Impressum - muenchen.de

02.04.2003 - (2001), Gender division of labour in unified Germany,. WORC Report, European Network on Policies and the Division of. Unpaid and Paid Work, www.uni-wuerzburg.de / soziologie / na_rep.pdf. Madörin, Mascha (2001a), Budgets als gleichstellungspolitisches. Instrument, in: NRO-Frauenforum: Infobrief ...
942KB Größe 1 Downloads 615 Ansichten
Impressum April 2003 Herausgeber Gleichstellungsstelle für Frauen Der Landeshauptstadt München Rathaus, Marienplatz 8 80331 München [email protected]

Autorin Birgit Erbe FAM – Frauenakademie München e.V. Auenstraße 31 80469 München (0 89) 7 21 18 81 [email protected]

Fotos Landeshauptstadt München Presse- und Informationsamt Michael Nagy

Layout Landeshauptstadt München Satz und Grafik Ingrid Fidelak

Druck Landeshauptstadt München Stadtkanzlei

Alle Fotos zeigen Bereiche aus öffentlichen Einrichtungen der Landeshauptstadt München

2

Kommunale Haushaltsplanung für Frauen und für Männer

Gender Budgeting in der Praxis Konzepte, Erfahrungen, Perspektiven

Eine Untersuchung von Birgit Erbe Im Auftrag der Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München

Besonderer Dank gilt Friedel Schreyögg und Regina Frey für die wertvolle inhaltliche Diskussion und die großzügige Bereitstellung von Informationen und Materialien.

4

Inhalt Seite Vorwort

6

Gleichheit vor dem Haushalt?

8

Zur Notwendigkeit einer Überprüfung der Haushaltspolitik Gegensteuern mit Gender Budgeting Eine Begriffdefinition

10

Das Geschlecht der Ökonomie: Feministische Kritik und Ansätze einer geschlechterbewussten Wirtschaftstheorie

12

Außer Spesen ist doch was gewesen: Rechtliche Anknüpfungspunkte für Gender Budgeting

16

„Show us the money“ – Beispiele für Gender Budgeting

18

Instrumente einer geschlechtsbewussten Haushaltsanalyse

25

Von der Theorie in die Praxis: Handlungsansätze für München

28

Zur Situation in München

29

Geschlechtsdifferenzierte Analyse der Wirkung der Ausgaben- und Einnahmestruktur

31

Planungsprozess

34

Implementierung

37

Schlussbemerkung

38

Literatur

39

5

Vorwort

Die Haushaltspläne von Bund, Länder und Gemeinden sind umfangreiche, für Laien schwer lesbare Werke. In den Medien werden meist nur einzelne Haushaltsposten diskutiert. Die Ausgabenstruktur von öffentlichen Haushalten und ihre Folgewirkungen auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen wird hingegen nur selten einer kritischen Prüfung unterzogen. Ebenso wurden von Frauenorganisationen, Frauenverbänden, Wissenschaftlerinnen anhand einzelner Aufgaben auf Schieflagen aus frauenpolitischer Sicht in öffentlichen Haushalten hingewiesen. Eine systematische Auseinandersetzung mit der Struktur öffentlicher Haushalte hat erst begonnen. Ein Einstieg in das Thema waren die Probleme und politischen Blockaden bei der Finanzierung von Fraueneinrichtungen. Die Finanzierung etwa von Frauenhäusern bedurfte jahrelanger mühsamer Lobbyarbeit von Frauen. Das veranlasste Fraueninitiativen wie auch Politikerinnen dazu in den Haushaltsplänen nachzuprüfen für was und für wen, oft ohne Diskussion im Stadtrat, Geld ausgegeben wird. Die Steuersenkungspolitik, die in mehr oder weniger großem Umfang in allen westlichen Industrieländern seit Ende der 80er Jahre praktiziert wird, schränkt den Handlungsspielraum der öffentlichen Hand ein. Haushaltskonsolidierung steht deshalb, unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung, in vielen Ländern auf der Tagesordnung. Gebührenerhöhungen, der Wegfall von kommunalen Angeboten, sinkende Qualitätsstandards im Bauunterhalt, die Reduzierung von Transferzahlungen, um nur einige Auswirkungen der Finanzknappheit zu nennen, nehmen Bürgerinnen wie Bürger sehr viel deutlicher wahr als Verbesserungen. Die Struktur der jeweiligen öffentlichen Haushalte gerät dadurch verstärkt ins Blickfeld der Öffentlichkeit, auch der Frauenöffentlichkeit. In einer Reihe von Städten haben sich Arbeitsgruppen und Initiativen von Frauen gebildet, die sich mit Gender Budgeting, mit Instrumenten

6

und Kriterien für eine geschlechtergerechte Haushaltsplanung und einem Gleichstellungscontrolling beschäftigen. Der Auslöser war oft, dass die hart erkämpften Zuschüsse zu Fraueneinrichtungen gekürzt oder gestrichen wurden. Die Haushaltsplanung ist ein wichtiges demokratisches Instrument zur Gestaltung des Gemeinwesens. Das wachsende Interesse von Frauen an dieser politischen Aufgabe ist eine Chance Frauen zu motivieren, sich mehr in das politische Geschehen einzumischen. Ein ganz anderer Zugang zum Thema Gender Budgeting spielt in der Entwicklungsarbeit eine Rolle. Bei der Weltbank ist Gender Budgeting ein Instrument, um den effektiven Einsatz von Krediten zu steuern. So wird bei Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung darauf geachtet, dass der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wird, damit die Frauen überhaupt zu den Arbeitsplätzen kommen können. Die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern und die Förderung von Wirtschaftlichkeit beim Einsatz öffentlicher Mittel sind keine Ziele, die sich gegenseitig ausschließen, sondern sich sehr gut verbinden lassen. Umso differenzierter Bedarfe erfasst werden, umso zielgenauer und effektiver kann der Mitteleinsatz erfolgen. Eine Haushaltsplanung auf der Basis geschlechtsdifferenziert aufbereiteter Daten erfüllt genau diese Anforderung. Die vorliegende Broschüre gibt eine Übersicht über die Erfahrungen aus der praktischen Umsetzung von verschiedenen Gender Budget Konzepten. Aufbauend auf diesen Informationen, den Erfahrungen aus der Gleichstellungsarbeit in München, werden erste Schritte zur Integration der Geschlechterperspektive in die kommunale Haushaltsplanung aufgezeigt. Bei dem Stand der Forschung und der Praxis zum Thema können das nur erste Vorschläge sein, die zum Weiterdenken anregen sollen.

Friedel Schreyögg Leiterin der Gleichstellungsstelle für Frauen

7

Gleichheit vor dem Haushalt? Zur Notwendigkeit einer Überprüfung der Haushaltspolitik Soziale Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, insbesondere die Frauenbewegungen, erreichten die Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern findet heute in der Bevölkerung der Bundesrepublik breite Zustimmung. Allein: Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellt sich noch immer die Frage nach der Gleichheit von Frauen und Männern vor den öffentlichen Haushalten. „Haushalt“ hat im Deutschen eine doppelte Bedeutung. Diese Broschüre widmet sich zunächst dem öffentlichen Haushalt aus einer Geschlechterperspektive, doch wird sich im weiteren zeigen, dass die Gleichheit vor dem öffentlichen Haushalt viel mit der Gleichheit im privaten Haushalt – dem Abspülen, Bügeln und Kinderversorgen – zu tun hat. Die öffentlichen Haushalte sind die monetäre Umsetzung von politischen Beschlüssen und Programmen auf der jeweiligen politischen Ebene. Durch Haushaltsentscheidungen wird aktiv in Wirtschaft und Gesellschaft eingegriffen. Der Haushalt hat aber nicht ausschließlich dort Auswirkungen, wo er eingreift, sondern auch da, wo er sich vermeintlich heraushält, nämlich auf das Geschlechterverhältnis. Zu unterscheiden sind ‚geschlechtsneutrale’, ‚geschlechtsbewusste’ und ‚geschlechtsblinde’ Haushaltsentscheidungen. Ein ‚geschlechtsneutraler‘ Haushalt belässt die Geschlechterverhältnisse im Status quo. Ein ‚geschlechtsbewusster’ Haushalt hingegen berücksichtigt die unterschiedlichen Auswirkungen der Haushaltsentscheidungen auf Frauen und Männer und unterstützt die Gleichstellung der Geschlechter. ‚Geschlechtsblind‘ ist ein Haushalt, der zwischen Frauen und Männern nicht unterscheidet und damit die gesellschaftlichen Verhältnisse ausblendet. Dies trifft derzeit auf die überwiegende Mehrzahl von Haushaltsentscheidungen zu. Damit reproduzieren und zementieren Haushaltsentscheidungen bestehende Geschlechterverhältnisse – in der Regel mit negativen Effekten für Frauen. Das zeigt sich beispielsweise an der finanzpolitischen Bevorzugung von männerorientierten Bereichen (z.B. die Subventionierung von Arbeitsplätzen in männerdominierten Branchen oder die Ausrichtung von beschäftigungspolitischen Maßnahmen auf männliche Arbeitslose) und der finanzpolitischen Vernachlässigung frauenorientierter Bereiche (z.B. die fortgesetzte finanzielle Unterbewertung von traditionellen Frauenberufen

8

Krabbelgruppe

oder die geringe Ausstattung von Frauenräumen). Von staatlichen Leistungen, z.B. im Bereich der Sportförderung, profitieren Frauen oft weniger als Männer. Gleichzeitig rechnet der Staat selbstverständlich mit der Gratisarbeit. Fehlende öffentliche Kinderbetreuung oder Pflegeplätze für alte Menschen müssen privat aufgefangen werden, eine Arbeit, die überwiegend von Frauen unentgeltlich geleistet wird. Entsprechend hat auch eine Konsolidierung des Haushalts Geschlechtereffekte. Der öffentliche Dienst ist der wichtigste Arbeitgeber für Frauen. Mit einem Personalabbau gehen in der Regel überproportional viele weibliche Arbeitsplätze verloren. Kürzungen von staatlichen Leistungen, die dem Ausgleich bestehender sozialer Nachteile dienen, treffen stärker Frauen als Männer. Frauen sind aufgrund ihres im Durchschnitt geringeren Einkommens im Vergleich zu Männern und ihrer familiären Pflichten und Lasten häufiger auf diese Unterstützungsleistungen angewiesen. Um diese Wirkungen und Zusammenhänge transparent zu machen, bedarf es einer geschlechtsdifferenzierten Sichtweise auf Haushaltsentscheidungen. Instrumente liefern hierfür Modelle des so genannten „Gender Budgeting“ , wie sie seit Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts weltweit erprobt werden. Diese Broschüre stellt das Instrument des Gender Budgetings vor. Beginnend mit einer Definition von Gender Budgeting, werden die Ansätze einer geschlechtsbewussten Wirtschaftstheorie, rechtliche Anknüpfungspunkte und internationale Beispiele für die Umsetzung von Gender Budgeting vorgestellt. Im weiteren werden Methoden für die geschlechtsbewusste Haushaltsanalyse und -planung erläutert. Die Broschüre will aber nicht nur informieren, sondern zur aktiven Beteiligung am Haushaltsprozess motivieren. Hierzu sollen konkrete Vorschläge zum handeln anregen.

9

Gegen-Steuern mit Gender Budgeting: Eine Begriffsdefinition Das englische Wort „gender“ steht für die gesellschaftliche Geschlechtsnormierung im Gegensatz zu „sex“ , dem biologischen Geschlecht. Der Begriff Gender bezieht sich auf die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern, die erlernt sind. Besonders prägnant ist der Unterschied zwischen biologischem und sozialem Geschlecht beim Kinderkriegen: Es ist biologisch bedingt, dass nur Frauen Kinder zur Welt bringen können. Es ist jedoch nicht von der Biologie vorherbestimmt, wer die Kinder aufzieht. Die Ausprägung der Geschlechterdifferenz variiert zwischen den Kulturen. So ist schwere körperliche Arbeit wie beispielsweise der Straßenbau in Europa eine männliche, in Indien eine weibliche Domäne. Die Geschlechterverhältnisse äußeren sich aber auch innerhalb einer Kultur unterschiedlich – abhängig von Alter, Schichtzugehörigkeit, Bildungsstand u.ä. – und verändern sich im Laufe der Zeit, was folgendes Beispiel deutlich macht: Während der Zeit des Absolutismus war es Frauen des Adels möglich, die Regierungsgeschäfte zu führen. Mit der bürgerlichen Revolution veränderten sich die Geschlechternormen, Frauen wurde der private, Männern der öffentliche Bereich zugewiesen. Das führte zum kompletten Ausschluss von Frauen aus der aktiven Politik. Erst 1918 mit der Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts wurde dieser Zustand in Deutschland revidiert. Die Debatte um Gender will keineswegs Unterschiede zwischen Frauen und Männern nivellieren; sie will vielmehr verschleierte Machtverhältnisse aufdecken. Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern besteht oder bestünde dann, wenn sich jeder Mensch unabhängig von seinem Geschlecht frei entfalten kann und gleiche Chancen in allen Lebensbereichen hat, wenn die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen von Frauen und Männern gleichermaßen Anerkennung finden und beide Geschlechter über die gleiche Verhandlungsmacht verfügen. Geschlechtergerechtigkeit meint weder eine formale Gleichbehandlung noch eine Anpassung der Frauen an Männer (auch nicht andersherum), sondern zielt auf eine grundlegende Veränderung der Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft. „Budget“ im Begriff Gender Budgeting steht für den öffentlichen Haushalt. In die Analyse werden alle öffentlichen Einnahmen und Ausgaben und die dahinterstehenden politischen Strategien einbezogen: Wer wird zur Kasse gebeten und wer wird gefördert? Welche Prioritäten werden gesetzt? Wo steuert der Staat und wo überlässt er es dem freien Markt? Im Haushalt spiegelt sich das gesamte Verwaltungshandeln wider. Gender Budgeting ist

10

eine Strategie im Rahmen des Prinzips des „Gender Mainstreamings“ in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Als Definition von Gender Mainstreaming wird heute in der Regel die des Europarats herangezogen: „Gender Mainstreaming ist die (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung politischer Prozesse mit dem Ziel, eine auf die Gleichstellung der Geschlechter bezogene Sichtweise in alle politischen Konzepte auf allen Ebenen und in allen Phasen durch alle an politischen Entscheidungen beteiligten Akteure und Akteurinnen einzubeziehen.“ (Council of Europe 1999, 3; Übersetzung der Autorin) Deshalb verlangt Gender Budgeting auch keinen separaten Haushalt für Frauen, sondern die Einbeziehung der Geschlechterperspektive in alle Phasen und Bereiche von Haushaltspolitik. Die Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit wird zu einer professionellen Querschnittsaufgabe für alle Verantwortlichen in der Verwaltung – Frauen und Männer. Mithilfe des Instrumentariums Gender Budgeting werden die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen öffentlicher Einnahmen und Ausgaben auf die soziale und ökonomische Situation von Frauen und Männern gemessen. Durch die Darlegung der entsprechenden Zahlen und Zusammenhänge wird transparent gemacht, was die öffentliche Hand für die Gleichstellung von Frauen und Männern unternimmt. Sie stellen die Grundlage für eine öffentliche Debatte über die zukünftige Prioritätensetzung in den jeweiligen öffentlichen Haushalten dar. An dieser Debatte über eine ausgewogene Verteilung der vorhandenen Ressourcen sollen die Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden. Die geschlechtsdifferenzierte Budget-Analyse erfolgt kontinuierlich und macht damit langfristig den Erfolg von geschlechtergerechter Politik messbar.

Petueltunnel

11

Das Geschlecht der Ökonomie: Feministische Kritik und Ansätze einer geschlechtsbewussten Wirtschaftstheorie Ein geschlechtsbewusster Blick auf den öffentlichen Haushalt wird nicht ohne ein neues oder erweitertes Verständnis von Wirtschaft auskommen. Üblicherweise wird Wirtschaft gleichgesetzt mit der Zirkulation der Waren- und Geldwirtschaft auf dem Markt. Alles, was nicht über den Markt vermittelt wird, fällt somit aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung heraus. Doch gesellschaftlicher Reichtum wird nicht nur dort erzeugt, wo Waren und Dienstleistungen einen monetären Preis haben, sondern auch in dem großen Sektor der unbezahlten Arbeit. Feministische Ökonominnen machten auf diesen blinden Fleck der klassischen Wirtschaftstheorie aufmerksam. Sie beleuchteten die Machtstrukturen, die den Grundannahmen des Wirtschaftsliberalismus zugrunde liegen und die in der Praxis stetig reproduziert werden (vgl. u.a. Madörin 2001b, Maier 1993, Michalitsch 2002). So ist das Bild vom Homo Oeconomicus, an dem sich Wirtschaft und Politik im wesentlichen orientieren, das eines autonomen Wirtschaftssubjektes, das auf dem Markt gleichberechtigt als Vertragspartner auftritt und mit anderen um knappe Ressourcen konkurriert. Dabei wird in verkürzter Weise Mensch mit Mann gleichgesetzt. Die Vorstellung vom Homo Oeconomicus blendet nämlich die Voraussetzung für seine Autonomie aus: Wer hat ihn aufgezogen? Wer bügelt ihm die Hemden? Wer pflegt ihn bei Krankheit? Wie befriedigt er seine emotionalen Bedürfnisse? Wer Antworten auf diese Fragen sucht, wird feststellen, dass der Mensch abhängig und keineswegs autonom von anderen Menschen ist. Diese Abhängigkeit wurde von den Theoretikern des Liberalismus durchaus wahrgenommen, aber aus der öffentlichen Sphäre in die private verbannt. Der Privatbereich sollte der Reproduktion, der öffentliche Bereich der Produktion dienen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde ein Geschlechterstereotyp geschaffen, das bis heute als kulturelles Leitbild wirkt. Die Gebährfähigkeit bestimmte fortan die gesellschaftliche Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter. Der Wirkungsbereich einer Ehefrau und Mutter sollte die Privatsphäre sein, wo sie ihrem Ehemann die häuslichen und familialen Arbeiten abnimmt und ihm damit den Rücken freihält, oder

12

anders ausgedrückt: dem Mann die nötige Autonomie in der öffentlichen Sphäre des (Arbeits-) Marktes ermöglicht. Dass Hausarbeit trotz gesellschaftlichen Wandels weitgehend Frauensache blieb, belegt eine neuere Studie zur familialen Arbeitsteilung in Deutschland (vgl. Künzler et al. 2001). Laut dieser Studie verbringen Frauen durchschnittlich pro Woche in Westdeutschland 35 Stunden und in Ostdeutschland 34 Stunden mit Hausarbeit, Männer bundesweit 17 Stunden (ebenda, 81). Das kulturelle Leitbild äußert sich auch in der Gesetzgebung und der Steuerpolitik, wie beispielsweise im Ehegattensplitting. Mit der Konstruktion von zwei Steuerklassen speziell für Ehepaare, Lohnsteuerklasse 3 und 5, wird dem Ehepartner mit dem geringeren Einkommen – in den meisten Fällen der Ehefrau – schmackhaft gemacht, die Erwerbstätigkeit zugunsten der Familienarbeit teilweise oder ganz aufzugeben. Durch steuerliche Anreize wird ein tradiertes Rollenverständnis und die finanzielle Abhängigkeit der Frau von ihrem Ehemann reproduziert. Die Daten der Erwerbsbeteiligung, der Arbeitsmarktstruktur und des Einkommens von Frauen und Männern stellen ein weiteres liberales Postulat, nämlich das des gleichberechtigten Marktzugangs, in Frage: •

Die Erwerbsbeteiligung der Frauen liegt bei knapp 65 Prozent (in Westdeutschland bei 62 Prozent und in Ostdeutschland bei 72 Prozent) im Vergleich zu bundesweit einheitlich 80 Prozent bei den Männern (Statistisches Bundesamt, Stand 2002).



Auch auf dem Arbeitsmarkt existiert eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Traditionelle Rollenbilder wirken in der Berufswahl nach. So konzentrieren sich Frauen in kaufmännischen und Dienstleistungsberufen und Männer in Handwerksund technischen Berufen. Darüber hinaus weisen das Verhalten von Betrieben bei Neueinstellungen, bei der Personalentwicklung und die betriebliche Organisation von Arbeitszeit auf Strukturen und Normen hin, die Frauen in ihrer beruflichen Entwicklungsmöglichkeit benachteiligen. In allen Branchen dominieren Männer in den Führungspositionen. (Vgl. Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern 2001).



In direktem Zusammenhang dazu stehen die Einkommen. Noch immer verdienen Frauen für gleiche und gleichwertige Arbeit rund ein Drittel weniger als ihre

13

Kollegen. 2001 verdiente eine Arbeiterin im gesamtdeutschen Durchschnitt 26,4 Prozent, eine Angestellte 29,7 Prozent weniger als ein Arbeiter oder Angestellter (Statistisches Bundesamt, Stand 2001, zitiert aus DGB einblick 2002). In Ostdeutschland ist die Differenz ein bisschen geringer.1 Zwischen Frauen und Männern besteht folglich insgesamt betrachtet eine starke ökonomische Asymmetrie. Damit unterscheiden sich die Ausgangsbedingungen für ökonomisches Handeln grundlegend. Auch die Wirkung öffentlicher Maßnahmen muss unterschiedlich auf Frauen und Männer ausfallen, weil sie nicht die gleichen finanziellen und zeitlichen Ressourcen haben. Die mobilisierbare weibliche Arbeitskraft als Ressource für den Arbeitsmarkt gibt es beispielsweise gar nicht in dem unterstellten Ausmaß, weil das Zeitbudget von Frauen zu einem großen Teil von unbezahlter Versorgungsökonomie („Care-Ökonomie“) in Anspruch genommen wird (vgl. Madörin 2001b, 2-5).

Branddirektion

Die so genannte Care-Ökonomie bezeichnet den Bereich der Versorgungsleistungen und umfasst die tägliche Versorgung und Ernährung von Menschen, das Aufziehen von Kindern und die Pflege von Menschen, die Aufrechterhaltung grundlegender persönlicher Beziehungsnetze und die Sorge um andere. Diese Leistungen erbringen unbezahlt die privaten Haushalte, der Staat in eigener Verantwortung oder durch öffentliche Förderung von Wohlfahrts-, Gesundheits- und Bildungsangeboten und die Privatwirtschaft zu marktüblichen Preisen. Wenn öffentliche Versorgungsleistungen reduziert oder die privaten Preise erhöht werden, hat das unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung in den privaten Haushalten. Denn wenn öffentliche Krankenhäuser schließen, werden Kranke, die sich private Kliniken nicht leisten können, nicht gesünder, sondern müssen privat versorgt werden.

14

Wie weiter oben gezeigt wurde, sind es vorwiegend Frauen, die diese Mehrbelastung auszugleichen haben. Die unentgeltliche Leistung wird gern als unendlich erweiterbar angesehen und Frauen gehen häufig bis an ihre Belastungsgrenzen oder darüber hinaus, weil die Arbeit gesellschaftlich notwendig ist. Feministische Ökonominnen weisen darauf hin, dass dies nicht nur der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern widerspricht, sondern auch der ökonomischen Effizienz. Durch Vernachlässigung der Care-Ökonmie in wirtschaftspolitischen Entscheidungen drohen der Verschleiß weiblicher Arbeitskraft und darüber hinaus hohe soziale Folgekosten bis hin zur Gefährdung des sozialen Zusammenhalts und damit der Stabilität als Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg (vgl. Budlender et al. 1998, 24; Madörin 2001b, 6). Madörin (2001b, 2001c) zieht daraus für eine geschlechtssensible und nachhaltige Wirtschaftstheorie folgende Schlussfolgerungen: • •



Die Ökonomie muss alle Lebensbereiche umfassen. Das Wirtschaftssubjekt muss in seiner zeitweiligen Abhängigkeit von anderen Menschen und in seiner Verantwortung für andere Menschen gesehen werden. Wirtschaftspolitik muss darauf abzielen, das Machtgefälle zwischen Frauen und Männern abzubauen.

In der Betrachtung öffentlicher Haushalte sind nach Gita Sen (1999, 20) deshalb die zentralen Fragen: 1. Wie wirken sich die geplanten Maßnahmen auf den Lebensstandard von Frauen und Männern aus? 2. Wie wirken sie sich auf die (unbezahlte) Care-Ökonomie aus? 3. Wie wirken sie sich auf die Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern aus? Dabei ist stets zu beantworten, ob die geplanten Maßnahmen die Gleichstellung von Frauen und Männern unterstützen oder behindern.

1

Daten zur wirtschaftlichen Lage von Frauen und Männern in München vgl. Münchner Bürgerbefragung 2000.

15

Außer Spesen ist doch was gewesen: Rechtliche Anknüpfungspunkte für Gender Budgeting Sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene gibt es Vereinbarungen, an die Gender Budget-Initiativen anknüpfen können. Auf UN-Ebene wurde im Rahmen der Aktionsplattform der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 in Kapitel IV. D. „Die Frau in der Wirtschaft“ die Überprüfung des Steuersystems und die Erarbeitung von makro- und mikroökonomischen Politiken aus einer Geschlechterperspektive gefordert. Gleichzeitig sollte der Haushaltprozess transparenter und offener gestaltet werden. Im Kapitel VI. „Finanzielle Regelungen“ wird schließlich verlangt, „den Staatshaushalt so anzupassen, dass Frauen gleicher Zugang zu den Ausgaben des öffentlichen Sektors gewährleistet ist.“ Diese Forderungen wurden auf der UNSondergeneralversammlung zu Peking +5 nochmals präzisiert. Auf EU-Ebene haben sich die Mitgliedstaaten im Amsterdamer Vertrag von 1999 zu Gender Mainstreaming auf allen Ebenen und in allen Bereichen verpflichtet (Art. 3 Abs. 2). Für die Vergabe von EU-Fördermittel ist Gender Mainstreaming inzwischen ein unabdingbares Kriterium. Auf der gemeinsamen Konferenz im November 2001 in Brüssel von OECD, UNIFEM, des Nordischen Rats und der belgischen Regierung, die zu der Zeit den Vorsitz des Europäischen Rats hatte, wurde das Ziel formuliert, bis 2015 weltweit in allen Staatshaushalten Gender Budgeting einzuführen. Allgemeiner gefasst ist die Aufforderung zur Herstellung der „faktischen Gleichberechtigung“ . Auf Bundesebene wurde 1993 der Gleichstellungsartikel Art. 3 Abs. 2 im Grundgesetz ergänzt um den Satz: „Es ist Aufgabe des Staates, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und Nachteile abzubauen.“ Die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein verknüpfen unter bestimmten Bedingungen die öffentliche Auftragsvergabe mit Frauenförderung. Vorreiter war Brandenburg. In seinem Landesgleichstellungsgesetz, das 1994 in kraft trat, ist bei der Auftragsvergabe § 14, Abs. 1 folgendes geregelt: „Beim Abschluss von Verträgen über Leistungen mit einem Aufwand von über 100.000 Deutsche Mark soll bei gleichwertigen Angeboten derjenige Anbieter bevorzugt werden, der sich der Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben angenommen hat.“

16

In München wurden bereits 1991 in einer Dienstanweisung des Oberbürgermeisters alle städtischen Beschäftigten verpflichtet, sich aktiv für die Verwirklichung der Gleichberechtigung einzusetzen. Daran knüpften die Empfehlung „Gerechte Vergabe öffentlicher Mittel – Prüfkriterium Gleichstellung von Frauen und Männern“ der Stadtratskommission zur Gleichstellung von Frauen von 1995 und eine Handreichung zur Umsetzung der Empfehlung an.

Freizeitsport

17

„Show us the money!“– Beispiele für Gender Budgeting In einem Überblick über Gender Budget-Initiativen führt Budlender (2000a) 42 Länder auf. Die Ansätze unterscheiden sich nach gesellschaftlichem Kontext, den politischen AkteurInnen und in ihrer Reichweite. Im folgenden sollen einzelne Ansätze aus verschiedenen Ländern näher beleuchtet werden. Australien: (vgl. Budlender 2000a; Çagatay et al. 2000) ž 1984-1996 gehörten Women’s Budget-Analysen zur sozialdemokratischen Gleichstellungspolitik sowohl der Nationalregierung als auch der Bundesstaaten. Mit den Analysen sollten die öffentlichen Mittel, die Frauen und Mädchen zugute kommen, lokalisiert und Sparmaßnahmen zu Ungunsten von Frauen und Mädchen verhindert werden. Alle Behörden untersuchten die Ausgabenseite ihrer Budgets nach einem standardisierten Verfahren in ihrer Wirkung auf Frauen und Männer. Dabei gab es drei Kategorien: • • •

Ausgaben und Programme speziell für Frauen und Mädchen Ausgaben zur Schaffung von Chancengleichheit für Beschäftigte im öffentlichen Sektor allgemeine Ausgaben

Die Koordination und Kontrolle oblag den so genannten Frauenpolitik-Büros. Die Ergebnisse wurden zusammen mit dem Haushalt veröffentlicht. Mit den Women’s Budget-Analysen wurde transparent, was der Staat für die Gleichstellung von Frauen und Männern tut. Eine der großen Stärken war die Sensibilisierung der Verwaltung für die Wirkung der Ausgabenpolitik auf das Geschlechterverhältnis. In der Frage, wie Gleichstellungspolitik im Finanzministerium umgesetzt werden kann, haben die Australierinnen Pionierarbeit geleistet. Das australische Modell hat deshalb viele NachahmerInnen gefunden. Die Fokussierung auf die Frauen- und Mädchenprogramme, welche nur einen sehr geringen Anteil am Haushalt ausmachen, zeigt gleichzeitig die Schwäche dieses Ansatzes. 99 Prozent des Haushalts wurden kaum untersucht, obwohl ihre Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis ungleich größer sind als partielle Frauenförderprogramme. Die Regierung nutzte den Bericht, um

18

ihre Erfolge darzustellen. Es fehlte aber eine breitere Debatte über Grundsätze einer Wirtschaftspolitik aus Frauensicht, so dass es zu keiner nachhaltigen Veränderung der wirtschaftspolitischen Ausrichtung kam. Fehlender öffentlicher Druck führte schließlich bei der Regierungsübernahme der Konservativen zur Einstellung der Women’s Budget-Analyse in der Mehrzahl der Bundesstaaten. Südafrika: (Budlender 2000b; Çagatay et al. 2000) ž Die „Women’s Budget Initiative“ (WBI) wurde 1995 als gemeinsame Initiative von ParlamentarierInnen und NGOs gegründet. Das Instrument des Gender Budgeting dient der Initiative zur Behebung der Benachteiligungen aus dem Apartheidsregime. Vier Schritte sieht die Analyse jedes Teilhaushalts vor: 1. Untersuchung der Stellung von Frauen und Männern, Mädchen und Buben (unter Einbeziehung von Alter, Ethnizität, Wohnort und Klassenzugehörigkeit) 2. Untersuchung, ob die Regierung Maßnahmen zur Behebung der in der Untersuchung identifizierten Probleme unternimmt 3. Untersuchung, ob ausreichend Mittel für eine gender-sensitive Politik bereitgestellt werden 4. Untersuchung des effektiven Einsatzes der Mittel, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Im Verlauf von mehreren Jahren wurden seit 1996 von der Women’s Budget Initiative der nationale, die Provinz- und die kommunalen Haushalte untersucht. Außerdem wurden leicht verständliche Materialien erarbeitet und Workshops durchgeführt, um über die Haushaltspolitik und ihre Wirkung auf Frauen und Männer aufzuklären. Mit diesen Maßnahmen wurde die Women’s Budget Initiative eine starke Fürsprecherin für Gleichstellungsfragen und konnte die ParlamentarierInnen in ihrer Arbeit mit Fakten und Einschätzungen unterstützen. Das Finanzministerium hat einzelne Vorschläge aufgenommen und eigene Gender-Budget-Analysen durchgeführt. Während die Initiative die Rolle hat, die BürgerInnen zu mobilisieren, mit Expertise das staatliche Handeln zu beobachten und Alternativvorschläge zu unterbreiten, verlangt Gender Budgeting von der Regierung geschlechtergerechte Verwaltung und Rechenschaftspflicht. Brasilien: (Çagatay et al. 2000; Zimmermann 2001) ž Das brasilianische Beispiel hat keinen expliziten Genderansatz, soll hier aber als „frauenfreundliches“ Beispiel direkter Demokratie bei Haushaltsentscheidungen ebenfalls vorgestellt werden. In Brasilien werden seit über 20 Jahren sehr positive Erfahrungen

19

mit so genannten Beteiligungshaushalten gemacht. Als Strategie gegen Korruption, Machtkonzentration in wenigen Händen, Mittelverschwendung und Klientelismus werden zahlreiche Kommunen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft verwaltet. Im Zeitraum von 1987 bis 2001 waren das 140 Städte Brasiliens. Kernstück ist dabei die Mobilisierung der Bevölkerung, aktiv ihre Interessen und Forderungen einzubringen und an Entscheidungen über öffentliche Investitionen teilzunehmen. Das bedeutendste Beispiel ist Porto Allegre mit 1,3 Mio. EinwohnerInnen. Dort bleiben Stadtrat und Bürgermeister zwar politisch verantwortlich, die Entscheidungen fallen aber auf thematischen und regionalen Bürgerversammlungen, an denen alle EinwohnerInnen teilnehmen dürfen. In der Folge stiegen die Steuereinnahmen und verbesserte sich deutlich das Lebensumfeld. Die Zahl der Favelas (Armutsviertel) ging stetig zurück. Dieses Bürgerbeteiligungsmodell ermöglichte es, die finanziellen Mittel der Kommunen gerechter zu verteilen und der bisherigen Politik, bei der die Politiker hauptsächlich ihre Klientel bedienten, entgegenzusteuern.

Schweiz: (Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten et al. 1996; Frauenrat Basel-Stadt 1997; Frauenrat Basel-Stadt et al. 2002) Auslöser für eine Untersuchung des Haushalts aus einer Geschlechterperspektive war auch in der Schweiz das Sparen von Bund, Kantonen und Gemeinden. 1994 wurde von den schweizerischen Gleichstellungsbeauftragten und den Verbandsfrauen des öffentlichen Dienstes eine Studie in Auftrag gegeben, die die Frage untersuchen sollte: Wird bei Haushaltskürzungen überproportional an Frauen gespart? In die Haushaltsanalyse wurden sowohl der Bundeshaushalt als auch die Budgets einzelner Kantone einbezogen. Leitfragen waren: a) Hat sich die Beschäftigungswirkung als zentraler Effekt der öffentlichen Ausgabenpolitik in der Sparperiode zulasten der Frauen verändert? b) Wurden Budgetposten, die für Frauen von besonderer Bedeutung sind, beim Sparen überproportional zusammengestrichen? Hierzu wurde ein Analyseraster entwickelt, das folgende Punkte in den Blick nimmt: –



20

Bei der Betrachtung längerer Zeiträume der Haushaltsentwicklung: Handelt es sich dabei um eine Sparoder eine Ausbauperiode? Charakterisierung der Staatsausgaben hinsichtlich ihrer Wirkung nach Geschlecht:

Mobinet

• Nutzen-Analyse (Welche Dienstleistung des Staates nutzen Frauen und Männern? Welche Budgetposten werden gestrichen? Wer erleidet dabei eine Wohlstandseinbuße? Wer hat durch Budgetstreichungen weniger Zugang zu Dienstleistungen und Gütern?) • Auswirkung auf die Erwerbsarbeit von Frauen und Männern • Auswirkung auf unbezahlte Arbeit von Frauen und Männern, z.B. Einsparungen durch Privatisierung von Dienstleistungen: Schaffung neuer Arbeitsplätze bzw. Rückverlagerung auf unbezahlte Eigenarbeit. –

Berechnung der Ausgabenentwicklung im Vergleich zu den Gesamtausgaben.

Es wurde aufgezeigt, dass vor allem an den Frauen gespart wurde. Allerdings zeigte sich auch die Notwendigkeit, die bis dahin angelegte Methode zu verfeinern sowie Ursachen und Zusammenhänge besser zu beleuchten. In Basel-Stadt erklärte daraufhin der Frauenrat die geschlechtergerechte Budgetanalyse zu seinem Schwerpunktthema und forderte eine Weiterentwicklung des Gender-Budget-Instrumentariums für Basel. Auf starken Druck der Frauenverbände hin wurden im

21

Jahr 2000 vom Kanton Basel 50.000 CHF bewilligt. Ziel war: das Analyseinstrumentarium zu verbessern, um nachvollziehen zu können, wie hoch die Leistungen in den verschiednen Aufgabenbereichen sind, welche einzelnen Bevölkerungsgruppen sie in Anspruch nehmen und wer wie stark über Steuern und Abgaben zum Staatshaushalt beiträgt. Erste Ergebnisse wurden auf einer Tagung Anfang 2002 vorgestellt (vgl. Frauenrat BaselStadt et al. 2002).

Österreich: (Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming im BMF o.J.) Das Bundesfinanzministerium richtete 2001 infolge eines Ministerratsbeschlusses eine Arbeitsgruppe mit hochrangigen Experten und Expertinnen der Verwaltung zu Gender Mainstreaming ein. In der Arbeitsgruppe werden Konzepte und Projektvorschläge für eine geschlechtsspezifische Budgetanalyse erarbeitet. Begonnen wurde mit der Analyse des Einkommensteuergesetzes und den Auswirkungen bestimmter Steuerrechtstatbestände auf die Einkommensdifferenz zwischen Frauen und Männern. Das Steuersystem wirkt sich laut dieser Analyse insgesamt ausgleichend auf die Einkommensdifferenz aus. Dies sei jedoch ausschließlich der progressiven Einkommensbesteuerung geschuldet. Die Sozialversicherungsbeiträge würden hingegen ebenso wie die Ausnahmebestimmungen die Einkommensschere vergrößern. Die Ergebnisse wurden im Sommer 2002 öffentlich präsentiert. Parallel wurde eine Checkliste erstellt, mit der alle Maßnahmen des Finanzministeriums überprüft werden sollen. Darin wird abgefragt: • • • •

Wie viele Frauen und wie viele Männer sind von der Maßnahme unmittelbar betroffen? Wie wirkt sich die Maßnahme auf das Einkommen / Vermögen von Frauen und Männern aus? Wie verändern sich durch die Maßnahmen die Einkommensunterschiede von Frauen und Männern? Andere, nicht monetäre Auswirkungen auf Frauen und Männer

Diese Checkliste stellt bislang aber nur eine Absichtserklärung dar. Bislang fehlt ein politischer Beschluss, Instrumente des Gender Budgetings in die Finanzplanung einzubeziehen.

Deutschland: (Böker / Neugebauer 2001; Initiative für einen geschlechtergerechten Haushalt in Berlin 2002; Abgeordnetenhaus von Berlin 2002) Auf kommunaler Ebene zeigt das Beispiel Münster, wie mithilfe einer geschlechtsbewussten Haushaltsanalyse erfolgreich eine Kampagne für mehr Transparenz im öffentlichen Haushalt und

22

zur Erhöhung des Anteils der Frauenfördermittel geführt wurde. 1993 / 94 unternahm in Münster das Netzwerk des Autonomen Frauen / Lesbenplenums eine Analyse ausgewählter Bereiche des kommunalen Haushalts. Es wurde untersucht, wie viele Gelder für Frauen- und Mädchenprojekte ausgegeben wurden (jährlich waren 50.000 DM speziell für Frauenprojekte im Haushalt eingestellt) und in welchem Verhältnis diese Ausgaben zu anderen Haushaltsposten standen, z.B. wie hoch im Vergleich der städtische Zuschuss für einen eintägigen Karnevalsumzug ausfiel (jährlich 44.430 DM); wie sich der „Frauentopf“ im Verhältnis zu anderen Haushaltstiteln über die Jahre veränderte. Genauer unter die Lupe wurden auch kleine Summen genommen, hinter denen sich zum Teil obskure Posten versteckten, wie die Pflege einer U-Boot-Kameradschaft aus den 50er Jahren. Parallel wurde durch eine schriftliche Befragung von Frauenprojekten und gemischtgeschlechtlichen Einrichtungen mit frauenspezifischen Angeboten der Finanzbedarf für eine geschlechtergerechte Arbeit ermittelt: knapp 16 Millionen DM. Mit den Ergebnissen ihrer Haushaltsanalyse, die öffentlichkeitswirksam präsentiert wurden, und einem Forderungskatalog gelang es, in Münster den Anteil der Frauenfördermittel von 0,015 auf 1 Prozent zu steigern. Darüber weit hinaus geht Berlin: Gender Budgeting soll integraler Bestandteil der Berliner Haushaltspolitik werden. Als erstes Bundesland hat am 26.6.2002 das Berliner Abgeordnetenhaus wichtige Schritte zur Umsetzung des Gender Budgeting beschlossen: Der Senat wurde aufgefordert, „in dieser Legislaturperiode die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass bei der Vorlage der Haushaltspläne künftig die Gesamtbreite der jeweiligen Haushaltsansätze Gegenstand einer gendersensiblen Analyse und Berichterstattung gegenüber dem Hauptausschuss wird.“ Politisch wurde der Beschluss damit begründet, den Gender Mainstreaming-Ansatz auch im wichtigen Aufgabenbereich Finanzen zur Geltung zu bringen. Geschlechtsspezifische Aspekte und Zielsetzungen sollen zukünftig formuliert und bewusst gemacht werden, bevor die zentralen Entscheidungen über Ziele, Strategien und Ressourcenzuteilungen bei der Erstellung der öffentlichen Haushalte getroffen werden. Der Prozess zur Implementierung soll in zwei Berliner Hauptverwaltungen (Arbeit, Frauen, Wirtschaft und einer weiteren) sowie in zwei oder drei Bezirken beginnen. Dabei sollen Daten und Instrumente erarbeitet werden, die auf andere Verwaltungen übertragbar sind. 2003 soll über die Ergebnisse berichtet werden. Der Haushalt 2004 soll dann bereits neu ausgerichtet werden. Parallel sollten noch in 2002 eine Landeskommission zu Gender Mainstreaming und eine Geschäftsstelle für Gender Mainstreaming eingerichtet werden.

23

In zwei Berliner Bezirken wurden 2002 ebenfalls erste Schritte zur Umsetzung von Gender Budgeting unternommen: Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Pankow hat einen Beschluss zur geschlechtergerechten Verwendung aller Haushaltsmittel gefasst. In Friedrichshain-Kreuzberg werden sämtliche Mittel der Sportförderung im Bezirk auf das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit hin überprüft. Eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung spielte die Initiative für eine geschlechtergerechte Haushaltsführung in Berlin (www.gender-budgets.de). Sie wurde vor dem Hintergrund des Berliner Bankenskandals im Jahr 2001 aktiv. Die mangelnde Kontrolle bei der Kreditvergabe der landeseigenen Bankgesellschaft führte dazu, dass die Schulden des Landes Berlin in die Rekordhöhe von 78 Mrd. DM getrieben wurden. Eine wesentliche Forderung der Initiative war deshalb, den Haushalt transparenter zu gestalten. Bei der schwierigen Haushaltssituation war klar, dass bei den öffentlichen Ausgaben zukünftig Einschnitte vorgenommen werden müssen. Die Initiative befürchtete, dass diese die bereits in der Verteilung der Haushaltsmittel Benachteiligten hart treffen könnten. Die Initiative forderte deswegen, an den Beginn des Konsolidierungskonzeptes für den Berliner Haushalt eine Budgetanalyse des gesamten Haushalts zu stellen. Es sollte geprüft werden, ob und in welchem Maße die Etatmittel im Einzelnen die Gleichstellung der Geschlechter und der MigrantInnen unterstützen. Alle Ausgaben während eines laufenden Haushaltsjahres sollten regelmäßig auf die Erreichung dieses Ziels hin überprüft und ausgewertet werden. Das Monitoring sollte transparent gemacht und entsprechende Korrekturen mit ExpertInnen der freien TrägerInnen des Landes Berlin gemeinsam entwickelt und umgesetzt werden. Die Initiative wandte sich an Projekte, Gleichstellungsstellen und Parteien, veranstaltete Seminare zu Gender Budgeting und gewann hierdurch schnell öffentliche Unterstützung.

Vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2001 und insbesondere bei den monatelangen Koalitionsverhandlungen betrieb die Initiative gezielte Lobbyarbeit bei allen im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien und erreichte schließlich mit Unterstützung der Frauenarbeitskreise in den Parteien, dass Gender Budgeting in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Seitdem beobachtet und kommentiert die Initiative die Berliner Senatspolitik.

24

Instrumente einer geschlechtsbewussten Haushaltsanalyse Wie die oben angeführten Beispiele zeigen, gibt es keine Standardinstrumente für eine geschlechtsbewusste Haushaltsanalyse. Jedes einzelne Instrument hat seine Vorzüge und Schwächen. Die Verfahren müssen an die jeweiligen Rahmenbedingungen angepasst werden. In der Praxis wird es sich bei geschlechterbewussten Haushaltsanalysen um Mischformen der verschiedenen Methoden handeln. Das Commonwealth Secretariat (Budlender, Sharp, Allen 1998, 37- 50; 69 -70) hat die verschiedenen Instrumente der Haushaltsanalyse, -planung und -erklärung aus einer Geschlechterperspektive zusammengefasst und erläutert: •

Geschlechterbewusste Bewertung politischer Strategien (policies) Dieser Analyseansatz wurde laut Budlender et al. bislang am häufigsten angewandt. Es werden die den Haushaltsansätzen zugrunde liegenden politischen Strategien, in Hinblick auf ihre zu erwartende direkte und indirekte Wirkung auf Frauen und Männer untersucht. Vergrößern oder verkleinern bestimmte politische Strategien und eine entsprechend ausgerichtete Ressourcenverteilung Geschlechterungleichheiten? Durch eine solche Analyse sollen vorab Defizite erkannt und die Geschlechtergerechtigkeit des Haushaltsansatzes beurteilt werden. Diese Methode krankt wie jede andere gesellschaftliche Folgenabschätzung am hohen Abstraktionsgrad und den Schwierigkeiten, Wirkungsketten genau vorherzusagen.



Nach Geschlecht aufgeschlüsselte NutzerInnen-Abfrage und Analyse bezüglich individueller wirtschaftlicher Prioritäten Die Bürgerinnen und Bürger werden befragt, inwieweit die öffentlichen Leistungen der Stadt (oder einer anderen politischen Einheit) ihren Bedürfnissen entsprechen und welche Prioritäten sie selbst bei der Erstellung des städtischen Haushalts setzen würden. Die Befragungsergebnisse werden nach Frauen und Männern aufgeschlüsselt und mit der Prioritätensetzung des städtischen Haushalts verglichen. Das Dilemma von Meinungsumfragen ist, dass Repräsentativität und der Wunsch nach differenzierten qualitativen Ergebnissen schwer vereinbar sind. Bei großen repräsentativen Erhebungen müssen zwangsläufig komplexe Zusammenhänge vereinfacht und auf einige wesentliche Fragen reduziert werden. Qualitative Interviews, die vertiefte 25

Fragenstellungen ermöglichen, spiegeln hingegen nur die Meinung eines kleinen Bevölkerungsteils wider.

26



Nach Geschlecht aufgeschlüsselte Nutzenanalyse der öffentlichen Ausgaben Hierbei handelt es sich um ein nach Geschlecht differenziertes Qualitätscontrolling. Beispielsweise mithilfe von Haushaltsbefragungen wird untersucht, welche Bevölkerungsgruppe in welchem Ausmaß von bestimmten öffentlichen Ausgaben profitiert. Die Ergebnisse werden schließlich mit den politischen Vorgaben verglichen. Nachteil dieses Instruments ist, dass keine Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob die Ausgabenpolitik tatsächlich den Bedürfnissen von Frauen und Männern entspricht, weil nur die Verteilungssituation untersucht wird. Ein weiteres Problem ist, dass es bei vielen öffentlichen Leistungen direkte und mittelbar Betroffene gibt und Erhebungen somit ungenau bleiben.



Nach Geschlecht aufgeschlüsselte Analyse des Steueraufkommens (und sonstiger Einnahmen) Direkte und indirekte Steuern werden danach analysiert, wie viel von einzelnen Individuen bzw. Haushalten bezahlt werden. Hierfür sind Daten über Einkommens- und Vermögensstruktur und Konsumverhalten differenziert nach Geschlecht nötig. Eine Wirkungsanalyse nach Geschlecht ist jedoch schwierig. Schon die Wirkung unterschiedlicher Steuern auf die Haushalte ist keineswegs transparent. Grundsätzlich sind ärmere Haushalte stärker von der Mehrwertsteuer belastet. Prozentual zum Haushaltseinkommen zahlen sie mehr Steuern als reichere Haushalte. Die progressiv gestaltete Einkommenssteuer, bittet hingegen die reicheren Haushalte stärker zur Kasse. Diese können jedoch mehr Steuererleichterungen in Anspruch nehmen als einkommensschwächere Haushalte und damit ihre Steuerlast senken. Geht man davon aus, dass Frauen in Deutschland im Durchschnitt weniger verdienen als Männer, werden viele von Mehrwertsteuererhöhungen stärker belastet als Männer. Eine andere staatliche Einnahmequelle sind Benutzergebühren. Die Höhe der Gebühren kann bestimmte Gruppen, wie etwa Alleinerziehende aufgrund ihrer häufig schwierigen Einkommenssituation, von der Nutzung ausschließen oder den frei verfügbaren Anteil ihres Haushaltseinkommens weiter einschränken.



Nach Geschlecht aufgeschlüsselte Analyse des Einflusses öffentlicher Haushalte auf Zeitnutzung Hier wird die Haushaltsstruktur der jeweiligen politischen Einheit in Verhältnis gesetzt zum Zeitbudget der betroffenen privaten Haushalte.

Es wird geprüft, ob staatliche Aufgaben in den privaten Bereich zurückgeschoben werden. Wenn dies der Fall ist, ist zu untersuchen, wen die Reprivatisierung öffentlicher Aufgaben mit welcher Wirkung trifft. Als Bewertungsgrundlage dienen Zeitnutzungsstudien, die auch die Verteilung unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern offen legen. Beispiel: Die Verkürzung der Verweildauer im Krankenhaus kann den Bedarf an häuslicher Pflege erhöhen. Betroffen davon sind aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft überwiegend Frauen. Sie werden die zusätzliche häusliche Pflege übernehmen müssen. •

Geschlechterbewusster Ansatz einer mittelfristigen Finanzplanung Die Kategorie Geschlecht wird in ökonomischen Modellen als Grundlage für zukünftige geschlechtsbewusste Haushaltsplanungen aufgenommen. Das kann erfolgen, indem Variablen in existierenden Wirtschaftsmodellen nach Geschlecht aufgeschlüsselt oder durch neue Variablen, die die Geschlechterperspektive beinhalten wie die Zeitkosten für Sorgearbeit, ergänzt werden. Ein längerfristiger Ansatz ist die Entwicklung neuer makroökonomischer Modelle, wie eine neue Form der Berechnung des Bruttosozialprodukts, das die Geschlechterverhältnisse und unbezahlte Versorgungsarbeit mit einbezieht. Um wirksam zu sein, muss die Umsetzung dieser neuen Analyseansätze begleitet werden. Die Verwaltungsverfahren müssen an die neuen Anforderungen angepasst und die Beschäftigten in den jeweiligen Verwaltungen entsprechend geschult werden.



Geschlechterbewusster Haushaltsentwurf Dem Stadtrat wird zur Beratung ein Haushaltentwurf vorgelegt, in dem von jedem Fachreferat erläutert wird, welche politischen Ziele und Strategien ihrem Budget zugrunde liegen und welche Wirkungen die vorgeschlagene Einnahmen- und Ausgabenstruktur auf die Lebenssituation von Frauen, Männern, Mädchen und Buben in der Stadt haben. Die oben genannten Instrumente können für die Umsetzung dieser Forderung genutzt werden. Für die Finanzplanung anderer politischer Einheiten gelten die Anforderungen analog.

27

Von der Theorie in die Praxis: Handlungsansätze für München Die Umsetzung der Gender Mainstreaming Strategie in der Planung und dem Controlling öffentlicher Haushalte ist wie oben dargelegt noch am Anfang. Es kann deshalb kein ausgearbeitetes Handlungskonzept dargelegt werden. Im folgenden werden jedoch erste Handlungsansätze auf dem Weg zu einem geschlechtergerechten Haushalt vorgeschlagen.

Haushaltsplan

28

Zur Situation in München Der Rückgang der Steuereinnahmen verlangt in der Stadt München, wie derzeit in fast allen Kommunen, zunehmend höhere Einsparungen im Haushalt. Alle Fachreferate der Stadt müssen einen Konsolidierungsbeitrag leisten. Sparen ist bei der Haushaltslage unumgänglich, die Frage ist jedoch, wie gespart werden soll. Die Wirkung von Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung spüren die Bürgerinnen und Bürger und die betroffenen Einrichtungen, Projekte, Vereine, Initiativen sehr direkt. Der Wegfall von Leistungen, Subventionen, Zuschüssen oder höhere Abgaben erhalten in der Regel sehr viel mehr Aufmerksamkeit als eine Stabilisierung der Höhe von Zuwendungen oder eine Steigerung. Dieses erhöhte öffentliche Interesse für Struktur und Wirkung des städtischen Haushalts sollte als Chance genutzt werden für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem ganzen Prozess der Haushaltsplanung und der Verteilungswirkung des Haushalts aus einer geschlechtsdifferenzierten Perspektive. Zur Beurteilung der Wirkungen des Haushalts auf die Lebenssituation von Frauen und Männern, von Mädchen und Buben in der Stadt müssen Kriterien und Messgrößen für die Erstellung eines geschlechtergerechten Haushalts und für die Evaluierung der Geschlechtergerechtigkeit eines Haushalts entwickelt werden. Die Notwendigkeit für einen geschlechtsdifferenzierten Ansatz zeigt eine Schweizer Untersuchung über die Wirkung von Haushaltskürzungen über mehrere Haushaltsjahre (vgl. weiter oben): Einsparungen in öffentlichen Haushalten, die nicht explizit den Geschlechteraspekt berücksichtigen, gehen tendenziell stärker zu Lasten von Frauen als von Männern. Das hängt, wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, mit der unterschiedlichen Machtverteilung zwischen Frauen und Männern und den männlich geprägten Traditionen in Politik und Verwaltung zusammen. Darin unterscheiden sich die Schweiz und Deutschland nur unwesentlich. Einen Hinweis auf eine unterschiedliche Prioritätensetzung von Frauen und Männern gibt die Münchner Bürgerbefragung 2000. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen in verschiedenen Aufgabenbereichen der Stadt tendenziell andere Präferenzen haben als Männer: Frauen räumen der Beschäftigungsförderung, der ambulanten Pflege, Beratungsstellen, Bildungs- und erzieherischen Leistungen eine höhere Priorität ein als Männer. Dafür könnte aus

29

Frauensicht der Straßenbau eine geringere Rolle spielen. Männer hingegen fordern vor allem mehr Geld für den Straßenunterhalt und Straßenausbau. In München entzündete sich 2002 eine heftige Debatte über die Prioritätensetzung in der Haushaltsplanung des Sozialreferats für die erste Phase der Konsolidierung im Haushaltsjahr 2003 und die zweite Phase für die Haushaltsjahre 2004 -2006. Die Einsparungsvorschläge des Sozialreferats wurden vom Münchner Frauennetz als unausgewogen zu Lasten von Frauen und Frauenprojekten kritisiert. Mädchen- und Frauenprojekte sind entstanden, weil es in der öffentlichen Infrastruktur erhebliche Defizite gab, die mit dem Haushaltsloch nicht plötzlich verschwunden sind. Das Frauennetz verlangt im Sinne des Gender Budgetings, bevor der Stadtrat über Haushaltskürzungen entscheidet, den Haushaltsentwurf in Hinblick auf eine geschlechtergerechte Mittelverteilung zu überprüfen. Die gleiche Stoßrichtung hat die einstimmig beschlossene Empfehlung der Stadtratskommission zur Gleichstellung von Frauen vom 18.7. 2002. Darin wird das Sozialreferat aufgefordert bei der Vergabe wie bei der Kürzung öffentlicher Mittel auf Geschlechtergerechtigkeit zu achten. Vor der Analyse der Auswirkungen der Kürzung auf Frauen und Männer, Mädchen und Buben sollten keine Kürzungen vorgenommen werden. Als Handlungsgrundlage wird auf die geltenden Leitlinien für geschlechtsspezifisch differenzierte Kinder- und Jugendhilfe zum Kinder- und Jugendhilfeplan und die Empfehlung der Gleichstellungskommission zur geschlechtergerechten Vergabe öffentlicher Mittel verwiesen. Die Stadtratsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen hat am 3.7. 2002 folgenden Antrag gestellt: „Die Stadtverwaltung wird aufgefordert darzustellen, wie das Gender-Mainstreaming-Prinzip und die Leitlinien für die Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen bei der Haushaltskonsolidierung für den Eckdatenbeschluss zum Jahr 2003 angewandt wurden. Die Stadtverwaltung möge darstellen, ob und wie die Sparmaßnahmen auf ihre Wirkung auf Frauen und Männer differenziert untersucht und berücksichtigt wurden.“ Die gleiche Prüfung wird für die Beschlüsse zur Haushaltskonsolidierung für die Jahre 2004 -2006 gefordert. Die SPDFraktion im Münchner Rathaus hat, soweit ihr Informationen zur Verfügung standen, den Haushaltsentwurf des Sozialreferats einer geschlechtsdifferenzierten Prüfung unterzogen. Im Ergebnis zeigte sich eine frauenpolitische Schieflage, die in den Haushaltsberatungen korrigiert werden soll. Die Maßnahmen, Diskussionen und Aktionen in Zusammenhang mit der Haushaltsplanung für das Jahr 2003 sind ein erster Einstieg in eine umfassendere Debatte über eine geschlechtergerechte Haushaltsplanung.

30

Geschlechtsdifferenzierte Analyse der Wirkung der Ausgabenund Einnahmenstruktur In der Umsetzung des Gender Budgeting in die Praxis stellen sich noch viele Probleme. Um ihre Kontrollaufgabe wahrnehmen zu können, brauchen Stadträtinnen und Stadträte geschlechtsdifferenzierte Informationen über die Wirkungen der Struktur des städtischen Haushalts auf Frauen und Männer. Als Entscheidungsgrundlage reichen globale Einschätzungen nicht aus. Der Stadtrat braucht aussagefähige Daten über die Verteilung der Finanzen, welche Ziele den Entscheidungen zugrunde liegen, welche Personengruppen davon betroffen und welche Wirkungen beabsichtigt sind. Folgende Punkte sollten transparent gemacht werden: Prüffragen: • Welche direkte und indirekte Wirkung hat die Haushaltsstruktur auf Frauen und Männer? Wie in den Ausführungen weiter oben gezeigt wurde, sind Haushaltsentscheidungen nicht geschlechtsneutral und bedürfen einer so genannten Geschlechterverträglichkeitsprüfung. Eine solche Analyse zu erwartender Wirkungen auf Geschlechterverhältnisse ist vergleichbar mit der in Deutschland üblichen Umweltverträglichkeitsprüfung und wird auf EU-Ebene bereits vielfach angewandt (vgl. Gender Impact Assessment, www.europrofem.org / 02.info / 22contri / 2.04.en /1en.gend / 09en_gen.htm). Bei Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung ist ein besonderes Augenmerk zu richten auf: –

Wie sind die Auswirkungen auf die allgemeine Beschäftigungssituation von Frauen und Männern? Hierbei sind zu betrachten wirtschaftliche Anreize oder Aufträge für bestimmte Branchen, die Stadt als Arbeitgeberin und Arbeitsplätze bei ZuschussempfängerInnen.



Wer ist vom Abbau öffentlicher Leistungen direkt und indirekt betroffen?



Wer ist von der Erhöhung von Gebühren und Eintrittsgeldern wie betroffen?



Werden öffentliche Aufgaben in den privaten Bereich verschoben und wer wird dadurch finanziell und zeitlich belastet?

31



Wie werden die langfristigen Folgen des Sparens eingeschätzt? Die Ergebnisse von Maßnahmen im sozialen, gesundheitlichen, kulturellen oder schulischen Bereich sind schwierig zu messen. Das gilt, um ein Beispiel zu nennen, für alle Präventionsmaßnahmen. Einsparungen in der Jugendarbeit können später zu einer Zunahme von delinquentem Verhalten führen. Wenn die Klassenstärken in den Schulen erhöht werden, um Personalkosten zu sparen, ist eine individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern kaum mehr möglich. Die Folgeprobleme sind in den Ergebnissen der PISA-Studie abzulesen. Die Schulund damit Lebenschancen von „schwächeren” SchülerInnen nehmen ab. Auf dem Prüfstand stehen deshalb nicht nur in München die hohen Kosten für eine Computerausstattung von Schulen, wobei die Anschaffung der Hardware noch das kleinere Problem ist im Vergleich zu den hohen Wartungs- und Betreuungskosten. Wenn zwischen dem Bildungserfolg einer möglichst großen Zahl SchülerInnen oder der breiten Vermittlung von heutzutage notwendigen Computerkenntnissen entschieden werden muss, stellt sich die Frage: Was ist für die Zukunftschancen der Schülerinnen und Schüler wichtiger?

Badefreuden

32



Was passiert mit den Transferzahlungen, die sozialen Ausgleich schaffen sollen? Die „Münchner Bürgerbefragung 2000 – Soziale Entwicklung und Lebenssituation der Münchner Bürgerinnen und Bürger” unterstrich erneut, dass Frauen wirtschaftlich schlechter gestellt sind als Männer und gleichzeitig eine stärkere Haushaltsbelastung tragen. Besonders schwierig ist die Situation einer wachsenden Zahl alleinerziehender Frauen. Die Stadt München zahlt derzeit noch einen höheren Sozialhilfesatz als sie verpflichtet wäre. Verschlechterungen bei der Sozialhilfe treffen mehr Frauen als Männer und bei den Frauen häufig auch deren Kinder.



Welche Wirkung haben die Einsparungen auf die Beschäftigungssituation der Stadt, der städtischen Betriebe und bei den ZuschussnehmerInnen? Der öffentliche Dienst ist ein wichtiger Arbeitgeber für Frauen. Ein Stellenabbau im öffentlichen Dienst verringert deshalb die

Beschäftigungschancen von Frauen. Es sollte deshalb genau geprüft werden, wo der Stellenabbau stattfindet und welche Berufsgruppen davon betroffen sind. Des weiteren ist auf die Entwicklung der beruflichen Chancen von Frauen im Betrieb zu achten und auf die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Städtische Haushaltspolitik hat aber nicht nur Einfluss auf die Stadt als Arbeitgeberin. Die Stadt finanziert entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip viele Angebote freier sozialer Träger. Auch hier handelt es sich um einen Frauenarbeitsbereich. Das Gleiche gilt für das Gesundheitswesen und mit Einschränkungen für kulturelle Projekte und Einrichtungen. Die personenbezogenen Dienstleistungen fallen beim Thema Beschäftigungssicherung oft unter den Tisch. Mehr Beachtung finden die Männerarbeitsplätze, die über Investitionen in Bauvorhaben gesichert werden können. Die Notwendigkeit von Investitionen soll hier nicht in Frage gestellt werden. Aber Investitionen haben auch Folgekosten, die den Spielraum etwa für die Finanzierung personenbezogener Dienstleistungen einschränken können. •

Welche Fortschritte macht die Umsetzung des Gender Mainstreaming in der Verwaltung? Die Verknüpfung der Reformaufgabe Gleichstellung von Frauen und Männern mit der Verwaltungsreform ist weiter voranzutreiben. Der Stadtrat sollte von den Umsetzerbereichen verbindliche Zielvorgaben für die Implementierung der Gender Mainstreaming Strategie in den einzelnen Reformabschnitten einfordern. Ein aussagekräftiges Gleichstellungscontrolling ist als Teil des gesamtstädtischen Controllings aufzubauen. Von der Umsetzung der Reformaufgabe Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen der Verwaltung wird es abhängen, ob ein Gender Budgeting bei der Stadt München realisiert werden kann. Die Beschäftigten müssen qualifiziert werden, die Bedürfnisse von Frauen und Männern in ihren jeweiligen Lebenslagen zu erkennen und die Dienstleistungen in ihrem Bereich entsprechend kundinnen- und kundennah zu gestalten.



Wie hoch ist die tatsächliche Sparwirkung? Bei der derzeitigen Spardiskussion ist viel von Nachhaltigkeit die Rede. Werden durch die einzelnen Sparmaßnahmen dauerhaft echte Einsparungen erzielt? Es gilt zu überprüfen, ob die erhofften Einsparungen tatsächlich realisiert werden konnten. Weiter oben ist bereits auf die Schwierigkeiten der Folgeabschätzung von Sparmaßnahmen etwa im sozialen Bereich hingewiesen worden. Hier ist regelmäßig zu prüfen, wie sich das Verhältnis von Einsparungen zu den gesellschaftlichen Kosten entwickelt.

33

Planungsprozess Eine geschlechtergerechte Haushaltsplanung erfordert geschlechtsbewusste Steuerungsinstrumente. Da die fiskalischen Größen des Haushalts nichts über ihre Wirkung auf das Geschlechterverhältnis sagen, werden für die geschlechtergerechte Gestaltung des Haushalts zusätzliche Informationen gebraucht, die Aufschluss darüber geben, was hinter den Zahlen steht. Die Verwaltungsreform der Stadt nach dem Konzept „Neues Steuerungsmodell“ hat zum Ziel die Ergebnisse der Verwaltungsarbeit zu verbessern. Verwaltungstätigkeit wird als Grundlage für eine bessere Steuerung in Produkten definiert. „Produkte als Informationsträger schaffen die Grundlage für eine ziel- und ergebnisorientierte Steuerung, indem sie Auskunft geben über folgende Leitfragen zur Steuerung: • • • • •

Wer ist die Zielgruppe? Bieten wir die richtigen Leistungen an? Stimmt die Qualität der Leistungen? Erreichen die Leistungen ihr Ziel? Wie kann den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger noch besser entsprochen werden?“ (KGSt-Bericht 5 / 1997, Anzahl der Fragen gekürzt)

Entsprechend den Anforderungen der Gender Mainstreaming Strategie sind in der Phase der Produktdefinition sorgfältig die Zusammenhänge von Zielen, Aufgaben, Zielgruppen, Produktionsprozess, Qualität und Quantität der Ergebnisse und Geschlechtergerechtigkeit zu prüfen. Ziel muss es sein, Produkte geschlechtsbewusst zu definieren und verbindliche Kriterien für die Umsetzung im ganzen „Produktionsprozess“ festzulegen. Die unterschiedlichen Anforderungen und Rahmenbedingen für die Produkterstellung sind dabei zu beachten. Qualitative und quantitative Indikatoren (also Messgrößen für Erfolg) könnten sein: •

Wie setzen sich die Zielgruppen zusammen: Anteil von Frauen und Männern, die erreicht werden sollen; wo erforderlich, unterschieden nach unmittelbar und mittelbar Begünstigten. Wird eine Maßnahme von externen AuftragnehmerInnen ausgeführt, ist hier nach den gleichen Kriterien die Struktur der Leistungsempfängerinnen und -empfänger zu prüfen.



Entspricht das Leistungsangebot dem Bedarf der Zielgruppen, differenziert nach Geschlecht? Stimmen Nachfrage und Angebot überein? (Z.B. erreicht die Förderung von Handwerk und Mittelstand Handwerksmeisterinnen und Unternehmerinnen in gleichem Maße wie Meister und Unternehmer oder stimmt das Angebot nicht mit der Nachfragestruktur von Frauen überein?)

34



Entspricht das Leistungsangebot den Bedürfnissen der Frauen und der Männer der Zielgruppe? (Z.B. Mädchen und Buben haben unterschiedliche Wünsche an städtische Freiräume; auf Bolzplätzen mit installierten Fußballtoren werden Mädchen verdrängt.)



Entsprechen die Ergebnisse den Zielvorgaben, differenziert nach Geschlecht?



Wie sind die Wirkungen des Produkts auf die Lebenssituation von Frauen und von Männern in der Stadt im Hinblick auf Teilhabe sowie ökonomische und zeitliche Ressourcen? Beispiele:



Auswirkungen auf die Lebenssituation: Der hohe Standard der städtischen Beleuchtung verbessert die Mobilitätschancen von Frauen in den Abend- und Nachtstunden; die Großmarkthalle unterstützt eine kleinteilige Versorgungsstruktur in den Stadtteilen. Auswirkungen auf das Zeitbudget von Frauen und von Männern, z.B. bei Rückverlagerung öffentlicher Aufgaben in den privaten Bereich, Änderung von Öffnungszeiten, Zentralisierung von Angeboten.





Großmarkthalle

Eingesetztes Personal für die Realisierung des Produkts: Aufschlüsselung nach Frauen und Männern hinsichtlich Eingruppierung und Stundenzahl.

Als weitere Grundlage für eine geschlechtsdifferenzierte Haushaltsplanung sollten bei der Planung der jährlichen Produktziele vorab erstens die Zielgruppen klar definiert und zweitens geschlechtsdifferenziert dargelegt werden, welches Ergebnis mit welchen Wirkungen erreicht werden soll. Fehlende geschlechtsdifferenzierte Daten müssen zusätzlich erhoben werden. Die Entwicklung aussagekräftiger Indikatoren für ein wirksames Gleichstellungscontrolling ist ein längerfristiger Prozess, da bisher noch keine Erfahrungen vorliegen. Es ist sinnvoll schrittweise vorzugehen, mit ein bis maximal drei Indikatoren erst einmal anzufangen und dann anhand der Erfahrungen die Indikatoren zu verfeinern und 35

auszubauen. Die Anzahl erforderlicher Indikatoren, um Aussagen Treffen zu können, hängen von der Struktur der Produkte ab.

in der Schule

Als Grundlage für ein Gender Budgeting sollte sowohl auf der Ebene der Fachreferate als auch für die gesamte Stadt eine zusammenfassende Übersicht erstellt werden, in der geschlechtsdifferenziert dargestellt ist: • • •

Haushaltmittel insgesamt: welche Bevölkerungsgruppen sind direkt und oder mittelbar betroffen? Zuordnung von Einsparungen oder Mittelerhöhungen nach Zielgruppen, soweit möglich. Erläuterung der Verteilung der Haushaltsmittel und der geplanten Veränderungen, also Kürzungen oder Erhöhungen.

Bei der Vorstellung des Haushaltsplans und im Haushaltsbericht werden die gleichstellungspolitischen Maßnahmen vorgestellt und eingeschätzt. Dabei sollte getrennt darauf eingegangen werden, wie hoch die Ausgaben für die spezifische Förderung von Frauen und Mädchen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind, welcher Beitrag für die Gleichstellung unter den Beschäftigten geleistet wird und welche Auswirkungen der Haushalt als Ganzes auf Frauen und Männer, Mädchen und Buben hat.

36

Implementierung Wie vergleichbare Prozesse der Implementierung neuer Strategien zeigen, ist es unabdingbar für den Erfolg, ein fachlich qualifiziertes Gremium zu schaffen, das die Aufstellung eines geschlechterbewussten Haushalts begleitet und die Umsetzung kontrolliert. Es sollte geprüft werden, wie diese Prozessbegleitung mit den vorhandenen großen Reformmaßnahmen Neues Steuerungsmodel, Aufbau eines Berichtswesens und Neues kommunales Rechnungswesen sinnvoll verknüpft werden kann. Ein Problem ist nach wie vor die unzureichende Integration der Reformaufgabe Gleichstellung von Frauen in die Verwaltungsreform der Stadt. Ebenso entspricht die Konzeption des städtischen Berichtswesens nicht den Anforderungen der Gender Mainstreaming Strategie. Das qualitative Controlling, für ein Gender Budgeting von besonderer Bedeutung, steckt noch in den Kinderschuhen. Dabei ist zu prüfen, wie die Stadtratskommission zur Frauengleichstellung, Vertreterinnen von Frauenorganisationen und externe Fachleute für Geschlechterfragen am Umsetzungsprozess beteiligt werden können. Die Analyse der Wirkung einer städtischen Leistung, der Haushaltsplanung für einzelne Produkte und Produktbereiche auf Frauen und Männer ist eine schwierige Aufgabe und verlangt Fachkenntnisse der Geschlechterforschung zur geschlechtsdifferenzierten Bewertung der Praxis. Bei den Beschäftigten in Fraueneinrichtungen und in Einrichtungen mit einem geschlechtsdifferenzierten Arbeitsansatz liegen umfangreiche Erfahrungen und Kenntnisse aus dem Arbeitsalltag in der Stadt vor, die eine zielgruppennahe Einschätzung der Wirkung von Maßnahmen ermöglichen. Es ist an der Zeit, diese Erfahrungen für eine bessere BürgerInnenorientierung der Verwaltung und eine geschlechtergerechte Haushaltsplanung zu nutzen. Im „Beschluss zur stadtweiten Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells“ von 1995 steht: „Soweit sich die Produkte an die Bürger richten, gehört zu diesem Hinterfragen (im Controlling) freilich auch, dass die betroffenen Bürger unmittelbar einbezogen werden, etwa über Befragungen oder die Eröffnung von Mitgestaltungsmöglichkeiten. Eine Verwaltung, die anstelle der betroffenen Bürger nur sich selbst fragt, ob sie beispielsweise die richtigen Öffnungszeiten anbietet oder ob die Kinderspielplätze richtig ausgestattet sind, würde ihren Auftrag verfehlen. Dies ist untrennbar verbunden mit einer stärkeren Dienstleistungsorientierung der Verwaltung. Letztlich wäre auch hier der Stadtrat aufgerufen, ggf. korrigierend einzugreifen und die Verwaltung zu veranlassen, als Grundlage für ihre Entscheidungsvorschläge die Bürger entsprechend einzubeziehen. “ (S. 103)

37

Mitgestaltungsmöglichkeiten sollten den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt aber nicht nur bei den Öffnungszeiten von Behörden eingeräumt werden, sondern auch bei der Haushaltsplanung. „Schließlich bringen sie die erforderlichen Mittel auf“, ist zutreffend in der gleichen Beschlussvorlage vermerkt (S. 102). Bürgerbeteiligung führt, wie das Beispiel Porto Allegre zeigt, keineswegs immer zu einer Erhöhung der Ansprüche an die Stadt, sondern kann einen sparsamen, gerechteren und effektiveren Einsatz von Haushaltsmitteln zur Folge haben. Bei der BürgerInnenbeteiligung an der Haushaltsplanung ist auf gleichberechtigte Teilhabe und Einflussmöglichkeiten zu achten.

Schlussbemerkung Der Haushalt ist neben der Gesetzgebung das zentrale öffentliche Steuerungsinstrument, womit auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingung der Lebenssituation von Frauen und Männern Einfluss genommen werden kann. Für die Herstellung von echter Chancengleichheit von Frauen und Männern könne geschlechtergerechte öffentliche Haushalte einen wesentlichen Beitrag leisten. Die Forderung nach Gender Budgeting, nach einem geschlechtergerechten Haushalt, ist kein Luxus in schwierigen Zeiten, sondern unterstützt die notwendige Diskussion über Gemeinwohl und Demokratie als Grundlage öffentlichen Wirtschaftens.

Autorinnen Birgit Erbe ist Diplom-Politologin und Geschäftsführerin der außeruniversitären Forschungseinrichtung Frauenakademie München e.V. (FAM). Sie arbeitete zunächst in der Initiative für einen geschlechtergerechten Haushalt in Berlin mit und führt nun ihr Engagement in der Gender Budget Initiative München fort. Anschrift: Frauenakademie München e.V. Auenstraße 31 80469 München, [email protected]

38

Das Kapitel „Von der Theorie in die Praxis: Handlungsansätze für München“ entstand in Zusammenarbeit mit Friedel Schreyögg, Soziologin und Leiterin der Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München. Anschrift: Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München Rathaus Marienplatz 8 80331 München [email protected]

Literatur Abgeordnetenhaus von Berlin (2002), Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS über Finanzpolitische Instrumente des Gender-Mainstreaming (Gender Budget) vom 2. Mai 2002, Drucksache 15 / 415. Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming im BMF (o.J.), Ist das österreichische Steuersystem „geschlechtsneutral“? Ergebnis eines Lohn- und Einkommenssteuer-Vergleichs Männer – Frauen, www.imag-gendermainstreaming.at / bmsg / imag / downloads / gender.pdf (Abfrage am 17.1.2003) Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming im BMF (o.J.), Einführung eines Gender Mainstreaming Prüfverfahrens im Bundesministerium für Finanzen, www.imag-gendermainstreaming.at / bmsg / imag / downloads / gender_check.pdf (Abfrage am 17.1.2003) Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern im Auftrag des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (2001), Kurzfassung, erstellt von der Bietergemeinschaft WSI in der HBS, INIFES, Forschungsgruppe Tondorf, Düsseldorf, Stadtbergen, Berlin, Juli 2001. Böker, Marion / Neugebauer, Anne (2001), Erfahrungen auf kommunaler Ebene – Eine Tagung, ein Buch und die Praxis in Münster, in: NRO-Frauenforum: Infobrief 2/2001: 26-31. Budlender, Debbie (2000a), Review of Gender Budget Initiatives, www.internationalbudget.org / resources / library / GenderBudget.pdf

39

Budlender, Debbie (2000b), The Political Economy of Women’s Budgets in the South, in: World Develoment Vol.28, No.7:1365-1378. Budlender, Debbie / Sharp, Rhonda / Allen, Kerri (1998), How to do Gender-Sensitive Budget Analysis: Contemporary Research and Practice, London: Commonwealth Secretariat. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (1996), Dokumentation der Erklärung und Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz 1995, Bonn. Çagatay, Nilüfer / Keklik, Mümtaz / Lal, Radhika / Land, James ž (2000), Budgets as if People Mattered: Democratizing Macroeconomic Policies, SEPED Conference Paper Series, contribution to the five year review of the Fourth World Conference on Women (Beijing) and the World Summit for Social Development (Copenhagen), May 2000, www.undp.org / seped / publications / conf_pub.htm Commonwealth Secretariat (1999), Tools for Gender Analysis of the National Budget, London, www.thecommonwealth.org / gender / htm / whatwedo / activities / macroeconomic / natgenbudg.htm Council of Europe (1999), Gender Mainstreaming. Conceptual Framework, Methodology and Presentation of Good Practices. Final Report of Activities of the Group of Specialists on Mainstreaming, Summary, EG (99) 3, Strasbourg, February 1999. DGB einblick (2002), Grafiken: Berufstätige Frauen. Einkommensunterschied gestiegen, 14/02, www.einblick.dgb.de / archiv / 0214 / g_eb0214.htm Frauenrat Basel-Stadt (1997) (Hg.), Finanzplanung frauengerecht und sozialverträglich. Dokumentation der Weiterbildungsveranstaltung organisiert vom Frauenrat Basel-Stadt, Gleichstellungsbüro Basel-Stadt, Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) Sektion Basel, 11. September 1997, Basel. Frauenrat Basel-Stadt / Gleichstellungsbüro Basel-Stadt (2002) (Hg.), Gender Balance – Equal Finance. Eine Fachtagung von Frauenrat und Gleichstellungsbüro Basel-Stadt zur geschlechterdifferenzierten Budget-Analyse, 19. März 2002, Basel, www.frauenrat-bs.ch / gender / default.htm Frey, Regina / Dingler, Johannes (2001), Wie Theorien Geschlechter konstruieren, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Alles Gender? Oder 40

was? Theoretische Ansätze zur Konstruktion von Geschlecht(ern) und ihre Relevanz für die Praxis in Bildung, Beratung und Politik, Dokumentation einer Fachtagung der Heinrich-Böll-Stiftung und des „Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse“ am 9./10.3.2001 in Berlin: 7-24. Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst im Land Brandenburg vom 4. Juli 1994, www.brandenburg.de / land / masgf / frauen / lgg / lgginha.htm Initiative für einen geschlechtergerechten Haushalt in Berlin (2002), Offener Brief, März 2002, Berlin. Klatzer, Elisabeth (2002), Engendering Budgets. Ein wichtiger Beitrag zur Demokratisierung der Wirtschaftspolitik und ein zentrales Instrument einer umfassenden Gender Mainstreaming Politik, in: Kurswechsel. Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschaftsund umweltpolitische Alternativen 1/2002: 78-89. KGSt-Produktbuch für Gemeinden, Städte und Kreise, KGStBericht 5/1997: 7 Künzler, Jan / Walter, Wolfgang / Reichart, Elisabeth / Pfister, Gerd (2001), Gender division of labour in unified Germany, WORC Report, European Network on Policies and the Division of Unpaid and Paid Work, www.uni-wuerzburg.de / soziologie / na_rep.pdf Madörin, Mascha (2001a), Budgets als gleichstellungspolitisches Instrument, in: NRO-Frauenforum: Infobrief 2/2001: 23-26. Madörin, Mascha (2001b), Makroökonomie und Gender. Neue wirtschaftstheoretische und -politische Herausforderungen, www.evb.ch / cm_data / Makroökonomie_und_Gender.pdf Madörin, Mascha (2001c), Grundkonzepte, die in feministischen Wirtschaftstheorien und in einer feministischen Wirtschaftspolitik nicht fehlen dürfen, www.glow-boell.de / home / content / d / about_us / FI_ deutsch / Dokumentationen / Gruenes_Grundsatzprogramm / Wirtschaftspolitik / render_top Maier, Friederike (1993), Homo Oeconomicus. Zur geschlechtsspezifischen Konstruktion der Wirtschaftswissenschaften, in: PROKLA 93. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 4/1993: 551-571. Michalitsch, Gabriele (2002), Engendering Economics. Grundlagen feministischer Ökonomie, in: Kurswechsel. Zeitschrift

41

für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen 1/2002: 10-21. „Münchner Bürgerbefragung 2000 – Soziale Entwicklung und Lebenssituation der Münchner Bürgerinnen und Bürger“ , erstellt vom Sozialwissenschaftlichen Institut München im Auftrag der Landeshauptstadt München (unveröffentlicht). Ökumenische Arbeitsgruppe (2001) (Hg.), Freier Blick auf Budgets! Kirchenbudgets aus Frauensicht, Brot für alle Basel / Fastenopfer Luzern. Petra-Kelly-Stiftung (2002) (Hg.), Hat der Haushalt ein Geschlecht? Zur geschlechtsspezifischen Analyse von Kommunalhaushalten, Materialien zum Workshop am 27. April 2002 in Nürnberg. Rechenschaftsbericht der Landeshauptstadt München für das Haushaltsjahr 2001, Beschluss der Vollversammlung vom 3.7.2002. Schratzenstaller, Margit (2002), Gender Budgets – ein Überblick aus deutscher Perspektive, in: Bothfeld, Silke / Gronbach, Sigrid / Riedmüller, Barbara (Hg.), Gender Mainstreaming – eine Innovation in der Gleichstellungspolitik. Zwischenberichte aus der politischen Perspektive, Frankfurt / New York: 133-155. Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten und des Schweizerischen Verbandes des Personals öffentlicher Dienste VPOD (1996) (Hg.), An den Frauen sparen? Auswirkungen der Sparpolitik von Bund, Kanton und Gemeinden auf die Frauen. Kurzfassung einer wissenschaftlichen Studie, Bern und Zürich. Sen, Gita (1999), A Quick Guide to ... Gender Mainstreaming in Finance, London: Commonwealth Secretariat, www.thecommonwealth.org / gender Sozialdepartment der Stadt Zürich (2001) (Hg.), Kindertagesstätten zahlen sich aus. Jeder eingesetzte Franken bringt drei bis vier Franken an die Gesellschaft zurück, Edition Sozialpolitik, Nr. 5a, Zürich. Spence, Nancy (2001), Gender Responsive Budgets, Poverty Reduction and Good Governance, Paper presented to the IAMGWE/WP-GEN Workshop, Vienna 23-25 April 2001, Gender and Youth Affairs Division, Commonwealth Secretariat, London. Zimmermann, Clóvis (2001), Mehr als Mängelverwaltung. Zum Modell des Beteiligungshaushaltes in Porto Allegre, in: express 8/2001: 16.

42

Internetadressen UN-Organisationen: www.undp.org / poverty; www.unifem.undp.org. Commonwealth Secretariat: www.thecommonwealth.org The International Budget Project: www.internationalbudget.org Gender Responsive Budget Initiatives: www.gender-budgets.org Kanadische Budgetkoalition: www.policyalternatives.ca Europäische Kommission, Generaldirektion für Beschäftigung und Soziales, Abteilung für Gleichstellung von Frauen und Männern: europa.eu.int / comm / employment_social / equ_opp / index_de.htm Interministerielle Arbeitsgruppe zu Gender Mainstreaming in der Bundesregierung Österreichs: www.imag-gendermainstreaming.at Initiative für eine geschlechtergerechte Haushaltsführung in Berlin: www.gender-budgets.de Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: www.bmfsfj.de / top / sonstige / Politikbereiche / Gleichstellung / ix4790.htm und www.gender-mainstreaming.net Statistisches Bundesamt Deutschland: www.destat.de Statistisches Amt der Landeshauptstadt München: www.muenchen.de / statamt / index.html

43