50 etabliert die Strukturen in der Gemein-

vorstellungen erfahren. Mit eiserner

Kinder bereits verhärmt, verschlossen,

de. Erzählt wird ein zunächst unauffällig

Strenge setzten die Eltern die Einhaltung

fast schon verschlagen. An ihnen wird

scheinendes Dorfleben, das immer wie-

der Regeln durch und sanktionierten

auf erschreckende Weise deutlich, wie

der durchbrochen wird durch Gewalt.

sie; der Individualität der Kinder wurde

wirksam und effizient das Erziehungs-

Der Film beginnt mit dem Reitunfall

keinerlei Raum gelassen. Jegliche Zunei-

system ist.

des Arztes, der durch ein in seinem

gung und Gefühlsregung wurde durch

Grundstück gespanntes, nahezu un-

Regeln und Pflichten unterbunden mit

Für ihre Zurichtungen nehmen die Kin-

sichtbares Drahtseil zu Fall gebracht

der Folge, dass die Heranwachsenden

der auf vielfältige Weise Rache. Die Ra-

wird. Dies ist das erste einer Reihe

selbst auch nur konventionelle, eher

che wird allerdings nicht offen, sondern

von rätselhaften Vorkommnissen, von

oberflächliche

Gefühlsbeziehungen

heimlich ausgeübt, sodass von diesen

Unfällen und Misshandlungen, die das

entwickeln konnten (Scheurer 2009).

Heimlichkeiten eine unheimliche Wir-

Dorf erschüttern, zu Misstrauen und

Die transgenerative Weitergabe dieser

kung ausgeht. Man kann vermuten, dass

Verdächtigungen führen, aber bis zum

Persönlichkeitsstruktur wird in Hanekes

die Kinder als Drahtzieher im buchstäb-

Ende ungeklärt bleiben. Die Gewalt

Film präzise und drastisch vor Augen

lichen Sinne hinter den Unglücksfällen

scheint zunächst in die Idylle von außen

geführt. Wir sehen die Zurichtung der

stehen, dass sie in den Misshandlungen

hineinzubrechen, durchdringt jedoch

kindlichen Persönlichkeit, genauer: der

an wehrlosen Opfern (am behinderten

bei näherem Hinsehen nahezu alle Be-

kindlichen Triebstruktur. Die Repression

Sohn der Hebamme ebenso wie am

ziehungen: die Beziehungen zwischen

setzt an den libidinösen Strebungen an:

Wellensittich des Pfarrers) wiederho-

Eltern und Kindern, zwischen Männern

Sie unterdrückt die sexuellen Wünsche

len, was ihnen selbst widerfahren ist.

und Frauen nicht minder als die Bezie-

ebenso wie die Fähigkeit zu lieben und

Doch bleiben dies Vermutungen, für

hungen unter den Kindern selbst. Das

mitzuleiden. So wird der frühadoles-

die der Film einige Hinweise bietet, die

Generationenverhältnis erweist sich als

zente Pfarrerssohn in einem demüti-

Zuschauer jedoch im Ungewissen lässt.

ebenso durchsetzt von Gewalt wie das

genden Gespräch mit seinem Vater zu

Anders als in populären Kriminalfilmen

Geschlechterverhältnis.

einem Geständnis seiner Masturbation

gibt es am Ende keinen verantwortli-

gezwungen. Nachdem der Vater ein

chen und überführten Täter.

Mit äußerster Präzision zeichnet Haneke

Horrorszenario über die vermeintlichen

das Soziogramm einer geschlossenen

Spätfolgen der Befriedigung gezeichnet

Der Film endet schließlich am Vorabend

dörflichen Gemeinschaft und porträtiert

hat, wird der Sohn zur Strafe nächtens

des 1. Weltkriegs.

die zentralen Protagonisten als »Schalt-

mit den Händen ans Bett gefesselt. Die-

zentralen der Macht«: den Gutsherr, den

se drakonische Maßnahme geschieht

Zur filmischen Gestaltung

Pfarrer, den Arzt, den Verwalter. Sie be-

allerdings dem Selbstverständnis nach

Der Film wurde zunächst in Farbe

sitzen die Macht und die Autorität, ihre

nicht aus Sadismus, sondern aus Für-

gedreht und in der Endfassung in

Interessen und Wertvorstellungen mit

sorge, aus Liebe zum Kind. Auch dem

schwarzweiß transformiert. Der Regis-

Gewalt durchzusetzen und die anderen

kleineren Sohn wird – mit der Über-

seur begründet dies mit der Historizität

zu strafen, zu demütigen und auszu-

zeugung, dass dies zu seinem Besten

seines Stoffes. Alle aus dieser Zeit

beuten. Die Protagonisten werden nicht

geschieht – die Fähigkeit zur Einfühlung

bekannten Bilddarstellungen sind in

als Individuen dargestellt, sondern als

und zum Mitleid ausgetrieben: Der etwa

schwarzweiß gehalten. Weit ausge-

Typen, die soziale Rollen verkörpern

fünfjährige Junge erbittet vom Vater die

prägter als bei Farbbildern wirken diese

(vgl. Scheurer 2009).

Erlaubnis, ein verletztes Vögelchen zu

Bilder durch Kontraste, die neben der

pflegen, das er gefunden hat. Ihm wird

spezifischen

Das Machtgefälle zeigt sich insbesonde-

das Versprechen abverlangt, den Vogel,

großen Tiefenschärfe für einen lang

Lichtführung

und

der

re in der Familienstruktur. Am Beispiel

den er während der Pflege liebgewin-

anhaltenden, fast hypnotischen Effekt

der Pfarrersfamilie lässt sich die Entste-

nen würde, nach seiner Genesung um-

sorgen (vgl. Scheurer 2009). Verstärkt

hung einer autoritären Charakterstruk-

gehend wieder freizulassen, damit er

wurde diese Wirkung durch eine digitale

tur nachvollziehen: Wie die Untersu-

keinerlei Bindung zu dem Tier aufbaue.

Nachbearbeitung. Dadurch entstanden

chungen von Adorno (1950) und seinen

Die Zurichtung der Persönlichkeits- und

fast überstilisierte, sehr klare Bilder

Mitarbeitern zeigten, haben Menschen

Triebstruktur zeigt sich bis hinein in die

in feinsten Graustufen, die allerdings

mit dieser Persönlichkeitsstruktur in

Physiognomie der Kinder. Während die

nur in der digitalen Fassung des Films

ihrer Familie eine besonders rigide,

kleinen Kinder auf anrührende Weise

sichtbar sind. Hinzu kommt eine hohe

willkürlich und bedrohlich wirkende

in ihrer Offenheit und Bedürftigkeit

Tiefenschärfe, die nicht einzelne Objek-

Disziplin mit starren Regeln und Wert-

inszeniert werden, wirken die größeren

te fokussiert, sondern sehr eindrücklich

51 Musik

eigenen Phantasien zurückgeworfen,

gemäldeartige Tableaus erzeugt. Diese

Wie auch in seinen früheren Filmen ver-

die gleichsam die Leerstelle füllen, die

Kameraführung lenkt nicht den Blick der

zichtet Michael Haneke auf den Einsatz

Hanekes Kameraführung lässt. Der

ZuschauerInnen und nimmt ihnen die

sich nicht aus der Handlung ergebender

Regisseur zielt damit auf die Selbst-

Arbeit des Fokussierens nicht ab, son-

Musik. Dadurch erhalten selbst kleinste

reflexion seines Publikums und die

dern fordert sie auf, dies selbständig zu

Geräusche eine gesteigerte Bedeutung,

Übernahme ethischer Verantwortung:

tun. Der Film verlangt den Zuschaue-

die Tonlandschaften sind eigene Kunst-

»Indem wir uns unseres Blickes und un-

rInnen einiges ab. Hinzu kommen fort-

werke. Eine sehr beeindruckende Szene

serer Gefühle bewusst werden, sind wir

laufend Bildsequenzen, die von starken

besteht etwa in der Synchronisierung

gezwungen, Verantwortung für unsere

Kontrasten geprägt sind. In kurzer Folge

der Schluckgeräusche des Arztsohnes

Empfindungen zu übernehmen. Unser

wechseln

mit den Worten seiner Schwester, als

moralisches Empfinden wird provoziert,

Landschaftspanoramen, der Enge der

diese ihm vom Tod der Mutter erzählt.

wir werden zum Gewissen des Bildes«

Räume kontrastiert die Weite der Land-

Haneke wählte für die im Rahmen der

(zit. bei Assheuer 2008).

schaft. Die Protagonisten wirken wie

Filmhandlung auftretende Klaviermu-

eingeschlossen in diesen Räumen, und

sik Stücke von Schumann, Bach und

Der Film psychologisiert nicht, er erklärt

wenngleich der jahreszeitliche Wechsel

Schubert und verwendet diese Musik

nicht das Innenleben, weder die Motive

von Frühling, Sommer, Herbst und Win-

in mehrfachem Sinne, als Kontrapunkt

der Protagonisten noch ihr Erleben

ter in schönen Bildern von wogenden

und Illustrierung sowie als Kommentar

oder Handeln, er führt uns nur die Au-

Kornfeldern und sanft verschneiter

zum Geschehen (Scheurer 2009).

ßenseite vor mit äußerster Genauigkeit.

etwa

bei

Landschaftsaufnahmen

düstere

Innenräume

mit

Landschaft erscheint, verstärkt der

Er nimmt einen registrierenden Blick

Kreislauf der Natur letztlich diese Ein-

Dies zeigt sich besonders deutlich

ein, der auf kleinste Details achtet, eine

geschlossenheit durch die Wiederkehr

nochmals am Ende des Films. Der

Art sachlicher Dokumentation, ohne

des Immergleichen. Der Film inszeniert

Kirchenchor der Dorfgemeinde singt

zu werten, zu kommentieren. Dadurch

ein stetiges Wechselspiel auf verschie-

das Lied »Ein feste Burg ist unser Gott«,

erzeugt er keine konkreten Gefühle im

denen Ebenen: hell – dunkel; eng – weit;

dessen Text auf Psalm 46 zurückgeht

Zuschauer, vielmehr eine spezifische

nah – fern, usw. Mit diesen ständigen

und von Martin Luther vertont wurde.

Atmosphäre, die man mit Freuds Begriff

Kontrasten wird ein eingängiges Narra-

In dieser Sequenz korrespondiert der

des »Unheimlichen« (1919h) beschrei-

tiv verhindert, dem man als ZuschauerIn

Text des Liedes präzise mit der Stimme

ben könnte.

folgen und sich überlassen könnte.

des Erzählers aus dem Off, die vom Ausbruch des 1. Weltkriegs berichtet.

Zu dem Wechselspiel von Kontrasten

In sprachphilosophischer, etymologischer Argumentation lässt Freud in

Zur Darstellung von Gewalt und Grenzüberschreitung

diesem Aufsatz das Unheimliche aus

und Übergängen große Bedeutung zu: Viele Szenen werden aus Türrahmen

Ich möchte nun einige Überlegungen

hen. Er stellte sich damit in Gegensatz

oder Fenstern heraus gefilmt. Damit

zur

von

zur damaligen Auffassung (vgl. Ernst

wird das Zuschauen bewusst gemacht

Gewalt skizzieren, die Hanekes Film

Jentsch), nach der das Unheimliche

und die ZuschauerInnen in den Film

auszeichnet. Der Kamerablick ist nie

durch eine Unsicherheit dem Fremden

einbezogen. Man wird sich seiner eige-

auf die Gewalt selbst gerichtet, es

und Unvertrauten gegenüber entsteht,

nen Rezeption gewahr, auf den eigenen

sind keine Gewaltszenen zu sehen,

die in einem Nichtverstehen gründet.

Voyeurismus verwiesen.

sondern ausschließlich die Opfer der

Freud hingegen fokussiert weniger die

Gewalt (z.B. der misshandelte Karli,

kognitive Ebene und betrachtet das

Michael Haneke inszeniert »mit einer

der tote Wellensittich, die gedemütigte

Gefühl des Unheimlichen als eine Form

gravitätischen Strenge, er findet Bilder,

Hebamme). Es wird nicht die Prügel

von Angst, die auf zwei Quellen basiert:

in denen Figuren wie hinter Glas agieren,

der Pfarrerskinder gezeigt, nicht die

der Wiederkehr des Verdrängten und

oft in gespenstischer Stille. Stilistisch

Vergewaltigung von Anni, der Tochter

der Aktualisierung kindlicher Allmachts-

schließt der Film an eine Tradition von

des

Kameraführung

vorstellungen und magischen Denkens.

Literaturverfilmung an […], als gelte es,

verhindert den Voyeurismus, die Lust

Als Beispiel berichtet Freud von einem

diese Form nochmals zu radikalisieren«

an Gewaltdarstellungen. Es werden

Patienten, der einem Rivalen wünschte,

(Kamalzadeh 2009)

eher die Spuren von Gewalt dargestellt

es möge ihn der Schlag treffen, und

als die Gewalt selbst. Dadurch werden

ganz verängstigt gewesen sei, als er

die Zuschauer auf sich selbst und ihre

wenige Tage später vom Schlaganfall

kommt der Inszenierung von Schwellen

besonderen

Arztes.

Darstellung

Diese

dem Heimlichen, Vertrauten hervorge-

52 des Betroffenen erfahren habe. Eine

Dem filmisch inszenierten Wechselspiel

in Verbindung bringt. Ich glaube nun,

ähnliche Szene zeigt Haneke in seinem

von Kontrasten, von innen und außen

dass wir mit dieser Identifikation mit

Film, als er die Tochter des Verwalters

entspricht die inhaltliche Thematik der

dem Opfer und der Wut auf die Macht-

einen Traum von der Misshandlung Karlis

Grenzziehung, der in diesem Film eine

haber in eine emotionale Falle laufen:

erzählen lässt, mit dem sie ebenfalls ein

wichtige Bedeutung zukommt. Es geht

Wir werden nämlich genau dadurch zu

später eintretendes Ereignis antizipiert

um Grenzziehung und Grenzverletzung,

denjenigen, die den Draht spannen, der

habe. Dieser explizit eingeführten Vari-

die sich stetig abwechseln. Den äuße-

in der Anfangssequenz des Films das

ante des Unheimlichen steht noch eine

ren Grenzen, die durch die autoritäre

Pferd des Dorfarztes zu Fall bringt. Das

Reihe anderer Formen zur Seite, die wir

Erziehung mit den drakonischen Strafen

scheint mir das Moment des Unheimli-

als ZuschauerInnen in der Rezeption des

gesetzt werden, entsprechen jedoch

chen und schwer Erträglichen zu sein,

Films erleben und die die unheimliche

keine inneren Grenzen. Diese mangeln-

das den Film begleitet. Immer wieder

Gesamtatmosphäre des Films ausma-

de Internalisierung von Grenzen, die die

werden wir als ZuschauerInnen auf

chen. Hierbei geht es um die Wiederkehr

autoritäre Persönlichkeit kennzeichnet,

uns selbst zurückgeworfen und mit der

des Verdrängten, der eigenen verdräng-

führt zu permanenten Grenzüberschrei-

eigenen Gewaltbereitschaft konfron-

ten Strebungen der Zuschauer.

tungen, die sich in den Erziehungsme-

tiert. Diese eigene Gewaltbereitschaft

thoden des Pfarrers ebenso zeigen

stellt die dunkle Seite, das Unheimliche

Für Haneke besteht Kunst in Beunruhi-

wie in der konkreten sexuellen Gewalt

im Sinne Freuds dar. Das Fremde im

gung, Verstörung, Infragestellung.

des Arztes gegenüber seiner Tochter.

Eigenen, das ansonsten zumeist ver-

Durch seine Filmästhetik sucht er einen

Eindrücklich macht der Film deutlich,

drängt, verleugnet oder anderweitig

Erkenntnisschock, einen produktiven

dass es für Menschen mit mangelhaft

abgewehrt ist. Ich glaube, dass die

Schmerz zu erzeugen und den Bildern

internalisierten Grenzen kein Halten

negativen Kommentare zu Hanekes

– entgegen der medialen Reizüberflu-

mehr gibt, wenn die äußeren Grenzen

Film, der Vorwurf, er manipuliere die

tung – ihr ursprüngliches Verstörungs-

wegfallen.

Zuschauer (vgl. Scheurer 2009), genau

potential zurückzugeben: »Wie erreiche

auf diese Konfrontation mit der eige-

ich den Moment, an dem es weh zu

Ich möchte abschließend einen Aspekt

nen, verdrängten Gewaltbereitschaft

tun beginnt? Durch Steigerung dessen,

herausgreifen, der mich an dem Film

zurückgehen. Diese Konfrontation geht

was ich kenne? Das wäre die übliche

besonders beschäftigt hat: Trotz der

im buchstäblichen Sinne unter die Haut.

Methode. […] Die Antwort ist: durch

Transposition des Stoffes in eine weit

Sie durchbricht den Reizschutz, mit dem

die Dauer. […] Es wird zuerst fad, und

entfernte Zeit, die mit unserer gegen-

diese Strebungen normalerweise vom

dann tut’s weh« (Assheuer 2008). Seine

wärtigen Lebenswirklichkeit kaum noch

Bewusstsein ferngehalten werden. Nur

Bilder machen den Zuschauer aufmerk-

etwas zu tun hat, entfaltet der Film eine

scheinbar dringt das Unheimliche von

sam auf fast unmerkliche Details, mit

massive emotionale Wirkung, man kann

außen ein, es aktualisiert vielmehr be-

denen etwa Gewaltzusammenhänge

sich ihm kaum entziehen und wird von

reits vorhandene eigene Dispositionen.

erschlossen werden, die man ansons-

ihm gleichsam wider Willen ergriffen.

Diese Durchbrechung des Reizschutzes

ten leicht übersieht. Darin liegt ein

Aus der Wirkungsforschung von Filmen

enthält ein traumatisches Moment,

wichtiger aktueller Bezug des Films, der

wissen wir, dass sich die ZuschauerIn-

es droht die psychische Struktur zu

aufzeigt, dass es sich keineswegs nur

nen bei Gewaltdarstellungen mit dem

überfluten. In Hanekes Film lassen sich

um eine »deutsche Kindergeschichte«

ohnmächtigen Opfer identifizieren – und

eine Reihe von Vorkehrungen zur Ein-

am Vorabend des 1. Weltkriegs handelt,

nicht, wie vielleicht erwartbar, mit dem

dämmung einer solch drohenden Über-

wie der Titel des Films suggeriert. Wie

mächtigen Täter – und dass diese Iden-

flutung erkennen. In vielfältiger Weise

verbreitet diese Neigung, Gewalt zu

tifizierung zu Gewaltbereitschaft führt,

bemüht er sich um die Herstellung von

ignorieren, bis heute auch in unserer

zu Wünschen nach Rache und Vergel-

Distanz: etwa durch die Transposition

Gesellschaft ist, zeigt sich nicht zuletzt

tung für die erlittene Gewalt (Grimm

des Stoffes in eine entfernte Zeit, durch

etwa an der Debatte um den sexuellen

1999). In Hanekes Film identifizieren

Schwarzweißbilder, durch den Erzählstil

Missbrauch in den Internaten der ka-

wir uns folglich weder mit dem Pfarrer

im Sinne einer Chronik. Mit Hilfe dieser Di-

tholischen Kirche oder reformpädagogi-

noch dem Gutsbesitzer oder dem Arzt,

stanzierung wird der Film erst erträglich.

scher Träger. Die Spuren dieser Gewalt

vielmehr erleben wir sie vermutlich

Insofern ist der Film auch kein Film über

sind jahrzehntelang übersehen worden,

als unerträglich. In Diskussionen über

den Faschismus; vielmehr zeigt er, wie

man wollte sie nicht wahrhaben. Gegen

den Film entlädt sich zum Beispiel oft

Unterdrückung, Demütigung, Unglück

dieses Nicht-wahrhaben-Wollen richtet

massive Wut gegen den Pfarrer, die

und Leid der Entstehung nicht nur von

sich Hanekes Film.

Kirche und all das, was man mit Religion

Ideologie und Radikalität, sondern der

53 Entwicklung der psychischen Struktur überhaupt zugrunde liegen.

Literatur Adorno, T. W., Frenkel-Brunswik, E., Levinson, D.L. & Sanford, R.N. (1950): The Authoritarian Personality. New York (Harper und Brothers). Assheuer, T. (2008): Nahaufnahme Michael Haneke. Gespräche mit Thomas Assheuer. Berlin (Alexander Verlag).

Freud, S. (1919h): Das Unheimliche. GW 12, 229–268. Grimm, J. (1999): Fernsehgewalt. Zuwendungsattraktivität – Erregungsverläufe – sozialer Effekt. Opladen (Westdeutscher Verlag). Kamalzadeh, D. (2009): Wunscherfüllung mit »Operation Kino«. Der Standard (Wien), 22. 5. 2009. Scheurer, K. (2009): Das weiße Band – eine deutsche Kindergeschichte. Filmheft, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Ilka Quindeau Prof. Dr. phil. habil., ist Diplom-Psychologin, Diplom-Soziologin und Psychoanalytikerin (DPV / IPV). Sie lehrt als Professorin für Klinische Psychologie und Psychoanalyse an der Fachhochschule Frankfurt und unterhält eine eigene Praxis.

Und wir sind nicht die Einzigen ein Dokumentarfilm von Christoph Röhl

Entsprechend schockierend waren

allem mit dem „Schweigen“ auf allen

die ersten Meldungen über sexuellen

Seiten. In zahlreichen Interviews mit

Kindesmissbrauch an dieser Muster-

Betroffenen, Altschülern, Lehrern sowie

einrichtung. Wie konnte das sein? Wie

Menschen aus dem nähren Umfeld

konnte so etwas passieren?

der Odenwaldschule wird ein Skandal beleuchtet, der in seiner Dimension und

Bereits 1998 hatten zwei Missbrauchs-

Systematik schockiert und doch auch

opfer einen Brief mit dem Wortlaut

stellvertretend steht für alle anderen

„Und wir sind nicht die Einzigen“ an

Orte, an denen Missbrauch in unserer

die OSO geschickt, doch fast jeder

Gesellschaft geschieht.

der von Christoph Röhl Befragten hat gestanden, diesen Satz nicht ernst

Der Film verwendet keine Off-Stimme.

sonderlich und sogar dessen Wahr-

Die Protagonisten sprechen direkt in die

heitsgehalt bezweifelt zu haben.

Kamera und versuchen die Geschehnisse zu reflektieren, zu analysieren,

Spätestens 1999, als Jörg Schindler’s

zu hinterfragen. Vor allem den Opfern

Artikel „Der Lack ist ab“ in der Frank-

gibt der Film Raum, ihre Geschichte zu

furter Rundschau erschien, konnten

erzählen: berührend und mit einer be-

Jahrzehntelang besaß die Odenwald-

die Hinweise auf sexuellen Missbrauch

klemmenden Offenheit und Intensität.

schule (OSO) einen hervorragenden Ruf

nicht mehr verleugnet werden.

Und so ist der Film vor allem ein Film über das Reden und die Wichtigkeit der

– eine reformpädagogische Vorzeigeinstitution mit elitärer Klientel. Alle Lehrer

Und doch wurde weitere 11 Jahre lang

und auch die Schüler waren stolz auf

vertuscht und verschwiegen; bis An-

dieser berühmten Schule gewesen zu

fang 2010.

Kommunikation. Produzenten: Dirk Wilutzky, Anja Wedell

sein. So auch Regisseur Christoph Röhl, der von 1988 – 1990 als so genannter

Der Film versucht nicht nur den Ursa-

„English Helper“ an der OSO lehrte und

chen des Missbrauchs auf den Grund zu

lernte.

gehen, sondern er beschäftigt sich vor

www.nichtdieeinzigen.de

54

Buchbesprechung von Christoph Pompe

Raimar Kremer/Jutta Lutzi/ Bernd Nagel

Unfall als Krise Beratung von Menschen nach einem traumatischen Erlebnis

und psychologischer Beratung im

der Regeldienste in kirchlicher Verant-

kirchlichen Kontext. Die je eigene

wortung wird überzeugend dargestellt.

Fachlichkeit dieser drei Interventi-

Das Buch ist – auch wegen des fassba-

onsformen und die fachlich präzise

ren Umfangs von 134 Seiten – geeignet

Darstellung der Schnittstellen dieser

für eine Leserschaft über den kirch-

drei Arbeitsbereiche gelingt einerseits

lichen Kontext hinaus – auch

durch die Reduktion auf die Falldar-

die Autorin und der Autor Haupt- und

stellung eines einzigen fiktiven, aber

Ehrenamtliche

realistischen Unfalls und seiner Fol-

Gemeindepfarrerinnen/Gemeinde -

gen für die Beteiligten – und sodann

pfarrer und Beraterinnen/Berater als

durch die Begrenzung auf das Thema

Zielgruppe angeben.

wenn

der Notfallseelsorge,

„Unfall“ - den tödlichen Verkehrsunfall. Primäre und sekundäre Opfer, Zeugen,

Auch den anderen Professionen im

professionelle Hilfs- und Rettungskräf-

notärztlichen Dienst,

te, Notfallseelsorge, Fachberater, Ge-

Polizei und Feuerwehr erschließt es

meindeseelsorgerin und Mitarbeiterin

diesen kirchlichen Arbeitsbereich von

einer Psychologischen Beratungsstelle

professioneller Seelsorge und psycho-

treten im Wechsel von Falldarstellung

logischer Beratung in und nach Erleben

und fachlicher Information über die

von extremen Ereignissen in verständli-

Hintergründe der unterschiedlichen

cher und sachgerechter Form.

Reihe

Interventionsformen auf.

Täglich Leben –

In der Fülle der Neuerscheinungen zu

Beratung und Seelsorger

den Themen von Trauerbewältigung

2011. 139 S. kartoniert

und Traumatherapie entstand eine ge-

€ 14,95 D/€ 15,40 A/ Sfr 21,90

wisse Marktsättigung: Vieles war schon

Vandenhoeck und Ruprecht,

oft gesagt, gedruckt und gelesen. Und

Göttingen 2011

die Anhäufung von

ISBN 978-3-525-67006-4

Fallvignetten mit

dem Schwerpunkt auf Narration des Schreckenserlebens strapazierte auch die Leserschaft.

In der Buchreihe „Täglich Leben - Beratung und Seelsorge“ (Hg. Rüdiger Haar)

Ganz anders dieser Titel: „Unfall als Kri-

erscheinen praxisnahe, knappe Titel

se“ bringt hier erfrischend Neues in den

im Umfeld psychologischer Beratung

beiden Beschränkungen auf nur eine

und Seelsorge. Das Buch „Unfall als

Noxe „tödlicher Verkehrsunfall“ und die

Krise“ verbindet die Hilfsangebote von

sukzessive Darstellung nur eines Falls.

Notfallseelsorge,

Die fachlich notwendige Kooperation

Gemeindeseelsorge

Rettungsdienst,

Christoph Pompe Pfr., Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Traumatherapeut, arbeitet im Ev. Beratungszentrum des DW der Lippischen Landeskirche in Detmold

55

Buchbesprechung von Dr. med. Ruth Gnirss-Bormet

Hans Sohni

Geschwisterdynamik Buchreihe: Analyse der Psyche und Psychotherapie 140 Seiten, Broschiert, Format: 125 x 205 mm, Verlag: Psychosozial-Verlag Erschienen im November 2011 ISBN-13: 9783837921175, Bestell-Nr.: 2117

Die Reihe „Analyse der Psyche und

oben vorgestellte Anliegen des Verlags

der Bindungstheorie wie auch der

Psychotherapie“

Psychosozial-

von Dr. med. Hans Sohni vorbildlich

Resilienzforschung

Verlags greift grundlegende Konzepte

des

umgesetzt. Hans Sohni ist Facharzt

des Blickes hin auf die Ressourcen von

und Begrifflichkeiten der Psychoana-

für

Geschwisterbeziehungen

lyse auf und thematisiert sowohl ihre

Kinder-

Geschichte wie ihre heutige Bedeutung

Psychoanalyse sowie Psychoanalytiker

für die Therapie. Dabei wird der Versuch

und Familientherapeut. Er leitet ein

unternommen, den betreffenden Ge-

Institut für Paar- und Familientherapie

Hans Sohni sieht im Geschwisterstatus

genstand jeweils zunächst mit seinen

und arbeitet als Supervisor und Dozent

eine eigenständige Lebenserfahrung,

historischen Wurzeln vorzustellen, um

sowie in eigener Praxis. Das Buch ist

eine horizontale Beziehungserfahrung,

dann seine Veränderungen über die

von Anfang bis zum Ende spannend

die sich im vertikalen Zusammenspiel

Zeit deutlich werden zu lassen, indem

geschrieben, es ist informativ und

mit den Eltern entwickeln kann und in

die maßgeblichen Einflüsse von Klinik

klar gegliedert. Mit vielen klinischen

der Individualität ebenso entwickelt

und Forschung diskutiert werden, die

Beispielen gelingt es dem Autor, den

wird wie soziale Interaktionsfähigkeit,

zu dieser Veränderung beigetragen

LeserInnen die Chancen einer neuen

Empathie und Zugehörigkeit. Er ver-

haben. Zudem wird versucht, das zum

ressourcenorientierten Sichtweise auf

deutlicht die zentrale Bedeutung der

Verständnis des jeweiligen Begriffes

die Geschwisterbeziehungen deutlich

Geschwisterbeziehung für die Entwick-

notwendige Basiswissen zusammen-

werden zu lassen. Als LeserIn beginnt

lung von Bezogenheit und Bindungsfä-

zutragen und in knapper und lesbarer

man, die Bedeutung der eigenen Ge-

higkeit einerseits wie für die Fähigkeit

Form zusammenzustellen, um Psycho-

schwisterbeziehungen zu reflektieren

zu Auseinandersetzung und Abgren-

therapeuten aller Schulen sowie Stu-

und zu überlegen, wie dieser neue „Blick

zung andererseits. Er beschreibt, wie

dierenden und Ausbildungskandidaten

durch die Linse“ Einzeltherapien, die Ar-

intensiv - auch zeitlich - sich Geschwis-

eine Möglichkeit zur eigenen vertieften

beit mit Paaren und Familien wie auch

ter miteinander beschäftigen, in der

Auseinandersetzung auf dem neuesten

die Arbeit mit Gruppen verändern kann.

Kindheit, aber in Variationen oft über

Stand der wissenschaftlichen Diskussi-

Sohni sensibilisiert für die historisch

die gesamte Lebensdauer.

on zu geben.

eher auf das negative Potential (Neid,

Psychotherapeutische und

Medizin,

Jugendpsychiatrie

und

eine Erweiterung ermöglicht,

aber auch einfordert und notwendig macht.

Rivalität) von Geschwisterbeziehungen

Sohni macht auf Ängste aufmerksam,

Im 4. Band dieser Reihe geht es nun um

eingeschränkte Sichtweise. Er zeigt auf,

die mit unbewussten, aus Geschwister-

das spannende Thema der „Geschwis-

wie neue Erkenntnisse der Objektbezie-

konflikten resultierenden Konflikten zu-

terbeziehungen“, und mir scheint das

hungstheorie, der Säuglingsforschung,

sammenhängen. Er zeigt auf, wie diese

56 genauso bedeutsam wie Konflikte aus

ungefähr 20- 30 % aller Kinder, bei

Psychotherapie ist ein weiteres span-

den triadischen Beziehungserfahrun-

Einzelkindern sogar bis zu 40 %, von

nendes Thema, mit dem Hans Sohni

gen mit Vater und Mutter bei der Part-

der Vorschulzeit bis zur frühen Adoles-

sein lesenswertes Buch abschließt.

nerwahl oder bei Paarkonflikten eine

zenz einen imaginären Spielgefährten

wichtige Rolle spielen können. Unbe-

haben, mit dem sie ihre Gedanken und

wusste konflikthafte Beziehungserfah-

ihr Spiel teilen. Geschwister, Freunde

rungen aus Geschwisterbeziehungen

und Freundinnen, aber auch diese

können auch aktiviert werden, wenn die

imaginären GefährtInnen helfen, sich

Dr. med., Fachärztin für Allgemein-

Gründung einer Familie geplant wird. So

in der Welt zurechtzufinden, wie sie

medizin und Psychotherapeutische

können Ängste, die mit Geschwister-

bei der allmählichen Ablösung von

Medizin, Sexualtherapeutin, eigene

konflikten in Zusammenhang stehen,

den Eltern helfen können. Geschwister

Praxis mit dem Schwerpunkt Paar- und

verantwortlich sein für die Angst vor

partizipieren

Sexualtherapie in Kassel, langjährige

einem Kind oder die Ablehnung eines

Erfahrungen der anderen und durch die

Kindes, wenn im Kind der geschwis-

Identifizierung mit den anderen, auch

terliche Rivale oder die Rivalin aus der

wenn es möglicherweise zeitweilig zu

eigenen Ursprungsfamilie gefürchtet

einer Polarisierung in der Entwicklung

wird. Diese Ängste können

kommt.

Ursache

wechselseitig

an

den

eines unerfüllten Kinderwunschs sein bzw. Ursache dafür, dass die Schwan-

Sohni verweist auf die Ergebnisse der

gerschaft abgebrochen wird.

Resilienzforschung. Geschwister helfen einander z.B. bei Trennung wie auch bei

Wichtig ist Sohni die Feststellung, dass

Krankheit oder Tod der Eltern, indem sie

sich die triadische Beziehungsfähigkeit

einander Geschwister bleiben und ihr

des Babys wie auch die horizontale

Subsystem Bestand hat.

Beziehungserfahrung in der Geschwisterbeziehung nur dann entfalten kann,

Sohni beschreibt die Veränderungen

wenn die Eltern dafür geeignete Rah-

und Wirkungen von Geschwisterbe-

menbedingungen bieten können. Er

ziehung über die Lebenszeit.

möchte Eltern dafür sensibilisieren, die

schwistererfahrungen können Wirkung

Wichtigkeit des geschwisterlichen Mitei-

entfalten bei der Partnerwahl, in der

nanders wahrzunehmen, einschließlich

Ausgestaltung des Paarlebens wie bei

der Notwendigkeit, Kinder ihre Konflikte

der

austragen lernen zu lassen, ohne dau-

erfahrungen bereiten uns vor auf das

ernd einzugreifen.

Leben in neuen Bezugsgruppen, in

Familiengründung.

Ge-

Geschwister-

der Arbeit wie in der Freizeit. Im Alter Sohni stellt Forschungsgebnisse und

suchen viele Geschwister wieder die

Konzepte der Kinderanalytikerin Fran-

räumliche Nähe zu ihren Geschwistern,

coise Dolto wie des Säuglingsforschers

manche sogar in einen gemeinsamen

D. Stern vor. Beide beschreiben, wie

Haushalt – und nutzen die Chance, sich

wichtig das kindliche Spiel und das

gegenseitig zu unterstützen und Erinne-

gemeinsame Erleben von Geschwistern

rungen auszutauschen, die bis zu den

für die Individuation, die Differenzierung

Anfängen ihres Lebens zurückreichen.

und für das Gefühl von Zugehörigkeit

Geschwisterbeziehungen sind für viele

ist. Kinder brauchen Kinder, brauchen

Menschen die Beziehungen in ihrem

Gefährten für eine ungestörte Entwick-

Leben, die die größte Dauer besitzen.

lung. Sie brauchen sie auch als Schutz

Sohni ermutigt, diese Ressource zu

vor Einsamkeit, vor Wertlosigkeit und

sehen und zu nutzen.

vor Verlassenheit, wenn sie im Streit mit den Eltern sind. Horizontale Bezie-

Die Bedeutung der Geschwisterbezie-

hungserfahrungen und Gefährten sind

hung für das Verstehen von Übertra-

für die Entwicklung so wichtig, dass

gung und Gegenübertragung in der

Ruth Gnirss-Bormet

Gastdozentin am EZI

57

Förderverein

des Evangelischen Zentralinstituts für Familienberatung e. V.

Familien beraten – Bildung fördern - Kirche stärken Der Förderverein des EZI e. V. sucht Mitglieder Der Förderverein wurde 1987, also vor 25 Jahren gegründet, ursprünglich, um eine größere Summe von Spendengeldern für das EZI zu verwalten. Dafür waren nur wenige Mitglieder nötig, denn die Verwendung der Gelder war durch den Umzug des EZI von der Matterhornstraße nach Berlin-Mitte weitgehend vorgegeben. In den Jahren nach dem Umzug, also ab 2000, lag der Schwerpunkt der Mittelverwendung dann auf individuellen Zuschüssen zu Weiterbildungen. In den letzten Jahren stand dann die Förderung von Institutionen im Vordergrund, so wurde die Mentorenkonferenz unterstützt, das EZI-Netzwerk SAFE und die Veröffentlichung einer Dissertation, die die kirchliche präventive Ehe- und Paarseelsorge voran bringen soll. Sobald dies die finanziellen Mittel erlauben, will der Förderverein wieder eine Unterstützung von Weiterbildungen anbieten, wenn Teilnehmende ihren Beitrag alleine nicht mehr aufbringen können. Die letzte Eintrittswelle von Mitgliedern liegt einige Jahre zurück, ebenso wie die letzten größeren Zuflüsse von Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Der Förderverein sucht deshalb dringend neue Mitglieder, auch um die Arbeit des EZI wieder aktiver zu begleiten. Wenn Sie dem EZI nahe stehen, selbst auf gute Erfahrungen in der Weiterbildung im EZI zurückblicken und das Institut deshalb unterstützen möchten, freuen wir uns über Ihr Interesse an einer Mitarbeit im Förderverein. Die nächste Mitgliederversammlung findet am 22. Oktober 2012 statt. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören! Dr. Ulrike Beland, Vorsitzende des Fördervereins

Ich möchte Mitglied im Förderverein des Ev. Zentralinstituts für Familienberatung werden: Name

_______________________________

Anschrift

Vorname __________________________

_______________________________________________________________________

Telefonnummer

________________________

E-Mail______________________________

Der Mitgliedsbeitrag beträgt mindestens 20,-- EUR im Jahr. Ich lege meinen Mitgliedsbeitrag fest auf ______ EUR. Die Höhe kann jederzeit geändert werden. Spenden sind darüber hinaus willkommen auf folgende Bankverbindung des Fördervereins: Postbank Berlin, BLZ: 100 100 10, Kto-Nr.: 75152104 Ich bin damit einverstanden, dass der Mitgliedsbeitrag von meinem Konto abgebucht wird. Bankverbindung

__________________________________________________________________

Kto-Nr.

______________________________

BLZ

Datum

________________________________

Unterschrift

Bitte schicken Sie den Mitgliedsantrag an: Förderverein des Ev. Zentralinstituts für Familienberatung e.V. Auguststraße 80 10117 Berlin

_____________________________ ________________________

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59

Impressum Herausgeber Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung gem. GmbH , Auguststraße 80 10117 Berlin - Mitte Tel.: 030 / 283 95 200, Fax: 030 / 283 95 222, Email [email protected], www.ezi-berlin.de ISSN 0724-3995 Redaktion Dieter Wentzek, Sabine Hufendiek, Christine Korth, Martin Merbach, Annelene Meyer Titelfoto Daniel Wentzek, Dortmund Gestaltung Reiner Kolodziej, graphic und design, Tel. 030 773 93 288 Druck mediaray-graphics, druckerei im Kirchenkreis Steglitz Parallelstraße 29a, 12209 Berlin, Tel. 030 773 93 288 Die EZI-Korrespondenz steht als download im Internet unter www.ezi-berlin.de zur Verfügung und wird auch auf Anfrage zugesandt. Sie ist im Handel nicht erhältlich. Die Arbeit des Instituts wird gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD):

60

Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung

Veranstaltungskalender 2012 30.03. – 01.04. Psychosoziale Beratung im Kontext Pränataler Diagnostik - PND - / Workshop IV 16.04. – 27.04.

IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Kurs 50/6

19.04. – 21.04. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 13/1 26.04. – 28.04. Paartherapie mit allen Sinnen – Erlebnisintensivierende Übungen und Methoden 30.04. – 04.05. Schwangerschaftskonfliktberatung - SKB - / Grundlagenkurs 20/1 B



22.08. – 24.08. Rolle und Verantwortung einer „Erfahrenen Fachkraft nach § 8a“ im neuen Bundeskinderschutzgesetz 24.08. – 26.08. „Hörst Du das kleine Nashorn weinen?“ - ein psychodrama- tischer Interventionsansatz mit Tierfiguren bei Kindern im Trennungs-/Scheidungskonflikt 27.08. – 07.09. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Kurs 53/1 10.09. – 14.09. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Vertiefungskurs

04.05. – 06.05. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 12/4

10.09. – 14.09. Streitpaare unangestrengt beraten

07.05. – 11.05. Paarberatung / Aufbaukurs 24/3

14.09. – 15.09. „Was ist dran am neuen Mann“ Veränderte Männerbilder in Zivilgesellschaft und Beratung

10.05. – 12.05. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ Aufstellungsarbeit in Supervision und Coaching

17.09. – 21.09. Kinder- und Jugendlichenberatung - KJB - / Aufbaukurs 2

21.05. – 25.05. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Grundkurs

20.09. – 22.09. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 13/3

21.05. – 25.05. Sexualpädagogische Arbeit und Familienplanung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen / Grundlagenkurs

24.09. – 28.09. Psychosoziale Beratung im Kontext Pränataldiagnostik PND - / Grundlagenseminar

30.05. – 01.06. Kinder im Blick - KiB - / Aufbaukurs 10/2

28.09. – 30.09.

01.06. – 02.06. „Das Fremde im Selbst“ Psychodynamische Aspekte der Beratungsbeziehung im interkulturellen Kontext

01.10. – 02.10. Lebensrückblick als Therapie

04.06. – 06.06. Fortbildung für Sekretärinnen, Verwaltungsangestellte in Beratungsstellen für Ehe-, Lebens- und Erziehungsberatung und Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung / Vertiefungskurs

01.10. – 03.10.

Im Laufe des Lebens und der beruflichen Organisationen Coaching bei Konflikten - Konfliktcoaching

03.10. – 05.10. Strukturierte Angebote für Hochkonflikt-Familien. Das neue FamFG und die Herausforderungen für die Beratungspraxis 04.10. – 06.10. Die „unerhörten“ Botschaften der Kinder mit ADHS - Symptome verstehen, Beziehungen verändern -

04.06. – 08.06.

Schwangerschaftskonfliktberatung - SKB - / Aufbaukurs 19/3

08.10. – 19.10. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Kurs 52/3

08.06. – 09.06.

IFB - Zulassungstagung

13.10. Informationstag zur Fortbildung in Paarberatung

11.06. – 15.06. Beratung und Rituale beim Thema „Schuld, Schuldgefühl und Vergebung“ 12.06. – 15.06. SAFE® - Sichere Ausbildung Für Eltern 15.06. – 16.06. Supervision von Beratungsprozessen mit Kindern und Jugendlichen

23.10. – 24.10. Fachtagung für Mentorinnen und Mentoren 24.10. – 26.10. Zentrale Arbeitstagung der Mentorinnen und Mentoren 26.10. – 28.10. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 12/6 29.10. – 02.11.

Schwangerschaftskonfliktberatung - SKB - / Aufbaukurs 19/4

15.06. – 17.06. „Atempause“ für Menschen in beratenden/helfenden Berufen

29.10. – 02.11. Führen und Leiten

18.06. – 22.06. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Seminar 12/3

07.11. – 10.11. Paarberatung / Aufbaukurs 24/4

22.06. – 24.06. Wie sind wir als Paar?

08.11. – 10.11. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 13/4

26.06. – 28.06. Was tun, wenn Krieg zwischen den Eltern herrscht? Friedensarbeit in der Erziehungs- und Familienarbeit

14.11. – 16.11. Kinder im Blick - KiB - / Basiskurs 11/1

27.06. – 30.06. Paarberatung / Aufbaukurs 23/6

19.11. – 30.11. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Kurs 51/5

28.06. – 30.06. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 13/2 02.07. – 07.07. Therapeutisches Spiel und Beratung mit Kindern und Jugendlichen

22.11. – 24.11. Vergessen – Vergeben – Verletzt zusammen weiterleben? Zum Umgang mit Verletzungen aus paartherapeutischer Perspektive

05.07. – 07.07. Gehen oder Bleiben? - Methoden der Paarberatung bei Trennungswunsch und Ambivalenzkonflikten

29.11. – 01.12. Navigieren auf Sichtweite Prozesssteuerung in der Paartherapie

06.08. – 10.08. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Seminar 13/2

03.12. – 07.12.

13.08. – 17.08. Fortbildung für Sekretärinnen, Verwaltungsangestellte in Beratungsstellen für Ehe-, Lebens- und Erziehungsberatung und Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung

07.12. – 08.12. Supervisionstage in der Integrierte Familienorientierte Beratung®

13.08. – 17.08. Schwangerschaftskonfliktberatung - SKB - / Grundlagenkurs 20/1 C

14.12. – 16.12. Psychosoziale Beratung im Kontext Pränataler Diagnostik - PND - / Informations- und Einführungskurs

17.08. – 19.08. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 12/5

19.12. – 21.12. Psychotraumatologie / 7-teilige curriculare Fortbildung / Modul 1

20.08. – 24.08. Psychosoziale Beratung im Kontext Pränataler Diagnostik - PND - / Kurs 3

05.11. – 06.11. Suchtprobleme in der Einzel- und Paarberatung

16.11. – 17.11.

IFB - Zulassungstagung

Schwangerschaftskonfliktberatung - SKB - / Aufbaukurs 20/2

10.12. – 14.12. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Seminar 12/4

Auguststraße 80 10117 Berlin - Mitte Tel. 030 / 283 95 200 www.ezi-berlin.de