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Korrespondenz
Themenheft
Gewalt und Grenzverletzungen in Beziehungen
Wenn Erinnerungen die Paarbeziehung belasten Seite 5 Sexualberatung nach sexueller Traumatisierung Seite 11 Bedeutung von Gewalt in der Paarbeziehung für Kinder Seite 19 Kinder im Blick (KiB) – gegen Elternstreit … Seite 30
25
Frühjahr 2012
ISSN 0724-3995
2
Inhalt
Editorial
a
3
Astrid Riehl-Emde
Wenn Erinnerungen die Paarbeziehung belasten
75
Umgang mit unverarbeiteten Ereignissen aus paartherapeutischer Perspektive S Ruth Gnirss-Bormet
Sexualberatung nach sexueller Traumatisierung - Intimität und Sexualität (wieder) leben lernen
Tr 11 st
Karl-Heinz Brisch
Die Bedeutung von Gewalt in der Paarbeziehung für die Psychotherapie mit Kindern Achim Haid-Loh & Samuel Sieber
„Kinder im Blick“ (KiB ) - Ein Breitband-Antibiotikum gegen Elternstreit...
19 n
d30 s
Dieter Wentzek
Prävention zum Schutz vor sexuellen Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt in der Kirche als integraler Bestandteil von Aus- und Fortbildung und Personalentwicklung kirchlicher Mitarbeitenden
34
Lutz-Ulrich Besser / Sabine Hufendiek
Aufregung und Chaos bei der Aufdeckung von Gewalt und Kindesmisshandlung − Was passiert gerade in unserer Gesellschaft? - Ein Zwischenruf Erinnerungen an Ingeborg Langus-Mewes
s 40
k43
Film-Revue zum Thema
Das weiße Band Und wir sind nicht die Einzigen
e49
53
Buchbesprechung
Unfall in der Krise Geschwisterdynamik
54 55
Förderverein des Evangelischen Zentralinstituts für Familienberatung e. V.
57
Impressum
59
Veranstaltungskalender
60
3
Editorial
Was sind die Menschen, dass du an sie denkst, ein Menschenkind, dass du nach ihm siehst? Wenig geringer als o Gott lässt du sie sein, mit oWürde und Glanz krönst du sie. Psalm 8, 5+6 (übersetzt nach Bibel in gerechter Sprache)
Liebe Leserin, lieber Leser, manche von Ihnen werden schon auf diese EZI-Korres-
Mit ihrem Beitrag „Wenn Erinnerungen die Paarbeziehung
pondenz gewartet haben und vergeblich auf unserer seit
belasten“ öffnet Astrid Riehl-Emde der Ehe- und Lebensbe-
letztem Jahr neu gestalteten Internetseite nach der neuen
ratung aus psychotraumatologischer Perspektive den Blick
Ausgabe gesucht haben. Endlich erreicht Sie jetzt die EZI-
für die Langzeitfolgen von unverarbeiteten Erfahrungen, die
Korrespondenz 25 als download aus dem Internet oder
oft erst nach vielen Jahren zu Tage treten und die Paarbe-
per Post. Sie ist wieder als Themenheft gestaltet zu dem
ziehung belasten. Besonders in der Beratung mit älteren
aktuellen Thema „Gewalt und Grenzverletzungen in Bezie-
Paaren gewinnt darum im Prozess „Vergebung als Verstehen
hungen“ und erscheint zeitgleich zur Jahrestagung unseres
– Verzeihen – Versöhnen“ die Verarbeitung von (Grenz-) Ver-
Fachverbandes EKFuL vom 14. bis 16. Mai 2012 in Hofgeis-
letzungen eine besondere Bedeutung.
mar zum Thema „Grenzverletzung und Grenzüberschreitung in verschiedenen Beratungskontexten“.
Mit den Langzeitfolgen von sexuellen Grenzverletzungen und sexuellen Gewalterfahrungen und ihrer Auswirkung
Grenzerfahrung und Achtlosigkeit im mitmenschlichen
auf das Leben von Intimität und Sexualität beschäftigt sich
Umgang und Missachtung von eigenen und fremden
der Artikel von Ruth Gnirss, die seit vielen Jahren am EZI in
Grenzen kennzeichnet und beleuchtet die Schattenseite
Sexualberatung ausbildet. Anhand von Erfahrungen aus der
einer Gesellschaft, in der Leistung, Effektivität und optimale
Praxis der Sexualberatung schildert sie eindrücklich, wie sich
Ausnutzung und Ausbeutung, die unausgesprochenen
Traumafolgeerscheinungen massiv auf das Erleben von Se-
Maßstäbe für das Zusammenleben der Menschen geworden
xualität und Intimität auswirken und wie sie in der Beratung
sind. Beratungsstellen sind schon immer Seismograph für
thematisiert und bearbeitet werden können.
solche gesellschaftlichen Entwicklungen gewesen. In der konzeptionellen und qualitativen Weiterentwicklung von Be-
Kinder tragen lebenslang an den oft traumatisierenden es-
ratungskonzepten greifen wir sie auf und thematisieren sie in
kalierten Konflikten in hochstrittigen Trennungs- und Schei-
der Fort- und Weiterbildung von Beraterinnen und Beratern,
dungsfamilien. Das elternpädagogische Interventions- und
damit die Menschen, die sich auf der Suche nach Begleitung
Präventionsprogramm „Kinder im Blick“ (KiB), das seit Jahren
und Lebensorientierung an Beratungsstellen wenden, dort
erfolgreich im EZI vermittelt wird, trägt zur situations- und
einen sicheren Ort finden, Zeit und Raum für heilende und
altersgemäßen Bewältigung dieser emotionalen Belastung
strukturierende Lebensgestaltung, Lebensorientierung und
bei. Achim Haid-Loh und Samuel Sieber stellen mit dem
Lebensvergewisserung. Unsere Gastdozentinnen und Gast-
KiB-Programm vor, wie Eltern lernen können, dass deeskalie-
dozenten haben uns freundlicherweise mit ihren Beiträgen
rendes Verhalten zu einer spürbaren Entschärfung der Span-
in diesem Heft dabei unterstützt.
nungen und Konflikte führt und in stressreichen Situationen
Dafür herzlichen Dank!
die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt werden können.
4 Um kindliche Stressregulation und Erfüllung überlebens-
Lutz Besser und Sabine Hufendiek stellen mit ihrem „Zwi-
wichtiger Bedürfnisse durch die Eltern in der frühkindlichen
schenruf“ die jüngste Debatte um die Aufdeckung von
Entwicklung geht es auch in dem Beitrag von Karl Heinz
Gewalt und Kindesmissbrauch in geschichtliche und gesell-
Brisch „Die Bedeutung von Gewalt in der Paarbeziehung für
schaftspolitische Zusammenhänge dar. Sie fordern nicht nur
die Psychotherapie mit Kindern“. Dabei sind die verschie-
die Aufdeckung und Bewusstmachung des Unrechts an Kin-
denen Inszenierungen von grenzverletzender Gewalt in der
dern, Abhängigen und Untergebenen und der Verleugnungs-
Paarbeziehung und ihre traumatisierenden Auswirkungen
strategie der Täter, sondern „Verantwortungsübernahme
auf die Entwicklung der Kinder im Fokus, insbesondere auf
und Zivilcourage, um der Ausbeutung und Misshandlung von
dem Hintergrund einer pathologischen Bindung des Kindes
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mutig entgegenzu-
an Täter und Opfer. An Fallbeispielen werden die Möglichkeiten von Beratung und SAFE-Sichere Ausbildung Für Eltern®
treten“.
als Präventionsprogramm im Rahmen von Frühen Hilfen
tätssicherung der kirchlichen Beratungsarbeit wollen wir im
vorgestellt.
EZI dazu unseren Beitrag leisten. Die Psychologischen Bera-
Mit unserem Fort- und Weiterbildungsangebot zur Quali-
tungsstellen sollen ein Ort bleiben, wo Verletzte, Verstörte Das Tabu des Schweigens in der Kirche zu sexuellen Grenz-
und orientierungslose Kinder, Jugendliche und erwachsene
verletzungen und zur sexualisierten Gewalt ist angesichts
Menschen sich öffnen und sich aussprechen können und wo
der jüngsten Veröffentlichung von skandalösen Fällen in
sie wieder einen Zugang zu ihren Ressourcen und Lebens-
Kirche und Schule endlich gebrochen. Das EZI ist mit seiner
kräften bekommen.
wissenschaftlichen Expertise in Beratung, Sexualberatung, Psychotraumatologie und theologischer Ethik von Anfang
Korrespondenz wird belebt von der Antwort der Leserinnen
an mit einbezogen in die Beratungen über Prävention und
und Leser. Wir erwarten gerne Ihre Reaktion, sei es in Form
Intervention zu sexualisierter Gewalt und Missbrauch am
einer Anmeldung zu unserem Kursangebot oder auch schrift-
Runden Tisch der Bundesregierung und in der neu eingerich-
lich, per E-Mail, mit Meinungen, Wünschen und Vorschlägen
teten EKD-Konferenz für „Prävention, Intervention und Hilfe
zu Kursangeboten und zu Themen in der EZI-Korrespondenz.
bei Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“ (PIH-K). Wie
Die nächste EZI-Korrespondenz wird dann zu unserem 50
Kirche als Schutzort insbesondere für die ihr anvertrauten
jährigem Jubiläum des EZI erscheinen, das wir am 6. Juni
Kinder und Jugendlichen erhalten werden kann und wie
2014 in Berlin feiern werden.
verhindert werden kann, dass Kirche zum Täterort wird, zeigt Dieter Wentzek in seinem Beitrag an der Entwicklung
Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen im Namen aller Mit-
von Modulen für die Aus- und Fortbildung von kirchlichen
arbeitenden des EZI
Mitarbeitenden.
Ihr Dieter Wentzek
5
Wenn Erinnerungen die Paarbeziehung belasten Umgang mit unverarbeiteten Ereignissen aus paartherapeutischer Perspektive Astrid Riehl-Emde 1
Verletzt werden gehört zum Leben – vergeben lernen nicht. (Weingardt 2006, S. 6) Der Bedarf an Paartherapie für ältere Paare wächst und wird in Zukunft noch weiter wachsen, da zunehmend mehr Menschen zur Gruppe der über 60-Jährigen gehören, die bereits in jüngeren Jahren Psychotherapie beansprucht haben und dies auch im Alter tun werden. Im Folgenden werden zwei Fallbeispiele aus der Spezialsprechstunde für ältere Paare (60+) des Instituts für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie, Heidelberg, dargestellt (Riehl-Emde 2008; Riehl-Emde u. Cierpka 2006), in denen der Umgang mit früheren, noch unverarbeiteten Verletzungen im Mittelpunkt stand.
Erstes Fallbeispiel Therapiesitzungen Ein Paar, beide Mitte 60 und seit 40 Jahren verheiratet, kam
sam den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie hätte
zur Paartherapie, nachdem sie relativ zeitgleich pensioniert
Trost in Gesprächen mit einer Pfarrerin gesucht und damals
worden waren. Die Gespräche begannen auf Initiative der
entschieden, ihrem Mann nie wieder ganz zu vertrauen. Die
Ehefrau, die über chronische Streitigkeiten, wenig Austausch
Therapeutin bot ihr an, die nächste Sitzung zu nutzen, um
und emotionale Distanz klagte. Sie habe mit Trennung ge-
darüber mit ihm ins Gespräch zu kommen. Es könne eine
droht, weil sie so nicht mit ihrem Mann alt werden wolle, und
Chance sein; sie möge sich aber gut überlegen, ob sie das
sehe in einer Paartherapie „die letzte Chance“ für die Ehe. Im
Risiko eingehen wolle. Dann holte die Therapeutin den vor
Verlauf der Therapie, die über zwei Jahre dauerte, fand nach
der Tür wartenden Ehemann wieder herein und teilte ihm
der fünften Sitzung auf Wunsch der Ehefrau je ein Einzelge-
mit, dass seine Frau Zeit brauche, darüber nachzudenken,
spräch mit beiden Partnern statt. Die Ehefrau begann ihr
ob sie ein bestimmtes Thema mit ihm besprechen möchte.
Einzelgespräch damit, dass ihr Mann vermutlich denkt, sie
Ob er bis zur nächsten Sitzung ihre Entscheidung abwarten
wolle die Stunde nutzen, um mir von seiner Außenbeziehung
könne? Er stimmte zu.
vor 15 Jahren zu erzählen, aber das wolle sie gar nicht, diese
Zur nächsten Sitzung kamen die beiden als „Liebespaar“. Die
Geschichte habe sie längst überwunden. Einige Sitzungen
Therapeutin erfuhr, dass die Ehefrau ein gemeinsames Es-
später brach sie im Paargespräch in Tränen aus, woraufhin er
sen in ihrem Lieblingslokal dazu genutzt hatte, mit ihm über
blitzschnell mit dem Satz „Dann gehe ich wohl besser raus“
ihre Verletzung zu sprechen, die plötzlich wieder so lebendig
den Raum verließ. Sie erzählte, während er draußen vor der
war. Sie hätte dabei erstmals das Gefühl gehabt, er höre ihr
Tür stand, dass diese Außenbeziehung sie plötzlich wieder
richtig zu. Er sagte, er hätte zum ersten Mal verstanden,
sehr belaste. Er hätte damals keinen Schlussstrich ziehen
was vor 15 Jahren so schlimm für sie war, und sich erstmals
können; die Beziehung wurde erst beendet, als die andere
entschuldigt für das, was er ihr zugemutet hatte. Sie hätten
Frau aus dem Umkreis des Paares weggezogen war. Er hätte
daraufhin beide im Lokal gesessen und geweint. Beide konn-
die Beziehung immer bagatellisiert – sie hätte nichts mit der
ten offensichtlich die Chance zur Versöhnung ergreifen. In
Ehe zu tun, würde die Ehe nicht infrage stellen – und sich
der Folge war der Vorbehalt der Frau gegenüber ihrem Mann
nie wirklich dafür entschuldigt. Er hätte ihr damals gleich-
nicht mehr spürbar.
Quelle: In: Psychotherapeut, 2009, Volume 54, Number 6, Pages 486 - 490, Springer Medizin Verlag 1
Institut für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Bergheimer Str. 54, 69115 Heidelberg
Prof.Dr. Astrid Riehl-Emde, Diplom Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, E-Mail:
[email protected] Online publiziert: 29. Oktober 2009
6 Hypothesen zum Therapieausgang
verständlich der Mann die Problembeschreibung seiner Frau
a. Offenbar konnte der Ehemann besser zuhören, ohne
übernahm und in welch hohem Maß er versuchte, sich ihren
sich gleich angegriffen zu fühlen und sich zu verteidigen. Er
Wünschen und Vorstellungen anzupassen.
bagatellisierte die damalige Außenbeziehung nicht, sondern
In den ersten vier Stunden wurden überwiegend „gepflegte“
bedauerte in diesem Moment zutiefst die Auswirkungen auf
Gespräche geführt. Es schien, als suche die Ehefrau eine Art
seine Frau und auf die Beziehung, selbst wenn er damals
Seniorenuniversität, also eine mehr theoretische Beschäfti-
nicht anders konnte oder wollte. Er begriff die Tragweite
gung mit dem Thema „Paarprobleme“. Sie klagte, es gehe ihr
dieser Außenbeziehung für seine Frau und übernahm die
nach den Paargesprächen psychisch schlechter als vorher,
Verantwortung dafür.
es werde Vieles aufgerührt, das sie lieber bedeckt halten
b. Offenbar konnte auch die Ehefrau anders darüber spre-
möchte, und trotz Paartherapie gelinge es nicht, Rückfälle in
chen. Sie hatte gemerkt, dass ihr Vorbehalt gegenüber
Streitmuster zu verhindern. In der fünften Sitzung teilte die
dem Mann die Beziehung blockierte und dass ihr Groll sie
Therapeutin ihre Beobachtung mit, dass beide zu schnellen
selbst einengte. Insofern war ihre Bereitschaft, sowohl das
Themenwechseln neigen würden und dass sie insbesondere
Gespräch mit ihm zu suchen, als auch den Vorbehalt ihm
die Ehefrau oft wie auf der Flucht erlebe. Die Therapeutin
gegenüber loszulassen, gewachsen. Sie konnte mehr von ih-
fragte, ob es Schicksalsschläge oder Erlebnisse gebe, über
rem Leiden sprechen, anstatt Vorwürfe zu machen. Vermut-
die sie nicht sprechen wollten. Nachdem der Mann sich
lich hatte sie ihrem Mann auch nonverbal die Bereitschaft
der Zustimmung seiner Frau versichert hatte, berichtete
signalisiert, seine Entschuldigung anzunehmen.
er von vier Abtreibungen nach den Geburten ihrer beiden
Es kam also zu einer Versöhnung während der Paartherapie,
Kinder. Sie wären in den 70er Jahren „zu naiv zur Verhütung
allerdings ohne Anwesenheit der Therapeutin. Diese hatte
gewesen“. Sie erzählte, er wäre damals beruflich viel unter-
wahrscheinlich einen Anstoß gegeben, doch das Paar be-
wegs gewesen, sie hätte sich sehr alleingelassen gefühlt,
werkstelligte das Wesentliche ohne sie.
und beide hätten sich nicht zugetraut, weitere Kinder zu „verkraften“. Vor allem das Geschehen rund um die erste Abtreibung hätte sie als traumatisierend erlebt: Der Termin wäre eigentlich „zu spät“ gewesen und deswegen mithilfe eines psychiatrischen Gutachtens ermöglicht worden. Er hätte ihr damals alle Verantwortung zugeschoben, sowohl für die Entscheidung als auch für die Durchführung der Abtreibung. Sie hätte viel allein getrauert und sich danach innerlich von ihm distanziert. Dieser innerliche Rückzug sei heute eine „Conditio“ ihrer Ehe, sie wolle weiterhin damit leben und nichts verändern. Er reagierte emotional sehr bewegt und sagte unter Tränen, Foto: Lea Link, Schweiz
Zweites Fallbeispiel
ihr Unrecht getan zu haben, als er sie mit der Verantwortung für die Abtreibung allein ließ; er hätte sich damals völlig hilflos gefühlt. Sie reagierte betont kühl: Das müsse er allein mit sich abmachen, sie hätte das damals auch gemusst. Wäh-
Therapiesitzungen
rend sie ihm vor 30 Jahren vorgeworfen hätte, er interessiere
Ein anderes Paar, wiederum beide Mitte 60 und seit etwa
sich nicht für sie und gäbe ihr keine Kraft, weitere Kinder
40 Jahren verheiratet, kam zur Therapie mit Klagen über die
auszutragen, sei ihr heutiger Vorwurf genereller: Er habe sie
Aggressivität des Ehemanns: Unhöflichkeit und Rücksichts-
damals und auch später in vielen anderen Situationen nicht
losigkeit gegenüber Frauen im Bekannten- und Verwandten-
geschützt. Ihre jetzige Härte sei ihr Selbstschutz, den könne/
kreis seien die Ursache ständiger Auseinandersetzungen,
wolle sie nicht aufgeben und inzwischen sei ihr auch die
die regelmäßig in Wiedergutmachungsritualen des Ehe-
Liebe zu ihm abhanden gekommen.
manns (Blumensträußen für die „Geschmähten“) mündeten. Aktueller Auslöser für die Paartherapie waren Konflikte in
Es gab dann noch ein weiteres Gespräch, in dem ich erfuhr,
der Betreuung seiner im Altersheim lebenden Stiefmutter,
dass beide zwischenzeitlich ausgiebig über die Abtreibun-
um die sich die Ehefrau sehr aktiv kümmerte, während er
gen geredet hatten. Beide hätten damals „die Unschuld
für weniger Engagement plädierte. Beide wünschten, dass
verloren“, die erste Abtreibung hätte „dem Potenzial ihrer
er weniger aggressiv sei. Der Therapeutin fiel auf, wie selbst-
Beziehung einen Deckel aufgesetzt“. Er meinte, es sei wei-
7 ser, das Thema jetzt ruhen zu lassen, wenn seine Frau das
Möglicherweise konnte sie sich etwas entlasten, indem sie
so wolle. Sie meinte, trotz der traumatischen Erfahrung wäre
ihm im Paargespräch nochmals die Schuld zuschob.
die Entscheidung zur Abtreibung aus heutiger Sicht richtig gewesen. Jetzt bekomme er seine wohlverdiente Strafe
c. In diesem Fall teilten Mann und Frau die relativ eindeutige
und könne sich bei Bedarf heute einen Einzeltherapeuten
Schuldzuweisung (er Täter, sie Opfer). Je verletzender ein
suchen. Die Therapeutin erfuhr, dass beide damals den
Ereignis und je tiefer die Verzweiflung/Hilflosigkeit ist, desto
„deal“ abgeschlossen hatten, durch optimale Förderung
wichtiger kann eine moralisierende Beschreibung sein: Sie
ihrer beiden Kinder Schuld abzutragen. Deswegen hätte sie
hilft, die Selbstachtung zu bewahren, hat also eine stabili-
sich immer geärgert, wenn er die Kinder schlecht behan-
sierende Funktion für das „Opfer“, sie verhindert allerdings
delte und dies als einseitige Aufkündigung des Deals erlebt.
auch, den eigenen Anteil am Geschehen und die darin ent-
Für ihn wäre Ärger auf die Kinder keine Infragestellung des
haltene Entwicklungschance wahrzunehmen.
Deals gewesen, er hätte sich manchmal einfach nicht be-
Wut- und Rachegefühle sind typische Reaktionen auf Verlet-
herrschen können und meinte, sie hätte den Deal bisweilen
zung; sie können helfen, die eigene Kohärenz zu bewahren.
kräftig ausgeweitet. Ihr Appell an seine Schuld („Wir haben
Diese Gefühle loszulassen, ist Grundbestandteil des sog.
soziale Verpflichtung für das Leben anderer“) wäre immer
Vergebungsprozesses.
ein wirksamer Hebel gewesen, allerdings nicht wirksam genug, um ihn heute gegenüber seiner Stiefmutter auf eine gemeinsame Bahn zu bringen. Der Ehemann wäre gern zu weiteren Gesprächen gekommen, passte sich dann aber den Vorstellungen seiner Frau an, die die Gespräche nicht fortsetzen wollte. Sie beklagte, dass ihre Wunden in der Paartherapie aufgerissen würden und sie belastet nach Hause ginge, während er (so ihr Vorwurf) danach alles abstreife und gleich wieder zur Tagesordnung überginge. Zu einem Holzblock wie ihm könne sie nur auf Distanz gehen; der Preis erneut verletzt zu werden, sei zu Foto: Lea Link, Schweiz
hoch. Zwei Monate später teilte er telefonisch mit, sie hätten sich entschieden, die Vergangenheit wieder zu verdrängen und die Gespräche zu beenden.
Therapeutische Konzepte
Hypothesen zum Therapieausgang
In der Literatur hat sich in den letzten Jahren der Begriff „Ver-
a. Der Ehemann wirkte von Anfang an sehr angepasst bis
gebung“ für den Prozess der Verarbeitung einer Verletzung
unterwürfig. Vermutlich führten seine Schuldgefühle bereits
durchgesetzt. Worum geht es dabei?
seit Jahrzehnten dazu, dass er Konflikte in der Absicht, die Paarbeziehung zu schonen, vermied. Seine angebliche
Was meint Vergebung?
Aggressivität, die das Paar zur Therapie gebracht hatte,
Der kleinste gemeinsame Nenner aller Definitionen von Ver-
könnte auch als Anzeichen für einen anstehenden Wandel
gebung bezieht sich auf die Reduktion bzw. Beendigung von
verstanden werden, als Anstoß, aus dem subtilen Machtge-
Ärger, Groll und Rachegefühlen auf eine Person, die Verlet-
fälle herauszukommen und ihr „auf Augenhöhe“ in gleichbe-
zung oder Verrat verursacht hat (Kämmerer 2007; Stammel
rechtigter Position gegenüberzutreten. Dies gelang nicht. Er
u. Knaevelsrud 2009).
fühlte sich zwar in der Pflicht, die Folgen seines damaligen
•
Vergebung ist eine Haltung einer Person gegenüber: Der
Tuns anzuerkennen, er war aber nicht in der Lage, direkt und
verletzenden Person wird ihr schuldhaftes Verhalten
selbstbewusst auf dem Recht dazu zu bestehen und der
nicht weiter vorgeworfen; die Verletzung als solche
Ehefrau einen Widerstand entgegenzusetzen.
jedoch nicht relativiert. •
b. Die Ehefrau hatte sich über Jahrzehnte mit Leiden, Groll und
eine bewusste Entscheidung der betroffenen Person voraussetzt.
Verbitterung „eingerichtet“; ihre Liebe war „auf der Strecke geblieben“. Der Gewinn, den sie inzwischen aus ihrer Position
•
Vergebung hat eine emanzipatorische Seite; sie führt zu einem Zugewinn an persönlicher Autonomie.
zog, war offensichtlich größer als die Motivation, sich daraus zu befreien. Sie dominierte mit den „Waffen der Unschuld“.
Vergebung ist ein intrapersoneller Prozess, der immer
•
Die verletzende Person hat wenig Einfluss auf das
8 Vergeben. Sie erhöht jedoch die Chance auf Vergebung,
Im Fokus der Vergebung steht die Person, die verletzt wurde
wenn sie für ihre Tat um Entschuldigung bittet, das eige-
und Vergebung gewährt. Es ist wichtig, dass die Vergebung
ne Verhalten bedauert und Reue zeigt oder zumindest
nicht von den Reaktionen des anderen abhängig gemacht
Verantwortung für das Ereignis übernimmt.
wird, sondern als autonomer Willensakt der vergebenden Person erhalten bleibt.
Der Prozess der Vergebung durchläuft in der Regel mehrere Phasen (Kämmerer u. Kapp 2002; Kämmerer 2007):
Die Begriffe Vergeben, Verzeihen und Versöhnen über-
1. Auseinandersetzung mit der eigenen Verletztheit,
schneiden sich: Vergeben beinhaltet vor allem das Beenden
2. Auseinandersetzung mit der verletzenden Person,
eines Schuldvorwurfs, den Verzicht auf einen Anspruch
3. Entscheidung zur Vergebung und zum Loslassen der negativen Gefühle sowie 4. neues Verhältnis und neues kommunikatives Verhalten gegenüber der verletzenden Person.
zur Wiedergutmachung des „Unrechts“. Auch Verzeihen beinhaltet vom Wortsinn her „verzichten“ und ist weitgehend gleichbedeutend mit Vergeben; allerdings wird in der Literatur im Unterschied zum Vergeben betont, dass das Verzeihen die Person, die Unrecht getan hat, in das Geschehen einbezieht und dass die Tat verziehen wird (Kämmerer
Auseinandersetzung mit der eigenen Verletztheit
2007, S. 228). Zur Versöhnung zweier Menschen gehört mehr
Durch die Reflexion der eigenen Gefühle (Wut, Groll, verletzte
(Weingardt 2006, S. 22):
Selbstachtung, vermindertes Selbstwertgefühl) wird die dis-
•
tanzierte Betrachtung der interpersonalen Problematik möglich, die auch die eigene Involviertheit darin einschließt und
ander erreichbar. •
die eigene Position als Opfer hinterfragt. Letzteres ist eine Voraussetzung zur Distanzierung vom Anlass der Verletzung
Beide sind bereit, auf gegenseitige Anklage, Vorwürfe und Rechthaberei zu verzichten.
•
und ein Beitrag zur Stabilisierung des Selbstkonzepts. Auseinandersetzung mit der verletzenden Person
Beide Partner leben oder sind zumindest noch fürein-
Beide haben den Wunsch nach einer guten gemeinsamen Beziehung.
•
Beide sind bereit, aufeinander zuzugehen.
•
Beide verspüren das Bedürfnis, einen Strich unter die
Wesentlich ist die Bereitschaft zum Perspektivenwechsel
Vergangenheit zu ziehen und miteinander neu anzufan-
bzw. zur Empathie mit dem Ziel, ein komplexes und differen-
gen.
zierteres Verständnis der Beweggründe der anderen Person
Für das Setting der Paartherapie lässt sich die Versöhnung
zu gewinnen. Ziel ist, die andere Person wieder als handeln-
zweier Partner anhand von drei Stichworten beschreiben
des Subjekt statt durch den Filter der eigenen Erwartungen
(Jellouschek 1995):
und Bewertungen wahrzunehmen.
•
Geschichte gegenseitiger Verletzungen,
•
Verantwortung übernehmen sowie
•
Wiedergutmachung und ggf. symbolischer Neuanfang
Entscheidung zur Vergebung und zum Loslassen der negativen Gefühle
vs. Distanzierung/Trennung.
Die Vergebung ist ein Willensakt bzw. die Entscheidung, nicht weiter unter dem Vorfall zu leiden und der anderen Person
Geschichte gegenseitiger Verletzungen
wieder offen begegnen zu wollen. Dieser Willensakt ist not-
und Besprechen der gegenseitigen Verletzungen in der
Zutage fördern
wendig, doch erst das Loslassen der negativen Gefühle führt
bisherigen Paargeschichte. Jeder hört dem anderen zu, ver-
dazu, sich innerlich von der verletzenden Begebenheit zu
sucht sich einzufühlen oder zumindest die Perspektive des
befreien. Das Loslassen kann in symbolischen Handlungen
Partners zu übernehmen und die Tragweite für den Partner
oder auch im Verbalisieren der eigenen Verletzung gegen-
zu erkennen.
über dem Partner bestehen.
Verantwortung übernehmen
Es geht darum, dass beide
anerkennen, den anderen verletzt zu haben und dies nicht Neues Verhältnis und neues kommunikatives Verhalten
bagatellisieren.
gegenüber der verletzenden Person
Wiedergutmachung
Es ist möglich, dass es nach der Vergebung zu einer Wie-
gegenüber der verletzenden Person bestehen, der sich allein
derannäherung kommt, z. B. im Sinne einer Versöhnung; es
durch Verstehen und Einsehen nicht auflöst („Ausgerechnet
ist jedoch auch eine Distanzierung (temporär und/oder mit
in diesem Moment, wo ich ihn besonders gebraucht hätte“
Formulierung von Regeln und Abmachungen für die Zukunft)
o. ä.), der ein geheimes Ungleichgewicht zwischen beiden
oder endgültige Trennung möglich.
erzeugt und sich meist daran zeigt, dass aus scheinbar
Häufig bleibt ein gewisser Vorbehalt
geringfügigem Anlass „die Untat“ aus der Vergangenheit
9 wieder präsentiert wird. Solche Situationen entstehen sogar
•
Empathiefähigkeit und interpersonelles Vertrauen,
dann, wenn der „Unschuldige“ dem „Schuldigen“ wirklich
•
Vergebung und psychischer Gesundheit sowie
vergeben will. Hier kann ein Wiedergutmachungsritual hilf-
•
ruminative Beschäftigung (Grübeln).
reich sein (Worte, Handeln, symbolische Geste) oder auch ein symbolischer Neuanfang in der Beziehung.
Empathiefähigkeit und interpersonelles Vertrauen Dies sind wesentliche Voraussetzungen für die Fähigkeit zu
„Aufgaben“ zur Unterstützung des
vergeben. Dreh- und Angelpunkt des Vergebungsprozesses
Vergebungsprozesses
ist das Bemühen des „Opfers“ um die Perspektivenüber-
Zunächst wird jeder Partner gebeten, sich vorzustellen, wo-
nahme des Täters. Wenn dies nicht gelingt, ist Vergebung
mit er den anderen im Laufe der Beziehung wohl am meisten
unwahrscheinlich.
verletzt hat. Beide notieren unabhängig voneinander ihre Einfälle und bringen diese zur folgenden Sitzung mit. In die-
Vergebung und psychische Gesundheit
ser wird zunächst jeweils einer in Anwesenheit des anderen
Zwischen Vergebung und psychischer Gesundheit besteht
darüber befragt, womit er den anderen verletzt hat, ohne
ein positiver Zusammenhang, dessen Richtung allerdings
dass bereits bekannt ist, was der Partner notiert hat. Erst
bisher nicht ganz eindeutig ist: Eine bessere psychische Ge-
dann werden die Äußerungen einander gegenübergestellt
sundheit könnte zu vermehrter Vergebung führen. Es könnte
und besprochen.
aber auch umgekehrt sein, dass eine erhöhte Vergebungsbereitschaft zu besserer psychischer Gesundheit beiträgt.
Ergänzend wird dann eine weitere Aufgabe angeregt: Jeder möge bis zum kommenden Paargespräch notieren, was der
Ruminative Beschäftigung
andere tun könnte, damit man ihm die schwerste Verletzung
Widersprüchliche Befunde liegen dazu vor, ob eine intensive
vergibt. In der folgenden Stunde wird wiederum zirkulär
ruminative Beschäftigung (Grübeln) mit der verletzenden Tat
darüber gesprochen: Der „Schuldige“ wird zuerst nach sei-
seitens der verletzten Person Einfluss auf die Vergebungs-
ner Vermutung gefragt, was der andere sich wohl für eine
bereitschaft hat. Häufige Gedanken und Erinnerungen rufen
„Buße“ für ihn überlegt hat usw. Entscheidend ist, ob die
tendenziell immer wieder negative Emotionen hervor, die
verletzte Person dem anderen überhaupt etwas zur Wieder-
nicht nur die Bereitschaft zu vergeben mindern, sondern
gutmachung auferlegen und damit eine Chance geben will
auch die Fähigkeit, das Ereignis in einem anderen Bedeu-
oder ob dies nicht möglich ist, und was sich daraus ergibt.
tungskontext zu sehen. Frauen tendieren dazu, intensiver
Der „rote Faden“ dieser Aufgaben bezieht sich auf das, was
über eine verletzende Tat nachzugrübeln als Männer.
ist für die weitere Entwicklung der Beziehung erforderlich ist. Manchmal reicht es nicht aus, „nur“ zu akzeptieren bzw. Verantwortung zu übernehmen.
Schlussfolgerungen
Verzeihen, Vergeben und Versöhnen dürfen natürlich nicht
Die Befürchtung, eine Paartherapie könne dazu beitragen,
zum Ersatz für eine fällige Auseinandersetzung werden
alte Verletzungen und Enttäuschungen wiederzubeleben
oder den Konflikt zudecken bzw. verschieben. Wirkliche
oder eine bereits schwierige Situation noch zu verschlim-
Versöhnung bringt immer auch die Machtverhältnisse in ein
mern, wird insbesondere von älteren Männern als Vorbehalt
Gleichgewicht und ermöglicht eine konstruktive Entwicklung
gegenüber dem paartherapeutischen Setting geäußert. Oft
menschlicher Beziehungen.
ist es aber umkehrt: Der Weg zur Paartherapie ist bereits die Folge davon, dass ehemals Verdrängtes bzw. Aufgeschobe-
Empirische Befunde zur Vergebung
nes zumindest von einem Partner wieder erinnert wird, nicht nur, aber auch als Begleitsymptom einer Depression. Weitere typische Begleiterscheinungen unverarbeiteter Erlebnisse können in vermehrter Ängstlichkeit, im Verlust von Vertrau-
Der aktuelle Forschungsstand zur Vergebung zeigt, dass
en und einer Zunahme von Feindseligkeit und Groll innerhalb
noch weitgehend unklar ist, wie individuelle Vergebungs-
der Paarbeziehung bestehen. Wenn Jahre oder Jahrzehnte
und Versöhnungsprozesse genau ablaufen und wie hilfreich
zurückliegende Verletzungen die Gegenwart belasten, ist
sie tatsächlich sind. Eine Übersichtsarbeit (Stammel u.
entscheidend, welche Bedeutung diese im aktuellen Kontext
Knaevelsrud 2009) zeigt vor allem drei für die klinische Praxis
haben und welche therapeutischen Möglichkeiten bestehen,
relevante Befunde:
damit umzugehen.
10 Auch wenn es in der Praxis oftmals anders läuft als in idealty-
Beispiel traf das Paar die Entscheidung, verletzt zusammen
pischen klinischen Konzepten, ist das Wissen um die einzel-
weiterzuleben in emotionaler Distanz, also eine Form von
nen Elemente eines Vergebungsprozesses hilfreich. Obwohl
innerer Trennung beizubehalten. Ältere Paare in Langzeitbe-
der therapeutische Umgang mit Verletzungen nicht ohne die
ziehungen beenden in der Regel die Paartherapie, bevor Sie
Auseinandersetzung mit Schuld vs. Unschuld auskommt und
den endgültigen Bruch ihrer Ehe riskieren. Sie unterscheiden
Leben immer auch bedeutet, Fehler zu machen und schuldig
sich damit sowohl von jüngeren Paaren als auch von älteren
zu werden, zieht die Autorin den neutraleren, sachlicheren
Paaren in jungen Beziehungen, die sich im Fall schwerer
Begriff der „Verarbeitung einer Verletzung“ dem Begriff der
Verletzungen eher trennen und scheiden lassen.
„Vergebung“ aus den im Folgenden genannten Gründen vor. Interessenkonflikt Vergebung weckt Assoziationen an die christliche Erlösungs-
Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessen-
lehre und damit an einen überhöhten, fast religiösen Akt.
konflikt besteht.
Vielleicht wäre die Schwelle, sich auf einen solchen Prozess einzulassen, für Patienten und Therapeuten etwas niedriger, wenn der Anspruch, den der Begriff nahe legt, etwas bescheidener wäre. Vergebung beinhaltet eine eindeutige Täter-Opfer-Polarisierung. In der Paartherapie ist die Rollenverteilung selten so eindeutig, und es ist daher meist sinnvoll, eindeutige Zuschreibungen aufzuweichen bzw. an der Rücknahme von Projektionen zu arbeiten.
Fazit Die Option der Trennung wurde in den vorgestellten Fallbeispielen nicht ernsthaft erwogen. Im ersten Fallbeispiel kam es zu gegenseitigem Verstehen, Verzeihen und Versöhnen;
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eine Art Neuanfang in der Ehe wurde möglich. Im zweiten
Literatur Jellouschek H (1995) Warum hast du mir das angetan? Untreue als Chance. Piper, München Kämmerer A, Kapp F (2002) Emotionale Stiefkinder therapeutischen Handelns: zum Beispiel Vergebung. Psychother Dialog (PiD) 3:184–187 Kämmerer A (2007) Vergeben: eine Quelle von Wohlbefinden. In: Frank R (Hrsg) Therapieziel Wohlbefinden. Ressourcen aktivieren in der Psychotherapie. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, S 228–236 Riehl-Emde A (2008) Paartherapie für ältere Paare. Konzept einer Spezialsprechstunde und Einblick in die Praxis. Psychother Dialog (PiD) 9:38–42 Riehl-Emde A, Cierpka M (2006) Spezialambulanz für ältere Paare am Institut für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie. Psychother Alter (PiA) 3:99–106 Stammel N, Knaevelsrud C (2009) Vergebung und psychische Gesundheit nach traumatischen Erlebnissen: Ein Überblick. Trauma Gewalt 3:34–41 Weingardt BM (2006) Das verzeih‘ ich dir nie. Kränkungen überwinden, Beziehungen erneuern, 5. Aufl. Brockhaus, Wuppertal
11
Sexualberatung nach sexueller TraumatisierungIntimität und Sexualität (wieder) leben lernen Ruth Gnirss-Bormet
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öffentlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Wir erfahren in der Beratung und Psychotherapie täglich von den gravierenden Folgen, die sexuelle Übergriffe auf das Leben und Erleben der betroffenen Menschen haben, wenngleich die Ausprägung von Langzeitfolgen sowohl im Hinblick auf die sexuelle Ausbeutung im Kindesalter wie auch im Hinblick auf die sexuelle Traumatisierung Erwachsener stark davon beeinflusst wird, ob es weitere Belastungsfaktoren wie Bindungstraumata oder physische Gewalt gab bzw. inwieweit protektive Faktoren vorhanden waren. In der Regel gilt folgende Beschreibung: „Je näher der Täter dem Opfer steht, je früher der Missbrauch beginnt und je länger er anhält, je massiver und gewalttätiger die Übergriffe sind und je weniger das Opfer die Möglichkeit hat, sich dem Einwirken des Täters zu entziehen und/oder sich anderen zu offenbaren, umso gravierender werden die Spät- und Langzeitfolgen sein.“1 Wir wissen auch um die oft massiven Folgen auf das sexuelle Erleben. Wir erfahren von sexuellen Funktionsstörungen verschiedener Ausprägung, bei männlichen Opfern erfahren wir außerdem von sexuell- delinquentem Verhalten in der Folge erlittener sexueller Gewalt, wenn eigene traumatische Erfahrungen später reinszeniert werden 2 , 3. Viele PatientInnen erzählen von massiven Ängsten vor körperlicher Nähe, Intimität und Sexualität. „Glück lebt man, Belastendes spricht man aus, um sich davon zu befreien“, Maxi Wander
In Supervisionen wird oft die Frage gestellt, wie mit den erlebten Traumata der KlientInnen und ihren Folgen für die Sexualität im Alltag einer Beratungsstelle oder einer ärztli-
Lange Zeit wurde das Thema sexueIler Gewalt öffentlich
chen oder psychotherapeutischen Praxis umzugehen ist.
kaum diskutiert, erst seit Beginn der 80er Jahre rückte es -
SexualberaterInnen und SexualtherapeutInnen fühlen sich
auch durch die Aktionen der Frauenbewegung - ins Licht der
häufig mit den Auswirkungen traumatischer Erfahrungen
Beyer et al: Sexualmedizin, „Opfer sexueller Übergriffe“, S. 408 Dudeck et al: „Die Bedeutung von Persönlichkeit und sexueller Traumatisierung für forensische Patienten mit einem Sexualdelikt“, Zeitung für Psychotherapie, Psychosomatik, Med. Psychologie, 2006, 56 (3-4), S. 147-153 3 Reinmann, M.: „Persönlichkeitsgestörte Sexualstraftäter in der forensichen Psychiatrie“, Verlag Dr. Kovac, HH 2009, S.166-171 1 2
12 und mit den in der Traumatherapie angewandten Methoden nicht hinreichend vertraut. Sie überweisen deshalb
an
TraumatherapeutInnen, wenn ein traumatisches Geschehen bekannt oder zu vermuten ist. Die TraumatherapeutInnen wiederum sind im Hinblick auf sexuelle Probleme - wie die meisten PsychotherapeutInnen - zu wenig ausgebildet, da der Umgang mit sexuellen Problemen in den entsprechenden Ausbildungen kaum Thema ist. Hinzu kommt, dass es bislang für viele TherapeutInnen ungewohnt ist, begleitend zur Einzeltherapie oder ausschließlich im Paarsetting zu arbeiten. Dies ist für sexuelle Probleme meist
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unerlässlich, da diese Probleme beide Partner betreffen und am ehesten durch beide Partner zu verbessern sind.
Grundsätzliches zum seelischen Erleben nach Traumatisierungen
Das führt dazu, dass PatientInnen mit ihrem verständli-
Wir wissen, dass die Auswirkungen sexueller Übergriffe
chen Anliegen, bei den vorhandenen sexuellen Problemen
sehr unterschiedlich sein können. Es gibt nicht „das sexuelle
Unterstützung und Hilfe zu erfahren, beim Gegenüber oft
Trauma“, und es gibt nicht „die spezifischen Traumafolgen“.
Unsicherheit und Irritation auslösen. Diese PatientInnen
Aus Platzgründen kann dieses Thema hier nicht ausführlich
ohnehin
diskutiert werden, es sei zur vertieften Auseinandersetzung
haben aufgrund ihrer Scham- und Schuldgefühle
4
schon im Vorfeld große Probleme, ihre Anliegen deutlich zu
deshalb auf weiterführende Literatur verwiesen. 6 7
machen. Wir müssen dafür im Gespräch aktiv einen Raum eröffnen, um sich diesem Thema auf eine behutsame Art zu
Dennoch ist es hilfreich sich zu vergegenwärtigen, in wel-
nähern. Im Einzelgespräch kann man z.B. die Frage stellen,
chen Bereichen seelischen Erlebens wir häufig mit Folgen
ob es in der Kindheit, Jugend oder auch im Erwachsenenalter
eines Traumas zu rechnen haben.
sexuelle Erlebnisse gab, die als schwierig oder peinlich erlebt wurden und über die es schwierig ist zu sprechen.5 Man
Das Erleben von sexueller Ausbeutung und Gewalt beein-
kann auch fragen, ob es sexuelle Erlebnisse gab, die mit nur
trächtigt nachhaltig das Gefühl von Sicherheit und Geborgen-
teilweisem Einverständnis oder gegen den eigenen Willen
heit und stört oft die Fähigkeit, vertrauensvolle Beziehungen
erfolgten, z.B. weil man überrumpelt wurde. Wir müssen
aufzunehmen. Das Gefühl, Kontrolle über das eigene Leben
aktiv signalisieren, dass wir bereit sind, über traumatische
zu haben und sich selbst wirksam für sich und alles, was
Erfahrungen mit PatientInnen zu sprechen, damit sie über-
einem wichtig ist, einsetzen zu können, kann nachhaltig
haupt Thema werden können.
geschädigt sein. In der Folge ist das Erleben von Nähe und Intimität oft angstbesetzt. Viele Opfer sexueller Übergriffe
Mit diesem Artikel sollen Erfahrungen aus der Praxis der Se-
leiden zudem unter Gefühlen von Scham und fragen sich,
xualberatung dargestellt und reflektiert werden, um Mut zu
inwieweit sie am Geschehenen mitschuldig sind, wie es
machen, sich diesem schwierigen Thema zuzuwenden. Es
ihnen oft vom Täter suggeriert wurde. Sie leiden darunter,
wird hoffentlich deutlich werden, wie wichtig das Gespräch
sich nicht wertvoll zu fühlen. 8
über sexuelles Erleben, ggf. auch eine Sexualberatung oder
Untersuchungen aus der psychosomatischen Medizin und
Sexualpsychotherapie nach sexuellen Traumata sein kann
Psychiatrie zeigen Zusammenhänge zwischen dem Erleben
und wie wir Frauen und Männer dabei unterstützen können,
sexueller Gewalt und dem Auftreten von Essstörungen, au-
Partnerschaft und Sexualität (wieder) leben zu lernen.
toaggressivem Verhalten (z.B. Ritzen an den Armen), Depres-
Scham- und Schuldgefühle können z.B. damit im Zusammenhang stehen, während des Übergriffs sexuelle Erregung verspürt zu haben oder dazu gezwungen worden zu sein, selbst sexuell aktiv zu werden, oder sich unzureichend vor einer Wiederholung des Geschehenen geschützt zu haben. 5 Grundlegende Ausführungen zur Sexualanamnese und Sexualberatung In: Buddeberg, C.,Thieme 2005 : „Sexualberatung“, 4. aktual. Auflage 6 Richter- Appelt, H., Psychosozial Verlag, 1997: „Verführung, Trauma, Mißbrauch“,: „Sexueller Mißbrauch ist keine Diagnose“, S. 91-107 7 Richter- Appelt, H. „Psychotherapie nach sexueller Traumatisierung“ In: V. Sigusch Hrsg., Thieme Verlag, 2001: „Sexuelle Störungen und ihre Behandlung“ 8 Wirtz, U., Kreuz-Verlag, „Seelenmord - Inzest und Therapie“, S. 85-92 4
13 sionen, Angststörungen, Zwangserkrankungen, chronischen
(sich aufdrängende Erinnerungen) erleben, in denen das
Schmerzerkrankungen und Persönlichkeitsstörungen.
Trauma wieder so erlebt wird, als wäre es gegenwärtig.
9
Im Bezug auf die Sexualität finden sich neben dem
Diese sogenannten „Flash- Backs“ können ausgelöst wer-
Vorhandensein sexueller Funktionsstörungen auch die
den durch alle Reize und Sinneswahrnehmungen (Trigger),
vorzeitige Aufnahme sexueller Beziehungen mit häufigem
die an das traumatische Geschehen erinnern, was dann
Partnerwechsel, nicht selten als Ausdruck einer Suche nach
jegliche positive sexuelle Empfindung sofort auslöscht. Sie
Anerkennung und Geborgenheit seitens eines jungen Men-
können ausgelöst werden durch olfaktorische Reize wie
schen, dem zwischenmenschliche Beziehungen nur in einer
Rasierwasser oder Biergeruch, durch akustische Reize wie
sexualisierten Form bekannt sind. Daneben gibt es aber
lautes Atmen oder Stöhnen, durch bestimmte Bilder, z.B.
auch unbeeinträchtigtes sexuelles Erleben in tragfähigen
eine Fensterscheibe, auf die der Regen prasselt, oder auch
Partnerschaften.
durch bestimmt haptische Reize, wenn sich etwas ähnlich
10
anfühlt wie in der traumatischen Situation. Beim Erleben eines Traumas, aber auch noch lange danach kann es zu verschiedenen Abwehrmechanismen kommen,
Menschen, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben,
und diese Abwehrmechanismen können das sexuelle Erle-
können sich kaum vorstellen, wie verstörend es sein kann,
ben nachhaltig beeinträchtigen:
sich plötzlich in ein Geschehen und in eine so belastende Gefühlswelt versetzt zu fühlen, an die vielleicht noch nicht
Im Trauma kommt es oft zur Dissoziation.11 Diese kann als
einmal eine bewusste Erinnerung besteht. Oft tauchen da-
eine Art Notfallreaktion verstanden werden, um sich vor zu
bei starke Ekel- und Schmerzgefühle auf, die Frauen stoßen
viel Angst, Ohnmacht, Panik und Schmerz zu schützen.
ihren Partner weg oder flüchten aus der Umarmung, oder die weiter oben beschriebenen psychischen Abwehrmecha-
Traumaopfer berichten, dass sie während des Übergriffs ein
nismen werden aktiviert.
Gefühl von Unwirklichkeit erlebten (Derealisation), dass sie sich nicht mehr als sich selbst fühlten (Depersonalisation),
Eine Patientin berichtet: „Wenn mein Mann sich mir von hin-
einige berichten, dass sie die Empfindung hatten, aus ihrem
ten nähert, krieg ich totale Panik, obwohl er mich vielleicht
Körper herauszutreten, sich aus einer Distanz heraus liegen
nur liebevoll umarmen will, ich kann mich nicht mehr rühren,
zu sehen oder den Eindruck hatten, dies alles geschehe in
bin wie gelähmt, möchte schreien, kann es aber nicht.“
Wirklichkeit einer anderen Person. Andere berichten von einer plötzlichen Gefühllosigkeit, von einem Erstarren bzw.
Traumafolgeerscheinungen können sich massiv auf die
innerem Taubwerden (Numbing). Diese Zustände gingen und
Sexualität auswirken.
gehen einher mit sehr hoher, oft aber auch mit einer sehr
In der Schilderung sexueller Probleme nach Traumata kehren
geringen Körperspannung. So können „die Beine schwach
einige Phänomene immer wieder. Sie sollen im Folgenden
werden“ oder „man kann sich nicht mehr rühren“. Andere
dargestellt werden, zum einen, weil sie Hinweis darauf sein
berichten von einer extremen Anspannung in den Beinen
können, dass an ein Trauma gedacht werden muss, zum an-
und im Unterleib, die sogar mit Schmerzen einhergehen
deren, weil sie uns aufmerksam machen dafür, wie Schritte
kann.
hin zu mehr Gesundung aussehen können. PatientInnen schildern uns die Fühllosigkeit einzelner Kör-
Manche fühlten sich vom eigenen Körper wie abgetrennt,
perbereiche. Oft sind es die Bereiche, die beim Übergriff
manchmal wurden auch nur einzelne Teile des Körpers
berührt wurden. Diese Bereiche werden oft auch als über-
fühllos. Der eigene Körper kann dem Täter im Trauma wie
mäßig kalt empfunden, da auch die Physiologie in diesen
überantwortet, zur Verfügung gestellt worden sein, während
Prozess einbezogen ist. Die Durchblutung ist in diesen
man selber sich außerhalb des Körpers fühlte.
Bereichen gedrosselt, auch die Infektabwehr kann chronisch beeinträchtigt sein, es kommt z.B. zu gehäuften Infektionen
Manche Patientinnen haben kaum bewusste Erinnerungen
im Bereich der Scheide oder der Harnwege.
an das traumatische Geschehen, können aber Intrusionen Egle, U.T., Hoffmann, S.O., Steffen, M., (1997) Psychosoziale Risiko- und Schutzfaktoren in Kindheit und Jugend als Präposition für psychische Störungen im Erwachsenenalter. Gegenwärtiger Stand der Forschung. Nervenarzt: 68, S. 683-695 10 Beyer et al., Urban und Fischer, 2001: Sexualmedizin, S. 410 „Opfer sexueller Übergriffe“ 11 Beim Dissoziieren liegt eine Unterbrechung von integrativen Funktionen des Bewusstsein, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umgebung vor. 9
14 Viele Patientinnen berichten über ein Gefühl von Kraftlosig-
könnten oder brechen Beziehungen ab, sobald solche Er-
keit, manchmal eher im Unterleib, manchmal mehr in den
wartungen ins Spiel kommen.
Beinen, manchmal im ganzen Körper. Daneben kann es zu starken Muskelverspannungen mit Schmerzen kommen,
Viele Frauen und Männer in Partnerschaften leiden unter
die ebenfalls häufig Beine und Beckenboden betreffen. Hier
sexuellen Funktionsstörungen, v.a. unter Sexueller Aversi-
kann es z.B. darum gehen, dass im Körper der Impuls erin-
on12, Libidostörungen, Erregungs- und Orgasmusstörungen.
nert wird, die Flucht zu ergreifen, der gleichzeitig gehemmt
Frauen leiden unter Schmerzen beim Geschlechtsverkehr,
wurde.
weil der physiologische Erregungsablauf oft gestört ist und weil infolge des hohen, manchmal unbewussten Angst-
Diese Gefühle können dauernd vorhanden sein oder können
levels die Spannung im Beckenboden deutlich erhöht ist.
die Patientin plötzlich überfallen, wenn ein Reiz sie an eine
Diese Anspannung der Muskulatur des Beckenbodens kann
traumatische Situation erinnert, selbst wenn diese Situation
sich reflektorisch noch verstärken, wenn eine Berührung
der bewussten Erinnerung noch nicht zugänglich ist. So
des Scheideneingangs befürchtet wird oder erfolgt. Der
erzählt eine Patientin:
Scheideneingang wird dadurch stark eingeengt oder sogar
„Ich war plötzlich nicht mehr fähig, mich zu rühren, es war,
verschlossen, die Frau entwickelt eine vaginistische Reak-
als ob mein Körper nicht mehr mit meinem Kopf verbunden
tion. Dies kann eine gynäkologische Untersuchung ebenso
wäre, meine Beine waren total angespannt.“
verunmöglichen wie den Genitalverkehr. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Mehrzahl aller Frauen
Eine andere erzählt:
mit vaginistischer Symptomatik keine sexuellen Traumati-
„Ich kann nicht auf dem Rücken liegen, ich krieg sonst sofort
sierungen erlebt haben - die Ursachen des Vaginismus sind
Angst, zerquetscht zu werden, ich krieg fast keine Luft mehr.“
vielfältig. 13
Viele Frauen und Männer leben nach einem sexuellen Trauma viele Jahre weitgehend ohne bewusste positive Körperwahr-
Manchmal kann eine Traumatisierung über viele Jahre wie
nehmung. Ihr Körper ist wie ausgeblendet, oder sie spüren
vergessen sein, die Sexualität mit einem geliebten Partner
ihren Körper nur noch, wenn er ihnen Schmerzen bereitet.
wird zunächst „quasi am Trauma vorbei“ gelebt, bis durch ein Ereignis, das an das ursprüngliche Trauma erinnert, die
Ärztliche Untersuchungen können mit viel Angst verbun-
Erinnerung wiederkehrt.
den sein, weil sie unbewusst mit dem Gefühl assoziiert sind, sich ausliefern zu müssen. Dies betrifft keineswegs
So berichten einige Frauen, wie durch das Erleben ihrer
nur gynäkologische Untersuchungen. Viele Frauen berichten
ersten Geburt und die damit einhergehende Situation des
über ein „Wegswitchen“, sobald die Nähe für sie bedrohlich
Sich-Ausgeliefert-Fühlens die Erinnerung an das Trauma
wird, auch in der Untersuchungssituation. Sie sind ängstlich,
zurückkehrte. 14
wenn sie bemerken, dass eine Tür geschlossen wird. Einige beginnen zu weinen, geraten in Panik und beginnen heftig
Eine Patientin: „Ich hatte alles völlig vergessen, als junge Frau
zu zittern. Andere beschreiben Linien am Körper, an denen
entdeckte ich mit meinem Mann ganz normal die Sexualität,
eine Berührung beginnt ihnen Angst zu machen, zum Bei-
wir konnten unser sexuelles Zusammensein genießen. Mit
spiel oberhalb des Knies am Oberschenkel oder bestimmte
der Geburt kam die Erinnerung zurück. Ich ertrage die Nähe
Bereiche sind wie taub. Sie lösen bei ihren ÄrztInnen oft
meines Mannes nicht mehr. Wenn er mit mir schläft, fühle
Hilflosigkeit und Ratlosigkeit aus, wenn diese die Reaktionen
ich mich vergewaltigt. Wie schlimm es mir geht, habe ich ihm
nicht einordnen können.
bisher nicht gesagt. Aber er merkt, das alles anders ist.“
Viele Menschen leben zurückgezogen und meiden alle Beziehungen, die mit erotischen Wünschen verknüpft sein
Sexuelle Aversion geht oft einher mit massiven Angst- und Ekelgefühlen sowie Zeichen vegetativer Übererregung. Sie weist darauf hin, dass sexuelles Erleben subjektiv mit Zwang und Not in Verbindung gebracht wird und mit einem Gefühl subjektiver Überforderung. Somit kann sie ein wichtiger Hinweis sein auf vorangegangene sexuelle Traumata. Sie kann sich aber auch entwickeln, wenn Frauen/Männer sich zu lange genötigt haben oder genötigt fühlten, die sexuellen Wünsche des Partners oder der Partnerin zu erfüllen, um diese nicht abweisen zu müssen bzw. mit ihrer Enttäuschungsreaktion umgehen zu müssen. Siehe auch: Gnirss-Bormet R. : „Libidostörungen. Diagnostische Abklärung und Behandlung“. In: Psychotherapeut: 49, 2004, 5, S. 341-349. 13 Gnirss-Bormet, R.: „Dyspareunie, Vaginismus oder Endometriose - Sexualmedizinische Beratung - Begleitmaßnahmen. In: Gynäkologische Praxis : 32, 2008, S. 715-724. 14 Gnirss, R., Buddeberg, C.: Libidoverlust nach der Geburt. In: Frauenheilkunde Aktuell: 2000, 9:3. 12
15 Grenzen setzen können. Vielleicht braucht es dieses Wissen, um daran glauben zu können, dass man selbst bei diesem Gegenüber lernen und üben kann, sich selbst vor Überforderung zu schützen und notwendige Grenzen zu ziehen.
Aufklärung und Information - die wichtige Rolle der Psychoedukation Die Vermittlung von Wissen über mögliche Traumafolgen hilft, die erlebten Symptome als eine „normale Anpassungsreaktion an nicht normale Bedingungen“ zu verstehen. Die Beschreibung der häufigsten nach sexueller Traumatisierung Foto: Lea Link, Schweiz
auftretenden Symptome und Verhaltensweisen kann zur Orientierung beitragen und hilft, das eigene Erleben ein-
Wichtige Rahmenbedingungen für die Beratung Wenn in einer ärztlichen Untersuchungssituation, in einer Beratung oder in einer Psychotherapie Hinweise dafür auftauchen, dass ein traumatisches Geschehen vorliegen könnte, muss sich die BeraterIn, ÄrztIn oder TherapeutIn fragen, ob sie sich hinreichend sicher und gut genug ausgebildet fühlt, um diesen Verdacht weiter abklären zu können. Vielleicht ist es gut, im Rahmen einer Supervision dieser Frage nachzugehen bzw. sich der Unterstützung einer Supervision zu vergewissern, um in Ruhe weiterarbeiten zu können. Für die KlientInnen jedenfalls ist es wichtig, dass sie erst einmal in Ruhe ihr Anliegen formulieren und sich gehört fühlen können, ohne sofort weitergeschickt zu werden. Dann wird man ggf. in Ruhe gemeinsam überlegen, wo eine kompetente Beratung oder Therapie stattfinden kann. Oft braucht es Zeit, einen geeigneten Platz zu finden, wenn man den Eindruck hat, dass die Schwere der Traumatisierung eine Sexualpsychotherapie notwendig macht. Selbst wenn man sich einig ist, dass eine traumaorientierte Sexualpsychotherapie notwendig ist, kann es KlientInnen sehr unterstützen, wenn diese Wartezeit schon für eine Beratung genutzt werden
zuordnen. Dies wirkt entpathologisierend.
15
Hier kann es
auch hilfreich sein, geeignete Literatur zum Thema Trauma und Traumafolgen 16, 17 aber auch zum Thema Sexualität zu empfehlen, die zu Hause im eigenen Tempo gelesen werden kann. 18 Weiterhin braucht es zunächst vor allem Stabilisierung. Im Gespräch über die sexuellen Probleme müssen wir als BeraterIn darauf achten, dass wir weder uns selbst noch den PatientInnen zu viel zumuten. Wir dürfen kleine Schritte machen und wir dürfen durch emotional weniger belastende Themen und durch das Sprechen über Ressourcen immer wieder „emotionale Verschnaufpausen“ einlegen. Wir müssen als BeraterIn unsere eigene Befindlichkeit wie auch das Angstlevel unseres Gegenübers und die nonverbalen Zeichen von Anspannung beachten, um Überforderung auf beiden Seiten wenn möglich zu vermeiden. Wir vermitteln unseren KlientInnen, dass wir gut genug auf uns selber achten können. Und wir vermitteln unseren KlientInnen, dass sie jederzeit mitteilen können, wenn sie etwas nicht sagen möchten und dass wir sie bitten uns mitzuteilen, wenn es
kann und wenn sie sich begleitet fühlen.
ihnen mit einer Frage oder Intervention nicht wohl ist.
Zum Vorgehen in der Beratung
Es gilt das Prinzip der Selbstverantwortung, d.h. nur das zu
In der Beziehung zwischen BeraterIn und KlientIn braucht es
tun und nur so lange etwas zu tun, wie es einem damit gut
Sicherheit, Vertrauen und Klarheit. Zu dieser Klarheit gehören
geht. Sobald etwas unangenehm wird, ist man aufgerufen,
auch ein klares Setting und die Einhaltung des vereinbarten
dies mitzuteilen und damit die Verantwortung für die eige-
Zeitrahmens.
nen Grenzen zu übernehmen. 19
KlientInnen scheinen manchmal die BeraterInnen unbewusst
Die Wiederaneignung des Körpers- (wieder) bei sich ankom-
zu testen, ob diese gut genug für sich sorgen und nötigenfalls
men
Wöller, Wolfgang: Trauma und Persönlichkeitsstörung. Schattauer Verlag, 2006, S. 241 Wöller, Wolfgang: Trauma und Persönlichkeitsstörung. Schattauer Verlag, 2006, S. 241-246 17 Reddemann, Luise; Dehner-Rau, Cornelia: Trauma : Folgen erkennen, überwinden und an ihnen wachsen ; ein Übungsbuch für Körper und Seele. – 3., vollst. überarb. Aufl. – Stuttgart : Trias, 2008. 18 Gnirss- Bormet, R.: „Sexualberatung bei Problemen in den Wechseljahren“. In: Tägl. Praxis: 46, 2005, 303-309 19 Zum Prinzip „Selbstverantwortung“ siehe auch: Hauch et al., „Paartherapie bei sexuellen Störungen“, Thieme Verlag, 2006, S . 51-52 15 16
16 Im weiteren Verlauf der Beratung entwickelt sich oft ein ge-
finden. Ich bat sie, sich entgegen ihrer Gewohnheiten von
meinsames Suchen, wie es gelingen kann, sich den Körper
einer Freundin auf einem Fest fotografieren zu lassen. Sie
wieder auf eine gute Weise anzueignen, der bislang oft wie
war so überrascht darüber, wie hübsch sie auf diesen Bildern
fremdes Territorium erlebt wird. Kleine „Wahrnehmungsex-
aussah, dass sie sich zunächst nicht erkannte.
perimente“ für zu Hause, die gemeinsam genau vorbespro-
Viele PatientInnen profitieren von einem Entspannungstrai-
chen werden, können helfen, den Körper wieder spürbarer
ning zum Stressabbau, weil sie vegetativ übererregbar sind.
zu machen, zu beleben, seine Grenzen und seine Kraft zu
Hier ist u.a. die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson
spüren. Den Körper durch Berührung und durch Bewegung
sehr zu empfehlen, weil sie recht gut zu lernen ist.
wieder bewusst wahrzunehmen steht oft am Anfang dieses Weges. Viele Patientinnen erleben z.B. beim Schwimmen im
Durch sportliche Aktivitäten kann sich das Gefühl von
warmen Wasser erstmals wieder eine wohltuende Berührung
Selbstwirksamkeit stärken, durch Laufen, Radfahren, auch
ihrer Körperoberfläche, die sie jahrelang überhaupt nicht
durch Tanzen und Kampfsport erleben sich viele Frauen und
spüren konnten. Es geht um die Wahrnehmung der Körper-
Männer als vital, kraftvoll, durchsetzungsfähig, vielleicht
grenze, es geht darum, die Haut als Umhüllung des Körpers
auch wehrhaft. 20
wahrzunehmen und als Sinnesorgan neu zu erfahren. Mit einer weichen Bürste die Körperoberfläche zu bürsten kann
Übungen zur körperlichen Selbsterfahrung und ein zuneh-
helfen, die Durchblutung zu verbessern und dem Kälteemp-
mendes vertrauter werden mit der eigenen Genitalregion
finden entgegenzuwirken, und die Berührung mit der Bürste
helfen, den eigenen Körper besser kennenzulernen und
ist intensiv genug, um die Körperoberfläche zu spüren. Viele
sexuelle Wahrnehmungen und Wünsche zu differenzieren.
KlientInnen müssen auch erst (wieder) lernen, mit sich selbst fürsorglich umzugehen, sich warm genug zu kleiden, sich gut
Interdiszplinäre Vernetzung kann weitere Unterstützung
genug zu ernähren, gerade, wenn es in ihrer Kindheit auch
geben z.B. mit psychosomatisch orientierten Gynäkolo-
emotionale Vernachlässigung und/oder physische Gewalt
gInnen
gab. Oft haben sie kaum mütterliches Sich-Kümmern und Unterstützung erfahren und brauchen Anregungen, wie sie
Je vertrauensvoller die Zusammenarbeit zwischen Sexualbe-
gut für sich sorgen können.
raterInnen, PsychotherapeutInnen, KörpertherapeutInnen,
Hier können sich auch gemeinsame Metaphern und Rituale
AllgemeinmedizinerInnen und GynäkologInnen sich gestal-
entwickeln: Für eine meiner Patientinnen waren Bratäpfel
tet - z.B. durch gemeinsame Fallbesprechungen, desto mehr
der Inbegriff von Zuwendung und Sicherheit. Bratäpfel, wie
profitieren die PatientInnen davon. Vorsichtige, respektvolle
die Großmutter sie in den Ferien für sie zubereitet hatte.
körperliche ärztliche Untersuchungen können zusätzliche
Wenn ich den Eindruck hatte, sie könnte durchaus ein biss-
Sicherheit vermitteln, dass trotz des sexuellen Traumas
chen liebevolle Selbstfürsorge vertragen, fragte ich deshalb
organisch alles in Ordnung ist und diesbezügliche Ängste
nach, ob sie sich vorstellen könne, auf dem Markt einige
in Bezug auf den eigenen Körper auflösen. So haben viele
Äpfel zu kaufen, für den Fall, dass sie plötzlich einen Bratap-
Frauen Angst, sie könnten vielleicht nie schwanger werden
fel brauchte. Das Zubereiten und der Genuss von Bratäpfeln
- eine Angst, die oft erst nach längerer Dauer der Beratung
wurde für sie der Inbegriff einer Ressourcensituation, die sie
ausgesprochen werden kann. Hier kann es wichtig sein, dass
selbst herstellen konnte.
die Frauenärztin bzw. der Frauenarzt einmal all das erklärt, was gut funktioniert. So kann ein regelmäßiger Zyklus ein
Je nach eigener Ausbildung können imaginative Methoden in
Hinweis darauf sein, dass die Eierstöcke gut funktionieren.
der Beratung eine große Hilfe sein, sei es zur Stabilisierung,
Es besteht die Möglichkeit zu überprüfen, ob ein Eisprung
sei es zur Erkundung und Differenzierung des Körperbildes.
stattfindet. Für viele sexuell traumatisierte Frauen können auf diese Weise Ängste aufgelöst werden, sie könnten un-
Häufig braucht es eine visuelle Neu-Orientierung in Bezug
fruchtbar sein.
auf den eigenen Körper- eine Selbstvergewisserung vor
Das Eintreten einer Schwangerschaft kann aus diesem
und mit dem eigenen Spiegelbild, da der eigene Körper
Grund ebenfalls als sehr erleichternd erlebt werden. Eine
verzerrt wahrgenommen wird, manchmal aufgrund alter
meiner Patientinnen fand erst mit und durch die Geburt ihres
Zuschreibungen durch Täter. Eine meiner Patientinnen litt
ersten Kindes den Mut und die Kraft, sich mit ihrem Trauma
darunter, sich - m.E. völlig zu Unrecht - völlig unattraktiv zu 20 Siehe auch: M. Eberhard-Kächele: „Wie das Kaninchen vor der Schlange“- Körper- und Bewegungsinterventionen bei traumatisierten Men- schen. In: Wöller, Wolfgang: „Trauma und Persönlichkeitsstörung“, Schattauer Verlag, 2006, S. 241-246
17 auseinanderzusetzen, weil dieses Kind ihr die Überzeugung
die anderen selbstverständlich vorkommen, z.B. das Recht,
gab, dass vieles in ihr und in ihrem Körper heil geblieben sein
in einer sexuellen Interaktion Wünsche zu äußern oder ein
musste, wenn sie dieses Kind gebären konnte.
klares Stopp zu signalisieren. Sie brauchen Unterstützung, um sich darüber klar zu werden, dass sie das Recht haben,
Exploration der gelebten Sexualität -
ihren sexuellen Spielraum auszuloten und zu erweitern wie
Unterschiede finden, die Unterschiede machen:
sie auch das Recht haben, selbst sexuell aktiv zu sein. Nach meinen Erfahrungen gibt eigene Initiative und Aktivität
Das Gespräch über die aktuell gelebte Sexualität hat einen
im sexuellen Zusammensein oft eher Sicherheit als eine
zentralen Stellenwert. Hier kann es gelingen, durch genau-
passiv-abwartende Rolle, weil so psychisch und körperlich
es Fragen einen Suchprozess einzuleiten, wie Flash-Backs
das Gefühl der Selbstwirksamkeit und Kontrolle besser er-
künftig vermieden und sexuelles Erleben befriedigender
lebbar wird.
möglich werden kann: Allerdings sind sexuelle Traumen so unterschiedlich und •
Was ist an Zärtlichkeiten vorstellbar? Was geht gut? Gibt
in ihren Auswirkungen auf das Erleben so verschieden,
es sexuelle Aktivitäten, die (fast) immer Spaß machen?
dass wir keine Empfehlungen abgeben können, sondern
•
Was geht nur unter welchen besonderen Bedingungen?
besser Fragen stellen und unsere Überlegungen immer
•
Gibt es Orte und Situationen, die mehr Sicherheit ver-
überprüfen müssen.
mitteln? An welchen Orten entstehen in der Regel eher •
•
•
•
Ängste?
Wenn wir wissen, wie sich Übergriffe in der Vergangenheit
Gibt es bestimmte Reize, die oft Flash-Backs auslösen?
abspielten, können wir oft gemeinsam Vorstellungen entwi-
(Gerüche, Geräusche, ein bestimmter Blick, eine be-
ckeln, wie es am wenigsten zu Erinnerungen an das Trauma
stimmte Haltung des eigenen Körpers)
kommt.
Gibt es Berührungen oder sexuelle Aktivitäten, die (vorerst) nicht denkbar sind? Hat man mit der PartnerIn/
Die Wahrnehmung und die Veränderung der Interaktion mit
dem Partner darüber ausreichend deutlich gesprochen?
dem konkreten Partner in der Gegenwart kann ein großes
Wie könnte sie/er auf die Mitteilung reagieren?
Potential für neue positive sexuelle Erfahrungen darstellen.
Gibt es Körperhaltungen oder Positionen, die eher das
Viele Frauen erzählen, dass sie ihren Partner eigentlich als
Gefühl vermitteln, „Regie führen zu können“ und die
rücksichtsvoll erleben, aber bisher noch nie klar ein Stopp
deshalb eine angstfreiere Begegnung ermöglichen?
äußern konnten, so dass die Partner gar nicht wissen, was
Weiß die PartnerIn/der Partner, wie sie/er den Kontakt
konkret für sie schwierig ist. Wir erarbeiten dann - wenn
wieder herstellen kann, wenn es doch einmal zum
möglich gemeinsam mit dem Partner - wie wichtig genaue
Dissoziieren kommt? Was hilft da am ehesten? Wie ist
Rückmeldungen für das gemeinsame Erleben sind und wie
das z.B. mit einem liebevollen Blickkontakt oder einem
wichtig es ist, die Erfahrung machen zu können, dass man
kurzen liebevollen Ansprechen - „Hey! Hier bin ich!“
wirksam Grenzen setzen kann.
Dieses genaue Erfragen der sexuellen Interaktion ist
Man kann nur Gas geben, wenn man weiß, dass die Brem-
überaus hilfreich. Wir können dann gemeinsam eine
se funktioniert:
Liste von Auslösern anfertigen, die in der Lage sind, ein
Wenn der Partner ein ausgesprochenes Stopp beachtet,
Flash-Back auszulösen. Sind diese Auslöser identifiziert,
unterscheidet ihn das vom Täter. Deshalb muss mit ihm
kann die Frau/der Mann mit ihrem/seiner PartnerIn den
ausführlich besprochen werden, wie wichtig es ist, dass
Umgang damit besprechen und oft eine einvernehm-
er sich an ein Stopp hält. Das fällt meistens leichter, wenn
liche Lösung finden. So kann es zum Beispiel hilfreich
verdeutlicht wird, dass ein Stopp nicht bedeutet, dass er/
sein, wenn ein Partner vor dem Lieben keinen Alkohol
sie etwas falsch gemacht hat.
trinkt, wenn dieser Geruch an den Täter erinnert; es kann helfen, sich im Wohnzimmer zu lieben, wenn die
Ich ermutige immer wieder, sich dieses wichtige Unter-
Übergriffe im Schlafzimmer stattfanden oder man kann
scheidungsmerkmal bewusst zu machen und ggf. auch zu
sich auf eine andere Tageszeit oder Beleuchtung eini-
überprüfen, ob ein Stopp wirklich gehört wird.
gen, die nicht mit dem Trauma in Zusammenhang steht. Wir versuchen somit in der Sexualberatung mit sexuell trauViele Frauen und Männer, die sexuelle Gewalt erlebt haben,
matisierten Frauen und Männern, den Möglichkeitsraum in
brauchen viel Zeit, um sich sexuelle Rechte zu erarbeiten,
der sexuellen Interaktion durch ein Gefühl von Selbstwirk-
18 samkeit und Kontrolle zu erweitern, wir suchen nach Wegen,
den Rückmeldungen und mit dem Sprechen über konkrete
die Sexualität auf eine Weise zu leben, die nicht (mehr)
sexuelle Wünsche und Begegnungen im Rahmen der Bera-
übermächtig an das Trauma erinnert, sondern das Erlebte
tung kann Attunement entwickelt werden, ein Sich einstim-
so integriert, dass körperliche Nähe und Sexualität wieder
men auf den anderen, ohne sich selbst zu verlieren. Wichtig
möglich wird.
in diesem Prozess ist eine verlässliche, authentische und immer wieder auch humorvolle Begleitung.
Auch die Partner brauchen Unterstützung und Information!
Und der feste Glaube daran, dass es in uns einen Wunsch
Viele Partner erleben in der Sexualberatung oder Therapie
und ein Potential zum seelischen Wachsen gibt, wenn die
zum ersten Mal, dass sie als Mitbetroffene und Mitleidende
Bedingungen dafür stimmen.
gesehen werden. Viele haben erleben müssen, dass ihre sexuellen Wünsche für die Partnerin eine Bedrohung und Zu-
Autorin:
mutung darstellten oder dass sie für ihre sexuellen Wünsche
Ruth Gnirss-Bormet
verachtet wurden. Häufig haben sie der Partnerin zuliebe
Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychothera-
viele Jahre ihres Lebens auf gemeinsame Sexualität weitge-
peutische Medizin, Sexualtherapeutin, eigene Praxis
hend verzichtet, meist überaus ratlos, weil sie nicht wussten,
mit dem Schwerpunkt Paar- und Sexualtherapie in Kassel,
was sie zur Lösung der Probleme beitragen sollten. Sie füh-
langjährige Gastdozentin am EZI
len sich ebenfalls um das Erleben einer zufriedenstellenden Sexualität betrogen. Einige berichten, wie sie sich lange Zeit
Literaturempfehlung zum Thema Sexualität:
zu einer Art von seelenlosem Sex aufgefordert fühlten, ohne
für Patientinnen:
Vorspiel, ohne Begegnung, weil ihre Partnerin ihnen vermit-
Eckert, D (2000): Aphrodites Töchter, Kösel, München
telte, so sei es für sie am besten. Die Partner können nur
für Patienten:
verstehen, was sie selbst und gemeinsam mit der Partnerin erlebt haben, wenn sie basale Kenntnisse über die Folgen sexueller Traumatisierung haben. Diese Kenntnisse müssen wir vermitteln. Sie müssen verstehen, wie wichtig es ist, dass sie im Zusammensein die zunächst gesetzten Spielräume ausloten und ein Stopp ihres Gegenübers beachten. Und es braucht auch für die Partner einen Raum, mit ihren Gefühlen von Wut, Schmerz, Ohnmacht und Trauer akzeptiert zu sein. Manchmal braucht es auch Unterstützung dabei, mit dem neuen Wissen über ein sexuelles Trauma nicht destruktiv
Zilbergeld, B. (2000): Die neue Sexualität der Männer, 4. Auflage, Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie
Literatur zum Thema Sexuelle Traumatisierung und Traumabewältigung: Haines, Staci Ausatmen: Wege zu einer selbstbestimmtem Sexualität für Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben. Orlanda, Berlin, 2001 Herman, Judith Lewis: Die Narben der Gewalt: traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden, Paderborn, Jungfermann, 2003 Rothschild, Babette Der Körper erinnert sich: die Psychophysiologie des Traumas und der Traumabehandlung- Essen. Synthesis, 2002
umzugehen. Einige Frauen haben Angst, dass ihr Mann in seiner Wut auf den Täter keine Grenzen kennt, tatsächlich gilt es hier manchmal zu helfen, dass diese Wut nicht ausagiert wird. Häufig stellt sich heraus, dass der Partner davon profitieren könnte, selbst beraterische oder therapeutische
Neue gemeinsame sinnliche Erfahrungen Es gilt oft auch, dem gemeinsamen sinnlichen Erleben neue Räume zu erschließen. Viele Paare genießen Ausflüge in ein Thermalbad, sie genießen es, sich im warmen Wasser gegenseitig zu halten und den eigenen Körper wie auch den Körper des anderen wieder zu spüren. Frauen erleben ihren Körper durch die bereits erwähnten Aktivitäten und „Übungen“ zunehmend als heil, als kraftvoll, als liebenswert. Die Möglichkeit, für sich selbst, aber auch für das Gegenüber Empathie zu empfinden, kann durch die neuen Erfahrungen wachsen. Mit
Foto: Lea Link, Schweiz
Unterstützung zu erhalten.
19
Die Bedeutung von Gewalt in der Paarbeziehung für die Psychotherapie mit Kindern Karl-Heinz Brisch *
Einleitung In diesem Beitrag wird zunächst gezeigt, wie wichtig die Er-
ständen fatal und traumatisierend aus. Eltern sollten ihren
füllung überlebenswichtiger Bedürfnisse durch die Eltern in
Kindern ermöglichen, Selbstwirksamkeit und Selbsteffektivi-
der frühkindlichen Entwicklung ist und wie sich dies auf die
tät zu erfahren, weil hierdurch das Gefühl, ein eigenständi-
Paarbeziehung auswirkt. Es wird deutlich gemacht, welch
ges Selbst und einen Selbstwert zu haben, gefördert wird:
große Bedeutung der kindlichen Stressregulation zukommt,
eine zentrale emotionale Repräsentation. Sind die Eltern in
die durch die Hilfestellung der Eltern möglich wird, und wel-
ihrem eigenen Selbstwertsystem geschwächt oder konnten
che Auswirkungen die Stressregulation auf die Entwicklung
sie es während ihre eigenen Kindheit nicht gut entwickeln,
der kindlichen Affekte und die Fähigkeit des Kindes zur
haben sie große Schwierigkeiten, die eigenen Kinder bei der
Selbstregulation von intensiven Gefühlen hat.
Entwicklung ihres Selbstwertsystems zu unterstützen: etwa
Auf diesem Hintergrund werden verschiedene Insze-
durch Lob, positive Unterstützung und Hilfestellungen, damit
nierungen von Gewalt in der Paarbeziehung und ihre
die Kinder in ihrem Handeln Selbstwirksamkeit erfahren kön-
traumatisierenden Auswirkungen auf die Entwicklung des
nen (Meins 1997). Die Erfahrung von positiver sensorischer
Kindes geschildert. An einzelnen Fallbeispielen werden die
Stimulation im Bereich von Hören, Schmecken, Riechen,
Möglichkeiten einer Psychotherapie sowie zum Abschluss das Programm »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« vor-
Fühlen, Sehen ist ebenfalls sehr essentiell und überlebens-
gestellt, das vor allem die Wiederholung von traumatischen
fördert die Entwicklung des Kindes und auch die emotionale
Erfahrungen aus der Paarbeziehung im Verlauf der Entwick-
Sicherheit in der Paarbeziehung (Lichtenberg et al. 2000).
wichtig. Besonders die feinfühlige sensorische Stimulation
lung des Kindes und in der Beziehung zu ihm verhindern soll.
Überlebenswichtige Bedürfnisse des Kindes
Die Regulation von stressvollen Affekten
Damit sich die Liebesfähigkeit des Kindes und eine gute
Die Eltern müssen ihrem Säugling helfen, dass er eine
Beziehung zu ihm entwickeln kann, ist es von großer Bedeu-
Fähigkeit zur Selbstregulation von stressvollen Affekten
tung, dass die Eltern in der Lage sind, seine physiologischen
entwickeln kann. Hierzu ist es notwendig, dass sie von An-
Bedürfnisse zu befriedigen. Hierzu gehören Nahrungsauf-
fang an die Signale eines Säuglings feinfühlig wahrnehmen
nahme (keinen Hunger leiden müssen), das Stillen von Durst,
und stressvolle übermäßige Erregungszustände vermeiden,
Wärme, Schutz, Schlaf, aber auch frische Luft und Bewe-
indem sie auf diese Signale adäquat und feinfühlig reagieren
gung. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse muss nicht nur
und prompt die Bedürfnisse des Säuglings – die er etwa
für das Kind, sondern auch für die Eltern selbst gut reguliert
durch Schreien ausdrückt – befriedigen. Wenn der Säugling
sein – sonst kann es ihnen in der Beziehung zu ihrem Kind
schreit und dabei in Panik ist, so sind solche Zustände ver-
nicht gutgehen. Gleichzeitig ist es sowohl für die kindliche
mutlich jeweils mit Todesangst, dem Gefühl, allein zu sein und
Entwicklung als auch die Zufriedenheit in der Paarbeziehung
vernichtet zu werden und dem Empfinden von Ohnmacht
sehr wichtig, dass das Kind positive sichere Bindungser-
verbunden. Dies wirkt sich traumatisierend aus und führt
fahrungen macht und die Möglichkeit der Exploration hat.
dazu, dass der Säugling schon sehr früh lernt zu dissoziie-
Sowohl gegenüber dem Kind als auch in der Paarbeziehung
ren: entweder, indem er motorisch und affektiv »einfriert«,
sollten alle Beteiligten darauf achten, dass negative Reize
erstarrt (sympatikotone Dissoziation) oder indem er in eine
vermieden werden können. Stark negative Reize, wie sie
Art »Erschlaffungszustand« gerät (parasympatikotone Dis-
durch Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung entstehen,
soziation). Letzterer ist dann mehr durch parasympathische
sind sowohl für die kindliche Entwicklung als auch für eine
Erregung gekennzeichnet, die oft auch mit Einnässen, Einko-
positive Paarbeziehung schädlich und wirken sich unter Um-
ten, Erbrechen und ähnlichen Symptomen im Magen-Darm-
*
Quelle: Karl Heinz Brisch (Hrsg.): Bindungen – Paare, Sexualität und Kinder, Stuttgart: Klett-Cotta 2012, S. 269-291
20 Bereich verbunden ist. Beide Reaktionsweisen, sowohl das
der an sein Trauma erinnerte Partner aber nicht so von Ge-
»Einfrieren« wie auch das »Erschlaffen«, sind Formen der
fühlen überschwemmt, dass er nicht mehr handlungsfähig
psychischen Dissoziation, die wir, wie beschrieben, also
ist und sich ohnmächtig bzw. von Einsamkeit und anderen
schon bei Säuglingen beobachten können (Brisch 2007 a).
Gefühlen überflutet fühlt.
Insgesamt ist es wünschenswert und auch erforderlich, dass
Ist das Trauma dagegen nicht verarbeitet, so kommt es
der Säugling von Pflegepersonen aufgezogen wird, die auf-
durch den Triggerungsprozess zu einer hohen psychischen
grund einer eigenen guten Stressregulation in der Lage sind,
Erregung; der eine Partner fühlt sich vom anderen bedroht,
die vielfältigen Affekte des Säuglings in den ersten Lebens-
weil er von Gefühlen überflutet wird und kaum mehr oder
jahren gut »ko-regulierend« zu begleiten; auf diese Weise
gar nicht zu einer Steuerung seiner Affekte in der Lage ist.
gewinnt der Säugling die Fähigkeit zur Selbst-Regulation von
Der »triggernde« Partner, der durch sein Verhalten – oft un-
heftigen Affekten. Hierzu ist nicht nur die Feinfühligkeit, son-
bewusst – solche heftigen Gefühle auslöst, wird dann in der
dern auch die emotionale Verfügbarkeit der Bindungsperson
Regel bekämpft; auch dem von seinen Affekten überfluteten
von großer Bedeutung. Möglichst sollten Eltern potentielle
Partner ist die Ursache seiner Reaktion in der Regel vollkom-
eigene traumatische Erfahrungen bereits verarbeitet haben,
men unbewusst. Solche Trigger im Verhalten des Partners
bevor sie mit der Pflege von eigenen Kindern beginnen.
können Bindungswünsche, Wünsche nach Nähe, Weinen,
Zumindest sollten sie die Bereitschaft mitbringen, eigene
Kummer, Schmerz, Bedürftigkeit, Schreien, Wut, Ablösungs-
unverarbeitete Traumata durch eine Psychotherapie zu
und Abgrenzungswünsche sein.
bewältigen. Andernfalls ist zu erwarten, dass traumatische Erfahrungen über Generationen weitergegeben werden. Be-
Wenn der traumatisierte Partner sein Gegenüber »be-
stehen bei den Eltern unverarbeitete Traumata, dann ist zu
kämpft« bzw. unter Kontrolle zu bringen versucht, geschieht
vermuten, dass der Säugling früher oder später in bestimm-
dies etwa durch die Zurückweisung von Nähewünschen, ein
ten affektvollen Risikosituationen durch sein Verhalten alte,
Meiden des Partners, Gewalt, einen abrupten Abbruch des
nicht vernarbte Wunden aus traumatischen Erfahrungen
Kontakts mit dem Partner oder auch durch sexuelle Aktivitä-
der Eltern »triggert«, d.h. aus ihrer nur notdürftigen emoti-
ten in Kombination mit Gewalt und der Demütigung des Part-
onalen Kontrolle herauslöst, und die Eltern dann von diesen
ners. Der traumatisierte Partner kann seine heftigen Affekte
Affekten überschwemmt werden und sich diesen Affekten
meist nicht kommunizieren, sondern »agiert« sie aus. Dabei
entsprechend – oft nicht mehr kontrollierbar – verhalten,
werden Gefühle von Panik, Wut, Scham und Erregung auf
d.h. eventuell gegenüber dem Säugling gewalttätig werden
den anderen Partner übertragen, d. h. er wird als Ursache
(Brisch & Hellbrügge 2003; Lyons-Ruth et al. 2010).
dieser Gefühle erlebt und entsprechend attackiert. Dieser Partner weiß dann in der Regel gar nicht, wie ihm geschieht
Damit Fürsorgepersonen für den Säugling verlässlich emoti-
und fühlt sich seinerseits jetzt ohnmächtig, angstvoll, wird
onal und pflegend zur Verfügung stehen können, brauchen
zunehmend wütender, so dass es wechselseitig zu einem
sie einen großen »Schatz« von Ressourcen. In der Regel
intensiven Prozess von affektiver Erregung kommen kann.
achten Eltern über die ersten Monate nicht gut auf ihre
Statt seinen Partner z. B. anzugreifen, mundtot zu machen
Ressourcen, was oft dazu führt, dass sie erschöpft sind;
oder durch seine Handlungen unter Kontrolle zu bringen, ihn
dadurch können große Spannungen – oft auch zwischen
also aktiv anzugehen, kann es auch sein, dass der traumati-
den Partnern – entstehen. Die Entwicklung von Ressourcen
sierte Partner in einen kindlich regressiven Zustand verfällt,
bereits vor der Geburt und die Pflege von Ressourcen nach
sich vollkommen klein und abhängig fühlt, kleinkindliche
der Geburt eines Babys sind eine ganz wichtige Aufgabe von
Verhaltensweisen zeigt und kindliche Pflege und Versorgung
Eltern.
einfordert. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass der getriggerte Partner in einen dissoziativen Zustand gerät, affektiv
Traumatisierte Partnerschaften
»abschaltet«, d. h. für den nicht traumatisierten Partner
Es ist sehr leicht möglich, dass bei einem der Partner ein
emotional überhaupt nicht mehr erreichbar ist.
Trauma durch Auslöserreize, sprich: bestimmte Verhaltensweisen des anderen Partners, aktiviert wird. Ist das Trauma
Wenn traumatische Erinnerungen wachgerufen werden,
verarbeitet, so wird dann ein gewisses Gefühl von Wehmut
kommt es oft zu großen Affektausbrüchen und zu heftigen
in der Interaktion mit dem Partner ausgelöst. Dies bedeutet
Interaktionen, zu Streit, Agieren, bis hin zur offenen Gewalt
aber, dass – auch wenn das traumatisierende Ereignis viele
(Brisch et al. 2010a; Brisch 2007b; Milch & Janko 2006; siehe
Jahre zurückliegt – ein schwächerer oder stärkerer Schmerz
hierzu auch die Beiträge von Peichl und Huber in diesem
entstehen kann, wenn das Trauma erinnert wird; dabei wird
Band).
21 Gewalt zwischen den Partnern und die Spiegelneurone des Kindes
Pathologische Bindung des Kindes an Täter und Opfer
Wenn Kinder solch heftig affektgeladene Szenen – bis hin
Wenn die Eltern miteinander streiten und aufeinander losge-
zur gewalttätigen Auseinandersetzung – zwischen ihren
hen, wenn es also zu häuslicher Gewalt kommt, werden die
Eltern beobachten, werden ihre Spiegelneurone aktiviert
Spiegelneurone des Kindes aktiviert, und es fühlt sich eben-
(Bauer 2008). In solchen Situationen erleben sie schon im
falls durch den Täter bedroht und leidet mit dem Opfer. Es
Säuglingsalter die elterlichen Gefühle sowohl von der Opfer-
erlebt Angst und Panik, Abhängigkeit und Ohnmacht, als ob
als auch von der Täterseite mit, da ihre Spiegelneuronen sie
es selbst Opfer in dieser gewalttätigen Auseinandersetzung
körperlichen Schmerz, Panik, Wut, Ekel, Scham, Ohnmacht,
wäre. In der Regel besteht für das Kind keine Kampf- und
Hilflosigkeit sowie auch die aggressiven Affekte und Hand-
keine Fluchtmöglichkeit, sein Bindungssystem ist extrem ak-
lungsweisen des Täters und des Opfers miterleben lassen.
tiviert und es sucht nach einer Bindungsperson. Die einzigen
Nicht selten kommt es auch zu einer Identifikation mit dem
verfügbaren Bindungspersonen sind aber seine Eltern, die
Aggressor, so dass auf diese Weise ein sogenanntes »Täter-
vor seinen Augen als Täter und Opfer agieren. Aus diesem
introjekt« im Gehirn des Kindes verankert und verinnerlicht
Grunde kann sich das Kind weder an den Täter noch an das
wird. Wenn das Kind sich mit dem Täter identifiziert, kommt
Opfer wenden, um sich dort angesichts seiner großen Angst
es in der Regel auch zur Ausbildung einer sogenannten
und der extremen Aktivierung seines Bindungssystems
»Täterloyalität«. Identifiziert sich das Kind dagegen mit dem
Schutz und Sicherheit zu holen.
Opfer, fühlt es sich hilflos, überwältigt, wird depressiv, zieht sich zurück und erlebt ein Gefühl von Leere, Ohmacht und
Pathologische Bindung an den Täter
Hilflosigkeit. Dieses Muster erinnert an das Konzept der »er-
Das Kind flüchtet sich in seiner psychischen Erregung in ver-
lernten Hilflosigkeit«, das seit vielen Jahren in engem Zusam-
schiedene mögliche Lösungswege, die sich intrapsychisch
menhang mit der Entstehung von Depressionen diskutiert
abspielen. Durch die Spiegelneurone, die im Kind die Hand-
wird (Seligman 1975).
lungen und Affekte des Täters spiegeln, kann es bei ihm in Bezug auf den Täter verschiedene Wege aus dem Dilemma
Gewalt zwischen den Eltern
– als mögliche Lösungsversuche — geben:
Kommt es zur Gewalt zwischen den Eltern, ist – aus der Perspektive des Kindes – in der Regel eine Bindungsperson
Täterloyalität
bedroht, während die andere bedrohend und gewalttätig
Das Kind erlebt den Täter als stark, mächtig und aggressiv.
ist. In einer solchen Situation kommt es zu einer massiven
Durch die Spiegelneurone kann es sich selbst auch so erle-
Aktivierung des kindlichen Bindungssystems, besonders
ben und schlägt sich intrapsychisch auf die Seite des Täters,
wenn ein Kind solche aggressiven Auseinandersetzungen
verbunden mit der inneren Vorstellung: »Ich helfe dem Tä-
zwischen den Eltern direkt beobachtet. Über die Spiegelneu-
ter!« Auf diese Weise kann es intrapsychisch der Bedrohung
rone wird das gesamte Paniksystem des Kindes bis hin zur
entgehen und fühlt sich durch die Identifikation mit dem Ag-
großen affektiven Erregung im Bereich der Amygdala und
gressor stark und ebenfalls potent; die oben beschriebenen
des limbischen Systems und im Weiteren auch in der ge-
bedrohlichen Empfindungen fallen weg. Dies beruhigt sein
samten Hormon-Stress-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-
aktiviertes Bindungssystem.
Nebennierenrinden-Achse, sog. HPA-Achse) aktiviert. Das Kind sucht dann verzweifelt nach einer Bindungsperson, die
Täterimitation und -identifikation
Schutz und Sicherheit geben kann. Die Bindungspersonen
Eine weitere Möglichkeit ist die Imitation des Täters: Das Kind
selbst sind aber die Quelle des Stresses und können von
sagt sich: »Ich versuche mal, wie der Täter zu sein.« Auf die-
ihm nicht aufgesucht werden, so dass es in einer solchen
se Weise, eng gekoppelt mit der Täterloyalität, verhält sich
Situation keine hilfreiche, beruhigende Bindungsperson zur
das Kind in seiner Imagination, eventuell später aber auch in
Verfügung hat. Dies bedeutet, dass es umso mehr extremen
Handlungen, wie der Täter und wird ebenso zum Aggressor.
Stress erlebt, den es alleine überhaupt nicht bewältigen
Durch sein Handeln und seine Imitationen kann es dazu kom-
kann. Die einzige Möglichkeit zur Verarbeitung einer solch
men, dass sich das Kind übermäßig mit dem Täter identifiziert
überflutenden Situation besteht darin, dass das Kind in eine
(Täteridentifikation). In diesem Sinne sagt es sich: »Ich bin
syrnpatikotone Dissoziation oder in eine parasympatikotone
wie der Täter.« Es fühlt sich durch die Identifikation mit dem
Dissoziation flieht. Das Gehirn reagiert mit einem Notfallpro-
Täter groß und stark und übernimmt Eigenschaften, Sprache
gramm auf der Ebene des Reptiliengehirns, damit das Kind
und Handlungen des Täters — bis hin zur emotionalen und
überleben kann (van der Hart et al. 2008).
intrapsychischen Verschmelzung mit ihm. Durch diese Handlungen und emotionalen Prozesse ist es möglich, dass das
22 Kind intrapsychisch ein Introjekt vom Täter bildet. In diesem
rungen bei, wie die Forscher von der Harvard Medical School
Falle sagt das Kind in seiner Vorstellung: »Ich bin der Täter.«
in sehr detaillierten Untersuchungen des Gehirns mit Hilfe
Dann muss es sich gar nicht mehr wie der Täter verhalten,
von Kernspinnuntersuchungen herausfinden konnten.
sondern hat selbst die Fähigkeiten und Eigenschaften des Täters introjiziert, und sie werden zum Teil seiner eigenen
Weitere Folgen
Persönlichkeit und seines Selbst. Ein solches Täterintrojekt
Aufgrund der Überregung des limbischen Systems entwi-
kann ein mehr oder weniger bewusster oder – in den meis-
ckelt das Kind oft Symptome wie panische Ängste, depressi-
ten Fällen — ein stark abgespaltener Ego-State sein. Wenn
ve Zustände, Schlafstörungen, Essstörungen, somatoforme
das Kind selber später in diesen Ego-State »rutscht«, d. h.
Schmerzen, aber auch aggressive Verhaltensstörungen und
sich psychisch mit dem Täter identifiziert, dann spricht es
kognitive Leistungsminderungen. Wenn das Gehirn nämlich
wie der Täter, handelt wie er, fühlt sich wie er und wird selbst
affektiv überflutet wird, wenn das Kind Zeuge von Gewalt
gegenüber anderen – vielleicht sogar später gegenüber den
zwischen den Eltern war, gibt es – aufgrund der Aktivierung
eigenen Kindern – zum Täter. Auf diese Weise wiederholen
von Hippocampus, Amygdala und limbischem System – so
sich traumatische Erfahrungen über Generationen.
viel frei fluktuierende Angst, dass die kognitiven Funktionen, etwa wie sie in der Schule gefordert werden, von den Kin-
Pathologische Bindung an das Opfer
dern nicht mehr konzentriert genutzt werden können, was
Hat das Kind um den bedrohten Elternteil Angst, so wird es
zu einer deutlichen Leistungsminderung führt. Bei solchen
sich mit diesem identifizieren und versuchen, ihn zu schüt-
Kindern wäre eine akute Belastungsreaktion oder auch eine
zen, ihn zu versorgen, was bis dahin führt, dass das Kind zur
posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren. Auf
sicheren Basis für den bedrohten Elternteil wird. Auf diese
der Verhaltensebene fallen sie alle durch Symptome einer
Weise erlangt das Kind eine hohe soziale emotionale Kompe-
Aufmerksamkeitsstörung und von Hyperaktivität auf (Brisch
tenz, kann sich aber selbst in Bedrohungssituationen oft kei-
2010 c; Vuksanovic et al. 2010; Kern et al. 2010; Vuksanovic &
ne Hilfe holen und kann seine eigenen Bindungsbedürfnisse
Brisch 2010; Brisch et al. 2010b; Kern et al. 2011).
gegenüber potentiellen Bindungspersonen nicht äußern. In
dungsbedürfnisse bzw. seine Bedürfnisse nach Schutz und
Die Psychotherapie eines Kindes, das Zeuge von Gewalt zwischen den Eltern wurde Bedingungen einer erfolgreichen Psychotherapie
Sicherheit einzufordern. Meist werden solche Kinder durch
Damit eine erfolgreiche Psychotherapie möglich ist, braucht
die Situation massiv überfordert und entwickeln früher oder
das Kind einen sicheren äußeren Rahmen. Hierfür ist es auf
später ein sogenanntes Burn-out-Syndrom. Nicht selten
jeden Fall erforderlich, dass es nicht mehr Zeuge der Gewalt
werden diese Kinder später sehr aktive Mitarbeiterinnen
zwischen den Bindungspersonen – oftmals den Eltern – sein
und Mitarbeiter in psychosozialen Berufen, sind allseits
muss; sonst wäre das Wohl des Kindes oftmals extrem ge-
geschätzt, engagieren sich übermäßig für leidende Men-
fährdet. In der Regel besteht auch die Gefahr, dass das Kind
schen, oft mit der Folge, dass sie erschöpft sind bzw. dann
selbst in den Gewaltinszenierungen zwischen den Eltern
ein Burn-out-Syndrom entwickeln. Wir sprechen in diesem
zum Opfer wird. Oftmals ist es sogar angeraten, das Kind
Zusammenhang auch von einer »Bindungsstörung mit Rollen-
aus seiner Familie herauszunehmen und es anderswo, etwa
umkehr« (Brisch 2010 a).
in einer Pflegefamilie, unterzubringen, besonders, wenn die
der Regel kann das Kind sich weder an den Elternteil, der Opfer ist, noch an den, der Täter ist, wenden, um seine Bin-
Gewalt zwischen den Eltern sich fortsetzt und kein Einzelfall
Zeuge häuslicher Gewalt sein und die Folgen für Kinder Neurobiologische Zusammenhänge
bleibt.
Aus den Studien von Martin Teicher (2010) ist bekannt, dass
es in der Psychotherapie dann um die Entwicklung eines
es auch Folgen für das kindliche Gehirn hat, wenn das Kind
sicheren inneren Rahmens. Hierzu ist es wichtig, dass eine
»nur« Zeuge häuslicher Gewalt wurde; auch hier kommt es
sichere Bindungsperson für das Kind zur Verfügung steht, die
zu einer äußerst stresshaften Überflutung des Gehirns durch
für Pflege, Schutz und emotionale Unterstützung sorgt. Sind
Affekte und zur Traumatisierung. Dies zeigt sich darin, dass
die Eltern wegen ihrer häuslichen aggressiven, gewalttätigen
speziell die neuronalen Verbindungen zwischen visuellem
Auseinandersetzungen dazu nicht in der Lage, dann muss es
Cortex und Amygdala vermindert sind. Eine solche Vermin-
eine sichere Ersatzbindungsperson geben, wie dies z. B. Pfle-
derung der Zahl neuronaler Verbindungen hat Einfluss auf das
geeltern sein können, wenn das Kind wegen fortdauernder
soziale und das emotionale Lernen und trägt zur Entwicklung
Gewalt in Obhut genommen und bei Pflegeeltern zu seinem
von Depressionen, Angststörungen und Somatisierungsstö-
Schutz untergebracht werden muss. Auch andere Personen
Wenn der sichere äußere Rahmen gewährleistet ist, geht
23 im sozialen Umfeld des Kindes wie Erzieherinnen, andere
Es ist dringend notwendig, dass die Eltern selbst durch
Familienmitglieder oder auch pädagogische Mitarbeiter in
eine Paartherapie lernen, wie sie mit ihren Affekten bes-
einer Heimeinrichtung könnten für äußere Sicherheit sorgen
ser umgehen können und durch welches Verhalten des
und dem Kind auch zunehmend emotionale Sicherheit ver-
Partners sie jeweils »getriggert« werden. Triggerprozesse
mitteln. Das Kind könnte auch in der Therapie ein Gefühl von
können nämlich nicht nur in einer Richtung, sondern auch
emotionaler Sicherheit in der Übertragung auf die Psycho-
wechselseitig zwischen Partnern bestehen. Zeigt sich, dass
therapeutin oder den Psychotherapeuten entwickeln. Eine
ein Partner unverarbeitete traumatische Erfahrungen hat, ist
erfolgreiche Psychotherapie ist auf jeden Fall auf die Dauer
für ihn eine individuelle Therapie angezeigt. Wenn die Eltern
nur möglich, wenn der äußere Rahmen sicher ist und sich
sich durch eine Psychotherapie, die über längere Zeit durch-
ein innerer sicherer Rahmen im Sinne einer therapeutischen
geführt wurde, intrapsychisch verändern, kann erneut über
Bindung entwickelt.
die Möglichkeit von Besuchskontakten gesprochen werden.
Ort der Psychotherapie
Lehnen sie allerdings jegliche Form der Therapie ab, so ist
Die äußere Sicherheit für das Kind ist auch besonders er-
das Kind in einer Pflegefamilie oder an einem anderen siche-
forderlich, wenn die Psychotherapie ambulant durchgeführt
ren Ort wesentlich besser aufgehoben und kann sich dort
werden soll. Sie kann nur dann gewährleistet sein, wenn es
unter stressfreieren Bedingungen auch emotional gesund
wirklich nur in einem Fall zur Gewalt zwischen den Partnern
entwickeln (Brisch 2008).
kam und das Kind anschließend von den Eltern wieder emotional beruhigt werden konnte. Oft sind die Eltern über die
Grundlegende Ziele der Psychotherapie
Art der Gewalt selber erschrocken und bemühen sich, durch
Die folgenden Ausführungen gelten sowohl für die Situation,
eine Paartherapie selbst unmittelbar Hilfe und Unterstüt-
dass das Kind Zeuge von Gewalt zwischen den Eltern wurde,
zung zu bekommen, die sie emotional entlastet und auch die
als auch für die, dass es selbst Opfer von Gewalt durch die
Beziehung zu dem Kind in ein ruhigeres Fahrwasser bringt.
Eltern oder einen Elternteil wurde. Da aber die traumatisierende Wirkung der kindlichen Zeugenschaft von Gewalt
Eine stationäre Behandlung ist immer dann indiziert, wenn
zwischen den Eltern bei Richterinnen und Richtern sowie
keine äußere Sicherheit gegeben ist und sich die Gewalt zwi-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Jugendämtern noch
schen den Eltern fortsetzt. Hier ist unmittelbar im Anschluss
wenig anerkannt wird, fokussiere ich im Folgenden beson-
an die Gewalterfahrung an eine Inobhutnahme des Kindes
ders auf die Zeugenschaft von Gewalt.
und an eine Fremdunterbringung in einer Pflegefamilie zu denken. War eine solche Unterbringung des Kindes erforder-
In der Psychotherapie geht es zunächst um die Wiederher-
lich, muss man überlegen und prüfen, ob Besuchskontakte
stellung der emotionalen Sicherheit, die durch die Beobach-
der Eltern mit Begleitung sinnvoll sind bzw. ob solche Kon-
tung der Gewalt zwischen den Eltern verlorengegangen war.
takte zwischen Eltern und Kind überhaupt notwendig und
Wurde nur einmal Gewalt zwischen den Eltern beobachtet,
möglich sein sollen, solange das Kind traumatherapeutisch
sprechen wir in der Regel von einer akuten Belastungsreakti-
behandelt wird. Es ist verständlich, dass die Eltern – etwa
on des Kindes. Wurden dagegen über lange Zeit gewalttätige
auf rechtlicher Basis – ein Umgangs- und Besuchsrecht
Auseinandersetzungen beobachtet, dann führt dies oft zu
einfordern. Wenn das Kind aber durch die Begegnung mit
einem chronischen Stresserregungszustand des Kindes.
den Eltern während solcher Kontakte wieder sehr an die
Hieraus kann über die Zeit eine pathologische Bindung des
traumatischen Szenen erinnert wird, die es zwischen den
Kindes sowohl ans Opfer als auch an den Täter entstehen.
Eltern beobachtet hat, wird es wieder unter großen Stress
Über längere Sicht kann dies zu einer Bindungsstörung
geraten. Wir sehen in solchen Fällen regelmäßig, dass die
führen, die sich infolge einer komplexen chronischen post-
Kinder somatoforme Störungen, Schlafstörungen, Essstö-
traumatischen Belastungsstörung entwickelt.
rungen entwickeln oder einnässen, einkoten und ähnliche Störungen zeigen. Dies alles sind Symptome, die als Aus-
Hat das Kind nur einmalig eine Gewaltszene zwischen den
druck von Stress gewertet werden können. Werden solche
Eltern beobachtet, kann es, wie gesagt, durchaus wieder
Symptome entwickelt, plädieren wir sehr eindeutig dafür,
Erfahrungen von Sicherheit mit ihnen machen und sie als
dass die Besuchskontakte zwischen Eltern und Kind ausge-
Bindungsressource nutzen. Hat es jedoch wiederholt Gewalt
setzt werden, da auch eine Begleitung der Besuche durch
miterlebt, womöglich schon in der frühen Kindheit, könnte es
eine pädagogische Mitarbeiterin nicht für Sicherheit für das
sein, dass das Kind in einer Psychotherapie in der psychody-
Kind sorgen kann, zumindest nicht im emotionalen Sinne.
namischen Übertragung zur Therapeutin erstmals so etwas
Der Umgang zwischen den Eltern und dem Kind dient also
wie emotionale Sicherheit und Urvertrauen entwickeln kann.
nicht dem Kindeswohl!
24 In der Anfangsphase der Psychotherapie stehen zweifelsoh-
hat. Sind die Affekte noch nicht verarbeitet, reicht oft der
ne die emotionale Stabilisierung, der Aufbau von Ressour-
Kontakt mit den Eltern allein schon aus, um das Kind in Angst
cen und damit die Etablierung eines Gefühls von Schutz und
und Not zu bringen und auch psychosomatische Symptome,
Sicherheit im Vordergrund. In der nächsten Behandlungs-
wie etwa Schlafstörungen und Einnässen, auszulösen.
phase sollten die traumatischen Bilder und Affekte verar-
Am Ende der Therapie sollte die Sicherheit emotional so
beitet werden. Hierzu könnten verschiedenste Methoden
verinnerlicht sein, dass das Kind sich – auch aufgrund der
Anwendung finden, etwa kreative Therapien wie Musik-,
äußeren neuen Sicherheit – mit dem Thema von Abschied
Kunsttherapie und konzentrative Bewegungstherapie, aber
und Trennung in der Therapie beschäftigen kann, also auf
auch die Kinder-Spieltherapie, Sandspieltherapie etc.
das Ende der Therapie und den Abschied vom Therapeuten
Probleme in der Psychotherapie
gel sollte klar sein, wo das Kind nach der Beendigung der
Aufgrund der pathologischen Bindung des Kindes an Täter
Therapie in äußerer Sicherheit weiterleben kann. Aufgrund
und Opfer möchte es ständig zu seinen Eltern zurück; gleich-
der neu gewonnenen inneren Sicherheit und der Verarbei-
zeitig hat es aber große, geradezu panische Angst vor einem
tung des Traumas kann das Kind sich dann auch auf neue
Kontakt mit den Eltern und vor einer Rückführung; denn
emotionale Beziehungen zu Freunden, Gleichaltrigen und
durch die Nähe zu den Eltern wird es auch wieder an die
auch neuen Bindungspersonen einlassen. Sollten zu einem
stressvollen Situationen und Bilder erinnert. Dies wird sich
späteren Zeitpunkt Symptome auftreten, kann das Kind
erst bessern, wenn das Kind die traumatischen Erfahrungen
jederzeit zu einer Art der Intervallbehandlung zurückkehren.
in einer gezielten Traumatherapie, die etwa auch moderne
Aufgrund der Bindungsbeziehung, die sich in der Therapie
Methoden der Therapie (EMDR, Screentechnik) anwendet,
entwickelt hat, wird das Kind seine Therapeutin bzw. seinen
verarbeiten konnte und zur Ruhe gekommen ist.
Therapeuten rasch wieder als sicheren Hafen nutzen kön-
bzw. der Therapeutin vorbereitet werden kann. In der Re-
nen, um seine neuen Stresserfahrungen emotional gut zu Da eine emotionale Entwicklung des Kindes oder die Ver-
verarbeiten.
arbeitung von traumatischen Erfahrungen in Zuständen
Werden solche Zustände von Panik aber immer wieder
Nach häuslicher Gewalt oder einer Trennung der Eltern: Die Bindung des Kindes an Vater und Mutter und der Umgang mit ihnen
durch Besuchskontakte getriggert, sollte man deutlich dafür
Die Art der Bindung des Kindes an seine Eltern und die
plädieren, diese zumindest für die Zeit der Traumatherapie
Gestaltung des Umgangs mit ihnen führen oft zu für Eltern
auszusetzen; wir treten gegenüber Richtern immer eindeutig
und Kind stressvollen Situationen, besonders wenn es zu
dafür ein, während der Therapie keinen Täterkontakt zuzu-
Gewalt und aggressiven Auseinandersetzungen zwischen
lassen. Nur unter dieser Bedingung kann sich das Kind in
den Eltern gekommen ist und das Kind Zeuge hiervon war.
einem ruhigeren emotionalen Milieu auf die Verarbeitung der
Alle Überlegungen zur Gestaltung des Kontakts zwischen
erlebten stressvollen Ereignisse einlassen.
Kind und Eltern basieren auf dem Primat des Kindeswohls.
von Angst und Panik nicht möglich ist, muss von Seiten der Erwachsenen Sicherheit für das Kind hergestellt werden.
Alle in einem solchen Prozess Beteiligten sollten sich darAuch der Kontakt mit dem Opfer – also dem Elternteil, der
über einig sein, dass die gesunde Entwicklung des Kindes,
Gewalt erfahren hat – ist nicht unproblematisch. Hat das
sowohl körperlich, psychisch, emotional und sozial, an
Kind Kontakt mit dem Opfer, werden seine Schutzimpulse
oberster Stelle steht.
im Sinne einer Rollenumkehr des Bindungssystems aktiviert. Erst wenn es seine traumatischen Erfahrungen verarbeitet
Bei den weiteren Betrachtungen ist jeweils zwischen der
hat, kommen solche Verhaltensweisen gegenüber dem
Paarebene und der Elternebene zu unterscheiden. Bei Strei-
Opfer seltener vor. Insgesamt erzeugt die Identifikation mit
tigkeiten, im Scheidungsfall oder auch im Umgangsstreit,
dem Opfer in der Regel aber weniger gravierende Symptome
werden diese beiden Ebenen oft vermischt, und dies führt
als die mit dem Täter.
zu großem emotionalem Stress.
Beendigung der Therapie
Im Folgenden wird an verschiedenen Beispielen gezeigt, wie
Die Therapie kann dann beendet werden, wenn die trau-
die Trennung bzw. Scheidung der Eltern verlaufen kann, und
matischen Affekte bearbeitet sind, so dass sie nicht mehr
es werden prototypische Therapiebeispiele angeführt, die
ausgelöst werden können, wenn das Kind seine Eltern sieht,
zeigen sollen, in welchen Szenarien sich Kinder und Eltern
und es nicht erneut in Angst und Schrecken gerät, nur wenn
befinden können. Die vorkommenden Namen sind erfunden,
es mit den Eltern einen vollkommen unkomplizierten Kontakt
um die Anonymität der Personen zu gewährleisten.
25 »Idealfall« einer Scheidung
Die Lösung dieser stressvollen Situation besteht in einer
Es ist sehr hilfreich, immer zwischen der Paar-Ebene und der
Kinder-Spieltherapie mit begleitenden Elterngesprächen.
Eltern-Kind-Ebene zu unterscheiden.
Die Eltern selbst sollten zusätzlich auf der Paarebene ihre
Gehen wir von einem fiktiven »Idealfall« einer (fairen) Schei-
Paarkonflikte und Probleme durch eine Paarberatung oder
dung aus, dann lösen beide Partner ihre Partnerschaftskon-
Psychotherapie lösen. Im weiteren Verlauf zeigt sich, dass
flikte auf der Paarebene, so dass die Ebene der Eltern (ihr
aufgrund dieser therapeutischen Intervention (Kinder-Spiel-
Verhalten als Eltern) auf längere Sicht weitgehend frei von
therapie und Paartherapie) bei Jonas eine erhebliche Beruhi-
aggressiven oder depressiven Gefühlen bleibt. Das Kind hat
gung eintritt und die Symptome immer mehr verschwinden.
im besten Fall eine sichere Bindung zu beiden Elternteilen
Gewalttätiges Verhalten eines Elternteils
und nutzt diese Beziehung zu Mutter und Vater auch im
Lösen die Partner die Partnerschaftskonflikte auf der Paar-
freien Umgang mit ihnen. Beide Elternteile können vom Kind
ebene nicht, kann es zu massiven gewalttätigen Auseinan-
als sichere emotionale Basis genutzt werden, so dass das
dersetzungen zwischen ihnen kommen, mit körperlichen
Kindeswohl aufgrund der Bindungssicherheit in Bezug auf
Attacken, gegenseitigen Beschuldigungen und Beschimp-
beide Elternteile gewährleistet bleibt.
fungen. Das Kind bekommt, wenn es Zeuge solcher Gewaltausbrüche wird, Angst vor beiden Elternteilen. Im freien
Therapiebeispiel: Nadine
Umgang mit ihnen wird es befürchten, dass ähnliche Eskala-
Nadine hat eine sichere Bindung zu beiden Elternteilen. Beide
tionen wieder auftreten und auch es selbst betreffen könn-
Eltern sind ihrerseits sicher gebunden, so dass sie auch emo-
ten. Besonders die Bindung zu demjenigen Elternteil, der
tional in der Lage sind, Trauer, Angst, Wut auf der Paarebene
aggressiv und gewalttätig war, ist in der Regel hoch belastet
zu besprechen und auch zu klären. Sie tragen beide auf der
bis gefährdet, so dass das Kind beim Umgang mit diesem
Elternebene für die Angst und die Trauer des Kindes Verant-
gewalttätigen Elternteil nicht mit ihm allein sein sollte. Aber
wortung und gehen sehr fürsorglich mit ihm um. Auf diese
auch ein begleiteter Umgang mit dem bedrohlichen Elternteil
Art und Weise ist für Nadine ein relativ stressfreier Umgang
kann das Kind nicht vor den heftigen Affekten, die in ihm
mit beiden Elternteilen möglich.
ausgelöst werden, schützen. Ständig muss es doch auf der Hut sein und befürchten, dass der Täter wieder so aggressiv
Scheidung bei Partnerschaftskonflikt
werden könnte, wie es dies bereits als Zeuge erlebt hat; es
In einem solchen Fall lösen beide Partner die Konflikte auf
wäre überfordert, den damit verbundenen Stress alleine zu
der Paarebene nicht optimal. Es kommt auf der Elternebene
bewältigen.
(d. h. vor dem Kind und in Fragen der Elternschaft) deswegen zu verbaler Aggression, Streit und depressiven Stimmungen
Eine Unterbrechung des Umgangs mit dem gewalttätigen
– Probleme, die aus der Partnerebene stammen. Beide El-
Elternteil ist dringend indiziert. Das Kind sollte in der Kinder-
ternteile bedrohen einander und werden auch vom Kind als
psychotherapie sehr gut versorgt werden und seine inneren
bedrohlich erlebt, so dass dieses bei einem freien Umgang
Konflikte und Angsterlebnisse im kindlichen Spiel darstellen
mit beiden Elternteilen Angst hat. Die Bindung zu beiden
können. Eine psychotherapeutische Betreuung und Ver-
Elternteilen ist gefährdet, weil beide Bindungspersonen vom
sorgung für die Eltern ist ebenfalls notwendig. Allerdings
Kind in der emotional bedrohlichen Situation nicht als siche-
sind die Eltern oftmals nicht, oder erst sehr spät, zu einer
rer Hafen erlebt werden. Eine Lösung könnte darin bestehen,
Therapie bereit und streiten stattdessen auf der Paarebene
dass das Kind durch eine dritte Person – dies könnte auch
über ihre Rechtsvertretungen weiter. Dies bedeutet, dass
die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut sein – in
der damit verbundene Stress auch das Kind weiter extrem
seiner verunsicherten Bindungssicherheit stabilisiert wird.
belasten wird und in der Kinderpsychotherapie kaum erfolgreich bearbeitet werden kann, da der Paarkonflikt nicht
Therapiebeispiel: Jonas
gelöst wird.
Jonas‘ Bindung zu beiden Eltern ist unsicher, die Bindungsrepräsentation beider Eltern ist unsicher. Die Wut, die Angst
Therapiebeispiel: Jessica
und die Trauer auf der Paarebene kommen sehr deutlich auf
Jessica hat eine desorganisierte Bindung zu beiden El-
der Elternebene zum Ausdruck, indem die Eltern einander
ternteilen. Bei der Mutter ist eine Borderlinestörung mit
verbal aggressiv bedrohen und auch Jonas von solchen Be-
Suchtverhalten diagnostiziert, beim Vater eine narzisstische
drohungen nicht verschont bleibt. Der große Stress, den Jonas
Störung mit gelegentlichen manisch-depressiven Episoden.
erfährt, führt bei ihm unmittelbar zu Alpträumen, Einnässen,
Beide Eltern haben ungelöste traumatische Erfahrungen, die
Nägelkauen, Schulverweigerung, Bauchschmerzen und Sym-
auch in Interaktionen immer wieder wechselseitig durch das
ptomen der Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung.
Verhalten des jeweils anderen Partners getriggert werden
26 können, so dass es bei beiden zu suizidalen Drohungen,
Als Martin acht Jahre alt ist, entwickelt er eine dissoziale
Morddrohungen und selbstverletzendem Verhalten kommt.
Störung und zeigt Verhaltensweisen wie Lügen, Stehlen,
In solchen Situationen sind die Eltern weder in der Lage,
Weglaufen, Aggressionen gegenüber anderen, was schließ-
ihrem Kind einen äußeren noch einen inneren sicheren Rah-
lich zu einer stationären psychotherapeutischen Behandlung
men zur Verfügung zu stellen und es in der Bewältigung sei-
führt. Es wurde deutlich, dass Martin bei der Verarbeitung
ner Angst gut zu unterstützen. Hier muss mit den Eltern die
seines eigenen Traumas große Schwierigkeiten hatte und in
Herausnahme des Kindes aus der Familie und seine Pflege in
dieser Phase sehr litt, weil er mörderische Alpträume hatte,
einer Pflegefamilie besprochen und – bei fehlender Bereit-
die ihn immer wieder aus dem Schlaf hochschrecken ließen.
schaft der Eltern, kooperativ zu sein und Hilfen anzunehmen
In der Kindertherapie konnte Martin auf vielfältige Weise
– auch umgesetzt werden. Vater wie Mutter benötigen für
(z.B. in der Sandspieltherapie, sowie in kreativen Therapien
sich dringend individuelle psychotherapeutische Hilfe, ins-
wie Musik-, Kunst- und konzentrative Bewegungstherapie)
besondere wegen ihrer Persönlichkeitsstörungen. Parallel
geholfen werden, seine traumatischen Erfahrungen zu ver-
kann auch eine Möglichkeit der Paarberatung sehr hilfreich
arbeiten. Der Umgang der Eltern mit Martin wurde für die
sein, damit die Eltern besser verstehen, wie ihre individuel-
Dauer der Traumatherapie durch richterlichen Beschluss
len psychischen Störungen auf der Paarebene eskalieren.
ausgesetzt, damit der Junge durch die Begegnung mit sei-
In unserem Therapiebeispiel zeichnet sich nach einiger Zeit
nen Eltern nicht immer wieder neu an seine stressvollen,
ab, dass Jessicas Mutter und Vater bereits nach wenigen
lebensbedrohlichen Erfahrungen erinnert werden sollte (s.
Stunden Psychotherapie ihre Affekte wesentlich besser kon-
hierzu beispielhaft auch einen Beschluss des Amtsgerichts
trollieren können, deswegen auch weniger agieren, ruhiger
Westerstede vom 30.04.2009, 81 F 1205/06 OS, 81 F 1205/06) 1
miteinander sprechen können und seltener dem anderen sehr entlastet und unmittelbar zu einer Verminderung ihrer
Bindungstraumatisierung durch erzwungenen Umgang
Symptome geführt.
Jegliche Form von Zwang aktiviert Angst und damit das Bin-
mit Selbstmord drohen. Diese Veränderung hat auch Jessica
dungsbedürfnis des Kindes. Es ist ein Paradoxon, dass – nach
Therapiebeispiel: Martin
den Urteilen von Richtern – der Umgang mit einem Elternteil
Vater wie Mutter haben eine Bindungsstörung mit Aggres-
oder beiden Eltern durch Zwang herbeigeführt werden soll,
sivität, d.h. sie suchen über aggressive Auseinandersetzun-
möglichst auch noch von sicher gebundenen Pflegepersonen.
gen Nähe zueinander; diese können sie über die Gewalt ge-
Diese ihrerseits würden aber ein Kind aus sich heraus nicht
genüber dem anderen auch gleichzeitig wieder vermeiden,
zu dem betreffenden Elternteil oder den Eltern bringen, weil
so dass sie sich vom anderen distanzieren können. Beide
sie doch wissen, dass es zuvor bei seinen Eltern Aggressivität
Elternteile wurden in ihrer frühen Kindheit traumatisiert.
und Gewalt – zumindest als Zeuge – erlebt hat. Es ist wichtig,
Martin ist schon von klein auf Zeuge der Gewalt zwischen den
dass Richter verstehen und anerkennen, dass eine sichere
Eltern geworden. Als er 6 Jahre alt ist, verprügelt der Vater die
Bindungsentwicklung zwischen Eltern und Kind – besonders
Mutter und Martin in einem solchen Streit, so dass beide in
nach einer Traumatisierung oder nachdem das Kind Zeuge
einer Klinik behandelt werden müssen. Die Mutter ihrerseits
traumatischer Geschehnisse war – nicht über Zwangsmaß-
hatte zuvor den Vater mit heißem Wasser überschüttet und
nahmen herbeigeführt werden kann. Es könnte geradezu zu
verbrüht. Martin kommt daraufhin in eine Pflegefamilie. Der
einer »Bindungstraumatisierung« des Kindes kommen, wenn
Vater und die Mutter möchten unbedingt Umgang mit Martin
der Umgang durch die Androhung oder die Durchsetzung von
haben. Nach einem Versuch eines begleiteten Umgangs ent-
Zwangsmaßnahmen forciert wird.
wickelt Martin massiv Symptome: Schreianfälle, Erstarren,
Ebenso wird ein erzwungener Umgang des Kindes mit sei-
Selbstverletzung, aggressiv-sadistische Verhaltensweisen
nen Eltern bei aggressiver Partnerschaftsbeziehung als hoch
gegenüber seinen Meerschweinchen. Er bekommt bei den
problematisch angesehen und von uns abgelehnt. Übermä-
kleinsten Grenzsetzungen immer häufiger Wutanfälle, in
ßige Stressreaktionen des Kindes im Rahmen des Umgangs
denen er seinen Kopf mit der Stirn auf den Boden schlägt.
zeigen sich manchmal unmittelbar, manchmal auch mit
Viele dieser Symptome sind als Ausdruck eines dissoziati-
einer Latenzzeit, oft in Symptomen wie Schlafstörungen, Ein-
ven Zustands bei großem inneren Stresserleben zu werten,
nässen, Alpträumen, aber auch darin, dass das Kind in Bezug
entstanden durch den Umgang bzw. Kontakt mit den Eltern,
auf seine Pflegeeltern immer mehr »aus dem Kontakt geht«,
weil Martin in dem Moment, in dem er seine Eltern sieht, die
indem es sich etwa zurückzieht und nicht mehr mit ihnen
er freudig erwartet, auch gleichzeitig wieder an die bedroh-
spricht. Jede Trennung – und jede Weiterentwicklung – des
lichen Auseinandersetzungen und die Gewalterfahrungen
Kindes muss mit Übergängen gestaltet sein – das Kind muss
erinnert und von Stress überflutet wird.
nach Möglichkeit entsprechend seinem Alter in einer neuen
27 Umgebung mit neuen Bindungspersonen mit ausreichend
abgelehnt. Schließlich verurteilte das Gericht den Vater zu
Zeit eingewöhnt werden, wie das folgende Beispiel zeigen
Zwangskontakten, zeitgleich entwickelte Felix schließlich
soll.
Asthmaanfälle. Eine ambulante Familientherapie mit den Eltern und Felix ergab, dass der Junge zwar gute kognitive
Fallbeispiel: Der Säugling Julia
Fähigkeiten besaß, um über den geplanten Kontakt mit dem
Julias Eltern, Herr und Frau P., haben sich getrennt, als der
Vater zu sprechen, dass aber der emotionale Stress bei der
Säugling acht Monate alt war. Der Vater hatte seit dem 6.
Begegnung mit dem Vater sehr ausgeprägt war und er über
Schwangerschaftsmonat eine neue Beziehung, wovon die
seine damit verbundenen Gefühle kaum sprechen konnte. Es
Mutter erst nach der Geburt erfuhr. Dies war für diese eine
wurde daher von uns empfohlen, Einzelgespräche mit Mutter
große Kränkung, sie entwickelte zunehmend mehr Ängste
und Vater durchzuführen und eine langsame Eingewöhnung
und depressive Verstimmungen. Julia wurde schon als Säug-
zwischen Vater und Felix herbeizuführen, während gleichzei-
ling immer mehr zur emotionalen Trösterin der Mutter. Im 10.
tig mit Felix in einer Einzeltherapie gearbeitet wurde.
Lebensmonat des Kindes forderte der Vater per Gerichtsbeschluss ein regelmäßiges Umgangsrecht mit seiner Tochter
Nach einem Gerichtsurteil 2 darf ein Vater nicht zum Um-
ein, die er gerne über das ganze Wochenende alle 14 Tage bei
gang mit seinem Kind gezwungen werden, wenn er diesen
sich haben wollte. Dies sollte ohne Eingewöhnung gesche-
ablehnt. Es wäre ein zukünftiges Ziel, dass ein entsprechen-
hen, da auch nach Ansicht des Richters Herr P. ja schließlich
des analoges Urteil auch für Kinder gefällt würde. Ein solches
der Vater des Kindes sei und damit auch eine wichtige Be-
Urteil müsste beinhalten, dass auch kein Kind zum Umgang
zugs- und Bindungsperson. Die gewaltsam herbeigeführte,
mit einem Elternteil oder einer Bindungsperson gezwungen
vom Gericht angeordnete Trennung von Mutter und Kind an
werden darf, wenn es dies ablehnt – aus welchen Gründen
den Umgangswochenenden — mit Übergabe des Kindes an
auch immer. Zwangsmaßnahmen erzeugen keine sichere
den Vater — führte zur Entwicklung von Schreistörungen,
Bindung, sondern können eine traumatische Erfahrung sein.
Essstörungen, Schlafstörungen bei Julia.
Rückführung der Kinder nach Gewalterfahrungen Die Eltern begaben sich dann in eine Paarberatung mit
Das Thema »Umgang und Rückführung« kann immer wieder
Mediation. Dem Vater wurde in wertschätzender Form, aber
mit den leiblichen Eltern oder auch mit den Pflegeeltern
auch sehr deutlich vermittelt, dass er eine wichtige zentrale
besprochen werden. Aus therapeutischer Perspektive ist
Bindungsperson für Julia werden könnte, dass Julia jedoch
vollkommen klar, dass an eine Rückführung des Kindes
Angst vor ihm habe, weil er zu diesem Zeitpunkt für sie noch
in die Primärfamilie überhaupt nur dann gedacht werden
keine sichere Bindungsperson sei. Das Ergebnis war schließ-
kann, wenn für das Kind äußere und innere Sicherheit ge-
lich, dass der Vater sich bereit erklärte, Julia zunächst im
geben sind. Zusätzlich müssen die Eltern, die zuvor durch
Beisein ihrer sicheren Bindungsperson, der Mutter, besser
Gewalt in der Partnerschaft ihre Kinder traumatisiert haben,
kennenzulernen, mit ihr viel zu spielen, sie zu wickeln und
durch eine eigene individuelle Psychotherapie eine neue
zu füttern, sie schlafen zu legen, zu trösten, bis all dies auch
psychische Orientierung und auch neue psychische Quali-
möglich war, wenn die Mutter für kurze Zeiten, die immer
täten entwickelt haben. Diese Veränderung muss durch eine
länger werden konnten, außer Haus war. Diese Form der
psychiatrisch-psychotherapeutische
feinfühligen Eingewöhnung ermöglichte es dem Vater, im-
entsprechend überprüft werden, denn nur dann ist für die
mer mehr auch zur sicheren Bindungsperson zu werden und
Kinder Sicherheit gegeben. Dies gilt ebenso für den Umgang
schließlich Julia – als ein erster Schritt – am Wochenende
der Eltern mit ihrem Kind, wenn dieser für die Zeit der Trau-
für einen Tag ganz bei sich in seiner Wohnung zu versorgen,
matherapie des Kindes ausgesetzt wurde (Brisch 2008).
Begutachtung
auch
allerdings noch ohne Übernachtung bei ihm. Durch die Form der schrittweisen Eingewöhnung Julias beim Vater fühlten
Prävention – das SAFE® -Programm
sich alle Beteiligten sicherer und Julia genoss zusehends das
Alle den beschriebenen verschiedenen Auswüchsen von
Zusammensein mit ihrem Vater.
Gewalt zwischen den Eltern, den traumatischen Erfahrungen von Kindern, die Zeuge dieser Gewalt werden oder sie selbst
Fallbeispiel: Der Umgang des Vaters mit seinem Sohn Felix
erfahren, könnte durch eine frühzeitige Prävention entge-
Felix‘ Eltern lebten nie zusammen. Der Junge hatte bis zum
gengesteuert werden. Aus diesem Grund haben wir das Programm »SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern« entwickelt,
10. Lebensjahr keinen Kontakt zum Vater. Jetzt war er in
in dem wir Eltern schon ab der 20. Schwangerschaftswoche
einer Entwicklungsphase, in der er den Kontakt mit dem
und bis zum Ende des ersten Lebensjahres ihres Kindes in
Vater wünschte. Dieser Kontakt wurde aber vom Vater
eintägigen, sonntäglichen Seminaren helfen, eine sichere
28 Bindung zu ihrem Kind zu entwickeln. Vor allen Dingen sollen durch die Teilnahme der Eltern am SAFE® -Programm psy-
in Zukunft so viele SAFE® -Mentoren ausgebildet sein werden und entsprechende SAFE® - oder andere Bindungsse-
chopathologisch auffällige desorganisierte Bindungen der
minare für Eltern anbieten, dass möglichst viele Kinder von
Kinder an ihre Eltern und sogar Bindungsstörungen, die zu
Anfang an eine sichere Bindungsentwicklung mit ihren Eltern
den manifesten emotionalen Störungen im ICD-10 gehören,
erleben und diese für den Rest ihres Lebens als Schutzfaktor
verhindert werden (vgl. www.safe-programm.de). Eine ausführliche Darstellung des SAFE® - Programms gibt das Buch
wirkt. Gleichzeitig wäre es wünschenswert, dass traumati-
SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern. Sichere Bindung
Traumata ein Risiko für die Bindungsentwicklung ihrer Kinder
zwischen Eltern und Kind (Brisch 2010d).
darstellen, und sich schon frühzeitig in einer Psychotherapie
sierte Eltern verstehen, dass ihre eigenen unverarbeiteten
Hilfe zur Verarbeitung ihrer Erfahrungen holen, bevor es zu
Ausbildung zum SAFE® -Mentor
einer Wiederholung von Gewalt in der Partnerschaft und mit
Viele psychosoziale Berufsgruppen, die mit Eltern und Kindern arbeiten, könnten sich zu einem SAFE® -Mentor
ihrem Kind kommt. Dies wäre eine gute Botschaft, da so ein
ausbilden lassen, wie z. B. Schwangerschaftsberaterin-
kann, die ja ein so grundlegendes stabiles Fundament der
nen, Hebammen, Stillberaterinnen, Krankenschwestern,
Persönlichkeitsentwicklung sind und sehr zur emotionalen
Geburtshelfer,
Psychologen,
Kinderärzte,
Kinder-
Beitrag zur Entwicklung sicherer Bindungen geleistet werden
und
Stabilität verhelfen und – wegen der Verbindung zur neu-
Jugendlichen-Psychotherapeuten. Auf lange Sicht ist es
gierigen Exploration – auch für die lebendige Erkundung der
wünschenswert – und eine konkrete Utopie –, dass möglichst viele ausgebildete SAFE® -Mentoren an vielen Stellen
Welt förderlich sind.
der Republik SAFE® -Kurse anbieten und den Eltern schon ab
Anmerkungen
der Schwangerschaft helfen, mögliche eigene traumatische
1 Im Internet zugänglich unter: http://www.lchbrisch.de/files/
Erfahrungen in einer individuellen Psychotherapie zu verar-
ag_westerstede_beschluss_ 30.04.2009_kindeswohl.pdf.
beiten, um sich dann emotional sicherer und feinfühliger mit ihrem Kind beschäftigen zu können (zu SAFE® -Mentoren
2 Vgl. den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1.4.2008, 1 BvR 1620/04.
vgl. Brisch 2010d, S.163 ff.).
Autor: Zusammenfassung
Karl-Heinz Brisch
Gewalt auf der Paarebene aktiviert ganz extrem die Bin-
Priv.-Doz., Dr. med. habil., ist Facharzt für Kinder- und
dungsbedürfnisse des Kindes. Da die Bindungspersonen
Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Psychotherapie,
selbst Quelle von Angst sind, entsteht eine pathologische
Psychosomatische Medizin sowie Nervenarzt und Psycho-
Bindung des Kindes an Opfer und Täter, das Kind entwickelt
analytiker, Lehranalytiker am Psychoanalytischen Institut
also eine Doppelidentifikation, die entsprechend unter-
Stuttgart, langjähriger Gastdozent am EZI
schiedliche Verhaltensweisen und Symptome zur Folge hat. Bei häuslicher Gewalt ist es notwendig, dass das Kind durch Inobhutnahme frühzeitig von seinen Eltern getrennt und in äußere Sicherheit gebracht wird. Wenn Kinder traumatische Erfahrungen gemacht haben – auch als Zeuge gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern –, ist auf jeden Fall eine intensive Psychotherapie indiziert. Zusätzlich ist eine gute emotionale Unterstützung des Kindes durch weitere Bindungspersonen hilfreich, wie Freunde, Verwandte, größere Geschwister, Erzieher, Patentanten, wenn diese Schutz und Sicherheit vermitteln können. In unserem stationären Behandlungskonzept sorgen wir bei solchen traumatisierten Kindern für eine intensive Psychotherapie (Brisch 2010b). Dies bedeutet, dass die Kinder an 4-5 Stunden Einzelpsychotherapie und mehrfach in der Woche an kreativen Gruppentherapien teilnehmen (Kunst-, Musik- und konzentrative Bewegungstherapie), um wieder emotionale Sicherheit zu erlangen und ihren traumatischen Stress zu verarbeiten. Weiterhin möchten wir die konkrete Utopie entwerfen, dass
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30
„Kinder im Blick“ (KiB ) Ein Breitband-Antibiotikum gegen Elternstreit… * Achim Haid-Loh & Samuel Sieber
1. Aktuelle Ausgangslage nach Trennung und Scheidung
Soweit zur Theorie - Doch wie kann in dieser Lage einzelnen
Laut statistischem Landesamt wird in Deutschland jede
geholfen werden? Das von Frau Prof. Walper und ihrem Team
dritte Ehe geschieden. Ehemalige Partner haben sich in den
an der LMU entwickelte Elternprogramm „Kinder im Blick“
alten Beziehungen nicht mehr wohl gefühlt und wollen neue
bietet hierauf eine spannende neue Antwort.
Eltern oder Elternpaaren noch nachhaltiger professionell
Wege in ihrem Leben gehen. Längst lässt sich feststellen, dass Trennungen und Scheidungen Teil der modernen Gesellschaft geworden sind. Immer wieder wird die Frage
1. KiB als Interventions- und Präventions- maßnahme mit Langzeitwirkung
gestellt, ob dieser Umstand für die Kinder zwangsläufig ne-
2.1. Psychosoziale Prophylaxe:
gative Folgen haben muss, wie man es früher angenommen
Als stringent eltern-pädagogische Maßnahme gegen ein
hat? Neueste wissenschaftliche Studien haben festgestellt,
eskalierendes Streitverhalten zwischen den Ex-Partnern
dass dies nicht so sein müsste, wenn es den Eltern gelänge,
und „Immer-noch-Eltern“ bietet der auf 6 Module aufge-
auch nach der Trennung in den vielfältigen Fragen wie Um-
baute Kurs „Kinder im Blick“ ein psycho-edukatives und
gangsrecht, Erziehungsstil und Personensorge zusammen
strukturiertes Verfahren für die betroffene Väter und
zu arbeiten und ihren Kindern Sicherheit, Zuwendung und
Mütter an. Die teilnehmenden Eltern können in diesem
Orientierung zu geben. Häufig jedoch sind ehemalige Partner
Kurs in getrennten, aber parallel laufenden Gruppen
aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage, anstehen-
prophylaktisch lernen, wie zum einen deeskalierendes
de Konflikte lösungs- und zukunftsorientiert zu bearbeiten
Verhalten zu einer spürbaren Entschärfung der Span-
und es kommt zu einem Zustand eskalierender Konflikte. In
nungen und Konflikte führt und wie zum anderen auch in
diesen Fällen, und das zeigt sich in der täglichen Arbeit mit
stressreichen und emotional angespannten Situationen
(hoch-)strittigen Trennungs- und Scheidungsfamilien, gera-
die Bedürfnisse der Kinder durch die betroffenen Eltern
ten die Bedürfnisse der betroffenen Kinder mehr und mehr
berücksichtigt werden können. Des Weiteren ermöglicht
in den Hintergrund. Insbesondere der Verlust des Blicks
der Kurs „Kinder im Blick“ den Teilnehmenden eine
auf die unmittelbare Situation der Kinder führt zu starken
grundlegende Haltungsänderung, in deren Folge eine
Belastungs- und perspektivischen Schädigungssituationen
Verbesserung ihrer Erziehungs- und Beziehungskompe-
(Walper; Fichtner; Normann(Hg.) 2011).
tenz und auch eine signifikante Verbesserung der ElternKind-Beziehung festzustellen ist (Krey, 2010).
Grundsätzlich gilt für Kinder wie auch für die getrennten Partner, dass die emotionale Belastung situations- und altersge-
2.2. Senkung des elterlichen Konfliktniveaus:
mäß bewältigt werden muss. Insofern bedeutet Trennung
Die Tendenz zur Abnahme der Konfliktintensität und – je
nicht nur, dass jedes Elternteil seinen individuellen Weg geht,
nach aktuellem Konfliktniveau – zur besseren Bewäl-
sondern auch, dass tragfähige Regelungen für die zukünftige
tigung der Trennung, führt mittel- bis langfristig auch
Perspektive der Kinder gemeinsam gesucht und gefunden
zur Vermeidung von gerichtlichen Verfahren wegen
werden müssen. Denn Eltern bleiben immer Eltern,
Alleinsorge und/oder Umgang. Selbst wenn solche
denn von seinen Kindern kann man sich nicht scheiden
Verfahren im Ergebnis nicht völlig zu vermeiden sind,
lassen! Und gleichfalls bleiben Kinder immer solche Kinder,
können sie schneller, einfacher und einvernehmlicher
denen nach auch elterlicher Trennung uneingeschränkt ein
beendet werden. In jedem Falle wird eine sich anschlie-
Bedürfnis nach Entwicklung und Förderung ihrer Autonomie
ßende (vielleicht gar gemeinsame) Beratung auf einem
zukommt.
höheren Motivationsniveau beginnen und sich zu bes-
* Zitat eines Vaters ein halbes Jahr nach Abschluß des KiB Kurses am Familienzentrum „Menschenskinder e.V“:, Berlin-Friedrichshain
31 seren Ergebnissen führen lassen. Die bei den Eltern zu
Ziele für die gemeinsame Erziehung und erste Ansätze
beobachtenden Veränderungen werden von dem Fami-
individuellen Umgangs („parallele Elternschaft“) erarbeitet.
liengericht in einem sehr positiven, konstruktiven Sinne wahrgenommen. In vielen Fällen kann der KiB-Kurs auch
3.3. Mein KIND und ICH:
ein „niedrig-schwelliges“ Angebot sein, sich der Notwen-
Die dritte Einheit stellt den Beziehungsaspekt zum Kind
digkeit einer individuellen am Kind orientierten Beratung
in den Vordergrund. In schwierigen Zeiten wie z. B. bei
oder Mediation vorsichtig zu nähern.
Trennung ist es wichtiger denn je, die „wertvolle Zeit“ mit dem Kind gut zu nutzen. Durch die positive Erfahrung
2.3. Selbsthilfe-Effekte:
des „beschreibenden Lobes“ durch den Elternteil – also
In der Durchführungspraxis und Didaktik macht beson-
der achtsamen Wertschätzung des kindlichen Handelns
ders die angewandte Methodenvielfalt den Kurs „Kinder
– kann das Selbstvertrauen des Kindes und die Eltern-
im Blick“ zu einem empfehlenswerten Hilfsangebot für
Kind-Beziehung gestärkt werden.
sich trennende Eltern. Neben Kurzvorträgen, „Geh-HeimTips“, Rollenspiele, einem angeleiteten Erfahrungsaus-
3.4. Wenn mein Kind unangenehme Gefühle hat:
tausch und Gruppenarbeit erzeugen die Aspekte der
Auch im Mittelpunkt der vierten Einheit steht die Bezie-
Selbsterfahrung und der Eigenreflexion bei den Eltern
hungspflege zum Kind. Hier soll durch eine Art „Emoti-
die beobachtbare Nachhaltigkeit in einer modifizierten
onscoaching“ das Zuhörverhalten der Eltern und der
und entspannteren Eltern-Eltern und Eltern-Kinder-
Umgang mit schwierigen Gefühlen der Kinder erprobt
Beziehung. Aus der Wahl von sogenannten „Tandem-
und gestärkt werden. Es ist hilfreich, die kindlichen Ge-
Partnern“ aus der Gruppe der teilnehmenden Eltern
fühle ernst und wahrzunehmen zu können, um damit die
ergeben sich ebenso wie aus den häufig noch lange über
Fähigkeiten zur Gefühlsregulation auch in schwierigen
das Ende des Kurses hinaus fortbestehenden KiB-Eltern-
oder spannungsträchtigen Situationen auch beim Kind
Stammtischen weitere Selbsthilfe-Wirkeffekte.
selbst zu fördern. Zudem soll das Autonomiestreben des Kindes durch die konkrete Unterstützung kindlicher
3. Das Angebot im Einzelnen:
Lösungsideen unterstützt werden.
Der Kurs „Kinder im Blick“ gliedert sich in 6 Einheiten, in deren Zentrum die Fragen der Trennung, der Beziehungsgestaltung
3.5. Wir haben etwas gemeinsam: UNSER KIND
zum Kind, der jeweiligen Zukunftsperspektive und der Annah-
Im Fokus der fünften Einheit steht die Sensibilisierung
me der gemeinsamen elterlichen Verantwortung in Form einer
der Eltern für die Auswirkungen konfliktgeladener und
an den kindlichen Bedürfnissen orientierten „Arbeitsgemein-
destruktiver Verhaltensformen (z. B. gegenseitige Ab-
schaft“ bzw. eines „Elternteams“ steht (Bröning, 2009). Im
wertung der Eltern oder neuer Partner). Gleichfalls stellt
Folgenden soll kurz auf die zentralen Themenschwerpunkte
sich die Frage, wie kann Kommunikation auch in emotio-
der jeweiligen Einheiten hingewiesen werden:
nal aufgeladenen Gesprächen zwischen dem jeweiligen Elternteil und dem/der „Ex“… zu einer positiven Lösung
3.1. ICH-WIR-unser KIND:
führen? Anhand der Modelle der Eskalationsstufen von
In der ersten Einheit lernen sich Kursteilnehmer und
Konflikten in der Friedensforschung, des „Gefühlsstru-
Kursleiter kennen. Neben der Darstellung der aktuellen
dels“ und der „hilfreichen inneren Kommentare“ werden
Konflikte werden erste Lösungsstrategien wie beispiels-
den Eltern individuelle Strategien der Deeskalation und
weise die „Achterbahn der Gefühle“ und der „Pausen-
der Konfliktlösung vermittelt.
knopf“ vorgestellt. Zudem stehen die Bedeutung der Selbstfürsorge („Inseln im Stressmeer“) und die Frage im
3.6. ICH-WIR-unser KIND: Gegenwart und Zukunft
Mittelpunkt, was Kinder in Trennungssituationen beson-
Die abschließende Einheit dient zum einen dazu, einen
ders belastet und welche Bedürfnisse („Sicherheit, Ori-
Rückblick auf die vergangenen Einheiten zu geben, um
entierung, Achtsamkeit …“) in diesem Zusammenhang
die vermittelten Inhalte und ihren Transfer in den Alltag
erfüllt werden sollten.
mit den Kindern zu verfestigen. Zum anderen dient die Einheit dazu, Gegenwart und Zukunft
3.2. Meine Ziele für mein Kind:
der getrennten Familiensituation zu beleuchten, um als
Im Mittelpunkt der zweiten Einheit steht der gemeinsame
Eltern den Rollenwechsel vom sich liebenden Elternpaar zu
Ausblick in die Zukunft („Leitstern“ meiner Erziehung …) und
einer kooperativen Arbeitsgemeinschaft bzw. zu paralleler
der Blick auf den respektvollen Umgang mit den Bedürfnis-
Elternschaft zu erreichen, der letztendlich den Blick auf die
sen der Beteiligten. Hier werden die Fragen der Werte und
Bedürfnisse der Kinder erst wieder ermöglicht.
32 4. Wissenschaftliche Begleitforschung und Evaluation
„Ich wollte etwas für das Familienleben mit meinen Kinder
Der Kurs „Kinder im Blick“ wird seit mehreren Jahren durch die
fröhlich und ausgleichend. In dem Kurs habe ich gelernt,
Ludwig-Maximilians-Universität in München wissenschaftlich
dass die Kinder sehr gute Diplomaten sind und sich bei
begleitet. Die Auswertung der Evaluation zeigt neben einer
Vater und Mutter oft anpassen. Für eine gute Zeit mit den
deutlichen Verbesserung der Beziehung und Kommunikation
Kindern lohnt es sich, sich über die Rollenspiele in sie hi-
zwischen Eltern und Kindern auch eine maßgebliche Redukti-
nein zu versetzen, um zu erfahren, wie es ihnen vielleicht
on der Konfliktintensität im Trennungspaar. Vielfach hat sich
innerlich geht. Toll war, dass im Kurs Männer und Frauen
nachweisen lassen, dass Eltern durch die Teilnahme am Kurs
waren und wir unsere Ideen austauschen konnten.“ (Felix
gelernt haben, die eigenen, aber auch die Bedürfnisse der Kin-
K. 3 Kinder)
der, besser wahr zu nehmen. Insbesondere dieser Aspekt hat
“Das “Beschreibende Lob” ist der Hit geworden in unseren
nachhaltige Auswirkungen auf die bekannten Belastungen der
Familien…“
Kinder in Trennungssituationen. Kinder, die von ihren Eltern
so begann eine Mutter aus dem KiB Kurs am Familienzen-
– trotz deren akuter emotionaler Belastung – ein Gefühl der
trum Friedrichshain Ihren Rückblick ein halbes Jahr nach
Sicherheit und Orientierung erhalten, sind besser in der Lage
Kursabschluß auf Ihren Familienalltag mit vier Kindern (18J +
mit den Problemen der Trennungsbewältigung umzugehen.
13 J.+ 8J + 2,5 Jahre) und sie meinte damit nicht die Familien
Die Vermittlung dieser Fähigkeiten konnte durch die Evalua-
Ihrer Tandem-Partner oder anderer Eltern in der Gruppe ,
tion uneingeschränkt nachgewiesen werden. Weiter hat die
sondern Ihre eigene Patchworkfamilie mit neuem Partner
Evaluation ergeben, dass der Nutzen des Elterntrainings dann
und die Fortsetzungsfamilie Ihres Ex-Mannes mit Stiefmutter
besonders hoch gewesen ist, wenn beide Eltern in parallelen
- ihr Ex hatte nämlich das Programm in der Parallelgruppe
Gruppen am Kurs „Kinder im Blick“ teilnehmen konnten (vgl.
ebenfalls besucht.
nach der Trennung wissen. Die Kinder sind nach wie vor
Krey, 2010) In Zusammenhang mit dem elterlichen Wohlbefinden, der Abnahme der Konfliktintensität und der positiven
5. Kostenfolgen und Fazit
Bewertung der Bewältigungsstrategien für die betroffenen
Grundsätzlich bietet das Programm nicht nur eine Anleitung
Kinder konnte im Gegensatz zur Vergleichsgruppe eine signifi-
zur Selbsthilfe. Die Teilnehmenden lernen unter entwick-
kante Verbesserung der Konfliktintensität nachgewiesen wer-
lungspsychologischer Aspekten einzuschätzen, wie wichtig
den. Zugleich können mit günstigerer Prognose mittel- und
und wertvoll die Übernahme ihrer speziellen elterlichen
langfristige Schwierigkeiten und Folgeschäden für die Kinder
Verantwortung gerade im Moment der Trennung für alle
vermieden werden.
Beteiligten ist.
Besonders interessant sind auch immer wieder die Rück-
•
So bietet der Kurs vielfältige Möglichkeiten der Reflexion
meldungen der Eltern, die durch die Familiengerichte in KiB-
und des Austauschs, in dessen Folge übergreifende
Programme verwiesen werden. Durchgängig beschreiben
Haltungsveränderungen ermöglicht werden und im
diese Eltern - nach anfänglicher großer Skepsis - dass sie viel
alltäglichen Umgang mit den Kindern und Jugendlichen auch Verhaltensänderungen wahrzunehmen sind.
Wissenswertes und gute praktische Tipps aus den Kursen mitnehmen. Nicht selten kommen deshalb gerade diese Eltern
•
Weiterhin können kostenintensivere Maßnahmen der
anschließend auch freiwillig in die Einzel- oder Elternberatung
Jugendhilfe, wie HzE oder Interventionen wegen Kindes-
der Erziehungs- und Familienberatungsstelle.
wohlgefährdungslagen, tendenziell vermindert werden, da langfristigen Schädigungen der Kinder auf Grund ei-
Zwei Äußerungen einer Mutter und eines Vaters aus einem
ner chronifizierten, konflikthaften Auseinandersetzung
KiB-Kurs im Familien-Notruf (nach: Normann, 2011) sollen
ihrer Eltern vorgebeugt wird bzw. deren Ausmaß und
dies stellvertretend für viele andere Rückmel-dungen bebil-
Folgen abgemildert werden.
dern:
•
Zuletzt können die Belastungen der Familiengerichte durch eine Vielzahl meist unnötiger gerichtlicher An-
„Anfangs fand ich es ziemlich unangenehm, an einem
träge vermieden werden, da die Eltern oftmals früher
solchen Kurs teilnehmen zu müssen. Ich dachte: ich
in der Lage sind, Konflikte mit Hilfe von Beratung oder
schau mal vorbei und wenn es mir nicht gefällt gehe ich
Mediation auch einvernehmlich zu lösen.
nicht mehr hin. Und jetzt am Schluss finde ich es ziemlich genial: hier habe ich Menschen getroffen, die ähnliche
Insofern lässt sich resümierend feststellen, dass dieser Kurs
Situationen erleben wie ich, es gab ein gutes Konzept und
für die Eltern viel mehr bietet als nur eine hilfreiche Beglei-
ich habe viel mitgenommen für die Beziehung mit meinen
tung in Krisenzeiten für die unmittelbar Betroffenen.
Kindern......“ (Sandra S., 2 Kinder)
33 6. Literatur
7. Kontakt
Bröning, Sonja: Kinder im Blick : theoretische und empirische Grundlagen eines Gruppenangebotes für Familien in konfliktbelasteten Trennungssituationen ; [Dissertation]. – Münster [u.a.] : Waxmann, 2009. (Internationale Hochschulschriften)
KiB-Trainer-Team am Familienzentrum „Menschenskinder-Berlin“: Achim Haid-Loh & Dr. Cornelia Holldorf, Elke Fernholz & Dr. Samuel Sieber c/o. Familienzentrum Menschenskinder-Berlin gGmbH Fürstenwalder Straße 30 10243 Berlin
[email protected] oder: www.ezi-berlin.de
Dietrich, Peter S.; Fichtner, Jörg; Maya Halatcheva, Eva Sandner, Matthias Weber: Arbeit mit hochkonflikthaften Trennungs- und Scheidungsfamilien : eine Handreichung für die Praxis. - München : DJI [u.a.] ; Berlin : BMFSFJ, 2010. Hetherington, E. Mavis; Kelly, John: Scheidung, die Perspektiven der Kinder. – Weinheim ; Basel : Beltz, 2003. Krey, Mari: Der Elternkurs ‚Kinder im Blick‘ als Bewältigungshilfe für Familien in Trennung : eine Evaluationsstudie. - Berlin : Verl. Köster, 2010. (Wissenschaftliche Schriftenreihe Psychologie ; 20, D 19) Wallerstein, Judith S.; Lewis, Julia M.; Blakeslee, Sandra: Scheidungsfolgen – die Last tragen die Kinder : eine Langzeitstudie über 25 Jahre. – Münster : Votum, 2002. Walper, Sabine; Fichtner, Jörg; Normann, Katrin [Hrsg.]: Hochkonflikthafte Trennungsfamilien : Forschungsergebnisse, Praxiserfahrungen und Hilfen für Scheidungseltern und ihre Kinder. - Weinheim ; München : Juventa, 2011. Walper, Sabine; Schwarz, B. [Hrsg.]: Was wird aus den Kindern? : Chancen und Risiken für die Entwicklung von Kindern aus Trennungs- und Stieffamilien. – 2. Aufl. - Weinheim ; München : Juventa, 2002. Weiterführende Informationen:
www.kinderimblick.de
Kontakt für Ausbildungsfragen und wissenschaftliche Begleitforschung: Dipl.-Soz.-Päd. Katrin Normann Familien-Notruf-München Pestalozzistraße 46, 80469 München www.familien-notruf-muenchen.de
34
Prävention zum Schutz vor sexuellen Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt in der Kirche als integraler Bestandteil von Aus- und Fortbildung und Personalentwicklung kirchlicher Mitarbeitenden Dieter Wentzek
Freiwillig beschäftigen wir uns nicht gerne mit dem Thema sexuelle Gewalt. Wir wissen, dass es vorkommt in der Kirche, aber wir hoffen und wünschen, dass es nicht bei uns geschieht und nicht hier und jetzt. Und eigentlich halten wir es bei den Menschen, die wir kennen, auch für völlig ausgeschlossen. Wenn dann ein entsprechender Verdacht im Raum steht, sind wir ziemlich hilflos und sprachlos. Uns fehlt die professionelle Übung im Umgang mit solchen Fällen, uns fehlen die passenden Worte, fehlen erprobte Verhaltensregeln, es mangelt an geeigneten Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner. Vor allem aber lähmt die Vorstellung, dass etwas dran ist an dem Verdacht. Die Fantasie sträubt sich gegen die Bilder, die auftauchen von möglichen Täter und möglichen Opfern. Was nicht sein darf, nicht sein kann. (Gedanken eines Pfarrers, der sich an den Fall eines sexuellen Übergriffs eines Amtskollegen auf einen Jugendlichen in seinem Kirchenkreis erinnert. Die dienstrechtlichen Sofortmaßnahmen des verantwortlichen Superintendenten riefen bei den Kollegen und der Kirchenleitung ein ganzes Spektrum von Reaktionen, von Unterstützung, Ablehnung, Unverständnis, Solidarisierung mit dem Täter und Verharmlosung hervor. Gesamttendenz: Persönliche Unsicherheit und Sorge um das Image von Kirche.)
1.
Wo stehen wir in der Evangelischen Kirche im Diskurs zum Thema „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Institutionen“?
Etwa zur gleichen Zeit wurde sexuelle Gewalt in Familien in breit angelegte Studien untersucht und das Thema dadurch in die fachliche Öffentlichkeit gebracht. Durch die Skandale der letzten Jahre ist Kirche und Schule als Ort von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen
Die notwendige Enttabuisierung des Themas „Sexualisierte
stärker in den Blick gekommen. Warum erst jetzt?
Gewalt in der Kirche“ und das Brechen des Schweigens be-
Vielleicht weil traumatisierte Opfer lange brauchen, bis sie
gann ja nicht erst, seitdem Missbrauchsopfer in Kirche und
die Mauer des Schweigens brechen. Bei den Kriegskindern
Schule in großer Zahl an die Öffentlichkeit gingen.
und ehemaligen Heimkindern ist das deutlich geworden.
Bereits vor etwa 15 Jahren wurde es in einigen Landeskirchen
Das Schweigen, die Sprachlosigkeit und Verheimlichung
insbesondere von Frauenreferaten und Gleichstellungsbe-
gehören offenbar mit zu den Bewältigungsmechanismen der
auftragten thematisiert - fokussiert auf sexuelle Belästigung
vom Opfer erlittenen seelischen Verletzungen.
und Ausbeutung von Frauen - und in Handlungskonzepte
Wird einmal das Schweigen gebrochen, werden andere
von Prävention und Intervention umgesetzt (z.B. in der EKvW
ermutigt zu reden.
(Westfalen).
35 Außerdem erleben wir in der Debatte um Opferschutz,
Ein Blick auf die katholische Kirche, die unter größerem
Bestrafung, Entschädigung und Therapie unterschiedliche
öffentlichen Druck schon früher Maßnahmen ergriffen hat:
Phasen von medialer, politischer und fachlicher Aufmerk-
In den Richtlinien zur Prävention des sexuellen Missbrauchs
samkeit.
und sexueller Übergriffe in der Diözese Fulda wird ausge-
Momentan befinden wir uns im Übergang von der Skandali-
führt:
sierung zur Versachlichung.
„Kirche ist die Gemeinschaft der Glaubenden, in dieser
So hat in der heißen Phase der öffentlichen Diskussion die
Gemeinschaft sollen besonders Kinder und Jugendliche ein
EKD nach Bundesregierung und katholischer Kirche – mit
ganzheitlichen Ort der Entwicklung und Entfaltung finden.
heißer Nadel auch eine hot-line eingerichtet, an die sich
Dafür brauchen sie geschützte Räume … Wenn junge
Betroffene wenden können (sie wurde nur sehr wenig in
Menschen sich öffnen, machen sie sich verletzlich. Dort wo
Anspruch genommen).
für solche Gemeinschaftserfahrungen junge Menschen Ver-
Die EKD hat sich ebenso beteiligt an dem Runden Tisch,
trauen wagen, kann dies missbraucht und verletzt werden.
der von drei unterschiedlich beteiligten Ministerien (Familie,
Damit diese Verwundbarkeit von jungen Menschen nicht
Justiz, Bildung und Forschung) gemeinsam eingerichtet
ausgenutzt wird, braucht es klare Regeln und Verhaltens-
wurde. Zentrale Themen sollten die Fragen von Prävention,
standards. Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit muss ein
Intervention, dem rechtlichen Umgang und Umgang mit
verlässlicher und sicherer Ort für die Anvertrauten sein“.
Verdachtsfällen sein. Forschungsprojekte und Konsequen-
Die Auseinandersetzung mit diesem Themenbereich ist
zen für Aus-, Fort- und Weiterbildung wurden bedacht, mit
integraler Bestandteil der Aus- und Fortbildung von Pries-
Experten diskutiert und in Auftrag gegeben.
tern, ständigen Diakonen sowie pastoralen Mitarbeiterinnen
Eine Neuauflage der groß angelegten Prävalenzstudie „Se-
und Mitarbeitern … Ein entsprechendes Curriculum ist zu
xueller Missbrauch im Kinder- und Jugendalter“ im Jahr 1992
erarbeiten, durch dass Kleriker und die pastoralen Mitarbei-
(Dunkelfeldforschung) (Prof. Pfeiffer/ KFN/ DJI) bezieht nun
terinnen und Mitarbeiter für die Fragen und Probleme, die im
neben Familie auch Institutionen (Schule, Heime, Kirchen,
Kontext der hier benannten Problematik entstehen können,
Gesundheitseinrichtungen) mit ein.
sensibilisiert werden. Darüber hinaus sollen sie befähigt wer-
Ende 2011 legte der Runde Tisch den Abschlussbericht
den, angemessen mit Grenzsituationen umzugehen. Dies er-
„Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeit- und Macht-
fordert eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik
verhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und
der eigenen sexuellen Identität im Kontext seelsorgerlicher
im familiären Bereich“ vor. Der Beauftragte der Bundesregie-
Beziehungen“. (Präventionsleitlinien der Diözese Fulda,2010,
rung Rörig überwacht die Umsetzung der Empfehlungen zu
www.bistum-fulda.de)
Prävention und Intervention in allen betroffenen Bereichen. Ist die katholische Kirche schon weiter als unsere Kirche, Mit Beschluss der Kirchenkonferenz am 24.3.2011 wurde die
weil sie stärker betroffen ist? Wie stark ist die Evangelische
Konferenz „Prävention, Intervention und Hilfe bei Verletzung
Kirche betroffen?
der sexuellen Selbstbestimmung“ (PIH-K) ins Leben gerufen.
Die EKD hat sich seit 2002 bemüht einen Überblick zu er-
Seit dem kommen Verantwortliche in den Ansprechstellen
halten, wie viele Missbrauchsfälle in Landeskirchenämtern
der Gliedkirchen für Opfer sexuellen Missbrauchs zu einem
bekannt geworden sind. Für den Gesamtzeitraum von etwa
regelmäßigen Erfahrungsaustausch zusammen. Zu dieser
13 Jahren haben die Landeskirchen insgesamt 183 Fälle ge-
Gruppe gehören auch Mitarbeitende des Diakonischen Werks
meldet, und zwar sog. „Personalvorfälle“, i. d. R. also Täter-
der EKD sowie Vertreter der evangelischen Beratungsarbeit,
zahlen. Man muss allerdings damit rechnen, dass viele von
die in ihren Gliedkirchen Interventions- und Hilfsangebote im
ihnen sexuelle Übergriffe auf mehreren Menschen begangen
Bereich sexueller Missbrauch und Gewalt koordinieren und
haben, so dass die Zahl der Opfer wesentlich darüber liegt.
anbieten.
Täterinnen sind, so weit wir wissen, in den Landeskirchen
Mittlerweile hat die Kirchenkonferenz den Auftrag erteilt, ei-
im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen nicht bekannt
nen Präventionsleitfaden für EKD, Gliedkirchen und Diakonie
geworden.
zu erarbeiten.
Pfarrer und Vikare sind an dem bekannt gewordenen
Insbesondere sollen „Muster–Fortbildungsmaßnahmen und
Missbrauchsfällen ungefähr zur Hälfte (53 %) beteiligt. Die
Muster–Ausbildungsmodule“ entwickelt und standardisiert
Dunkelziffer ist allerdings groß und ein systematisch befrie-
werden und zusammen mit zuständigen Kräften der Gliedkir-
digendes Abfrageraster wird noch erarbeitet .
chen für ihre Verbreitung und Anwendung gesorgt werden.
36 2. Wie wird der Schutz- und Vertrauensraum Kirche zum Täter-Ort, an dem Grenzver- letzungen und sexuelle Gewalt möglich werden?
2.2.
Meist steht bei der Betrachtung von sexuel-
lem Missbrauch das Persönlichkeitsprofil des
Missbrauchenden im Vordergrund.
Der Beitrag, den Institutionen auf Grund ihrer Dynamik, Strukturen und speziellen Organisationskultur zu diesen
Dazu einige psychologische und organisationstheoretische
sexuellen Übergriffen ihrer Mitarbeiter leisten, wird wenig
Aspekte:
und unzureichend thematisiert. Beispielsweise haben Institutionen eine Tendenz, „Kartelle
2.1.
Die Täter – Wie konnte es dazu kommen? Was
des Schweigens“ zu begünstigen und strukturell zu etablie-
hat den Täter oder auch die Täterin bewegt?
ren. Das gilt für die Familie wie für die anderen gesellschaft-
Im Bereich der Sexualdelikte gibt es kein typisches Täterprofil.
lichen und sozialen Verbände wie Kirchen, Vereine, Internate
Täter finden sich in allen sozialen Schichten, auf allen Bil-
usw.
dungsniveaus und in jeder Altersgruppe. Es sind unauffäl-
Dies geschieht durchaus bewusst, aber auch unbewusst,
lige, gute Bürger, gebildet, verantwortlich, ja auch religiös.
durch Gruppenprozesse und eine besondere Kommunika-
Auch die lange Zeit herrschende sog. Triebstautheorie zur
tions- und Interaktionskultur in kirchlichen Institutionen.
Erklärung sexueller Gewalt gilt als überholt.
Der existentielle Wunsch des Menschen, von anderen an-
Sexualdelikte sind nicht primär sexuelle Akte unter einem
erkannt zu werden und zu einer Gruppe zu gehören, lässt
vermeintlich unkontrollierbaren Triebdruck, sondern Gewalt-
ihn wesentliche Aspekte seiner Idealvorstellungen auf die
akte. Mittels der Sexualität werden Macht- und Überlegen-
Gruppe übertragen, in der er sich zugehörig fühlt (Vertrauen).
heitsbedürfnis gewalttätig ausgelebt oder Ohnmacht- und
Werden von Mitgliedern der Gruppe Verbrechen begangen
Unterlegenheitsgefühle gewalttätig
kompensiert. Darum
und Grenzüberschreitungen, so kommt es zu einem Zusam-
wird in der Fachliteratur auch gelegentlich von sexualisierter
menbruch der Idealvorstellungen. Der Versuch, sie aufrecht
und nicht von sexueller Gewalt gesprochen.
zu erhalten und damit den eigenen Ort der Beheimatung zu
Beim sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und Abhän-
schützen, fördert die Neigung, das Geschehene zu verdrän-
gigen, zu denen ich auch Menschen mit Behinderungen zäh-
gen oder zu verleugnen, wegzuschauen, es nicht wissen
le, geht man davon aus, dass der Täter kein erwachsenes,
zu wollen oder es gar zu rechtfertigen. Dazu regt sich die
reifes Verhältnis zu seiner eigenen Sexualität entwickelt hat.
Urangst des Menschen, aus einer Gruppe ausgeschlossen
Täter mit einer pädosexuellen Veranlagung suchen gezielt
zu werden, was zumindest in der Vorstellung unweigerlich
Arbeitsfelder auf, die einen möglichst unauffälligen Kontakt
passieren würde, wenn er versucht, die Mauer des Schwei-
zu Kindern und Jugendlichen ermöglichen.
gens zu brechen. Diese Dynamik haben wir bei den jüngsten Fällen von sexu-
Nachgewiesen ist auch ein Zusammenhang zwischen früher
eller Gewalt in der Kirche und in kirchlichen Internaten ex-
erlittener sexueller Gewalt und der aktuellen Gewaltbereit-
emplarisch vor Augen geführt bekommen. Da ging es immer
schaft beim Täter.
darum, die vermeintlichen Ideale der jeweiligen Gruppe zu
In der Forschung geht man davon aus, dass Delikte gegen
verteidigen und zu schützen, um jeden Preis.
sexuelle Selbstbestimmung innerhalb von Institutionen nur
Dadurch wurden die Opfer ein weiteres Mal angegriffen,
zu 10 % von Frauen ausgeübt werden.
geschädigt und in ihrem Glauben an die Verlässlichkeit von Beziehungen erneut zutiefst erschüttert.
Zusammenfassend lassen sich einige situative Merkmale
Außerdem erleiden die Ideale der Institutionen schweren
benennen, die eine latente Gewaltbereitschaft eher manifest
Schaden. Die Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit von
werden lassen:
Kirche und ihrer Repräsentanten steht auf dem Spiel.
•
Machtgefälle und Abhängigkeitsverhältnisse,
•
persönliche Erfahrungen früher erlittener Gewalt auf
„Sexuelle Übergriffe durch kirchliches oder diakonisches
der Täterseite und
Personal werden von den Betroffenen und der Öffentlichkeit
persönliche Schwäche und Verletzbarkeit auf der Opfer-
als noch gravierender erlebt, als sie es ohnehin sind. Ob es
seite und
uns passt oder nicht, die ethischen Standards werden bei
fehlende soziale Kontrolle und Öffentlichkeit.
kirchlichem Personal höher angesetzt. Die Bereitschaft,
• •
innerhalb des kirchlichen Raums vorbehaltlos Vertrauen zu Im kirchlichen Kontext profitieren die Täter von einem ge-
schenken, ist größer. Pfarrerinnen und Pfarrer kennen das
wissen Amtsschutz, vom Vertrauensvorschuss und einer
von den überhöhten Erwartungen, die Gemeinden – oft un-
gewissen Gehorsamsbereitschaft der potentiellen Opfer.
reflektiert – an ihr privates und berufliches Verhalten haben.
37 In diesem Sinne gibt es nicht nur einen Amtsbonus, sondern
•
auch einen Amts-Malus.
mit das Thema aus der Tabuzone geholt und das Schwei-
Wenn bei nüchterner Betrachtung zwar immer konzediert wird, dass auch Pfarrerinnen und Pfarrer nur „Menschen
Welche Entwicklungsschritte sollen gefördert werden, dagen gebrochen wird?
•
Was braucht es, dass der professionelle Umgang mit die-
wie Du und Ich“ sind, auf einer anderen, weniger rationalen
sem Thema ein integraler Bestandteil der beruflichen Rolle
Ebene werden sie als Experten für die Moral und das Heilige
wird?
betrachte, die durch ihre vermutete Nähe zu diesen Sphären weniger menschlich, d.h. weniger fehlbar sein sollten. Sind
3.1. Entwicklung von Beziehungskompetenz
sie es doch, so wird das als tiefe Enttäuschung und Kränkung
erlebt mit Auswirkungen auf das idealisierte Bild von Kirche
Seelsorger und Pädagogen sind Beziehungsarbeiter, sie
und - was schlimmer ist – auf die eigenen Glaubenshal-
arbeiten in und mit verlässlichen und vertrauensvollen
tungen. Von religiösen Gewaltopfern wissen wir, dass ihre
ziehungen.
Gewalterfahrung sie in tiefste Glaubenszweifel stürzt.“
Darum ist Selbstreflexion und Selbsterfahrung wichtig, in der
(Sigrid Häfner, Dienstlicher Umgang mit Anschuldigungen
das Verhältnis zwischen Nähe und Distanz in der professio-
von sexualisierter Gewalt und sexueller Belästigung, 9/2004
nellen Beziehung geklärt wird, konkreter : das Verhältnis von
epd-Dokumentation, S. 7f)
Zuwendung zu den anvertrauten und schutzbefohlenen Kin-
Dies gilt übrigens in gleicher Weise für alle anderen kirchli-
dern und Jugendlichen und den Verletzungen ihrer Integrität
chen Mitarbeitenden.
in der pädagogischen Beziehung.
und Kontaktfähigkeit Be-
Wie achte ich die Grenzen bei mir und bei anderen? Ein anderer wichtiger Aspekt:
Wann überschreite und verletzte ich Grenzen bei mir und bei
Man weiß, dass besonders im beruflichen Stress die eigene
anderen ?
psychische Bedürftigkeit nach Zuwendung und Anerkennung
zunimmt. Wenn dann die Institution auf Grund ihrer Dynamik
3.2. Entwicklung von pädagogischer Kompetenz
und Strukturen keine ausreichende Unterstützungen und
Sie zeigt sich in der psychosozialen und psychosexuellen
Wertschätzung der Arbeit und der Person der Mitarbeiten-
Stärkung von schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen in
den signalisiert, kann dies mit dazu beitragen, dass das Be-
Unterricht und Kinder- und Jugendarbeit:
dürfnis nach Zuwendung und Anerkennung durch sexuelle
•
Bestimmungsrecht über den eigenen Körper
Übergriffe auf Abhängige und Anbefohlene befriedigt wird.
•
Wahrnehmung von Gefühlen, Vertrauen in eigene Intuition
•
Unterscheidung zwischen ´guten´, ´schlechten´, ´ komischen` und ´verwirrenden` Berührungen
Marie Luise Conen fand in ihrer Praxis als Supervisorin heraus, dass sowohl über- wie auch unterstrukturierte Einrich-
•
Umgang mit Geheimnissen
tungen sexuellen Missbrauch fördern. Überstrukturierte Ein-
•
Nein-Sagen-Können und Ja-Sagen-Können
richtungen produzieren Beziehungskälte, unterstrukturierte
•
Hilfe holen / Informationen über Unterstützungsangebo-
Einrichtungen fördern die Tendenz zu informeller Leitung
te (nach Marlene Kruck-Homann, Sexuelle Gewalt gegen
und Machtausübung und die persönlicher Ausnutzung von
Kinder, Berlin 2010)
Freiräumen (in: Bange/Dörner(Hrsg.) Handwörterbuch Sexu-
eller Missbrauch, Göttingen, 2002, www.context-conen.de).
3.3. Reflexion der professionellen Rolle zwischen
Claudia Enders von Zartbitter e.V. weist auch immer wieder
darauf hin, dass das Risiko, zum Tatort zu werden, bei klaren
•
Organisationsstrukturen gering ist, bei differenzierten Strukturen mittelgroß, und bei autoritären und verwahrlosten
Person und Organisation Schärfung der Aufmerksamkeit für die Schutzbefohlenen
•
Strukturen hoch ist.
Vorbereitung auf die besondere Leitungsverantwortung aller Amtsinhaber, den Schutz- und Vertrauensraum Kirche unter allen Umständen zu gewährleisten
3.
Prävention, Intervention, Hilfe bei Ver- letzung der sexuellen Selbstbestimmung als Thema in Aus- und Fortbildung von Pfarrern und Gemeindepädagogen
Die Leitfrage ist: •
•
Umsetzung von Präventions- und Interventionskonzepten für den Bereich, in dem eigene Führungsverantwortung wahrgenommen wird.
•
Reflexion des Führungshandelns
•
das ist besonders wichtig, wenn die Organisation sich
Welche Kompetenzen brauchen zukünftige Seelsorger
in einer Legitimationskrise befindet, die immer mit
und Seelsorgerinnen, Pädagogen und Pädagoginnen in
Vertrauensverlust einhergeht („traumatisierte Organi-
der Kirche?
sation“).
38 •
Umgang mit Beichtgeheimnisse und seelsorgerliche
(vgl. Bailing, Rolf(2005): Diagnose von Organisationskulturen
Schweigepflicht
in:Zt. für Transaktionsanalyse 4/2005)
3.4. Supervision- und Coachingerfahrungen
3.6. Ein beispielhaftes Modell aus der Vikarsausbil-
Der Erwerb von Handlungskompetenz durch permanente
Reflexion ist Voraussetzung für die Ausgestaltung berufli-
Pfarrerin Dr. Britta Jüngst hat im Rahmen der Vikarsaus-
cher Rollen.
bildung einen Tag zum Thema „Umgang mit sexualisierter
In der Supervision können Fragen der Kommunikation und
Gewalt“ durchgeführt.
Kooperation, das Erleben von Druck, Befürchtung und Be-
Drei Leitgedanken dabei waren wichtig:
lastung, der professionellen Umgangs mit Nähe und Distanz
1. das Thema aus dem Tabu zu holen, sprachfähig zu
dung in Westfalen:
in der Kontakt- und Beziehungsgestaltung ausgesprochen,
werden
befragt und reflektiert werden.
2. den Widerstand gegen das Thema abzubauen
In der Supervision werden das Zusammenwirken von Rollen
3. eine gelingende Kommunikation zu entwickeln in einer
und Aufgaben, von Strukturen und organisationalen Bedin-
Situation, die uns sprachlos macht, für die wir auch
gungen sowie personale Kompetenzen und Ressourcen
keine geübte Sprache haben.
miteinander ins Gespräch gebracht.
4. und das Thema zum Querschnittsthema zu machen.
Supervision ist ein geschützter Raum, der ermöglichend ist und in dem in komplexen Situationen die bestehenden
Konkret sieht das Ausbildungsmodul folgendermaßen aus:
Erwartungen, die aneinander gerichtet sind, besprochen
1. Arbeit an der eigenen Person, Nähe-Distanz-Übung:
werden können. Über Erwartung zu sprechen, führt zu neuer oder zurück
Grenzüberschreitung 2. Bibeltext zu sexueller Grenzverletzung z.B. Tamar 2. Sa-
gewonnener Verhaltenssicherheit. Dies ist in Organisationen
muel 13 dazu eine Aufstellungsarbeit oder Bibeldrama.
besonders wichtig, in denen Vertrauensverlust ein Thema
3. Information
ist, da sich Vertrauen auch über Erwartungssicherheit bildet.
– Wie führe ich ein Erstgespräch?
Schon im Vikariat sollte Supervision als langfristiger Lernpro-
– Welche Verfahrensschritte sind nötig?
zess angelegt und begonnen werden.
Evtl. Fallbesprechung
Supervision bietet ebenso eine Verknüpfung von Berufstätigkeit (Rolle) und Biografiearbeit (Person) an, in der sich die
3.7. Ein Modell im Rahmen der Fortbildung in
Auswirkungen biografischer Themen und Erfahrungen auf
den ersten Amtsjahren (FEA):
die professionelle Beziehungsgestaltung erschließen.
„Grenzen wahrnehmen und Grenzen achten“
- ein Fortbildungsmodul für Pfarrer/innen und
3.5. Führungskraftentwicklung
ordinierte Gemeindepädagog(inn)en
Führungskräfte sind verantwortlich für die Qualitätsentwicklung und Entwicklung der Organisationskultur. Deren
Dieses Modul verortet das Thema sexuelle Grenzverlet-
wesentliches Merkmal ist es, dass durch die Mitwirkung und
zungen im Kontext der Entwicklung einer verantwortlichen,
Beteiligung aller Mitarbeitenden Transparenz und Klarheit
professionellen Beziehungsarbeit als Grundlage pastoraler
über Strukturen und Prozessabläufe der Organisation ent-
Arbeit.
steht und die Organisationskultur geprägt wird.
Darum ist sinnvoll, dieses Modul in der Phase der Übernahme
von Leitungs- und Personalverantwortung im Pfarramt ein-
Die künftigen Führungskräfte werden befähigt, auch Ver-
zusetzen, ergänzt durch flankierende Supervisionsprozesse.
decktes, Informelles in der Organisationskultur zu entde-
Mitarbeitende im Verkündigungsdienst, in der Seelsorge und
cken, darauf zu reagieren und aktiv zu gestalten, wenn sie
im Unterricht sollen durch dieses Fortbildungsmodul unter-
fragen:
stützt werden, folgende Fähigkeiten zu entwickeln : •
Sie reflektieren ihre professionelle Rolle .
•
Sie nehmen ihre Verantwortung wahr, auf die Grenzen
•
Wie wird mit Konflikten üblicherweise umgegangen?
•
Wie werden Entscheidungen getroffen?
in der Beziehung zu Schutzbefohlenen und Gemeinde-
•
Welches Handlungsrepertoire im Umgang mit Krisen
gliedern zu achten und finden eine hilfreiche Balance
steht eigentlich zur Verfügung?
von Nähe und Distanz.
•
Welchen Stellenwert haben Macht und Autorität?
•
Welche Themen sind tabuisiert?
von Seelsorge, Beratung und Unterricht und achten auf
•
Welche Fehlerkultur wird gelebt?
sich.
•
Sie kennen ihre eigenen Gefährdungen in Situationen
39 •
Sie erkennen strukturelle Gefährdungen durch Tabus,
Diese umfassen ebenso die prinzipielle Stärkung der
Kultur und mangelhafte Transparenz in ihrer Organisa-
Entwicklungspotenziale und des Selbstbewusstseins
tion und Institution.
der Mädchen, Jungen, jungen Erwachsenen und Menschen mit Behinderung sowie der Entwicklung eines Klimas gegenseitigen Respekts.
Anhang
Ein weiteres wesentliches Ziel ist es,
Diskussionspapier der UAG des Runden Tisches der
eine hohe Sensibilität und Handlungskompetenz bei Übergrif-
Bundesregierung
fen zu fördern, beispielweise durch Leitfäden, Arbeitsmittel,
„Qualifizierung von Haupt- und Ehrenamt“
Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner etc.
Arbeitsgruppe „Prävention – Information – Intervention“
Kompetenzen der Mitarbeitenden:
Fünfte Sitzung am 14. März 2011
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit Mädchen, Jungen, jungen Erwachsenen und Menschen mit Behinderung arbei-
Um den Schutz von Mädchen, Jungen, jungen Erwachsenen
ten, werden durch Qualifizierungsangebote
und Menschen mit Behinderung vor sexueller Gewalt zu
•
verbessern, bedarf es der Implementierung der entsprechenden Lerninhalte in die Ausbildungscurricula von
men der Intervention zu ergreifen. •
pädagogischen sowie von Sozial- und Gesundheitsberufen. Für andere Berufsgruppen sowie die Ausbildungen von Eh-
für eine gute Organisationskultur und effektive Arbeit.
Sie sind für das Erkennen von sexueller Gewalt sensibilisiert und aufmerksam,
•
Qualifikationen einschließlich der Prüfung der Wirksamkeit getroffener Maßnahmen sind unverzichtbare Gütemerkmale
Sie achten auf ein dem Arbeitsbereich adäquates NäheDistanz-Verhältnis,
•
Die regelmäßige Prüfung der Erfordernisse zur Auffrischung des Wissens über Kinderschutz und Erweiterung von
Sie reflektieren ihre Einstellungen und Haltung zu Machtverhältnissen,
•
ehrenamtlich Tätigen ist ein dem Aufgabengebiet entsprechendes Grundlagenwissen zu vermitteln.
Sie werden angeregt, eigene Einstellungen und Haltungen zum Thema sexuelle Gewalt zu reflektieren.
•
renamtlichen ist Entsprechendes zu prüfen. Den im Beruf aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und
sensibilisiert, sexuelle Gewalt zu erkennen und Maßnah-
Sie verfügen über Kenntnisse, um bei sexueller Gewalt Maßnahmen des Kinderschutzes einzuleiten.
•
Sie fördern die Partizipation von Mädchen, Jungen und jungen Erwachsenen sowie von Menschen mit Behinderung.
Zur Förderung der Effektivität von Qualifizierungsmaßnahmen müssen auch die strukturellen Rahmenbedingungen in den Blick genommen werden, die die Wahrnehmung
Autor:
und Bearbeitung von Gewalt behindern oder Gewalt fördern.
Dieter Wentzek
Dazu gehören beispielweise eine angemessene Personal-
Pfarrer, Diplompsychologe, Coach und Supervisor DGSv,
ausstattung und eine verantwortungsvolle Personalführung,
Direktor des EZI
die zu angstfreier Kommunikation ermutigt, Transparenz in
E-Mail:
[email protected]
der Einrichtung herstellt und die Anliegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst nimmt. Grundsätzlich stellen Bildungsmaßnahmen einen Schlüssel zur Entwicklung und Förderung der Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit der Beteiligten und damit des gesamten Systems dar. Qualifizierungsmaßnahmen sind Bestandteil von Maßnahmen der erforderlichen Organisations- und Personalentwicklung.
40
Aufregung und Chaos bei der Aufdeckung von Gewalt und Kindesmisshandlung − Was passiert gerade in unserer Gesellschaft? − Ein Zwischenruf Lutz-Ulrich Besser / Sabine Hufendiek
Seit ungefähr zwei Jahren tauchen immer mehr Hinweise und
misshandlung nicht auf die Nachkriegszeit der 50er und 60er
Fakten über jahrelange institutionelle Kindesmisshandlungen
Jahre beschränkt blieben, sondern nachweislich bis in die 90
in verschiedenen Formen in pädagogischen Einrichtungen
Jahre hinein reichten und auch heute noch geschehen.
auf. Es begann mit Einrichtungen der katholischen Kirche, es folgten Heime der evangelischen Kirche und setzte sich fort
Wie reagieren die Täter?
über staatliche Heime in West- und Ostdeutschland bis hin
Sie – aber auch weite Teile der Öffentlichkeit – reagieren
zu der reformpädagogischen Odenwaldschule . Die Betrof-
erschrocken, dass diese ungeheuerliche Wahrheit nach so
fenen, jene ehemaligen Opfer, brechen nach Jahrzehnten die
langer Zeit nun ans Licht kommt. Allerdings ist es bei den
Mauer des Schweigens. Sie berichten über ihre Schmerzen
Tätern kein Erschrecken über das Unrecht der Taten oder
und ihre Not und das erzwungene Redeverbot über das, was
über das eigene Handeln, sondern es ist das Erschrecken
sie in ihrer Kindheit und Jugend erlitten haben. Sie können
und die Angst vor den Konsequenzen. Deshalb greifen sie
offenbar erst jetzt gehört werden.
zu ausgefeilten Verleugnungsstrategien wie das Abstreiten
1
jeglicher Fakten (,Ich habe so etwas niemals getan) solanSie sind Zeitzeugen eines ungeheuren Gewaltpotentials in
ge keine belastenden Beweise vorliegen, bis hin zu einem
unserer Gesellschaft, des Machtmissbrauchs an Kindern,
abgestuften Verleugnen der Tatdetails. Dieses so genannte
Abhängigen und Schwächeren durch Lehrer, Priester und
„Grau-gestehen“ von Tätern lautet dann: „Ja ich habe etwas
andere Menschen aus psychosozialen Berufen unter dem
gemacht, es war aber nur eine Watschn, es war so üblich
Dach des Katholizismus, des Staates, der Reformpädagogik.
damals, ich habe mir nichts dabei gedacht“, usw. Zu dem die
Die ehemaligen Opfer haben gelitten und geschwiegen. Nun
Wahrheit vernebelnden „Grau-gestehen“ gehört weiterhin
klagen sie in großer Zahl mutig an und machen auf das Un-
die Verleugnung des Ausmaßes der Tätlichkeiten, wie z.
recht aufmerksam, das ihnen angetan wurde.
B. die Züchtigung mit Gegenständen (Stöcken, Riemen u. ä.), und auch der Umfang und die Dauer der Misshandlung
Die Aufdeckung von Gewalttaten und Kindesmisshandlun-
werden minimiert.
gen aus der Nachkriegszeit – in der zuvor durch das faschistische System systematisch gedrillt, erniedrigt, gequält und
Ebenso wird verleugnet, dass solche Misshandlungen
ein fragwürdiges Menschenbild des ,angepassten Untertan‘
gezielt und geplant durchgeführt wurden, genauso wie der
herangezogen wurde – erschreckt, verwirrt und bewegt
ausgeübte emotionale und manipulative Druck, um das
derzeit viele Menschen.
Schweigen der Opfer zu erzwingen. Darüber hinaus werden die schweren psychischen Folgen solcher traumatisierender
Erziehung ist in den Köpfen mancher heute alter Männer und
Misshandlungen bagatellisiert. Des weiteren wird von den
Frauen, die in einem entsprechenden Zeitalter sozialisiert
Tätern, von Teilen der Gesellschaft und sogar häufig von
wurden, mit einem `Zucht-‘ und ‚Aufzuchtgedanken‘ – und
unserem Rechtssystem verkannt und ausgeblendet, dass
der dazu gehörigen Züchtigungslegitimation – verknüpft.
solche Taten deutliche Konsequenzen und nicht „mildernde
Mit dieser Haltung sind viele Kinder in Internaten und Heim-
Umstände“ nach sich ziehen müssen und die Verantwortung
einrichtungen, aber auch in anderen sozialen Kontexten,
für die Schadensregulierung zunächst beim Täter liegt.
gedemütigt, geschlagen, gequält und häufig auch sexuell ausgebeutet worden. Besonders erschreckend ist es, dass
Eine profane Entschuldigung ist keine Konsequenz und stärkt
diese nun in Aufdeckung begriffenen Formen der Kindes-
eher das „Verantwortungsübernahme-Abwehrsystem“ der
Siehe: Dehmers, Jürgen; Wie laut soll ich denn noch schreien? Die Odenwaldschule und der sexuelle Mißbrauch Hamburg 2011 und Jens, Tilmann; Freiwild Die Odenwaldschule – Ein Lehrstück von Opfern und Tätern Gütersloh 2011 1
41 Täter. Das Prinzip der Vergebung kann nur ernst genommen
Gerechtigkeit die Öffentlichkeit über das ausgeübte Unrecht
werden und zur Heilung der seelischen und körperlichen
zu informieren, als Täter bezeichnet und mit Diffamierungen
Verletzungen der Opfer beitragen, wenn das volle Ausmaß
und sogar Verleumdungsklagen eingeschüchtert. Die Täter
der verübten Gewalttaten eingestanden und bereut wird.
handeln dabei nach dem Prinzip „Angriff ist die beste Ver-
Eine Einstellungs- und Verhaltensänderung im Inneren der
teidigung“. Dadurch kann es im Helfersystem durch Unwis-
leugnenden Täter zu erreichen, erweist sich jedoch ohne
senheit, Unsicherheit und Angst vor jenen Repressalien zu
klare Konsequenzen als die größte Herausforderung, solan-
einer Spaltung zwischen Opfern und Helfern kommen. Oder
ge täterloyale und Gewalt bagatellisierende Haltungen in Ge-
aber es kann auch innerhalb der helfenden Berufsgruppen
sellschaft und Justiz weit verbreitet vorhanden sind. Vielfach
zur Schwächung von Auflehnung gegen und Aufdeckung von
wird sogar nach erfolgter „Entschuldigung“ destruktives
Unrecht durch Gewalttätigkeit kommen.
Verhalten fortgesetzt, insbesondere dann, wenn es für den Täter keine Konsequenzen hatte.
Es gibt jedoch kaum plausible Gründe, warum Menschen, die in Kindheit, Jugend oder als Erwachsene Opfer von
Um der Verantwortungsübernahme und den Konsequenzen
körperlicher Gewalt und sexuellen Misshandlungen waren
zu entgehen, zielen die Strategien der Täter darauf ab, die
und sind, sich solche Geschichten ausdenken, Leid und
Glaubwürdigkeit der Opfer mit Hilfe von gut bezahlten (Un-)
viele Symptome vortäuschen und Falschaussagen machen
Rechtsanwälten in Frage zu stellen. Dabei ist das Opfer in un-
sollten. Es gibt jedoch viele Gründe dafür, warum die ans
serem Rechtssystem ohnehin schon in der Pflicht, als Zeuge
Tageslicht kommenden Taten von denjenigen, die sie verübt
die Anschuldigungen zu beweisen. So wird es auch im Falle
haben, gänzlich abgestritten, verleugnet oder bagatellisiert
eines Strafverfahrens bezüglich seiner Aussagen vereidigt.
werden.
Der Täter dagegen darf ungestraft lügen bis die Tat nachgewiesen werden kann oder er sogar freigesprochen wird.
Es mag ein Zufall sein, passt jedoch in die schwierige Geschichte der Aufdeckung von Unrecht durch Gewalt in
In dubio pro reo! Die Unschuldsvermutung bis zum Beweis
Deutschland, dass vor einiger Zeit vermutlich eines der
des Gegenteils ist eine Säule der Rechtsstaatlichkeit mit
letzten Naziverbrecher-Verfahren vor den Gerichten in Mün-
hohem Wert für wirklich Unschuldige. Jedoch für die Opfer
chen stattfand: Erst vor einiger Zeit kam einer der letzten
von Misshandlungen, die mutig als Zeugen gegen Täter aus-
Nazi-Täter, der inzwischen verstorbene John Demjanjuk,
zusagen bereit sind, birgt dieses Prinzip in sich die Gefahr
der die Ermordung von circa 30.000 Juden im KZ Sobibor zu
einer schweren Re-Traumatisierung.
verantworten hat, bisher ungeschoren davon und stand erst vor zwei Jahren vor Gericht. Die deutsche Justiz hatte jetzt
Bei der Aufdeckung und Bewusstmachung von Unrecht an
65 Jahre später die verantwortungsvolle Aufgabe, die lange
Kindern, Abhängigen und Untergebenen befinden sich Op-
versäumte Pflicht nach zu holen, das ungeheure Unrecht
fer, Täter, Mitwisser, täterloyale Personen und Institutionen
seiner Taten eindeutig zu benennen, auch wenn nur noch
nur scheinbar in vergleichbaren Situationen. Sie tragen alle
wenige Zeitzeugen leben, aber Zeugenaussagen ganze Ak-
das Risiko, beschuldigt und evtl. von der Gegenseite selbst
tenbände füllen.
angeklagt zu werden. Nicht selten beginnen die Täter zu Beginn der Aufdeckung ihrer Taten erneut, die damaligen
Selbst wenn bis auf Mord die verschiedenen Formen von
kindlichen Opfer, heute immerhin erwachsene Menschen,
strafrechtlich relevanten Gewalttaten, dazu gehören eben
mit den verschiedensten Mitteln zu manipulieren, einzu-
auch die körperlichen und sexuellen Misshandlung von
schüchtern, das Schweigen erneut zu besiegeln oder sogar
Kindern, Jugendlichen, Schutzbefohlenen, Abhängigen und
die Opfer zur Zurücknahme der Anklage zu bewegen oder zu
Widerstandsunfähigen, unterschiedlichen Verjährungsfris-
zwingen. Damit gelingt es den Tätern nicht selten eine Täter-
ten bezüglich eines zu eröffnenden Strafverfahrens unterlie-
Opfer-Umkehr zu erreichen. Ehemalige Opfer und sogar
gen und somit Täter oft nicht mehr strafrechtlich verurteilt
psychologische, medizinische und juristische Fachkräfte, die
werden können, so verjährt keinesfalls das Unrecht und das
den Betroffenen zur Seite stehen, werden dann plötzlich als
Leid, das sie den Betroffenen angetan haben.
„Täter“ gegenüber den vermeintlich unschuldigen Verdächtigten bezeichnet.
Die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen einen der höchsten Kirchenmänner in Deutschland wegen eines aktu-
So geschieht dies aktuell auf entsprechenden Internetseiten.
ell nicht ausreichend begründbaren Verdachtes des sexu-
Dort werden Helfersysteme beziehungsweise diejenigen, die
ellen Missbrauchs von Kindern ändert jedoch nichts an der
den Mut haben, auch im Sinne der Opfer auf der Suche nach
Tatsache, dass er ein Gewalt-Täter ist, wie viele andere auch,
42 wenn Zeugenaussagen belegen, dass er Schutzbefohlene
Lutz-Ulrich Besser
geschlagen, geprügelt und mit Gerätschaften gezüchtigt und
Facharzt für Psychosomatische Medizin
damit schwer misshandelt hat.
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Wir hoffen, dass unsere Gesellschaft in ihren Institutionen
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und auch jeder in privaten Lebensbereichen genug Kraft
Leiter des zptn (Zentrum für Psychotraumatologie und
und Mut haben wird, der Ausbeutung und Misshandlung
Traumatherapie Niedersachsen
von Kindern, Jugendlichen, und Erwachsenen entschlossen entgegen zu treten sowie Unrecht zu benennen und dort, wo
Sabine Hufendiek
es geschehen ist, zu ahnden. Wir brauchen endlich wieder
Dipl.Päd. Supervisorin (DGSV)
mehr kollektive Zivilcourage im Kampf gegen Unrecht und
Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin
Gewalt in Deutschland, ausgeblendet und verleugnet haben
Einzel-und Paarberaterin
wir immer wieder und lange genug.
Dozentin am EZI
EZI-Seminare zum Thema „Gewalt und Grenzverletzungen in Beziehungen“ Vorankündigung 2013 •
Suizidgefährdung und Krisenintervention bei gefährdeten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
10. – 12.01.2013, Meurer •
Wahnsinnskinder und Kinder frühgestörter Eltern 08. – 09.02.2013, Dr. Neraal
•
Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren Grundkurs 13. – 17.05.2013, Vertiefungskurs 16. – 20.09.2013, Dr. Gnirss
•
Beratung und Rituale beim Thema „Schuld, Schuldgefühl und Vergebung 13. – 17.05.2013, Prof. Dr. Klessmann, Hufendiek
•
Zweieinhalbjährige Fortbildung in tiefenpsychologisch-systemischer Paarberatung für erfahrene Fachkräfte aus Beratung und Psychotherapie. Beginn 03.06.2013
•
Lebensrückblick als Therapie 17. – 18.06.2013, Dr. Verena Kast
•
Was tun, wenn Krieg zwischen Eltern herrscht? 08.- 10.07.2013, Alberstötter
•
Zweieinhalbjährige Fortbildung in konfliktzentrierter und strukturbezogener Beratungsmethodik bei Kindern und Jugendlichen - KJB Beginn 19.08.2013
•
Vergessen – Vergeben – Verletzt zusammen weiterleben? 26. – 28.09.2013,
Prof. Dr. Riehl-Emde •
Paare und Trauma – Vortrag und Workshop 03. – 04.10.2013, Dr. Huber
•
Psychotraumatologie, -beratung und -therapie Siebenteilige Weiterbildung
für beraterisch und psychotherapeutisch tätige Berufsgruppen.
Beginn 2014, Besser und PD Dr. Brisch
43
Erinnerungen an Ingeborg Langus-Mewes (*14. März 1931 † 6. November 2o11)
Nachruf „Für das Institut war sie mit ihrer unpretentiösen Klugheit
Studenten aus der nahegelegenen Universität. Erst nach
ein Segen“, schrieb eine ihrer langjährigen Weggefährtinnen.
einigen Jahren, mit gewachsener Akzeptanz der psychologi-
Ein Blick auf ihre Berufsbiographie zeigt auch, wie Psycho-
schen Beratung als kirchlicher Tätigkeit wurde auch Ehebe-
logische Beratungsstellen der Evangelischen Kirche sich
ratung gefragt, zunächst von Frauen allein, später auch von
entwickelten.
Paaren gemeinsam. Neben ihrer Beratungstätigkeit, zu der damals auch Testdiagnostik mit Kindern, Jugendlichen und
Ingeborg Mewes studierte von 1956-1961 Psychologie an der
Erwachsenen gehörte, gab sie Supervision für Psychologie-
FU in West Berlin. Während eines der obligatorischen Praktika
Praktikanten, Kindergärtnerinnen, Theologen und bereits
lernte sie die Beratungsarbeit im Team der Ev. Beratungsstel-
ab 196O als Mentorin der EKFuL für Teilnehmende an der
le für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen in Berlin-Steglitz
Eheberaterausbildung am Evangelischen Zentralinstitut für
unter der Leitung des Theologen und Psychoanalytikers Dr.
Familienberatung (EZI) in Berlin.
Joachim Scharfenberg kennen. Als fertige Diplompsycholo-
Diese vielfältige Praxis wurde untermauert und in ihrer
gin erhielt sie dort 1961 auch ihre erste Anstellung. Doch ging
Qualität ermöglicht und gesichert durch eine beständige,
sie schon 1962 nach Frankfurt, um am Aufbau einer neuen
berufsbegleitende Fortbildung in Theorie und Praxis der
Beratungsstelle zusammen mit ihrem Berliner Teamkollegen
Tiefenpsychologie. Sie erfolgte durch Supervision, Fallbe-
Dr. Wolfram Lüders mitzuwirken.
sprechungen und theoretische Arbeitsgruppen im Rahmen der Beratungsstelle unter Leitung der beiden Psychoanaly-
In einem Interview mit Barbara Schneider erzählt sie 1987
tiker Joachim Scharfenberg und Wolfram Lüders sowie am
über diese Zeit: Am Anfang stand vor allem vermittelt durch
Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt.
kirchliche Kindergärten die Arbeit mit Kindern, Eltern und
Ihr besonderes Interesse in der Zusammenarbeit mit Wolf-
Jugendlichen im Vordergrund, über die dann im Rahmen der
ram Lüders galt der Frage, wodurch sich psychoanalytische
Öffentlichkeitsarbeit berichtet wurde - auch durch Schulfunk-
Beratung
sendungen, für die Ingeborg Mewes „Gespräche mit Kindern
und wie in der psychologischen Beratung „das Therapeuti-
und Jugendlichen“ über altersspezifische Fragen schrieb. Zur
sche geschieht, ohne dass es Therapie ist“. (Interview 1987).
Beratung mit Einzelnen (Lebensberatung) kamen vor allem
von psychoanalytischer Therapie unterscheidet
44 Mit großer und fundierter praktischer Erfahrung und einer
Über ihre Pensionierung im Jahr 1996 hinaus gab sie noch
exzellenten Theorie (vgl. Wolfram Lüders, Psychothera-
Fortbildungsveranstaltungen für Mentoren und Mentorinnen
peutische Beratung, Theorie und Technik, Göttingen 1974)
am EZI. In ihrem kleinen Praxiszimmer über der alten Com-
ausgestattet ging Ingeborg Langus-Mewes 1973, inzwischen
merzbank in der Breisgauer Strasse empfing sie noch viele
verheiratet und Mutter eines Sohnes, – auch aus familiären
Jahre Ratsuchende und Supervisanden.
Gründen - nach Berlin und brachte als Dozentin die „Frankfurter Schule“ mit ins Dozenten - Kollegium des EZI. Hier
Nach ihrem 80. Geburtstag wurde ihr Gesundheitszustand
bildete nun die Konzeptionalisierung psychologischer Bera-
schlechter. Wie sie gelebt hatte begann sie nun mit großer
tung als eines eigenständigen Verfahrens einen Schwerpunkt
Autonomie, Besonnenheit, Fürsorge und Konsequenz sich
ihrer Tätigkeit. Unter Verknüpfung tiefenpsychologischer
zurückzuziehen und „abzuschliessen“, wie sie beiläufig sag-
Verstehensmodelle mit Handlungsmodellen anderer the-
te. Nach 4 Wochen schwerer Krankheit schlief sie umsorgt
rapeutischer Schulen, die für die Beratungsarbeit geeignet
von ihrem Sohn und befreundeten Kolleginnen friedlich ein.
erschienen, arbeitete sie im Team an Beratungs- und Ausbildungskonzepten für verschiedene Felder evangelischer
Als ich mit Jan Langus die Traueransprache vorbereitete, zog
Beratungsarbeit: für die Beratung einzelner zusammen mit
er zwei dicke, rot gebundene Ordner hervor. Sie enthielten
Bernd Löffler und Anne Neumann, für die Beratung von Paa-
sorgfältig geordnet die Dokumente eines langen Lebens.
ren zusammen mit Löffler, Neumann und Martin Koschorke,
Darunter eine Konfirmationsurkunde aus dem Jahr 1946
für die Beratung mit Eltern und Kindern zusammen mit Inge-
von St. Jakobi in Lübeck, wo die vierzehnjährige infolge der
borg Volger, Klaus Brauner und Achim Haid-Loh, schließlich
Schrecken des Krieges und in der Not der Nachkriegszeit im
für Supervision zusammen mit Brauner und mir.
geteilten Deutschland als Flüchtling mit ihrer Mutter bei Verwandten untergekommen war. Mir scheint, als sei ihr Kon-
Kennzeichen ihres Vorgehens war – in welchem Setting auch
firmationsspruch (Offenbarung 2,10) – mehr oder weniger
immer – die Arbeit in und an der Beziehung im systemischen
bewußt – Motto ihres Lebens geworden. Er war ursprünglich
Kontext, um Ratsuchenden realistische und befriedigende
an Menschen innerhalb der jungen christlichen Aufbruchs-
Lösungen zu ermöglichen und zuzumuten. Schwierigkeiten
bewegung gerichtet, denen es
verstand sie als Herausforderungen. In einer Kurzrezension
Gewalterfahrungen um ein neues, besseres Leben ging:
schrieb sie unverkennbar: „Der ärztlich nicht vorgebildete Le-
nämlich um Anerkennung des individuellen Lebensrechts
ser sollte sich nicht durch die medizinischen Fachausdrücke
jeder Person unabhängig von Geschlecht, Geburt, Stand
abschrecken lassen, das Buch zu benutzen. Es bietet zwar
und Leistungsvermögen, um Freiheit statt Verfolgung und
keine leicht lesbare Einführung in das Thema, ist aber ein
Unterdrückung, um Aufnahme in die statt Ausschluss aus
Nachschlagewerk, das in aller Kürze gute Orientierung und
der Gemeinschaft, um Vergebung statt Rache, um Hoffnung
Information gibt.“ (EZI-Korrespondenz 4, 1985, S.6). In Super-
statt Gleichgültigkeit und Resignation. „Sei getreu bis in den
visionen fragte sie, was muss der Klient, was muss das Paar
Tod, so will ich dir die Krone (den Kranz) des Lebens geben“
lernen? Es ging ihr um Lernen durch Erfahrung. Wenn man
hieß und heißt: bleib deiner selbst gewonnenen Überzeu-
die Psycho- und Beziehungsdynamik in langsamen Schritten
gung treu und richte dich – gleich unter welchen Umständen
sich klar gemacht hatte, konnte sie fragen: „Hast Du sie denn
- immer wieder neu nach vorne hin aus, strecke dich dem
auch genug genötigt?“. Doch vor Nötigung brauchte sich bei
kommenden Gott, dem erhofften Heil entgegen - und du
ihr niemand zu fürchten. Denn sie beherrschte vorbildlich
wirst es erfahren. Ich denke, so hat sie gelebt und Segen
die Kunst, Rollen-Distanz zu wahren und gleichzeitig dem
gestiftet, für den viele Menschen von Herzen dankbar sein
Gegenüber Interesse, Wärme und Verständnis entgegen zu
dürfen und dankbar sind.
angesichts destruktiver
bringen und auf Entwicklungsschritte hinzuweisen. Friedrich-Wilhelm Lindemann Im Dozenten - Kollegium hatte sie die Position des ruhenden Pols. Sie äußerte sich nicht zu allem, aber wenn sie etwas sagte, dann hatte es Gewicht. Im Haus, der Schlachtenseer Jugendstilvilla in der Matterhornstrasse, kümmerte sie sich um die Kunst an den Wänden, um eine gediegene Bibliothek und um Frieden unter den Mitarbeitenden, wozu auch die Gründung einer MAV gehörte. Nach außen vertrat sie das Institut als Psychologin in Fachgremien, auf Kongressen und mehrere Jahrzehnte im Ausbildungsausschuss der EKFuL.
März 2012
45
Lebenfreude und Neugier Wenn ich an Ingeborg denke, fällt mir sofort ihr Lachen ein, ein herzhaftes und fröhliches Lachen, das oft das eine oder andere Schwere leicht gemacht und manche Situation in ihrer Widersprüchlichkeit auf den Punkt gebracht hat, ein Lachen, das aber immer auch Ausdruck ihrer Lebensfreude und ihres Bemühens war, das Leben von der fröhlichen und,
Herbert Grönemeyer. Zwar gehörten wir nicht gerade zu den Jüngsten und konnten der Lautstärke auch nicht wirklich Erhebendes abgewinnen, doch hatten wir unseren Spaß und konnten uns, wenn schon nicht verbal, so aber doch über unser Lachen verständigen. Als Ingeborg mir kurze Zeit später am Telefon auf meine Frage, was sie gerade tue, antwortete: „Ich schließe ab!“ wurde mir klar, dass ich beginnen musste, von ihr Abschied zu nehmen.
ja, auch komischen Seite zu sehen.
Ingeborg Volger März 2012
Zunächst aber habe ich, als ich 1983 ans Institut kam, eine andere Facette an Ingeborg schätzen gelernt, nämlich ihre große Offenheit und Bereitschaft zu kollegialer Zusammenarbeit und Unterstützung, in den mir neuen Strukturen des
Leuchtturm
Instituts eine Orientierung zu finden. Welche Frage auch
Seitdem ich Ingeborg vor einigen Jahren einen Kalender mit
immer sich mir stellte, bei Ingeborg fand ich stets die Be-
Leuchttürmen geschenkt habe, bekam ich immer mal wie-
reitschaft, sich für mein Anliegen Zeit zu nehmen, ein hohes
der überraschend eine Ansichtskarte aus ihrem Urlaub mit
Gut, was auch im damaligen Institut eine knappe Ressource
einem Leuchtturm. Die vom letzten Sommer war besonders
war. Auch meine zunächst auf das Zweiersetting ausgerich-
schön, war sie doch eine eigenhändige Fotografie, die Inge-
tete therapeutische Orientierung hin zur Paarberatung hatte
borg mit den Worten kommentierte „Ich kann es nicht las-
viel mit Ingeborgs konsequenter Haltung zu tun, mit großer
sen, Dir einen Leuchtturm zu schicken, das ist der auf Rügen
Beharrlichkeit immer wieder auch die paardynamische Per-
an der Nordseite, der kleine und der Große!“ Aufgenommen
spektive ins Gespräch zu bringen, bis ich schließlich Feuer
aus der Froschperspektive ragt der große Leuchtturm in die
fing und begann, mich intensiver dieser Thematik zuzuwen-
Höhe und berührt den Himmel und ich stelle mir vor, dass In-
den. Unsere Zusammenarbeit war dabei nicht nur intensiv,
geborg jetzt aus der Vogelperspektive zuschaut und lächelt
sondern meist auch vergnüglich.
und sich am Panorama der vielen größeren und kleineren Leuchttürme freut, die durch ihr Wirken entstanden sind und
Aus dieser Zusammenarbeit entwickelte sich allmählich eine
sich entwickelt haben.
tiefe Freundschaft, die insbesondere geprägt war durch Ingeborgs Neugier und Tatendrang. Dies führte u.a. dazu,
Ingeborg nutzte einmal für mich sehr eindrücklich das Bild
dass ich mich nicht nur darauf verlassen konnte, wenn ich
der „Frosch- und Vogelperspektive“, um die verschiedenen
die Zeitungslektüre nur oberflächlich geschafft hatte, von
Blickrichtungen und Perspektivenwechsel in der Beratung zu
ihr über die neuesten Theaterinszenierungen, Konzerte
verdeutlichen, die sie selber vorzüglich vorlebte: das genaue
oder Ausstellungen auf dem Laufenden gehalten zu werden,
Zuhören und facettenreiche Wahrnehmen, Beobachten,
sondern Ingeborg auch noch bereit war, die entsprechenden
Anschauen, von allen Seiten Beleuchten eines Problems,
Karten zu besorgen. Auf diese Weise verbrachten wir viele
das sich in Beziehung setzen und Verbinden mit dem Gegen-
belebende und berührende Abende miteinander, die meist
über aus der jeweiligen Perspektive wie auch die Drauf- und
mit einem guten Wein und langen Gesprächen endeten. Aber
Fernsicht, um sich einen Überblick über die Problem- und
nicht nur unsere Freude an der Kultur hat uns verbunden,
Konfliktlagen, Möglichkeiten und Grenzen der Ratsuchenden,
sondern auch ihre Unterstützung bei der Kinderbetreuung,
der Kursteilnehmenden, des Gegenübers zu verschaffen und
wenn ich wegen Abendterminen oder Kursanfängen spät
vorausschauend angemessene Ziele formulieren zu können,
nach Hause kam. Dann fand ich die Kinder oft am Klavier mit
ohne den Fokus aus den Augen zu verlieren und Mittel und
Ingeborg vierhändig spielend und kam in den Genuss eines
Wege zu finden wieder mehr oder weniger flott durch die
kleinen „Hauskonzerts“. Dies ist lange her, hat aber bei uns
Beratung, die Ausbildung und das Leben zu navigieren.
allen tiefe und bleibende Spuren hinterlassen. Ingeborg war selbst wie ein Leuchtturm, hatte für mich wie Die Neugier aber, ihr Interesse auch für altersbedingt un-
für viele Vorbildfunktion, setzte oft auch im Verborgenen
gewöhnliche Aktivitäten, ist Ingeborg bis zuletzt erhalten
sichtbare Zeichen. Mit ihren einfühlsamen, interessierten,
geblieben. Unser letzter gemeinsamer „Kulturausflug“ führte
anregenden, vertiefenden, manchmal auch unbequemen
uns im letzten Sommer ins Olympiastadion zum Konzert von
Fragen brachte sie Licht ins Dunkel und bot Navigationshilfe,
46 um die eigene Position klarer bestimmen und formulieren zu können. Bisweilen wirkte allein ihre hochgezogene Augenbraue bei Gesprächen und Diskussionen, z.B. in Teamsitzungen schon wie ein Signal, eine Warnung vor Untiefen, um inne zu halten, den Kurs vor der weiteren Fahrt zu überdenken und ggf. zu verändern. Aus meinen Anfängen 1987 am EZI erinnere ich mich besonders lebhaft an den Besuch eines Familientherapiekongresses, wo wir gemeinsam an Seminaren teilnahmen, Fragen der Paar- und Familientherapie diskutierten, über Paar- und Geschwisterdynamiken nachdachten. Beim Durchstreifen der wunderschönen Stadt Prag im Mai und Genuss von Kunst und Kultur war für mich erstmals Ingeborgs Neugier und Reiselust und die Vielfalt und Tiefe ihrer kulturellen Interessen erfahrbar. Vor allem aber schafften Ingeborgs feinfühlige, zurückhaltend-neugierige Fragen, ihre Kunst des Zuhörens und ihr warmherziges, echtes Interesse an mir, meinem Leben, beruflichen und privaten Erlebnissen erste persönliche Verbindungen und eine Brücke zum EZI-Team, die den Grundstein für eine sich langsam vertiefende, später auch freundschaftliche Beziehung legten und immer wieder neue Räume und Horizonte eröffneten. Am EZI stand Ingeborg für mich in erster Linie für die Tradierung und Identifizierung mit dem tiefenpsychologischen Weiterbildungskonzept in der Ehe- und Paarberatung und das Ringen darum, wie sich die tiefenpsychologische mit der systemischen Perspektive verknüpfen ließe. Zusammen gearbeitet haben wir vor allem in der Weiterbildung zur Ehe-, Familien- und Lebensberatung und im Paarcurriculum. Aber auch die Gründung einer Mitarbeitervertretung und gemeinsame Positionierung zum Gegenüber haben uns verbunden. Nach ihrem Ausscheiden aus dem EZI haben wir uns immer wieder bei gemeinsamen Spaziergängen, Kino- und Theaterbesuchen und äußerst anregenden, tiefgehenden, oft humorvollen Gesprächen
gefunden. Unvergessen bleibt
eine Führung und stille Wanderung über einen historischen Friedhof vor vielen Jahren. Dass ich Ingeborg in den letzten Stunden vor ihrem Tod begleiten konnte, war ein besonderes Geschenk. Die Ruhe, die sie wie im Leben so auch kurz vor ihrem Tod ausstrahlte, werde ich für immer in mir behalten. Annelene Meyer März 2012
Lichtblicke Meine erste Begegnung mit Ingeborg Langus fiel in die Zeit nach dem Fall der Mauer - eine aufregende Zeit auch für das Team des EZI. Für mich persönlich war der Moment unserer ersten Begegnung verknüpft mit der Aufregung meines Vorstellungs- und Bewerbungsgespräches im damaligen Dozentenkollegium; eindrücklich in Erinnerung geblieben ist mir dabei Ingeborgs zurückhaltende Zugewandheit, ihr vielsagendes Schweigen und ihr warmes, wohlwollendes Lächeln - ein Lichtblick in völlig fremdem Terrain! Die spannende Zeit der Aufbauarbeit dieser frühen 90er Jahre verband uns viele Jahre - ein neues Curriculum zur Erziehungsberatung wurde gemeinsam aus der Taufe gehoben und mit der „EB“ hielt auch Ingeborgs ureigenstes, früheres Arbeitsgebiet aus der Anfangszeit Ihrer praktischen Tätigkeit an der Frankfurter Beratungsstelle wieder (neu) Einzug im Zentralinstitut an der Matterhornstraße.
47 In diesen turbulenten Anfangsjahren meiner Dozententätigkeit am EZI war mir Ingeborg als erfahrene Kollegin und
Bereichernde Begleitung
„Frau der ersten Stunde“ ein echter Fels in der Brandung: die Tür zu ihrem Büro stand oft offen und ich durfte sie
Mein erster Kontakt zu Ingeborg Langus-Mewes war im
hinter mir schließen, wann immer ich scheinbar einfache
September 1986. Ich war Teilnehmerin des 1. Kursteils in
Fragen, größere Sorgen oder echte Nöte hatte.... Die kluge
Ehe-und Lebensberatung im EZI, saß in der Eingangsrunde
Gelassenheit, Aufmerksamkeit und Sicherheit, mit der Inge-
und es ging um „Visitenkarten“. Ich bekam die Visitenkarte
borg mir begegnete war damals oft hilfreich und wohltuend
von Ingeborg Langus-Mewes. Auf der Visitenkarte war eine
für mich und manchmal ein echter Segen! Manche Klippen
Putte. Die Putte befand sich in einer Kirche. Ingeborg hatte
und Abgründe ließen sich gemeinsam sicher umschiffen; sie
sie am Abend zuvor - während eines Barockkonzertes- an-
wirkte ausgleichend und als ruhender Pol in der manchmal
geschaut und gleichzeitig der schönen Musik gelauscht. Ich
hektischen Betriebsamkeit und Teamdynamik unseres Do-
habe diese Szene bis heute nicht vergessen.
zentenkollegiums. In der Grundausbildung, in der Ausbildung zur Paarberatung Über mehr als ein Jahrzehnt unserer Zusammenarbeit lernte
und im ersten Durchgang zur Weiterbildung in Supervision
ich aber auch eine andere, eher im Verborgen wirkende Seite
erlebte ich sie als Dozentin, in Vorlesungen, in Arbeitsgrup-
ihres Wirkens an unserem Institut sehr zu schätzen:
pen und in der T-Gruppe in der Supervisionsweiterbildung. Ich habe viel von ihrer ruhigen, klugen Art gelernt.
Als Mitarbeitervertreterin, MAV-Vorsitzende und Vertreterin der Dozenten im Aufsichtsrat war sie so etwas wie der spitze
Viele Jahre später – vor nunmehr fast 10 Jahren – begann
„Stachel im Fleisch“ der bürokratischen Abläufe und instituti-
ich meine Arbeit als Dozentin am EZI. Wir bezogen eine
onellen Administration. Ob es um die Belange der Köchin, die
Wohnung ganz in der Nähe des alten EZI`s am Schlachtensee
Zulagen der hauswirtschaftlichen Kraft oder die Sicherung
und ganz in der Nähe von Ingeborgs Wohnung. Ingeborg
der Rentenversorgung für die KollegInnen ging - stets trat sie
kam zu Besuch und regte an, dass wir unsere „Paare“ aus
mit klaren Worten sowie Zähigkeit und Geduld für nachhaltig
der Praxis der Paarberatung in einer Art Intervisionsgruppe
gerechte Lösungen im Interesse Aller ein.
besprechen könnten. Bis zum Frühjahr 2011 haben wir uns
In den Jahren nach ihrer Pensionierung habe ich sie am Insti-
regelmäßig alle 14 Tage getroffen und uns ausgetauscht über
tut oft vermisst - dafür entwickelte sich unsere Beziehung zu
unsere unterschiedlichsten Paarfälle.
einer freundschaftlichen Verbundenheit weiter, die manch
Ich konnte – bei einer guten Tasse Tee – von ihrer Erfahrung
lustvollen gemeinsamen Kulturgenuss oder lange Abende
bezüglich Paaren profitieren und mit ihr austauschen, was
bei einem guten Glas Wein auf dem Balkon Ihrer Wohnung
wir zu diesem oder jenem Fall diagnostisch und methodisch
im Grünen einbrachte.
für Gedanken hatten.
Bis zuletzt konnten wir - und dafür bin ich Ihr sehr dank-
Zu Beginn des Jahres 2011 stellte ich eine deutliche Verän-
bar - auch das entspannte zusammen Arbeiten nicht ganz
derung bei Ingeborg fest. Ihre Krankheit begann sie zu zeich-
lassen. Es war einfach vergnüglich, mit ihr Klausurfragen zu
nen. Es war ein gutes Erlebnis, sie gemeinsam mit ihrem
entwickeln und Prüfungsarbeiten von Absolventen unserer
Sohn und mit den Kolleginnen bis zu ihrem Tod zu begleiten.
Weiterbildungen zu diskutieren. Wie viel habe ich von ihr ge-
Auch in der Gestaltung des Sterbens habe ich viel von ihr
lernt, wenn sie mit dem scharfsinnigen geschulten Blick der
gelernt. Ich bin ihr dafür sehr dankbar.
Professionistin die „blinden Flecke“ und „Schwachstellen“ fokussierte und dabei zugleich mit der milden Weisheit Ihrer
Sabine Hufendiek
ganzen Person die Ressourcen und Entwicklungspotentiale
März 2012
der jeweiligen Kandidaten ins Zentrum zu rücken vermochte. Auch schwere und konfliktträchtige Arbeit kann viel Spaß machen - Ingeborg Langus wußte wie das geht! Achim Haid-Loh April 2012
48
Vertiefende Perspektiven
Heute, ein halbes Jahr nach ihrem Tod, ist mir Frau Langus noch gegenwärtig. Manchmal bespreche ich mit ihr einen Fall und höre ihre Antwort. Noch häufiger sehe ich aber ihr
Als ich vor knapp sechs Jahren an das Evangelische Zent-
Lächeln, besonders wenn ich eine Tasse Tee trinke oder
ralinstitut kam, war vieles neu, die Arbeit, die Kolleginnen
Tulpen irgendwo in einer Vase stehen. Und manchmal lächle
und Kollegen, die Stadt - und ich war supervisionslos. Da ich
ich dann zurück.
niemanden so richtig kannte, fragte ich meine Kolleginnen und bekam eine Empfehlung für Ingeborg Langus. Ich war
Martin Merbach
skeptisch. Supervision bei jemandem zu nehmen, den die
April 2012
anderen alle kannten, wird das funktionieren? Andererseits wusste ich, dass Frau Langus das Institut stark geprägt hatte, und ich fand es spannend, in diesem Konzept fachlich begleitet zu werden. Mit diesen widersprüchlichen Gefühlen fuhr ich nach Schlachtensee, eine Stunde S-Bahn. Die Länge des Weges ließ mich schon wieder zweifeln. Ich war zu früh, kehrte beim Bäcker zwei Häuser weiter ein, um dann pünktlich an der Haustür zu klingeln. Das Treppenhaus roch irgendwie vertraut, ein wenig wie das Pfarrhaus meiner Kindheit. Oben öffnete mir eine sympathische, ältere Dame, die lächelte, mich hereinbat und fragte, ob ich Tee wolle. Ich, der ich damals nur Kaffee trank, nickte. Frau Langus geleitete mich in den Arbeitsraum, vor dessen Fenstern das Grün in den Raum zu wuchern schien. Ich setzte mich auf den angebotenen Stuhl und so begann sie, meine Supervision. In den folgenden fünf Jahren wurden mehr als 100 Stunden daraus. Das Wetter vor dem Fenster wechselte. Weihnachten gab es Plätzchen zum Tee, Ostern kleine Ostereier. Die Blumen auf dem Tisch spiegelten die Jahreszeit wider, Tulpen waren oft darunter. Mir wurden meine Paare klarer, meine Verstrickungen teilweise lieb, oder auch unaushaltbar. Die angenehm schweigende Art von Frau Langus, wenn ich begann, Fälle zu schildern, mochte ich. Oft brachten mich bereits ihr Blick oder ihr Lächeln an einer bestimmten Stelle meiner Erzählung ins Nachdenken, eröffneten andere Perspektiven. Aber ihre Fragen, die unverhofft aus einer Tiefe kamen, waren unschlagbar. Sie fokussierten auf das Wesentliche, ohne mich zu verletzen. Im letzten halben Jahr ihres Lebens spürte ich Veränderungen. Ich schob es auf das Alter, auf eine momentane Erkrankung. Wir weigerten uns beide, darüber zu sprechen, wohl ahnend, dass ein Reden auf das Ende unserer Arbeitsbeziehung hinauslaufen würde. Schließlich durchbrach sie eines Tages das Schweigen, es wurde meine letzte und die traurigste Supervisionssitzung bei ihr.
49
Film-Revue zum Thema von Ilka Quindenau
Michael Haneke
Das weiße Band (2009)
Zum Regisseur Michael Haneke ist 1942 in München
Folgen. Im Namen der Verantwortung
geboren und im ländlich-voralpinen
für die Gemeinschaft wird ein Klima
Wiener Neustadt aufgewachsen. Sein
der Angst und der Einschüchterung
Studium der Philosophie, Psychologie
geschaffen, das den Boden für neue
und Theaterwissenschaften brach er
Gewalt bereitet.
vorzeitig ab, um beim Südwestfunk als Redakteur und Dramaturg zu arbeiten.
Zur Geschichte des Films
Nach kleineren Theaterinszenierungen
Das weiße Band erweckt den Eindruck
und Fernsehspielen entstand 1989 sein
einer Literaturverfilmung des ausge-
erster Kinofilm mit dem Titel Der siebte
henden 19. Jahrhunderts. Darin besteht
Kontinent. Der internationale Durch-
bereits der erste Verfremdungseffekt,
bruch als Filmemacher gelang ihm im
dem noch viele folgen werden, denn
Jahr 2000 mit der Verfilmung von Elfrie-
es handelt sich keineswegs um die Ver-
de Jelineks Roman Die Klavierspielerin.
filmung von Literatur, vielmehr schrieb
Das zentrale Thema in Hanekes Filmen
Haneke als Regisseur das Drehbuch
besteht in der Visualisierung von Ge-
selbst. Die Machart des Films erinnert
waltzusammenhängen. Im Film Bennys
an manchen Stellen etwa an Theodor
Aus: Psyche – Z Psychoanal 66,
Video (1992) geht es um die kaltblütige
Fontanes Effi Briest in der Verfilmung
2012, 268–274 www.psyche.de
Ermordung einer Schülerin durch einen
von Rainer Maria Fassbinder, wie er
Stuttgart, Klett-Cotta Verlag
Gleichaltrigen, der die Tat mit seiner
mit der Stimme des Erzählers aus
Kamera aufzeichnet. In Funny Games
dem Off beginnt. Es ist die Stimme des
(1997) endet ein harmloser Familienur-
Dorflehrers, der im Alter, lange nach
laub in einem brutalen Blutbad. Die KlaDie Filme Michael Hanekes besitzen
seiner Pensionierung die Geschichte
vierspielerin (2000) handelt von Terror
eine hohe Affinität zur Psychoanaly-
erzählt. Durch die Perspektive des
und Selbstverstümmelung und in Caché
se. Wie kaum ein anderer Regisseur
Rückblicks wird die Historisierung des
(2005) untersucht Haneke die unsicht-
versteht er es, die Wirkungsweise des
Stoffes unterstützt, es schafft für die
bare Gewalt konstanter Bedrohung.
Unbewussten
ZuschauerInnen eine Art kontemplati-
Das weiße Band (2009) mit dem Unter-
Seine Filme gehen im buchstäblichen
ver Distanz. Die Geschichte wird nicht
titel Eine deutsche Kindergeschichte
Sinne unter die Haut, durchbrechen
miterlebt, sondern zieht eher in Form
wurde mehrfach preisgekrönt und mit
den Reizschutz und konfrontieren die
einer Chronik am Auge des Zuschauers
der Goldenen Palme in Cannes ausge-
Zuschauer mit sich selbst, mit den eige-
vorbei. In episodischer Struktur werden
zeichnet. Es ist ein filmischer Diskurs
nen verdrängten Strebungen. 1
die Familien des Dorfes gezeichnet, die
über Autorität, Disziplinierung und ihre
Kamera zieht von Haus zu Haus und
spürbar
zu
machen.
Dem vorliegenden Text liegt ein Vortrag bei der DPV-Herbsttagung 2010 zugrunde. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen aus dem Forum für die spannende Diskussion, diemir viele Anregungen gab. 1
50 etabliert die Strukturen in der Gemein-
vorstellungen erfahren. Mit eiserner
Kinder bereits verhärmt, verschlossen,
de. Erzählt wird ein zunächst unauffällig
Strenge setzten die Eltern die Einhaltung
fast schon verschlagen. An ihnen wird
scheinendes Dorfleben, das immer wie-
der Regeln durch und sanktionierten
auf erschreckende Weise deutlich, wie
der durchbrochen wird durch Gewalt.
sie; der Individualität der Kinder wurde
wirksam und effizient das Erziehungs-
Der Film beginnt mit dem Reitunfall
keinerlei Raum gelassen. Jegliche Zunei-
system ist.
des Arztes, der durch ein in seinem
gung und Gefühlsregung wurde durch
Grundstück gespanntes, nahezu un-
Regeln und Pflichten unterbunden mit
Für ihre Zurichtungen nehmen die Kin-
sichtbares Drahtseil zu Fall gebracht
der Folge, dass die Heranwachsenden
der auf vielfältige Weise Rache. Die Ra-
wird. Dies ist das erste einer Reihe
selbst auch nur konventionelle, eher
che wird allerdings nicht offen, sondern
von rätselhaften Vorkommnissen, von
oberflächliche
Gefühlsbeziehungen
heimlich ausgeübt, sodass von diesen
Unfällen und Misshandlungen, die das
entwickeln konnten (Scheurer 2009).
Heimlichkeiten eine unheimliche Wir-
Dorf erschüttern, zu Misstrauen und
Die transgenerative Weitergabe dieser
kung ausgeht. Man kann vermuten, dass
Verdächtigungen führen, aber bis zum
Persönlichkeitsstruktur wird in Hanekes
die Kinder als Drahtzieher im buchstäb-
Ende ungeklärt bleiben. Die Gewalt
Film präzise und drastisch vor Augen
lichen Sinne hinter den Unglücksfällen
scheint zunächst in die Idylle von außen
geführt. Wir sehen die Zurichtung der
stehen, dass sie in den Misshandlungen
hineinzubrechen, durchdringt jedoch
kindlichen Persönlichkeit, genauer: der
an wehrlosen Opfern (am behinderten
bei näherem Hinsehen nahezu alle Be-
kindlichen Triebstruktur. Die Repression
Sohn der Hebamme ebenso wie am
ziehungen: die Beziehungen zwischen
setzt an den libidinösen Strebungen an:
Wellensittich des Pfarrers) wiederho-
Eltern und Kindern, zwischen Männern
Sie unterdrückt die sexuellen Wünsche
len, was ihnen selbst widerfahren ist.
und Frauen nicht minder als die Bezie-
ebenso wie die Fähigkeit zu lieben und
Doch bleiben dies Vermutungen, für
hungen unter den Kindern selbst. Das
mitzuleiden. So wird der frühadoles-
die der Film einige Hinweise bietet, die
Generationenverhältnis erweist sich als
zente Pfarrerssohn in einem demüti-
Zuschauer jedoch im Ungewissen lässt.
ebenso durchsetzt von Gewalt wie das
genden Gespräch mit seinem Vater zu
Anders als in populären Kriminalfilmen
Geschlechterverhältnis.
einem Geständnis seiner Masturbation
gibt es am Ende keinen verantwortli-
gezwungen. Nachdem der Vater ein
chen und überführten Täter.
Mit äußerster Präzision zeichnet Haneke
Horrorszenario über die vermeintlichen
das Soziogramm einer geschlossenen
Spätfolgen der Befriedigung gezeichnet
Der Film endet schließlich am Vorabend
dörflichen Gemeinschaft und porträtiert
hat, wird der Sohn zur Strafe nächtens
des 1. Weltkriegs.
die zentralen Protagonisten als »Schalt-
mit den Händen ans Bett gefesselt. Die-
zentralen der Macht«: den Gutsherr, den
se drakonische Maßnahme geschieht
Zur filmischen Gestaltung
Pfarrer, den Arzt, den Verwalter. Sie be-
allerdings dem Selbstverständnis nach
Der Film wurde zunächst in Farbe
sitzen die Macht und die Autorität, ihre
nicht aus Sadismus, sondern aus Für-
gedreht und in der Endfassung in
Interessen und Wertvorstellungen mit
sorge, aus Liebe zum Kind. Auch dem
schwarzweiß transformiert. Der Regis-
Gewalt durchzusetzen und die anderen
kleineren Sohn wird – mit der Über-
seur begründet dies mit der Historizität
zu strafen, zu demütigen und auszu-
zeugung, dass dies zu seinem Besten
seines Stoffes. Alle aus dieser Zeit
beuten. Die Protagonisten werden nicht
geschieht – die Fähigkeit zur Einfühlung
bekannten Bilddarstellungen sind in
als Individuen dargestellt, sondern als
und zum Mitleid ausgetrieben: Der etwa
schwarzweiß gehalten. Weit ausge-
Typen, die soziale Rollen verkörpern
fünfjährige Junge erbittet vom Vater die
prägter als bei Farbbildern wirken diese
(vgl. Scheurer 2009).
Erlaubnis, ein verletztes Vögelchen zu
Bilder durch Kontraste, die neben der
pflegen, das er gefunden hat. Ihm wird
spezifischen
Das Machtgefälle zeigt sich insbesonde-
das Versprechen abverlangt, den Vogel,
großen Tiefenschärfe für einen lang
Lichtführung
und
der
re in der Familienstruktur. Am Beispiel
den er während der Pflege liebgewin-
anhaltenden, fast hypnotischen Effekt
der Pfarrersfamilie lässt sich die Entste-
nen würde, nach seiner Genesung um-
sorgen (vgl. Scheurer 2009). Verstärkt
hung einer autoritären Charakterstruk-
gehend wieder freizulassen, damit er
wurde diese Wirkung durch eine digitale
tur nachvollziehen: Wie die Untersu-
keinerlei Bindung zu dem Tier aufbaue.
Nachbearbeitung. Dadurch entstanden
chungen von Adorno (1950) und seinen
Die Zurichtung der Persönlichkeits- und
fast überstilisierte, sehr klare Bilder
Mitarbeitern zeigten, haben Menschen
Triebstruktur zeigt sich bis hinein in die
in feinsten Graustufen, die allerdings
mit dieser Persönlichkeitsstruktur in
Physiognomie der Kinder. Während die
nur in der digitalen Fassung des Films
ihrer Familie eine besonders rigide,
kleinen Kinder auf anrührende Weise
sichtbar sind. Hinzu kommt eine hohe
willkürlich und bedrohlich wirkende
in ihrer Offenheit und Bedürftigkeit
Tiefenschärfe, die nicht einzelne Objek-
Disziplin mit starren Regeln und Wert-
inszeniert werden, wirken die größeren
te fokussiert, sondern sehr eindrücklich
51 Musik
eigenen Phantasien zurückgeworfen,
gemäldeartige Tableaus erzeugt. Diese
Wie auch in seinen früheren Filmen ver-
die gleichsam die Leerstelle füllen, die
Kameraführung lenkt nicht den Blick der
zichtet Michael Haneke auf den Einsatz
Hanekes Kameraführung lässt. Der
ZuschauerInnen und nimmt ihnen die
sich nicht aus der Handlung ergebender
Regisseur zielt damit auf die Selbst-
Arbeit des Fokussierens nicht ab, son-
Musik. Dadurch erhalten selbst kleinste
reflexion seines Publikums und die
dern fordert sie auf, dies selbständig zu
Geräusche eine gesteigerte Bedeutung,
Übernahme ethischer Verantwortung:
tun. Der Film verlangt den Zuschaue-
die Tonlandschaften sind eigene Kunst-
»Indem wir uns unseres Blickes und un-
rInnen einiges ab. Hinzu kommen fort-
werke. Eine sehr beeindruckende Szene
serer Gefühle bewusst werden, sind wir
laufend Bildsequenzen, die von starken
besteht etwa in der Synchronisierung
gezwungen, Verantwortung für unsere
Kontrasten geprägt sind. In kurzer Folge
der Schluckgeräusche des Arztsohnes
Empfindungen zu übernehmen. Unser
wechseln
mit den Worten seiner Schwester, als
moralisches Empfinden wird provoziert,
Landschaftspanoramen, der Enge der
diese ihm vom Tod der Mutter erzählt.
wir werden zum Gewissen des Bildes«
Räume kontrastiert die Weite der Land-
Haneke wählte für die im Rahmen der
(zit. bei Assheuer 2008).
schaft. Die Protagonisten wirken wie
Filmhandlung auftretende Klaviermu-
eingeschlossen in diesen Räumen, und
sik Stücke von Schumann, Bach und
Der Film psychologisiert nicht, er erklärt
wenngleich der jahreszeitliche Wechsel
Schubert und verwendet diese Musik
nicht das Innenleben, weder die Motive
von Frühling, Sommer, Herbst und Win-
in mehrfachem Sinne, als Kontrapunkt
der Protagonisten noch ihr Erleben
ter in schönen Bildern von wogenden
und Illustrierung sowie als Kommentar
oder Handeln, er führt uns nur die Au-
Kornfeldern und sanft verschneiter
zum Geschehen (Scheurer 2009).
ßenseite vor mit äußerster Genauigkeit.
etwa
bei
Landschaftsaufnahmen
düstere
Innenräume
mit
Landschaft erscheint, verstärkt der
Er nimmt einen registrierenden Blick
Kreislauf der Natur letztlich diese Ein-
Dies zeigt sich besonders deutlich
ein, der auf kleinste Details achtet, eine
geschlossenheit durch die Wiederkehr
nochmals am Ende des Films. Der
Art sachlicher Dokumentation, ohne
des Immergleichen. Der Film inszeniert
Kirchenchor der Dorfgemeinde singt
zu werten, zu kommentieren. Dadurch
ein stetiges Wechselspiel auf verschie-
das Lied »Ein feste Burg ist unser Gott«,
erzeugt er keine konkreten Gefühle im
denen Ebenen: hell – dunkel; eng – weit;
dessen Text auf Psalm 46 zurückgeht
Zuschauer, vielmehr eine spezifische
nah – fern, usw. Mit diesen ständigen
und von Martin Luther vertont wurde.
Atmosphäre, die man mit Freuds Begriff
Kontrasten wird ein eingängiges Narra-
In dieser Sequenz korrespondiert der
des »Unheimlichen« (1919h) beschrei-
tiv verhindert, dem man als ZuschauerIn
Text des Liedes präzise mit der Stimme
ben könnte.
folgen und sich überlassen könnte.
des Erzählers aus dem Off, die vom Ausbruch des 1. Weltkriegs berichtet.
Zu dem Wechselspiel von Kontrasten
In sprachphilosophischer, etymologischer Argumentation lässt Freud in
Zur Darstellung von Gewalt und Grenzüberschreitung
diesem Aufsatz das Unheimliche aus
und Übergängen große Bedeutung zu: Viele Szenen werden aus Türrahmen
Ich möchte nun einige Überlegungen
hen. Er stellte sich damit in Gegensatz
oder Fenstern heraus gefilmt. Damit
zur
von
zur damaligen Auffassung (vgl. Ernst
wird das Zuschauen bewusst gemacht
Gewalt skizzieren, die Hanekes Film
Jentsch), nach der das Unheimliche
und die ZuschauerInnen in den Film
auszeichnet. Der Kamerablick ist nie
durch eine Unsicherheit dem Fremden
einbezogen. Man wird sich seiner eige-
auf die Gewalt selbst gerichtet, es
und Unvertrauten gegenüber entsteht,
nen Rezeption gewahr, auf den eigenen
sind keine Gewaltszenen zu sehen,
die in einem Nichtverstehen gründet.
Voyeurismus verwiesen.
sondern ausschließlich die Opfer der
Freud hingegen fokussiert weniger die
Gewalt (z.B. der misshandelte Karli,
kognitive Ebene und betrachtet das
Michael Haneke inszeniert »mit einer
der tote Wellensittich, die gedemütigte
Gefühl des Unheimlichen als eine Form
gravitätischen Strenge, er findet Bilder,
Hebamme). Es wird nicht die Prügel
von Angst, die auf zwei Quellen basiert:
in denen Figuren wie hinter Glas agieren,
der Pfarrerskinder gezeigt, nicht die
der Wiederkehr des Verdrängten und
oft in gespenstischer Stille. Stilistisch
Vergewaltigung von Anni, der Tochter
der Aktualisierung kindlicher Allmachts-
schließt der Film an eine Tradition von
des
Kameraführung
vorstellungen und magischen Denkens.
Literaturverfilmung an […], als gelte es,
verhindert den Voyeurismus, die Lust
Als Beispiel berichtet Freud von einem
diese Form nochmals zu radikalisieren«
an Gewaltdarstellungen. Es werden
Patienten, der einem Rivalen wünschte,
(Kamalzadeh 2009)
eher die Spuren von Gewalt dargestellt
es möge ihn der Schlag treffen, und
als die Gewalt selbst. Dadurch werden
ganz verängstigt gewesen sei, als er
die Zuschauer auf sich selbst und ihre
wenige Tage später vom Schlaganfall
kommt der Inszenierung von Schwellen
besonderen
Arztes.
Darstellung
Diese
dem Heimlichen, Vertrauten hervorge-
52 des Betroffenen erfahren habe. Eine
Dem filmisch inszenierten Wechselspiel
in Verbindung bringt. Ich glaube nun,
ähnliche Szene zeigt Haneke in seinem
von Kontrasten, von innen und außen
dass wir mit dieser Identifikation mit
Film, als er die Tochter des Verwalters
entspricht die inhaltliche Thematik der
dem Opfer und der Wut auf die Macht-
einen Traum von der Misshandlung Karlis
Grenzziehung, der in diesem Film eine
haber in eine emotionale Falle laufen:
erzählen lässt, mit dem sie ebenfalls ein
wichtige Bedeutung zukommt. Es geht
Wir werden nämlich genau dadurch zu
später eintretendes Ereignis antizipiert
um Grenzziehung und Grenzverletzung,
denjenigen, die den Draht spannen, der
habe. Dieser explizit eingeführten Vari-
die sich stetig abwechseln. Den äuße-
in der Anfangssequenz des Films das
ante des Unheimlichen steht noch eine
ren Grenzen, die durch die autoritäre
Pferd des Dorfarztes zu Fall bringt. Das
Reihe anderer Formen zur Seite, die wir
Erziehung mit den drakonischen Strafen
scheint mir das Moment des Unheimli-
als ZuschauerInnen in der Rezeption des
gesetzt werden, entsprechen jedoch
chen und schwer Erträglichen zu sein,
Films erleben und die die unheimliche
keine inneren Grenzen. Diese mangeln-
das den Film begleitet. Immer wieder
Gesamtatmosphäre des Films ausma-
de Internalisierung von Grenzen, die die
werden wir als ZuschauerInnen auf
chen. Hierbei geht es um die Wiederkehr
autoritäre Persönlichkeit kennzeichnet,
uns selbst zurückgeworfen und mit der
des Verdrängten, der eigenen verdräng-
führt zu permanenten Grenzüberschrei-
eigenen Gewaltbereitschaft konfron-
ten Strebungen der Zuschauer.
tungen, die sich in den Erziehungsme-
tiert. Diese eigene Gewaltbereitschaft
thoden des Pfarrers ebenso zeigen
stellt die dunkle Seite, das Unheimliche
Für Haneke besteht Kunst in Beunruhi-
wie in der konkreten sexuellen Gewalt
im Sinne Freuds dar. Das Fremde im
gung, Verstörung, Infragestellung.
des Arztes gegenüber seiner Tochter.
Eigenen, das ansonsten zumeist ver-
Durch seine Filmästhetik sucht er einen
Eindrücklich macht der Film deutlich,
drängt, verleugnet oder anderweitig
Erkenntnisschock, einen produktiven
dass es für Menschen mit mangelhaft
abgewehrt ist. Ich glaube, dass die
Schmerz zu erzeugen und den Bildern
internalisierten Grenzen kein Halten
negativen Kommentare zu Hanekes
– entgegen der medialen Reizüberflu-
mehr gibt, wenn die äußeren Grenzen
Film, der Vorwurf, er manipuliere die
tung – ihr ursprüngliches Verstörungs-
wegfallen.
Zuschauer (vgl. Scheurer 2009), genau
potential zurückzugeben: »Wie erreiche
auf diese Konfrontation mit der eige-
ich den Moment, an dem es weh zu
Ich möchte abschließend einen Aspekt
nen, verdrängten Gewaltbereitschaft
tun beginnt? Durch Steigerung dessen,
herausgreifen, der mich an dem Film
zurückgehen. Diese Konfrontation geht
was ich kenne? Das wäre die übliche
besonders beschäftigt hat: Trotz der
im buchstäblichen Sinne unter die Haut.
Methode. […] Die Antwort ist: durch
Transposition des Stoffes in eine weit
Sie durchbricht den Reizschutz, mit dem
die Dauer. […] Es wird zuerst fad, und
entfernte Zeit, die mit unserer gegen-
diese Strebungen normalerweise vom
dann tut’s weh« (Assheuer 2008). Seine
wärtigen Lebenswirklichkeit kaum noch
Bewusstsein ferngehalten werden. Nur
Bilder machen den Zuschauer aufmerk-
etwas zu tun hat, entfaltet der Film eine
scheinbar dringt das Unheimliche von
sam auf fast unmerkliche Details, mit
massive emotionale Wirkung, man kann
außen ein, es aktualisiert vielmehr be-
denen etwa Gewaltzusammenhänge
sich ihm kaum entziehen und wird von
reits vorhandene eigene Dispositionen.
erschlossen werden, die man ansons-
ihm gleichsam wider Willen ergriffen.
Diese Durchbrechung des Reizschutzes
ten leicht übersieht. Darin liegt ein
Aus der Wirkungsforschung von Filmen
enthält ein traumatisches Moment,
wichtiger aktueller Bezug des Films, der
wissen wir, dass sich die ZuschauerIn-
es droht die psychische Struktur zu
aufzeigt, dass es sich keineswegs nur
nen bei Gewaltdarstellungen mit dem
überfluten. In Hanekes Film lassen sich
um eine »deutsche Kindergeschichte«
ohnmächtigen Opfer identifizieren – und
eine Reihe von Vorkehrungen zur Ein-
am Vorabend des 1. Weltkriegs handelt,
nicht, wie vielleicht erwartbar, mit dem
dämmung einer solch drohenden Über-
wie der Titel des Films suggeriert. Wie
mächtigen Täter – und dass diese Iden-
flutung erkennen. In vielfältiger Weise
verbreitet diese Neigung, Gewalt zu
tifizierung zu Gewaltbereitschaft führt,
bemüht er sich um die Herstellung von
ignorieren, bis heute auch in unserer
zu Wünschen nach Rache und Vergel-
Distanz: etwa durch die Transposition
Gesellschaft ist, zeigt sich nicht zuletzt
tung für die erlittene Gewalt (Grimm
des Stoffes in eine entfernte Zeit, durch
etwa an der Debatte um den sexuellen
1999). In Hanekes Film identifizieren
Schwarzweißbilder, durch den Erzählstil
Missbrauch in den Internaten der ka-
wir uns folglich weder mit dem Pfarrer
im Sinne einer Chronik. Mit Hilfe dieser Di-
tholischen Kirche oder reformpädagogi-
noch dem Gutsbesitzer oder dem Arzt,
stanzierung wird der Film erst erträglich.
scher Träger. Die Spuren dieser Gewalt
vielmehr erleben wir sie vermutlich
Insofern ist der Film auch kein Film über
sind jahrzehntelang übersehen worden,
als unerträglich. In Diskussionen über
den Faschismus; vielmehr zeigt er, wie
man wollte sie nicht wahrhaben. Gegen
den Film entlädt sich zum Beispiel oft
Unterdrückung, Demütigung, Unglück
dieses Nicht-wahrhaben-Wollen richtet
massive Wut gegen den Pfarrer, die
und Leid der Entstehung nicht nur von
sich Hanekes Film.
Kirche und all das, was man mit Religion
Ideologie und Radikalität, sondern der
53 Entwicklung der psychischen Struktur überhaupt zugrunde liegen.
Literatur Adorno, T. W., Frenkel-Brunswik, E., Levinson, D.L. & Sanford, R.N. (1950): The Authoritarian Personality. New York (Harper und Brothers). Assheuer, T. (2008): Nahaufnahme Michael Haneke. Gespräche mit Thomas Assheuer. Berlin (Alexander Verlag).
Freud, S. (1919h): Das Unheimliche. GW 12, 229–268. Grimm, J. (1999): Fernsehgewalt. Zuwendungsattraktivität – Erregungsverläufe – sozialer Effekt. Opladen (Westdeutscher Verlag). Kamalzadeh, D. (2009): Wunscherfüllung mit »Operation Kino«. Der Standard (Wien), 22. 5. 2009. Scheurer, K. (2009): Das weiße Band – eine deutsche Kindergeschichte. Filmheft, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung.
Ilka Quindeau Prof. Dr. phil. habil., ist Diplom-Psychologin, Diplom-Soziologin und Psychoanalytikerin (DPV / IPV). Sie lehrt als Professorin für Klinische Psychologie und Psychoanalyse an der Fachhochschule Frankfurt und unterhält eine eigene Praxis.
Und wir sind nicht die Einzigen ein Dokumentarfilm von Christoph Röhl
Entsprechend schockierend waren
allem mit dem „Schweigen“ auf allen
die ersten Meldungen über sexuellen
Seiten. In zahlreichen Interviews mit
Kindesmissbrauch an dieser Muster-
Betroffenen, Altschülern, Lehrern sowie
einrichtung. Wie konnte das sein? Wie
Menschen aus dem nähren Umfeld
konnte so etwas passieren?
der Odenwaldschule wird ein Skandal beleuchtet, der in seiner Dimension und
Bereits 1998 hatten zwei Missbrauchs-
Systematik schockiert und doch auch
opfer einen Brief mit dem Wortlaut
stellvertretend steht für alle anderen
„Und wir sind nicht die Einzigen“ an
Orte, an denen Missbrauch in unserer
die OSO geschickt, doch fast jeder
Gesellschaft geschieht.
der von Christoph Röhl Befragten hat gestanden, diesen Satz nicht ernst
Der Film verwendet keine Off-Stimme.
sonderlich und sogar dessen Wahr-
Die Protagonisten sprechen direkt in die
heitsgehalt bezweifelt zu haben.
Kamera und versuchen die Geschehnisse zu reflektieren, zu analysieren,
Spätestens 1999, als Jörg Schindler’s
zu hinterfragen. Vor allem den Opfern
Artikel „Der Lack ist ab“ in der Frank-
gibt der Film Raum, ihre Geschichte zu
furter Rundschau erschien, konnten
erzählen: berührend und mit einer be-
Jahrzehntelang besaß die Odenwald-
die Hinweise auf sexuellen Missbrauch
klemmenden Offenheit und Intensität.
schule (OSO) einen hervorragenden Ruf
nicht mehr verleugnet werden.
Und so ist der Film vor allem ein Film über das Reden und die Wichtigkeit der
– eine reformpädagogische Vorzeigeinstitution mit elitärer Klientel. Alle Lehrer
Und doch wurde weitere 11 Jahre lang
und auch die Schüler waren stolz auf
vertuscht und verschwiegen; bis An-
dieser berühmten Schule gewesen zu
fang 2010.
Kommunikation. Produzenten: Dirk Wilutzky, Anja Wedell
sein. So auch Regisseur Christoph Röhl, der von 1988 – 1990 als so genannter
Der Film versucht nicht nur den Ursa-
„English Helper“ an der OSO lehrte und
chen des Missbrauchs auf den Grund zu
lernte.
gehen, sondern er beschäftigt sich vor
www.nichtdieeinzigen.de
54
Buchbesprechung von Christoph Pompe
Raimar Kremer/Jutta Lutzi/ Bernd Nagel
Unfall als Krise Beratung von Menschen nach einem traumatischen Erlebnis
und psychologischer Beratung im
der Regeldienste in kirchlicher Verant-
kirchlichen Kontext. Die je eigene
wortung wird überzeugend dargestellt.
Fachlichkeit dieser drei Interventi-
Das Buch ist – auch wegen des fassba-
onsformen und die fachlich präzise
ren Umfangs von 134 Seiten – geeignet
Darstellung der Schnittstellen dieser
für eine Leserschaft über den kirch-
drei Arbeitsbereiche gelingt einerseits
lichen Kontext hinaus – auch
durch die Reduktion auf die Falldar-
die Autorin und der Autor Haupt- und
stellung eines einzigen fiktiven, aber
Ehrenamtliche
realistischen Unfalls und seiner Fol-
Gemeindepfarrerinnen/Gemeinde -
gen für die Beteiligten – und sodann
pfarrer und Beraterinnen/Berater als
durch die Begrenzung auf das Thema
Zielgruppe angeben.
wenn
der Notfallseelsorge,
„Unfall“ - den tödlichen Verkehrsunfall. Primäre und sekundäre Opfer, Zeugen,
Auch den anderen Professionen im
professionelle Hilfs- und Rettungskräf-
notärztlichen Dienst,
te, Notfallseelsorge, Fachberater, Ge-
Polizei und Feuerwehr erschließt es
meindeseelsorgerin und Mitarbeiterin
diesen kirchlichen Arbeitsbereich von
einer Psychologischen Beratungsstelle
professioneller Seelsorge und psycho-
treten im Wechsel von Falldarstellung
logischer Beratung in und nach Erleben
und fachlicher Information über die
von extremen Ereignissen in verständli-
Hintergründe der unterschiedlichen
cher und sachgerechter Form.
Reihe
Interventionsformen auf.
Täglich Leben –
In der Fülle der Neuerscheinungen zu
Beratung und Seelsorger
den Themen von Trauerbewältigung
2011. 139 S. kartoniert
und Traumatherapie entstand eine ge-
€ 14,95 D/€ 15,40 A/ Sfr 21,90
wisse Marktsättigung: Vieles war schon
Vandenhoeck und Ruprecht,
oft gesagt, gedruckt und gelesen. Und
Göttingen 2011
die Anhäufung von
ISBN 978-3-525-67006-4
Fallvignetten mit
dem Schwerpunkt auf Narration des Schreckenserlebens strapazierte auch die Leserschaft.
In der Buchreihe „Täglich Leben - Beratung und Seelsorge“ (Hg. Rüdiger Haar)
Ganz anders dieser Titel: „Unfall als Kri-
erscheinen praxisnahe, knappe Titel
se“ bringt hier erfrischend Neues in den
im Umfeld psychologischer Beratung
beiden Beschränkungen auf nur eine
und Seelsorge. Das Buch „Unfall als
Noxe „tödlicher Verkehrsunfall“ und die
Krise“ verbindet die Hilfsangebote von
sukzessive Darstellung nur eines Falls.
Notfallseelsorge,
Die fachlich notwendige Kooperation
Gemeindeseelsorge
Rettungsdienst,
Christoph Pompe Pfr., Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Traumatherapeut, arbeitet im Ev. Beratungszentrum des DW der Lippischen Landeskirche in Detmold
55
Buchbesprechung von Dr. med. Ruth Gnirss-Bormet
Hans Sohni
Geschwisterdynamik Buchreihe: Analyse der Psyche und Psychotherapie 140 Seiten, Broschiert, Format: 125 x 205 mm, Verlag: Psychosozial-Verlag Erschienen im November 2011 ISBN-13: 9783837921175, Bestell-Nr.: 2117
Die Reihe „Analyse der Psyche und
oben vorgestellte Anliegen des Verlags
der Bindungstheorie wie auch der
Psychotherapie“
Psychosozial-
von Dr. med. Hans Sohni vorbildlich
Resilienzforschung
Verlags greift grundlegende Konzepte
des
umgesetzt. Hans Sohni ist Facharzt
des Blickes hin auf die Ressourcen von
und Begrifflichkeiten der Psychoana-
für
Geschwisterbeziehungen
lyse auf und thematisiert sowohl ihre
Kinder-
Geschichte wie ihre heutige Bedeutung
Psychoanalyse sowie Psychoanalytiker
für die Therapie. Dabei wird der Versuch
und Familientherapeut. Er leitet ein
unternommen, den betreffenden Ge-
Institut für Paar- und Familientherapie
Hans Sohni sieht im Geschwisterstatus
genstand jeweils zunächst mit seinen
und arbeitet als Supervisor und Dozent
eine eigenständige Lebenserfahrung,
historischen Wurzeln vorzustellen, um
sowie in eigener Praxis. Das Buch ist
eine horizontale Beziehungserfahrung,
dann seine Veränderungen über die
von Anfang bis zum Ende spannend
die sich im vertikalen Zusammenspiel
Zeit deutlich werden zu lassen, indem
geschrieben, es ist informativ und
mit den Eltern entwickeln kann und in
die maßgeblichen Einflüsse von Klinik
klar gegliedert. Mit vielen klinischen
der Individualität ebenso entwickelt
und Forschung diskutiert werden, die
Beispielen gelingt es dem Autor, den
wird wie soziale Interaktionsfähigkeit,
zu dieser Veränderung beigetragen
LeserInnen die Chancen einer neuen
Empathie und Zugehörigkeit. Er ver-
haben. Zudem wird versucht, das zum
ressourcenorientierten Sichtweise auf
deutlicht die zentrale Bedeutung der
Verständnis des jeweiligen Begriffes
die Geschwisterbeziehungen deutlich
Geschwisterbeziehung für die Entwick-
notwendige Basiswissen zusammen-
werden zu lassen. Als LeserIn beginnt
lung von Bezogenheit und Bindungsfä-
zutragen und in knapper und lesbarer
man, die Bedeutung der eigenen Ge-
higkeit einerseits wie für die Fähigkeit
Form zusammenzustellen, um Psycho-
schwisterbeziehungen zu reflektieren
zu Auseinandersetzung und Abgren-
therapeuten aller Schulen sowie Stu-
und zu überlegen, wie dieser neue „Blick
zung andererseits. Er beschreibt, wie
dierenden und Ausbildungskandidaten
durch die Linse“ Einzeltherapien, die Ar-
intensiv - auch zeitlich - sich Geschwis-
eine Möglichkeit zur eigenen vertieften
beit mit Paaren und Familien wie auch
ter miteinander beschäftigen, in der
Auseinandersetzung auf dem neuesten
die Arbeit mit Gruppen verändern kann.
Kindheit, aber in Variationen oft über
Stand der wissenschaftlichen Diskussi-
Sohni sensibilisiert für die historisch
die gesamte Lebensdauer.
on zu geben.
eher auf das negative Potential (Neid,
Psychotherapeutische und
Medizin,
Jugendpsychiatrie
und
eine Erweiterung ermöglicht,
aber auch einfordert und notwendig macht.
Rivalität) von Geschwisterbeziehungen
Sohni macht auf Ängste aufmerksam,
Im 4. Band dieser Reihe geht es nun um
eingeschränkte Sichtweise. Er zeigt auf,
die mit unbewussten, aus Geschwister-
das spannende Thema der „Geschwis-
wie neue Erkenntnisse der Objektbezie-
konflikten resultierenden Konflikten zu-
terbeziehungen“, und mir scheint das
hungstheorie, der Säuglingsforschung,
sammenhängen. Er zeigt auf, wie diese
56 genauso bedeutsam wie Konflikte aus
ungefähr 20- 30 % aller Kinder, bei
Psychotherapie ist ein weiteres span-
den triadischen Beziehungserfahrun-
Einzelkindern sogar bis zu 40 %, von
nendes Thema, mit dem Hans Sohni
gen mit Vater und Mutter bei der Part-
der Vorschulzeit bis zur frühen Adoles-
sein lesenswertes Buch abschließt.
nerwahl oder bei Paarkonflikten eine
zenz einen imaginären Spielgefährten
wichtige Rolle spielen können. Unbe-
haben, mit dem sie ihre Gedanken und
wusste konflikthafte Beziehungserfah-
ihr Spiel teilen. Geschwister, Freunde
rungen aus Geschwisterbeziehungen
und Freundinnen, aber auch diese
können auch aktiviert werden, wenn die
imaginären GefährtInnen helfen, sich
Dr. med., Fachärztin für Allgemein-
Gründung einer Familie geplant wird. So
in der Welt zurechtzufinden, wie sie
medizin und Psychotherapeutische
können Ängste, die mit Geschwister-
bei der allmählichen Ablösung von
Medizin, Sexualtherapeutin, eigene
konflikten in Zusammenhang stehen,
den Eltern helfen können. Geschwister
Praxis mit dem Schwerpunkt Paar- und
verantwortlich sein für die Angst vor
partizipieren
Sexualtherapie in Kassel, langjährige
einem Kind oder die Ablehnung eines
Erfahrungen der anderen und durch die
Kindes, wenn im Kind der geschwis-
Identifizierung mit den anderen, auch
terliche Rivale oder die Rivalin aus der
wenn es möglicherweise zeitweilig zu
eigenen Ursprungsfamilie gefürchtet
einer Polarisierung in der Entwicklung
wird. Diese Ängste können
kommt.
Ursache
wechselseitig
an
den
eines unerfüllten Kinderwunschs sein bzw. Ursache dafür, dass die Schwan-
Sohni verweist auf die Ergebnisse der
gerschaft abgebrochen wird.
Resilienzforschung. Geschwister helfen einander z.B. bei Trennung wie auch bei
Wichtig ist Sohni die Feststellung, dass
Krankheit oder Tod der Eltern, indem sie
sich die triadische Beziehungsfähigkeit
einander Geschwister bleiben und ihr
des Babys wie auch die horizontale
Subsystem Bestand hat.
Beziehungserfahrung in der Geschwisterbeziehung nur dann entfalten kann,
Sohni beschreibt die Veränderungen
wenn die Eltern dafür geeignete Rah-
und Wirkungen von Geschwisterbe-
menbedingungen bieten können. Er
ziehung über die Lebenszeit.
möchte Eltern dafür sensibilisieren, die
schwistererfahrungen können Wirkung
Wichtigkeit des geschwisterlichen Mitei-
entfalten bei der Partnerwahl, in der
nanders wahrzunehmen, einschließlich
Ausgestaltung des Paarlebens wie bei
der Notwendigkeit, Kinder ihre Konflikte
der
austragen lernen zu lassen, ohne dau-
erfahrungen bereiten uns vor auf das
ernd einzugreifen.
Leben in neuen Bezugsgruppen, in
Familiengründung.
Ge-
Geschwister-
der Arbeit wie in der Freizeit. Im Alter Sohni stellt Forschungsgebnisse und
suchen viele Geschwister wieder die
Konzepte der Kinderanalytikerin Fran-
räumliche Nähe zu ihren Geschwistern,
coise Dolto wie des Säuglingsforschers
manche sogar in einen gemeinsamen
D. Stern vor. Beide beschreiben, wie
Haushalt – und nutzen die Chance, sich
wichtig das kindliche Spiel und das
gegenseitig zu unterstützen und Erinne-
gemeinsame Erleben von Geschwistern
rungen auszutauschen, die bis zu den
für die Individuation, die Differenzierung
Anfängen ihres Lebens zurückreichen.
und für das Gefühl von Zugehörigkeit
Geschwisterbeziehungen sind für viele
ist. Kinder brauchen Kinder, brauchen
Menschen die Beziehungen in ihrem
Gefährten für eine ungestörte Entwick-
Leben, die die größte Dauer besitzen.
lung. Sie brauchen sie auch als Schutz
Sohni ermutigt, diese Ressource zu
vor Einsamkeit, vor Wertlosigkeit und
sehen und zu nutzen.
vor Verlassenheit, wenn sie im Streit mit den Eltern sind. Horizontale Bezie-
Die Bedeutung der Geschwisterbezie-
hungserfahrungen und Gefährten sind
hung für das Verstehen von Übertra-
für die Entwicklung so wichtig, dass
gung und Gegenübertragung in der
Ruth Gnirss-Bormet
Gastdozentin am EZI
57
Förderverein
des Evangelischen Zentralinstituts für Familienberatung e. V.
Familien beraten – Bildung fördern - Kirche stärken Der Förderverein des EZI e. V. sucht Mitglieder Der Förderverein wurde 1987, also vor 25 Jahren gegründet, ursprünglich, um eine größere Summe von Spendengeldern für das EZI zu verwalten. Dafür waren nur wenige Mitglieder nötig, denn die Verwendung der Gelder war durch den Umzug des EZI von der Matterhornstraße nach Berlin-Mitte weitgehend vorgegeben. In den Jahren nach dem Umzug, also ab 2000, lag der Schwerpunkt der Mittelverwendung dann auf individuellen Zuschüssen zu Weiterbildungen. In den letzten Jahren stand dann die Förderung von Institutionen im Vordergrund, so wurde die Mentorenkonferenz unterstützt, das EZI-Netzwerk SAFE und die Veröffentlichung einer Dissertation, die die kirchliche präventive Ehe- und Paarseelsorge voran bringen soll. Sobald dies die finanziellen Mittel erlauben, will der Förderverein wieder eine Unterstützung von Weiterbildungen anbieten, wenn Teilnehmende ihren Beitrag alleine nicht mehr aufbringen können. Die letzte Eintrittswelle von Mitgliedern liegt einige Jahre zurück, ebenso wie die letzten größeren Zuflüsse von Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Der Förderverein sucht deshalb dringend neue Mitglieder, auch um die Arbeit des EZI wieder aktiver zu begleiten. Wenn Sie dem EZI nahe stehen, selbst auf gute Erfahrungen in der Weiterbildung im EZI zurückblicken und das Institut deshalb unterstützen möchten, freuen wir uns über Ihr Interesse an einer Mitarbeit im Förderverein. Die nächste Mitgliederversammlung findet am 22. Oktober 2012 statt. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören! Dr. Ulrike Beland, Vorsitzende des Fördervereins
Ich möchte Mitglied im Förderverein des Ev. Zentralinstituts für Familienberatung werden: Name
_______________________________
Anschrift
Vorname __________________________
_______________________________________________________________________
Telefonnummer
________________________
E-Mail______________________________
Der Mitgliedsbeitrag beträgt mindestens 20,-- EUR im Jahr. Ich lege meinen Mitgliedsbeitrag fest auf ______ EUR. Die Höhe kann jederzeit geändert werden. Spenden sind darüber hinaus willkommen auf folgende Bankverbindung des Fördervereins: Postbank Berlin, BLZ: 100 100 10, Kto-Nr.: 75152104 Ich bin damit einverstanden, dass der Mitgliedsbeitrag von meinem Konto abgebucht wird. Bankverbindung
__________________________________________________________________
Kto-Nr.
______________________________
BLZ
Datum
________________________________
Unterschrift
Bitte schicken Sie den Mitgliedsantrag an: Förderverein des Ev. Zentralinstituts für Familienberatung e.V. Auguststraße 80 10117 Berlin
_____________________________ ________________________
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Impressum Herausgeber Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung gem. GmbH , Auguststraße 80 10117 Berlin - Mitte Tel.: 030 / 283 95 200, Fax: 030 / 283 95 222, Email
[email protected], www.ezi-berlin.de ISSN 0724-3995 Redaktion Dieter Wentzek, Sabine Hufendiek, Christine Korth, Martin Merbach, Annelene Meyer Titelfoto Daniel Wentzek, Dortmund Gestaltung Reiner Kolodziej, graphic und design, Tel. 030 773 93 288 Druck mediaray-graphics, druckerei im Kirchenkreis Steglitz Parallelstraße 29a, 12209 Berlin, Tel. 030 773 93 288 Die EZI-Korrespondenz steht als download im Internet unter www.ezi-berlin.de zur Verfügung und wird auch auf Anfrage zugesandt. Sie ist im Handel nicht erhältlich. Die Arbeit des Instituts wird gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD):
60
Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung
Veranstaltungskalender 2012 30.03. – 01.04. Psychosoziale Beratung im Kontext Pränataler Diagnostik - PND - / Workshop IV 16.04. – 27.04.
IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Kurs 50/6
19.04. – 21.04. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 13/1 26.04. – 28.04. Paartherapie mit allen Sinnen – Erlebnisintensivierende Übungen und Methoden 30.04. – 04.05. Schwangerschaftskonfliktberatung - SKB - / Grundlagenkurs 20/1 B
22.08. – 24.08. Rolle und Verantwortung einer „Erfahrenen Fachkraft nach § 8a“ im neuen Bundeskinderschutzgesetz 24.08. – 26.08. „Hörst Du das kleine Nashorn weinen?“ - ein psychodrama- tischer Interventionsansatz mit Tierfiguren bei Kindern im Trennungs-/Scheidungskonflikt 27.08. – 07.09. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Kurs 53/1 10.09. – 14.09. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Vertiefungskurs
04.05. – 06.05. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 12/4
10.09. – 14.09. Streitpaare unangestrengt beraten
07.05. – 11.05. Paarberatung / Aufbaukurs 24/3
14.09. – 15.09. „Was ist dran am neuen Mann“ Veränderte Männerbilder in Zivilgesellschaft und Beratung
10.05. – 12.05. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ Aufstellungsarbeit in Supervision und Coaching
17.09. – 21.09. Kinder- und Jugendlichenberatung - KJB - / Aufbaukurs 2
21.05. – 25.05. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Grundkurs
20.09. – 22.09. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 13/3
21.05. – 25.05. Sexualpädagogische Arbeit und Familienplanung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen / Grundlagenkurs
24.09. – 28.09. Psychosoziale Beratung im Kontext Pränataldiagnostik PND - / Grundlagenseminar
30.05. – 01.06. Kinder im Blick - KiB - / Aufbaukurs 10/2
28.09. – 30.09.
01.06. – 02.06. „Das Fremde im Selbst“ Psychodynamische Aspekte der Beratungsbeziehung im interkulturellen Kontext
01.10. – 02.10. Lebensrückblick als Therapie
04.06. – 06.06. Fortbildung für Sekretärinnen, Verwaltungsangestellte in Beratungsstellen für Ehe-, Lebens- und Erziehungsberatung und Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung / Vertiefungskurs
01.10. – 03.10.
Im Laufe des Lebens und der beruflichen Organisationen Coaching bei Konflikten - Konfliktcoaching
03.10. – 05.10. Strukturierte Angebote für Hochkonflikt-Familien. Das neue FamFG und die Herausforderungen für die Beratungspraxis 04.10. – 06.10. Die „unerhörten“ Botschaften der Kinder mit ADHS - Symptome verstehen, Beziehungen verändern -
04.06. – 08.06.
Schwangerschaftskonfliktberatung - SKB - / Aufbaukurs 19/3
08.10. – 19.10. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Kurs 52/3
08.06. – 09.06.
IFB - Zulassungstagung
13.10. Informationstag zur Fortbildung in Paarberatung
11.06. – 15.06. Beratung und Rituale beim Thema „Schuld, Schuldgefühl und Vergebung“ 12.06. – 15.06. SAFE® - Sichere Ausbildung Für Eltern 15.06. – 16.06. Supervision von Beratungsprozessen mit Kindern und Jugendlichen
23.10. – 24.10. Fachtagung für Mentorinnen und Mentoren 24.10. – 26.10. Zentrale Arbeitstagung der Mentorinnen und Mentoren 26.10. – 28.10. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 12/6 29.10. – 02.11.
Schwangerschaftskonfliktberatung - SKB - / Aufbaukurs 19/4
15.06. – 17.06. „Atempause“ für Menschen in beratenden/helfenden Berufen
29.10. – 02.11. Führen und Leiten
18.06. – 22.06. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Seminar 12/3
07.11. – 10.11. Paarberatung / Aufbaukurs 24/4
22.06. – 24.06. Wie sind wir als Paar?
08.11. – 10.11. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 13/4
26.06. – 28.06. Was tun, wenn Krieg zwischen den Eltern herrscht? Friedensarbeit in der Erziehungs- und Familienarbeit
14.11. – 16.11. Kinder im Blick - KiB - / Basiskurs 11/1
27.06. – 30.06. Paarberatung / Aufbaukurs 23/6
19.11. – 30.11. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Kurs 51/5
28.06. – 30.06. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 13/2 02.07. – 07.07. Therapeutisches Spiel und Beratung mit Kindern und Jugendlichen
22.11. – 24.11. Vergessen – Vergeben – Verletzt zusammen weiterleben? Zum Umgang mit Verletzungen aus paartherapeutischer Perspektive
05.07. – 07.07. Gehen oder Bleiben? - Methoden der Paarberatung bei Trennungswunsch und Ambivalenzkonflikten
29.11. – 01.12. Navigieren auf Sichtweite Prozesssteuerung in der Paartherapie
06.08. – 10.08. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Seminar 13/2
03.12. – 07.12.
13.08. – 17.08. Fortbildung für Sekretärinnen, Verwaltungsangestellte in Beratungsstellen für Ehe-, Lebens- und Erziehungsberatung und Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung
07.12. – 08.12. Supervisionstage in der Integrierte Familienorientierte Beratung®
13.08. – 17.08. Schwangerschaftskonfliktberatung - SKB - / Grundlagenkurs 20/1 C
14.12. – 16.12. Psychosoziale Beratung im Kontext Pränataler Diagnostik - PND - / Informations- und Einführungskurs
17.08. – 19.08. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Werkstatt 12/5
19.12. – 21.12. Psychotraumatologie / 7-teilige curriculare Fortbildung / Modul 1
20.08. – 24.08. Psychosoziale Beratung im Kontext Pränataler Diagnostik - PND - / Kurs 3
05.11. – 06.11. Suchtprobleme in der Einzel- und Paarberatung
16.11. – 17.11.
IFB - Zulassungstagung
Schwangerschaftskonfliktberatung - SKB - / Aufbaukurs 20/2
10.12. – 14.12. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Seminar 12/4
Auguststraße 80 10117 Berlin - Mitte Tel. 030 / 283 95 200 www.ezi-berlin.de