Ist putzen Stress? Psychische Belastungen am Arbeitsplatz am ...

pflegen soziale Kontakte und strukturieren ihren Tagesablauf. Dadurch hat Arbeit ein hohes sa- ... 21 WHO, 1986, Charta. 22 Vgl. Semmer; Udris, 2007, Seite ...
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Gerd Millmann

Ist putzen Stress? Psychische Belastungen am Arbeitsplatz am Beispiel von Beschäftigten in der Gebäudereinigung

disserta Verlag

Millmann, Gerd: Ist putzen Stress? Psychische Belastungen am Arbeitsplatz am Beispiel von Beschäftigten in der Gebäudereinigung, Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95425-534-4 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-535-1 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 Covermotiv: © laurine45 – Fotolia.com

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Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis......................................................................................................................... 9 Tabellenverzeichnis ........................................................................................................................... 10 Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................................................... 11 1 Einleitung ........................................................................................................................................ 15 1.1 Ausgangslage..................................................................................................................................................17 1.2 Methodischer Zugang ...................................................................................................................................19 1.3 Zielsetzung und Fragestellung .....................................................................................................................20 1.4 Aufbau des Textes.........................................................................................................................................20 1.5 Begriffsbestimmungen ..................................................................................................................................21 2 Psychische Belastungen am Arbeitsplatz....................................................................................... 22 2.1 Grundlagen Stress .........................................................................................................................................26 2.2 Stress am Arbeitsplatz ..................................................................................................................................28 2.2.1 Mobbing .................................................................................................................................................30 2.2.2 Burnout ...................................................................................................................................................31 2.2.3 Monotonie ..............................................................................................................................................33 2.2.4 Auswahl weiterer psychischer Belastungen ........................................................................................34 2.3 Physische Beschwerden durch Stress am Arbeitsplatz .............................................................................36 2.4 Präsentismus ..................................................................................................................................................38 2.5 Prekäre Beschäftigung ..................................................................................................................................39 2.6 Arbeitsplatzunsicherheit (Downsizing) ......................................................................................................41 2.7 Psychische Erkrankungen im Zeitablauf ....................................................................................................44 2.8 Zwischenfazit.................................................................................................................................................46 3 Das Gebäudereiniger-Handwerk.................................................................................................... 48 3.1 Soziodemografische Faktoren im Gebäudereiniger-Handwerk ..............................................................49 3.2 Berufsbild Gebäudereiniger .........................................................................................................................51 3.3 Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung ..........................................................................................52 3.4 Sozialprestige Gebäudereiniger ...................................................................................................................54 3.5 Bisherige Studien ...........................................................................................................................................55 3.5.1 Befragung IGES/BGW/DAK aus dem Jahr 2000 ...........................................................................55 3.5.2 Befragung SOEP 2001 und 2002 ........................................................................................................57 3.6 Zwischenfazit.................................................................................................................................................59 4 Methodische Herangehensweise .................................................................................................... 61 4.1 Der Fragebogen COPSOQ..........................................................................................................................61 4.1.1 Validität ...................................................................................................................................................62 4.1.2 Objektivität .............................................................................................................................................63

4.1.3 Reliabilität ...............................................................................................................................................63 4.1.4 Weitere psychometrische Eigenschaften ............................................................................................64 4.1.5 Standardversion Fragebogen COPSOQ .............................................................................................65 4.2 Auswahl der Befragungsteilnehmer und Probleme der Befragung .........................................................65 4.3 Allgemeine Befragungseffekte (Response Errors) ....................................................................................67 5 Ergebnisse der Befragung .............................................................................................................. 69 5.1 Befragungsergebnisse Gesamt .....................................................................................................................72 5.1.1 Befragungsergebnisse: Anforderungen ...............................................................................................73 5.1.2 Befragungsergebnisse: Einfluss und Entwicklungsmöglichkeiten ...................................................74 5.1.3 Befragungsergebnisse: Soziale Beziehung und Führung (Rollen)....................................................75 5.1.4 Befragungsergebnisse: Soziale Beziehung und Führung (Soziales) .................................................76 5.1.5 Befragungsergebnisse: Arbeitsplatzunsicherheit ................................................................................77 5.1.6 Befragungsergebnisse: Belastungsfolgen, Beschwerden ...................................................................78 5.2 Hauptergebnisse "Raumpfleger(innen) und Fensterreiniger" ..................................................................79 5.2.1 Befragungsergebnisse: Anforderungen ...............................................................................................79 5.2.2 Befragungsergebnisse: Einfluss und Entwicklungsmöglichkeiten ...................................................80 5.2.3 Befragungsergebnisse: Soziale Beziehung und Führung (Rollen)....................................................81 5.2.4 Befragungsergebnisse: Soziale Beziehungen und Führung (Soziales) .............................................82 5.2.5 Befragungsergebnisse: Beschwerden, Outcomes...............................................................................83 5.3 Diskussion ......................................................................................................................................................84 6 Betriebliches Gesundheitsmanagement......................................................................................... 86 6.1 Arbeitsschutzvorschriften und Norm ........................................................................................................87 6.2 Operative Maßnahmen zur Reduktion psychischer Belastungen ............................................................89 6.3 Maßnahmen auf Basis der Befragungsergebnisse .....................................................................................90 6.4 Aufgaben- und Arbeitsgestaltung ................................................................................................................92 6.5 Partizipation und Gesundheit ......................................................................................................................93 7 Zusammenfassung und Fazit ......................................................................................................... 96 Anlage A - Vorauswahl Fragebögen „Psychische Belastungen“ ..................................................... 99 Anlage B - Der Fragebogen COPSOQ ............................................................................................ 105 Anlage C - COPSOQ: Mittelwert und Standardabweichung ..........................................................113 Literaturverzeichnis ......................................................................................................................... 123 Onlineverzeichnis ............................................................................................................................ 134

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 - Dreiebenenmodell psychischer Belastungen im Beruf ............................................................. 25 Abbildung 2 - Klassifikation möglicher Stressfolgen ........................................................................................ 27 Abbildung 3 - Quellen von Stressoren in der Arbeit ......................................................................................... 28 Abbildung 4 - Das Anforderungs-Kontroll (job-strain) Modell ...................................................................... 29 Abbildung 5 - Psychosoziale Risikofaktoren für koronare Herzkrankheiten ................................................. 37 Abbildung 6 - Tage mit höherer Beeinträchtigung gegenüber sicher Beschäftigten ..................................... 40 Abbildung 7 - Rahmenmodell Downsizing nach Weiß und Udris .................................................................. 42 Abbildung 8 - Anteile der 5 wichtigsten Krankheitsarten an den AU-Tagen ................................................ 44 Abbildung 9 - Anteile der 5 wichtigsten Krankheitsarten an den AU-Fällen................................................. 45 Abbildung 10 - Anteile der 5 wichtigsten Diagnosen an AU-Tagen und -Fällen .......................................... 46 Abbildung 11 - Befragung: Rückläufer Fragebögen nach Berufsgruppen ...................................................... 69 Abbildung 12 - Befragung: Vergleich Altersverteilung Befragung : SOEP .................................................... 70 Abbildung 13 - Befragung: Vergleich Altersverteilung Befragung : iga-Report ............................................. 70 Abbildung 14 - Befragung: Verhältnis der Altersgruppen nach Geschlecht .................................................. 71 Abbildung 15 - Befragung: Art und Umfang der Tätigkeit............................................................................... 72 Abbildung 16 - Befragung: Gesamtwerte Anforderungen................................................................................ 73 Abbildung 17 - Befragung: Gesamtwerte Einfluss und Entwicklungsmöglichkeiten ................................... 74 Abbildung 18 - Befragung: Gesamtwerte Soziale Beziehung und Führung (1) ............................................. 75 Abbildung 19 - Befragung: Gesamtwerte Soziale Beziehung und Führung (2) ............................................. 76 Abbildung 20 - Befragung: Gesamtwerte Arbeitsplatzunsicherheit ................................................................ 77 Abbildung 21 - Befragung: Gesamtwert Belastungsfolgen, Beschwerden...................................................... 78 Abbildung 22 - Befragung: Ergebnisse Anforderungen für Reinigungskräfte ............................................... 80 Abbildung 23 - Befragung: Ergebnisse Einflussmöglichkeiten für Reinigungskräfte ................................... 81 Abbildung 24 - Befragung: Ergebnisse Führung (1) für Reinigungskräfte ..................................................... 82 Abbildung 25 - Befragung: Ergebnisse Führung (2) für Reinigungskräfte ..................................................... 83 Abbildung 26 - Befragung: Ergebnisse Beschwerden für Reinigungskräfte ................................................... 83

9

Tabellenverzeichnis Tabelle 1 - Vergleich Fallzahl und Dauer von AU-Zeiten Beschäftigter ........................................................ 18 Tabelle 2 - Ergebnisse Datenbankrecherchen .................................................................................................... 18 Tabelle 3 - Relevante Einflussgrößen psychischer Belastungen am Arbeitsplatz .......................................... 24 Tabelle 4 - Abgrenzung Stress hinsichtlich Umwelt und Person ..................................................................... 27 Tabelle 5 - Stressoren auf beruflicher und privater Ebene ............................................................................... 29 Tabelle 6 - Gesundheitliche Beschwerden durch Arbeit................................................................................... 36 Tabelle 7 - Aspekte der Beschäftigung und Personalabbau .............................................................................. 43 Tabelle 8 - Tarifmerkmale in der Gebäudereinigung......................................................................................... 52 Tabelle 9 - Sozialprestige von Berufsgruppen .................................................................................................... 54 Tabelle 10 - SOEP: Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung ................................................................ 58 Tabelle 11 - SOEP: Angst und Zufriedenheit bei MA in der Gebäudereinigung .......................................... 59 Tabelle 12 - Fragebogen COPSOQ: Zuordnung der Einzelfragen ................................................................. 62 Tabelle 13 - Unterschied Varianz COPSOQ Standardversion zu langer Version ......................................... 65 Tabelle 14 - Befragung: Verteilung nach Altersklassen und Geschlecht......................................................... 71 Tabelle 15 - COPSOQ-Fragen zu "Soziale Beziehungen" ............................................................................... 76 Tabelle 16 - COPSOQ-Fragen zu "Arbeitsplatzunsicherheit" ......................................................................... 77 Tabelle 17 - Vorteile des Betrieblichen Gesundheitsmanagements ................................................................. 87 Tabelle 18 - Merkmale förderlicher Aufgabengestaltung .................................................................................. 92 Tabelle 19 - Ziele der Strategien der Arbeitsgestaltung ..................................................................................... 93 Tabelle 20 - Vorauswahl Fragebögen "Psychische Belastungen" .................................................................... 104

10

Abkürzungsverzeichnis Abs.

Absatz

AOK

Allgemeine Ortskrankenkasse

ArbSchG

Arbeitsschutzgesetz

AU

Arbeitsunfähigkeit, Arbeitsunfähigkeiten

BAnz

Bundesanzeiger

BAuA

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

BG BAU

Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft

BGBl

Bundesgesetzblatt

BGF

Betriebliche Gesundheitsförderung

BGM

Betriebliches Gesundheitsmanagement

BGW

Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege

BIVGH

Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks

BKK

Betriebskrankenkasse

BMAS

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

bzw.

beziehungsweise

CDU

Christlich Demokratische Union Deutschlands

COPSOQ

Copenhagen Psychosocial Questionnaire

CRF

case-record-form

DAHTA

Deutsche Agentur für HTA des DIMDI

DAK

Deutsche Angestellten-Krankenkasse (jetzt DAK-Gesundheit)

DCS

demand-control-(support) model

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

DGUV

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung

d. h.

das heißt

DIGA

DGB-Index Gute Arbeit

DIMDI

Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information

DIN

Deutsches Institut für Normung (Deutsche Industrie-Norm)

DIW

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

EAfSuGaA

Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz

ebd.

ebenda

11

EN

Europäische Norm

ERI

effort-reward-imbalance model

et al.

et altera, et allii, et alliae, et allia (und andere)

f.

folgende

ff.

fortfolgende

ffas

Freiburger Forschungsstelle Arbeits- und Sozialmedizin

GBE

Gesundheitsberichterstattung (des Bundes)

GDA

Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie

GebäudeArbbV 3

Dritte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung

GebReinigAusbV

Gebäudereiniger-Ausbildungsverordnung

GEDA

Gesundheit in Deutschland aktuell

gem.

gemäß

ggf.

gegebenenfalls

GKV

Gesetzliche Krankenversicherung

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GRH

Gebäudereiniger-Handwerk

GUV

Gesetzliche Unfallversicherung

GZ

Gesundheitszirkel

Hrsg.

Herausgeber

HTA

Health Technology Assessment

IAB

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

ICC

Intraklassenkorrelation

ICD

Internationale Klassifikation der Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen

ICD-10 GM

ICD-10 German Modification: Deutsche Modifikation der 10. Revision der ICD

i. d. R.

in der Regel

IGA

Initiative Gesundheit und Arbeit

IGES

Institut für Gesundheits- und Sozialforschung

ISO

International Organization for Standardization

KK

Krankenkasse, Krankenkassen

MA

Mitarbeiter, Mitarbeiterin, Mitarbeiterinnen

MPS

Magnitude-Prestigeskala

12

MS

Microsoft

Nr.

Nummer

NRW

Nordrhein-Westfalen

RKI

Robert Koch-Institut

S.

Seite

SBS

Sick Building Syndrom

s. g.

so genannt, so genannte

SGB

Sozialgesetzbuch

SOEP

Sozioökonomisches Panel

TK

Techniker Krankenkasse

TÜV

Technischer Überwachungs-Verein

TVMindlohnGebäude Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung u. a.

unter anderem, und andere

Vgl., vgl.

Vergleiche, vergleiche

WHO

World Health Organization

WiDO

Wissenschaftliches Institut der AOK

z. B.

zum Beispiel

ZUMA

Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen

13

14

1

Einleitung

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz spielen in den Medien, und nicht nur dort, eine zunehmende Rolle, wie eine kleine Auswahl von Presseartikeln zeigt: • "Schwäche ist tabu", Sonderheft Der Spiegel Wissen, Januar 20111 • "Burnout auf dem Vormarsch", Pressemitteilung des WiDO, 19.04.20122 • "Mehr Fehltage wegen psychischer Erkrankungen", Frankfurter Allgemeine, 13.06.20123 • "Pendeln macht krank.", Frankfurter Rundschau, 27.06.20124 • "Burn-out erreicht Chefetagen", Financial Times Deutschland, 19.09.201256 • "Achtsamkeit - Kongress berät über Burnout-Prävention", Ärzte Zeitung, 20.09.2012 Dabei dominiert das Schlagwort "Burnout" derzeit in den Artikeln die Debatte. Zuerst als Krankheit der Mitarbeiter "helfender" Berufe wie Ärzte, Pfleger und Erzieher angesehen7, wurde Burnout in Folge zur "Managerkrankheit": "Burnout gilt bereits heute als Ablöser der Managerkrankheit Herzinfarkt."8 Inzwischen wird Burnout als Syndrom aber auch bei anderen Berufsgruppen diagnostiziert9 und psychische Erkrankungen treten in vielen Berufsarten und Beschäftigungsstufen auf. Die Brisanz des Themas hat die Wissenschaft und die Politik aufgenommen: • Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) hat zur Behandlung des Burnout-Syndroms ein Health Technology Assessment (HTA) durchgeführt.10 • Ursula von der Leyen (Bundesministerin für Arbeit und Soziales, CDU) und die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) entwickeln Leitlinien und Instrumente zum Schutz der Arbeitnehmer vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz.11 Es sind aber auch physische Erkrankungen durch Stress zu konstatieren. Aus Sicht von befragten Arbeitnehmern spielen Belastungen am Arbeitsplatz bei Stresssymptomen wie Reizbarkeit, Ner1

Zeltner, 2011, Seite 78. WIdO, 2012, 19.04.2012. 3 Grossarth, 2012, Seite 10. 4 Michaelis, 2012, Seite 7. 5 Ärzte Zeitung, 2012, Seite 8. 6 Smolka, 2012, Seite 2. 7 Vgl. Schmidtbauer, 1977, Seiten 10ff. 8 Bamert; Frei, 2008, Seite 7. 9 Vgl. Korczak; Wastian; Schneider, 2012, Seite 20. 10 Vgl. Korczak; Wastian; Schneider, 2012, Seite 3. 11 Vgl. ursula-von-der-leyen.de, 2012. 2

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vosität und Unruhe sowie bei Rückenschmerzen und anderen muskuloskelettalen Beschwerden eine entscheidende Rolle.12 Eine Studie in einem Versicherungskonzern ermittelte signifikante Zusammenhänge zwischen Stressbefinden, Muskelverspannungen und Bildschirmarbeitsplätzen.13 Derzeit in der Diskussion ist der Begriff "Präsentismus" (siehe Kapitel 2.4).14 Psychische Belastungen am Arbeitsplatz sind für verschiedene Berufsgruppen untersucht worden. Bei Kurt Biener (1993) finden sich Untersuchungen zu Unternehmern, Angestellten, Lehrern, Apothekern, Journalisten und Sporttrainern. Hinzu kommen Ergebnisse zu Stress bei berufstätigen Frauen, Hausfrauen und Jugendlichen.15 Es sind aber nur wenige Abhandlungen veröffentlicht, die sich mit Stress am Arbeitsplatz im Gebäudereiniger-Handwerk (GRH) auseinandersetzen. Untersuchungen zum Arbeitsschutz in der Gebäudereinigung beschränken sich vielfach auf Hautbelastungen durch Chemikalien, Infektionsgefahr durch Krankheitserreger, Verletzungen und Unfallgefahren, Ergonomie des Arbeitsplatzes sowie Belastungen durch die besondere Lage der Arbeitszeit.16 So wird das GRH in einer umfangreichen Befragung von Arbeitsschutzexperten zum Ausmaß und Stellenwert psychischer Belastungen bei der Arbeit (iga-Report 5) nicht erwähnt.17 Ein Grund für das mangelnde wissenschaftliche Interesse könnte der geringe Sozialstatus des Berufs "Gebäudereiniger" sein. Obwohl es sich um einen Ausbildungsberuf handelt, wird der Sozialstatus von Glasreinigern oder Objektreinigungskräften als insgesamt gering eingeschätzt, wie die weitere Untersuchung (siehe Kapitel 3.4) zeigen wird. In allgemeinpopulären Internetseiten bezeichnen sich Raumpflegerinnen als "Prekariat der Arbeitswelt".18 Der Bundesinnungsverband des GRH (BIVGH) selbst spricht vom "in der Öffentlichkeit vorhandene[n] Klischee von Putzkolonnen."19 Um auf die oftmals schlechten und schlechtbezahlten Arbeitsverhältnisse aufmerksam zu machen, wurde der 08. November zum "Internationalen Tag der Putzfrau" ausgerufen.20

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Vgl. Vetter; Redmann, 2005, Seite 11. Vgl. Burnus et al., 2012, Seiten 182ff. 14 Vgl. Steinke; Badura, 2011, Seiten 14ff. 15 Vgl. Biener, 1993, Seiten 5ff. 16 Vgl. hamburg.de, ohne Datum. 17 Vgl. Paridon et al., 2004, Seiten 84ff. (Anhang). 18 Vgl. dierotenschuhe.blogspot.de, 2010. 19 Grömling, 2007, Seite 2. 20 Vgl. kleiner-kalender.de, 2012. 13

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1.1 Ausgangslage "Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit, die Arbeitsbedingungen und die Freizeit organisiert, sollte eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein."21 Für die meisten Menschen ist Arbeit mehr als das Einkommen. Sie erfahren durch ihre Arbeit Wertschätzung, pflegen soziale Kontakte und strukturieren ihren Tagesablauf. Dadurch hat Arbeit ein hohes salutogenes Potenzial.22 Aber bereits 1896 vermerkte Emil Kraepelin: "Ein Doppelantlitz ist es demnach, welches die Arbeit trägt. Fluch und Segen liegen in ihr beschlossen. An uns ist es, (...) sie so zu gestalten, dass wir uns ihrer Segnungen freuen können, ohne Leid und Not des Lebens zu mehren."23 Umstrukturierungen und Betriebsschließungen, Leistungsdruck, steigende Zielvorgaben, hohe Arbeitsbelastung, kritische Kunden und zunehmende Technologisierung, auch durch eine globalisierte Wirtschaft, prägen die Arbeitswelt 2012. Diese Faktoren stehen, wie in der Literatur insgesamt einhellig beschrieben, im Zusammenhang mit der Zunahme von psychischen Erkrankungen.24 So sind nach Angaben der AOK die Krankheitstage wegen Burnout von 2004 bis 2010 um über 8 % angestiegen.25 Psychische Erkrankungen verursachten bei den Mitgliedern der Techniker Krankenkasse (TK) im Jahr 2011 noch vor bösartigen Neubildungen die höchste Anzahl an Arbeitsunfähigkeits(AU)tagen je Fall (Männer 41 Tage, Frauen 38 Tage).26 Dabei stiegen die Falltage gegenüber 2010 um 6,2 % (Männer) bzw. 20,8 % (Frauen) an.27 Auch die Rentenversicherung stellt einen zunehmenden Trend von Frühverrentungen wegen psychischer Störungen fest. Mit 73.000 von 178.000 Fällen sind psychische Störungen der häufigste Grund für den Ausstieg aus dem Berufsleben.28 Psychische Belastungen am Arbeitsplatz im Allgemeinen sind insgesamt nur wenig repräsentativ untersucht. Beck et al. (2012) haben bundesrepräsentative Surveys ab dem Erhebungsjahr 2005 recherchiert. Sie stellten fest: "So ist nur in drei der insgesamt fünf recherchierten bundesrepräsentativen Befragungen, in denen nach der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung im Betrieb gefragt wurde, explizit auch nach der Berücksichtigung psychischer Belastungen gefragt wor21

WHO, 1986, Charta. Vgl. Semmer; Udris, 2007, Seite 180; vgl. Wydler; Kolip; Abel, 2010, Seiten 7ff.; vgl. Schmucker, 2011, Seiten 2ff. 23 Kraepelin, 1896, zitiert nach Bamberg; Fahlbruch, 2007, Seite 618. 24 Vgl. Poppelreuter; Mierke, 2012, Seiten 15ff; vgl. DAK; IGES, 2005, Seiten 72ff.; vgl. Semmer; Udris, 2007, Seiten 157ff. 25Vgl. Meyer; Schröder, 2011, Seite 6. 26 Vgl. TK, 2012, Seite 78. 27 Vgl. TK, 2012, Seite 80. 28 Vgl. Götz, 2012, Seite 10. 22

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