Hongkongerstellen Freiheit über Profit

kong», steht auf einem Karton, «we hope you understand our perseve- rance» – «Notfall in Hongkong – hof- fentlich verstehen Sie unsere Be- harrlichkeit.».
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Protest gegen die chinesische Führung Mit #OccupyCentral kämpfen die Menschen in H Hongkong für Demokratie

HEUTE 30.9.2014 Was heute passiert Bern Die Bauerngewerkschaft Uniterre lanciert heute die Volksinitiative «Für Ernährungssouveränität. Landwirtschaft betrifft uns alle».

Noch nie hatten sich in der Nacht so viele Menschen im Bankenviertel von Hongkong versammelt.

Zürich Die Denkfabrik Avenir Suisse präsentiert eine Studie zu den Schweizer Stiftungen. Brüssel Amnesty International stellt einen Bericht zu Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer vor.

Tränengas treibt die Menschen auf die Strassen

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Zusammenstösse Nach dem Polizeieinsatz solidarisiert sich die ganze Bevölkerung mit den Studenten und Aktivisten

www.aargauerzeitung.ch www.bzbasel.ch www.basellandschaftliche.ch www.solothurnerzeitung.ch www.grenchnertagblatt.ch www.limmattalerzeitung.ch

VON LUKAS MESSMER, HONGKONG

Das Ergebnis erscheint in der nächsten Ausgabe.

Ergebnis letzte Tagesfrage

Wir haben gefragt: Braucht es jetzt den Einheitssatz für die Mehrwertsteuer?

Nein 25%

Ja 75%

Video des Tages

Stinkende Titanwurz blüht mit neuer Rekordhöhe.

TWEET DES TAGES Schauspieler Jörg Schneider, der mit dem Kasperlitheater und den Hörspielfassungen dazu bekannt wurde, ist ernsthaft erkrankt und muss seine Abschiedstournee absagen. User CountryTec bedankt sich bei ihm.

Hongkonger stellen Freiheit über Profit Ruf nach Demokratie Lange Zeit hatten sich die Hongkonger nur wenig für Politik interessiert. Doch das hat sich geändert. Selbst Unternehmer schliessen sich dem Protest gegen die Führung in Peking an. VON FELIX LEE, PEKING

«Lieber Jörg Schneider, danke für die vielen lustigen und fröhlichen Momente. Wir sind mit Dir aufgewachsen. Mehr als Kasperli! Alles Gute!»

n ganzseitigen Anzeigen warnten vier weltweit tätige Unternehmen – Pricewaterhouse Coopers, KPMG, Deloitte und Ernst & Young – bereits vor Wochen vor «Occupy Central». Die geplanten Protestblockaden im Hongkonger Regierungs- und Bankenviertel gegen die chinesische Führung könnten «Instabilität und Chaos» bringen und den Status Hongkongs als internationales

Finanzzentrum gefährden. Früher hätten solche Warnungen aus der Wirtschaft völlig ausgereicht, Proteste in der ehemaligen britischen Kronkolonie sofort zu beenden. Zu wichtig war den meisten Bürgern der Finanzmetropole, dass die Börsenkurse nicht abstürzen und die Geschäfte weiter laufen.

«Ein Land, zwei Systeme» Dabei ist Hongkong das einzige Territorium auf dem Boden der Volksrepublik, wo die Bürger frei ihre Mei-

nung äussern und sich öffentlich versammeln dürfen. Die Briten hatten ihre ehemalige Kronkolonie erst 1997 an China zurückgegeben und im Zuge der Verhandlungen der chinesischen Führung in Peking diesen Sonderstatus für Hongkong abgerungen. Nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» soll dieser Status 50 Jahre gelten. Diese Rechte, die ihren Landsleuten in der Volksrepublik vorenthalten werden, nutzten die Hongkonger lange Zeit aber kaum. Die Mehrheit interessierte sich nicht für Politik. Stattdessen waren die meisten Hongkonger stolz auf den Ruf ihrer Stadt als Hochburg der freien Märkte, den ihnen bereits die Briten beschert hatten. Grossbritannien hatte bis zur Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik im Jahre 1997 die Stadt als Versuchslabor für eine möglichst regulierungsfreie Marktwirtschaft genutzt. Steuern wurden kaum erhoben, Zölle

gar nicht, Hongkong war eine Freihandelszone. Die chinesische Führung setzte die liberale Wirtschaftspolitik fort. Hongkong gilt bis heute als ausgesprochen wirtschaftsfreundlich. In den vergangenen Monaten hat sich die Stimmung unter den Einwohnern der Sieben-Millionen-Metropole aber gewaltig gedreht. Bereits zur Mahnwache am 4. Juni zum Gedenken an die Opfer der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking vor 25 Jahren kamen mit fast einer halben Million Menschen so viele Menschen wie noch nie.

So viele Leute kamen noch nie Im Juni beteiligten sich dann fast 800 000 Hongkonger an einem Referendum und sprachen sich für mehr Demokratie aus und eine wirklich freie und direkte Wahl des Hongkonger Regierungschefs. Und auch der Studenten-

streik der meisten Hochschulen in der vergangenen Woche übertraf sämtliche Erwartungen. Nicht einmal die Organisatoren hatten mit so vielen Teilnehmern gerechnet. Angeheizt wurde der allgemeine Unmut von einem sogenannten Weissen Papier, dass Peking im Juli veröffentlicht hatte. Darin wurde der bisherigen Sonderstatus der Stadt infrage gestellt. Der hohe Grad an Unabhängigkeit der Sonderverwaltungszone Hongkong bedeute auf keinen Fall eine vollständige Autonomie, heisst es. Auch die Hongkonger sollten lediglich «lokale Angelegenheiten im Rahmen der Befugnisse durch die zentrale Führung umsetzen». Dass die chinesische Führung nun ihre Zusage zurücknimmt und den Hongkongern doch nicht erlaubt, ihren Regierungschef 2017 direkt und frei wählen zu dürfen, hat die Angst in der Bevölkerung geschürt, dass Hongkong seine Sonderrechte schon bald vollends verlieren könnte. Doch nicht nur die meisten Hongkonger Bürger haben ihre bisherigen politischen Freiheiten zu schätzen gelernt und setzen das Primat der Politik nun über das der Wirtschaft. Ein Umdenken hat auch in der Hongkonger Wirtschaftswelt eingesetzt. Abgesehen von den erwähnten Unternehmen unterstützen auch zahlreiche Wirtschaftsvertreter aktiv die Proteste und nehmen zum Teil selbst an den Blockaden der Bewegung Occupy Central teil, darunter sogar der Hongkonger

Medienmogul Jimmy Lai von der Boulevardzeitung «Apple Daily». Die bis vor kurzem äusserst wirtschaftsfreundlich bekannte Hongkonger Juristenvereinigung gehörte sogar zu den ersten namhaften Initiativen, die zu den Protesten aufriefen.

Juristen sind empört Die Juristen haben erkannt: Ohne Rechtssicherheit ist auch die wirtschaftliche Stabilität Hongkongs gefährdet. Vor allem empörte sie, dass die Pekinger Führung in ihrem «Weissbuch» vom Sommer die Richter nur noch als «Verwaltungsbeamte» bezeichnet hatte, von denen «Vaterlandsliebe» abverlangt werde. Die Hongkonger Juristen sehen in diesem Passus die bislang garantierte Unabhängigkeit der Justiz gefährdet. Hongkongs reichster Mann, Li Kashing, hat sich zwar den Occupy-Protesten nicht angeschlossen. Er findet sie zu radikal und hält ihr Vorgehen strategisch für falsch. Ihm bereite die derzeitige Situation Hongkongs aber dennoch «schlaflose Nächte», wie er vor kurzem in einem Interview mit dem Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg zugab. Die rasant gestiegene soziale Ungleichheit würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden, befürchtet er. Bereits seit einiger Zeit zieht er daher zunehmend sein Vermögen ab. Das ist seine Art, den Unmut über Hongkongs politische Lage zum Ausdruck zu bringen.

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Carrie Gracie BBC China Die bisher grösste Überraschung: Gut gekleidete Banker sagen mir, es gebe Wichtigeres als Geld. Zum Beispiel Freiheit. Erin Hale @erinhale Hongkong ist keine sehr freundliche Stadt. Aber es is auffällig, wie viele Fremde einander mit Essen, Wasser und andern Gütern helfen. #OccupyCentral Rich Jepson @Rich_Jepson Dass China in den sozialen Medien Postings zu #OccupyCentral zensuriert zeigt, weshalb HK Demokratie und eine #RegenschirmRevolution braucht.

Bruch mit der friedlichen Protesttradition in der Stadt und für viele erst recht ein Grund, auf die Strasse zu gehen. Die Menschen sind aussergewöhnlich friedlich, zuvorkommend und höflich. Eine Studentin unterhält einen Versorgungsposten und zeigt den Berg an Material, den Freiwillige gespendet haben. «Wir haben viel zu viel», sagt sie und zeigt auf einen Haufen von gegen 50 Regenschirmen. Die Schirme sind zum Symbol des zivilen Aufstands geworden. Online schwirrt bereits der Begriff «RegenschirmRevolution» umher, in Anlehnung an die Demonstranten, die sich mit Schirmen gegen Pfefferspray zu schützen versuchten.

Die Wirtschaftsmetropole Südchinas steht still. Rund ums Stadtzentrum von Hongkong fahren keine Busse mehr, Bankfilialen sind geschlossen. Die Zahl der Menschen in den Strassen von Hongkong ist kaum zu schätzen. Sie campieren auf der Strasse, singen Lieder und skandieren Sprechchöre. Einerseits für mehr demokratische Mitbestimmung, aber auch, weil die Polizei am Sonntagabend zum ersten Mal Tränengas-Granaten in die Menge geschossen hat, die bis dahin mehrheitlich aus Studenten bestand. «Familien, Nachbarn und Arbeiter kamen, weil die Polizei die Studenten angegriffen hat», sagt der 30-jährige Jason Chan (30) in einem Menschenauflauf in Mong Kok. Ja- Entscheidung liegt in Peking In Sprechhören fordern die Proson Chan arbeitet im Asset Management, kommt direkt von der Arbeit testierenden mehr Mitbestimmung und trägt einen silbernen Anzug und den Rücktritt von Chief Execumit Schlips. «Die Regierung ver- tive CY Leung. «Ich kam hierher, steht die Bevölkerung von Hong- um für Demokratie zu kämpfen», sagt der 29-jährige kong nicht», sagt er. «Diese will mehr «Familien, Nachbarn Franki Ho, Mitarbeieiner MobilfunkDemokratie, aber und Arbeiter kamen, ter firma. «China ist zu die Regierung mächtig, aber wir denkt nur an Chi- weil die Polizei die Studenten tun, was wir könna.» nen.» Auf die Frage, Mong Kok auf der angegriffen hat.» ob denn eine VerHalbinsel Kowloon Jason Chan Asset Manager änderung möglich ist der am dichtesist, schüttelt er zuten besiedelte Platz der Erde. Normalerweise kaufen sammen mit seinen vier Freunden hier chinesische Touristen Tissot- heftig den Kopf. Das wissen sie alle: Uhren im Dutzend. Nun sitzen Die Entscheidung über Hongkongs Zehntausende Hongkonger auf der Zukunft wird nicht hier, sondern Strasse. Stecken gebliebene Linien- Hunderte Kilometer nördlich in Pebusse dienen als Plakatständer: king getroffen. Das chinesische Aus«There is an emergency in Hong- senministerium warnte bereits die kong», steht auf einem Karton, «we USA und andere Länder, sich nicht hope you understand our perseve- in die inneren Angelegenheiten Chirance» – «Notfall in Hongkong – hof- nas einzumischen. Es geht gegen Mitternacht und fentlich verstehen Sie unsere Bedie Menge wächst immer noch. Bis harrlichkeit.» zu 130 000 Menschen sind auf der Tränengas, aber kein Panzer Strasse, schätzen die Leute. Nicht Im Gegensatz zum Sonntag hält nur im Zentrum, sondern auch in sich die Polizei zurück. Laut offiziel- anderen Stadtvierteln. «Es gibt keilen Angaben setzte sie am Sonntag- ne Organisatoren mehr», sagt ein abend 87-mal Tränengas ein. Es gab Freiwilliger. Es sind nicht mehr nur 41 Verletzte, davon 12 Polizisten. Es Studenten und Aktivisten, die auf war der grösste Polizeieinsatz seit die Strassen gehen. Es ist ein Querden 1960er-Jahren. Gerüchte von schnitt der gesamten Bevölkerung. Gummigeschossen, Wasserwerfern und gar einem Panzer der VolksbeInformieren Sie sich freiungsarmee, der auf dem Weg online über die laufende sein soll, waren falsch. Trotzdem Entwicklung. war der Einsatz ein deutlicher