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systematischen Funktion nach eingeführt wird. Die Idee wird sein, dass das. Bild der Form uns erlaubt, die Idee einer konstitutiven und zugleich norma- tiven Bestimmung des Handelns durch die Vernunft in den Blick zu bekom- men: Wie man verstehen kann, dass Handlungen als solche vernünftig sind, sie aber durchaus ...
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Handeln. Zum Formunterschied zwischen theoretischer und praktischer Vernunftausübung Börchers ·

Zum Bild des Menschen als vernünftiges Wesen gehört, dass er sich nicht nur als Denkender, sondern auch als Handelnder versteht. In beiden Tätigkeiten unterscheidet er sich wesentlich von den übrigen Tieren. Der modernen Philosophie ist es jedoch schwer gefallen, diesem Selbstverständnis gerecht zu werden. Ausgehend von einem Verständnis der Vernunft, das sich am urteilenden Denken orientiert, ist sie immer wieder Gefahr gelaufen, das körperliche Handeln nicht als Ausübung der Vernunft, sondern lediglich als bloße Folge einer eigentlichen Vernunftausübung zu beschreiben, die »im Denken« geschieht. In diesem Buch werden zentrale Positionen der Gegenwartsphilosophie (u.a. Brandom, Davidson und Foot) als Stationen einer Gedankenbewegung verstanden, die insgesamt den Ver­such darstellt, eine solche Konsequenz zu vermeiden. Die komplementären Schwierigkeiten, in welche die diskutierten Philosophen dabei immer wieder geraten, werden, einer Überlegung G.E.M. Anscombes folgend, dadurch erklärt, dass sie den Unterschied zwischen der Vernunft des Denkens und der des Handelns als einen des Inhalts und nicht der Form betrachten. Genau einen solchen Formunterschied gilt es aber zu erläutern.

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Fabian Börchers

Handeln

Zum Formunterschied zwischen theoretischer und praktischer Vernunftausübung

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Fabian Börchers · Handeln

Fabian Börchers

Handeln Zum Formunterschied zwischen theoretischer und praktischer Vernunftausübung

mentis MÜNSTER

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort Einbandabbildung: © fotolia.de, designaart

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam, 2011

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem ∞ ISO 9706 und alterungsbeständigem Papier

© 2013 mentis Verlag GmbH Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anne Nitsche, Dülmen (www.junit-netzwerk.de) Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-824-4

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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TEIL I ÜBERLEGUNGEN ZU EINER FORMBESTIMMUNG DER VERNUNFT Kapitel 1 Handlungen als wesentlich Vernünftiges . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 2 Form des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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TEIL II FORM DER PRAKTISCHEN VERNUNFT Kapitel 3 Denken und Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 4 Hume und die Humeaner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

Kapitel 5 Davidson – ein Humeaner? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

Kapitel 6 Der Humeaner, 2. Versuch: Michael Smith . . . . . . . . . . .

215

Kapitel 7 Auf dem Weg zur Form der praktischen Vernunft . . . . .

253

Kapitel 8 Form des Handelns – ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Namensindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung

1.

Zum philosophischen Interesse dieses Buchs

Es ist eine leitende Idee im westlichen Denken über den Menschen, eine Idee, die in ähnlicher Form von Platon, Aristoteles, Kant und Hegel und vielen anderen geteilt wurde, dass der Mensch sich in dem, was er ist und tut, von den Tieren und Pflanzen durch seine Vernunft unterscheidet. Was immer er macht – ob er ein wissenschaftliches Experiment durchführt, Kreuzworträtsel löst, ein Bettgestell baut oder aber einfach nur Geschirr spült oder sich die Zähne putzt –, wir verstehen das spezifisch Menschliche an diesen Tätigkeiten, wir verstehen, inwiefern der Mensch in all diesen Vollzügen Mensch ist, insofern als wir in all diesem Tun Vernunftausübungen zu erkennen bereit sind. In dieser Arbeit möchte ich diese überlieferte Idee aufgreifen und gegen mögliche Missverständnisse verteidigen, und zwar gegen Missverständnisse, die sich daraus ergeben, dass man diese Idee durch ein zu enges Verständnis von Vernunft zu fassen versucht. Insbesondere möchte ich zeigen, dass wir ein volles Verständnis von uns Menschen verfehlen müssen, wenn wir unsere Vernunft nur, oder in erster Linie, im Denken ausgeübt sehen. Denn wenn man die Erläuterung des Menschen auf diese Weise beginnt, wenn man also sagt, dass seine Vernunft dann am besten beschrieben wird, wenn man darlegen kann, was es zum Beispiel heißt, schlüssig zu urteilen, dann wird man immer dazu verleitet, das Handeln, das heißt unser körperliches Tun, nicht mehr als eigentliche Vernunftausübung, sondern vielmehr lediglich als Folge einer Vernunftausübung zu betrachten. Handlungen, auch wenn sie etwas spezifisch Menschliches sind, wären dann nur in einem abgeleiteten Sinn vernünftig. Würde man etwa die Vernünftigkeit einer bestimmten Handlung allein durch diejenigen Überlegungen gegeben sehen, die uns dazu bringen, die Handlung auszuführen, dann wäre der Anteil der Vernunft am Handeln eben mit dem Vollzug dieser Überlegungen erbracht. Was dann weiter passiert, die körperliche Handlung selbst, wäre lediglich ein Anhängsel unserer Vernunft, etwas, von dem wir vielleicht sagen können, dass es in gewisser Weise dem entspricht (oder nicht entspricht), was die Vernunft von uns fordert, aber sie wäre selbst kein vernünftiges Tun, keine Ausübung der Vernunft mehr. Dagegen möchte ich im Folgenden für ein Verständnis des Menschen als Vernunftwesen argumentieren, nach dem die körperliche Handlung selbst als eine Vernunftausübung begriffen werden kann. In all unserem Handeln, das

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Einleitung

ist die These, erweisen wir uns unmittelbar als Menschen. Die Drehung des Handgelenkes, mit der wir den Herd anstellen, wenn sie zum Beispiel im Zuge unserer Handlung des Spaghettikochens geschieht, ist etwas Vernünftiges, sie ist nicht lediglich äußeres Zeichen unserer Vernunft. Die Vernunft, so könnte man das in einer Wendung eines von John McDowell geprägten Wortes ausdrücken, endet nicht irgendwo kurz vor unserer materiellen Auseinandersetzung mit der Welt, sie erstreckt sich über all unser körperliches Tun, sofern wir es im vollen Sinn als Handeln (und nicht etwa als bloßen Reflex oder als automatische Körperfunktion) verstehen können. Das wiederum soll nicht heißen, dass unser vernünftiges Handeln nichts mit dem Denken zu tun hätte. Dass wir zum Beispiel handelnde Wesen sein könnten, ohne zu denken in der Lage zu sein, oder dass wir, in der Spiegelung des gerade verworfenen Ansatzes, als Vernunftwesen zunächst handelnde Wesen und nur in einem späteren Sinn denkende Wesen sind, scheint nur die Umkehrung eines verkehrten Bildes, nicht aber eine plausible Alternative zu sein. Das Menschenbild, für das hier argumentiert wird, ist eines, nach dem wir uns auf zwei gleichrangige, aber notwendig miteinander verbundene Weisen als Menschen erweisen können. Sowohl im Denken als auch im Handeln sind wir im vollen Maße Mensch, aber Menschen sind wir eben nur dann, wenn wir ganze Menschen sind, wenn wir also denken und handeln können. Dass die Vernunftausübung im Handeln, oder die praktische Vernunft, wie man nach Aristoteles zu sagen gewohnt ist, eine Vernunftausübung eigener Art ist, geht damit einher, dass man das Handeln in seiner Vernünftigkeit anders charakterisieren muss als das Denken. Natürlich hängt bei einer solchen Behauptung alles davon ab, was man hier mit »anders« meint. Die grundlegende Überlegung orientiert sich dabei an einer Bemerkung von Elisabeth Anscombe in ihrem bahnbrechenden Buch »Intention«. Sie diskutiert dort in einigen Passagen die aristotelische Idee eines praktischen Schlusses, also einer Überlegung, die direkt in eine Handlung mündet. Von einer solchen Überlegung schreibt sie, dass sie sich von einer gewöhnlichen, also im Sinne der aristotelischen Unterscheidung theoretischen Überlegung nicht durch ihren Inhalt, sondern durch ihre Form unterscheidet. Was Anscombe damit genau meint, bleibt zunächst im Dunkeln, doch zumindest soviel leuchtet ein: Jede theoretische Überlegung handelt von irgendetwas in dem Sinne, dass durch sie zu bestimmen versucht wird, wie es sich mit einer bestimmten Sache verhält. Oder auch: Was für die spezifischen Gegenstände des Denkens wahr ist. Insofern als diese Charakterisierung vollkommen unabhängig davon gegeben werden kann, worüber man gerade nachdenkt, scheint der Wahrheitsbezug des Denkens (ein Wortungetüm, das man ohne weitere Erläuterungen nicht allzu schwer nehmen sollte) nichts zu sein, was die jeweilige Überlegung in ihrer inhaltlichen Spezifik ausmacht, son-

1. Zum philosophischen Interesse dieses Buchs

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dern etwas, was das Denken als solches, wie es bei Kant heißt, charakterisiert. Wäre nun die praktische Überlegung als solche auf die gleiche Weise wie das Denken zu bestimmen, dann könnte es auch in ihr nur darum gehen, herauszufinden, was wahr ist und was nicht. Und dann würde man naheliegenderweise vermuten, dass es in der praktischen Überlegung darum geht, die Wahrheit von handlungsrelevanten Inhalten zu verhandeln – zum Beispiel was in einer bestimmten Situation (in Wahrheit!) getan werden muss. Wäre aber das eine zutreffende Charakterisierung einer praktischen Überlegung, dann wäre deren Sinn und Zweck erfüllt, wenn man tatsächlich herausgefunden hat, was es zu tun gilt. Und wenn man nun weiterhin glaubt, dass die praktische Überlegung eben die Vernunftausübung ist, die uns zum Handeln führt (das ist Aristoteles’ Idee des praktischen Schlusses), dann wäre eben die Vernunftausübung, die uns im Handeln leitet, damit abgeschlossen, dass man eine gewisse Wahrheit festgestellt hat. Und damit landet man wieder bei dem Bild, dass die Handlung selbst nichts anderes als die Folge einer solchen Überlegung sein kann: das, was sich an die Konklusion einer praktischen Überlegung anschließt, die selbst mit einem gewissen Urteil über die rechte Handlung erreicht ist. Der Schritt aber von der Konklusion zur Handlung selbst wäre dann nicht mehr durch die Vernunftbestimmung erfasst: Ob ich mich tatsächlich entsprechend bewege, hätte nichts mehr mit Vernunft zu tun. Dies ist genau das Bild, das ich in dieser Arbeit ablehnen möchte. Will man also die Handlung selbst als Vernunftausübung verstehen, dann darf eine praktische Überlegung (das heißt: die Vernunftausübung, die unser Handeln zu einem vernünftigen macht) nicht in einer Feststellung enden, was wahr ist und was nicht. Eben das bedeutet es, dass sie keine inhaltliche Variante unserer theoretischen Vernunftausübung sein darf. Wahrheit darf das vernünftige Handeln nicht in gleicher Weise dem Ziel nach charakterisieren, wie sie das Denken charakterisiert. Wenn »Form« der traditionelle Gegenbegriff zum Inhalt ist, dann ist es genau das, was Anscombe damit meinen muss, dass die praktische Überlegung sich der Form nach von einer theoretischen Überlegung unterscheidet: Sie darf nicht über den Wahrheitsbezug verstanden werden. Was Anscombes Gegenvorschlag für eine praktische Überlegung wäre, ist wiederum eine komplizierte Frage, der hier nicht im Detail nachgegangen wird – die traditionelle Antwort ist jedoch, dass zur Charakterisierung der praktischen Vernunft ein anderer Leitbegriff herangezogen werden muss: der des Guten. Das Handeln ist danach als solches nicht auf das Wahre, sondern auf das Gute gerichtet. Oder auch: Handeln ist das praktische Anerkennen von etwas als gut. In jeder Handlung streben wir etwas zu erlangen, das wir des Strebens wert betrachten. Was es bedeutet, dass jemand eine bestimmte Handlung vollzieht, verstehen wir genau dann (das heißt wir können in ihm genau dann einen Handelnden erkennen), wenn wir sehen, dass sein Tun auf ein Gut gerichtet ist – geradeso wie wir jeman-

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Einleitung

den genau dann als Urteilenden verstehen, wenn wir das, was er ausdrückt, als auf die Wahrheit bezogen verstehen können. Nichts anderes scheint die alte These von der teleologischen Gerichtetheit des Handelns zu besagen. Es ist einer der zentralen Züge dieser Arbeit, dass sie versucht zu erläutern, wie diese These verstanden werden sollte (und folglich auch: wie sie nicht verstanden werden sollte). Dass wir nämlich in unserem Handeln in einem praktischen Sinn auf das Gute gerichtet sind, darf nicht bedeuten, dass man nicht auch über das Gute nachdenken kann, dass man also seine Handlungen nicht auch im theoretischen Denken – zum Beispiel auch in einer vom konkreten Handlungskontext distanzierten Diskussion – rechtfertigen kann. Und während das noch wie eine Plattitüde klingt, kann man das Problem, das hier lauert, hervorheben, indem man betont, dass das theoretische Nachdenken darüber, was gut ist, nicht vollkommen bedeutungslos dafür sein darf, was man praktisch als gut anerkennt, was man also, in einem Sinn, den es zu erläutern gilt, will. Gerade diesen Zusammenhang droht man aber aus dem Blick zu verlieren, wenn man die Idee eines Formunterschieds von theoretischer und praktischer Vernunft akzeptiert – und damit die Konsequenzen aus den Überlegungen zieht, die ich hier programmatisch sehr kurz skizziert habe. Schließlich ist die Idee von zwei Formen der Vernunftausübung, die jeweils durch die Leitbegriffe des Wahren und des Guten charakterisiert werden, gerade die Idee, dass es zwei grundlegende Weisen gibt, Vernünftigkeit und auch Kohärenz eines Tuns zu bestimmen. Was eine gelungene oder auch misslungene Vernunftausübung im jeweils gemeinten Sinn des Denkens oder Handelns ist, ergibt sich gerade daraus, ob es als (theoretische) Anerkennung der Wahrheit oder als (praktische) Anerkennung des Guten gelungen ist. Daran misst sich jeweils, ob etwas gelungenes Denken oder Handeln ist. Aber wenn durch die Sphären des Guten und des Wahren jeweils die Standards für Korrektheit und Schlüssigkeit erst gegeben sind, dann hat man schlichtweg zunächst nichts an der Hand, um zu sagen, inwiefern es eine Vernunftrelation zwischen diesen beiden Arten von Vernunftausübung gibt. Man meint sicherlich, dass jemand, der etwas als gut beurteilt, dieses auch als Handlungsziel wollen sollte, aber man kann nicht sagen, warum. Damit aber drohte unser Menschenbild zu zerfallen. Denn wenn Denken und Handeln nicht miteinander verbunden sind, wieso sollen wir dann überhaupt in beiden Fällen von Vernunftausübung sprechen? Warum sagen wir nicht einfach, dass der Mensch ein denkendes und handelndes Wesen ist und belassen es dabei – und lassen damit auch offen, ob er nicht, in einer anderen Welt, nur ein denkendes oder nur ein handelndes Wesen hätte sein können. Es ist dieses anscheinende Dilemma – das zwischen einer voreiligen Identifikation der theoretischen und der praktischen Vernunft auf der einen Seite und einem Auseinanderfallen von Denken und Handeln auf der anderen –,

2. Zum argumentativen Vorgehen

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das ich als das Grundrätsel einer reflektierten Handlungstheorie bezeichnen möchte. Eine detaillierte Antwort auf dieses Rätsel bleibt dieses Buch schuldig. Es wird lediglich ein Hinweis auf die Richtung gegeben, in der man nach einer Antwort suchen müsste.

2.

Zum argumentativen Vorgehen

Dass dieser Gedankengang, so wie ich ihn hier präsentiert habe, sich im weiteren Sinn an Aristoteles oder mindestens am »aristotelischen Denken« orientiert, macht bereits deutlich, dass in mancher Hinsicht dieses Buch nicht den Anspruch vertritt, eine neue philosophische Position zu etablieren. Mehr noch: Vieles von dem, was hier gerade skizzenhaft angedeutet wurde, wird in der aktuellen Diskussion auf die ein oder andere Weise relativ breit akzeptiert (was nicht bedeutet, dass es nicht auch heftig bestritten würde): Nur wenige der derzeit prominent diskutierten analytisch geprägten Philosophen werden zum Beispiel behaupten wollen, dass unser Handeln keine eigentliche Vernunftausübung ist und noch weniger werden nahelegen wollen, dass unser Handeln letztlich gar nichts mit unserer Vernunft zu tun hat (das wollte nicht einmal Hume behaupten!). Die These zum Beispiel, dass Denken und Handeln aufeinander angewiesen sind, wird in verschiedenen Variationen von Davidson betont. Dass das Handeln eine eigene Art von Vernunftausübung ist, findet sich als Behauptung genauso bei modernen Aristotelikern (nicht zuletzt bei Anscombe, aber auch bei Kenny und anderen Autoren) wie auch bei Michael Smith und den Vertretern einer an Hume orientierten Motivationstheorie oder bei dem Neopragmatisten Robert Brandom. Der Verweis auf die Leitidee des Guten wiederum wird genauso von konservativen katholischen Anhängern Thomas von Aquins in Anspruch genommen wie von in dieser Hinsicht vergleichsweise unverdächtigen Theoretikern wie wiederum Davidson oder auch Ernst Tugendhat. Wenn es also hier darum geht, die Idee des Menschen als eines auch praktischen Vernunftwesen zu verteidigen, dann bedarf das einer doppelten Erläuterung: Zum einen bedeutet das nicht, dass hier für die Idee einer Bestimmung des Menschen durch die Vernunft positiv argumentiert werden würde, so dass Argumente dafür entwickelt würden, warum die Vernunft ein besseres Kriterium für das Menschsein ist als ein möglicher anderer Kandidat. Dass die Vernunft unser Menschenbild ausmacht, wird im Folgenden vorausgesetzt; das bildet den Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Allerdings ist dieser Ausgangspunkt nicht so gehaltvoll, wie es vielleicht den Anschein hat. Wäre es so, dass man bereits sehr genau verstanden hat, was »Vernünftigkeit« eigentlich bedeutet, unabhängig davon, wie wir unsere menschliche Lebensform verstehen, dann hätte man in der Tat eine gehalt-

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Einleitung

volle These ausgedrückt, wenn man sagt, dass der Mensch eben dasjenige Tier ist, das vernünftig ist. Doch der Zusammenhang zwischen Mensch und Vernunft scheint weniger etwas zu sein, was man zum Beispiel empirisch entdecken könnte (so, dass man irgendwann sagen kann: Jetzt habe ich endlich die Eigenschaft entdeckt, die den Menschen vom Tier unterscheidet! – wäre das die Vorgehensweise des Aristoteles gewesen, hätte er aufwendigere Überzeugungsarbeit leisten müssen), als dass »Vernunft« das Wort ist, das wir verwenden, wenn wir von uns Menschen in Unterschied zu anderen Lebewesen sprechen. Je klarer unser Verständnis des Unterschieds von Mensch und Tier ist, desto klarer ist auch unser Verständnis von Vernunft und umgekehrt. Dadurch ist zunächst einmal noch nichts Bestimmtes dazu gesagt, was man alles für einen Ausdruck von Vernunft hält, ob man zum Beispiel nur die Fähigkeit zum Urteilen dazu zählt oder auch die Art und Weise, wie wir wahrnehmen oder emotional empfinden. Ein reicheres Verständnis der Besonderheit von uns Menschen (was es bedeutet, dass wir etwas wahrnehmen, im Unterschied dazu, dass ein Tier etwas wahrnimmt, oder dass wir zum Beispiel Liebe empfinden, im Unterschied zu der Liebe, die Tiere zu anderen Lebewesen empfinden können) wäre zugleich ein reicheres Verständnis davon, was Vernünftigkeit bedeutet. Anders gesagt: Vernunft ist etwas, das den wesentlichen Unterschied von Tier und Mensch in allen Bereichen, in denen es einen solchen Unterschied gibt, ausmacht. Diese Arbeit ist genau der Versuch, in einem der Bereiche, wo wir einen Unterschied zu machen gewillt sind, dem Handeln nämlich, zu untersuchen, wie dieser Unterschied dort genau verstanden werden kann. Mehr noch: Sofern es also einen Unterschied von Mensch und Tier gibt, so scheint Vernunft die Art und Weise zu sein, wie wir ihnen bestimmen. Das heißt aber auch, dass diese Untersuchung zugleich undogmatisch darin ist, dass sie sich nicht darauf festlegt, dass es notwendig gelingen muss, einen solchen Unterschied auszumachen. Es kann sich herausstellen, dass wir keine kohärente Unterscheidung zwischen vernünftigen Lebewesen und den Tieren zu treffen in der Lage sind. Alles, was hier behauptet wird, ist, dass dann zugleich unser Verständnis von der Besonderheit des Menschen, also unser Begriff vom Menschen, fraglich werden würde. Ein Scheitern des Versuchs, das menschliche Handeln als genuin vernünftig zu verstehen, wäre genau eine solche Erschütterung unseres Menschenbilds. Das ist die erste Weise, wie man die Verteidigung eines Menschenbildes, die ich hier vorhabe, charakterisieren muss: Sie ist explorativ. Sie untersucht dieses Menschenbild in einer ganz bestimmten Hinsicht auf seine Denkbarkeit. Eine zweite Weise hängt mit der ersten zusammen und ist die Folgende: Die Philosophen, die in dieser Arbeit auf unterschiedlich ausführliche Weise besprochen werden (Brandom, Hume, Davidson, Smith, Broome, Kenny und andere), werden (mit der Ausnahme Humes als eines interessanten

2. Zum argumentativen Vorgehen

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Falls) nicht als Gegenposition zu der verteidigten Idee eingeführt. Vielmehr begreife ich sie als Stationen und Wendepunkte einer einzigen zusammenhängenden Gedankenbewegung, welche durch die Schwierigkeiten am Laufen gehalten wird, in die man gerät, wenn man das vernünftige Handeln von einem ganz bestimmten Ausgangspunkt zu begreifen versucht: von einem Vorverständnis des vernünftigen Denkens. Alle hier genannten Philosophen möchten den Menschen auch als praktisches Vernunftwesen beschreiben und alle geraten sie in unterschiedliche, aber auseinander erklärbare Schwierigkeiten. Dabei kommen durchaus überraschende Konstellationen zustande: Eines der Ergebnisse wird sein, dass die Position eines bestimmten eng verstandenen Rationalismus (dass es das Denken ist, das uns zum Handeln führt), effektiv identisch ist mit der von David Hume, die häufig als deren Gegenteil beschrieben wird (man denke an seine Äußerung zum Verstand, der »Sklave der Leidenschaften« ist und sein muss). Ein anderes, allerdings schon mehrfach formuliertes Ergebnis wird sein, dass der moderne »Humeaner« (z. B. Michael Smith und Anhänger) sich radikal darin von David Hume unterscheidet, dass er eigentlich ein sich selbst missverstehender Aristoteliker ist. Manche Aristoteliker hingegen (Quinn, Foot, Kenny), das ist ein drittes Ergebnis, nähern sich in Reaktion auf die Humeaner wiederum einer Position an, die in mancher Hinsicht der des engen Rationalisten und damit der David Humes gleicht oder jedenfalls zu gleichen droht. Und jede dieser Wendungen geschieht in einer gewissen Konsequenz, die sich erkennen lässt, wenn man versteht, warum die vorangegangene Position eben die Stellung bezogen hat, durch die sie definiert wird. Wenn ich in dieser Arbeit das Bild von einer genuin praktischen Vernunft zu verteidigen versuche, dann indem ich zeige, wie sich aus den Wendungen dieser Gedankenbewegung ein möglicher Ausgang ableiten lässt. Diese Gedankenbewegung wird in dem folgenden Text in zwei Teilen über insgesamt acht Kapitel verfolgt. Im ersten, deutlich kürzeren Teil wird dabei die Grundlage für die ausführlichen Untersuchungen zu philosophischen Handlungskonzeptionen im zweiten Teil gelegt und deren Ausgangsposition motiviert. Die Grundlage wird gelegt, indem im ersten Kapitel das Denkbild der Form, das die spätere Untersuchung, insbesondere in der Idee eines Formunterschieds zwischen Denken und Handeln, prägen wird, seiner systematischen Funktion nach eingeführt wird. Die Idee wird sein, dass das Bild der Form uns erlaubt, die Idee einer konstitutiven und zugleich normativen Bestimmung des Handelns durch die Vernunft in den Blick zu bekommen: Wie man verstehen kann, dass Handlungen als solche vernünftig sind, sie aber durchaus auch unvernünftig sein können. Der Ausgangspunkt für die weitere Diskussion wird dann motiviert, indem im zweiten Kapitel das Denkbild der Form durch Überlegungen Kants und Freges zum Status der Logik als beschäftigt mit (wie Kant es sagt) der »bloßen Form« des Denkens

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Einleitung

erläutert wird. Dies führt dann direkt zu der Frage, ob man durch das Verständnis der Logik des Denkens zugleich die Vernunft des Handelns seiner Form nach verstanden hat. Im längeren zweiten Teil geht es dann darum, von dieser Ausgangsfrage aus langsam eine Vorstellung zu entwickeln, wie eine befriedigende Antwort auf diese Frage aussehen könnte. Wer nur an diesen detaillierteren Diskussionen interessiert ist, kann also auch bei Kapitel 3 in die Diskussion einsteigen, in der das zentrale Problem der Arbeit definiert wird: Wie kann man die Idee einer Vernunftausübung verstehen, welche die tatsächliche Handlung in sich aufnimmt? Die übrigen diskutierten Positionen werden so interpretiert, dass sie auf dieses Problem reagieren: Hume, indem er schlichtweg die Idee einer praktischen Vernunft leugnet (Kapitel 4), die anderen Positionen, indem sie versuchen, die Idee der praktischen Vernunft über die mal mehr, mal weniger offensichtlich von Hume übernommene Konzeption eines Wollens zu verstehen, das unser Handeln leitet. Dieses Wollen wird nun unterschiedlich interpretiert: Entweder als eine Form von Werturteil (so z. B. letztlich Davidson – Kapitel 5) oder als eine besondere Art von Zustand, der unseren Überzeugungen seiner »direction of fit« nach, das heißt in seinem Passungsverhältnis zur Welt, entgegengesetzt ist (Smith und Broome – Kapitel 6,7). Alle diese Vorschläge lassen sich so lesen, dass sie etwas Richtiges sagen wollen, jedoch ihr Ziel verfehlen oder zumindest so verstanden werden können, dass sie es verfehlen. Wer das Wollen als Werturteil beschreibt, muss sagen, inwiefern ein Werturteil etwas anderes ist als ein gewöhnliches Urteil (tut er das nicht, hat er ein Problem – siehe Kapitel 3). Wer die Unterscheidung von einem unterschiedlichen Gerichtetsein auf die Welt im Urteilen im Gegensatz zum Wollen vornimmt, muss in der Lage sein, diese Unterscheidung genau zu erläutern. Macht er das rein funktionalistisch wie Smith, dann droht er die Unterscheidung zu Humes Position zu verwischen (Kapitel 6). Macht er das über die Idee einer spiegelbildlichen Orientierung auf die Wahrheit (Urteilen = als wahr annehmen, Wollen = wahr machen), dann muss er erklären, inwiefern man überhaupt auf unterschiedliche Weise auf die Wahrheit gerichtet sein kann und inwiefern eine solche Rede noch erläuternde Funktion hat und nicht einfach das reformuliert, was es erläutern soll (Kapitel 7). Das Ergebnis wird schließlich sein, dass, wenn man eine befriedigende Interpretation der Idee eines praktischen Urteils oder eines praktischen Gerichtetseins auf die Welt geben will, man zur Erläuterung auf einen anderen Leitbegriff zurückgreifen muss als auf den der Wahrheit: nämlich auf den des Leitbegriff Guten. Dann aber hat man genau jene Schwierigkeit, Denken und Handeln noch als Einheit zu begreifen, die ich oben bereits eingeführt habe (Kapitel 8). Die Überlegung dieser Arbeit beginnt also mit dem Problem der praktischen Unvernunft, indem in Kapitel 1 gefragt wird, wie wir zugleich vernünftig und unvernünftig sein können und führt, auf eine transformierte Weise, zum Problem der Unver-