Klimapolitik nach Doha – Hindernisse in Lösungen verwandeln

sikofreie Plattform für den Zertifikatehandel (Stilllegung; Aufforstung) zu schaf- fen. Damit wird nicht nur ... alleine keine tragfähige Option mehr ist. Sie verstehen ...
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Klimapolitik nach Doha – Hindernisse in Lösungen verwandeln F. J. Radermacher1

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Prof. Dr. Dr. F. J. Radermacher, Vorstand des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung/n (FAW/n), zugleich Professor für Informatik, Universität Ulm, Präsident des Senats der Wirtschaft e. V., Bonn/Berlin, Vizepräsident des Ökosozialen Forum Europa, Wien sowie Mitglied des Club of Rome Korrespondenzadresse: Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW/n), Lise-Meitner-Str. 9, D-89081 Ulm, Tel. 0731-50 39 100, Fax 0731-50 39 111, E-Mail: [email protected], http://www.faw-neu-ulm.de

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Frust dominiert Die internationalen Klimaverhandlungen kommen nicht richtig vorwärts. Zehntausende reisende Unterhändler, drängende NGOs und kommentierende Journalisten und allenthalben Frust, da der Umfang an Klimagasemissionen unentwegt wächst. Viele Beobachter haben das Zwei-Grad-Ziel längst aufgegeben und argumentieren nicht mehr für mehr Klimaschutz, sondern für den Schutz der Bevölkerung vor den Folgen einer nicht mehr zu verhindernden Klimakatastrophe.

Gibt es noch eine Chance? Es gibt noch eine Chance, aber nicht mehr unter Beibehaltung der bisherigen Verhandlungslogik. Die Zeit ist über sie hinweg gegangen, die Bedingungen haben sich fundamental verändert. Jetzt helfen allenfalls noch neue Ansätze: mehr systemische Intelligenz, die die Weltgemeinschaft aus dem Hamsterrad der bisherigen Verhandlungslogik herausbringt.

Eine Bilanz hat zwei Seiten Die bisherige Verhandlungslogik zielt auf die Drosselung der weltweiten Klimagasemissionen auf ein genügend niedriges Niveau, um insgesamt im Rahmen eines sich ständig verringernden Gesamtbudgets noch zulässiger Emissionen zu verbleiben. Gestritten wurde all die Jahre über die Größe des Gesamtbudgets, seine Aufteilung auf die Staaten und begleitende Finanztransfers von Nord nach Süd. Ein tragfähiger Kompromiss kam nie zustande. Heute ist ein Klimaabkommen gemäß dieser Logik sachlich unmöglich, weil die Drosselung mittlerweile so weit gehen müsste, dass sie weltweit den Wohlstand und in den aufholenden Ländern die legitimen Wachstumsambitionen verunmöglichen würde. Das kann keine politische Führung gegenüber ihrer Bevölkerung verantworten. Der Wohlstand der Gegenwart ist kurzfristig wichtiger als potenzielle Klimaprobleme in der Zukunft. Deshalb braucht die Welt einen neuen Verhandlungsansatz und einen starken Joker, verbunden mit der Erkenntnis, dass das Beharren auf dem bisherigen Lösungsansatz zum ultimativen Klimarisiko wird. Eine immer stärkere Drosselung unter Beachtung des immer kleiner werdenden Restbudgets an verkraftbaren Emissionen reicht nicht mehr aus. So viel wie notwendig wäre kann kurzfristig gar nicht gedrosselt werden. Die neue Aufgabe besteht darin, den CO2-Gehalt der Atmosphäre aktiv zu managen. Die CO2-Bilanz hat zwei Seiten, nicht nur die Seite der Klimagasemissionen, sondern auch die Seite des Herausholens von CO2 aus der Atmosphäre. Letzteres muss in Zukunft massiv geschehen, um Zeit zu gewinnen für den natürlich nach wie vor unverzichtbaren Umbau der weltweiten Wertschöpfungssysteme.

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Eine neue Logik Eine mögliche neue Logik für einen Weltklimavertrag, ein pragmatischer Ansatz, wurde in Kopenhagen in einer Absprache zwischen China und den USA entwickelt. Das gilt es zu würdigen, weiterzuverfolgen und umzusetzen. Ein derartig pragmatischer Vertrag ist auch jetzt noch möglich, auch wenn er zugegebenermaßen unvollständig ist. Die von China und den USA angedachte Kopenhagenformel ist ein realistischer Kompromiss, welcher die Kyotoformel, die in Doha in letzter Minute für die Übergangszeit verlängert wurde, klug fortschreibt und geeignet ist als Basis für einen Weltklimavertrag, der 2015 unterschrieben werden könnte, um 2020 (oder auch früher) in Kraft zu treten. Er würde eine wesentliche Verbesserung der Kyotoformel gemäß folgender Logik bringen:

Industrieländer senken ihre Emissionen absolut ab und erklären selber wie viel. Nicht-Industrieländer senken ihre Emissionen relativ zu ihrer wirtschaftlichen Wachstumsrate ab und erklären selber wie viel. Freiwillige Zahlungen industrialisierter Länder in einen Klimafonds zu Gunsten nicht-industrialisierter Ländern sollen diesen helfen, sich zu beteiligen.

Der Kern dieses Kompromisses sind freiwillige Zusagen der Staaten. Das ist politisch tragfähig und erlaubt den Staaten eine Orientierung an ihren je spezifischen Möglichkeiten. Alle Staaten werden eingebunden, wobei den sich entwickelnden Staaten gerechterweise für die nächsten Jahre nur Einschränkungen relativ zu ihrem Wirtschaftswachstum abverlangt werden. Daraus resultiert eine von den Wachstumsraten der Nicht-Industrieländer abhängige dynamische Deckelung der Gesamtemissionen. Das ist nicht die volle Lösung des Klimaproblems, kann aber intelligent mit weiteren Bausteinen zu einer Lösung ausgebaut werden. Die in ihrer Unvollständigkeit liegende Schwäche der Lösung wird zu ihrer Stärke. Alle wichtigen Staaten haben ihre Zustimmung bereits signalisiert. Das erlaubt dann als starken zusätzlichen Hebel die Einbindung von WTOGrenzausgleichsabgaben zur Durchsetzung eines wasserdichten Klimaregimes. Das ist fast wie bei „Münchhausen“. Eine perfekte Lösung ist in Reichweite. Was fehlt, ist die zweite Hälfte. An dieser Stelle werden dringend Joker benötigt.

Die Joker Wer sorgt in wohlstandskompatibler Weise für die Stilllegung von Emissionsrechten (Schließen der sog. Verhandlungslücke) und wer sorgt anschließend für das Herausziehen der trotz der erfolgten Stilllegungen noch zu hohen Emissionen aus der Atmosphäre (Schließen der sog. Sequestrierungslücke)? Mit welchen Mechanismen kann dies erfolgen? Zwei Joker liegen insofern auf dem Tisch: (1) Die Stilllegung von Emissionsrechten in dem Umfang, wie dies mit weltweiter Wohlstands- und Wachstumsperspektive kompatibel ist. Das für diesen Zweck freigegebene Volumen kann jährlich auf Arbeitsebene (und orientiert an den Erfahrungen der Vorjahre) zwischen den Staaten der Welt fixiert werden. (2) Das Entziehen von CO2 aus der Atmosphäre durch Waldschutz, ein Weltaufforstprogramm und die Intensivierung von Grünlandmanagement.

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Wer soll die entsprechenden Maßnahmen bezahlen? Die Umsetzung der Joker kostet viel Geld, die Staaten können das nicht leisten. Glücklicherweise drängen viele Akteure des Privatsektors heute schon in diese Lücke - aus Reputationsgründen, aus politischen Erwägungen, aus ethischen Motiven. Unternehmen, Organisationen, Privatpersonen - immer mehr Akteure wollen klimaneutral sein. Große Unternehmen haben bereits ihre Klimaneutralität angekündigt. So auch das Land Hessen, das bis 2030 klimaneutral sein will und das in dieser Thematik politischer Vorreiter ist. In der Wirtschaft wird unter CSR-Aspekten Druck auf Vorlieferanten ausgeübt. Gut bezahlende Konsumenten und leistungsstarken Investoren artikulieren entsprechende Anforderungen an Markenhersteller. Hunderte Akteure sind heute bereits im Umfeld von Klimaneutralität engagiert. Die Schweiz wird gesetzlich die Neutralisierung des gesamten Energiesektors durchsetzen. In Deutschland sind die deutschen Schornsteinfeger, die Glücksbringer der Nation, die Umwelt- und Klimaexperten, die jedes Haus besuchen, ebenfalls bereits aktiv. Die Finanzierung von Klimaneutralität durch den Privatsektor ist der Schlüssel für ein funktionierendes Weltklimaregime. Über den Verkauf von Zertifikaten für Stilllegungszwecke können jährlich auch die 100 Milliarden Dollar erschlossen werden, die für den ebenfalls in Kopenhagen verabredeten Weltklimafonds zur Förderung der Zusammenarbeit von Nord und Süd erforderlich sind. Heute weiß noch niemand, wo das Geld für den Fonds herkommen soll. Die Aufgabe der Politik besteht in den hier beschriebenen Ansatz nur noch darin, eine reputationsrisikofreie Plattform für den Zertifikatehandel (Stilllegung; Aufforstung) zu schaffen. Damit wird nicht nur den Gerechtigkeitserfordernissen zwischen Nord und Süd Genüge getan, sondern zusätzlich auch den Gerechtigkeitsanforderungen zwischen Premiumkonsumenten und normalen Bürgern. In den Golfstaaten, in China und Indien, in Mexiko und Brasilien gibt es mittlerweile ähnlich viele Premiumkonsumenten wie in der reichen Welt.

„Out of the box“ Was ist das Neue an der beschriebenen zweiten Chance für ein funktionierendes Weltklimaregime, die allerdings auch nur noch für 10-15 Jahre besteht und vielleicht auch nicht genutzt werden wird? Die Regierungen der Welt verstehen, dass sie das Klimaproblem alleine und nach der früher verfolgten Vertragslogik nicht mehr lösen können. Sie verstehen auch, dass eine Drosselung der Emissionen alleine keine tragfähige Option mehr ist. Sie verstehen, dass ein stringentes Cap auf Regierungsebene nicht erreicht werden kann, aber auch, dass dies gar nicht erforderlich ist. Ausreichend ist bereits ein dynamisches Cap gemäß der Kopenhagenformel. Das ist die halbe Lösung. Die zweite Hälfte ist die Eröffnung einer reputationsrisikofreien „Bühne“ für private Akteure, d.h. für Organisationen, Unternehmen und Privatpersonen, die sich klimaneutral stellen wollen. Das betrifft die beiden verfügbaren Joker, also die Stilllegung von Emissionsrechten und die biologische Sequestrierung. Beides ist teuer und zugleich wirkungsvoll. Mit letzterer wird der Atmosphäre in großem Umfang CO2 entzogen. CO2 wird zu einer produktiven Ressource für neuen Wohlstand, vor allem in den ärmeren Teilen der Welt. Dies ermöglicht gleichzeitig Partnerschaften für Klimaschutz zwischen Nord und Süd, ohne die das Weltklimaproblem ohnehin nicht gelöst werden kann.

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Ein wasserdichter Vertrag ist bis 2015 ausverhandelbar. Er kann 2020, aber auch schon früher in Kraft treten. Wenn bis dahin in großem Stil aufgeforstet wird, können sogar die Emissionen neutralisiert werden, die bis dahin deshalb im Übermaß erfolgen werden, weil das Ziel der Weltgemeinschaft, bis 2012 einen Klimavertrag auszuverhandeln, verfehlt wurde. Es gibt immer noch eine Chance, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, aber auch dieses Fenster wird sich irgendwann schließen, weil die Flächen für Aufforstung im Süden des Globus mit dem erheblichen Volumen von 500 Mio. Hektar zwar riesig sind, jedoch nicht unerschöpflich. Deshalb gilt es, schnell aus der „Box“ herauszukommen, die bisherige Verhandlungslogik aufzugeben und neues Denken zu praktizieren. Wir haben uns in eine so schwierige Lage gebracht, dass nur noch ein massiver Einsatz systemischer Intelligenz ein Fenster zur Lösung des Klimaproblems eröffnet. Fantasie und Agilität werden dabei zu einer entscheidenden Ressource.

Wichtige Bezüge: 1. Berliner Appell: Klimaneutral handeln. www.klimaneutral-handeln.de 2. Bundesverband des Schornsteinferhandwerks, Zentralinnungsverband: CO2OL - Aufforstung für aktiven Klimaschutz. www.co2ol.de 3. Chakravarty, S., Chikkatur, A., de Coninck, H. , Pacala, S. , Socolow, R. and Tavoni, M.: Sharing global CO2 emission reductions among one billion high emitters. PNAS Published online before print July 6, 2009, doi:10.1073/pnas. 0905232106; PNAS July 21, 2009 vol. 106 no. 29 11884-118882009 4. Deutsche Bahn: Ab 01.04.2013 Angebot an die Bahncard- und Zeitkarteninhaber, ohne Aufpreis mit 100 Prozent Ökostrom in den ICE-, Intercity- und Eurocityzügen der DB unterwegs zu sein. Bahnberichte November 2012, www.bahnnews.info/aktuelles/bernov12.htm 5. Hölscher, L., Radermacher, F. J.: Klimaneutralität – Hessen geht voran. Springer Vieweg Verlag, 2012 6. Paketdienst DPD wird grün. Handelsblatt, 15.02.2012 7. Radermacher, F. J.: Wege zum 2-Grad-Ziel – Wälder als Joker. Politische Ökologie 127, Bürgerbeteilung 3.0, S. 128-131, 2011 8. World Resources Institute. World Resources Institute: Global Map of Forest Landscape Restoration Opportunities. Online at: http://www.wri.org/map/global-map-forestlandsape-restoration-opportunities. Washington DC, 2010 www.wri.org/

Weitere Informationen finden sich unter: www.globalmarshallplan.org/ www.faw-neu-ulm.de www.senat-der-wirtschaft.de/

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