Kontext als Beziehung: Ein Kontextmodell für ... - Semantic Scholar

Wertverlust bestimmter Aktien seines Portfolios, muss er umgehend entscheiden, wie viel ... Von dem anfänglichen Bedürfnis die aktuelle Position eines mobilen ...
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Kontext als Beziehung: Ein Kontextmodell für Mobiles Wissensmanagement Stefan Schulz Intelligente Netze und Management verteilter Systeme Technische Universität Berlin, Sekr. EN6, Einsteinufer 17, 10587 Berlin [email protected] Abstract: Kontext und Kontextbewusstsein sind zwei der meist beanspruchten Begriffe in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Insbesondere im Zeitalter mobiler Informationssysteme tritt die Aufgabe der Kontexterfassung immer mehr in den Vordergrund. Ein wichtiger Teil dieser Aufgabe ist das Management von Kontextinformationen und dessen Nutzung zur Entscheidungsautomatisierung bzw. -unterstützung. Um mit kontextuellen Informationen arbeiten zu können wird ein Modell benötigt, wie diese Informationen abgelegt werden können. Dieses Papier stellt ein solches Modell vor. Kontext wird hierbei als n-äre Beziehung zwischen Informationsobjekten verstanden und kann somit in die Strukturbeschreibung für anwendungsspezifisches Wissen eingebettet werden.

1. Wissen und Kontext In für die Geschichte kurzer Zeit sind wir vom mechanischen Buchdruck im Mittelalter bei der Massenverbreitung von Informationen über elektronische Medien angelangt. Durch digitale Netzwerke sind Menschen weltweit miteinander verbunden und stehen privat und beruflich untereinander in virtuellem Kontakt, teilen Interessen, tauschen Informationen und Wissen aus. Mittlerweile bedient die Technik auch das natürliche, mobile Verhalten der Gesellschaft und ist zu einem allgegenwärtigen Instrument der Kommunikation und Informationsbeschaffung geworden. Ein oft genannter, wichtiger Punkt bei mobiler Kommunikation ist die Betrachtung des Kontexts. Schmidt [Sc02] beschreibt Kontext und Kontextbewusstsein sogar als das zentrale Thema für allgegenwärtige Informationssysteme. Dies ist verständlich, denn für einen Menschen ist stets nur situationsbedingtes Wissen interessant: − Steht ein Techniker vor einem Reparaturproblem, so benötigt er für diesen Kontext speziell das Wissen zur Lösung dieses Problems. − Besucht ein Mitarbeiter eine firmenübergreifende Fachtagung oder Konferenz, so muss er die Informationspolitik seiner Firma beim Informations- und Wissensaustausch beachten. − Erhält ein Börsenmakler brisante Informationen über einen anstehenden möglichen Wertverlust bestimmter Aktien seines392 Portfolios, muss er umgehend entscheiden, wie viel Vertrauen er in die erhaltenen Informationen hat.

Was den Kontext ausmacht Allgemein ist Kontext der inhaltliche „Gedanken-, Sinnzusammenhang, in dem eine Äußerung steht, u. Sach- u. Situationszusammenhang, aus dem heraus sie verstanden werden muss“ [Du01]. Übertragen auf informationstechnischen Austausch und Verwaltung von Wissen kann Kontext als ein mehrdimensionaler Raum beschreiben werden, der sich naturgemäß nie in all seinen Aspekten erfassen lässt. Lenat beschränkt diesen Raum auf zwölf Dimensionen [Le98], die er als meist nützliche Auswahl aller Dimensionen beschreibt, darunter Zeit- und Ortsangaben, kulturelle Informationen, Thema und Granularität, Glaubhaftigkeit und Beweisbarkeit. Einige Ansätze für kontextbewusste Systeme resultieren aus der Entwicklung von Systemen für mobile Einsätze. Von dem anfänglichen Bedürfnis die aktuelle Position eines mobilen Geräts in das Systemverhalten einzubeziehen, gelangt man zu einer allgemeineren Sicht zur Erfassung der Systemumwelt (vgl. [Pa01], [Sc02]). Auch hier wird, ähnlich zu [Le98], die Umwelt in einzelne Dimensionen zerlegt. So unterscheidet Mitchell [Mi02] zwischen Kontexttypen, wie die Nutzeridentität, räumliche Informationen, Umwelt, soziales Umfeld, verfügbare Geräte und Dienste, gesetzte Ziele und Historie. Ziele und Modelle Zusammenfassend kann gesagt werden, dass aktuelle Arbeiten zum Thema Kontext und Kontextbewusstsein auf die Erfassung von Kontextinformationen abzielen, z. B. mittels physischer und funktionaler Sensoren (vgl. [Da01], [Cr02]). Ein häufiges Ziel ist die Unterstützung kontextabhängiger Systeme durch die Bereitstellung von solchen Kontextinformationen. Hierzu beschreiben die Autoren mehrere, oftmals übereinstimmende Dimensionen (oder Typen) über die ein Kontext beschrieben werden kann. Ergänzend beschreiben die Ansätze in [Mi02] und [Sc02] Methodiken, die die Entwicklung kontextbewusster Systeme unterstützen sollen, was unter anderem das Erkennen und Auffinden relevanter Kontextinformationen betrifft. Als Ergebnis der anwendungsgetriebenen Ansätze erhält man ebenso viele unterschiedliche Modelle, um mit Kontext umzugehen. Die ersten Modelle stammen aus der Künstlichen Intelligenz (vgl. [Br99]). Kontext wird hier zumeist in einer logischen Notation dargestellt. Für jede Dimension werden entsprechende Funktionen und Prädikate aufgestellt (vgl. [Le98]). Es entsteht eine Art Regelsystem, das Kontexte als eigenständige Objekte mit den konkreten Eigenschaften der zwölf Dimensionen beschreibt. Eine Verbindung zwischen dieser Beschreibung und den in der Wissensbasis enthalten Informationsobjekten existiert nur in Bezug auf die Zuordnung von Objekten, sprich deren Gültigkeit in einem Kontext. Somit sind zwar abstrakte und detaillierte Kontextanfragen durch mehr oder weniger spezifizierte Dimensionseigenschaften möglich, aber die Frage nach ähnlichen oder verwandten Kontexten ist nur explizit durch den Nutzer realisierbar. Viele Kontextmodelle resultieren aus dem Anwendungsgebiet heraus. In [Mi02] ist dies ein (interaktives) Navigations- und Führungssystem, zum Beispiel für den Einsatz als 393 Stadt- oder Gebäudeführer. Dem System liegt ein geographisches Modell zugrunde, in

denen Ortspunkte, Navigationspunkte, Ortsreferenzen und Beziehungen als Modellierungselemente zur Verfügung stehen. Bis auf die Beziehungen kann jedem Element ein Kontextelement zugeordnet werden, das Informationen über das Element beschreibt, wie z. B. der Öffnungsstatus eines Museums. Das Modell von [Ba03] beschreibt einen Kontext als benannte, zusammengesetzte Struktur, bei der einfache Kontexte aus einem Bezeichner-Zustand-Paar und komplexe Kontexte aus der Zusammensetzung von einfachen und komplexen Kontexten bestehen. Somit bietet sich für die Autoren eine XML-basierte Darstellung an, in der die hierarchische Kontextstruktur abgelegt werden kann.

2. Kontext und Wissensstrukturen Prinzipiell hat eine Trennung von Kontext und Wissen bei Darstellung und Verwaltung eine eher gewachsene Ursache. Die enge Verzahnung zwischen beidem und dass Kontext an sich auch wieder wichtiges Wissen darstellt, spricht für eine gemeinsame Behandlung. Das für die Darstellung von Wissenstrukturen eingesetzte Mittel der Ontologien findet auch hier eine passende Anwendung. Die einzelnen Aspekte (Dimensionen, Kontexttypen) eines Kontexts können dabei aus dem Pool des modellierten Wissens beschrieben werden bzw. diesen Pool erweitern. Kontext als Informationsobjekt Eine Variante ist die Modellierung eines Kontexts als explizites Informationsobjekt. Ein solches Objekt definiert seine Dimensionen über Beziehungen zu anderen Informationsobjekten des Wissensraumes. Dadurch wird die Modellierung eines Kontexts höchst flexibel und ist weder auf die Anzahl zu betrachtender Dimensionen noch auf die Anzahl der für eine Dimension definierten Werte beschränkt. Ein Nachteil ist, dass bei der Extraktion von Wissensbereichen aus der Basis die Abhängigkeit des Kontexts von den Beziehungen zu domänenspezifischen Informationsobjekten nicht offensichtlich modelliert ist. Ein Herausnehmen des Kontext ohne Entnahme aller dazu gehörender Kontextinformationen zerstört jedoch das Wissen um den Kontext selbst. Wissensextraktion ist gerade bei mobilen Wissenssystemen ein wichtiges Mittel, um der Komplexität und dem Austausch von Wissen, zum Beispiel über Mobiltelefone oder PDAs, gerecht zu werden (vgl. [SG03]). Die Offenheit und Flexibilität bei dieser Art der Kontextmodellierung ist zugleich ein Nachteil, da hier die Last der semantischen Kontrolle vollständig auf Seiten der Anwendung liegt. Bei der Darstellung von Kontexten als Informationsobjekten werden die vorhandenen Strukturen einer Ontologie zur Beschreibung der Abhängigkeiten nicht ausgenutzt. Eher muss ein größerer Aufwand in der Wissensanwendung betrieben oder spezielle Dienste erstellt werden, um neben dem Wissensmanagement und Wissensmodellmanagement weiterhin ein separates394 Kontextmanagement zu ermöglichen (vgl. [Th02]).

3. Kontext als Beziehung Beziehungen spielen neben den Informationsobjekten die eigentliche Hauptrolle in Ontologien. Nur durch den Einsatz von Beziehungen wird aus einer reinen Begriffsammlung ein strukturiertes, semantisches Netz. Kontext ist im eigentlichen Sinne ebenfalls ein semantisches Element: eine spezifische Auswahl an Informationsobjekten beschreibt einen speziellen Kontext. Die einzelnen Dimensionen eines Kontexts können auf festgelegte Rollen assoziierter Informationsobjekte abgebildet werden. Die in einem Kontext gültigen Informationsobjekte können über eine Zuordnungsrolle angebunden werden. Beziehungen selbst können über so genanntes Scoping (vgl. [To99]) als in einem Kontext gültig gekennzeichnet werden. Abbildung 1 zeigt beispielhaft eine Beziehung zur Darstellung eines Diskussionskontexts. In dieser Beziehung beschreiben vier Aspekte den Kontext zu den angebundenen Rollen Zeit, Ort, Thema und Gesprächspartner. Ein konkretes Verhalten, ein konkretes Thema und eine konkrete entscheidungsunterstützende Information sind als in diesem Kontext gültige Zuordnungsobjekte angebunden. Die einzelnen Informationsobjekte sind für diese Beziehung entweder als Aspekt oder als Zuordnung typisiert. In einem vollständigen Wissensmodell können auch abgeleitete Aspekte sinnvoll sein, um zum Beispiel speziell zwischen Zeitaspekten, Ortsaspekten, usw. unterscheiden zu können. Analoges gilt für die Typisierung der Kontextbeziehung. Aspekt

Nachmittag

Workshop Zeit

Ort

Knowledge Management Thema

Konkurrent Gesprächspartner

Diskussion

Kontext

Zuordnung

Restriktive Inform.politik

Zuordnung

„TopicMap“

Zuordnung

Vertrauen in erhalt. Wissen

Zuordnung

Abbildung 1: Beispielhafte, vereinfachte 395Darstellung eines Diskussionskontexts

Vorteile des Modells Die Vorteile gegenüber bestehenden, meist anwendungsspezifischen Modellen ist, neben der gemeinsamen Modell- und Datenhaltung, eine flexible, aber dennoch strukturierte Möglichkeit, Kontexte für kontextbewusste Systeme bereitzustellen. Für den Standard Topic Maps [To99] bietet das Modell eine semantische Präzisierung für Kontexte und eine Erweiterung des bereits enthaltenen Scoping Ansatzes [PG01]. Durch die Nutzung von Ontologien ist die Modellierung leichter verständlich. Die Einbindung in die Strukturen für die Wissensmodellierung erhöht die Wartbarkeit, da sich die Kontextinhalte ohnehin auf die Informationsobjekte aus der Wissensbasis beziehen. Durch die Charakteristik einer Beziehung lassen sich bereits auf Modellebene mehrere Eigenschaften für spezifische Kontexte festlegen, darunter die relevanten Domänen für einen Kontext und deren Kardinalitäten, die Abhängigkeit zwischen konkreten Aspekten und dem Kontext und die angebundenen Zuordnungsobjekte. Insbesondere die beiden letzten Punkte ergeben eine leicht automatisierbare Einbindung von Kontexten in die Partitionierung einer Wissensbasis zur teilweisen Entnahme für den Einsatz auf mobilen Geräten. Darüber hinaus erhält man durch die gemeinsame Modellierung von Kontext und Wissen eine Grundlage für die Erkennung gleicher Kontexte: Zwei Kontexte sind gleich, wenn sie vom gleichen Typ sind und die aspektspezifischen Rollen an semantisch gleichbedeutende Informationsobjekte angebunden sind. Enthält das Wissensmodell auf Ähnlichkeiten abbildbare Beziehungen, so kann sogar auf ähnliche Kontexte geschlossen werden, wenn einzelne Aspekte zweier Kontexte derartig vergleichbar verbunden sind. Beispiele für solche abbildbaren Beziehungen sind Generalisierung, Spezialisierung, räumliche und zeitliche Nähe, Firmenzugehörigkeit von Personen, usw. Durch diese Abbildung ist es möglich, unscharf mit Kontexten zu arbeiten und von bereits existierenden Kontexten auf neue, ähnliche Kontexte zu schließen.

4. Zusammenfassung und Ausblick In diesem Papier wurde ein Kontextmodell für mobiles Wissensmanagement vorgestellt, mit dem die Modellierung und Verwaltung von Kontext und Kontextinformationen in das Modell für Wissensstrukturen eingebettet werden kann. Weiterhin wurde diskutiert, worin die Vorteile einer Modellierung von Kontext als Beziehung liegt. Wie beschrieben stellt das Modell eine Grundlage dar, auf dessen Basis unscharfes Kontextretrieval aufsetzen kann. Hierbei bleibt zu untersuchen, wie und welche Beziehungen auf bewertbare Weise interpretiert werden können. Neben offensichtlichen Bewertungsmöglichkeiten für Synonym-/Antonym-Beziehungen kann es sinnvoll sein, explizite Ähnlichkeitsbeziehungen zu modellieren. Für Wissensmanagement und Informationretrieval werden bereits solche speziellen oder auf Ähnlichkeiten abgebildete Beziehungen eingesetzt, z. B. für CBR-basierte Systeme (vgl. [Wr01], [Ra02]). 396

Weiterhin ist ebenfalls der Aspekt des Relevanzverhältnisses zwischen verschiedenen domänenspezifischen Rollen ein interessanter Forschungspunkt. Nicht immer haben alle Aspekte für einen Kontext die gleiche Wichtigkeit. Dies hat auch Auswirkungen auf eine unscharfe Suche über Kontexte. Ein bisher für Wissensstrukturen kaum betrachteter, für Kontexte aber wichtiger Punkt, ist die Betrachtung von numerischen Aspekten. In vielen Fällen reicht eine grobe, begrifflich repräsentierte Beschreibung eines Wertes nicht aus. Standards wie Topic Maps liefern keine Darstellungsmöglichkeit von numerischen Werten. Ein möglicher Lösungsansatz wäre die Anbindung einer speziellen Charakteristik an die Rollenbeschreibung auf Seiten des Informationsobjekts (Topic), das einen numerischen Typen beschreibt.

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