Konstruktion konfigurierbarer Referenzmodelle für die öffentliche ...

Abstract: Die öffentliche Verwaltung sieht sich zunehmend mit einer Modernisie- ... repräsentieren, wird auch bzgl. der Domäne der öffentlichen Verwaltungen ...
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Konstruktion konfigurierbarer Referenzmodelle für die öffentliche Verwaltung Jörg Becker, Lars Algermissen, Patrick Delfmann, Björn Niehaves Westfälische Wilhelms-Universität Münster Institut für Wirtschaftsinformatik Leonardo-Campus 3, D-48149 Münster E-Mail: {becker|islaal|ispade|bjni}@wi.uni-muenster.de Abstract: Die öffentliche Verwaltung sieht sich zunehmend mit einer Modernisierungs- und Leistungslücke konfrontiert, die sie u. a. durch die Neuorganisation ihrer Geschäftsprozesse zu schließen sucht. Bei der Verbesserung von Verfahren und Abläufen können Referenzmodelle eine wertvolle Gestaltungshilfe darstellen. In ihrer Eigenschaft als Speicher für Domänenwissen und durch ihre Allgemeingültigkeit weisen Referenzmodelle ein hohes Wiederverwendungspotenzial auf und ermöglichen so die Ausnutzung von Synergiepotenzialen und die Verringerung von Doppelarbeiten und Redundanzen. Zur weiteren Verringerung des Aufwandes, der bei der Anpassung von Verwaltungsreferenzmodellen an regionale Spezifika entsteht, bieten sich insbesondere konfigurierbare Referenzmodelle an.

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Management von Varianten in Verwaltungsreferenzmodellen

In den letzten Jahren ist im Zuge der Diffusion von eGovernment [BAN03a] auch in öffentlichen Verwaltungen die Ausrichtung der Strukturen an Geschäftsprozessen eingeführt worden [Le97; Fa02, S. 137f.], um der sich stetig ausweitenden Modernisierungsund Leistungslücke zu begegnen [BS99, S. 145]. Zur Bewältigung der Komplexität der notwendigen Reorganisationsmaßnahmen bieten sich Informationsmodelle an, die sich bereits in anderen Domänen hierfür als probates Hilfsmittel erwiesen haben. Um einerseits den Modellierungsaufwand gering zu halten und andererseits auf Ausgangslösungen zurückgreifen zu können, die den aktuellen „best-practice“ bzw. „common-practice“ repräsentieren, wird auch bzgl. der Domäne der öffentlichen Verwaltungen immer häufiger der Einsatz von Referenz-Informationsmodellen (kurz: Referenzmodelle) diskutiert (vgl. z. B. [OV97; Le02]). Vor allem auf kommunaler Ebene, in Deutschland bestehend aus ca. 14.000 Städten und Gemeinden, ist die Übertragbarkeit von Referenzlösungen durch ein gesetzlich bedingtes hohes Maß an Aufgabengleichheit und Strukturanalogien in den verschiedenen Verwaltungen gewährleistet. In Beiträgen der Fachliteratur werden hauptsächlich allgemeingültige Rahmenempfehlungen formuliert, die von einzelverwaltungsspezifischen Varianten abstrahieren (vgl. nochmals [OV97; Le02]). Strukturen in öffentlichen Verwaltungen sind jedoch in sofern variabel, als bspw. neben bundesweit einheitlichen auch länder-, bezirks- und kommunalspezifische Regelungen berücksichtigt werden müssen. Die Nutzung von Verwaltungsreferenzmodellen setzt damit die vorherige Anpassung an regionale Spezifika voraus. Zum einen verursacht dies in der betrachteten Verwaltung einen zusätzlichen Anpassungsaufwand. Zum anderen ist ein

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allgemeiner Wartungsaufwand für sämtliche Referenzmodellnutzer zu erwarten, wenn überregionale gesetzliche Änderungen Anpassungen im Referenzmodell notwendig machen. Hierfür bietet es sich an, entsprechende regionale Varianten bereits bei der Konstruktion des Referenzmodells zu berücksichtigen. Damit verschiebt sich der Anpassungsaufwand zum Referenzmodellersteller. Durch Skaleneffekte, die sich durch die Nutzbarkeit der Modellvarianten für zahlreiche Verwaltungen ergeben, kann dieser Aufwand jedoch teilweise kompensiert werden. In diesem Rahmen ist zusätzlich zu fordern, dass Varianten redundanzfrei in Verwaltungsreferenzmodelle integriert werden, da das Verwaltungsumfeld einem starken Wandel durch häufige Gesetzesänderungen unterliegt. Häufige Änderungen an redundanten Modellen ziehen einen nicht vertretbaren Aufwand nach sich, insbesondere, wenn Änderungen zahlreiche Modelle betreffen, wie es in der öffentlichen Verwaltung der Fall ist. Liegen Varianten integrierende Referenzmodelle redundanzfrei vor, sind derartige Änderungen nur einmalig durchzuführen. Die für die jeweiligen Verwaltungsstellen relevanten Modellvarianten sollten dann in einfacher Form – z. B. durch Angabe des entsprechenden Bundeslandes – aus dem vorliegenden Referenzmodell (automatisiert) ableitbar sein. Ziel dieses Beitrages ist es, einen bestehenden Referenzmodellierungsansatz, der ein redundanzfreies Variantenmanagement ermöglicht, auf die Domäne der öffentlichen Verwaltung anzuwenden und damit der Forderung nach kostengünstigen und trotzdem qualitativ hochwertigen Informationsmodellen nachzukommen.

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Konfigurative Referenzmodellierung als Grundlage des Variantenmanagements

Für die redundanzfreie Integration von Varianten in Referenzmodelle sowie die kriterienbasierte, automatisierte Generierung dieser Varianten bietet sich die konfigurative Referenzmodellierung an [Be02]. Konfigurierbare Referenzmodelle enthalten explizite Ansatzpunkte, die für Teilmodelle bzw. Modellelemente festlegen, für welche Modellzielgruppe sie relevant sind. Auf dieser Grundlage können durch die Anwendung von definierten Regeln (Konfigurationsmechanismen), abhängig von mehreren Kriterien (Konfigurationsparameter), entsprechende Modellvarianten generiert werden [Be02, S. 26]. Konfigurationsparameter werden spezialisiert in Verwaltungsmerkmale/Verwaltungsmerkmalsausprägungen (VM/VMA), Perspektiven und komplexe Konfigurationsparameter, die sowohl auf Perspektiven als auch auf VM/VMA basieren. In Abb. 1 ist dieser Zusammenhang als Entity-Relationship-Modell (ERM, [Ch76]) dargestellt. Konfigurationsparamter

VMVMA-ZuO

D,P

(0,n)

KP-Struktur

(1,1)

Verwaltungsmerkmalsausprägung

(1,n) (0,n)

Komplexer Konfigurationsparamter

Perspektive

Verwaltungsmerkmal

Abb. 1: Zusammenhang zwischen Konfigurationsparametern, Verwaltungsmerkmalen und Perspektiven (in Anlehnung an [Be02, S. 131]).

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Als Verwaltungsmerkmal kann z. B. die Zugehörigkeit einer Kommunalverwaltung zu einem bestimmten Bundesland verwendet werden. Zusätzlich wird in Form von Perspektiven berücksichtigt, dass verschiedene Nutzergruppen innerhalb einer Verwaltung unterschiedliche Anforderungen an die konzeptionelle und repräsentationelle Aufbereitung der Modelle stellen können (vgl. auch [RS99, S. 26ff.; RSD03, S. 49]). Um die Komplexität der Konfiguration für Referenzmodellersteller und -nutzer zu reduzieren, ist die Bereitstellung von Konfigurationsmechanismen mit unterschiedlichen Wirkungsgraden vorteilhaft. Dabei sind sowohl sprachbezogene als auch modellbezogene Konfigurationsmechanismen zu berücksichtigen [Be02, S. 60, 92-130]: • Modelltypselektion: Modelltypen repräsentieren die Ergebnistypen spezieller Modellierungstechniken. Die Relevanz der Modelltypen ist abhängig vom Konfigurationsparameter. Z. B. werden von verschiedenen Nutzergruppen unterschiedliche Modellierungstechniken bevorzugt. Daher unterstützt dieser Konfigurationsmechanismus die vom Konfigurationsparameter abhängige Selektion von Modelltypen. • Elementtypselektion: Feingranulare Konfigurationsregeln lassen sich u. a. mit der Elementtypsektion vornehmen. Der Mechanismus erlaubt die Variantenbildung zu den verschiedenen Modelltypen zu bilden, indem abhängig vom Konfigurationsparameter eine unterschiedliche Anzahl an zur Verfügung stehenden Objekttypen pro Modelltyp zugelassen wird. • Elementselektion: Die Elementselektion erlaubt die Zuordnung einzelner Modelle bzw. Modellteile zu Konfigurationsparametern. So können z. B. für eine bestimmte Kommune nicht relevante Prozessstränge innerhalb eines Verwaltungsprozesses ausgeblendet werden. • Bezeichnungsvariation: Dieser Mechanismus berücksichtigt unterschiedliche Begriffskonventionen, die in Verwaltungen gelten können und ermöglicht einen von Konfigurationsparametern abhängigen Begriffsaustausch. So werden z. Β. in unterschiedlichen Kommunen die Begriffe „Amt“ und „Fachdienst“ synonym verwendet. • Darstellungsvariation: Die Darstellungsvariation ermöglicht die Zuordnung unterschiedlicher repräsentationeller Aspekte, wie die Verwendung unterschiedlicher Symbole je Elementtyp bzw. die unterschiedliche topologische Anordnung von Modellen, zu Perspektiven.

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Konfigurierbare Referenzmodelle im Baugenehmigungsprozess

Als Anwendungsbeispiel für die konfigurative Referenzmodellierung in der öffentlichen Verwaltung dient das Baugenehmigungsverfahren. Da das Baurecht in den Zuständigkeitsbereich des Landes fällt, wird in einem ersten Konfigurationsschritt das Bundesland selektiert, für das ein Referenzmodell generiert werden soll (vgl. Abb. 2). Im Beispiel wurde Nordrhein-Westfalen ausgewählt. Pro Bundesland gibt es ggf. mehrere Verfahrensarten, die sich u. a. nach der Einwohnerzahl einer Gemeinde richten. So haben in NRW nur Gemeinden ab 25.000 Einwohnern eine eigene Bauaufsicht. Bei weniger Bürgern ist der jeweilige Kreis zuständig. Im zweiten Konfigurationsschritt erfolgt daher eine Anpassung des Referenzmodells anhand der Einwohnerzahl. Im Beispiel wurde

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eine Gemeinde mit eigener Bauordnung ausgewählt. Für beide Konfigurationsschritte eignet sich die in Abschnitt 3 vorgestellte Elementselektion.

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Posteingang und Einstufung des Bauantrages

FD 63

Bauantrag ist per Post eingegangen Bauantrag Fachdienstleitung zustellen

Vorprüfung des Bauantrages

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führt durch

Bauantrag ist zugestellt

führt durch

Bauantrag sichten

Beteiligung der Fachämter und ggf. externer Institutionen

Baugenehmigungsverfahren Einwohnerzahl >25.000

Einwohnerzahl 25.000

FD 61

Vorzimmer

Genehmigungsfreies Verfahren durchführen

Antrag nach vereinfachte m Verfahren liegt vor Vereinfachtes Verfahren durchführen

Antrag nach normalem Verfahren liegt vor Normales Verfahren durchführen

Abb. 2: Konfiguration eines Referenzmodells des Baugenehmigungsprozesses

Für eine erhöhte Übersichtlichkeit wird ein Ordnungsrahmen zwischengeschaltet, der für alle organisatorischen Perspektiven identisch ist und die Eingrenzung des Gesamtprozesses auf einen relevanten Teilausschnitt erlaubt (z. B. Posteingang und Einstufung des Bauantrages). Dieser Vorgang ist kein eigener Konfigurationsschritt, sondern dient lediglich der vereinfachten Navigation durch den sehr umfangreichen Gesamtprozess. Schließlich ist die Perspektive des Modellnutzers festzulegen. Je nach Perspektive können über Konfigurationsmechanismen verschiedene Aspekte des Modells variiert werden. So sind z. B. mit Hilfe der Elementtypselektion nicht relevante, in Prozessen annotierte Ressourcentypen je nach Perspektive auszublenden. Für einen IT-Leiter sind beispielsweise vorrangig die in Prozessmodellen annotierten Anwendungssysteme, für einen Organisationsgestalter eher die zuständigen Organisationseinheiten relevant.

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Zusammenfassung und Ausblick

Strukturanalogien bestehen zwischen verschiedenen Verwaltungsprozessen innerhalb einer Behörde und in stärkerem Maße bei gleichartigen Prozessen zwischen Behörden. Im Zuge einer weitreichenden prozessorientierten Verwaltungsmodernisierung bietet die Entwicklung von Referenzprozessmodellen als Speicher von Domänenwissen Potenzial, die Komplexität von eGovernment-Projekten zu reduzieren und deren Umsetzung zu beschleunigen. Bislang sind jedoch nur wenige Versuche unternommen worden, das in speziellen Reorganisationsprojekten in Verwaltungen gewonnene Wissen zu verallgemeinern und in Form von konkreten Referenzmodellen zu dokumentieren. Daher sind

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weitere Bestrebungen zur Erarbeitung von Kriterien zur Verallgemeinerbarkeit von Informationsmodellen und zur Erstellung von konkreten Referenzmodellen für die öffentliche Verwaltung vorzunehmen. Bei der Konstruktion konfigurierbarer Referenzmodelle ist darüber hinaus zu beachten, die Konfigurationsmechanismen derart zu gestalten, dass sich die praktische Anpassung der Referenzmodelle entsprechend einfach darstellt. Vor allem müssen Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, die nicht in allen Fällen über umfassendes methodisches Know-how verfügen, in die Lage versetzt werden, selbstständig Konfigurationen vorzunehmen. Die Anwendbarkeit der konfigurativen Referenzmodellierung setzt folglich die Entwicklung eines entsprechenden Modellierungstools voraus, das die vorgestellten Konzepte implementiert.

Literaturverzeichnis [BAN03a] Becker, J.; Algermissen, L.; Niehaves, B.: E-Government – State-of-the-Art und Entwicklungsperspektiven. Erscheint in: J. Becker, H. L. Grob, S. Klein, H. Kuchen, U. Müller-Funk, G. Vossen (Hrsg.): Arbeitsberichte des Instituts für Wirtschaftsinformatik, Nr. 94. Münster 2003. [BAN03b] Becker, J.; Algermissen, L.; Niehaves, B.: EVPK – Ereignisgesteuerte Verwaltungsprozesskette. Erscheint in: Tagungsband des Internationalen Rechtsinformatik-Symposiums (IRIS) 2003. [Be02] Becker, J.; Delfmann, P.; Knackstedt, R.; Kuropka, D.: Konfigurative Referenzmodellierung. In: J. Becker, R. Knackstedt (Hrsg.): Wissensmanagement mit Referenzmodellen. Heidelberg 2002, S. 25-144. [BS99] Budäus, D.; Schwiering, K.: Die Rolle der Informations- und Kommunikationstechnologien im Modernisierungsprozeß öffentlicher Verwaltungen. In: A.-W. Scheer (Hrsg.): Electronic Business und Knowledge Management. Heidelberg 1999, S. 143165. [Ch76] Chen, P. P.: The Entity-Relationship Model. Toward a Unified View of Data. ACM Transactions on Database-Systems, 1 (1976) 1, S. 9-36. [Fa02] Falck, M.: Business Process Management - As a Method of Governance. In: K. Lenk, R. Traunmüller (Hrsg.): Electronic Government. Proceedings of the 1st International Conference EGOV 2002, Aix-en-Provence. Berlin et al. 2002, S. 137-141. [Le97] Lenk, K.: Business Process Re-Engineering in the Public Sector: Opportunities and Risks. In: J. A. Taylor, I. T. M. Snellen, A. Zuurmond (Hrsg.): Beyond BPR in Public Administration. Institutional Transformation in an Information Age. Amsterdam 1997, S. 151-163. [Le02] Lenk, K.: Referenzmodell für den elektronischen Bürgerservice. Grundlegende Überlegungen zur Umsetzung von E-Government. Innovative Verwaltung, Sonderheft (2002) 1, S. 57-61. [OV97] O. V.: Handlungsleitfaden IT-gestützte Vorgangsbearbeitung. http://kbst.bund.de/ Anlage302995/Band+35+komplett+(667+kB).zip. Abrufdatum: 27.06.2003. [RS99] Rosemann, M.; Schütte, R.: Multiperspektivische Referenzmodellierung. In: J. Becker, M. Rosemann, R. Schütte (Hrsg.): Referenzmodellierung. State-of-the-Art und Entwicklungsperspektiven. Heidelberg 1999, S. 22-44. [RSD03] Rosemann, M.; Schwegmann, A.; Delfmann, P.: Vorbereitung der Prozessmodellierung. In: J. Becker, M. Kugeler, M. Rosemann (Hrsg.): Prozessmanagement. Ein Leitfaden zur Prozessorientierten Organisationsgestaltung. 4. Auflage, Berlin et al. 2003, S. 47-105.

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