Hoffnung als Sinn für Möglichkeit und Unverfügbarkeit

Peter Rosch, Anna Kreysing, Nina Schewe, Nadja El Kassar, Karl Becker und. Kathrin Andreev. Nina Schuster und Laura Hinn haben die Fertigstellung.
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Thema des Buches ist die Bedeutung von Hoffnung für das Leben von Menschen. Grundlegende Defizite der Philosophie der Lebenskunst werden herausgearbeitet: Zum einen verengt die Lebenskunstphilosophie den für sie charakteristischen Kunst- bzw. Ästhetikbezug ihrer foucaultschen Tradition entsprechend stark auf den Aspekt der Macht bzw. der Selbstmächtigkeit. Zum anderen neigt sie mit dieser Fokussierung dazu, Forderungen des ökonomisch geprägten Zeitgeistes unreflektiert zu übernehmen. Die Grenzen der Selbstmächtigkeit geraten aus dem Blick. In Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte des Hoffnungsbegriffs wird deutlich, dass Hoffnung immer wieder als etwas beschrieben worden ist, das auf etwas der Verfügbarkeit Entzogenes gerichtet ist. Zugleich ist Hoffnung oft ein hoher Wert beigemessen worden. An diese Einsichten anknüpfend wird im letzten Teil systematisch ausgeführt, was Hoffnung ist, welche Formen sie annehmen kann und was sie wertvoll macht. Unter anderem kann Hoffnung die Form einer Haltung annehmen, die der Verzweiflung und der Vermessenheit entgegengesetzt ist. Immer ist mit Hoffnung die Einsicht verbunden, dass die eigene Handlungsmacht begrenzt ist.

ISBN 978-3-89785-072-9

Borchel · HOFFNUNG ALS SINN FÜR MÖGLICHKEIT UND UNVERFÜGBARKEIT

Christiane Borchel

Hoffnung als Sinn für Möglichkeit und Unverfügbarkeit

Kontrapunkte zur Philosophie der Lebenskunst

Borchel · Hoffnung als Sinn

Christiane Borchel

Hoffnung als Sinn für Möglichkeit und Unverfügbarkeit Kontrapunkte zur Philosophie der Lebenskunst

mentis MÜNSTER

Einbandabbildung: Hans Sebald Beham (1500–1550): Spes (Kupferstich 1539)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Zugleich Dissertation an der Technischen Universität Dortmund, 2014

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem ∞ ISO 9706 und alterungsbeständigem Papier

c 2014 mentis Verlag GmbH

Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-072-9 (Print) ISBN 978-3-95743-985-7 (E-Book)

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

I

DAS LEBEN ALS KUNSTWERK – DEUTUNG UND KRITIK EINER METAPHER

1

Schlüssel zum guten Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

2 2.1 2.2

Ästhetische Lebensformen – einige Beispiele . . . . . . . Süskinds Parfumeur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenouille und die anderen Ästhetiker . . . . . . . . . . . . . . .

23 24 30

3

3.5

Michel Foucault, die Sorge um sich und die Ästhetik der Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbsterkenntnis und Selbstsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der kulturelle Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sorge um sich bei Sokrates, in der römischen Stoa und im frühen Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Zusammenhang von Sorge um sich, Technologien des Selbst und Ästhetik der Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Zusammenhang von Lebenskunst und Macht . . . . .

4 4.1 4.2 4.3

Wilhelm Schmids Philosophie der Lebenskunst . . . . Philosophische Lebenskunst als Ästhetik der Existenz . . Die Praxis der Lebenskunstphilosophie . . . . . . . . . . . . . . Selbstmächtigkeit als Kern der Lebenskunstphilosophie .

. . .

33 34 37

.

39

. .

45 50

. . . .

53 54 61 64

5

Selbstmächtigkeit in der projektbasierten Polis . . . .

69

II

HOFFNUNG – EINE PHILOSOPHIEHISTORISCHE VERGEGENWÄRTIGUNG

6

Leben ohne Hoffnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

7

Hoffnung als anthropologische Universalie? . . . . .

89

3.1 3.2 3.3 3.4

8 8.1 8.2 8.3

Hoffnung als theologischreligionsphilosophisches Problem . . . . . . . . . . . . . . Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christliche Existenzphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

97 99 105 115

9 9.1 9.2

Hoffnung zwischen Affekt und Ratio . . . . . . . . . . . . Hoffnung in der neuzeitlichen Affektenlehre . . . . . . . . . . Was darf ich hoffen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123 124 128

10

Hoffnung und Utopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139

III

HOFFNUNG ALS SINN FÜR MÖGLICHKEIT UND UNVERFÜGBARKEIT

11 11.1 11.2 11.3

Hoffen, Handeln, Intendieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was sind intentionale Hoffnungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seiner Hoffnung Ausdruck verleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . Hoffen und Intendieren – Unterschiede und Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 13 13.1 13.2 13.3

Formen der Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Individualität versus Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hoffnung als Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die identitätsbildende und sinnstiftende Funktion von Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hoffnung als Disposition in Abgrenzung zu Verzweiflung und Vermessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hoffnung und Gelassenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151 152 161 164 169 171 174 178 180 184

Geteilte Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Utopie einer Weltrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die realistische Utopie einer demokratisch verfassten Weltgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hoffnung auf moralischen Fortschritt . . . . . . . . . . . . .

187 188 192 196

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198 205

Dank Die vorliegende Arbeit wurde von der Technischen Universtität Dortmund mit einem Promotionsstipendium im Rahmen der Bestenförderung unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin. Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Dr. Brigitte Falkenburg, die mir in der Anfangsphase bei der Anfertigung des Exposés sehr geholfen hat, und bei Prof. Dr. Lutz Wingert, in dessen Oberseminaren und Kolloquien ich stets willkommen war. Die dort geführten Diskussionen waren für den Entstehungsprozess dieser Arbeit von großem Wert. Dem Berater meines Promotionsvorhabens, Prof. Dr. Werner Post, danke ich für seine Geduld, das Vertrauen und natürlich die zahlreichen Gespräche, in denen er mit mir alle möglichen Ecken der Philosophie- und Kulturgeschichte bezogen auf mein Thema ausgeleuchtet hat. Prof. Dr. Nikita Dhawan danke ich für die freundliche Beantwortung einer E-Mail-Anfrage. Weil philosophische Gedankengänge ihren Ausgangspunkt meist nicht im luftleeren Raum, sondern im regen Austausch haben, bin ich natürlich auch allen dankbar, die meine Ideen mit mir in Kolloquien in Dortmund, Bonn und Zürich sowie in freundschaftlichen Zusammenhängen diskutiert haben, vor allem Laura Hinn, Joachim Toenges, Ulrich Kröger, Peter Rosch, Anna Kreysing, Nina Schewe, Nadja El Kassar, Karl Becker und Kathrin Andreev. Nina Schuster und Laura Hinn haben die Fertigstellung der Arbeit mit Gelassenheit, Interesse und viel Aufmerksamkeit begleitet, was ich als sehr unterstützend empfunden habe. Danke! Bei ihnen bedanke ich mich ebenso wie bei Ulrich Kröger auch für das Korrekturlesen.

Einleitung

Thema dieser Arbeit ist die Bedeutung von Hoffnung für das Leben von Menschen. Im ersten Teil werden grundlegende Defizite der Philosophie der Lebenskunst herausgearbeitet. Zum einen verengt die Lebenskunstphilosophie – wie sie beispielsweise von Wilhelm Schmid vertreten wird – den für sie charakteristischen Kunst- bzw. Ästhetikbezug ihrer foucaultschen Tradition entsprechend stark auf den Aspekt der Macht bzw. der Selbstmächtigkeit. Zum anderen neigt die Lebenskunstphilosophie mit ihrer Fokussierung auf Selbstmächtigkeit dazu, Forderungen des ökonomisch geprägten Zeitgeists unreflektiert zu übernehmen. Die Auseinandersetzung mit Luc Boltanskis und Ève Chiapellos Der neue Geist des Kapitalismus zeigt, dass die Erwartungen, denen sich Menschen in der sogenannten projektbasierten Polis stellen müssen, den Idealen der Lebenskunstphilosophie stark ähneln. Die neuen Selbstverwirklichungsansprüche provozieren in der flexibilisierten, Unsicherheit hervorrufenden Arbeitswelt jedoch massenhaft Scheitern. Die Grenzen der Selbstmächtigkeit geraten aus dem Blick. Im Rahmen einer Untersuchung der Philosophiegeschichte des Hoffnungsbegriffs wird im zweiten Teil der Arbeit deutlich, dass Hoffnung schon seit langem immer wieder als etwas thematisiert wird, das auf etwas der Verfügbarkeit Entzogenes gerichtet ist. Auch wenn der griechische Begriff elpis nicht deckungsgleich mit »Hoffnung« ist, wurde Hoffnung als Phänomen bereits in antiken Tragödien beschrieben. In der christlichen Philosophie und Theologie hatte das Thema Hoffnung stets einen festen Platz. Augustinus und Thomas von Aquin interpretierten Hoffnung beispielsweise als Tugend, die der Verzweiflung und der Vermessenheit entgegengesetzt ist. In der frühen Neuzeit wurde Hoffnung etwa von René Descartes und Thomas Hobbes primär als Affekt aufgefasst. Immanuel Kant hat dagegen vor allem die rationale Basis des Hoffens und die Hoffnung auf moralischen Fortschritt thematisiert. Dennoch ist Hoffnung auch nach Kant vor allem als Gegenstand der Religionsphilosophie behandelt worden, bis Ernst Bloch den Wert von Hoffnung für die Entstehung von Utopien und politischen Veränderungen hervorhob. Wer keine Hoffnung hat, kann keine Wünsche haben, deren Realisierung außerhalb der eigenen Verfügungsmacht liegt. Camus’ Sisyphos wird

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als paradigmatisch für einen Menschen ohne Hoffnung verstanden, auch weil er in einer Welt lebt, der die Offenheit fehlt, die für das Leben von Menschen charakteristisch und wichtig ist. Daran knüpft der dritte Teil der Arbeit an, in dem systematisch ausgeführt wird, was Hoffnung ist, welche Formen sie annehmen kann und welche Bedeutung sie für das Leben von Menschen hat. Hoffnung wird dabei primär als intentionaler Zustand verstanden, nicht aber als Affekt wie etwa bei Thomas Hobbes oder René Descartes. Unterschieden wird in diesem Zusammenhang zwischen spontanen Hoffnungen und Hoffnungen auf etwas, woran uns liegt. Das, woran uns liegt bzw. worum wir uns sorgen, prägt Harry Frankfurt zufolge die Struktur unseres Willens und hat somit auch eine identitätsstiftende Funktion. Damit wird deutlich, dass Hoffnung nicht nur für das Leben von religiösen Menschen von Bedeutung ist, wie Josef Pieper behauptet. Hoffnung kann auch die Form einer Haltung annehmen, die der Verzweiflung und der Vermessenheit entgegengesetzt ist, womit an Sichtweisen von Augustinus und Thomas von Aquin angeknüpft wird. Immer ist mit Hoffnung die Einsicht verbunden, dass die eigene Handlungsmacht begrenzt ist. Im letzten Kapitel wird der Wert geteilter Hoffnung untersucht und herausgearbeitet, dass die Hoffnung auf moralischen Fortschritt für Vertreterinnen und Vertreter bestimmter Moralkonzeptionen rational und konsequent ist. Als ich vor einigen Jahren begann, mich in das philosophische Thema Hoffnung einzuarbeiten, waren aktuelle Veröffentlichungen hierzu insbesondere in der deutschsprachigen Philosophie ausgesprochen rar. Dennoch oder gerade deswegen erschien mir eine zeitgemäße Bearbeitung des Themas unter Bezugnahme auf philosophiegeschichtlich relevante Autoren sinnvoll. Dass zu Beginn des Jahres 2012 eine Ausgabe der Deutschen Zeitschrift für Philosphie mit einem Themenschwerpunkt zur Hoffnung erschien, hat gezeigt, dass die Thematik an Aufmerksamkeit gewonnen hat. In der genannten Ausgabe versuchen Barbara Schmitz und Tilo Wesche zu erklären, warum das Hoffnungsthema in gegenwärtigen philosophischen Diskussionen allenfalls eine »Nischenexistenz« fristet. 1 Dafür führen sie verschiedene Gründe an: Hoffnung sei erstens »vom Geruch des Widervernünftigen« umweht, verhalte sich zweitens zur Autonomie anscheinend konträr, und sei drittens primär Gegenstand von Kunst und Religion. 2 Natürlich ist das genannte Thema insbesondere mit der Religion bzw. der Religionsphilosophie stark verflochten. In Kapitel 9.2 werde ich darlegen, inwiefern auch Kant zur religiösen Aura des Begriffs »Hoffnung« beigetragen hat, obwohl er zugleich als starker Verfechter der Rationalität des Hoffens 1

2

Vgl. Schmitz, Barbara und Wesche, Tilo: Schwerpunkt: Über das Hoffen. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2012, S. 28. Vgl. ebd., S. 28 f.

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aufgetreten ist. Die vorliegende Arbeit wird jedenfalls genau wie die Aufsätze der Deutschen Zeitschrift für Philosophie verdeutlichen, dass sich auch aus einer durchweg säkularen Perspektive einiges über Hoffnung herausarbeiten lässt. Dem Vorbehalt, dass Hoffnung generell mit der Vernunft im Widerstreit läge, begegnen die Autorinnen und Autoren der Deutschen Zeitschrift für Philosophie offensiv: Vor dem Hintergrund der Überzeugung, dass Hoffnung eine rationale Basis besitzt, stellen die Beiträge – so Wesche und Schmitz – die Frage nach dem Grund der Hoffnung in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. 3 Wenngleich ich die Überzeugung teile, dass Hoffnung eine rationale Basis besitzt, umkreist meine Arbeit jedoch eher den zweiten Vorbehalt, wie der Titel »Hoffnung als Sinn für Möglichkeit und Unverfügbarkeit« vielleicht erahnen lässt. 4 Es geht mir darum, die Grenzen autonomer bzw. – in der Sprache der Lebenskunstphilosophie formuliert – selbstmächtiger Verfügung aufzuzeigen. Es wird sich herausstellen, dass die Anerkennung dieser Grenzen von wichtiger Bedeutung für unser Leben ist. 5 Die vorliegende Arbeit lässt sich also auch in Anknüpfung an den Aufsatz von Barbara Schmitz zur Bedeutung des Hoffens für die menschliche Lebensform lesen. 6 Auch zu den anderen hoffnungsbezogenen Aufsätzen in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie lassen sich Anknüpfungspunkte auffinden. Einige Fragenkomplexe, die in diesen Texten immer wieder berührt werden, werden in der vorliegenden Arbeit ebenfalls behandelt: 1. Was ist Hoffnung bzw. was ist ihre Struktur? Lässt sie sich eher als Gefühl, als Haltung oder als intentionaler Zustand beschreiben? Hoffnung kann verschiedene Formen annehmen. In Übereinstimmung mit Dominik Perler verstehe ich Hoffnung als intentionalen Zustand. 7 Meine Sichtweise dieser 3 4

5 6

7

Vgl. ebd., S. 29. Lutz Wingert, dem ich den meiner Ansicht nach recht griffigen Ausdruck »Unverfügbarkeit« verdanke, hat herausgestellt, dass es eine normative und eine deskriptive Bedeutung des Begriffs »unverfügbar« gibt: Dass etwas unverfügbar ist, kann entweder bedeuten, dass über etwas nicht verfügt werden soll bzw. darf, oder aber, dass über etwas nicht verfügt werden kann. Vgl. Wingert, Lutz: Was ist und was heißt „unverfügbar“? In: Rainer Forst u. a. (Hrsg.): Sozialphilosophie und Kritik. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009, S. 392. Für meine Arbeit ist die deskriptive Seite des Begriffs wichtiger. Unverfügbarkeit meint hier also vor allem faktische Unverfügbarkeit, wenngleich faktische und normative Unverfügbarkeit manchmal nicht ganz unverbunden sind. Durch Tabuisierung wird etwas beispielsweise oft auch faktisch unverfügbar. Vgl. ebd., S. 398. Vgl. insbesondere Kapitel 12 in dieser Arbeit. Schmitz, Barbara: „Krokodile hoffen nicht. Menschen hoffen.“ Bedeutung und Wert des Hoffens in der menschlichen Lebensform. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2012. Vgl. Perler, Dominik: Die kognitive Struktur von Hoffnung. Zwei mittelalterliche Erklärungsmodelle. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2012, S. 73.

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Seite des Hoffnungsbegriffs werde ich insbesondere in Kapitel 11 ausführen. Darüber hinaus habe ich wie Barbara Schmitz Schwierigkeiten mit der Auffassung von der Hoffnung als einem Gefühl 8 und verstehe Hoffnung ebenso wie Schmitz auch als eine Haltung (etwa im Gegensatz zur Verzweiflung). 9 2. Ist Hoffnung wirklich immer auf ein zukünftiges Gut bezogen? Während Schmitz und Tegtmeyer 10 diese Frage in Übereinstimmung mit Thomas von Aquin bejahen, vertrete hierzu eine andere Auffassung. Zum einen denke ich nicht, dass Hoffnung immer zukunftsbezogen ist. Offensichtlich gibt es Fälle, in denen man auch mit Bezug auf die Vergangenheit hofft. Man kann beispielsweise hoffen, dass die Freunde gestern im Urlaub schönes Wetter hatten. Schmitz glaubt nun, dass solche Hoffnung trotzdem einen Zukunftsbezug beinhaltet, denn die Kenntnis des gehofften Sachverhalts liegt – so Schmitz – in der Zukunft. 11 Vielleicht liegt sie dort aber auch nicht. Um Schmitz’ Beispiel aufzugreifen: Jemand kann auch dann hoffen, dass sein Großvater kein Nazi war, wenn er sich sicher sein kann, niemals Kenntnis darüber erhalten zu werden, etwa weil niemand in der Familie diesen Großvater je gekannt hat. Wichtiger als der Zeitbezug ist auf jeden Fall die Unsicherheit, die mit Hoffnung einhergeht. Zum anderen bin ich auch nicht wie Schmitz 12 der Überzeugung, dass man alles, worauf man hofft, auch gutheißt. Der Alkoholiker, der hofft, dass er gleich die Gelegenheit nutzen kann, ein kühles Bier zu trinken, kann den Gegenstand der Hoffnung, Alkohol, für sehr schlecht halten. Er kann im Zuge dessen sogar einen regelrechten Hass auf sich und den Alkohol entwickeln. In Kapitel 12.2 unterscheide ich deshalb Hoffnung, die mit einem bloß spontanen Wunsch einhergeht von Hoffnung auf etwas, an dem uns liegt. Ein Beispiel für letztere wäre die Hoffnung, den Alkoholismus überwinden zu können. 3. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Hoffnung und moralischer Praxis? Tilo Wesche nimmt Bezug auf die weit verbreitete Erfahrung, dass moralisches Handeln in bestimmten politischen Konstellationen wie beispielsweise Diktaturen auf massiven Widerstand stößt und leicht aussichtslos erscheinen kann. Hoffnung beschreibt er entsprechend als ein Phänomen, das »die Kluft

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9 10

11

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Vgl. Kapitel 11.2 in der vorliegenden Arbeit und Schmitz: „Krokodile hoffen nicht. Menschen hoffen.“ Bedeutung und Wert des Hoffens in der menschlichen Lebensform, S. 94. Vgl. ebd., S. 102 und Kapitel 12.4 in dieser Arbeit. Vgl. Tegtmeyer, Henning: Braucht Hoffnung Gründe? Ernst Bloch über das Hoffen als Affekt und Tugend. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2012, S. 48. Vgl. Schmitz: „Krokodile hoffen nicht. Menschen hoffen.“ Bedeutung und Wert des Hoffens in der menschlichen Lebensform, S. 96. Vgl. ebd., S. 95.

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zwischen Moral und Praxis zu überbrücken vermag.« 13 Hoffnung bewahre davor, »moralische Praxis im Ganzen als sinn- und zwecklos zu betrachten.« 14 Dem ist hinzuzufügen, dass für Anhängerinnen und Anhänger bestimmter Moralkonzeptionen Hoffnung auf moralischen Fortschritt nur konsequent ist. 15 4. Gibt es rationales und irrationales bzw. gutes und schlechtes Hoffen? Menschen sind oft sehr vorsichtig und zurückhaltend, wenn es darum geht, jemanden in seinen Hoffnungen zu kritisieren, weil sie befürchten, ihn seiner Hoffnung zu berauben und möglicherweise mitansehen zu müssen, wie er verzweifelt. Gleichwohl sind intentionale Hoffnungen natürlich mit Gründen bzw. Argumenten kritisierbar und darin zeigt sich ihr Rationalitätsbezug. Henning Tegtmeyer sieht in den Bewertungen der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit des Gewünschten den Grund für die jeweilige Hoffnung. 16 So kann es sein, dass eine Person einen mit Hoffnung verbundenen Wunsch hat, deren Realisierung sie für möglich hält, während andere Menschen die Realisierbarkeit anders bewerten. Sie können die Person für ihre Einschätzung der Dinge kritisieren, wie z. B. Gynäkologinnen, die eine Frau darauf hinweisen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht schwanger werden kann. Es ist dann natürlich Sache der Einzelnen, wie sie mit einer solchen Expertenauffassung umgeht. Schließlich gibt es Frauen, die trotz bestimmter Diagnosen schwanger werden und Komapatienten, die allen Prognosen zum Trotz wieder aufwachen. Kritisieren lässt sich Hoffnung jedoch nicht nur im Bezug auf die Möglichkeitsbewertung, sondern auch in praktischer, manchmal fürsorglicher oder paternalistischer Hinsicht: Lehrerinnen kritisieren ihre Schüler vielleicht dafür, dass sie hoffen, mit diesem oder jenem Unsinn bei ihren Mitschülerinnen Eindruck zu machen, anstatt durch Leistungen und gute Kooperation zu überzeugen. Freunde können davor warnen, dass die Hoffnung einen Konflikt durch Wegsehen zu umgehen unangemessen ist usw. Manchmal kann die Kritik an Hoffnungen sinnvoll sein, weil nicht jede Hoffnung gut für uns ist. Gut für uns ist, dass wir überhaupt hoffen, dass Hoffnung für uns also eine Haltung ist. 17 Victoria McGeer vertritt die Auffassung, dass es gute und schlechte Arten des Hoffens gibt. Insbesondere stellt sie zwei Fehlformen des Hoffens heraus: Bei der wunschträumenden Hoff13

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17

Wesche, Tilo: Moral und Glück. Hoffnung bei Kant und Adorno. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2012, S. 49. Ebd. Vgl. Kapitel 13 in der vorliegenden Arbeit. Tegtmeyer: Braucht Hoffnung Gründe? Ernst Bloch über das Hoffen als Affekt und Tugend, S. 48. Vgl. Kapitel 12.4 in der vorliegenden Arbeit.

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nung 18 wird die Verantwortung für das eigene Handeln nicht in angemessener Weise übernommen. 19 Wer beispielsweise hofft, wieder gesund zu werden, aber die empfohlenen Rehabilitationsmaßnahmen nicht umsetzt, muss sich vielleicht auf die Kritik seiner Angehörigen gefasst machen. Beim mutwilligen Hoffen wird die Realisierung bestimmter eigener Hoffnungen zum einzigen Lebensinhalt und man kämpft mit großer Verbissenheit darum. 20 Was McGeer hier beschreibt, lässt sich auch als vermessener, unbändiger Wille charakterisieren. Wenn andere Menschen nur als »Mittel zum Zweck der Verwirklichung der eigenen Ziele« 21 wahrgenommen werden, liegen die Grenzen des Verfügbaren außerhalb der Wahrnehmung. Hoffnung ist also auf vielfältige Weise empfänglich für rationale Kritik, was nicht heißt, dass Hoffende solche Kritik immer hören möchten.

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Roland Bluhm spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von illusorischer Hoffnung. In (Bluhm, Roland: Selbsttäuscherische Hoffnung. Eine sprachanalytische Annäherung. Münster: Mentis Verlag, 2012) arbeitet Bluhm primär die negativen Aspekte der Bedeutung von Hoffnung für das Leben von Menschen heraus. Vgl. McGeer, Victoria: Die Kunst des guten Hoffens. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2012, S. 116. Vgl. ebd. Ebd.