Intuitionen und apriorische Rechtfertigung

Siehe hierzu insbesondere die folgende Anthologie: Boghossian und Peacocke New Essays on the. A Priori. 2. Vertreter des Rationalismus sind etwa BonJour, ...
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Grajner · Intuitionen und apriorische Rechtfertigung

Das Thema der apriorischen Rechtfertigung ist ein klassisches philosophisches Thema. Von der Antike bis in die Gegenwart wird ein intensiver Disput darüber geführt, ob man die Existenz nicht-empirischer Formen der Rechtfertigung anerkennen sollte. In diesem Buch wird ein intuitionenbasiertes Modell apriorischer Rechtfertigung entwickelt und verteidigt. Darüber hinaus werden die folgenden Fragen behandelt: Wie sollte man den Begriff der apriorischen Rechtfertigung charakterisieren? Welche Gründe gibt es für die Annahme nicht-empirischer Quellen der Rechtfertigung? Gibt es Alternativen zu intuitionenbasierten Modellen apriorischer Rechtfertigung? Kann man die Wahrheitsförderlichkeit nicht-empirischer Quellen der Rechtfertigung erklären?

Martin Grajner

Intuitionen und apriorische Rechtfertigung

20.06.11 09:53

Grajner · Intuitionen und apriorische Rechtfertigung

Martin Grajner

Intuitionen und apriorische Rechtfertigung

mentis PADERBORN

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort.

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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 1.0 1.1 1.2 1.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.5 1.4.6 2 2.0 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2.1 2.2.2 3 3.0 3.1

Der Begriff der apriorischen Rechtfertigung . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apriorische Rechtfertigung und apriorisches Wissen . . . . . . . . Welche Bedingungen sind für eine Analyse des Begriffs der apriorischen Rechtfertigung geeignet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Analyse des Begriffs der apriorischen Rechtfertigung . . . . Merkmale a priori gerechtfertigter Überzeugungen . . . . . . . . . Was sind Anfechtungsgründe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht-faktive und faktive Anfechtungsgründe für a priori gerechtfertigte Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Casullos »einfaches« Argument für die Anfechtung a priori gerechtfertigter Überzeugungen durch die Erfahrung . . . . . . . . Quines Idee der indirekten empirischen Anfechtbarkeit durch die Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Können a priori gerechtfertigte Überzeugungen faktiv empirisch angefochten werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Fallibilität von a priori gerechtfertigten Überzeugungen . . .

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Epistemische Rechtfertigung und die Internalismus-Externalismus-Unterscheidung . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Internalismus-Externalismus-Unterscheidung . . . . . . . . . . .

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Argumente für die Existenz a priori gerechtfertigter Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A priori gerechtfertigte Überzeugungen als Problem für den Empirismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rechtfertigung von Überzeugung, deren Gehalt den der direkten Erfahrung übersteigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Unmöglichkeit der Rechtfertigung von Argumenten durch die Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deskriptive Argumente für die Existenz erfahrungsunabhängiger Formen der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einwände gegen die hier verfolgte Strategie . . . . . . . . . . . . . .

6 3.2 3.3 4 4.0 4.1 4.2

Inhaltsverzeichnis

Motive und Probleme internalistischer und externalistischer Theorien epistemischer Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Diagnose und Lösung der Probleme für internalistische und externalistische Theorien der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . Intuitionen und apriorische Rechtfertigung Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intuitionen als nicht-empirische Gründe . . . . . . . . Einwände gegen die hier vorgelegte Position . . . . .

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87 97 101 101 102 115

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Alternative Theorien apriorischer Rechtfertigung: Boghossian und Peacocke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.0 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Boghossians Wiederbelebung der Analytizität . . . . . . . . . . 5.1.1 Einleitendes: Konzeptionen der Analytizität und ihre Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Boghossian und die Fregesche Konzeption der Analytizität . 5.2 Peacockes Konzeption apriorischer Berechtigung . . . . . . . . 6

. . . . 125 . . . . 125 . . . . 126 . . . . 126 . . . . 130 . . . . 138

6.3 6.4

Sind nicht-empirische Quellen der Rechtfertigung verlässlich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum Verlässlichkeitserklärungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erklärung der Verlässlichkeit empirischer Quellen der Rechtfertigung und das Problem der epistemischen Zirkularität Die ontologische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Argument für die Verlässlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

6.0 6.1 6.2

Literaturverzeichnis

. . . 149 . . . 149 . . . 150 . . . 153 . . . 160 . . . 166

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

Personen- und Sachregister

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Vorwort Philosophisch unvoreingenommen gehen wir davon aus, dass wir zahlreiche Dinge wissen. Wir wissen etwa, dass München südlich von Berlin liegt, dass unser Sonnensystem aus acht Planeten besteht und dass Zucker wasserlöslich ist. Die eben genannten Sachverhalte wissen wir empirisch, also letztlich aufgrund der Erfahrung. Manches scheinen wir jedoch auch völlig unabhängig von der Erfahrung zu wissen – wie etwa, dass jede natürliche Zahl einen Nachfolger hat, dass es prima facie moralisch verwerflich ist, Menschen zu töten oder dass ein Junggeselle ein Junggeselle ist. Die Sachverhalte, die eben angeführt wurden, würden wir – in philosophischem Jargon ausgedrückt – a priori wissen. Das Thema des apriorischen Wissens oder der apriorischen Rechtfertigung ist ein klassisches philosophisches Thema. Von der Antike an bis in die Gegenwart hinein herrscht ein großer Disput darüber, ob man tatsächlich die Existenz nicht-empirischer Formen des Wissens anerkennen sollte. Rationalisten, zu denen Platon, Leibniz oder Frege zählen, nehmen an, dass es tatsächlich nicht-empirisches Wissen gibt. Demgegenüber bestreiten Empiristen, wie etwa Locke, Hume oder Mill, dass wir über apriorisches Wissen verfügen oder nehmen an, dass wir lediglich triviale Sachverhalte a priori wissen können. In der vorliegenden Arbeit wird eine Variante des Rationalismus entwickelt und verteidigt. Wie der Titel der Arbeit bereits deutlich macht, soll für ein intuitionenbasiertes Modell apriorischer Rechtfertigung argumentiert werden. Die Gliederung der Arbeit ist an den folgenden Fragen orientiert: (1) Was bedeutet es genau, dass eine Person in einer Überzeugung a priori gerechtfertigt ist? (2) Gibt es überhaupt a priori gerechtfertige Überzeugungen? (3) Wie sehen nicht-empirische Gründe genau aus? (4) Kann man die Wahrheitsförderlichkeit nicht-empirischer Gründe oder Quellen der Rechtfertigung erklären? Dieses Buch ging aus einer Dissertation hervor, die von der philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden angenommen wurde. Einige Kapitel der Arbeit wurden von mir substanziell überarbeitet; andere Kapitel wurden lediglich an einigen Stellen gekürzt und geändert. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, eine Hochschulschrift in ein lesbares Buch zu verwandeln. Das Entstehen der Dissertation wurde von unterschiedlichen Personen und Institutionen unterstützt, bei denen ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Ich danke zunächst allen Gutachtern: Gerhard Schönrich, bei dem ich seit 2006 als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt bin; Wilhelm Vossenkuhl und Verena Mayer, die mich in München unterstützt haben. Ich danke darüber hinaus allen anderen Personen, mit denen ich über Themen dieser Arbeit gesprochen habe

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Vorwort

und die mir einige wertvolle Hinweise gegeben haben: Christian Barth, Holm Bräuer, Thomas Grundmann, Frank Hofmann, Thomas Krödel, Nikola Kompa, Alexander Miller, Adolf Rami, Matthias Schirn, Pedro Schmechtig, Mark Textor sowie Florian Oppermann. Meiner Familie und dabei insbesondere meiner Mutter danke ich für die langjährige Beihilfe. Schließlich danke ich der VG-Wort für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Dresden, März 2011

M. G.

Einleitung In den letzten beiden Jahrzehnten ist in der analytischen Philosophie ein verstärktes Interesse an dem Thema des apriorischen Wissens und der apriorischen Rechtfertigung erkennbar geworden. 1 Zahlreiche Philosophen plädieren dafür, die Existenz nicht-erfahrungsmäßiger Formen der Rechtfertigung anzuerkennen. Darüber hinaus haben rationalistische Theorien apriorischer Rechtfertigung stark an Popularität gewonnen. 2 Wenn man sich die Geschichte der analytischen Philosophie vergegenwärtigt, ist diese Trendwende relativ erstaunlich. Denn seit der Publikation von Quines einflussreichem Aufsatz »Two Dogmas of Empiricism« (1951 bzw. 1953) herrschte tendenziell eine Skepsis hinsichtlich des Sinnes und der Existenz apriorischer Rechtfertigung. 3 Trotz der zahlreichen Versuche, die unternommen wurden, um Theorien apriorischer Rechtfertigung zu rehabilitieren, ist diese Skepsis heute keineswegs abgeflaut. Michael Devitt, der einen an Quine angelehnten Empirismus vertritt, formuliert seine Skepsis folgendermaßen: The whole idea of the a priori seems deeply obscure. What is it for a belief to be justified a priori? What is the nature of this non-empirical method of justification? Without satisfactory answers to these questions the a priori is left mysterious. 4

Laut Devitt ist es mysteriös, wie eine Überzeugung a priori gerechtfertigt sein kann. Auch liefern die in der Literatur existierenden Theorien apriorischer Rechtfertigung gemäß Devitts Meinung keine befriedigenden Antworten auf die von ihm in diesem Zitat aufgeworfenen Fragen. Dies legt nach Devitt die Auffassung nahe, dass man lediglich empirisches Wissen und empirische Formen der Rechtfertigung anerkennen sollte. 5 Ich bin davon überzeugt, dass eine Skepsis hinsichtlich der apriorischen Rechtfertigung nicht plausibel ist und dass man befriedigende Antworten auf die von Devitt aufgeworfenen Fragen liefern kann. In dieser Arbeit möchte ich mich mit denjenigen Fragen beschäftigen, die meines Erachtens im Zentrum der Thematik der apriorischen Rechtfertigung stehen. Es handelt sich hierbei um die folgenden vier: (1) Was bedeutet es genau, dass eine Person in einer Überzeugung a priori gerechtfertigt ist? 1 2 3 4 5

Siehe hierzu insbesondere die folgende Anthologie: Boghossian und Peacocke New Essays on the A Priori. Vertreter des Rationalismus sind etwa BonJour, Bealer und Plantinga. Für eine ausführliche Kritik an Quines positiver Erkenntnistheorie und seiner vermeintlichen Kritik an der Existenz apriorischen Wissens siehe BonJour In Defense of Pure Reason, Kap. 2. Devitt »There is No A Priori«, S. 106. Siehe Devitt »There is No A Priori«, S. 106ff.

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Einleitung

(2) Gibt es überhaupt nicht-empirische Formen der Rechtfertigung? (3) Wie sehen nicht-empirische Gründe genau aus? (4) Kann man die Wahrheitsförderlichkeit nicht-empirischer Gründe oder Quellen der Rechtfertigung erklären? Meine Arbeit ist diesen Fragen entsprechend gegliedert. In dem ersten Kapitel der Arbeit möchte ich mich mit der Frage auseinandersetzen, wie man den Begriff der apriorischen Rechtfertigung genau expliziert. Ich werde hier zunächst unterschiedliche Analysevorschläge kritisieren und anschließend eine Analyse des Begriffs der apriorischen Rechtfertigung vorstellen. Ferner werde ich in diesem Kapitel untersuchen, welche Merkmale a priori gerechtfertigte Überzeugungen besitzen: Können a priori gerechtfertigte Überzeugungen angefochten werden? Können derartige Überzeugungen falsch sein? Ich werde diese beiden Fragen, wie zahlreiche andere Autoren auch, positiv beantworten. Im zweiten Kapitel werde ich mich mit zwei unterschiedlichen Argumenten für die Existenz a priori gerechtfertigter Überzeugungen auseinandersetzen. Mit dem ersten Typus von Argument soll gezeigt werden, dass rein empiristische Theorien der Rechtfertigung in einem Skeptizismus münden und dass man aus diesem Grund die Existenz erfahrungsunabhängiger Formen der Rechtfertigung anerkennen sollte. Laurence BonJour hat ein Argument dieser Art vorgelegt und ich werde argumentieren, dass es lediglich unter ganz bestimmten Voraussetzungen schlüssig ist. Das zweite Argument, das ich diskutieren werde, ist meines Erachtens überzeugender. Bei dieser Argumentationstrategie wird einfach eine Beschreibung der kognitiven Zustände geliefert, die eine Überzeugung unabhängig von der Erfahrung rechtfertigen. Ich werde zuerst drei unterschiedliche Vorschläge aus der gegenwärtigen Literatur diskutieren und dann einen eigenen Vorschlag unterbreiten, wie man diese Zustände charakterisieren sollte. Die Behandlung der dritten oben angeführten Frage erstreckt sich über die Kapitel drei, vier und fünf. Im dritten Kapitel möchte ich mich zunächst mit einer Frage beschäftigen, die meta-erkenntnistheoretischer Natur ist, nämlich ob die rechtfertigungsrelevanten Faktoren oder (vereinfacht betrachtet) die Gründe einer Person kognitiv zugänglich sein müssen oder nicht, damit man der Person zuschreiben kann, in einer gegebenen Überzeugung gerechtfertigt zu sein. Ich werde in diesem Kapitel für die These argumentieren, dass man einer hybriden Konzeption der Rechtfertigung den Vorzug geben sollte, die in der Lage ist, internalistische und externalistische Intuitionen einzufangen. Im vierten Kapitel werde ich mich damit beschäftigen, wie man nicht-empirische Gründe genau charakterisieren sollte. Diese Fragestellung überschneidet sich mit der im zweiten Kapitel diskutierten Thematik. Ich werde hier eine Variante eines intuitionenbasierten Modells apriorischer Rechtfertigung vorstellen und auch einige neuere Einwände gegen ein derartiges Modell diskutieren. Im fünften Kapitel werde ich zwei Theorien apriorischer Rechtfertigung behandeln, die Alternativen zu intuitionenbasierten Modellen apriorischer Rechtfertigung darstellen sollen, nämlich die analytische

Einleitung

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Theorie des A Priori, die von Paul Boghossian vertreten wird, und die begriffsbasierte Konzeption apriorischer Berechtigung von Christopher Peacocke. Ich werde zu zeigen versuchen, dass beide keine Alternativen zu intuitionenbasierten Modellen apriorischer Rechtfertigung darstellen. Im letzten Kapitel dieser Arbeit werde ich mich schließlich der Frage beschäftigen, wie man die Wahrheitsförderlichkeit nicht-empirischer Gründe oder Quellen der Rechtfertigung nachweisen kann. Ich werde hier argumentieren, dass man, sofern man die empirischen Quellen der Rechtfertigung als wahrheitsförderlich ansieht, auch die nicht-empirischen Quellen der Rechtfertigung als wahrheitsförderlich ansehen sollte. Denn, so mein Argument, diese beiden Typen von Quellen teilen gewisse Merkmale, wobei diese Merkmale wiederum Indizien ihrer Wahrheitsförderlichkeit sind.

1 Der Begriff der apriorischen Rechtfertigung 1.0 Einleitung In diesem Kapitel möchte ich mich mit der Frage beschäftigen, was es genau bedeutet, dass eine Person in einer Überzeugung zu einem Zeitpunkt t a priori gerechtfertigt ist. Diese Fragestellung legt es nahe, dass man, ähnlich wie in der Analyse anderer philosophischer Begriffe, die rechte Seite des folgenden Bikonditionals vervollständigen muss: (RA) S ist zum Zeitpunkt t a priori gerechtfertigt zu glauben, dass p Ç …6 Wenn man eine Analyse vorschlägt, dann stellt sich zunächst die Frage, unter welchen Bedingungen diese Analyse adäquat ist oder – alternativ gesprochen – welchen vortheoretischen Annahmen diese Analyse gerecht werden sollte. Ich werde hier den meisten klassischen und lebenden Autoren dahingehend folgen, dass eine Analyse des Begriffs der apriorischen Rechtfertigung auf eine informative Weise offen legen sollte, worin sich a priori gerechtfertigte von empirisch gerechtfertigten Überzeugungen unterscheiden. Ich möchte entsprechend eine Analyse vorschlagen, die auf eine präzise und informative Weise erfasst, wann eine Person in einer Überzeugung unabhängig von der Erfahrung gerechtfertigt ist. Wie sich zudem zeigen wird, wurden zahlreiche Analysen vorgeschlagen, die nicht dieser Annahme gerecht werden. Neben der Frage, was es genau bedeutet, dass eine Person in einer Überzeugung a priori gerechtfertigt ist, stellt sich noch die Frage, welche Merkmale a priori gerechtfertigte Überzeugungen besitzen. Sind a priori gerechtfertigte Überzeugungen anfechtbar? Wenn ja, aufgrund welcher Quellen können derartige Überzeugungen angefochten werden? Können a priori gerechtfertigte Überzeugungen falsch sein? Ich werde im Verlauf dieses Kapitels auch diese Fragen genauer diskutieren. Das Kapitel ist folgendermaßen aufgebaut: Im ersten Abschnitt möchte ich zunächst diskutieren, wieso man den Begriff der apriorischen Rechtfertigung in das Zentrum der Analyse stellen sollte und nicht den Begriff des apriorischen Wissens. Ferner werde ich kurz erläutern, welcher Sinn von Rechtfertigung in der folgenden Diskussion von mir als zentral angesehen wird. Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels werde ich zunächst unterschiedliche Arten von Bedingungen präsentieren, die man verwenden könnte, um den Begriff der apriorischen Rechtfertigung 6

Streng genommen ist dieses Bikonditional notwendig wahr und gilt für alle Personen S, alle Zeitpunkte t und alle Propositionen p. Ich gehe im Folgenden von der vereinfachten Formulierung (RA) aus, in der dies nicht explizit erwähnt wird.

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1. Der Begriff der apriorischen Rechtfertigung

zu explizieren. Ich werde dann diese unterschiedlichen Analysevorschläge dahingehend überprüfen, ob sie der oben angeführten Annahme gerecht werden. Im dritten Abschnitt werde ich die von mir favorisierte Analyse präsentieren, die davon ausgeht, dass eine Überzeugung für eine Person a priori gerechtfertigt ist, sofern für diese Überzeugung ein erfahrungsunabhängiger Grund spricht und die Person ihre Überzeugung auf diesen Grund stützt. Im dritten Abschnitt dieses Kapitels werde ich genauer auf den Begriff der Anfechtbarkeit eingehen. Danach möchte ich diskutieren, ob a priori gerechtfertigte Überzeugungen angefochten werden können. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels werde ich noch kurz darauf eingehen, in welchem Sinne a priori gerechtfertige Überzeugungen fallibel gerechtfertigt sind.

1.1 Apriorische Rechtfertigung und apriorisches Wissen In der gegenwärtigen Debatte werden unterschiedliche Analysen des Begriffs der apriorischen Rechtfertigung und des apriorischen Wissens vertreten. Die meisten Philosophen lassen sich von der Annahme leiten, dass a priori gerechtfertigte oder a priori gewusste Überzeugungen unabhängig von der Erfahrung gerechtfertigt oder gewusst werden und versuchen entsprechend mit ihrer Analyse dieser grundlegenden Annahme Rechnung zu tragen. 7 Bevor man jedoch eine ganz bestimmte Analyse vorschlägt, stellt sich die Frage, welchen Begriff man primär analysieren sollte. Soll man primär den Begriff der apriorischen Rechtfertigung oder den des apriorischen Wissens in den Mittelpunkt der Analyse stellen? Die von mir favorisierte Analysestrategie sieht so aus, dass man den Begriff der apriorischen Rechtfertigung analysiert und die Frage ausklammert, welche zusätzlichen Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Person eine Überzeugung oder Proposition a priori weiß. Eine derartige Analyse würde dann die Gestalt annehmen, dass man den Begriff der apriorischen Rechtfertigung weiter analysiert, also die Frage beantwortet, was es genau bedeutet, dass eine Überzeugung für eine Person zu einem Zeitpunkt t a priori gerechtfertigt ist. Wieso sollte man diese Analysestrategie verfolgen? 8 Die von mir verfolgte Analysestrategie hat den Vorteil, dass sie die Frage umgeht, welche zusätzlichen Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Person eine Überzeugung a priori weiß. Sofern man den Begriff des apriorischen Wissens analysieren wollte, müsste man sich mit dieser Frage beschäftigen, die, wie ein kursorischer Blick in die Literatur belegt, sehr kontrovers diskutiert wird. Ferner zieht der Umstand, dass 7

Man könnte die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem Unterschied zwischen apriorischem und empirischem Wissen um natürliche epistemologische Arten handelt. Siehe McFetridge »Explicating ›x knows a priori that p‹«. 8 Siehe hierzu auch Goldman »A Priori Warrant and Naturalistic Epistemology«, S. 1.