Kanzelrede, Begrüßung am 8. Oktober 2017, 11.30 Uhr

08.10.2017 - Wir haben ihn für seine „vorbildliche Initiative“ geehrt, mit seinem ... Betroffenen endlich die Hilfe zukommen zu lassen, die ihnen ein ... Die Gründung unseres Hauses im Jahre 1947 ist eine Reaktion auf das Dritte Reich,.
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Es gilt das gesprochene Wort!

Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing

Kanzelrede, Begrüßung am 8. Oktober 2017, 11.30 Uhr Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Gäste, als Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing ist es mir eine große Freude, Sie heute zu unserer Kanzelrede begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Udo Hahn. Herzlich willkommen heiße ich Sie auch im Namen von Brigitte Grande, der Vorsitzenden des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing. Beide, Akademie und Freundeskreis, veranstalten gemeinsam die Kanzelrede und laden dazu zweimal im Jahr in die Erlöserkirche an der Münchner Freiheit in München-Schwabing ein. Die Kanzelrede feiert ihr zwanzigjähriges Bestehen. Sie ist seit 1997 ein viel beachtetes Format unserer Arbeit, die 1947, also vor siebzig Jahren begann. Eine Kanzelrede haben hier u.a. schon Joachim Gauck, Gesine Schwan, Heribert Prantl, Felix Finkbeiner, Leslie Mandoki, Christian Stückl, Markus Söder, Dieter Reiter, Dirk Ippen und Charlotte Knobloch gehalten. Und heute reiht sich der Kabarettist und Autor Christian Springer hier ein. Seien Sie uns herzlich willkommen! Ich darf Ihnen Christian Springer kurz vorstellen: Geboren 1964 in München, studierte er semitische Sprachen, Philologie des christlichen Orients und bayerische Literaturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine ersten Bühnenauftritte hatte er in den 1970er-Jahren im Münchner Nationaltheater als Mitglied des Kinderchors der Bayerischen Staatsoper. Bereits während seiner Schulzeit gründete er zusammen mit Helmut Schleich das „Kabarett Fernrohr“. 1999 erfolgt sein erster Auftritt als „Fonsi“. Als Kassenwart von Schloss Neuschwanstein war eine blaue Kassiereruniform samt Aktentasche sein Markenzeichen. In dieser Rolle deutete Christian Springer die kleine und die große Welt als mürrischer und zugleich liebenswerter Grantler. Es folgten viele Solo-Programme in dieser Kunstfigur, die er 2014 schließlich ablegte. Von 1999 bis 2013 war er Ensemblemitglied in „Die Komiker“ und im Bayerischen Fernsehen u.a. mit Monika Gruber, Andreas Giebel, Michael Altinger, Günter Grünwald zu sehen. Seit 2013 ist Christian Springer zusammen mit Michael Altinger Gastgeber der monatlichen BR-Kabarett-Sendung „Schlachthof “. 2012 gründete der heutige Kanzelredner den gemeinnützigen Verein Orienthelfer e.V., der sich ganz der humanitären Hilfe für die Opfer der schrecklichen Auseinandersetzungen in Syrien verschrieben hat, lange bevor die Weltgemeinschaft auf die Not aufmerksam wurde. Angetrieben von Fassungslosigkeit, Wut und immenser Tatkraft, ist er selbst zweimal im Monat vor Ort. 2016 wurde er deshalb neben dem damaligen Bundesaußenminister FrankWalter Steinmeier mit dem Toleranz-Preis der Evangelischen Akademie Tutzing ausgezeichnet. Springers Engagement wurde in der Kategorie „Zivilcourage“ gewürdigt. Wir haben ihn für seine „vorbildliche Initiative“ geehrt, mit seinem Verein Orienthelfer e.V. den Opfern des Syrienkonflikts direkt in der Krisenregion, in Jordanien und im Libanon zu helfen. „Durch sein mutiges Vorgehen beweist er, dass der Einzelne etwas bewirken und Menschen 1

in Not eine Perspektive der Hoffnung geben kann“, hieß es in der Jury-Begründung. Im Lichte seiner Entschlossenheit werde die Unfähigkeit der Weltgemeinschaft enttarnt, den Betroffenen endlich die Hilfe zukommen zu lassen, die ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Seine Initiative ist ein „Dienst an der Menschheit, der jegliche Unterstützung verdient“, wertete die Jury seinen Einsatz. Kabarettisten, sehr geehrte Damen und Herren, sind die moderne Form der Hofnarren. Zu einer Zeit, als es noch keine unabhängige Presse gab, waren sie an den Höfen der Könige die einzige unabhängige Instanz. Allein der Hofnarr durfte dem Herrscher widersprechen – konnte und musste dem König den Spiegel vorhalten, durfte ihn als einziger kritisieren. Das war einerseits lustig. Lachen hat eine befreiende Funktion. Andererseits aber blieb einem manchmal das Lachen buchstäblich im Hals stecken, wenn die vorgebrachte Kritik die offensichtlichen Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen aufspießte. Während andere Untertanen durch ihre Kritik den Herrscherzorn auslösten und zu spüren bekamen, blieb der Hofnarr ungestraft – Sinnbild seiner Unabhängigkeit, die ihn geradezu unantastbar machte. In demokratischen Staaten sind an die Stelle der Hofnarren eine unabhängige Justiz und unabhängige Medien getreten. Gott sei Dank! Hofnarren gibt es aber immer noch. Sie heißen heute Kabarettisten. Ihr Auftrag und der etwa der Evangelischen Akademie Tutzing ergänzen einander. Die Gründung unseres Hauses im Jahre 1947 ist eine Reaktion auf das Dritte Reich, die Diktatur des Nationalsozialismus. Eine Partei konnte das politische, gesellschaftliche und kulturelle Leben dominieren. Und zwar so, dass für Andere und Andersdenkende kein Platz war und diese rigoros verfolgt und auch ermordet wurden. Die Zivil- und Bürgergesellschaft, die heute unser Land prägt, gab es im Dritten Reich nicht. Dass sich diese entwickeln kann, dazu wollte die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern mit unserem Haus beitragen. Mit der Evangelischen Akademie Tutzing verbindet sich die Vorstellung eines Ortes, an dem die unterschiedlichen Positionen zu Gehör gebracht und diskutiert werden können. Ein Ort, der nicht schon von spezifischen Interessen dominiert wird. Ein Ort, an dem Bürgerinnen und Bürger mit Experten nach Lösungen bzw. Teillösungen suchen. Bundespräsident Joachim Gauck hat die Evangelische Akademie Tutzing deshalb zu Jahresbeginn in einer Rede als „ein sichtbares Zeichen deutscher Lernerfahrung in der politischen und kulturellen Landschaft“ unseres Landes gewürdigt. Orientierung – das ist der Schlüsselbegriff, der unsere Bildungsarbeit kennzeichnet: Wissen in Orientierung umwandeln. Mit anderen Worten: Durch den Diskurs dazu beitragen, dass Menschen sich ein eigenes Urteil bilden können. Oder ganz schlicht: selber denken! Das, so scheint mir, auch das Kennzeichen des Kabaretts zu sein, für das Christian Springer steht. Ja, auch das Kabarett hat einen Bildungsauftrag: Menschen zu ermutigen, den Dingen auf den Grund zu gehen, besser zweimal hinzusehen – und für sich selbst zu erkennen, wo ich mich engagieren bzw. als Einzelner und mit anderen zusammen einen Beitrag für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft leisten kann. Das ist anstrengend! Aber ohne diese Anstrengung wird es nicht gehen. „Wir müssen Freiheit aushalten“ – unter diesem Titel steht die Kanzelrede von Christian Springer. Und ich ahne schon: Es wird anstrengend, ernst – und sicher auch amüsant. Ehe er gleich das Wort ergreift, möchte ich noch dem Kirchenvorstand der Erlöserkirche zusammen mit Pfarrer Gerson Raabe sehr herzlich danken, dass wir hier zu Gast sein dürfen. Der Dank gilt auch unserem Kooperationspartner ARD-alpha, der die Kanzelrede in der Reihe 2

„Denkzeit“ senden wird – und zwar am Samstag, 18. November, 22.30 Uhr. Auf unserer Homepage finden Sie in unserem Online-Magazin „Tutzinger Thesen“ mehr zu den Kanzelreden. Und noch ein letzter Hinweis – auf die nächste Kanzelrede. Sie findet statt am Sonntag, den 15. April 2018. Dann erwarten wir den Astrophysiker Prof. Harald Lesch. Wenn auch Sie eine persönliche Einladung zur Kanzelrede erhalten bzw. in unseren Verteiler aufgenommen werden möchten, teilen Sie uns dies bitte mit. Und jetzt hat Christian Springer das Wort. Wir freuen uns auf Ihren Vortrag!

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