Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit

Wie wollen wir leben? EBERHARD VON KUENHEIM STIFTUNG,. AKADEMIE KINDER PHILOSOPHIEREN (HRSG.) Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit ...
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EBERHARD VON KUENHEIM STIFTUNG, AKADEMIE KINDER PHILOSOPHIEREN (HRSG.)

Wie wollen wir leben?

Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit

Gedruckt mit Unterstützung der Finanzgruppe Deutscher Sparkassen- und Giroverband und der BMW Group.

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter www.oekom.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 oekom, München oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, Waltherstraße 29, 80337 München Text und Redaktion: Beate Krüger, Diana Schick, Gundi Metzner-Dinse, Bettina Schröer Gestaltung, Satz und Layout: Carsten Abelbeck Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Dieses Buch wurde auf 100%-igem Recyclingpapier gedruckt. Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-229-2 e-ISBN 978-3-86851-394-7

EBERHARD VON KUENHEIM STIFTUNG, AKADEMIE KINDER PHILOSOPHIEREN (HRSG.)

Wie wollen wir leben? Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit

Inhaltsverzeichnis 7 8 9

Geleitwort Vorwort der Deutschen UNESCO-Kommission Vorwort von Dr. Ludwig Spaenle, Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus

Theoret ische Grundlagen 11 17 23

„Nachhaltigkeit – Leitkultur für die Zukunft“ von Dr. Joachim Hamberger „Was ist Bildung für nachhaltige Entwicklung?“ von Joseph Scheppach Warum Philosophieren und Nachhaltigkeit?

Prakt ische Umset zung 27

Anleitung zum Philosophieren Die philosophischen Einheiten

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Mensch und Natur 45 Wem gehört die Natur? 49 Ist der Mensch wichtiger als die Natur? 51 Haben Pflanzen Gefühle? 54 Sind alle Tiere gleich viel wert?

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Konsum 62 Was ist Verzicht? 65 Wie viel ist genug? 67 Was macht Müll zu Müll? 69 Können wir ohne Strom leben? 71 Was bedeutet es, mobil zu sein?

75

Gemeinschaft 78 Brauchen wir Regeln? 81 Was bedeutet Verantwortung? 83 Was ist Gerechtigkeit? 85 Was ist Mitgefühl?

89

Lebensfreude 92 Was ist Lebenslust? 94 Was bedeutet Dankbarkeit? 96 Ist Gesundheit für jeden Menschen das Gleiche? 98 Kann man für immer zufrieden sein?

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Kultur 104 Warum sind nicht alle Menschen gleich, sondern irgendwie anders? 106 Ist mein Zuhause auch meine Heimat? 108 Warum feiern Menschen Feste? 110 Macht Reisen schlau? 112 Wo beginnt Technik?

117

Zukunft 120 Wann ist morgen? 122 Kann man die Zukunft planen? 124 Was bedeutet es, etwas zu verändern?

127

Nachhaltigkeit 129 Was bedeutet Nachhaltigkeit?

Erfahrungen aus der Pra xis 135

Interviews mit Lehrern und Erziehern

141 Literatur 143 Die Herausgeber 14 4 Dank Wir bitten alle Leserinnen um Verständnis, dass wir in diesem Buch aus Gründen der Lesbarkeit durchgängig die männliche Form verwenden, wohl wissend, dass ein Großteil des pädagogischen Personals an Kindergärten und Grundschulen weiblich ist.

Geleit wort Wie entstehen neue Ideen? Häufig über intensives Nachdenken oder einen Geistesblitz – manchmal aber auch über die Begegnung von Menschen. Im April 2010 gab es im Rahmen einer Veranstaltung des Wertebündnis Bayern solch eine Begegnung. Wir, Roswitha Wiesheu und Carl-August Graf v. Kospoth, lernten uns kennen. Sehr schnell wurde im Gespräch deutlich, dass sich die Arbeit der Eberhard von Kuenheim Stiftung und der Ansatz der Akademie Kinder philosophieren optimal ergänzen. Auf der einen Seite steht Projektarbeit zu aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen, auch mit dem Ziel, nachhaltiges Handeln in der Gesellschaft zu stärken, und auf der anderen Seite steht ein Philosophie-Konzept, bei dem Kinder Antworten auf Fragen suchen, die alle Menschen betreffen, und darüber ein Gefühl für Werte und Normen entwickeln. Gemeinsam war uns klar: Der Weg zu verantwortungsbewusstem Handeln führt insbesondere auch bei Kindern über eigenständiges Denken. Das war die Geburtsstunde des Projekts „Junge Vor!Denker – Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit.“ Ein Ansatz, den sogar die UNESCO zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung empfiehlt, der aber in der Praxis bisher noch nicht umgesetzt wurde. Mit dem gemeinsam entwickelten Projekt haben wir somit erstmalig den Praxistest angetreten. Junge Vor!Denker wendet sich an Erzieher und Lehrkräfte der Grundschule, die in praxisnahen Fortbildungen Denkwerkzeuge des Philosophierens mit Kindern erlernen und für die Notwendigkeit des nachhaltigen Handelns sensibilisiert werden. Im Schuljahr

2010/11 wurde eine erste Fortbildungsreihe pilothaft durchgeführt: die Grundschule, die Kita Ickolino und der Kindergarten Dorfen in der Gemeinde Icking ließen sich auf das Experiment ein. Zwölf Projektteilnehmer erarbeiteten sich in fünf modularen Workshops durch Vorträge und gemeinsame Diskussionen die methodischen Grundlagen und führten parallel im Unterricht regelmäßig Philosophie-Einheiten zum Thema Nachhaltigkeit mit Kindergarten- und Grundschulkindern durch. Komplexen Fragen wie „Was ist Verzicht?“ und „Wem gehört die Natur?“ näherten sich die Kinder mit wachsender Selbstverständlichkeit. Die Ermutigung‚ selbst zu denken stärkte dabei ihr Urteilsvermögen und förderte eine Haltung der gegenseitigen Wertschätzung, der Offenheit und des Vertrauens. Die Erfahrungen waren so positiv, dass die Projektergebnisse nun in dem vorliegenden Lehrbuch aufbereitet worden sind. Es richtet sich an alle interessierten Erzieher und Lehrkräfte der Grundschule und möchte dazu beitragen, dass die wunderbare Verbindung Philosophieren über Themen der Nachhaltigkeit Verbreitung findet. Wir wünschen allen Lesern viel Spaß bei der Lektüre und der anschließenden Umsetzung – und freuen uns jederzeit über Rückmeldungen aus der Praxis.

Roswitha Wiesheu Akademie Kinder philosophieren im bbw e.V. Carl-August Graf v. Kospoth Eberhard von Kuenheim Stiftung

Geleitwort |

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Vorwort der Deutschen UNESCO-Kommission Warum sollen Kinder über Themen der Nachhaltigkeit philosophieren? Kinder suchen nach Orientierung im Leben und stellen existenzielle Fragen. Es gilt, sie auf der Suche nach Antworten zu begleiten. Denn philosophieren heißt nichts anderes, als eigene Antworten auf Fragen zu finden, die alle Menschen betreffen. Nachhaltigkeit ist dabei eines der zentralen Themen der Zukunft für das menschliche Zusammenleben auf unserer Erde. Dafür wirbt die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2005-2014). In Deutschland koordiniert die Deutsche UNESCO-Kommission die Umsetzung der Bildungsdekade. Das Prinzip Nachhaltigkeit soll Maßstab für das Denken und Handeln jedes Einzelnen werden. Ein Prinzip, das vermittelt werden muss, denn erst die Bildung für Nachhaltigkeit liefert das Rüstzeug, um Verantwortung zu übernehmen, sinnvolle Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und drängende Probleme gemeinsam zu lösen. Ziel sind selbstverantwortlich handelnde Persönlichkeiten, die ihr Leben nach dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung gestalten. Das Philosophieren mit Kindern wird hierfür von der UNESCO-Studie „Philosophy – A School of Freedom“ ausdrücklich empfohlen. Ob man mit Kindern aber auch konkret über die vielfältigen Themen der Nachhaltigkeit philosophieren kann, wurde bisher noch nicht in der Praxis erprobt.

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| Vorwort

Das Projekt „Junge Vor!Denker – Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit“ der Eberhard von Kuenheim Stiftung der BMW AG zusammen mit der Akademie „Kinder philosophieren“ im Bildungswerk der bayerischen Wirtschaft e.V. schließt diese Lücke. In philosophischen Gesprächen über Themen der Nachhaltigkeit regen die pädagogischen Fachkräfte Kinder und Schüler in Grundschulen und Kindertagesstätten an, gemeinsam mit anderen über die Grundfragen des Lebens nachzudenken. Die Kinder erkennen, was wesentlich ist und finden so eine nachhaltige Wertorientierung für den Alltag. Neue Erfahrungs- und Handlungsräume werden eröffnet, in denen Werte eines nachhaltigen Lebensstils erlebt und selbst gelebt werden können. Auf diese Weise wird, so Kofi Annan, ehemaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen, „unsere größte Herausforderung im 21. Jahrhundert“ angegangen, „die einstweilen noch abstrakt wirkende Idee einer nachhaltigen Entwicklung zur Realität für alle Menschen dieser Erde zu machen“. Auch unterstreicht diese Initiative die Forderung von Prof. Gerhard de Haan. „Nachhaltigkeit zu lernen muss in Schulen, Ausbildung und Studium selbstverständlich werden“, erklärt der Vorsitzende des Deutschen Nationalkomitees für die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. „Nur so können künftige Generationen globale Probleme wie den Klimawandel oder ungerechte Verteilung von Ressourcen bewältigen.“ Die Initiative „Junge Vor!Denker“ spiegelt neben vielfältigen Maßnahmen die beeindruckende Vielfalt der Aktivitäten innerhalb

der UN-Dekade wider. Erstmalig zeigt dieses Projekt, dass bereits Kinder der Vor- und Grundschule über die vielfältigen Themen der Nachhaltigkeit philosophieren können. Minister a. D. Walter Hirche

Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission

Vorwort des Bayerischen Staatsministers f ür Unterricht und Kultus Bildung nimmt eine Schlüsselrolle für die Zukunftsfähigkeit unserer Kinder und Jugendlichen ein. Grundvoraussetzungen für Bildung sind das Vertrauen in die Fähigkeit selbst zu denken und die Vermittlung von Werten für ein verantwortungsvolles und demokratisches Miteinander. Denn Bildung, verstanden in einem ganzheitlichen Sinne, umfasst nicht nur Wissen, sondern bedeutet auch die Bildung der jungen Menschen zu verantwortungsbereiten Persönlichkeiten. Dem stellen sich unsere Schulen durch eine umfassende Werteerziehung. Hier werden soziale, kognitive und emotionale Fähigkeiten gleichermaßen beansprucht und herausgebildet. Anliegen des Philosophierens im Besonderen als fächer- und einrichtungsübergreifendem Bildungsprinzip und als Kulturtechnik ist es, Sinnorientierung, Persönlichkeitsstärkung, Wertebildung und Verantwortungsbewusstsein in Schulen und Kindertagesstätten zu ermöglichen. In diesem Sinne ist das Philosophieren als partizipatives und ganzheitliches Bildungsprinzip im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan integriert und wird in die „Bildungsleitlinien für die Bildung und Erziehung von Kindern bis zum Ende der Grundschulzeit“ aufgenommen. Auf der anderen Seite gehört Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt zu den obersten Bildungszielen der Bayerischen Verfassung. Seit 1990 sind die Richtlinien für Vorwort |

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die Umwelterziehung an den bayerischen Schulen in Kraft. Durch die Agenda 21, die bei der Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro entwickelt und 2002 in Johannesburg bekräftigt wurde, erhielt die Umwelterziehung eine neue Dimension: Leitziel ist die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Hierbei geht es nicht in erster Linie um die Vermittlung eines wünschenswerten Verhaltens oder um moralische Appelle, sondern vielmehr um die Befähigung von Kindern und Jugendlichen, altersangemessen aktiv am gesellschaftlichen Geschehen teilzuhaben und es mitgestalten zu können. Vor diesem Hintergrund sollen die Kinder ihren Lebensstil, gerade auch ihre Konsumgewohnheiten, hinterfragen und Lebensformen kennenlernen, die umweltgerecht und zukunftsfähig, also nachhaltig sind – um schließlich vom Lernen zum eigenen Handeln zu gelangen. Das Projekt „Junge Vor!Denker“ der Akademie Kinder philosophieren und der Eberhard von Kuenheim Stiftung leistet einen wichtigen Beitrag zur Werteerziehung der jungen Menschen. Im philosophischen Gespräch erfahren die Heranwachsenden in spielerischer Art und Weise Orientierung im Hinblick auf eine lebenswerte Zukunft – durch kritisches Nachfragen, Hinterfragen, Argumentieren, aber auch durch den vertrauten Umgang mit Begriffen und Kategorien im Kontext der Nachhaltigkeit. Sie erlernen die Fähigkeit, in freier Selbstbestimmung moralische Entscheidungen zu treffen. „Junge Vor!Denker“ geht es also um die Herausbildung ethischen Urteilsvermögens als Voraussetzung für verantwortliches und 10

| Vorwort

nachhaltiges Handeln in einer globalisierten Gesellschaft. Nur wer Vertrauen in die eigene Urteilskraft hat und sich selbst erarbeitet hat, dass Werte wertvoll sind, weil sie der eigenen Lebensgestaltung und der Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft und Erde nützen, der verinnerlicht sie auch und handelt danach. Dr. Ludwig Spaenle

Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus

Nachhaltigkeit – Leitkultur für die Zukunft Wie ein Begrif f geboren wurde und w ie er sich ent w ickelt hat von Dr. Joachim Hamberger

„Die Begriffe, die man sich von etwas macht, sind sehr wichtig. Sie sind Griffe, mit denen man Dinge bewegen kann.“ sagt Bertolt Brecht. Er meint damit, dass Veränderungen von Verhältnissen auch von der Klarheit und der verlässlichen Wirkungsweise von Worten abhängt. Nachhaltigkeit ist ein solcher Be-Griff mit dem viele versuchen, etwas zu bewegen: Manche fordern damit genügsamere Lebensstile ein, andere wollen damit ihre Produkte vermarkten, wieder andere stellen sich damit als verantwortungsvoll und langfristig denkende Menschen dar. Ganz vielen Menschen sagt das Wort Nachhaltigkeit aber gar nichts oder schlimmer – es ist für sie ein Modewort, das von jedem für alles verwendet werden kann. Wofür also steht Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit ist heute ein Leitbegriff des 21. Jahrhunderts – tatsächlich ist er jedoch bereits 300 Jahre alt. Grund genug, sich diesen etwas angestaubten Begriff genauer anzusehen. Es lohnt sich.

Geschichtliches Umfeld des Geburtsprozesses 1713 verwendet Hans Carl von Carlowitz den Begriff zum ersten Mal. Er beschreibt damit eine Wirtschaftsweise, bei der Natur und menschliche Nutzung im Gleichgewicht liegen. Carlowitz macht dies am Beispiel des Waldes deutlich, sein Buch heißt Anweisung zur wilden Baumzucht. Der Titel ist auch das Programm: Wilde Bäume, so Carlowitz, müssen jetzt und heute gepflanzt und als Wald gepflegt werden, damit auch die zukünftigen Menschen Holz nutzen können. Um die Bedeutung dieser Aussage zu verstehen, muss man sich in seine Zeit zurückdenken: Es ist die Zeit des Barock und der beginnenden Aufklärung. Damals gibt es nur erneuerbare Energien: Mit Wasserkraft wird gemahlen, gesägt und gehämmert, Mobilität und Transport hängen an der Kraft von Ochsen und Pferden und alles, was gewärmt, erhitzt oder geschmolzen werden muss, braucht die Kraft des Feuers, das von der Verfügbarkeit von Holz und Holzkohle abhängt. Auch die Rohstoffe sind vor 1800 ausschließlich nachwachsend und erneuerbar: Ein Drittel der Feldflächen ist Nahrung für die Zugtiere; das Holz ist der zentrale Roh- und Wertstoff der Wirtschaft. In Häusern, Ställen, in Brücken wird Holz verbaut, Schiffe

Theoretische Grundlagen |

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und Wagen entstehen aus Holz, auch Löffel, Schüsseln, Fässer sind aus Holz. Die gesamte Lebenswelt ist geprägt von Holz. Sogar die Basisstoffe der chemischen Industrie stammen aus dem Wald: Schmierstoffe und Laugen, Gerbstoffe für die Lederherstellung oder Flussmittel für die Glaserzeugung sind Baumprodukte. Die gesamte Wirtschaft ist vollkommen vom Rohstoff Holz abhängig. Wachstum und Wirtschaftskraft folgen den Rohstofflieferungen aus dem Wald. Wohlstand hängt im 18. Jahrhundert im Wesentlichen am Waldzustand. Aber gerade in dieser Zeit wächst die Bevölkerung extrem stark. Dadurch steigt die Holznachfrage und es kommt immer öfter und andauernder zu Engpässen in der Versorgung. Es ist das Anliegen der damaligen Landesherren, den Rohstoff- und Energiefluss aus dem Wald sicherzustellen, weil es für die Stabilität ihrer Volkswirtschaften wichtig ist.

Von der Nachlässigkeit zur Nachhalt igkeit 1.0 Genau in dieser Zeit schreibt Hans Carl von Carlowitz sein Buch über den Waldbau. Er ist kein Förster, sondern als Oberberghauptmann zuständig für den Bergbau in Kursachsen. Und der Bergbau braucht damals eine Menge Holz: zum Ausbau und Abstützen der Schächte, für das Pumpen und Ableiten des Grubenwassers, zum Schmelzen und zum Transport der Erze. Auch im Bergbau hängt also der wirtschaftliche Erfolg an der kontinuierlichen Holzlieferung aus dem Wald. Carlowitz ist der Cheforganisator, der das Ganze im Blick haben muss. Er stellt große Mängel in der Bewirtschaftung der Wälder fest: Es wird mehr geerntet als nachwächst, Jungwald wird nicht nachgepflanzt. Das wird in der Zukunft Einschränkungen für den Bergbau und die gesamte Wirtschaft bedeuten, sieht der verantwortungsvolle Manager Carlowitz voraus. Das bewegt ihn tief, er sieht es auch als Unrecht am Erbe der kommenden Generationen. Deshalb schreibt er, der sich jahrzehntelang um die Holzbeschaffung und die Pflege der Wälder bemüht hat, am Ende seines Lebens sein Wissen – gleichsam als Vermächtnis – in einem Buch nieder. Der Blickwinkel des Hans Carl von Carlowitz – und das ist wichtig – ist kein speziell forstlicher, sondern ein ganzheitlicher. Er sieht den Wald als zentrale Energie- und Rohstoffressource, auf die die Volkswirtschaft angewiesen ist. Er weist auf den übermäßigen Ressourcenverbrauch hin und zeigt die Folgen dieser, wie er es nennt, nachlässigen Nutzung auf. Nachlässig, das ist für ihn das Reizwort für gedankenlosen Verbrauch, der nicht wirtschaftlich organisiert und planerisch beschränkt ist und deshalb auch nicht auf Dauer ausgerichtet ist. Zwischen den Zeilen ist immer wieder sein Zorn zu spüren, z. B. wenn er das Strafgericht Gottes auf die herabwünscht, die mit ihrer Nachlässigkeit das Erbe ihrer Nachkommen gefährden. Carlowitz setzt dieser Nachlässigkeit den Begriff der „nachhaltenden Nutzung“ entgegen und fordert zu aktivem Handeln und zu positivem Gestalten auf: zum Nachziehen (Zucht) der wilden Bäume durch Säen und Pflanzen.

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| Theoretische Grundlagen