Justin Trudeau – harte Zeiten für einen netten Kerl

10.05.2016 - Morgan und Enbridge planen eine. Ölleitung entlang der Westküste, um von Vancouver aus den asiatischen. Markt mit Rohöl zu beliefern.
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Die Seite Drei 3

u neues deutschland Dienstag, 10. Mai 2016

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Justin Trudeau – harte Zeiten für einen netten Kerl Kanadas junger Premier als »Anti-Trump« zwischen Brandkatastrophe, Terrorkrieg und Wirtschaftsabkommen Die Regierung habe noch nicht gerechnet, lässt Kanadas Premier seinen Finanzminister erklären. Denn im Kampf gegen die Brandkatastrophe gehe es jetzt um die Menschen – auch um Justin Trudeau.

setze gefordert wurden, gehörte Justin Trudeau eher zu den Besonnenen. Zu übereilten Aktionen wollte er sich nicht hinreißen lassen: »Es ist zu früh, um jetzt daraus Schritte abzuleiten, obwohl klar ist, dass Regierungen die Pflicht haben, ihre Bürger vor Gefahr zu schützen und dabei ihre Rechte und Freiheiten nicht beschneiden sollten. Das klug auszubalancieren ist etwas, das die kanadische und alle Regierungen der Welt jetzt tun müssen.« Auch die kanadische Regierung steckt tief drin im »Krieg gegen den Terror«, den viele Trudeau-Wähler rigoros ablehnen. Offiziell hat die neue Regierung die Bombardierungen als Teil der Anti-Terror-Koalition im Februar 2016 beendet. Sechs CF18 Fighter, ein Überwachungsflugzeug und Tankflugzeuge bleiben dennoch in der Kampfzone und Kriegsgegner fragen sich, ob der »liberale Weg« von Trudeau nur ein Scheinrückzug sei. Die Truppenstärke von kanadischen Elitesoldaten und konter-terroristischen Task Forces wurde sogar erhöht.

Von Luise Wagner, Vancouver Justin Pierre Trudeau ist der Popstar unter den westlichen Staatsoberhäuptern und wird in und außerhalb Kanadas gefeiert wie kein Zweiter. Als der neu gekürte 23. Premierminister von Kanada im Zoo von Toronto medienwirksam mit Pandababys kuschelte, kannte die Euphorie keine Grenzen mehr. »Ich bin so glücklich, den knuddeligsten Regierungschef der Welt zu haben«, twittert eine 16jährige Kanadierin aufgeregt zu den Zoobildern. Die Jugend liebt ihn, immer mehr auch in den USA. Vor allem städtische, gebildete Frauen, die von den Wahlkampftiraden des frauenfeindlichen Donald Trump im eigenen Land genug haben. Trudeau wird als »Mr. Nice Guy«, »Disney-Prince«, »Musketier«, der neue »JFK« und als »Anti-Trump« gefeiert. Dabei sieht sich der junge Familienvater selbst nur als moderner Mann der Jetztzeit, der sich auch stolz Feminist nennt. Trudeau machte das, was viele junge Nordamerikaner tun, wenn sie heranwachsen, und jobbte im ganzen Land. Er war Snowboard-Lehrer, Türsteher in einem Nachtklub in Whistler, Highschool-Lehrer in Vancouver und half, ein Lawinenschutzprogramm mit aufzubauen, nachdem sein Bruder 1998 bei einem Lawinenabgang tödlich verunglückte. Das coolste Kabinett der Welt Trudeaus Regierung aus Experten und Wissenschaftlern wurde kurz nach der Vorstellung vor der Presse als das »coolste Kabinett« der Welt gefeiert. Frauen und Männer teilen sich die 31 Ministerposten gerecht auf. Auf die Frage, warum er so viele Frauen in der Regierung habe, antwortete Trudeau kurz und knapp: »Because it’s 2015« – weil wir im Jahr 2015 angekommen sind. Im Kabinett sitzen Behinderte, Krebskranke, Homosexuelle, ein Astronaut als Verkehrsminister, eine Wissenschaftsministerin mit Nobelpreis, zwei Ureinwohner und ein Sikh, der niemals seinen Turban abbindet. Eine Regierung aus Außenseitern – für Trudeau ein Beweis der offenen Multikulti-Gesellschaft, als die er Kanada begreift. Teilweise ist die enorme Popularität von Justin Trudeau ein Ergebnis der amerikanischen Politikkrise. In den USA wenden sich viele politisch Verdrossene ostentativ dem 44-jährigen sportlichen Kanadier zu. Wenn Trump gewinnt, dann ziehen wir nach Kanada, kündigen immer mehr USAmerikaner an. Einige Intellektuelle von Format haben dies schon getan. John Irving, der 73-jährige Autor des Kultbuches »Garp und wie er die Welt sah«, wettert bereits aus seiner neuen Heimat Kanada gegen Trump. Die aufgeklärten USA sind neidisch auf den Sympathieträger im Norden, der sein Land zu einen scheint, während es in der Heimat zur fortschreitenden Polarisierung kommt. Der lange Schatten des Vaters Pierre Trudeau Nach einem halben Jahr im Amt geht es für Trudeau nun an die wirklich ernsten Fragen. So wandte sich der Premier in Ottawa an die Bewohner der von der Vernichtung bedrohten Stadt Fort McMurray: »Ihr sollt wissen, dass unsere Regierung und alle Kanadier euch zur Seite stehen und euch jetzt und in der Zeit des Wiederaufbaus helfen werden.« Die Nation erwartet ohnehin, dass er als ältester Sohn des legendären Premierministers Kanadas Pierre Trudeau (1919-2000) Großes vollbringen solle. Schon Vater Trudeau hatte bei seiner Wahl eine Trudeaumania – einen Medienhype – ausgelöst. Ihm selbst ist das Vermächtnis eher unangenehm, obwohl er sich den alten Schreibtisch des Vaters in sein

Justin Trudeau vor dem Hauptgebäude des Parlaments in Ottawa

Büro in Ottawa gestellt hat. »Der Vergleich mit meinem Vater war nie ein Ansporn für mich, politisch aktiv zu werden.« Es habe ihn eher davon abgehalten, Politiker werden zu wollen. Die Konservativen und Anhänger von Ex-Premier Stephen Harper trauen Justin Trudeau vor allem deshalb nicht, weil er zu jung und das Kabinett zu unerfahren sei. »Wir haben ja jetzt einen Teenager im Amt«, sagt die deutschstämmige Hannelore B. aus dem wohlsituierten North Vancouver, die vor 20 Jahren aus Deutsch-

land nach Kanada auswanderte. Aus ihrer Villa hoch auf den Klippen, blickt sie auf den Pazifik und die Hafenbucht, in der die Frachtschiffe aus China vor Anker liegen. In der Villa ist alles in Weiß gehalten – sie selbst trägt auch Weiß. Der flauschige Teppich, die blitzblanken Möbel, die Vorhänge. »Ich kann Schmutz nicht ertragen und mag es sauber und ordentlich!«, sagt die 70-Jährige. Sie war mit Mann und Kind vor 40 Jahren aus einer hessischen Kleinstadt aus Angst vor dem Kommunismus und den Russen geflohen. Kanadas

Foto: Reuters/Chris Wattie

Westküste war weit weg von allem, was sich in Europa abspielte. Jetzt hat sie wieder Angst. »Wir nehmen ja jetzt auch Zigtausende Syrer auf! Ausgerechnet jetzt, da islamistische Terroristen den Westen und auch Kanada bedrohen.« Trudeau traue sie nicht zu, in instabilen Zeiten das Richtige zu tun. Sie möchte, dass Kanada in Trump-Manier seine Grenzen dicht macht und Muslime aussortiert. Der ungewollte Anti-Terror-Krieg Als nach den Terrorattacken in Paris und Brüssel weltweit schärfere Ge-

Globaler Druck – Pazifisches Freihandelsabkommen Eine weitere unangenehme Aufgabe ist der Druck globaler Unternehmen auf die Binnenwirtschaft. Wie das europäische TTIP-Abkommen droht auch im pazifischen Raum ein TransPazifisches Freihandelsabkommen (TPP) die Souveränität kanadischer Betriebe auszuhebeln. Kanada hatte dem Deal unter Harper schon halb zugestimmt, doch Trudeau zögert den Zeitpunkt der Ratifizierung heraus. Das 6000 Seiten lange TPP-Dokument müsse erst gründlich studiert werden. Kann er aber mit Verzögerungstaktik eine neue Lösung herbeiführen? Ein wirtschaftlich für Kanada essenzielles Projekt ist die umstrittene Keystone-Ölleitung, mit der die Rohölförderstätten in Kanada mit den Raffinerien in den USA verbunden werden sollen. US-Präsident Obama hatte 2015 das Projekt aus Umweltschutzgründen gestoppt. Trudeau ist ein Grüner und will raus aus dem schmutzigen Ölfördergeschäft. Stattdessen sollen jetzt eine Million neue Jobs im Klimaschutz geschaffen werden. Doch die Unternehmen Kinder Morgan und Enbridge planen eine Ölleitung entlang der Westküste, um von Vancouver aus den asiatischen Markt mit Rohöl zu beliefern. Da wo die Pipeline hindurch führt – jahrtausendealtes Land der Ureinwohner – und wo sie enden soll – an der traumhaft schönen Pazifikküste und ihren unberührten Regenwäldern –, regt sich erbitterter Widerstand. Trudeau hatte schon 2015 Öltanker vor der Küste Vancouvers verboten und damit auch dieses Projekt geblockt. Es ist eines seiner Wahlversprechen gegenüber den Umweltschützern, die für ihn aktiv Wahlkampf an der Westküste gemacht hatten. Seine Gegner werfen Trudeau jetzt vor, dass die westkanadische Provinz Alberta, wo das Öl aus Teersand mit verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt gewonnen wird, in eine Krise rutsche und das ganze Land mitreiße. Royal Dutch Shell hatte im Herbst 2015 nach dem Regierungswechsel das Teersandprojekt eingestellt. 56 000 Stellen sind in der Ölindustrie seither weggefallen. Die Regierung will jetzt eine Milliarde Dollar in die ölabhängigen Provinzen Alberta und Saskatchewan pumpen und neue Jobs schaffen. Eine Handlung des jungdynamischen Premierministers wird Kanada aber auf immer verändern. Erstmals soll außer der britischen Queen, die seit Jahren die 20-Dollar-Note ziert, eine weitere Frau auf einen Geldschein gedruckt werden. In solche Vorhaben schließt Feminist Trudeau stets das Volk ein. Per Twitter. Persönlich tweetet er die Aufforderung an die Nation, abzustimmen, welche Frau geehrt werden solle. https://twitter.com/JustinTrudeau/ status/707341408403853313

Feuerwalze im Ölzentrum Fort McMurray war schon wirtschaftlich am Boden Von John Dyer Jep Hepditch und sein Bruder Matt sind aus Neufundland nach Fort McMurray gezogen. Sie folgten wie so viele andere aus einer wirtschaftlich schwachen Provinz dem Angebot von guten Arbeitsplätzen in der boomenden Stadt inmitten der Ölsandfelder der kanadischen Provinz Alberta. Ölsand gibt es immer noch. Aber Fort McMurray ist zur Geisterstadt geworden. Mehr als ein Fünftel aller Häuser sind durch die Feuerwalze der vergangenen Tage zerstört worden. Etwa 100 000 Personen wurden in Sicherheit gebracht. Die Stadt ist menschenleer, sieht man von Feuerwehren und anderem Hilfspersonal ab. Der Großbrand bedeckte am Montag eine Fläche von 2500 Quadratkilometern, auch wenn es dank kühleren Wetters nach leichter Entspannung aussah. Von einem »schrecklichen Unglück« spricht Hepditch. »Da kann man nicht viel tun.« Der 25-Jährige und sein Bruder Matt hatten gute Stellen, bevor der Feuersturm kam. Dabei hatte die Ölindustrie schon viele Mitarbeiter entlassen, als die Preise für Rohöl auf den tiefsten Stand in einem Jahrzehnt gefallen waren. Das Feuer, das die Erdölförderung um Fort McMurray zum Erliegen gebracht hat, tobt beinahe im Zentrum der Ölsandfelder um die Stadt. Sie gelten als die drittgrößten Lagerstätten von Erdöl nach denen in Saudi-Arabien und Venezuela. Kanadas Ölbranche ist indes in den letzten beiden Jahren um 50 Milliarden kanadische Dollar (34 Milliarden Euro) geschrumpft. Die Zahl der Arbeitsplätze ist in Alberta gegenüber dem Höchststand von 2014 um 43 000 gesunken, wie die Bank of Montreal mitteilt. Die Entlassungen haben sich auch auf andere Wirtschaftszweige ausgewirkt. Allein im April gingen hier 21 000 Arbeitsplätze verloren, wie Statistics Canada ausweist. Eine weitere Folge ist der Wertverlust im Immobilienbereich. Die Hauspreise gingen in einem Jahr um fast 20 Prozent zurück, ermittelt der kanadische Immobilienverband. Der wirtschaftliche Rückgang in der Provinz hatte auch politische Folgen. Bei den Wahlen im vergangenen Jahr bekam die Linke Rachel Notley mit ihrer New Democratic Party genügend Stimmen, um die Regierung zu bilden. Die Bank of Montreal schätzt den Schaden durch das Flammeninferno auf 11,6 Milliarden kanadische Dollar. Bewohner haben Zweifel, ob Fort McMurray wieder aufgebaut werden kann. Cherie Wash ist aus Australien in die Stadt gezogen, weil ihr Mann dort gute Arbeit bei den Ölförderern fand. Er wurde zwar entlassen, bekam aber einen Job in einem Bergwerk. Sie war als Sozialarbeiterin tätig und machte später ein Gesundheitsstudio auf. Die 48-Jährige hat wenig Hoffnung: »Das wird eine Geisterstadt«, meint sie. Brian Jean, Abgeordnete im Provinzparlament von Alberta für die konservative Wildrose Partei, sieht das anders: »Das wird schöner, als es war«, sagt er über seine Heimatstadt. Das müsste auch für sein Haus zutreffen. Denn das wurde vom Feuer zerstört.