In globaler Perspektive: Wissenschaftliche Wahrheit und

globaler Perspektive. Denn auch die buddhistische „Erleuchtung“ spricht mit ihrem. Ansatz beim Nirvana von ihr. Ebenso predigt der Koran (7. Jh.) unter Bezug ...
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Heribert Rücker

In globaler Perspektive

Wissenschaftliche Wahrheit und menschliche Lebensorientierung

disserta Verlag

Rücker, Heribert: In globaler Perspektive: Wissenschaftliche Wahrheit und menschliche Lebensorientierung. Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95935-112-6 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95935-113-3 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 Covermotiv: pixabay.com

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Vorwort Den eigenen Horizont kritisch zu begutachten ist schwierig, weil dazu eine Außenperspektive benötigt wird. Sie bietet sich heute in Gestalt einer großen Anzahl von Kulturen, die eine eigene von den Wissenschaftskulturen abweichende Meinung vertreten. In traditioneller Perspektive zu schauen, stellt für die moderne Gesellschaft eine Herausforderung dar. Die Bewältigung dieser Aufgabe kann zugleich als Voraussetzung für die Beilegung der meisten aktuellen Konflikte in der Welt gelten. Das vorliegende Buch wagt sich auf dieses neue Terrain eines Friedensdialogs, in welchem sich das Erkenntniswissen als ein „Bild“ erweist, dessen Rahmen vor der menschlichen Wirklichkeit abschirmt. Da auch das alltägliche Denken, das uns alle verbindet, nur auf der Basis einer Bild-Hermeneutik möglich ist, hoffe ich, dass dieses Buch neue Impulse für das interreligiöse Gespräch und für eine Gemeinschaft der Menschen aller Kulturen liefern kann. Zentrale Anregungen zu den hier vorgelegten Studien gehen auf meine Begegnung mit der Bevölkerung Mosambiks zurück. Für den Zugang zur Hermeneutik der Abbildung bin ich insbesondere meinem jüdischen Lehrer Henri van Praag (1916-1988) dankbar.

Heribert Rücker

Einführung Das Original der Welt Hermeneutische Grundlagen einer globalen Perspektive Das Problem einer globalen Perspektive Das menschliche Selbstbewusstsein Die Kontextualität der Weltbilder Orientierung zum Frieden Der Name Das biblische Thema Die Unantastbarkeit einer Orientierung der Welt Hermeneutik der Genesis Prinzipien biblischen Verstehens Die umfassende Perspektive Erschaffen heißt Abbilden Der Geist Gottes Elohim: die Götter der Völker JHWH: die Orientierung an keinem der Götter Die Semantik JHWHs als Aufgabe des Menschen Der Mensch als Bild des Schöpfers Herrscht über sie! Und Gott sprach Der Mensch: Bild des Schöpfers Als Mann und als Frau erschuf er ihn Familiengötter Die Anamnese Vieles und ein Original Mann und Frau Komplementarität Der Sohn Die Orientierung der Bilder Weltbilder entstehen in Malerperspektive Name, Begriff und Erkenntnis Reflexionen zur biblischen Hermeneutik Der Begriff Der Name Die Abbildung des Namens als Begriff Das Defizit der Begrifflichkeit

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Wahrnehmung, Benennen und Name „Im Namen …“ Begriffe wie Malfarben Im Sog der Verwechslung von Original und Bild Die Bäume des Paradieses Zur biblischen Sicht der Erkenntnis Abbildung Der Hintergrund Zwischen Name und Erkenntnis Zwei Bäume Die Sünde Leben und Urteilen Babylon Von Babylon nach Jerusalem Emergenz und Abbildung Die Sicht auf die Erkenntnis Epignosis Globale Orientierung Der metaphysische Verstoß gegen das Erste Gebot Was meint „Orientierung“? Orientierung an der Wahrheit Die Orientierung des „christlichen Abendlandes“ Die aktuelle Orientierungslosigkeit Bildungsrelevante Konsequenzen Globale Orientierung im Verzicht auf Globalisierung Globalisierung oder globale Perspektive Menschenrechte Religiosität und Glaube Die islamische Kritik an der Globalisierung Gottwerdung oder Menschwerdung Der verfehlte Weg zum Weltfrieden Hermeneutische Weichenstellung Die biblische Tradition Messias-Erwartung Die Wahrheit der Bibel Die Gefangenschaft der Theologie Die Differenz zwischen den Hermeneutiken Der Glaube

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Die Konsequenzen der Wahrheitserkenntnis Die Differenz von Menschwerdung und Gottwerdung Systemfrieden oder Weltfrieden? Weltfrieden und Weltreligionen Der einzige Weg zum Frieden in Pluralität Die mangelnde Eignung der Begrifflichkeit Stammeskulturen Der Religionsbegriff Die Bildergalerie der Welt Die Messias-Hoffnung Israels Das Christentum Der Islam Buddhismus Die hinduistischen Traditionen Eine ganz neue Thematik Freiheit von allen Göttern Missverständnisse der globalen Perspektive Der Mensch in den Weltreligionen Wo bleibt der Mensch? Die Wissensgesellschaft ohne Basis Die These Der Anspruch der Wissenschaften Wissenschaftliche Selbstkritik Systemwahrheit Selbstbezug und Widerspruchsfreiheit Das System absoluter Wahrheit Die Struktur der Abbildung Die Physik als Abbildung Die klassische Realität Der physikalische Bilderrahmen von Zeit und Energie Erkennen ist Erschaffen der objektiven Welt Die Menschenleere des Bildes Der Sinn der Malerperspektive Menschliche Freiheit und der Frieden der Menschheit

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Nachwort

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Anhang: Die drei Dimensionen der Physik: s,  und t

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Einführung In globaler Perspektive steht das Ganze im Blick. Da das Ganze mehr ist als Alles, unterscheidet sich die globale Sicht von der wissenschaftlichen Globalisierung; denn Globalisierung greift nach dem Ganzen, umfasst aber nur das eigene Weltbild und provoziert dadurch Konflikte. In globaler Perspektive stellt sich das All der Wissenschaften als ein nur kleiner Teil dessen heraus, was zu sehen möglich ist und worauf das Handeln aller am Frieden Interessierten in Politik und Weltverantwortung ausgerichtet sein müsste. Weltumspannende Friedensbemühungen setzen ihre Hoffnungen auf eine zügig vorangetriebene Globalisierung wissenschaftsorientierter Kultur, in der begründeten Überzeugung, der universale Anspruch der Wissenschaft werde der Menschheit gerecht. Sie halten das Wissen für die Wahrheit der Welt und begreifen deren Abläufe zumindest grundsätzlich innerhalb ihres eigenen Urteils- und Verfügungsrahmens, auch als Basis für eine Verständigung innerhalb der multikulturellen Auseinandersetzungen der Gegenwart. Sie gehen mit Selbstverständlichkeit und mit allen Konsequenzen davon aus, ihr Weltbild sei universal „sachgemäß“, obwohl sie sich, indem sie ihr eigenes Weltbild als das allein wahre verstehen, das Denken der Anderen unterwerfen. Dagegen reflektiert dieses Buch auf die alte Einsicht, Globalisierung fördere keine globale Perspektive, sondern unterliege einer Täuschung. Implizit leben wir so, als stellten die anderen Kulturen immer noch Vorstufen zum menschlichen Leben dar. Unsere Gesellschaft stellt die Frage nicht, ob „unser“ Weltbild für solche Bewertung geeignet sei. Dabei besitzen traditionelle Kulturen selbständige Weltbilder, die sich ebenfalls als „allumfassend“ begreifen, aber trotzdem in entscheidender Weise anders sind. In der Situation „globaler“ gegenseitiger Abhängigkeit entstehen dadurch Kontroversen, Konflikte und Kriege, die zu der grundsätzlichen und uralten Fragestellung führen, wie eine Perspektive zu erlangen sei, in der allen Menschen Gerechtigkeit geschehen kann. Es kann nicht verborgen bleiben, dass der Anspruch des wissenschaftlichen Weltbildes keine andere Legitimation findet als die Selbstbegründung und deshalb kein Recht in Anspruch nehmen kann, andere Weltbilder oder Kulturen zu belehren. Obwohl es einen weltexternen oder in diesem Sinn „objektiven“ Maßstab für Weltbilder nicht gibt, darf, wer den Weltfrieden sucht, die Vielfalt der Welt nicht im eigenen Weltbild versammeln. Er muss vielmehr auch seine eigene Urteilsbasis als Teil der Vielfalt werten und deshalb eine der modernen Gesellschaft fundamental neue hermeneutische Perspektive erlernen. Oder er vertraut blind dem wissenschaftlichen Gott: Er wird dann keinen Frieden finden, weil er das Denken seiner Mitmenschen nicht berücksichtigt. Diese Alternative verpflichtet zur unvoreingenommenen Auseinandersetzung mit andersartigen Weltbildern. Für das Tier ist sein Revier die Welt. Der Mensch aber ist sich einer ihm gegenüberstehenden Wirklichkeit bewusst, die er als seine Welt gestalten kann. Was er da wahrnimmt und auf seine eigene Art und Weise verarbeitet, ist in unerklärlicher Weise seinen Sinnen vorgegeben, so dass er eine Perspektive zur Verfügung hat, die sich prinzipiell von seinem Weltbild und allen möglichen Weltbildern unterscheidet. Seine globa-

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le Perspektive ist kein Objekt der wissenschaftlichen Reflexion, sondern ermöglicht diese. Erkenntniswahrheit strukturiert das grandiose System von Forschung und Wissenschaft, aber bleibt dabei ein Werk des Menschen, der sich durch die dimensional höhere Fähigkeit globaler Perspektive auszeichnet. Die beiden Sichtweisen zu differenzieren ist aufgrund der übergeordneten Perspektive möglich, die keinem ihrer Bilder verfügbar ist und allein das einzigartige menschliche Bewusstsein kennzeichnet. Dieses unterscheidet die Würde des Menschen von allem Wissen, das in Perfektion eher eine Sache des Computers als des Menschen ist. Seit dem geschichtlichen Auftreten der Erkenntniswahrheit bedeutet Wahrheit nur im eigenen Selbstverständnis auch Frieden. Denn wie alle Denkweisen zeichnet auch Erkenntnis eine vom Menschen entworfene Struktur; in ihr wurzelt das „westliche“ Weltbild. Dieses verschließt sich aus eigener Logik zum globalen System und sperrt den Menschen aus, der sich als Urheber den Definitionen des von ihm entworfenen Werkes nicht fügt. Weil dabei die spezifisch menschliche Fähigkeit zur Selbstreflexion und zur globalen Perspektive ausgeschlossen wird und ein interessengeleiteter Maßstab zur Anwendung gelangt, der sein relatives Weltbild zum allgemeinen Maßstab erklärt, scheidet die Wahrheitserkenntnis letztlich als Weg zum Weltfrieden aus. Während die „westliche“ Intelligenz auf die Bedingungen eines Weltfriedens reflektiert, verharrt sie trotzdem selbst in ihrem Gefängnis, in dem sie ihre eigenen Werke, aber nicht die Welt anderer Kulturen sehen kann. Ihre kritische Reflexion betreibt ihre eigene Globalisierung, kennt aber die globale Perspektive nicht, die sie stattdessen mit dem Stigma des „Religiösen“ versieht und ausblendet. Das Andere kann nicht wahr sein, weil der eigene Maßstab zählt. Folglich stellt die bewusste Unterscheidung von Globalisierung und globaler Perspektive den wichtigsten Schritt zum Weltfrieden in Gestalt einer allen Menschen gestellten Aufgabe dar: Der Mensch wird dadurch zum Menschen, dass er seine globale Perspektive nutzt und jede Globalisierung relativiert. Weder ein Mehr-Wissen, noch ein Besser-Wissen kann die gesuchte globale Perspektive eröffnen, die sich ausschließlich durch einen Wechsel der Hermeneutik einstellen kann: Die Basis des Verstehens ist neu aufzugreifen. Das zielt auf den längst notwendigen, von Vertretern anderer Weltkulturen seit Langem geforderten Schritt, die Anlage des „westlichen“ Denkens durch ein offeneres Weltbild zu relativieren. Eine solche Hermeneutik braucht nicht erfunden zu werden (und kann nicht erfunden werden), weil sie der Menschheit seit Urzeiten bekannt ist. Nur deshalb kann sie hilfreich sein. Es handelt sich um ein Denken in der „Perspektive des Malers“: Ein Maler malt Bilder. Jedes entstandene Bild besitzt seine eigene „Sichtweise“. Jede Gesellschaft lebt und denkt in je ihrem Weltbild. Ein Bild vermag sich selbst nicht zu relativieren oder sich in der Perspektive seines Malers zu sehen. Aber der Maler ist das Selbst des Menschen, der bezeichnenderweise von „Weltbild“ spricht und dadurch zu verstehen gibt, eine Perspektive zu besitzen, die derjenigen des Bildes überlegen ist und es als Bild gestaltet und wiedererkennt. Es ist seine spezifische und einzigartig

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menschliche Fähigkeit, sich eine Welt gegenüberzustellen und ihr gegenüber zu stehen. Freilich ist die Welt als Bild an ihren Maler gebunden, der keine anderen Malwerkzeuge als die seinen besitzt. Obwohl ihn die einzigartige Malerperspektive orientiert, hat er ausschließlich die Bordmittel von Bildern für seine Kommunikation zur Verfügung. Dieser Umstand führt vor die grundsätzliche Frage, wie im Bild die Herkunft des Bildes deutlich werden könne, und ist im europäischen Mittelalter auf den Wegen der Metaphysik beantwortet worden. Doch die Eigenart einer globalen Perspektive lässt sich nicht im Horizont einer speziellen Methodik diskutieren, sondern allein da beobachten, wo sie vertreten wird. Anders ausgedrückt: Die Malerperspektive ergibt sich nicht im Horizont eines Bildes. Zur Überwindung von Grenzen aller Art – etwa des „Bilderrahmens“ – ist bereits ein Ansatz „jenseits“ der Grenzen unbedingte Voraussetzung; denn nur Grenzen, die gesehen werden, lassen sich überwinden. Wie lässt sich, wenn zwei Orientierungen, Völker oder Kulturen aufeinander treffen, ein solcher externer Ansatz vorführen, in dem die Differenzen zwischen den Weltbildern relativiert sind? Sollte das nicht möglich sein, dann muss der Weltfrieden eine prinzipielle Illusion bleiben, weil dann jeder Friedensansatz die Unterdrückung anderer Ansätze impliziert. Aber allein schon die Fähigkeit, die Notwendigkeit einer globalen Perspektive einzusehen, erweist ein menschliches Bewusstsein über den Bildern. Dieses Bewusstsein ist die Anstrengung der im Folgenden durchgeführten Reflexionen wert. Während dem Westeuropäer die jüdisch-biblische Tradition am nächsten steht, weil sie eine der Wurzeln abendländischer Identität ist, ist sie nicht die einzige Vertreterin globaler Perspektive. Denn auch die buddhistische „Erleuchtung“ spricht mit ihrem Ansatz beim Nirvana von ihr. Ebenso predigt der Koran (7. Jh.) unter Bezug auf die Erschaffung der Welt von Allah, der keinem Bild erreichbar ist. Aber buddhistische Gedankengänge liegen uns im Allgemeinen fern und die aktuellen Auseinandersetzungen mit dem Islam sind nur bedingt hilfreich, um die europäische Hermeneutik zu hinterfragen. Wie andere frühe Kulturen setzt die biblische Tradition beim Schöpfungsgedanken an und führt die Kriege auf den Verlust der globalen Perspektive zurück. Diese Perspektive bietet als Botschaft von der Herkunft bzw. als Schöpfungsthematik die Antwort auf die globale Friedenssuche und stellt dabei keine Konkurrenz zu Physik oder Evolutionstheorie dar. Eine Schöpfung im Sinne einer Abbildung zu thematisieren ist notwendig, um eine globale Antwort auf die Fragen der Menschheit und dadurch dem Frieden eine Chance zu geben. Eine der Wissenschaftlichkeit externe Beobachtung des im Verlauf der abendländischen Geistesgeschichte sukzessiven Verlustes der globalen Perspektive wird erklären können, warum den alten Traditionen trotz ihrer immensen Leistungen heute so wenig Beachtung geschenkt wird, dass der Rückgriff auf sie einer speziellen Rechtfertigung bedarf. Wenn die folgenden Überlegungen immer wieder bei der Bibel anknüpfen werden, dann weil sich das „Buch der Bücher“ in einer Jahrtausende alten Gestalt ver-

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nünftigen menschlichen Überlegungen widmet, die in der abendländischen Geistesgeschichte vernachlässigt wurden und in der Kurzsichtigkeit moderner Naivität untergehen, aber dennoch für einen Friedensprozess unverzichtbar und in höchstem Grad aktuell sind. Die biblischen Texte wurden nicht im Auftrag späterer Interessen geschrieben, sondern als Auseinandersetzung mit der menschlichen Friedenssehnsucht. Nur in ihrer eigenen Hermeneutik können solche Dokumente in ihrer eigenen Aussage verstanden werden. Wer sie dagegen in den Bilderrahmen der Wissenschaftlichkeit abbildet, kann ihnen nur noch entnehmen, was sich in diesem Bilderrahmen befindet. Weil die Welt zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts an erschreckend vielen Stellen brennt, aber Politiker und Kirchen nicht fähig sind, über ihr modernes Weltbild hinauszuschauen, ist die Frage nach einer globalen Perspektive heute in neuer Dringlichkeit zu stellen. Schon um das Jahr 56 mahnt der Apostel Paulus die Römer (12,2) mit den gegenwärtig aktuellen Worten: „Folgt nicht dem Schema dieses Weltbildes, sondern ändert euch durch ein ganz neues Denken, um Orientierung zum Frieden zu haben!“ Paulus spricht von der „Epignosis“, von der ganz neuen Sicht in globaler Perspektive. Diese Differenz zwischen Globalisierung und globaler Perspektive und damit zugleich die Relativität der Erkenntnis-Kultur gegenüber dem Menschen bildet das zentrale Thema der hier vorgelegten Aufsätze. Jeder der abgedruckten Texte experimentiert mit einer durch die Erkenntnismethodik zurückgewiesenen urmenschlichen Hermeneutik und versucht, die spezifisch menschliche Fähigkeit des distanzierten Denkens für die notwendige Differenzierung zu nutzen. Das systembedingte Vorurteil der Erkenntnis, eine andere Hermeneutik als die eigene sei gar nicht möglich, wird dabei im Denken widerlegt. Wenn der Leser überrascht sein wird, mit Neuartigem konfrontiert zu werden, über das er an anderer Stelle noch nichts erfahren hat, steht er nicht allein, sondern beweist mit seiner Verwunderung die zentrale These vom neuzeitlichen Verlust der angeschnittenen Thematik globaler Perspektive. Der Neuartigkeit des experimentellen Ansatzes wird Rechnung getragen, indem begrenzte Überschneidungen der gesammelten Artikel zur Einübung in die Gedankengänge beibehalten wurden. So ist auch gewährleistet, dass die einzelnen Untersuchungen unabhängig voneinander gelesen werden können, obwohl sie nur zusammen diese erste Darstellung der Thematik abrunden.

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Das Original der Welt Hermeneutische Grundlagen einer globalen Perspektive

Das Problem einer globalen Perspektive Traditionell ist der Rahmen, in dem ein Mensch sein Leben orientiert, in Gestalt der Familie vorgegeben; er geht später auf die Gesellschaft über, so dass alles, was auch geschieht, „im gewohnten Rahmen“ bleibt. Der Begriff des Rahmens stammt vom Blick auf das Bild, das grundsätzlich einen Rahmen besitzt. In den letzten Jahrzehnten hat sich diese Situation für viele Menschen grundlegend geändert, weil die Rahmen beständig und mit wachsender Geschwindigkeit umfassender werden und heute die ganze Welt ein Informationsganzes ist, das keinen begrenzenden Rahmen kennt. Hatte der Rahmen die Handlungsorientierung vorgegeben, so fehlt diese jetzt. Das Ganze orientiert jedes Detail; aber wer orientiert den Umgang mit dem Ganzen: mit dem Energievorrat der Erde, mit dem Klima, mit der anwachsenden Menschheit, mit den so unterschiedlichen Menschen, mit ihrem umfassenden Wissen und mit ihren differenten Zielen? Angesichts der immensen Spannungen zwischen verschiedenen politischen Blöcken, Wirtschafts- oder Umweltinteressen, Kulturen und sozialen Schichtungen ist eine globale Perspektive notwendig, um die Zerspaltung der Weltbevölkerung zu heilen und den Erhalt der Menschheit zu sichern. Aber das Denken hat mit der Entwicklung nicht mithalten können. Die internationale und interkontinentale Politik hat noch nicht begriffen, dass ihre nationalen und kontinentalen Orientierungen den notwendigen Wegweiser nicht mehr bereit stellen können. Sie orientiert sich an der einzigen objektiven Größe, die sich beweisen lässt: an „wissenschaftlicher Wahrheit“. Im Begriff der Erkenntniswahrheit scheint Orientierung optimierbar, universal bzw. objektiv vorgegeben und praktikabel vermittelbar zu sein, damit ihre fortschreitende „Globalisierung“ die Menschheit zu orientieren vermag. Beruhen die Spannungen innerhalb der Menschheit auf mangelnder Bildung, dann wachsen Frieden und Wahrheitserkenntnis im gleichen Sinn, so dass Ausbildung zum Rezept für den Weltfrieden geworden ist. Auch in der „westlichen“ Gesellschaft wird ein „lebenslanges Lernen“ zum beliebten Motto; denn es wird notwendig, Vorurteile abzubauen und die Wahrheit über andere Kulturen zu erlernen. Doch während das Konzept „interkulturellen Lernens“ eine profitable Version einer Globalisierung des Eigenen bietet, bleibt das hermeneutische Problem verborgen, das darin besteht, dass das angeblich niedrige Bildungspotenzial in den Entwicklungsländern im Kontrast zum Wahrheitsanspruch der „entwickelten“ Gesellschaften definiert ist: Unwahr ist, was nicht wahr ist… Die Frage nach einer globalen Perspektive scheint im Horizont der Wissenskulturen beantwortet und wird deshalb praktisch nicht thematisiert, während sie für die anderen Kulturen den Schlüssel zum Weltfrieden darstellt. Der Konsens der „westlichen Gesellschaften“ kann offensichtlich andere Kulturen nicht daran hindern, sich der Globalisierung des Wahrheitskonzepts entgegen zu stellen. Denn auch wenn die neuzeitliche Wissenschaftlichkeit allem Wahren gegenüber aufgeschlossen ist, so ist sie es doch selbst, die das Wahrheitskriterium vorgibt. Was sie als

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„Unwahrheit“ bezeichnet, versteht sich interkulturell oft als ein anderes Weltbild, dessen Vertreter nicht daran denken, sich dem „westlichen“ Urteil zu unterwerfen. Da das Wahrheitskonzept die Problematik der transkulturellen Konstellationen nicht einmal zu erkennen erlaubt und stattdessen seine eigene Globalisierung betreibt und jeden logischen Widerspruch prinzipiell als gegen die Wahrheit gerichtet missdeuten muss, entsteht ein unüberbrückbares hermeneutisches Spannungsfeld, das undiskutiert den angeblichen Friedensprozess je länger desto intensiver stört. Wenn solche Störung als Nichtachtung der Wahrheit erscheint, täuscht das eine Aussage über den Protest vor, obwohl Grenzen des Wahrheitskonzeptes den Auslöser bilden. Weil die Ausblendung oder Niederschlagung des Protestes die Ursache nicht beseitigt, sondern bestärkt, darf ein ernsthaft um den Weltfrieden bemühtes Engagement ihn heute keinesfalls ignorieren. Die Frage nach einer globalen Perspektive muss vielmehr zum vorrangigen Thema einer jeden verantwortlichen Politik werden, wobei die Wahrheitsargumentation ihre Friedensbereitschaft dadurch erweisen muss, dass sie den protestierenden Menschen den Vorrang gegenüber der Logik der Forschung einräumt, sich selbst also in die zweite Reihe zurücknimmt. Solange das gesellschaftliche Bewusstsein dazu nicht fähig ist, weil sich die gesellschaftliche Vernunft mit den Erkenntnisprinzipien identifiziert, ist die oft verzweifelte und auch gewaltbereite Gegenwehr anderskultureller Gemeinschaften nicht zu verhindern, ihre Intention (im Unterschied zu den oft angewandten Methoden) nicht zu verurteilen. Wer die hermeneutische Differenz im gemeinschaftlich gelebten Alltag anderer Kulturen erfährt, dem stellt sich das Weltproblem in neuer Weise dar, nicht als „Unbildung“ der Anderen, sondern als Anfrage an die eigene Lernfähigkeit. Trotz „lebenslangen Lernens“ hat die „westliche“ Gesellschaft seit dem Mittelalter über ihren eigenen Bilderrahmen hinaus nichts dazu gelernt, was schon Platon in der Antike vorausgesehen hat und mit seinem „Höhlengleichnis“ veranschaulichen wollte. Ob die Erkenntniswahrheit relativ ist oder nicht: Sie muss sich selbst als absolute Wahrheit erkennen und schürt mit diesem Anspruch die Gegenwehr Andersdenkender. Das ist Grund genug, die Thematik ernst zu nehmen – und das trotz der Warnung vor „Unwissenschaftlichkeit“, die sich jeder Relativierung der Wissenschaftlichkeit in den Weg stellt.

Das menschliche Selbstbewusstsein Weil kein Bild – auch kein Weltbild – denken kann oder Selbstbewusstsein hat, sondern nicht mehr als eine Materie-Konstellation ist, erfordert jede Bedeutung eines Bildes mit Notwendigkeit die Beteiligung des Menschen: Es ist erst der Maler, der Betrachter, der Denker, der Komponist, der Ingenieur usw., der den Zeichenkomplex als ein „Bild“ identifiziert. Einen Sinn erhält Materie erst dadurch, dass ein Mensch sie liest. Deshalb steht der Mensch vor einer Alternative: Er kann sich selbst als Maler oder Betrachter bewusst werden, dem die Relativität des Bildes gegenüber dem Original offensichtlich ist. Er denkt „über das Werk“ nach oder reflektiert „auf das Werk“. Er sieht den Globus vor sich stehen.

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Als andere Möglichkeit steht es ihm frei, sich mit dem Bild zu identifizieren, sein Denken also auf die Verknüpfungen im Bilderrahmen zu beschränken. Er hält die geschilderte Maler-Szene dann für einen Traum, da sie im Bild keine Bestätigung findet. Seine Stimme lässt sich als die Logik des Systems oder im wissenschaftlichen Weltbild als „Logik der Forschung“ aussagen – als sei er selbst ein Punkt auf dem Globus. Die Alternative zwingt zu dem völlig ungewohnten Gedanken, die logische Kombination von Zeichen, die wir wissenschaftlich als Realität auszusagen pflegen, sei „nur“ ein Bild, dessen Relativität wir sehr genau kennen, weil wir von einem Original ausgehen. Dagegen sei die Alternative, die das menschliche Denken auf die Binnenstruktur der Logik herabwürdigt und die menschlich-übergeordnete Perspektive ignoriert, doch reichlich „platt“. In erschreckender Weise folgt, dass jenes Weltbild, das wir Tag um Tag für die umfassende Wirklichkeit halten, als „nur ein Bild“ deutlich wird. Vom Bild unterscheidet sich dann ein Original. Unterscheiden wir Menschen ein Original von jenem durch uns hergestellten Zeichenkomplex, der auf seine eigene Weise besteht und von uns als Bild ausgesagt wird, dann liegt die Vermutung nahe, es gebe noch andere Bilder. Denn jedes Original lässt sich durch verschiedene Methoden - z.B. als Aquarell oder als Ölgemälde oder als Kohlezeichnung - abbilden. Jede Methodik erlaubt ein Bild des Originals, wobei verschiedene Methoden zu ganz verschiedenen Bildern führen. Die Relevanz des Gedankens liegt in der Tatsache, dass wir Menschen neben dem auf begrifflicher Sprache beruhenden Weltbild noch ganz andere Bilder herstellen und uns in ihnen heimisch fühlen. Die visuellen Bilder, soziale Stimmungsbilder, musikalische Melodiebilder, Geschmacksbilder, Hörbilder, Wunschbilder und viele weitere Bilder gehören zum Alltag. Je nach Methodik bzw. je nach Sinnesorgan entsteht ein anderes Bild. Jetzt wird deutlich, was eine Relativität der Erkenntniswahrheit sein kann. Die Proklamation eines der Bilder, des begrifflichen Bildes, als universale Wahrheit, an der die anderen Bilder in ihrer Wahrheit und Bedeutung zu messen seien, kann sich einzig und allein auf der Basis des logischen Urteils legitimieren, also systemintern. Das wäre der oben als „platt“ gekennzeichnete Ansatz bei einer Absolutheit des Zeichensystems: Indem er die Malerperspektive vergisst, macht sich der Mensch zum Sprachrohr der Erkenntnis. Tatsächlich entspricht genau dieses Verfahren moderner gesellschaftlicher Denkgewohnheit: Wir benutzen die Bedingungen der Erkenntniswahrheit als Filter, um die Wahrheit der anderen Bilder zu erfahren. Wahrheit ist nur noch, was den Erkenntnisbedingungen genügt. „Von sich aus“ entfaltet sich das begriffliche Bild aus eigener Logik; es kann ausschließlich verarbeiten, was seinen eigenen Kategorien entspricht (vgl. den Computer). Es wird sich deshalb niemals einem Geschmacksbild oder einer Sinfonie in den Weg stellen und um Rechenschaft bitten. Die Melodie einer Musik oder die Harmonie zwischen Menschen entwickelt sich aus eigenen Regeln und unberührt davon, dass es z.B. auch Mathematik gibt. Solche Beispiele können die Fantasie beflügeln, um durchzutesten, dass das Urteil über den Geschmack nur deshalb zustande kommen kann, weil ein Mensch die Kategorien des Urteilsbildes auf den Geschmack anwendet und zu diesem

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Zweck zuvor ein Konvertierungsprogramm (die Bedingungen der Wahrheitserkenntnis) erfunden hat, um die Erlebniswelt dem Urteil kompatibel zu machen. Wer die abendländische Geistesgeschichte in der Malerperspektive – wie hier – verfolgt, kann die einzelnen Schritte, Transformationen und Konvertierungen exakt beobachten, in denen sich die Erkenntniswahrheit die Welt grundsätzlich unterwirft und dabei verwirft, was sich ihr nicht eingliedert. Es bestätigt sich ein altbekanntes Gesetz: Jede Rezeption geschieht auf die Weise des Rezipierenden. Oder: Jedes Abbilden geschieht auf die Weise des Bildes, nicht des Originals. Die Herstellung des Bildes verfolgt eine spezielle Methodik, auf deren Weise das Bild strukturiert wird. Es kann folglich nur mit eben dieser Struktur interagieren. Deshalb kann im Horizont der Erkenntniswahrheit nur diese selbst wahrgenommen werden: Was dem nach Erkenntnis suchenden Menschen ansonsten noch zugetragen wird, muss entweder erst noch in seiner Wahrheit erkannt werden, oder – insoweit sich das Erkenntnisbemühen als ergebnislos herausstellt – als unwahr gelten. Bleibt also die Perspektive des Menschen zu bedenken, ohne den die einzelnen Abbildungsmethoden weder zur Anwendung kämen, noch auf einander bezogen wären, noch Gegenstand einer Überlegung sein könnten. Allein der Mensch besitzt die übergeordnete Malerperspektive, die nun als die „globale Perspektive“ ausgesagt werden kann, weil sie alle menschlichen Abbildungsmethoden relativiert, indem sie sie hervorzubringen ermöglicht. Weil natürlich auch die Wahrnehmung des Menschen bzw. unseres eigenen menschlichen Körpers (an dem sich Leib, Geist, Herz, Gemüt, Arme, Beine, Kopf usw. unterscheiden lassen) diesen verschiedenen Methoden unterworfen ist, lässt sich konsequent schließen und ist in traditionellen Kulturen zu allen Zeiten gefolgert worden, das Bewusstsein, dem die globale Perspektive eigen ist, sei nicht selbst ein Teil des Bildes, sondern als Original des endlichen Menschen von diesem verschieden wie jedes Original vom Bild. Der endliche Mensch sei das sterbliche Bild seiner „Seele“, die folglich nicht der Sterblichkeit unterliege. „Seele“ ist in solcher Aussage eine Chiffre für das Original des Bildes, also ein Name im Horizont der Hermeneutik der Abbildung und mithin nicht mit der Hermeneutik der Erkenntnis kompatibel. Trotzdem hat ein auf den Fähigkeiten menschlichen Vernunftgebrauchs beruhender konsequenter Gedankengang zu ihr hingeführt. Denn es kann nicht als vernünftig bezeichnet werden, das eigene Denken den Grenzen des gedachten Weltbildes zu unterwerfen. Die Kreativität der Zeichnung stammt schließlich nicht aus ihr selbst. Wer sich nicht in den Bilderrahmen der selbst hergestellten Zeichnung einsperren lässt, der steht – wie alle traditionellen Kulturen der Welt einschließlich der mittelalterlich-europäischen – vor dem Gedanken an ein „Selbst“, eine „Seele“ oder ein „Original“. Wir haben jetzt die oben skizzierte Wahl, den Gedanken der globalen Perspektive vernünftig fortzusetzen, oder das Bild zu befragen. Befragen wir das wissenschaftliche Bild über die Seele, wird die Auskunft lauten: „mittelalterlich“, „unwissenschaftlich“ oder „mythisch“; das soll heißen „unwahr“. Wir haben immer die Möglichkeit und oft auch die Verpflichtung, unser Denken auf das in der Erkenntnismethodik gezeichnete Bild zu

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beschränken. Aber es ist sinnlos, das Denken zu beschränken, wenn wir nach einer globalen Perspektive fragen. Wichtig ist doch einzig und allein, dass die Erkenntnismethodik uns zur Erkenntnis verhilft, weil diese der Menschheit gute Dienste leistet. Aber außerhalb ihres Anwendungsbereichs – etwa im Gedanken einer globalen Perspektive zur Orientierung der Erkenntniswerke – hat diese spezielle Methodik keinen Beitrag aufzuweisen. Wer nach einer globalen Perspektive fragt, findet sie zuerst als Eigenschaft der menschlichen Seele. Diese besitzt die Freiheit, sich Wege zu ihrer Abbildung zu wählen. Das ist das immense Potenzial eines jeden neugeborenen Menschen. Jede Begrenzung von Möglichkeiten gehört dagegen bereits einem Bild an, tut dem Menschen also Unrecht, wenn sie – wie im Horizont der Erkenntniswahrheit – verabsolutiert wird. Mit ihrer Interpretation der Seele als Objekt der Psychologie (Psyche = Seele) sperrt Wissenschaft den Menschen in den Horizont der Erkenntniswahrheit ein.

Die Kontextualität der Weltbilder Die traditionellen Kulturen der Welt sind sich im Unterschied zu den „westlichen“ Wissenskulturen über die Relativität der Welt wissenschaftlicher Erkenntnis weitgehend einig. Die Gesellschaft der modernen Welt erscheint als eine spezielle Gemeinschaft des Erkenntnisprinzips oder Machtkonzepts, das auf Grund der Logik die Eigenschaft besitzt, was sich ihm nicht unterwirft, als inexistent (als naives Verständnis) aus dem Wahrheitshorizont auszuschließen. Systemintern ist das die korrekte Konsequenz, aber extern gesehen stellt ein solcher Wahrheitsbegriff eine Globalisierung der offensichtlich machtsichernden Entscheidung dar, sich ausschließlich am Gott der Logik zu orientieren: Eine Stammeskultur erhebt Weltanspruch. Das zu beobachten führt zu dem entscheidenden Schritt, sich von dem in der Antike aufgekommenen metaphysischen Weltbild – von der Stammeskultur des Römischen Reiches – zu distanzieren. Das Sein bleibt das Prinzip einer speziellen Methodik, die niemand mehr missen möchte, die aber auch die neuzeitliche Täuschung veranlasst, der Maler sei selbst ein Teil des von ihm gezeichneten Bildes. Wenn das wissenschaftliche Weltbild, das sich seine Welt gemäß den eigenen Prinzipien aufbaut, als die wahre Realität gilt, ist das die Wahrheit, aber auch „nur die Wahrheit“, deren Definition eine systeminterne ist. Ihre Realität besteht innerhalb ihres Bilderrahmens, den eine „realistisch“ denkende Gesellschaft nicht zu relativieren vermag, weshalb sie auch einen Weltfrieden nur innerhalb dieses Bilderrahmens entwerfen kann. Anders bietet sich die Welt, wenn Kulturen, Weltbilder und Orientierungshorizonte in der menschlichen Perspektive als eine Vielfalt von Bildern gesehen werden, die in ihrer Verschiedenheit möglich sind, aber nach dem gemeinsamen Original fragen lassen. Auch das rationale Weltbild ist dann ein solches; es ist wie sein Anspruch globaler Geltung kontextuell. Diese Einsicht veranlasst, bei der uralten Orientierungsfrage neu anzusetzen, ohne der durch die Erkenntnis vorgetäuschten Lösung auf den Leim zu gehen. Zurückgeworfen auf die Einsicht, die neuzeitliche Methodik biete keine globale Lösung, sondern unterwerfe sich den Globus, steht die Frage nach einer globalen Orientierungsmöglichkeit neu zur Reflexion. Trotz aller Irritation, die auf den „westlichen“

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