Johannas Leiden AWS

Mutter Beate hatte keine schöne. Schulzeit. Sie schaffte ihr Abitur nicht auf An- hieb und musste es in der Abendschule nachmachen. Sie spürte, wie weh es ihr tat, dass es so gekommen war. Ihrer Tochter wünschte sie eine bessere Zukunft und setzte alles in Bewegung, um das zu ermöglichen. Johanna wusste zu dem ...
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Anna-Lena Hees

Johannas Leiden Roman

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© 2015 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: fotolia, Loneliness Datei: #47548978 | Urheber: Artem Furman Printed in Germany

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ISBN 978-3-95986-012-3 ISBN 978-3-95986-013-0 ISBN 978-3-95986-014-7 Großdruck und Mini-Buch ohne ISBN

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Erstes Kapitel

Der Regen prasselte auf die Dächer der Stadt. Schon seit Stunden hatte sich die Sonne nicht mehr blicken lassen. Zuletzt wurde sie am frühen Morgen dieses Tages gesehen, als sie gerade aufging. Am Vormittag hatten sich dann aber die Wolken verdichtet und ab dem frühen Mittag hatte es angefangen zu regnen. Seitdem hatte es auch nicht aufgehört. Es regnete ohne Pause. Genauso ging es Johanna. Nach der Schule lernte sie ohne Pause den durchgenommenen Unterrichtsstoff, wozu sie aber nur wenig Lust hatte. Sie war in einem Alter, in dem man seinen Eltern gerne ein paar Schwierigkeiten machte. Eigentlich war Johanna nicht so. Sie glänzte mit guten Noten in der Schule und versuchte, es jedem recht zu machen. Ihren Eltern konnte sie es aber nie 4

recht machen. Immer hatten diese an ihrer Tochter etwas auszusetzen. Für sie war Johanna immer das schlampige Mädchen, das sich nur sehr wenig am Haushalt beteiligte. Sie wurde immer gewarnt, keine Note schlechter als Zwei mit nach Hause zu bringen. Gerade ihre Mutter war es, die ihre Tochter dazu antrieb. Die Ursache für den Druck, den sie auf Johanna ausübte, liegt in der Vergangenheit. Mutter Beate hatte keine schöne Schulzeit. Sie schaffte ihr Abitur nicht auf Anhieb und musste es in der Abendschule nachmachen. Sie spürte, wie weh es ihr tat, dass es so gekommen war. Ihrer Tochter wünschte sie eine bessere Zukunft und setzte alles in Bewegung, um das zu ermöglichen. Johanna wusste zu dem Zeitpunkt nicht, warum sie von ihren Eltern so sehr unter Druck gesetzt wurde. Sie machte sich zunächst auch keine Gedanken darüber, dennoch verabscheute sie diesen intensiven Druck, der auf ihr lastete. Sie wollte, dass das endlich aufhörte. Trotzdem versuchte sie ihren Notenstand 5

beizubehalten, indem sie jeden Nachmittag über den Schulbüchern saß. Wenn Johanna dann einmal etwas anderes machte als für die Schule zu lernen, wurde sie gleich von ihren Eltern ausgeschimpft. So saß sie auch an diesem Tag an ihrem Schreibtisch und fertigte ein Referat für die Geschichtsstunde an. Sie wollte unbedingt auf Eins stehen und konnte sich mit diesem Referat verbessern. Die Voraussetzung war, dass gründlich recherchiert und jedes Detail erwähnt wurde. Johanna kannte dieses Schema schon von anderen Referaten, die sie ausgearbeitet hatte. Neben diesem Referat hatte sie noch diverse Hausaufgaben zu erledigen und musste sich auf die nächsten Schulstunden vorbereiten. Johanna seufzte einmal kräftig, als sie etwa die Hälfte ihres Pensums hinter sich hatte. Das wurde noch ein langer Abend, bis sie endlich fertig wurde. „Johanna! Essen ist fertig!‚, rief Mutter Beate ihre Älteste zum Essen. Johanna hatte noch einen jüngeren Bruder, dem die Eltern jeden Wunsch von den Augen ablasen. Julius war 6

sieben und ein cleverer kleiner Mann. Er wusste die Aufmerksamkeit, die er von seinen Eltern bekam, zu schätzen und konnte recht wenig mit dem Verhalten seiner großen Schwester anfangen. Er wusste nicht, dass sie unter massivem Notendruck stand. „Komme! Einen Moment noch bitte!‚, rief Johanna zurück und schrieb noch ein paar Sätze. Sie war froh, dass sie für das Referat zwei Wochen Zeit hatte. Daher glaubte sie, die Ausarbeitung zeitlich zu schaffen. Zufrieden speicherte sie das Dokument auf ihrem Laptop ab und stand auf. Dass es Essen gab, wurde langsam Zeit. Johannas Magen brummte bereits wie ein Bär. Sie konnte es kaum erwarten, endlich etwas essen zu können. „Du hilfst nachher beim Abwasch‚, wurde sie von Mutter Beate empfangen, als sie am Esstisch auftauchte. Ihr Vater versteckte sich noch hinter einer Zeitschrift, die er aber sofort weglegte, als seine Tochter ihm gegenüber am Tisch platznahm.

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Bevor er jedoch etwas sagen konnte, reagierte Johanna auf die Äußerung ihrer Mutter. „Ich bin aber noch an den Schulaufgaben!‚ „Das kann ja sein, aber du hilfst trotzdem. Du machst im Haushalt viel zu wenig. Ich weiß nicht, warum ich dir überhaupt noch etwas zu essen gebe‚, gab Beate schnippisch zurück. „Was soll das denn jetzt, Mama? Ich bemühe mich die ganze Zeit für die Schule und helfe meines Erachtens auch im Haushalt mehr als genug. Schließlich putze ich regelmäßig das Badezimmer und räume mein Zimmer auf‚, rief Johanna empört und verschränkte die Arme. Beate stellte die heiße Pfanne mit dem Gemüse auf den Tisch und starrte ihre Tochter böse an. Die griff in den Brotkorb und kaute frustriert auf einer Scheibe herum. „Du bist so undankbar!‚ Beate schüttelte den Kopf und nahm Johanna das Brot ab. „Als ob du im Haushalt auch nur einen Finger krumm machen würdest. Das wäre ja noch schöner. Ich kann mich nicht erinnern, wann du zuletzt 8

für Ordnung gesorgt hast. Meist beseitige nämlich ich das ganze Chaos, was ihr immer hinterlasst. So! Für dich ist das Abendessen hiermit gestorben. Geh bitte!‚ Johanna stand auf und wandte sich zum Gehen, da ergriff ihr Vater das Wort: „Och, Beate, ich bitte dich! Man kann es auch übertreiben. Jetzt lass Johanna doch mitessen! Sie war den ganzen Nachmittag so fleißig. Nicht wahr, Johanna?‚ „Äh, ja, war ich‚, brachte Johanna hervor und schaute ihren Vater an. Ein bisschen war sie ihm dankbar, dass er sie vor ihrer Mutter verteidigt hatte. „Das musst ausgerechnet du wieder sagen! Du könntest mir auch mal zur Seite stehen, ganz ehrlich. Aber nein, viel lieber hältst du zu deiner Tochter. Wen habe ich da nur wieder vor 17 Jahren geheiratet? Du weißt doch, wie Johanna ist. Oder?‚, fuhr Beate ihren Ehemann an. Sie konnte es nicht leiden, wenn er auf Johannas Seite stand. Das tat er allerdings auch nicht immer. Gerne stand er auch 9

seiner Frau bei, die ihm all die Jahre immer am Herzen gelegen hatte. „Beate, es ist gut. Ich weiß es! Aber jetzt bist du nun mal ganz im Unrecht. Johanna wird mitessen, dir dann beim Abwasch helfen und alles wird wieder gut. Verlass dich drauf!‚ Egon schüttelte den Kopf. Er konnte seine Frau so manches Mal nicht verstehen, obwohl er wusste, dass sie nur das Beste für die beiden Kinder wollte. „Okay. Du hast gewonnen! Johanna, setz dich bitte wieder hin! Wir wollen essen‚, sagte Beate und wies ihrer Tochter den Platz zu. Die kehrte zurück an den Tisch und ließ sich stumm auf ihrem Stuhl nieder. Julius war hingegen wie immer munter und erzählte von seinem aufregenden Schultag. Der Kleine kam nach dem Sommer in die 2. Klasse und freute sich schon sehr darauf. Auch bei ihm legten die beiden Eltern Egon und Beate wert darauf, dass er ein guter Schüler war, aber weil er noch ein Erstklässler war, ließen sie ihm noch ein wenig Zeit. Wenn es richtig losging, muss10

te er aber auch dran glauben und sich jeden Nachmittag auf den Hosenboden setzen. Johanna sah es schon kommen, während sie ihren kleinen Bruder nur anschaute. Manchmal musste sie schmunzeln, wenn er von der Schule erzählte. Zur Zeit lernten die Kleinen die Schreibschrift und rechneten mit immer größeren Zahlen. Da wünschte sich Johanna gerne wieder zurück in die Unterstufe. Nun war sie aber bereits am Ende der Mittelstufe angekommen und besuchte nach dem Sommer die zehnte Klasse. „Wie war es denn eigentlich heute bei dir?‚, wollte Egon von seiner Tochter wissen, nachdem Julius seinen Tagesbericht beendet hatte. Dabei hätte er noch von so vielem mehr erzählen können. „Wie es sonst so ist‚, murmelte Johanna leise und stocherte mit der Gabel im Essen herum. Obwohl die Paprikapfanne ihrer Mutter lecker schmeckte, war es für das Mädchen eine Qual, mit den Eltern zusammen am Tisch zu

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sitzen. Ständig hatte sie unter deren Druck zu leiden und wusste nicht, wie sie da rauskam. „Eine gescheite Antwort ist das nicht‚, bemerkte Beate und betrachtete ihre Tochter mit einem prüfenden Blick. „Welche Fächer hattet ihr? Was habt ihr durchgenommen? Davon könntest du ruhig mal berichten!‚ „Also gut!‚ Johanna seufzte und zählte rasch all die Fächer auf, die sie in den acht Stunden hatte. Zu jedem erwähnte sie den durchgenommenen Unterrichtsstoff. Es langweilte sie immer mehr, jeden Tag vom Gleichen zu berichten. Es nutzte ihr aber nichts, sich herauszureden. Egon und Beate wollten es jedes Mal genau wissen. Der Rest des Abendessens verlief für die Familie recht schweigsam. Kaum jemand wechselte ein Wort mit dem anderen. Johanna war darüber erleichtert und aß langsam weiter, bis ihr Teller schließlich leer war. Der Appetit war ihr schon zu Beginn vergangen, nun war sie froh, dass es gleich vorbei war. Dann musste sie bloß noch die lästige Prozedur des 12

Abwaschs hinter sich bringen und konnte mit dem Rest des Abends eigentlich anfangen, was sie wollte. Da waren aber immer noch Hausaufgaben, die erledigt sein wollten. Nach dem Essen half jeder, den Tisch abzuräumen. Julius lief einige Male zwischen Küche und Esszimmer hin und her, um das dreckige Geschirr wegzubringen. Johanna räumte die Spülmaschine ein. Die Großteile mussten allerdings von Hand gewaschen werden, da Beate Angst hatte, dass die Spülmaschine durch die großen Teile, wie zum Beispiel die große Pfanne, beschädigt wurde. „Wenn wir alles in die Maschine räumen würden, hätten wir weniger Arbeit‚, warf Johanna ihrer Mutter vor, obwohl sie ganz genau wusste, was Sache war. „War klar, dass du das sagst. Du bist viel zu faul, Johanna‚, schimpfte Mutter Beate und säuberte die Pfanne mit dem Schwamm, den sie zuvor in Spülmittel getaucht hatte. „Außerdem geht die Spülmaschine durch die großen Teile kaputt. Das hatte ich dir aber schon 13

tausend Mal erklärt. Na ja, es ist eine Frage der Zeit, bis es bei dir ankommt.‚ „Haha‚, machte Johanna und ließ sich von ihrer Mutter die nasse Pfanne geben, um sie abzutrocknen. Ein Glück, dass es nur die Pfanne war, die für Mutter Beate viel zu groß war, um sie in die Spülmaschine zu räumen. Johanna war froh, als sie entlassen wurde. Sie ging ohne ein weiteres Wort hinauf in ihr Zimmer und kümmerte sich um die restlichen Hausaufgaben. Anschließend paukte sie noch Vokabeln in Englisch und Latein. Als sie später auf die Uhr blickte, sah sie, dass es schon auf 22 Uhr zuging. Es war spät und Johanna merkte, wie in ihr die Müdigkeit aufkam. Entschlossen packte sie all ihre Unterlagen weg und begann, sich bettfertig zu machen. Im Bad machte sie Katzenwäsche und warf sich hinterher im Zimmer schwungvoll ins Bett. Endlich war der Tag zu Ende. Nach der Nacht begann ein neuer Tag, an dem das Spielchen wieder von vorne anfing. Johanna hatte wie immer keine Lust darauf. 14

Sie fand ihr Leben eintönig, in dem es immer nur um gute Noten ging. Freunde hatte sie wegen der vielen Lernerei so gut wie keine. Ihre Eltern sagten immer, dass sie keine brauchte, denn das Einzige, was in Johannas Leben zählte, waren die guten Schulnoten, um größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen. Und wenn Johanna wirklich nach ihren Eltern ging, sollte sie schon jetzt wissen, was sie nach der Schule beruflich machen wollte. In der Berufswahl ließen ihr die Eltern Freiräume, setzten die Noten aber voraus. „Keine Note schlechter als Zwei‚, hatte Beate ihr damals gesagt, als sie von der Grundschule aufs Gymnasium wechselte. Bis jetzt hatte Johanna auch durchgehalten. Doch nun wurde ihr allmählich alles zu viel. Sie musste immer mehr Hausaufgaben machen und saß bis in die späten Abendstunden an ihrem Schreibtisch. Sie konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es bis zum Abitur so weitergehen sollte.

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