Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit aus ...

Universität Potsdam. Hertie School of Governance. Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). European University Institute.
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Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit aus außenpolitischer Perspektive Rede zum Auftakt der Eröffnungskonferenz des Sonderforschungsbereiches (SFB) 700 „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ Georg Boomgaarden

SFB-Governance Lecture Series • Nr. 2 • März 2007 DFG Sonderforschungsbereich 700 Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit - Neue Formen des Regierens? DFG Research Center (SFB) 700 Governance in Areas of Limited Statehood - New Modes of Governance?

Assessing the Contribution of International Actors in Afghanistan Results from a Representative Survey Jan Koehler/Christoph Zürcher

SFB-Governance Working Paper Series • No. 7 • October 2007 DFG Sonderforschungsbereich 700 Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit - Neue Formen des Regierens? DFG Research Center (SFB) 700 Governance in Areas of Limited Statehood - New Modes of Governance?

Auf der Suche nach Sicherheit Die internationale Intervention in Nordost-Afghanistan Jan Koehler

SFB-Governance Working Paper Series • Nr. 17 • November 2008 DFG Sonderforschungsbereich 700 Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit - Neue Formen des Regierens? DFG Research Center (SFB) 700 Governance in Areas of Limited Statehood - New Modes of Governance?

SFB-Governance Working Paper Series Herausgegeben vom Sonderforschungsbereich (SFB) 700 „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit - Neue Formen des Regierens?“ Die SFB-Governane Working Paper Series dient der Verbreitung erster Ergebnisse von laufenden Forschungsvorhaben zum Austausch von Ideen und der Anregung wissenschaftlicher Diskussion. Die Aufnahme eines Textes in diese Reihe soll die Veröffentlichung an anderer Stelle nicht einschränken. Das Copyright verbleibt bei den Autorinnen und Autoren. Copyright für diese Ausgabe: Jan Koehler Redaktionelle Unterstützung und Produktion: Moritz Konradi/Christine Rollin Alle Arbeitspapiere der Reihe können kostenlos von unserer Webseite www.sfb-governance.de/publikationen heruntergeladen oder als gedruckte Version per Mail an [email protected] bestellt werden.

Koehler, Jan 2008: Auf der Suche nach Sicherheit. Die internationale Intervention in Nordost-Afghanistan, SFB-Governance Working Paper Series, Nr. 17, DFG Sonderforschungsbereich 700, Berlin, November 2008. ISSN 1864-1024 (Internet) ISSN 1863-6896 (Print) Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich 700 Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit – Neue Formen des Regierens entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt.

DFG Sonderforschungsbereich 700 Freie Universität Berlin Alfried-Krupp-Haus Berlin Binger Straße 40 D-14197 Berlin Tel.: +49-30-838 58502 Fax: +49-30-838 58540 E-Mail: [email protected] Web: www.sfb-governance.de

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Auf der Suche nach Sicherheit. Die internationale Intervention in Nordost-Afghanistan. Jan Koehler

Zusammenfassung Das vorliegende Arbeitspapier untersucht Wirkungszusammenhänge von transnationalen Konstellationen staatlicher und nicht-staatlicher Akteure mit der Erzeugung von Sicherheit sowie Entwicklung als Governance-Leistung in Nordost-Afghanistan. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Frage, wie die afghanische Bevölkerung Veränderungen der eigenen Sicherheit sowie lokale Entwicklungsherausforderungen über die letzten Jahre wahrgenommen hat. Das Papier besteht aus zwei Teilen. Zunächst erläutert der Autor im Rahmen einer Fallstudie die relevanten internationalen, nationalen und lokalen Akteurskonstellationen in der Zielregion und bettet die Ergebnisse der quantitativen Befragungen ein in den Kontext der qualitativen Untersuchungsergebnisse zu lokalen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Anschließend wird detailliert das methodische Vorgehen erläutert, welches auf kreuzperspektivischer Analyse der quantitativ und qualitativ erhobenen Daten gründet. Die Analyse zeigt, dass im heutigen Afghanistan Sicherheit und Entwicklung als Ergebnis transnationaler Governance entstehen können. Diese Governance-Leistungen sind auf die lokale Ebene beschränkt; sie erreichen nicht die regionale oder gar die nationale Ebene. Die Untersuchung zeigt allerdings auch, dass transnationale Governance-Leistungen im Unterschied zur strategischen Zielsetzung der internationalen Interventen gerade die nationalen und sub-nationalen staatlichen Institutionen schwächen und deren Legitimität beeinträchtigt, die durch die Intervention aufgebaut und gefestigt werden sollen.

Abstract This Working Paper addresses the issue of security governance in North-Eastern Afghanistan. It deals with the impact transnational constellations of state and non-state actors have on governance outputs regarding security and development. Moreover, it tries to assess the way the Afghan population perceives security and development challenges in recent years. The Working Paper proceeds in two steps: The first part, the case study, maps the relevant international, national and local actors in the target region and explains the results of a quantitative survey against the findings of qualitative research on local societal and political dynamics. The second part discusses the methodological approach in detail, which is based on triangulation of data generated from quantitative sampling and qualitative field research. The analysis shows that security and development in contemporary Afghanistan may result from transnational governance. These governance outputs are local, i.e. confined to districts and provinces rather than regions or the national level. Transnational governance outputs, however, may in fact weaken governance provided by national and sub-national state institutions. Thus, the international community‘s strategy for Afghanistan, which aims at consolidating Afghan institutions and strengthening their legitimacy, may collide with its impact on the ground.

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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung

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2. Fallstudie

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2.1 Ergebnisse 2.1.1 Gewaltfähige Akteure und institutionelle Rahmenbedingungen

9 10

Internationale Ebene: Militärische und zivile Intervention

12

Nationale Ebene: Der Staat

13

Lokale Ebene: Gesellschaft und lokale Selbstregierung

16

2.1.2 Baseline-Umfrage und gesellschaftlicher Kontext

18

Sicherheit

18

Entwicklung

30

3. Fazit

37

Annex: Datengrundlage und methodisches Vorgehen

41

1. Fallauswahl

41

2. Erhebung von Basisdaten

44

2.1 Baseline-Umfrage

44

2.2 Profile

45

2.3 Aidcount und Incidentmapping

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3. Verlaufsbeobachtung

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Karte der untersuchten Provinzen

50

Literatur

51

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Abkürzungen ACSP

Afghanistan Country Stability Picture

AIMS

Afghanistan Information Management Service

ANDS

Afghan National Development Strategy

ANP

Afghan National Police

ANSO

Afghanistan NGO Security Office

CDC

Community Development Council

CFA

Child Fund Afghanistan

CIMIC

Civil-Military Cooperation

CNPA

Counter Narcotics Police Afghanistan

CoAR

Coordination of Afghan Relief

DDR

Disarmament, Demobilisation and Reintegration of Former Combatants

DIAG

Disbandment of Illegal Armed Groups

DWHH

Deutsche Welthungerhilfe

ESP

Ernährungssicherungsprogramm

FAO

Food and Agriculture Organisation

GIS

Geoinformationssystem

GTZ

Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit

I-ANDS

Interim Afghan National Development Strategy

IDLG

Independent Directorate for Local Governance

ISAF

International Security Assistance Force

IWF

Internationaler Währungsfond

JCMB

Joint Coordination and Monitoring Board

KRBP

Kunduz River Basin Program

LOC

Line of Communication

MDG

Millennium Development Goals

MRRD

Ministry of Rural Rehabilitation and Development

NSP

National Solidarity Program

OEF

Operation Enduring Freedom

PDF

Provincial Development Fund

PRSP

Poverty Reduction Strategy Paper

PRT

Provincial Reconstruction Team

RCN

Regional Command North

SAP

Strukturanpassungsprogramm

SRL

Sustainable Rural Livelihood [Approach]

TOR

Terms of Reference

UNAMA

United Nations Assistance Mission in Afghanistan

UNDP

United Nations Development Program

UNF

United National Front

UNHCR

United Nations High Commissioner for Refugees

USAID

United States Agency for International Development

WB

Weltbank

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1. Einleitung Das vorliegende Arbeitspapier soll anhand einer Fallstudie zur Klärung der Frage beitragen, welche Wirkung die Arbeit internationaler Sicherheits- und Entwicklungsakteure in Afghanistan hat und wie sich diese Wirkung im Zusammenspiel mit relevanten nationalen, regionalen und lokalen Akteuren gestaltet. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie sich solche transnationale Konstellationen staatlicher und nicht-staatlicher Akteure aus afghanischer Perspektive auf die Sicherheitslage und Entwicklungschancen der Lokalgesellschaft auswirken. Um zu klären, wie die Afghanen die erzielten Resultate beurteilen und ob sich aus dieser Beurteilung Rückschlüsse auf das Ansehen und die Legitimität der internationalen Präsenz sowie der durch die internationalen Kräfte gestützten neuen staatlichen Institutionen ergeben, hat das mit Afghanistan betraute Forschungsteam des Sonderforschungsbereich (SFB) 700 ein methodenpluralistisches Vorgehen entwickelt. Mit unterschiedlichen qualitativen und quantitativen Methoden werden in einem überschaubaren geografischen Rahmen gesellschaftliche Dynamiken über Zeit beobachtet und unter Berücksichtigung der Interpretationen und Wertungen der Lokalgesellschaft analysiert. Dieses Vorgehen beinhaltet sowohl statistisch ausgewertete Haushaltsbefragungen als auch teilstrukturierte sowie offene systematische Prozessbeobachtungen in 80 Gemeinden, die in den Provinzen Kunduz und Takhar im Nordosten Afghanistans ausgewählt wurden. Das Arbeitspapier teilt sich in einen ethnografisch-analytischen und einen methodischen Teil. Zunächst werden die schon anderwärtig publizierten Ergebnisse der ersten Umfrage (Zürcher et al. 2007; Koehler/Zürcher 2007a) rekontextualisiert, also in der lokalen institutionellen Landschaft und innerhalb der lokal relevanten transnationalen Akteurskonstellationen verortet. Vorweg soll der Forschungskontext kurz umrissen werden. Anschließend werden die verschiedenen Methoden, die im Rahmen des kreuzperspektivischen methodologischen Vorgehens (dazu Elwert 2002) zur Anwendung kommen, detailliert erläutert.

Forschungskontext Die Gewährleistung von Sicherheit gilt für den Erfolg von Friedensmissionen als zentral. Keine Sicherheit ohne Entwicklung und keine Entwicklung ohne Sicherheit wird für die doppelgleisige Strategie der Bundesregierung im Afghanistankonzept 2007 als Devise ausgegeben (Bundesregierung 2007: 4, 11). Dabei steht der Aufbau von Staatlichkeit als berechenbare institutionalisierte Herrschaft in Räumen, denen der Leviathan abhanden gekommen ist (oder in denen er nicht Fuß gefasst hat), im Vordergrund (Wimmer/Schetter 2002). Was dabei Sicherheit ausmacht und wer Sicherheit produziert bzw. konsumiert, ist im Rahmen von solchen Interventionen nicht eindeutig festgelegt. Der Begriff „Sicherheit“ kann  Die Untersuchungen werden von einem Forschungsteam der Freien Universität Berlin, Sonderforschungsbereich 700, in Kooperation mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Referat Evaluierung, durchgeführt. Näheres zum methodenpluralistischen Vorgehen im Rahmen des Kooperationsvorhabens findet sich auch in Zürcher/ Koehler (2007).  Vgl. auch Government of Afghanistan (2005: 9), wo die Regierung Afghanistans erklärt: „Development without security is unachievable, and security without development is meaningless“.  Dieser Prioritätensetzung entspricht auch der Bonn-Prozess, der auf dem so genannten Petersberger Abkommen aufbaut und einen Fahrplan für die Schaffung grundlegender staatlicher Institutionen in Afghanistan vorsah (siehe UN 2001).

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die Selbstsicherung der Interventen, z.B. die Schaffung eines sicheren Umfeldes für Entwicklungs- und Wiederaufbaumaßnahmen, meinen, er kann auf die Stabilisierung von staatlicher Herrschaft abzielen, oder er kann nachfrageorientiert den Schutz der von kollektiver Gewalt bedrohten Bevölkerung relevant setzen. Diese Konnotationen des Begriffs sind unter Interventionsbedingungen in Kriegsgebieten nur schwer zur Deckung zu bringen: Der Selbstschutz der Interventen kann die Autorität nationaler Herrschaft untergraben und im Falle von militärischem Selbstschutz zum Sicherheitsproblem für die lokale Bevölkerung werden; Stabilisierung von staatlicher Herrschaft kann im Falle korrupter oder repressiver Regierungsführung zum Sicherheitsproblem sowohl der Interventen, als auch der eigenen Bevölkerung werden; und separat hergestellte Sicherheit von Lokalgesellschaft kann, sofern sie aus eigener Kraft oder durch staatsferne lokale Akteure erwirkt wird, Feindseligkeit gegenüber der Einmischung des Staates oder der Interventen in lokale Angelegenheiten nach sich ziehen. Im Falle von Afghanistan treffen die westeuropäischen und nordamerikanischen Interventionsmächte in dem Versuch, den Staat als oberstes politisches Ordnungsprinzip wieder herzustellen und seine Geltungsmacht durchzusetzen, auf kulturell fremde und staatlichen wie internationalen Interventionen gegenüber misstrauisch, mitunter feindselig eingestellte Lokalgesellschaften. Gleichzeitig bieten die gestürzten Taliban mittelfristig eine islamistische Alternative zum entstehenden Nationalstaat an. Kurzfristig stellen sie in den von ihnen dominierten Landesteilen funktionale Äquivalente staatlicher Kernfunktionen in den Bereichen Sicherheit (Gewaltkontrolle), Recht (Verhandlung von Konflikten und Durchsetzung von Entscheidungen) und materielle Reproduktion (Schutz und logistische Unterstützung des lokal dominanten Opiumanbaus, Heroinherstellung und Drogenfernhandels) her. Da der Kampf um politische Gestaltungsmacht in Afghanistan sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene asymmetrisch geführt wird, spielen technische und militärische Überlegenheit und in bezifferbaren Leistungen gemessene Entwicklungserfolge für den Erfolg der konkurrierenden Parteien eine geringere Rolle. Wichtiger ist die Fähigkeit, die eigene Interpretation von Zuständen und Prozessen glaubwürdig zu kommunizieren. Damit stehen die Interventionsmächte, zusammen mit der von ihnen gestützten afghanischen Regierung, in direkter Konkurrenz mit den militanten staatsfeindlichen Kräften um Herzen, Köpfe und Bäuche der afghanischen Bevölkerung.

 Zu Sicherheitsbegriffen, die es im afghanischen Interventionskontext zu differenzieren gilt, siehe Daxner et al. (2008: 35-36); zu Sicherheit als sicheres Umfeld für Interventen und entstehende staatliche Herrschaftsorganisationen ISAF PRT Office (2006a: 10); zu Sicherheit als Schutzverantwortung (der Intervenierenden sowie des intervenierten Territorialstaates) siehe von Schorlemer (2007); für den afghanischen Kontext auch Oxfam (2008: 16-18).  Chojnacki und Branović stellen dem radikal gewaltoffenen Raum des Gewaltmarktes (Elwert 1997) drei qualitativ nach Anbietern und Nachfragenden differenzierte Sicherheitsvarianten gegenüber: Sicherheit als öffentliches Gut, Sicherheit als Pool-Gut, und Sicherheit als privates Gut. Bei humanitären (Kosovo) bzw. staatsgründenden (Afghanistan) Interventionen in gewaltoffenen Räumen geht es im Kern darum, Sicherheit zu verallgemeinern, also aus einem privaten bzw. Pool-Gut ein öffentliches Gut zu machen - dem Prozess entsprechend, der von Chojnacki und Branović etwas umständlich als „Ver-Governance-ung“ bezeichnet wird (Chojnacki/Branović 2007: 195).  Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die Neuauflage des Verhaltenskodex (layeha) der Mujaheddin durch den Taliban-Führungsrat in 2006, der Rechte und Pflichten der Taliban gegenüber der Lokalbevölkerung festlegt. Siehe dazu Gehringer (2006).  Für eine Diskussion der Rolle, die latente Formen von Macht in asymmetrischen Konflikten spielen, siehe Lukes (2005).  Anhand von so genannten schwachen Staaten in Südostasien analysieren Clements et al. (2007) das Dilemma, das sich ergibt, wenn weberianische Vorstellungen autonomer (also von gesellschaftlichen Institutionen abgekoppelter) Staatlichkeit im Rahmen von externem State-Building auf real existierende hybride politische Ordnungen aus etwas Staat, etwas traditioneller Ordnung und etwas neuer Nicht-Regierungs-Ordnung (hier einschließlich privater Gewalt- und Rechtsorganisationen) trifft. Die Autoren leiten aus ihrer Analyse die Forderung ab, hybride politische Ordnungen nicht als einen Übergangszustand vor oder

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Die Frage, wie die Bevölkerung die Entwicklung der Sicherheitssituation wahrnimmt und ob sie wahrgenommene Entwicklungen in einen kausalen Zusammenhang mit der zivil-militärischen Intervention bringt, ist deswegen von zentraler Bedeutung. Der Erhalt bzw. die Gewinnung von Akzeptanz der militärischen wie zivilen internationalen Präsenz unter relevanten – also meinungsbildenden oder anderwärtig einflussreichen – Zielgruppen in der Bevölkerung hat strategische Bedeutung. In Afghanistan soll Akzeptanz in der Breite vor allem über verbesserte Sichtbarkeit der nationalen wie internationalen Anstrengungen und eine Friedensdividende, die mit zivilen Instrumenten der Civil-Military Cooperation (CIMIC), der Nothilfe und der langfristigeren Entwicklungszusammenarbeit angestrebt wird und von der Bevölkerung klar zugeordnet werden kann, erreicht werden (siehe NATO 2007; Bundesregierung 2007). Entwicklung schafft unter Bedingungen komplexer Interventionen aber nicht zwingend mehr Akzeptanz und ist nicht automatisch förderlich für nachhaltige Sicherheit.10 Entwicklungsinterventionen zielen auf wesentliche Veränderungen ab, die über einen konditionalen11 Transfer von Ressourcen, Techniken, Normen und Spielregeln in den gesellschaftlichen Subsystemen Politik (vor allem good governance, Sicherheitssektorreform, Rechtsstaatlichkeit), Wirtschaft (z.B. nachhaltige Wirtschaftsförderung, Wasserbau und erneuerbare Energien) und Soziales (z.B. Bildung, Frauenförderung, Krisenprävention und Konfliktbearbeitung) erwirkt werden sollen. Die durch Entwicklungszusammenarbeit angestrebten Veränderungen sind nicht nur umfassend;12 sie setzen auch einen Grad gesellschaftlicher Differenziertheit in funktional getrennte Teilsysteme voraus, die in von Konflikten zerrissenen Ländern wie Afghanistan nicht gegeben ist.13 Deshalb wurde nach der militärisch erfolgreichen Intervention von 2001 als oberste Priorität die nach dem Staatszerfall zu sehen, sondern als ein Phänomen gesellschaftlicher Ordnung, dass zum weberianischen Territorialstaat funktionsäquivalente Governance-Formen hervorbringen kann und potenziell zu neuen Formen von Staatlichkeit führen wird (ähnlich argumentiert von Trotha, wenn er Parastaatlichkeit und konzentrische Ordnung im afrikanischen Kontext erläutert, allerdings ist er pessimistischer, was Funktionsäquivalente für Rechtstaatlichkeit und Gewaltmonopol angeht; siehe von Trotha 2000). Während diese Analyse überzeugt, ist doch die abgeleitete Handlungsempfehlung an externe Staatskonstrukteure, ihre Interventionen schon jetzt auf die Erschaffung dieses neuen hybriden Staatswesens umzustellen, etwas abenteuerlich.  Daxner et al. beobachten hierzu: „Es ist die Crux von humanitären Interventionen nach dem Ende der Blockkonfrontation, dass humanitäre und militärische Komponenten immer enger verknüpft werden und auch verknüpft sein müssen, um nachhaltig positive Ergebnisse erzielen zu können. […] [Die Konflikte] haben sich [gewandelt], die mit Interventionen bearbeitet werden sollen und sind mit dem klassischen Peacekeeping-Modell nicht mehr zu regeln“ (2008: 27). 10 Aufschlussreich hierzu ist die neuere Diskussion um eine Soziologie von Interventionsgesellschaften, die in Anlehnung an Pierre Bourdieus ethnografische Methode des Erfassens von Kontinuität und Wandel in extern induzierten gesellschaftlichen Umbrüchen (Modernisierung, Kolonialisierung) gegenwärtige Interventionen als umfassende Gesellschaftstransformationsprojekte begreift und analysiert (siehe Free 2008). 11 Konditionalität ist für einige Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) explizit gefordert – wie z.B. für Strukturanpassungsprogramme (SAP) und Armutsbekämpfungsstrategien (PRSP) von Weltbank (WB) und Internationalem Währungsfond (IWF). Doch auch dort, wo Konditionalität verneint wird, sind erbrachte Leistungen immer an einzuhaltende Standards und Rahmenbedingungen gekoppelt, die von der Geberseite gesetzt werden. 12 Die Interim Afghan National Development Strategy (I-ANDS) stellt unter „The Government’s Vision for Afghanistan” fest: „Today Afghanistan is trapped in a circle of injustice. We produce little and so far lack the means to produce more. We devote much of our existing productive capacity to either illegal (drug related) or economically unsustainable activities (due to dependence on aid). Drugs subvert governance, while aid dependence may leave our institutions weak. Without good governance and justice, we cannot assure the security of the people. […] Over the next 15 years we aim to transform this circle of injustice into a circle of justice through the ANDS, the Afghanistan Compact, and achievement of our MDGs” (Islamic Republic of Afghanistan 2006a: 15). Das Strategiepapier arbeitet den anvisierten gesellschaftlichen Transformationsprozess für die funktionalen Sphären „Sicherheit”, „Governance, Rule of Law and Human Rights“ und „Economic and Social Development“ aus. 13 Zu den wiederholt gescheiterten Versuchen von König Ahmanullah (1919-29) über Daud Khan (zunächst als Premierminister unter König Zahir Shah, 1973-78 nach seinem Putsch als Präsident) bis zur kommunistischen Herrschaft nach 1978, Modernisie-

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funktionale Trennung dieser Bereiche über den institutionellen Aufbau von moderner Staatlichkeit im Rahmen des Bonn-Prozesses auf Grundlage des Petersberger Abkommens betrieben (dazu auch Fn. 3). Die Neuverfassung fragmentierter Gesellschaften über moderne Institutionen staatlicher Herrschaft ist nach theoretischer Erkenntnis und empirischer Erfahrung ein radikaler und konfliktvoller Prozess, der gegen bestehende lokale Ordnungselemente antritt und für eine Vielzahl der betroffenen gesellschaftlichen Akteure zumindest kurzfristig mehr Unsicherheit als Sicherheit bedeuten kann.14 Es sind damit empirisch zu klärende Fragen, ob komplexe Interventionen mit militärischer und ziviler Komponente im Zusammenspiel mit den entstehenden staatlichen Institutionen und den lokal vorhandenen, gesellschaftlichen Ordnungselementen zu einer Verstetigung von Sicherheit als zentraler Governance-Leistung beitragen und wer auf welche Weise an der Erbringung und am Konsum von Sicherheit beteiligt ist.

2. Fallstudie Ich will nun der Wirkung transnationaler Akteurskonstellationen auf Sicherheit und Entwicklung im Rahmen komplexer Interventionen anhand eines konkreten, territorial und zeitlich eingegrenzten Fallbeispieles in Nordost-Afghanistan nachgehen. Dabei ist von vornherein zu berücksichtigen, dass die auf diachronischen Methoden basierende Analyse zu dem Zeitpunkt, als dieses Papier geschrieben wurde, noch nicht abgeschlossen war, und die hier präsentierten Ergebnisse somit als Zwischenergebnisse zu gelten haben. Trotzdem lassen die abgeschlossene Basiserhebung und die bisher geführten Interviews und Feldbeobachtungen eine Reihe von empirisch begründeten Rückschlüssen zur Diskussion um Sicherheit und Entwicklung unter Bedingungen komplexer Interventionen in institutionell schwach verfassten Staaten zu. Eine ausführliche Vorstellung der verwendeten Methoden findet sich im Abschnitt „Datengrundlage und methodisches Vorgehen“ im Annex dieses Papiers.

2.1 Ergebnisse Auf den folgenden Seiten werden Zwischenergebnisse zur Wirkung der komplexen Intervention auf Sicherheit und Entwicklung im Untersuchungsgebiet vorgestellt. Ich werde zunächst die institutionelle Landschaft skizzieren, in der sich sicherheits- und entwicklungsrelevante Akteure bewegen, und diese Akteure in dieser Landschaft verorten. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse der Baseline-Befrarung im Sinne funktionaler Differenzierung durch staatlich betriebene gesellschaftliche Reformen voranzutreiben, siehe Rubin (2002: 5-15, 53 ff.). Cramer/Goodhand (2002) analysieren Afghanistans spezielles historisches Verhältnis zu Staatlichkeit, das sich seit den Anfängen als Stammeskonföderation unter Ahmed Shah Durrani (1747-72) zwar nie zum modernen (hier: autonomen, nach innen und außen wirklich souveränen) Territorialstaat einwickelt hat, aber doch über längere Phasen stabile politische Ordnungsmuster hervorgebracht hat, welche auf modernen staatlichen und traditionell-gesellschaftlichen herrschaftsrelevanten Institutionen fußten (also im Sinne von Clements et al. (2007) hybrid waren; siehe auch Fn. 8). 14 Der Klassiker zur Interdependenz zwischen Gewalt und der Herausbildung von Institutionen staatlicher Herrschaft ist Tilly (1985). Untersuchungen zur jüngeren Dynamik von Gewalt und Staatlichkeit vgl. Koehler/Zürcher (2003); Zürcher (2007: Kapitel 8, 209 ff.). Für Afghanistan sprechen Daxner et al. (2008: 29) sehr deutlich von einem notwendigen „Krieg um die Herstellung eines Gewaltmonopols, das heißt einen inner-afghanischen Krieg gegen Kriegsherren, Milizen, Behördenwillkür, gegen die alten stammesrechtlichen Regionalismen, gegen abgestandene Männerherrschaft […]“.

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gung zum Thema Sicherheit und Entwicklung vorgestellt. Diese statistischen Ergebnisse werden dann in einem dritten Schritt rekontextualisiert, also im Rahmen der qualitativ erfassten Lebensumstände der Akteure15 interpretiert.

2.1.1 Gewaltfähige Akteure und institutionelle Rahmenbedingungen Interessiert man sich wissenschaftlich, wie viele Afghanen aus ganz pragmatischen Gründen, für physische Sicherheit als Funktion der gesellschaftlichen Eindämmung von Gewaltoptionen in der alltäglichen Interaktion zwischen Menschen, dann stehen Durchsetzungsmacht und Institutionen als zwei fundamentale Prinzipien sozialer Ordnung im Mittelpunkt der Betrachtungen. Oder genauer: Die Durchsetzungsmacht von gewaltfähigen Akteuren und die institutionelle Verregelung und Eindämmung eben dieser Durchsetzungsmacht. Als schutzbedürftiger Dorfbewohner wäre es töricht, sich in seinen Absicherungsbemühungen nur für die Durchsetzungsgewalt eines Schutz versprechenden Akteurs zu interessieren, weil diese Gewalt ohne in zuverlässige Regeln eingebettet zu sein keinen brauchbaren Schutz liefert und jederzeit in existenzielle Bedrohung umschlagen kann. Genauso töricht wäre es, sich auf das Schutzversprechen einer Institution einzulassen, die vielleicht anerkannten symbolischen Wert hat, wie Ältestenräte, oder international als zuständige Institution angesehen wird, wie der Staat, wenn diese keine Institution im eigentlichen Sinn ist, weil die Regeln, die sie vertritt, keinerlei durchgesetzte Geltung haben – die Norm also nicht sanktionsbewährt ist.16 Vollkommen willkürliche Gewalt und zahnlose Folklore taugen nicht für Sicherheit im Sinne von Schutz vor willkürlicher Gewalt als Grundlage jeder Planungssicherheit zur Meisterung des Alltages.17 Dieses Dilemma will ich exemplarisch anhand eines fiktiven Gutsbesitzers18 im paschtunischen Dorf Chinzai19 verdeutlichen, der gute Beziehungen zu den Taliban gepflegt hatte, nach der US-geführten Invasion nach Pakistan fliehen musste und nun im Rahmen des staatlichen Amnestie- und Reintergrationsprogramms für Taliban Takim-e solh zurück nach Takhar gekommen ist. Takim-e solh (also eine zentralstaatliche Institution) hat die Rückkehr ermöglicht und verhindert, dass ehemalige Taliban von Gewaltakteuren der Nordallianz willkürlich mit staatlichen Mitteln verfolgt werden können. Dieser Umstand löst aber nicht das Problem, dass dem für mehrere Jahre kollektiv vertriebenen Dorf Land und Weidegründe abhanden gekommen sind (die sie sich teilweise unter Talibanherrschaft auf Kosten weniger loyaler Nachbargemeinden angeeignet hatten) und das Dorf ein bevorzugtes Ziel von unter Polizeischutz agierenden Räuberbanden aus dem benachbarten Tal Bangi geworden ist. Von daher ist es aus der Perspektive des Gutsbesitzers notwendig, neben der offiziellen Institution einen informellen Unterbau über institutio-

15 Akteure sind in diesem Forschungszusammenhang insbesondere Individuen, Haushalte, Gemeinden und formelle wie informelle Organisationen, die korporativ handlungsfähig sind. 16 Zur Rolle von Institutionen als sanktionsbewährte Normen in der Eindämmung gewaltsamer Konfliktaustragung siehe Elwert (2004: 29). 17 Vgl. für einen auf Schutz vor existenzieller Bedrohung bezogenen, engen Sicherheitsbegriff Chojnacki/Branović (2007). 18 Um die Darstellung der in diesem Dorf vorgefundenen Dilemmata zu verkürzen, wurden real dort vorgefundene Problemlagen und Lösungsversuche auf einen, in dieser Form nicht vorhandenen – also fiktiven – Haushalt projiziert. 19 Im Wortsinn angeblich die „Söhne der Chinesen“, ein kleiner paschtunischer Unterstamm der Hutak; sie tauchen auch als Zanszai oder Tanzai auf.

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nalisierten ethnischen Klientelismus zum Gouverneur der Nachbarprovinz Kunduz aufzubauen. Dieser behauptet einen Teil seiner lokalen Macht auch dadurch, dass er sich als Schutzpatron der Paschtunen im usbekisch dominierten Takhar präsentiert. So gelang es dem Gutsherren aus Chinzai, den Sohn seines mit ihm verschwägerten Teilpächters als Leibwächter beim Gouverneur unterzubringen.20 Seine Sicherheitsprobleme sind damit allerdings noch nicht gelöst, denn die Patronage des Gouverneurs kann kaum für Alltagsprobleme von dem Verwandten eines seiner vielen Leibwächter in Anspruch genommen werden. Die Überfälle auf das Dorf und das angespannte Verhältnis zur lokalen Polizei in Taloqan, denen Argwohn gegen die Paschtunen unterstellt wird, bleiben ein Problem. Ein weiteres Sicherheitsproblem ist, dass sein Haus an der Trasse zwischen den Provinzzentren liegt, der seit ihrer Asphaltierung 2005 sechs Kinder zum Opfer gefallen sind, da der Fernverkehr nun nicht mehr mit max. 30km/h, sondern mit 80-100 km/h durch das Dorf rollt. Die Petitionen, das Dorf mit Geschwindigkeitsstoppern zu schützen, stießen bei der Provinzadministration auf taube Ohren. In dieser Situation nahm das PRT, also die internationalen Interventen, Kontakt mit Repräsentanten des Dorfes auf. Anlass war, dass Militärfahrzeuge des PRT in Chinzai von Kindern mit Steinen beworfen worden und Erwachsene durch Drohgebärden aufgefallen waren. Die PRT-Vertreter wollten von den Dorfvertretern (hier: ein inoffizieller, 2005 gewählter Stammesrat) wissen, was falsch gelaufen ist. Die oben beschriebenen Probleme wurden vorgebracht. Außerdem wurde erklärt, dass man sich von Entwicklungsmaßnahmen ausgeschlossen fühle. Entwicklungsprojekte werden demnach von der lokalen Administration und den dominierenden Gebern an dem als feindselig diffamierten Paschtunendorf vorbeigeleitet. Obwohl es eines der größten Dörfer der Provinz ist und zentral liegt hätte es keine nennenswerten Projekte oder Hilfen bekommen. Das PRT versprach Hilfe – es hakte bei der Provinzadministration in Taloqan nach und stellte, nachdem dies nichts bewirkte, Hilfe bei der Beschaffung alter Panzerketten als ortsübliche Tempobrecher zur Verfügung; es intensivierte Patrouillen und Luftaufklärung, um die Aktivitäten der Räuberbanden zu behindern; es wies eigene Kräfte an, das Dorf umsichtig zu durchfahren; und es sondierte die Möglichkeit, mit eigenen CIMIC-Maßnahmen oder über interessierte Entwicklungsorganisationen Projektarbeit in die Gemeinde zu bringen.21 Dieser Exkurs in reales, lokal relevantes Sicherheitskalkül streift die prinzipiellen Institutionen und Akteure, die einen Einfluss sowohl auf die Definitionen als auch auf die Produktion von Sicherheit und Unsicherheit haben. Ich will nun systematischer erfassen, wo Sicherheit institutionell verortet ist. Grundsätzlich lassen sich drei institutionelle Ebenen im Rahmen der internationalen Intervention identifizieren, auf denen Akteure Vorstellungen von Sicherheit entwickeln und dabei sowohl als Produzenten wie auch als Konsumenten von Sicherheit auftreten. Diese institutionellen Ebenen sind: (a) die externe Steuerungsebene der zivilen wie militärischen bilateralen und multilateralen Präsenz vor Ort; (b) die vor

20 Bewohner in Chinzai erklärten dem paschtunischen Interviewteam nach dem Gruppeninterview beim Mittagessen, dass sie ihren Schutz über Leibwächter, die sie bei Ingenieur Omar in Kunduz untergebracht haben, verbessern würden. 21 Im konkreten Fall ist daraus allerdings nichts geworden – in dem Dorf fanden seit 2004 durchaus Maßnahmen statt, wie z.B. der Bau einer Schule durch GTZ/Katakhel und Brunnenprojekte durch die NGO Mission East. Außerdem entschied sich der Stammesrat im Juli 2007 nach Aussage des Maleks (Dorfschulze), die Zusammenarbeit mit Entwicklungsorganisationen einzustellen, nachdem die NGO Child Fund Afghanistan (CFA) im Rahmen eines Aufklärungsprogramms über Gesundheit Frauen darauf hingewiesen hatte, wo sie sich über häusliche Gewalt und andere Probleme beschweren können (Interview mit Vertretern des Dorfrates im Juli 2007).

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Ort in die Gesellschaft hineinwirkenden staatlichen Institutionen; und (c) die lokalgesellschaftlichen Institutionen, über die Menschen zur Bewältigung ihres Alltages Sicherheit beanspruchen, Konflikte austragen und Ordnung herstellen.

Internationale Ebene: Militärische und zivile Intervention In Afghanistan sind zwei militärische und die zivile Interventionsebene voneinander zu unterscheiden. Beide militärischen Interventionen – die OEF im Rahmen des US-geführten Krieges gegen den Terror und die seit 2003 von der NATO geführte ISAF – berufen sich dabei auf internationales Recht: OEF auf das in der UN-Charta festgelegte Recht von souveränen Staaten auf militärische Selbstverteidigung im Angriffsfalle; und ISAF auf ein explizites UN-Mandat, abgeleitet aus Sicherheitsratsresolution 1401. Aus dieser Zweigleisigkeit ergibt sich bis heute ein für das ganze Land signifikanter Widerspruch zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen militärisch durchzusetzenden Zielen: dem Selbstschutz einer NATOMacht, die durch Erklärung des Bündnisfalls Unterstützung anderer NATO-Partner in Form von Terroristenbekämpfung in einem militärisch eroberten Land erhält, und der UN-mandatierten militärischen Absicherung des politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach international anerkannten Normen. Für die UN-mandatierte Intervention gilt seit dem Petersberger Abkommen die Devise des light footprint22 der Interventen, die sich im Rahmen der Petersberger Konferenz im Dezember 2001 darauf geeinigt hatten, Reformen und staatlichen Wiederaufbau unter internationalem Schutz mit „einem afghanischen Gesicht zu versehen“ und Afghanen möglichst rasch in Steuerungspositionen zu bringen. Diese Prioritätensetzung bedeutete zunächst eine Konzentration des internationalen Engagements in der Hauptstadt Kabul, um entstehende zentralstaatliche afghanische Institutionen zu schützen und zu unterstützten. PRTs sollten ab 2002 Sicherheit inselartig in die Provinzen tragen. Die grundsätzliche Aufgabe aller von NATO-Mitgliedsstaaten geführten PRTs in Afghanistan wird im Mission Statement „PRT Terms of Reference“, Absatz 1, folgendermaßen gefasst: „Provincial Reconstruction Teams (PRT) will assist the Islamic Republic of Afghanistan to extend its authority, in order to facilitate the development of a stable and secure environment in the identified area of operations, and enable Security Sector Reform (SSR) and reconstruction efforts” (ISAF PRT Office 2006a). Der zivile Teil der Intervention legitimiert sich einerseits über die Wiederaufbaukomponente des UNMandates für die internationale Intervention in Afghanistan. Hier ist die UNAMA federführend. Andererseits berufen sich die Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit auf Vereinbarungen, die bi- oder multilateral mit den seit dem Petersberger Abkommen geschaffenen afghanischen Regierungsstellen getroffen wurden.

22 „Die frühzeitige und weitgehende Übernahme der Verantwortung für alle Aufbauprozesse durch die Afghanen selber wird nach einem Ausdruck Lakhdar Brahimis, des ehemaligen UN-Sondergesandten in Afghanistan, als light footprint-Ansatz des internationalen Engagements bezeichnet“ (Hett 2005: 6).

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Entscheidend für die Analyse des Zusammenwirkens von Sicherheit und Entwicklung im Rahmen der komplexen Intervention im Untersuchungsgebiet ist die Tatsache, dass die militärische Komponente in der Auslegung des Mandates nicht für innere Sicherheit, also für die Sicherheit der Bevölkerung, zuständig ist. Aufgabe des Militärs im Rahmen von ISAF ist es, ein sicheres Umfeld für die entstehenden staatlichen afghanischen Institutionen und die externen, mit Wiederaufbau und Entwicklung betrauten Organisationen zu schaffen. Aufgabe der militärischen Intervention ist es nicht, flächendeckend gewaltfreie Räume über die Durchsetzung eines Gewaltmonopols selbst zu schaffen. Diese Aufgabe kommt afghanischen Sicherheitskräften zu, die durch ISAF, OEF und andere externe Akteure aufgebaut und militärisch abgesichert werden sollen. Damit sind die PRTs im Rahmen von ISAF an der Herstellung von militärischem Landfrieden beteiligt, nicht aber dafür verantwortlich. Die Entfaltung einer Sicherheitswirkung im Sinne von Landfrieden setzt dabei allerdings voraus, dass „in der ersten Reihe“ afghanische staatliche Partner (Sicherheitsdienste) stehen, die fähig und willens sind, Sicherheit im Sinne der extern gestützten Zentralregierung vor Ort durchzusetzen. Dass dies nicht immer vorausgesetzt werden kann, werde ich im folgenden Abschnitt besprechen.

Nationale Ebene: Der Staat Alle internationalen Anstrengungen zielen offiziell darauf ab, tragfähige nationale Institutionen aufzubauen. Das gilt selbst für die bisher am stärksten autonom operierende OEF, die seit 2006 besonders auf die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte in der Bekämpfung von als Terroristen identifizierten bewaffneten Gegnern setzt. Hier schließt die Frage nach der institutionellen Beschaffenheit und operativen Handlungsfähigkeit des afghanischen Staates für die Skizzierung sicherheitsrelevanter Einflussgrößen im Untersuchungsgebiet Nordost-Afghanistans an die Betrachtungen zur transnationalen Akteurskonstellation an. Die zentrale Herausforderung aus der Perspektive der Interventionskräfte ist, funktionsfähige zuständige Partner auf Seiten des afghanischen Staates aufzubauen. Dabei erweist sich die unzureichend trennscharfe Aufteilung von Kompetenzen zwischen Fachministerien auf Provinzebene einerseits und der Provinzadministration andererseits als besonderes institutionelles Problem (siehe dazu Lister 2005 und White/Lister 2007). Außerdem vermindern Inkompetenz und Korruption innerhalb der Fachministerien und in den Provinzadministrationen die Wirksamkeit dieser Institutionen. Auf Distriktebene, auf der viele vorgesehene Stellen häufig gar nicht besetzt sind, ist dieses Problem potenziert und führt dazu, dass eine Zusammenarbeit zwischen externen Kräften und der staatlichen Verwaltung kaum stattfindet, wodurch die Leistungsfähigkeit dieser Ebene weiter geschwächt wird. Das ist besonders problematisch, weil die Distriktebene für die meisten Afghanen das einzige Gesicht des afghanischen Staates ist, das sie zu sehen bekommen. Es ist auch die erste Anlaufstelle, wenn staatliche Leistungen zur Lösung von Problemen nachgefragt werden. Sowohl in Kunduz als auch in Takhar geht das Problem der Leistungsfähigkeit der Lokalverwaltungen über die angesprochenen Aspekte von Inkompetenz und Korruption hinaus. Hier werden von den externen Kräften führende Vertreter der Verwaltungen als unzuverlässige Partner eingeschätzt, weil ihre Verbindungen zur Drogenkriminalität und teilweise auch zu bewaffneten opposi-

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tionellen Kräften bekannt sind. Bisher war es trotz dieser Erkenntnisse nicht möglich, eine Einsetzung von zuverlässigeren Gouverneuren über Interventionen in der Hauptstadt zu erreichen.23 Aus der Perspektive afghanischer staatlicher Akteure in den Provinzen und Distrikten stellt sich die Sicherheitsproblematik anders dar. Ich werde dies am Beispiel des Gouverneurspostens (wali) verdeutlichen. Die Position des Gouverneurs mit seiner ihm direkt untergeordneten Administration ist, anders als viele Fachministerien oder andere zentralstaatlich dominierten Organisationen, eine weitgehend afghanische Unternehmung, auf die externe Akteure wenig unmittelbaren Einfluss haben.24 Der Gouverneur muss sich gegenüber Kabul und in seiner Provinz eigenständig behaupten. Die ihm zur Verfügung stehenden staatlichen Ressourcen sind gering und die Ressourcenströme externer Geber werden entweder über die Budgets der Fachministerien oder direkt, im Regelfall aber an den Provinz- und Distriktverwaltungen vorbei, umgesetzt.25 Der Provinzgouverneur, wie auch der Distriktgouverneur (wolliswol), muss sich mehr als alle anderen staatlichen Akteure an die lokalen politischen Besonderheiten seiner administrativen Einheit anpassen. Er muss sich auf seine eigenen Fähigkeiten und Ressourcen verlassen, um Handlungsfähigkeit zu erlangen, seine Position sowohl gegenüber Kabul als auch lokal zu behaupten und – nicht zuletzt – um seine persönliche Sicherheit zu garantieren. Glaubwürdiges Destabilisierungspotenzial vor Ort ist eine der wichtigsten Ressourcen. Hierfür ist die Penetrationstiefe klientelistischer Abhängigkeitsnetzwerke in möglichst viele einflussreiche gesellschaftliche Gruppen zentral. Dazu zählen auch kriminelle und oppositionelle bewaffnete Gruppen (sowohl aus dem Bereich des islamistischen Widerstandes als auch unter opponierenden ausgemusterten Kommandeuren der ehemaligen Nordallianz), da Einfluss auf diese der impliziten Drohung mit Instabilität im Falle eines Positionsverlustes Nachdruck verleiht. In Kunduz spielen Kontakte zu Gruppen aus dem Umfeld des islamistischen Widerstandes bisher eine größere Rolle als in Takhar, wo ein Geflecht aus ehemaligen Kommandeuren der Nordallianz und der organisierten Drogenkriminalität die dominante informelle Machterscheinung ist. Sowohl für den Aufbau klientelistischer Netzwerke über die unmittelbare Machtbasis hinaus als auch für die Finanzierung eigener, persönlich loyaler Zwangsstäbe in Form von Leibwächtern und der finanziellen Absicherung des Postens in Kabul sind erhebliche Ressourcen notwendig, die nicht alleine aus (offiziellen oder abgezweigten) staatlichen Budgets stammen können. Es überrascht daher wenig, dass sowohl zuständige afghanische Stellen als auch Vertreter der internationalen Beobachter beiden Gouverneuren geschäftliche Beziehungen zur informellen Wirtschaft, insbe-

23 Der Gouverneur von Kunduz stand nach Informationen leitender Vertreter internationaler Organisationen mehrfach kurz vor der Absetzung, konnte sich im Rahmen von Besuchen beim Präsidenten in Kabul aber jedes Mal seinen Posten wieder sichern. Der bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern internationaler Organisationen relativ gut angesehene Gouverneur Takhars wurde im Frühjahr 2007 durch einen hoch umstrittenen ehemaligen Gouverneur von Kunduz ersetzt. 24 Wenn ein Gouverneur nach Ansicht externer Akteure wirklich ausgewechselt werden soll – wie auf Betreiben der Briten 2005 in Kandahar (siehe BBC World 2008) – geht dieser Weg nur über den Präsidenten. 25 In einem Interview im Herbst 2006 machte der Gouverneur von Kunduz klar, dass er an einer ihm formal zukommenden Koordinationsfunktion für Entwicklungsprogramme in seiner Provinz nicht interessiert sei, weil er dafür keine ausreichenden administrativen Ressourcen hätte; er vertrat die Ansicht, dass die UN und Geberorganisationen diese Aufgabe besser wahrnehmen könnten. Ganz anders äußerte sich hierzu der neu berufene Gouverneur Takhars: er pochte im September 2007 darauf, dass alle Entwicklungsprojekte über seinen Schreibtisch zu gehen hätten und finanziell durch die Provinzadministration abgewickelt werden sollten.

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sondere der Drogenökonomie, unterstellen.26 In diesem Zusammenhang bezeichnend ist die verärgerte Reaktion des Gouverneurs von Kunduz, Ingenieur Omar, auf die von Vertretern der US-Regierung über die zentralen Interdiktionskräfte (hier: National Interdiction Unit) betriebenen Verhaftungen einiger Drogenhändler seines unmittelbaren Umfeldes, und der Aushebung eines dem ehemaligen Kommandeur der 54. Division in Kunduz, Mir Alam, zugeordneten Heroinlabors am 18.01.2007. Omar erklärte im Interview mit dem Autor am 11.03.2007, dass so etwas ohne seine Zustimmung nicht stattfinden könne, dass der Zentralstaat hier für solche Aktionen keine Jurisdiktion hätte und dass er die verhafteten Personen deshalb wieder freigelassen hätte. Der zuständige Vertreter des amerikanischen Justizministeriums wurde abgezogen und mit zwei in den Augen des Gouverneurs „unbelasteten“ Mitarbeitern ersetzt. Letztlich ist die Anwesenheit internationaler Akteure trotzdem eine wichtige und anerkannte, wenn auch zweischneidige Ressource für die Sicherheit, die für die Gouverneure zählt. Im Nordosten schränkt die Anwesenheit des PRT die militärische Gewaltoption ehemaliger Kommandeure in der Durchsetzung ihrer Interessen ein. Das vergrößert den nicht-militärischen Handlungsspielraum der Gouverneure und anderer offizieller Vertreter des Staates. In einem normativ minimalistischen Sinne sind korrupte politische Praktiken und die Pflege von komplexen klientelistischen Netzwerken, in denen Interessen ausbalanciert werden müssen, ein Governance-Fortschritt im Vergleich zum offenen Gewaltmarkt der Kriegsherren und Kleinkommandeure (siehe Koehler/Zürcher 2004). Zumindest in Takhar erschwert das von offizieller Stelle gedeckte kriminelle Netzwerk auch das Einsickern und die Operationsfähigkeit von ideologisch motivierten bewaffneten oppositionellen Kräften. Hier gilt der aufwendige Jihad für die gerechte Sache (noch) als geschäftsschädigend. Gleichzeitig erfüllen bilaterale und multilaterale Geber mit ihren Durchführungsorganisationen wichtige Funktionen in der Herstellung öffentlicher Güter, für die eigentlich die staatliche Administration zuständig wäre. Zweischneidig ist die internationale Präsenz vor allem deshalb, weil die Spielregeln, nach denen Gouverneure ihre Provinzen regieren, den Vorstellungen von Rechtstaatlichkeit und Good Governance widersprechen, auf die sich die internationale Intervention in Afghanistan festgelegt hat. Dieser Widerspruch treibt lokale Governance-Konstellationen potenziell in einen Konflikt mit den stärker westlich beeinflussten nationalen Regierungsinstitutionen (wie im Beispiel oben der faktisch unter US-Kommando stehenden National Interdiction Unit). Bisher scheint es aber so, als würden die Gouverneure die kritische Haltung, die ihrer Amtsführung von Seiten der militärischen wie zivilen externen Kräften entgegengebracht wird, nicht als übermäßige Bedrohung einschätzen. In Interviews hoben beide Gouverneure den positiven Einfluss der internationalen Präsenz in ihren Provinzen hervor.27

26 In dieser Einschätzung waren sich Vertreter des PRT, Vertreter der Counter Narcotics Police Afghanistan (CNPA), Vertreter des US-Department of Justice und Vertreter der Grenzpolizei in informellen Hintergrundgesprächen einig. 27 Die hier angetroffene doppelgleisige Beziehung zwischen lokalen Machthabern und internationalen Sicherheits- wie Entwicklungsakteuren ist funktional mehrdeutig – neben den spannungsreichen offiziellen Beziehungen, bei denen die Einen nachhaltige Entwicklung und gute Regierungsführung wollen und die Anderen an ihrem eigenen Machterhalt auch auf Kosten des entstehenden Staates interessiert sind, gibt es mit Blick auf die Aufrechterhaltung von Stabilität durchaus symbiotische Funktionalität, versteckt zwischen den Zeilen der offiziellen Abkommen und Mandate. Barnett/Zürcher (2006) nennen dies „the peacebuilders contract“ (wohl in Anlehnung an Peter Greenaways Film „Der Kontrakt des Zeichners“, in dem ein in Dienst gestellter Hofzeichner ahnungslos hinter seinem offiziellen Arbeitsvertrag ganz anderen – destruktiven – Interessen der Auftraggeberinnen dient). Nach dieser Analyse schwächen gerade die informellen symbiotischen Interessen an lokaler Stabilität die Chancen für die Durchsetzung tragfähiger staatlicher Institutionen.

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Lokale Ebene: Gesellschaft und lokale Selbstregierung Auch nach Jahren des Bürgerkrieges ist die afghanische Gesellschaft lokal nicht ohne Ordnung. Lokale Institutionen, die Probleme in einer zuverlässigen Weise lösen und so zu dem defizitären Gut Sicherheit beitragen, stehen besonders dann hoch im Kurs, wenn äußere Rahmenbedingungen von willkürlicher Gewalt und Machtmissbrauch gekennzeichnet sind und eher für Unsicherheit als für Sicherheit in der Bewältigung des Alltages von Haushalten und dörflichen Gemeinschaften stehen.28 Die wichtigste gesellschaftliche Einheit, die lokal Sicherheit konsumiert – deren physischer Bestand also vor allem zu schützen ist – ist der Haushalt. Das Ansehen des Haushalts in der dörflichen Gemeinschaft und der physische Schutz des Haushalts, der in aller Regel durch einen Haushaltsvorstand repräsentiert wird, sind dabei entscheidende Größen. Die nächst größere Einheit ist die Nachbarschaft. Sie kann ein ganzes Dorf umfassen oder lediglich einen Siedlungsteil. Nachbarschaften können durch eigene Moscheen, also institutionalisierte öffentliche Treffpunkte der nachbarschaftlichen Gemeinde, markiert sein, sie können einen eigenen Sprecher oder Ältesten haben (wie z.B. im Falle des rais mahallah in einigen usbekischen Siedlungen) oder nur informell, im Rahmen von Gemeinschaftsarbeiten (hashar) wie bei der saisonalen Säuberung von Bewässerungskanälen, miteinander verbunden sein. Ganze Dörfer haben in Kunduz und Takhar oft, aber bei weitem nicht immer, einen mehr oder weniger repräsentativen Dorfrat (shura), der gewählt, aus anerkannten Ältesten (z.B. der Nachbarschaften) „natürlich“ gewachsen, oder auch von einem lokalen Kommandeur oder anderem Machthaber autorisiert worden sein kann.29 Die Dorfräte – ob als regelmäßig tagende Institution mit fester Mitgliedschaft oder als problembezogenes offenes Treffen unter betroffenen Dorfbewohnern – sind ein zentrales Instrument, über das Gemeinden kollektive Probleme, einschließlich lokaler Konflikte, zu lösen versuchen. Seitdem Dorfräte im Rahmen des National Solidarity Program (NSP) als Community Development Councils (CDCs) vielerorts über ein von der Weltbank entwickeltes Wahlverfahren formalisiert wurden, sind sie die wichtigste Anlaufstelle für NGOs und EZ-Organisationen geworden, die im ländlichen Raum Projektarbeiten durchführen. Neben dem Dorfrat, mitunter auch als Teil des Dorfrates, können weitere Funktionsträger eine Verantwortung für kollektive Belange im Allgemeinen und Sicherheit im konkreten Fall haben. Dies sind die unter Präsident Hamid Karzai offiziell abgeschafften, aber informell oft noch existenten und einflussreichen Dorfvorsteher (malek oder arbob), die zentraler, staatlich sanktionierter Bestandteil der lokalen politischen Ordnung im alten Regime unter Sahir Shah waren, und von verschiedenen Regimen, die Afghanistan seither geprägt haben, wieder eingesetzt wurden. Zudem können Lokalkommandeure, auch wenn sie keine offiziellen Sicherheitsposten mehr bekleiden, noch erheblichen Einfluss auf die Sicher-

28 Die Rolle des Lokalen als Ort des Widerstandes gegen nationale und internationale institutionelle Penetrationsversuche ist eingehend und grundsätzlich von James Scott behandelt worden (1990, 1998). Der Aufstieg des Lokalen als Antwort auf dysfunktionale staatliche Ordnungen ist ein Dauerbrenner der politischen Anthropologie (vgl. von Trotha/Klute 2001; von Trotha 2005). Schetter interpretierte jüngst den Kampf gegen Aufständische und sogenannte Terroristen in Afghanistan als einen Kampf gegen lokale Ordnungsformen, die sich nicht in nationalstaatliche Herrschaftsmuster pressen lassen (Schetter 2007: 251 f.). 29 Eine aktuelles Beispiel für letztere Konstellation habe ich unter den Zieldörfern nicht identifiziert; eigenen Beobachtungen zu von Machthabern vereinnahmten shuras entstammen Felderhebungen, die der Autor 2003 in Badakhshan durchgeführt hat; angeblich gibt es aber solche Fälle auch in den beiden Zielprovinzen.

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heit im Dorf haben. Religiöse Autoritäten und zeremonielle Funktionsträger, wie mullahs, pirs oder sheikhs30 hingegen spielen für das politische Leben der Gemeinde eine eher untergeordnete Rolle;31 für den Fluss von Informationen über islamische Netzwerke und die moralische Interpretation sowie Bewertung von Ereignissen sind sie aber wichtig und können damit einen starken ideologischen Einfluss auf die Gemeinde haben. Die überwiegende Anzahl der besuchten Dörfer gaben als politische Führung, die mit Problemlösung betraut ist, entweder den Dorfratvorsitzenden, Ältestenrat (ohne Vorsitz) oder Gemeindevorsteher (malek oder arbob) an. Dorfgrenzen überschreitende Institutionen, über die kollektive Probleme gelöst werden, sind, abhängig von den lokalen sozialen und wirtschaftlichen Begebenheiten, die für Bewässerungssysteme zuständigen Wasserwarte (merobs), die im Rahmen der bewässerten Landwirtschaft entlang der Flussoasen in Kunduz und Takhar eine zentrale Rolle spielen. Ihr Einfluss beschränkt sich allerdings auf ihre Funktion als Wart und Verhandlungsführer in der Bewässerungszuteilung. Außerdem existieren in Gruppen, für die Stammeszugehörigkeit als Institution erhalten geblieben ist, so genannte tribale jirgas, über die Streitfälle geschlichtet und Probleme über Siedlungsgrenzen hinweg gelöst werden können. Im Kontext einer komplexen Intervention, die funktionstüchtige Staatlichkeit neu erschaffen und landesweit durchsetzen möchte, interessiert aus der Warte der Bevölkerung besehen vor allem, inwieweit die entstehenden lokalen Institutionen des Staates Probleme lösen oder aber Probleme schaffen, und ob sie als Problemlöser mehr taugen als die oben aufgeführten lokal verfügbaren gesellschaftlichen Funktionsäquivalente für Problemlösungen. Die Distriktebene, der wolliswoli, ist dabei als unterste Ebene staatlicher Verwaltung der erste Anlaufpunkt. Die Distriktgouverneure sind zumeist durch die Provinzgouverneure vorgeschlagene, vom zuständigen Ministerium überprüfte und vom Präsidenten eingesetzte Amtspersonen.32 Jeder Distrikt verfügt weiterhin über einen Polizeichef (der offiziell nicht dem Distriktgouverneur untersteht, sondern über den Provinzpolizeichef dem Innenministerium gegenüber verantwortlich ist) und einen Distriktrichter (qazi). Büros der Fachministerien, wie des Ministeriums für Ländlichen Wiederaufbau und Entwicklung (MRRD), Landwirtschaft, Bildung etc. sind in den Distrikten unterschiedlich besetzt. Die Administrationen sind oft in heruntergekommenen Gebäuden untergebracht und sind häufig nur bis zum Mittag besetzt, da die Mitarbeiter nachmittags ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen müssen. Trotzdem werden die Verwaltungen von der Bevölkerung häufig

30 Mullahs sind von der Gemeinde in religiösen Dingen als kundig anerkannte zeremonielle Funktionsträger, die nicht notwendiger Weise eine formelle Ausbildung genossen haben müssen. Sie leiten in der Regel das Freitagsgebet in einer Moschee (wenn sie einer Freitagsmoschee zugeordnet sind, sind sie auch Imame). In größeren Dörfern kann ein Mullah auch (religiöser) Lehrer in einer Koranschule, einer Madressa, sein. Pir, murshid und sheikh bezeichnen in Afghanistan (und in ganz Südostasien) Heilige (pir), sufi-Meister (sheikh) und ihre Gefolgschaft bzw. Schülerschaft (murshid). Als Wanderprediger haben sie mitunter interregionale Anhängerschaften und Einfluss (siehe Skoda 2006). 31 Unter den 80 besuchten Dörfern in Takhar und Kunduz gab es nur zwei Fälle, in denen der mullah gleichzeitig politischer Repräsentant des Dorfes war. In zwei weiteren Fällen war ein mullah bzw. maulawi Mitglied des Ältestenrates. 32 Das Verfahren ihrer Ernennung hat sich in den vergangenen zwei Jahren mehrmals geändert und ist landesweit nicht einheitlich organisiert. Neu ist, dass die Anwärter nicht mehr vom Gouverneur vorgeschlagen werden müssen, dass sie einen Qualifikationstest im Innenministerium unter Beteiligung von externen Experten durchlaufen müssen und dass als neueste Entwicklung die Besetzung der Posten vom Innenministerium auf ein neu geschaffenes Amt, den direkt dem Präsidenten verantwortlichen Independent Directorate of Local Governance (IDLG), übertragen wurde. Vorher wurden die Positionen oft von lokalen Autoritäten, die mit Parteien der Nordallianz assoziiert waren, bekleidet.

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frequentiert; sie werden insbesondere bei Disputen und Konflikten eingeschaltet, die von den lokalen gesellschaftlichen Institutionen nicht gelöst werden können. Auf Provinzebene sind die gewählten Vertreter des Provinzrates die einzige direkte Rückkoppelung in die Gemeinden, die allerdings provinzweit und nicht nach Distrikten aufgestellt wurden. Daher hat nicht notwendigerweise jeder Distrikt auch einen Abgeordneten im Provinzrat, manche Distrikte stellen mehrere Vertreter. Aus dieser Skizze sollte deutlich geworden sein, in welchem bisher wenig verfestigten und in Teilen hybridisierten institutionellen Dschungel sich inter- und transnationale Akteure als Produzenten, als Konsumenten oder schlicht auf der Suche nach Sicherheit bewegen.

2.1.2 Baseline-Umfrage und gesellschaftlicher Kontext Wie der vorangegangene Abschnitt gezeigt hat, sind die Rahmenbedingungen für die elementare physische Sicherheit der lokalen Akteure, die als Voraussetzung für tief greifende, legitimationsfördernde Entwicklungserfolge gilt, komplex und institutionell wenig verfestigt. Es stellt sich daher an zentraler Stelle die Frage, wie die wichtigste Zielgruppe, nämlich die afghanische Landbevölkerung, die Dynamik von Sicherheit und Entwicklung über die vergangenen Jahre einschätzt. Dieser Frage ist ein Forschungsteam in der Baseline-Umfrage in 77 der 80 Zieldörfer nachgegangen. Die Ergebnisse der Umfrage wurden gesondert publiziert (siehe Zürcher et al. 2007)33. An dieser Stelle beschränke ich mich darauf, die für unsere Fragestellung wichtigsten Ergebnisse zusammenzufassen, um diese Ergebnisse dann im Kontext der oben allgemein skizzierten, qualitativ erfassten, institutionellen und mikropolitischen Rahmenbedingungen zu erklären.

Sicherheit Entgegen dem landesweiten Trend des seit der Rückkehr der Taliban 2005 als organisierte, militärisch handlungsfähige und bewaffnete oppositionelle Gruppe an objektiven Kriterien festgemachten Rückgangs von Sicherheit erklärte die überwiegende Anzahl der interviewten Haushalte, dass sich die Sicherheitslage in ihrer Gemeinde in den Jahren 2005 und 2006 sehr (75,8%) oder etwas (22,8%) verbessert habe. Interessant ist, dass ausländische Truppen mit 80%, nach Provinz- und Distriktregierung (92,2% respektive 92,9%) und vor der Zentralregierung (73,4%), als wichtigster Grund für diesen positiven Trend genannt wurden. Der Einfluss von internationalen Entwicklungsakteuren sowie der lokalen Gemeinderäte34 liegt im Mittelfeld mit jeweils 50,5% und 52,7%. Ein positiver Einfluss von Lokalkommandeuren wurde von lediglich 6% behauptet.

33 Näheres zur Foschungsmethode im Annex dieses Papiers. 34 Diese Akteursgruppe konnte nur angegeben werden, sofern Dorfräte vorhanden waren: die Frage wurde von knapp 20% der Respondenten nicht beantwortet. Nach gültigen Prozenten wären 65,3 % der Befragten der Ansicht, dass die Dorfräte positiv zur Sicherheitslage beigetragen haben.

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Trotz der allgemein als verbessert eingeschätzten Sicherheitslage fühlten sich 20% der Befragten in ihrer Sicherheit von unterschiedlichen gewaltfähigen Gruppen bedroht.35 Die größte Bedrohung geht demzufolge von kriminellen Banden (17,3%), externen – also ortsfremden – bewaffneten Gruppen (10,6%) und den Taliban (9,9%) aus.36 Von ausländischen Truppen, staatlichen Sicherheitskräften und lokalen bewaffneten Gruppen fühlen sich hingegen unter 5% der Haushalte bedroht, wobei ausländische Truppen in dieser Untergruppe mit 4,9% am höchsten abschneiden. Während ausländisches Militär und, in einem geringerem Maße, internationale Entwicklungsakteure als Hauptbestandteile der komplexen Intervention also eher mit positiven Entwicklungen in Sachen physischer Sicherheit in Verbindung gebracht werden, wird die Präsenz ausländischer Truppen (und in einem wesentlich geringerem Maße auch die der internationalen Entwicklungsakteure) von signifikanten Teilen der befragten Haushalte für eine Bedrohung islamischer Werte und lokaler Lebensweisen gehalten (43,4% respektive 21%). Das Ergebnis, nach dem die befragten Haushalte fast geschlossen eine Verbesserung der Sicherheit in ihren Gemeinden vermelden, überrascht nur auf den ersten Blick. Gefragt wurde nach der subjektiv wahrgenommenen lokalen Sicherheit in einem vorgegebenen Zeitraum. Dieser Zeitraum, mit zwei Jahren angegeben, muss nach unseren Arbeitserfahrungen im Feld und auch nach der Einschätzung der afghanischen Partnerorganisation, die die Befragung durchgeführt hat, flexibel gesehen werden. Die Dorfbevölkerung denkt nicht linear in Jahren, und normalerweise werden analytisch relevante Zeitabschnitte an allgemein bekannten Ereignissen festgemacht (wie z.B. einer großen Dürre, dem Fall der Taliban oder auch einer Anzahl von Ernteperioden). Bei der Beantwortung der Frage ist es wahrscheinlich, dass die meisten Respondenten die letzten Jahre im Sinn hatten, also einen Zeitabschnitt, der für den Großteil Afghanistans zwischen dem Frühjahr 2007 und dem Ende der Talibanherrschaft 2001/02 (nicht alle Zieldistrikte waren gleichermaßen von den Taliban beherrscht) anzusiedeln ist. Von 2002 bis 2003 wurde die internationale Intervention durch die US-amerikanische Militärpräsenz und die Entwicklungsorganisation USAID bestimmt, im Oktober 2003 übernahmen dann die Deutschen im Rahmen eines erweiterten ISAF-Mandates das PRT in Kunduz von den Amerikanern. Der Vergleichszeitraum ist für die befragten Haushalte mit einiger Wahrscheinlichkeit die hohe Gewaltintensität während des Abwehrkampfes der Nordallianz gegen die Taliban in Takhar 1999 bis 2001, als sich die Fronten mehrmals verschoben haben, sowie die Gewalt im Rahmen der Vertreibung der Taliban durch Nordallianz und Kräfte der OEF um den Jahreswechsel 2001/02. Anders als in Landesteilen, in denen die Taliban sich rasch und mit breiter Rückendeckung der Bevölkerung gegen Kleinkommandeure und Kriegsherren durchsetzten (die aus dem Jihad gegen die Sowjetunion hervorgegangen waren und im Rahmen des sich an den Abzug der sowjetischen Truppen anschließenden Bürgerkriegs als Gewaltunternehmer lokal etabliert hatten), kamen Takhar und weite Teile des Hinterlandes von Kunduz Stadt nie wirklich in den Genuss eines Pax Talibana, dem einzig unumstrittenen Mehrwert, den die Taliban vor allem ländlichen Regionen als Alternative zur „Kleinkommandeurspest“ des Bürgerkrieges anzubieten hatten. Vor diesem Hintergrund geht

35 Die Frage nach konkreter, über die vergangenen zwei Jahre durch gewaltfähige Akteursgruppen erlittener oder angedrohter Gewalt, lieferten hingegen keine Ergebnisse. In krassem Widerspruch zu qualitativen Fallstudien gab kein (sic!) Haushalt an, in dem Zeitraum betroffen gewesen zu sein. 36 Mehrfachnennungen waren möglich.

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die Aussage, die Sicherheitslage hätte sich verbessert, also von einem sehr niedrigen Ausgangspunkt als Vergleichshorizont aus. Aber auch in der Zeit unmittelbar nach dem Sturz der Taliban kann keine Rede von durchgesetztem Landfrieden sein. So mussten die Gruppen, die als Taliban oder deren Sympathisanten verrufen waren, Vergeltungsmaßnahmen durch die nun siegreichen Kommandeure der Nordallianz erdulden. Teilweise wurden ganze Dörfer vertrieben oder die Bewohnerinnen und Bewohner flohen aus Furcht (sofern es Kollektive betraf, waren dies in aller Regel Paschtunen, seltener auch Belutschen oder andere, mit dem paschtunischen Stammesgebieten assoziierte, nomadisierende Gruppen). In unserem Sample waren vor allem Chinzai im Taloqan Distrikt und zwei Dörfer in Lala Maidan Mantaqa, Aliabad Distrikt, von solchen Vergeltungsmaßnahmen kollektiv betroffen. Auch nach dem Ende der unmittelbaren und offenen Gewalt hatten zunächst die im Rahmen der OEF hochgerüsteten Gewaltunternehmer, welche sich am Sturz der Taliban beteiligt hatten und die Übergangsregierung sowohl in Kabul, als auch im Norden des Landes dominierten, wieder das uneingeschränkte Sagen.37 Es ist folglich plausibel, dass eine relative Verbesserung der Sicherheitslage aus der Perspektive der Landbevölkerung tatsächlich erst ab 2003/04 einsetzte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kriterien, an denen die afghanische Bevölkerung Sicherheit festmacht, nicht identisch sind mit denen, die externe Interventionskräfte oder Vertreter des afghanischen Staates anlegen. Anschläge auf das PRT oder auf ISAF-Patrouillen, die sich ab 2006 häuften, betrafen bis zum Frühjahr 2007 selten afghanische Zivilisten. Auch waren Anschläge auf Polizeiposten oder andere Manifestationen des Staates selten von Kollateralschäden begleitet. Für das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ist entscheidend, dass die willkürliche Gewaltoption von bewaffneten Gruppen in der kriminellen Aneignung von Ressourcen und in der Austragung von Konflikten zurückgedrängt wurde. Diese Priorität ergibt sich aus einer Reihe der bisher ausgewerteten Quellen. Zunächst weisen die oben zitierten Zahlen darauf hin, dass bewaffnete Gruppen jenseits der sozialen Kontrolle der Gemeinde (externe kriminelle und politisch-militärische Gruppen) nach wie vor als größtes Bedrohungspotenzial angesehen werden. In einer im Juli 2007 durchgeführten Stichprobenumfrage mit 351 Haushalten in zehn der 77 in der BaselineUmfrage besuchten Gemeinden wurde die offene Frage gestellt, was sich an der Sicherheitslage konkret verbessert hätte (sofern der Haushaltsvorstand der Ansicht war, dass sich die Sicherheitslage verbessert hat). Die überwiegende Mehrzahl der Befragten erklärte ihre positive Einschätzung damit, dass bewaffnete Gruppen entwaffnet wurden und kriminelle Übergriffe durch Sicherheitskräfte und ausländisches Militär zurückgedrängt würden.38 In den 40 Dorfgeschichten mit Hintergrundinterviews zu sicherheitsbezogenen Themen ergab sich folgendes dominantes Muster lokaler Sicherheits-Governance: bis zum Jihad gegen die Sowjetunion hatten die (staatlich anerkannten und meist von der Gemeinde bestimm37 Als ich 2003 in Badakhshan, Kunduz und Takhar Untersuchungen zur Mikropolitik von Konflikten anstellte, war der Einfluss und die Dominanz von Kommandeuren, die meist ohne offizielle Stellung in den sich erst embryonal entwickelnden staatlichen Sicherheitsdiensten (sie nannten sich security commander (Qomandan Amnya) und wurden lokal oft einfach als gunmen (salah dar oder mosalah) bezeichnet) waren, noch allgegenwärtig. Mitte 2003 wurden in der Region in Reaktion auf ein über das Radio verbreitetes Dekret von Hamid Karzai erstmalig die zur Kommandeurssteuer pervertierten islamischen Abgaben (zakat und ushr) zurückgefahren (Koehler 2004b; Gosztonyi/Fararoon 2004). 38 88% gaben an, dass sich die Sicherheit verbessert hätte; 48% aller Befragten stellten die Entwaffnung oder Demobilisierung bewaffneter Gruppen in ihren Begründungen heraus. Mit 33% rangierten allgemeinere Aussagen, nach der die Regierung stärker geworden sei, ohne dass diese Tendenz explizit mit der Zurückdrängung bewaffneter Banden oder Milizen in Verbindung gebracht wurde, an zweiter Stelle.

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ten) maleks bzw. arbobs das Sagen in Konfliktfällen. Danach etablierten sich die Kommandeure und waren bis zur Stabilisierung der Karzai-Regierung die wichtigsten Entscheidungsträger. Gegenwärtig sind die Dorfratsvorsitzenden oder Ältestenräte die wichtigste Instanz.39 Damit gehen typische Erzählungen von erheblicher Unsicherheit zu den Zeiten, in denen die Lokalkommandeure miteinander um Wegzölle und Steuern konkurrierten, einher.40 Vor diesem Hintergrund ist nun der Frage nachzugehen, wie die überwiegend positiven Einschätzungen der Sicherheitsproduktion durch Regierung und internationale Truppen einzuordnen sind. Die aus der Umfrage hervorgehende Einschätzung, dass Regierung (zentrale, Provinz- und Distriktebene) und ISAF maßgeblich zur verbesserten Sicherheit beigetragen haben, mag aus der Vogelperspektive, die von Staatsaufbau durch internationale Interventionen nach Lehrbuch ausgeht, zwar plausibel erscheinen. Sie ist es aber nicht, wenn wir einerseits den weiter oben skizzierten institutionellen Dschungel mit schwachen Durchsetzungskapazitäten in Erinnerung rufen und andererseits die landesweit beobachtete Legitimitätskrise berücksichtigen, in der sich nach eigener Einschätzung die internationale Schutz- und Aufbauintervention und die von ihr ins Leben gerufene Regierung befinden.41 Der Schlüssel zum Verständnis dieser in der Tat nicht selbsterklärenden Zahlen liegt in dem konstatierten Rückgang der komandan-Willkürherrschaft. Ob der Einfluss der Kommandeure wirklich zurückgegangen ist, ist unter externen wie afghanischen Beobachtern umstritten. Es wird zu Recht darauf hingewiesen, dass viele ehemalige informelle Kommandeure in den Polizeidienst gewechselt sind oder heute zivile Ämter bekleiden, wobei sie ihre bewaffnete Anhängerschaft nun als Leibwächter ausweisen. Vertreter des PRT weisen darauf hin, dass der Disarmament, Demobilisation and Reintegration of Former Combatants (DDR)-Prozess42 gerade in Bezug auf kleine und leichte Waffen nicht zuverlässig erfolgreich war, es weiterhin bekannte und vermutete große Waffenlager gibt (teilweise unmittelbar unter Polizeistationen in den Distrikten). Demnach mehren sich auch Anzeichen für eine Wiederbewaffnung einzelner Gruppen um ehemalige Kommandeure.43 Der Disbandment of Illegal Armed Groups (DIAG)-Prozess, der als Nachfolgeprogramm von DDR ins Leben gerufen worden war, ist im Nordosten, wie auch in anderen Landesteilen, nie wirklich in Schwung gekommen und weit davon entfernt, seine ehrgeizige Zielsetzung

39 Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass der arbob der siebziger Jahre in den achtziger Jahren komandan wurde, sein Sohn in den neunziger Jahren übernahm und er oder sein Bruder jetzt die shura anführt. Das ist nur im Einzelfall zu prüfen. Es gibt eine Reihe solcher Fälle, die die Wandlung von Jihadi-komandan, mitunter über Taliban-komandan, bis zu Rais shura gemeistert haben. Die Machtbasis und institutionelle Einbettung hat sich aber auch in diesem Fall maßgeblich verändert. 40 Eine Ausnahme bildet hier der Distrikt Warsaj, wo seit 1984 kein wesentlicher Leidensdruck durch konkurrierende Kommandeure erzeugt wurde. 41 Auf diese Krise weisen drei Anfang 2008 erschienene Berichte hin, die erhebliche Resonanz unter den in Afghanistan engagierten Interventen hatte: General Jones/Ambassador Pickering (2008); Oxfam (2008); International Crisis Group (2008). 42 Der Prozess wurde federführend von der Regierung Japans koordiniert. 43 Darauf deuten auch Aussagen von ehemaligen Jihadi-Kommandeuren hin, die im Rahmen der Nordallianz gegen die Taliban gekämpft hatten und jetzt auf die Notwendigkeit hinweisen, den Selbstschutz gegen die wieder erstarkten Taliban in eigene Hände zu nehmen, weil Zentralstaat und internationale Akteure hier keine zuverlässigen und effektiven Partner seien. Selbstschutz durch Jihadi-Kommandeure ist Teil des offiziellen Programms von Jumbish-e Mille und der United National Front (UNF) (dies geht aus Gesprächen mit Humint-Kräften des PRT hervor, die Parteiveranstaltungen von Jumbish in Kunduz und Takhar besucht haben; vgl. Synovitz (2007)).

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einer Auflösung aller informellen bewaffneten Gruppen bis März 200944 zu erreichen. Die Polizei gilt als korrupt und wenig zuverlässig; außerdem ist sie, wie auch führende Köpfe der Provinz- und Distriktadministrationen, mit hoher Wahrscheinlichkeit in den internationalen Drogenhandel in beiden Provinzen verstrickt. Das PRT ist weit davon entfernt, systematisch und aus eigener Kraft gegen bewaffnete Gruppen vorzugehen, Waffenlager auszuheben oder durch Patrouillen ein militärisches Gewaltmonopol im gesamten Gebiet effektiv zu behaupten. Nach Selbsteinschätzung ist es rein militärisch gerade einmal fähig, die eigene Sicherheit zu gewährleisten. Und der Zentralstaat ist häufig nicht in der Lage, die eigene Jurisdiktion gegen den Willen des Gouverneurs durchzusetzen.45 All dies widerspricht scheinbar der aus den Gemeinden vermeldeten Aussage, dass sich ihre Sicherheit durch den Rückgang des Einflusses von bewaffneten und kriminellen Gruppen dank der nationalen wie internationalen Kräfte maßgeblich verbessert hat. Bei näherem Hinsehen und differenzierender Analyse kann der Widerspruch aufgelöst werden. Ich will dies zunächst an einem Fallbeispiel aus einem Distrikt beleuchten, in dem informelle Gewaltunternehmer 2005 noch tonangebend waren, seitdem aber unter erheblichen Druck geraten sind. Es handelt sich dabei um Distrikt X in der Provinz Takhar (der Distrikt und die Akteure können aus Gründen des Informantenschutzes nicht namentlich genannt werden). Dieser Distrikt war nicht Zieldistrikt der Umfrage. X liegt im Norden von Takhar. Der Distrikt ist relativ unzugänglich und gebirgig. Der Distrikt wurde sowohl vor als auch nach dem Sturz der Taliban von einem Netzwerk aus ehemaligen Kommandeuren und Subkommandeuren der 55. Division des 6. Korps (bis 2004 unter dem Kommando des Nordallianzkommandeurs General Daud) um Kommandeur Mullah Q dominiert. X wurde nicht von den Taliban besetzt und blieb Operationsgebiet der Nordallianz; heute gehören die einflussreichen Kommandeure dort mehrheitlich der politisch-militärischen Partei Jumbesh-e Mille von General Dostum an. X ist zu etwa gleichen Teilen von Usbeken und Tadschiken bewohnt. Am 30. Mai 2005 kam es in X zu einer Großdemonstration gegen die lokale Kommandeursclique, an der nach Schätzungen von Beobachtern über 1000 Personen teilnahmen. Auslöser war, dass einem Schüler durch den Vorsitzenden des Bildungsdepartments in der Distriktadministration der Zugang zu einer weiterführenden Schule verweigert worden war, weil er nicht in der Lage war, das übliche Bestechungsgeld zu zahlen; zudem war der Schüler für sein als unverschämt erachtetes Anliegen von dem Beamten geschlagen worden. Daraufhin drohte der Schüler vor seiner Dorfschule damit, sich aufgrund dieser unerträglichen Umstände und der erlittenen Schmach das Leben zu nehmen. Der Rektor dieser Schule sprach, begleitet von einer örtlichen Delegation, daraufhin bei dem offiziellen Distriktgouverneur sowie dem informellen Distriktchef Q vor. Letzterer sagte zunächst zu, sich um die Angelegenheit kümmern zu wollen, rief dann aber am selben Tag seine engsten vertrauten Gewaltakteure zusammen. Diese entschieden, nichts gegen die Administration zu unter-

44 Dies war die ursprünglich vorgesehene Benchmark des Afghanistan Compact (Islamic Republic of Afghanistan 2006b), der im Rahmen der Londoner Afghanistan Konferenz im Januar 2006 beschlossen worden war. Das Zieldatum wurde im Rahmen des sechsten Treffens des Joint Coordination and Monitoring Board (JCMB-VI) am 03.10.2007 auf den März 2011 verlegt, da der Prozess bisher nicht den erwarteten Erfolg hatte (siehe Government of Afghanistan 2008). 45 Siehe das oben angeführte Beispiel der vom Gouverneur in Kunduz aufgehobenen Festnahmen, die durch die National Interdiction Unit im Januar 2007 durchgeführt worden waren; vergleichbare Ereignisse gab es im Rahmen des Besuches des Oberstaatsanwaltes Sabet aus Kabul im Mai 2007, als Haftbefehle gegen lokale Kommandeure in Takhar nicht ausgeführt werden konnten, weil die lokale Administration die Arbeit der zentralen Behörde aktiv behinderte.

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nehmen und den Protest nötigenfalls gewaltsam zu unterdrücken. Einige Tage später kam es dann zu der Großdemonstration, die zunächst zum Haus des offiziellen Distriktgouverneurs marschierte und sich dann in Richtung des Anwesens Qs bewegte, nachdem ihre Unterhändler (wakil) nicht empfangen worden waren. Q hatte sich verschanzt und seinen Gefolgsmann General S damit beauftragt, die Demonstranten fernzuhalten. Dieser hatte zwei Verteidigungsringe in Position gebracht; der erste war mit einfachen Waffen ausgestattet, der zweite mit automatischen Schusswaffen. S ließ erklären, dass er bereit sei, die Demonstration gewaltsam aufzulösen. Es kam zu ersten Zusammenstößen und die Situation drohte zu einem Blutbad zu eskalieren. Den interviewten Augenzeugen zufolge (später bestätigt vom PRT) tauchten im Augenblick höchster Anspannung zwei Hubschrauber der ISAF über der Demonstration auf. Dies veranlasste sowohl die Demonstranten als auch die bewaffneten Gefolgsleute Qs, sich zurückzuziehen. Der Hintergrund für Ausmaß und Intensität des Protestes ist, dass nach allen vorliegenden Informationen durch die Clique Qs in X ein kriminelles Willkürregime aufgebaut wurde, welches sich in eine ganze Bandbreite lokaler Angelegenheiten zwecks Einflussnahme und persönlicher Bereicherung einmischt. Diese Interventionen reichen von der Erzwingung von Abgaben selbst von Kleinstunternehmern und Bauern46 bis hin zu unentgeltlichen Drogenkurierdiensten von jungen Männern, die dazu gezwungen werden, mit Heroinpäckchen über den Grenzfluss nach Tadschikistan zu schwimmen und deren Haushalt für den etwaigen Verlust der Ware mit Hab und Gut haftbar gemacht wird. Weiter werden Fälle gewaltsamer Landnahme durch die Kommandeure beklagt, und von deren Einmischung in Fragen, wer wen in ihrem Herrschaftsgebiet heiraten darf bzw. heiraten soll, berichtet.47 Distrikte, in denen organisierte Gewaltunternehmer unbeeindruckt von den entstehenden staatlichen Institutionen in dieser Reinform die Gesellschaft durchherrschen, waren 2005 in der Region schon eher die Ausnahme als die Regel.48 Bezeichnend ist aber, was nach diesem Vorfall in X weiter geschah. Zunächst weitete das PRT Fernpatrouillen nach und Projektaktivitäten in X aus. Außerdem wurde die Entscheidung getroffen, X zusammen mit zwei weiteren Distrikten als Pilotdistrikt für das DIAG-Programm in Takhar auszuweisen. Die wichtigste und für die Region eher untypische Entwicklung war jedoch, dass erhebliche Teile der Bevölkerung in X ihren Protest gemeindeübergreifend organisierten und institutionalisierten. Unter Rückgriff auf die im Rahmen des NSP neu geschaffenen CDCs organisierten einige Aktivisten einen „Volksverein“ (shura) mit Namen „shura für gesellschaftliche Entwicklung in X“49, dem Anfang 2006 angeblich über 10.000 Mitglieder mit Mitgliedsausweis angehörten. Der Verein richtete sich mit seinen Forderungen direkt gegen die Willkürherrschaft der Clique um Q. Der Vorsitzende des Vereins sowie führende Mitglieder hielten regelmäßigen Kontakt mit dem PRT und der UN-Menschenrechtskommission in Kunduz. Nachdem sich nach der Demonstration im Mai 2005 nichts geändert hatte, setzte die Organisation zunächst die Distriktadministration unter Druck. Am 16.03.2006 versammelten sich ca. 50 Aktivisten beim Distriktgouverneur und forderten, dass dieser die von ihnen als Unterdrücker und Landräuber benannten Kommandeure zu Verhandlungen mit den Vertretern der Bevölkerung

46 So wurde im Rahmen eines Workshops in Kunduz im März 2007 von Vertretern aus X ein Fall erwähnt, bei dem Gefolgsleute des Kommandeurs eine Frau, die mit einer Pistazienernte von 40 kg auf dem Heimweg war, stoppten und ihr ein Viertel ihrer Ernte abnahmen. 47 Letztere Formen lokaler Machtausübung wurden in einer Reihe von Interviews als typisches Verhalten nicht nur während der komandan-Herrschaft, sondern auch durch die staatlich ermächtigten arbobs und maleks unter Sahir Shah bezeichnet. 48 Weitere Beispiele waren zu der Zeit aus Badakhshan bekannt, dort vor allem die mantaqas Gharan und Khostaq. 49 Shoroi enqeshafi etshtimoti mordum X (phonetisch).

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herzitiert. Auslöser in diesem Fall war die gewaltsame Landaneignung durch einen Sub-Kommandeur von Q.50 Der Distriktgouverneur reagierte, indem er den Polizeichef entsandte, um die angeeigneten Ländereien gegen die Demonstranten zu schützen. Der Sub-Kommandeur, der von der Demonstration während eines Sicherheitstreffens informiert wurde, war empört und erklärte, dass er den Schutz der Distriktregierung nicht benötige, sondern alleine mit den Demonstranten fertig würde. Bei den folgenden Zusammenstößen zwischen seinen Leuten, den Demonstranten und den später hinzukommenden offiziellen Distriktpolizisten kamen mehr als 10 Menschen zu Schaden. Nachdem klar geworden war, dass das grundsätzliche Problem nicht über die Distriktverwaltung und auch nicht auf Provinzebene gelöst werden würde, schickte der Verein eine Delegation nach Kabul und sprach zunächst beim Innenministerium vor. Die Forderung war, dass sich der Zentralstaat der unerträglichen Situation annehmen solle. Dort fanden sie zunächst kein Gehör, wurden dann aber von Präsident Karzai empfangen.51 Der instruierte seinen Innenminister, sich der Situation anzunehmen. Eine Kommission wurde entsandt und die Distriktadministration samt Polizeichef wurde tatsächlich ausgewechselt. Das Kernproblem – Q – wurde allerdings nicht gelöst; er hatte sich noch im September 2005 in die Wolesi Jirga wählen lassen und genießt seitdem Immunität. Die neuesten Entwicklungen deuten darauf hin, dass sich die Machtposition der Kommandeure in X durch die Konsolidierungsbemühungen ehemaliger Nordallianzkommandeure um die ehemaligen Kriegsherren und Regierungsmitglieder Fahim Khan und Dostum wieder festigt. Der Versuch, Q im Rahmen des Besuches des Generalstaatsanwaltes Sabet im Mai 2007 festzunehmen, scheiterte unter anderem am Widerstand der Distriktadministration. Der Generalstaatsanwalt konnte Kunduz und Takhar nur deshalb bereisen und einige prominente Verhaftungen vornehmen (die allerdings in der Mehrzahl nicht zu Prozessen bzw. Urteilen führten und nach seiner Abreise im Sande verliefen), weil er sich unter den Schutz eines neuen autonomen Gewaltakteurs stellen konnte, nämlich den aus den östlichen Provinzen abkommandierten General Haji Zahir Qadir, mit dem den Staatsanwalt ein verwandtschaftliches Netzwerk verbindet. Zahir Qadir, der mit seinen eigenen gut ausgerüsteten 200 Leibwächtern52 unabhängig von der lokalen Kommandeurswirtschaft war und dieser öffentlich den Kampf angesagt hatte, konnte sich allerdings nur für ein halbes Jahr auf seinem Posten als Grenzkommandeur der nördlichen Provinzen halten. Ungeprüften Angaben zufolge ist der Volksverein von den Entwicklungen frustriert, steht unter massivem lokalen Druck durch die Kommandeure und hat das Vertrauen in Schutz durch die Regierung und ISAF verloren. Es gibt demnach erstarkende Elemente im Umfeld des Vereins, die sich stärker an islamistische Unterstützungsangebote gegen die lokale Willkürherrschaft orientieren wollen.

50 Außerdem hatte sich am 05.03.2006 eine Gruppe, die teilweise zu Qs Umfeld zählte, von ihm losgesagt und ihm angeblich sogar den Jihad erklärt, nachdem dieser die Wiederbewaffnung seiner Anhänger angeordnet hatte. Auch gegen diese Order gab es weiten Protest in der Bevölkerung. 51 Delegationen aus entfernten Provinzen dringen mit ihren Petitionen oft bis zum Präsidenten durch, dies ist keine Ausnahme. 52 In einem Gespräch mit dem Autor im April 2007 in Kunduz bestätigte Haji Zahir, dass er seine Leibgarde hauptsächlich aus privaten Mitteln finanziere (angeblich finanziert er jedem Mitglied auch die erste Hochzeit). 120 Männer hatte er nach eigenen Angaben aus seiner Heimatprovinz Nangarhar mitgebracht und 80 lokal dazugenommen; inoffiziell nannte er diese Truppe seine „Crack Force“.

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Das Fallbeispiel zeigt drei Dinge, die für ein Verständnis der Sicherheitsdynamik in der Untersuchungsregion elementar sind: Erstens sind Lokalkommandeure nach wie vor in einigen Distrikten die zentrale Bedrohung der grundlegenden Sicherheit der Bevölkerung und agieren dort jenseits staatlicher Kontrolle oder effektiver Einbettung in gesellschaftliche, machtbeschränkende Institutionen (soziale Kontrolle). Zweitens kann sich die Bevölkerung zivilgesellschaftlich organisieren und sucht aktiv den Schutz sowohl des Staates als auch der militärischen (ISAF) und zivilen (UN) internationalen Kräfte. Zusammen genommen haben diese Komponenten Einfluss auf die Situation vor Ort, im Fall von X haben sie zumindest zwischenzeitlich die Gewaltoption der Kommandeure eingedämmt. Drittens zeigt das Beispiel auch, dass die temporäre Eindämmung der willkürlichen Gewalt von entschlossenen und gut vernetzten Kommandeuren nicht ausreicht, um das grundlegende Problem der lokalen Willkürherrschaft nachhaltig zu lösen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es den Gewaltunternehmern gelingt, selbst Immunität über Mandate im nationalen oder Provinzparlament zu erlangen, oder sich die Patronage von einflussreichen Amtsinhabern in der staatlichen Administration zu sichern. Falls die sich andeutende Dynamik greifen sollte und Teile der organisierten Zivilgesellschaft radikalisiert werden, Schutz mit Waffengewalt in die eigenen Hand nehmen oder Schutz bei bewaffneten islamistischen Gruppierungen suchen werden, wäre X ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie ein Staat, der seiner elementaren Schutzverpflichtung aus Schwäche nicht nachkommen kann oder auf Grund von Korruption und Unterwanderung nicht nachkommen will, loyale Teile der Bevölkerung, die die Schutzverpflichtung organisiert eingefordert haben, in die Hände alternativer Schutzanbieter treibt.53 Für die Interpretation der Umfrageergebnisse, die dem Staat und den internationalen Kräften eine große Rolle in der Verbesserung ihrer Sicherheit zuweisen, zeigt die Entwicklung in X als worst case unter den uns bekannten Distrikten im Untersuchungsgebiet, dass sich in den beobachteten zwei Jahren selbst unter brutalen lokalen Herrschaftsbedingungen und einer kritischen Sicherheitslage zivilgesellschaftlicher Widerstand organisieren konnte, der bei Staat und ISAF nach Schutz verlangt. Ohne die Existenz des Staates als mögliche Alternative bzw. bessere Zukunftsoption und ohne die Anwesenheit des PRT als sichtbares Interventionspotenzial wäre der anfängliche Protest mit hoher Wahrscheinlichkeit im Blutbad niedergeschlagen worden und die Gründung eines politisch handlungsfähigen Vereins ganz unmöglich gewesen. Die Nachfrage nach einer neutralen Schutzmacht ist in dem Beobachtungszeitraum trotz aller Defizite nicht vollständig frustriert worden. Diese Dynamik finden wir in anderen Distrikten, in denen offen agierende Gewaltunternehmer seit 2004 sehr viel effektiver als in X aus der Öffentlichkeit verdrängt wurden, noch deutlicher. Wenn X ein (wenn auch wiedererstarkendes) Relikt der Gewaltordnung ist, die bis 2003 in weiten Teilen des Untersuchungsgebietes bestimmend war und die ihre Wurzeln in der Jihadi-komandan-Herrschaft nach dem Abzug der sowjetischen Truppen hatte, dann kann man mit Fug und Recht die Dynamik in den Distrikten, in denen die Umfrage durchgeführt wurde, als eine Zunahme an Landfrieden bezeichnen. Es ist vor allem dieser Rückgang der sozial nicht eingebetteten komandan-Willkürherrschaft, der ISAF und dem neuen Staat als sich in Administration, uniformierten Polizisten und Militärs manifestierende 53 Selbstverletzung des legitimen staatlichen Gewaltmonopols ist bei Wirz (1982) eine der wichtigsten Ursachen für Staatszerfall und Bürgerkrieg in Afrika, bei Elwert (1999: 95-97) eine ursächliche Dynamik in der Entstehung von gewaltoffenen Räumen, einhergehend mit dem Verlust staatlicher Herrschaftslegitimation.

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Alternative positiv zugeschrieben wird. Der relative Rückgang der Rolle bloßer Durchsetzungsmacht stärkt (selbst in X) lokale problemlösende und konfliktbearbeitende Institutionen, wie CDCs, Vereine oder traditionelle Dorfräte; diese sind in ihrer Reichweite aber begrenzt und müssten besser gegen Macht von außen geschützt werden, der sie sonst nicht standhalten können. Dabei ist dieser Prozess alles andere als abgeschlossen oder institutionell verfestigt. Die positive Rückmeldung der Respondenten an die Adresse des Staates und der internationalen Kräfte ist also kein Hinweis auf abgeschlossene Befriedung durch geschaffene Staatlichkeit, sondern eher die Anerkennung der ersten signifikanten Schritte in diese Richtung und Ausdruck der Hoffnung auf weitere Verbesserungen.54 In diesem Lichte kann die vielleicht erstaunlichste und schwierig einzuordnende Zahl der Umfrageergebnisse zum Themenblock „Sicherheit“ zumindest ein Stück weit erklärt werden. Die Distriktverwaltung hatte mit 92,9% den höchsten Wert für zugeschriebene Sicherheitsproduktion erlangt. Vor dem Hintergrund des Fallbeispiels X kann dies nur verwundern. Nun ist dieser Fall, wie gesagt, ein extremes Beispiel für die Übermacht informeller Gewaltorganisation gegenüber der offiziellen Staatsmacht. Weitaus typischer sind die Fälle, in denen ehemalige Kommandeure ihre informelle Macht mit Macht und Ansehen des offiziellen Postens als Distriktgouverneur oder Polizeichef gepaart haben und sich dann langsam der institutionellen Logik der offiziellen Position – einschließlich von oben angeordneter Versetzungen – angepasst haben. Ungeachtet dessen gelten Distriktverwaltungen als chronisch korrupt, parteiisch, schlecht ausgebildet und wenig daran interessiert, öffentliche Güter wie Sicherheit oder Infrastruktur in ihrem Verwaltungsdistrikt aus eigenem Antrieb herzustellen (siehe Gardizi 2007: 19). Zudem gelten sie bei internationalen Entwicklungsakteuren als Administration ohne Legitimation von unten, da sie ernannt werden und von keinem gewählten Organ (den in der Verfassung vorgesehenen, aber nicht umgesetzten Distrikträten) kontrolliert werden. All dem zum Trotz ist die Distriktverwaltung die erste Anlaufstelle des Staates, wenn es zu Konflikten kommt, die aus eigener Kraft oder über lokale Institutionen nicht mehr zu lösen sind – und dies war selbst unter den widrigen Bedingungen im Fallbeispiel X der Fall. Während 60% der in der Baseline-Umfrage befragten Haushalte der Meinung waren, dass der Distriktgouverneur Konflikte niemals bzw. selten gerecht entschied, gaben trotzdem 50% an, den wolliswol an zweiter oder dritter Stelle im Falle eines Ressourcenkonfliktes hinzuzuziehen.55 Auch die bisher zusammengestellten Fallstudien zu Konfliktverläufen weisen darauf hin, dass in aller Regel der wolliswol (nicht der qazi oder der Polizeichef ) in Konflikten, die lokal nicht geregelt werden können, eingeschaltet wird. Er entscheidet dann, ob der Streitfall an Polizei oder Gericht weitergegeben wird oder ob er selbst eine Lösung anzubieten hat (zumeist gegen eine weitgehend akzeptierte Gebühr; manchmal werden Entscheidungen auch an den meistbietenden verkauft, was dann als venal gilt und nicht mehr akzeptiert ist)56. In den meisten uns vorliegenden Fällen autorisiert er die lokale shura, die den Fall meist

54 Gerade diese in die Bewertung schon eingegangene Hoffnung könnte sich im Falle von ausbleibenden weiteren Verbesserungen deutlich negativ bei der Wiederholung der Umfrage zur Sicherheitswahrnehmung auswirken. 55 Als Vergleichswert dazu waren ca. 80% der Befragten der Ansicht, dass der Ältestenrat bzw. die lokale shura Konflikte immer oder meistens gerecht entscheide; 70% würden shura oder Ältestenrat in einem Ressourcenkonflikt einschalten. 56 Auch Ergebnisse der Baseline-Umfrage weisen auf die exponierte Rolle hin, die Geld in der Entscheidung von Konflikten spielt: 52% waren der Meinung, dass Geld immer eine Rolle spielt, wenn es darum geht, einen Konflikt zu den eigenen Gunsten zu entscheiden, 32% sagten, dies sei manchmal der Fall. An zweiter Stelle wurden Netzwerke (verwandtschaftliche oder vergleichbare Solidaritätsnetzwerke wie der qaum) genannt. Hier waren lediglich 21% der Ansicht, dass diese immer eine Rolle spielten, aber 46% fanden, dass sie manchmal die entscheidende Ressource waren. 57% waren im Vergleich dazu der Ansicht, dass Gewalt nie oder nur selten eine gewinnbringende Ressource sei.

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schon behandelt hat und zu keiner Lösung gekommen ist. Häufig führt diese Schleife über die Distrikt­ administration dann zum Erfolg. Ohne hier zu einer abschließenden Beurteilung kommen zu wollen, liegt die Vermutung nahe, dass die Distriktadministration kein Fremdkörper in der Mikropolitik der Distrikte, sondern Teil des lokal eingeübten Spiels der Austragung von Konflikten ist. Der Zugang zu elementaren administrativen Dienstleistungen kann nicht nur über Netzwerke und Beziehungen, sondern auch ohne Ansehen von Person und gesellschaftlicher Position über Geld hergestellt werden - was unter Umständen inklusiver ist als der Zugang zu informellen lokalen Autoritäten. Die Distriktverwaltung stellt in Konflikten die erste Instanz einer staatlichen Entscheidungsebene dar, die über den lokalen gesellschaftlichen Institutionen und Machtkonstellationen liegt. Insofern ist die Distriktadministration ungeliebt, aber doch als Option akzeptiert und in gesellschaftliche Prozesse integriert. Neben einer allgemeinen, also öffentlichen, Verbesserung der Sicherheitslage im Vergleich zu der ungestörten politischen Gewaltökonomie der Kommandeure, stießen wir auf eine spezielle Sicherheitsleistung, mit der konkret die internationale militärische Präsenz in Verbindung gebracht wird. Dies ist der Schutz von als Talibansympathisanten diffamierten Minderheiten vor Übergriffen durch die von Kommandeuren der Nordallianz dominierten lokalen Sicherheitskräfte bzw. ihre informellen Gegenstücke (wie in Distrikt X). So machte der Vorsitzende der shura eines Dorfes in Lala Maidan, der selbst ehemaliger Talibankommandeur war, den Autor darauf aufmerksam, dass ein Teil seines Dorfes nach dem Sturz der Taliban von Jumbesh-Milizen niedergebrannt worden war, woraufhin die Bewohner fliehen mussten. Solange das PRT in Kunduz stationiert sei, erläuterte er, sei zumindest mit solchen Übergriffen nicht mehr zu rechnen. Ähnliche Aussagen nahmen die einheimischen Surveyteams auch in anderen, hauptsächlich von Paschtunen bewohnten Dörfern auf, die sich mit den Taliban gut arrangiert hatten oder zumindest in diesem Ruf standen. Weiter erklärte ein einflussreicher Geschäftsmann in Kunduz, der für die Tali­banregierung im Norden für Devisengeschäfte zuständig war, im Interview, dass die Anwesenheit neutraler internationaler Truppen insbesondere für die Minderheiten notwendig sei, die sich nicht aus eigener Kraft schützen könnten. Er fügte hinzu, dass ein Abzug der deutschen ISAF-Truppen zu diesem Zeitpunkt dazu führen würde, dass sich die ehemaligen Jihadi-Kommandeure gegenseitig, und alle zusammen den ehemaligen Taliban an die Kehle gehen würden. Diese durchaus plausiblen und überzeugend vertretenen Standpunkte bedeuten allerdings nicht, dass sie in den betroffenen Gemeinden oder Gruppen auch das dominante oder handlungsweisende Interpretationsmuster sind. In Lala Maidan wurde dies deutlich als der sichtlich nervöse, jüngst aus Pakistan heimgekehrte und vom Dorfchef zur Übersetzung abkommandierte junge Mann dem Autor gegenüber erklärte, dass er schon gerne für Ausländer arbeiten würde (um sein Medizinstudium in Kunduz zu finanzieren), dass es aber auch in seinem Dorf „naughty people“ gäbe, die eine solche Zusammenarbeit gewaltsam unterbinden könnten. Auch weisen die Umfrageergebnisse nach bisherigem Auswertungsstand nicht auf signifikante Unterschiede in der Art hin, wie Sicherheits- und Unsicherheitseinflüsse den verschieden Akteursgruppen zugeordnet werden, wenn die Dörfer nach ethnischer Zugehörigkeit oder ethnischen Mehrheitsverhältnis-

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sen differenziert werden. Paschtunen fühlen sich also statistisch nicht signifikant unsicherer als andere, eher mit der ehemaligen Nordallianz assoziierte ethnische Gruppen wie Usbeken oder Tadschiken. Der letzte Aspekt, den ich für eine fundierte Interpretation der Ergebnisse zu wahrgenommenen Verbesserungen von Sicherheit ausleuchten möchte, bezieht sich auf das taktische Verhalten der internationalen Truppen im Rahmen des deutschen PRT-Ansatzes und die Reaktion der Bevölkerung darauf. Für diesen Aspekt habe ich keine eindeutig zuzuordnenden statistischen Resultate, die über die allgemein hohen Akzeptanzwerte, auf die die Baseline-Umfrage und die Stichprobe im Juli 2007 hindeuten, hinausgehen.57 Es konnte bisher mit einiger Gewissheit gezeigt werden, dass die Eindämmung von lokaler Willkürherrschaft durch die internationale Präsenz einen entscheidenden Anteil an der positiven Sicherheitswirkung von ISAF in den Zielprovinzen hat. Andererseits ergab die Baseline-Umfrage auch, dass annährend die Hälfte der befragten Haushalte der Ansicht war, dass die Anwesenheit fremder Truppen eine Gefährdung für lokale Gebräuche und islamische Werte darstelle (vgl. S. 19). Auch ist aus anderen Untersuchungen und eigener Feldforschung in anderen Landesteilen hinlänglich bekannt, dass das taktische Verhalten von ausländischen Truppen der Bevölkerung gegenüber zu einem massiven Einbruch lokaler Unterstützung für die Intervention allgemein und Akzeptanz für die militärischen Kräfte im Besonderen beigetragen hat (siehe Koehler 2005).58 Da das PRT in Kunduz augenfällig nicht mit weniger, sondern mit mehr Sicherheit in Verbindung gebracht wird, stellt sich die Frage, wie die ISAF in Kunduz und Takhar der Bevölkerung gegenüber in Erscheinung tritt und wie sie von der Bevölkerung angenommen wird. Wir können auf der Grundlage der bisher vorhandenen Daten lediglich einen kurzen Indizienprozess führen. In Interviews, die vor dem Beginn der Anschlagsserie im April und Mai 2007 mit Vertretern der operativen sowie der Leitungsebene des militärischen Teils des PRT geführt wurden, ergaben sich eine Reihe von Besonderheiten, die das Auftreten der Militärs im Einsatzgebiet kennzeichneten. Zum einen legt das PRT hohen Wert auf einen direkten Kontakt zur Bevölkerung, und das auch in Gebieten, in denen Anzeichen von Feindseligkeit beobachtet wurden (z.B. Kinder, die Patrouillen mit Steinen bewarfen oder Erwachsene, die Drohgebärden machten).59 Gerade in solchen Gemeinden ging man demnach mit wenig martialischen, leicht bewaffneten Kräften („friendly forces“) hinein und suchte das Gespräch mit Dorfautoritäten, um festzustellen, was der Grund für die ablehnenden Reaktionen waren (zwei solche Dörfer sind Teil unseres Untersuchungsausschnitts). Traf man auf offene Feindseligkeiten oder unerwartete Be57 In der Stichprobe vom Juli 2007 wurde neu auch danach gefragt, ob der Respondent mit der Anwesenheit von internationalen Truppen in seinem Distrikt einverstanden ist. 86% der Befragten beantworteten die Frage positiv. 76% waren der Meinung, dass der Haushalt direkten Nutzen von der internationalen militärischen Präsenz gezogen hätte, und 74% sagten, dass das Militär zum Schutz der Bevölkerung beitragen würde. Nur 40% waren der Ansicht, dass vor allem Ausländer von dem Schutz des Militärs profitieren würden. 58 Die afghanische Regierung führt seit 2006 öffentlich eine kritische Debatte über hohe Kollateralschäden durch Luftangriffe, Luftunterstützung und Überreaktionen von Patrouillen auf Angriffe in Bezug auf Operationen im Süden und Südosten des Landes (siehe BBC World 2007). Dies ist von der NATO in Strategiedokumenten aufgenommen worden (General Jones/Ambassador Pickering 2008). 59 Erstaunlich ist, dass trotz dieser erklärten Strategie die Anwesenheit von externem Militär (ISAF) zwar bekannt ist und die meisten interviewten Menschen eine Meinung dazu haben, gleichzeitig aber der Informationsstand über das PRT Kunduz selbst gering ist. In der Haushaltsbefragung gaben lediglich 14% der Befragten an, dass sie vom PRT Kunduz gehört hätten (für Warsaj ist dieses geringe Informationsniveau nachvollziehbar, weil das PRT dort nur im Rahmen sehr weniger CIMIC-Einsätze präsent war – in den anderen Distrikten bedeutet dies, dass die Patrouillen und Dorfbesuche nicht mit dem PRT im speziellen, sondern mit ISAF allgemein in Verbindung gebracht werden).

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hinderungen von Seiten lokaler Machthaber, wurden Verhandlungslösungen gesucht und im Zweifelsfall der Rückzug vorgezogen. Wenn aktive Zwangsmaßnahmen nötig schienen, ging man in Kooperation mit afghanischen Kräften vor (second row approach). Konfrontationen mit bewaffneten Gruppen aus dem Feld der Drogenökonomie wurden aktiv vermieden. Patrouillen und sichtbare Aufklärung aus der Luft und durch Bodenkräfte wurden benutzt, um lokale Machthaber oder auch kriminelle Banden in Schach zu halten bzw. nervös zu machen, ein aktives Eingreifen fand aber nicht statt. Zudem wurden informelle Gesprächsrunden mit ehemaligen Talibankommandeuren aufgebaut, die als Vertrauen schaffende Maßnahmen dienen sollten.60 Dieses vorsichtige bzw. umsichtige Vorgehen unterscheidet sich deutlich von den proaktiven und direkten Operationen von ISAF und OEF in anderen Landesteilen (auch bevor diese von kriegerischen Auseinandersetzungen betroffen waren, wie beispielsweise das bis 2006 relativ friedliche Nangarhar). Die Einschätzungen hierzu befragter Afghanen sind unterschiedlich. So kritisierte der schon erwähnte Grenzkommandeur General Haji Zahir Qadir, dass das deutsche PRT nicht willens oder in der Lage sei, Drogenlaboratorien, in die ihre Patrouillen buchstäblich hineingelaufen seien, auszuheben. Als Beispiel nannte er einen Fall, in dem sich seine Leute im Nachgang und ohne die Unterstützung des PRT eine ganze Nacht lang in das Dorf an der Grenze zu Tadschikistan vorkämpfen mussten, um zwei Labors zu zerstören. Hier wird Zurückhaltung klar mit Schwäche assoziiert.61 Diese Interpretation ist durchaus auch unter Mannschafts- und Führungspersonal im PRT selbst anzutreffen, die aus prinzipiellen oder operativen Erwägungen unzufrieden mit den Beschränkungen sind, die der deutsche PRT-Ansatz in Auslegung des ISAF-Mandates bisher bedeutet hat (auf den Punkt gebracht: Zwang, wenn er nicht der unmittelbaren Selbstverteidigung dient, nur aus der zweiten Reihe anzuwenden). Eine andere Einschätzung des Auftretens von PRT-Patrouillen erhielten wir zufällig, als wir in dem Dorf Katayan im Taloqan Distrikt Informationen über Entwicklungsprojekte einholten. Als wir uns nach dem Ansehen der internationalen Akteure erkundigten und sehr positive Aussagen über die deutschen ISAFKräfte vorsichtig mit afghanischer Höflichkeit den anwesenden deutschen Gästen gegenüber in Verbindung brachten, veranschaulichte der Wortführer seine Position mit folgender Geschichte: Zwei Wochen vor unserem Besuch war eine Dorfbewohnerin von einem Fahrzeug eines deutschen Militärkonvois, der sich von Takhar in Richtung Badakhshan bewegte, erfasst und schwer verletzt worden. Zum großen Erstaunen der Dorfbewohner stoppte der Konvoi sofort, versorgte die Frau an Ort und Stelle medizinisch und brachte die sterbende Frau dann eigenhändig zu ihren Verwandten in das Dorf zurück. Dort gelang es, die Frau zu stabilisieren und der Militärarzt fragte die Verwandten um Erlaubnis, die Frau per Hubschrauber in das Krankenhaus in Mazar-e Sharif ausfliegen zu dürfen.62 Die Familie willigte ein und die

60 Änderungen im taktischen Verhalten des PRT nach den Anschlägen im Frühjahr 2007 werden an dieser Stelle nicht berücksichtigt, da sie nicht in den diesem Papier zugrunde liegenden Beobachtungszeitraum fallen. 61 Dazu sollte vermutlich angemerkt werden, dass Haji Zahir Qadir in den Jahren, die er als Grenzkommandeur der östlichen Provinzen gearbeitet hat, eng mit den US-Truppen zusammengearbeitet hat und von diesen auch aufgerüstet wurde. Er ist der Sohn Haji Qadirs und Neffe von Abdul Haq, beide bis zu ihrem gewaltsamen Tod 2001 bzw. 2002 engste Verbündete der Amerikaner zunächst im Krieg gegen die Sowjetunion, dann im Kampf gegen die Taliban. 62 Der Grund für dieses ganze Verfahren, das die Soldaten einer im Grunde nicht einschätzbaren Situation im Dorf ohne spezielle Sicherungsmaßnahmen ausgesetzt hatte, war, dass die Ärzte nicht erwarteten, die Frau durchbringen zu können, der Kommandeur aber nicht wollte, dass die Frau im Auto oder Hubschrauber von „Ungläubigen“ ohne Einverständnis der Familie sterben würde.

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Frau wurde nach Mazar ins Krankenhaus geflogen. Dort erlag sie dann am darauf folgenden Tag ihren Verletzungen. Die Gesprächspartner erklärten, dass sie so eine Behandlung von militärischen Kräften noch nie gesehen hätten – ein lokaler Kommandeur, der im vergangenen Jahr einen Jungen überfahren hatte, hielt nicht einmal an. Die Deutschen hätten sogar noch eine Kompensation bezahlt, obwohl die Frau selbst an dem Unfall schuld gewesen sei. Diese Reaktion zeigt, wenn auch anekdotisch, dass gerade in einem von willkürlicher Gewaltausübung gezeichneten Land wie Afghanistan die Selbstbeschränkung von Gewalt auf Seiten militärisch starker Machtakteure ganz erhebliches Ansehen in den Augen der Bevölkerung schaffen kann. Auch dies erklärt möglicher Weise ein Stück weit die positiven Ergebnisse der Umfrage zur ISAF-Performance. Die allgemein geäußerte Sorge, dass die Anwesenheit fremder Truppen lokale Bräuche und islamische Werte gefährden würde, steht dazu nicht notwendig im Widerspruch. Die Truppen bleiben ein Fremdkörper in der Region, der andere Werte verkörpert und sich vollkommen jenseits der sozialen Kontrolle der afghanischen Gemeinden bewegt. Insofern ist auch ohne die antiwestliche islamistische Propaganda, die zusätzlich ein einfaches und plausibles Interpretationsraster vorgibt, ein Misstrauen gegenüber Motiven und moralischen Wirkungen nachvollziehbar. Das hindert die Bevölkerung allerdings nicht daran, konkrete, pragmatisch willkommene Leistungen anzunehmen und gutzuheißen.63 In dem so lebenswichtigen Bereich Sicherheit geht diese erwirtschaftete Akzeptanz vermutlich über einfachen Opportunismus hinaus. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Umgang mit drei Bedrohungsphänomenen maßgeblichen Einfluss auf die lokal angetroffenen Sicherheitsbeurteilungen hat: Der Schutz vor willkürlicher, sozial nicht eingebetteter Machtausübung der Kommandeure; der Schutz diffamierter Minderheiten, die mit der gestürzten Talibanregierung in Verbindung gebracht werden, vor gewaltsamer Vertreibung oder Vergeltungsmaßnahmen; und die Selbstbeschränkung eigener Gewalt, also der Schutz vor unverhältnismäßigen oder als willkürlich angesehenen Zwangsmaßnahmen durch die externen Truppen.

Entwicklung Die Ergebnisse der Baseline-Umfrage zur Wirkung von Entwicklungsmaßnahmen im Untersuchungsgebiet lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Der bisher erreichte Entwicklungsstand ist selbst in den im afghanischen Vergleich traditionell relativ „wohlhabenden“ Provinzen Kunduz und Takhar niedrig. In der Stichprobe der Baseline-Umfrage hatten nur 9% der Haushalte Zugang zu Leitungswasser und 36% zu abgedeckten Brunnen; 55% hatten lediglich Zugang zu offenen Wasserquellen. Nur 25% der Haushalte verfügten über Elektrizität. 7% gaben an, dass ihre Versorgung mit Grundnahrungsmitteln nicht gesichert sei und weitere 23% meinten, sie könnten sich zwar mit Grundnahrungsmitteln versorgen, hätten aber Schwierigkeiten darüber hinaus Ausgaben für Kleidung oder soziale Verpflichtungen zu tätigen.

63 Dieser Lesart entspricht auch ein weiteres Ergebnis der Juliumfrage 2007: in diesem Subsample von 10 Gemeinden gaben 86% an, dass sie mit der Anwesenheit von internationalen Truppen in ihrem Distrikt einverstanden wäre und 76% gaben an, dass ihr Haushalt von der Anwesenheit internationaler Truppen profitieren würde.

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Die Abdeckung mit Inputs (Projekte und Maßnahmen) aus dem Bereich der Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit ist für den Beobachtungszeitraum (2005 und 2006) aber erstaunlich hoch. 66% der Befragten gaben an, dass ihre Gemeinde in diesem Zeitraum von Brücken- und Straßenbauprojekten profitiert habe, weitere 66% von Trinkwasserprojekten und Brunnenbaumaßnahmen, 47% von Schulprojekten, 24% von Projekten im Irrigationswesen, 16% von Beratungsdienstleistungen im landwirtschaftlichen Sektor, und 14% von Stromversorgungsprojekten. Dagegen gaben nur 6% an, dass die Gemeinde Nahrungsmittelhilfen bekommen hätte, 5,5% erinnerten sich an Fortbildungs- und Capacity Building Projekte in der Gemeinde und lediglich 2,5% sagten, dass beschäftigungsfördernde Maßnahmen oder Projekte durchgeführt worden seien. Dieses Bild einer hohen Reichweite von Projektarbeit im Bereich der ländlichen Infrastruktur deckt sich mit dem Projekt-Mapping für den Beobachtungszeitraum: in nur 7 von 80 Gemeinden war keine Projekttätigkeit festzustellen. Auffallend ist auch, dass die Respondenten, die Aktivitäten in einem bestimmten Sektor ihrer Gemeinde zurückmeldeten, auch angaben, dass sich in diesem Sektor die Situation verbessert habe – ein Indiz dafür, dass die Projekte zumindest in Teilen ihr Ziel erreicht haben und Entwicklungsruinen nicht die Regel sind.64 Ein weiteres, ganz wesentliches Ergebnis, das die Baseline-Umfrage hinsichtlich der Entwicklungswirkung zutage förderte, bezieht sich entsprechend der oben geführten Sicherheitsdiskussion auf die Frage, welchen Akteuren Verbesserungen durch Entwicklungsinputs zugeschrieben werden. Hier ergibt sich ein dramatisch anderes Bild als im Falle des Gutes Sicherheit. Mit der bemerkenswerten Ausnahme des Sektors „Schulbildung“ wird der Staat kaum mit Verbesserungen im Bereich grundlegender öffentlicher Leistungen in Verbindung gebracht. Dies kontrastiert mit hohen Werten im Infrastrukturbereich für internationale Entwicklungsakteure. Während 61% der Befragten der Ansicht waren, dass internationale Entwicklungsakteure Verbesserungen im Bereich Trinkwasser bewirkt hätten, teilten diese Ansicht nur 5% in Bezug auf den eigenen Staat. Für Straßen- und Brückenbau sind es 61% zu 13%, für Elektrizität 12% zu 3%, für Verbesserungen in der Landwirtschaft65 16% zu 8% und nur im Bereich Schulbildung ergibt sich das eher ausgeglichene Verhältnis von 40% zu 34%. Dieses Ergebnis ist vor allem deshalb relevant, weil, wie oben gezeigt wurde, die bi- wie multilateralen Entwicklungsanstrengungen vor allem auch dazu beitragen sollen, entstehende staatliche Institutionen zu legitimieren, zu deren Funktionsfähigkeit beizutragen und ganz allgemein Governance-Leistungen zu verbessern. Dies kommt in den genannten Bereichen in den Augen der befragten Haushalte so noch nicht an. Über die Baseline-Umfrage versuchte das Forschungsteam ein Maß dafür zu finden, inwieweit die Respondenten gegenüber Wertvorstellungen, für die der neue Staat und die westlichen Entwicklungsakteure stehen, aufgeschlossen oder ablehnend eingestellt sind. Ablehnung bzw. Zuspruch wurde an drei Markern festgemacht, die in direktem Widerspruch zu der sozialen Ordnung stehen, die die Taliban (und in Teilen auch die islamistischen Mujaheddin der post-Jihad Ära) vertreten haben. So wurde nach der Bereitschaft des Haushaltes, ihre Söhne und Töchter in staatliche Schulen zu schicken, nach der 64 Das ist nicht selbstverständlich der Fall; z.B. ist im Bereich Stromerzeugung über Dieselgeneratoren oder Mikrowasserkraftwerke die beobachtete Ausfallrate in Warsaj sehr hoch. Für solche Fälle wäre zu erwarten, dass die Respondenten Aktivitäten in dem Bereich angeben, aber keine Verbesserungen im Sektor zurückmelden. 65 In der Frage nach Verbesserungen subsumierte dieser Punkt sowohl Irrigation als auch landwirtschaftliche Beratungsdienste (was in der Region oft in Verbindung mit verbessertem Saatgut erfolgt). Es fällt auf, dass hier die angezeigte Verbesserung mit der niedrigeren Zahl für beobachtete landwirtschaftliche Beratungsprojekte (auch 16%) korreliert, und nicht mit der höheren Zahl für Irrigationsprojekte, aus denen die Gemeinde im Beobachtungszeitraum Nutzen gezogen hat (24%).

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Einstellung zu Lohnarbeit außerhalb des Haushaltes für weibliche Haushaltsmitglieder und, wie oben unter „Sicherheit“ schon angesprochen, nach der Bedrohung von lokalen und islamischen Werten durch fremde Truppen und internationale Entwicklungsakteure gefragt. Alle Haushalte waren dabei der Ansicht, dass staatliche Schulbildung für Jungen sich positiv auf die Gemeinschaft auswirkt, nur 2% der Haushalte gaben an, dass dies für Mädchen nicht gelte. 88% der Befragten waren der Ansicht, dass staatliche Schulbildung mit lokalen Bräuchen und islamischen Werten zu vereinbaren sei (allerdings konnten 11% diese Frage nicht beantworten, was auffallend höher ist als im Falle der anderen Fragen). Gleichzeitig waren 14% nicht einverstanden mit der Aussage, dass Lohnarbeit außerhalb des Haushaltes sowohl für Männer als auch Frauen eine positive Entwicklung darstelle. 21% waren der Ansicht, internationale Entwicklungshilfe sei eine Bedrohung für lokale und islamische Werte in ihrer Gemeinde und 43% fanden, dies gelte für die Präsenz internationaler Truppen. Die in der Umfrage zurückgemeldete hohe Abdeckung der befragten Gemeinden im Untersuchungsgebiet mit Entwicklungsmaßnahmen im Bereich infrastruktureller Kleinmaßnahmen ist nachvollziehbar. Sie ist einer Reihe distriktspezifischer Faktoren geschuldet, die ich nachfolgend identifizieren will. Drei der vier Zieldistrikte, nämlich Aliabad, Imam Sahib und Warsaj, waren im Beobachtungszeitraum Teil des schrittweise landesweit umgesetzten NSP, das über neu geschaffene CDCs sogenannte Block Grants im Bereich der ländlichen Infrastrukturentwicklung umsetzt. Das NSP sollte als nationales Programm, welches Gemeinden flächendeckend erfasst und vom MRRD getragen wird, eigentlich das Flagschiff für partizipatorische, sichtbare und willkommene staatliche Durchdringung des ländlichen Raumes sein. Da das Programm aber vollständig geberfinanziert ist, das Verfahren samt konstituierenden Wahlen zu den CDC und die Modalitäten der Grant-Vergabe von der Weltbank festgesetzt wurde, die finanzielle Abwicklung bis einschließlich 2006 nicht dem Ministerium, sondern einem Oversight Consultant des Geschäftsbereichs „International Services“ der GTZ überantwortet wurde und, ganz entscheidend, die Umsetzung der Wahlen sowie die Priorisierung von Projekten durch die CDC und letztlich die Implementierung der Projekte von einem Bukett an internationalen NGOs und anderen internationalen Organisationen als Facilitating Partners vor Ort umgesetzt wurden, war es um die Sichtbarkeit des afghanischen Staates im Rahmen des NSP nicht sehr gut bestellt. So nimmt es nicht wunder, dass die Anwesenheit oder Abwesenheit des NSP in den Dörfern des Samples nur einen geringfügig verbessernden Ausschlag auf das Abschneiden des Staates als Leistungsträger im Bereich ländlicher Infrastruktur hat. Dieselben drei NSP-Distrikte waren bis 2007 auch Fokusdistrikte der entwicklungsorientierten Nothilfe (EON) der GTZ. Die GTZ ist seit 2003 mit Programmen zur Ernährungssicherung (ESP) und EON in Takhar und Kunduz vertreten. Seit 2005 verfolgt sie zusammen mit dem MRRD als staatlichem Partner einen integrierten Ländlichen Entwicklungsansatz (Sustainable Rural Livelihoods, SRL). Die SRL-Strategie sieht eine lokale Konzentration von Maßnahmen in den Zieldistrikten vor, die um so genannte Backbone-Projekte oder Leitprojekte angeordnet wurden. Provinzweite Projektaktivitäten, vor allem über PDFs (Provincial Development Funds) nach einem auf Wettbewerb basierendem Vergabeverfahren unter Einbezug zuständiger Stellen in der Provinzadministration, wurden bis Januar 2007 lediglich als nachgeordnete

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Begleitmaßnahmen durchgeführt.66 So verwundert es nicht, dass 5 der 7 Gemeinden, für die in dem Beobachtungszeitraum keine Projektaktivitäten festgestellt werden konnten, in dem Distrikt liegen, der weder für NSP noch für EON Zieldistrikt war (Taloqan). In diesem Distrikt werden auch für jeden der ausschlaggebenden Sektoren67 unterdurchschnittliche Werte für Verbesserungen durch internationale Entwicklungsakteure erzielt; mit der Ausnahme von „Trinkwasser“, wo der Durchschnitt für Warsaj noch unter Taloqan lag,68 ergaben sich im sektorinternen Vergleich unter den Distrikten die jeweils niedrigsten Werte. Ein weiterer internationaler Entwicklungsakteur mit sehr hoher Abdeckung in den beiden Zieldistrikten in Kunduz ist die DWHH, die sich auf die Trinkwasserversorgung von Gemeinden durch Brunnen und Leitungssysteme spezialisiert hat. Auch die CIMIC-Teams des PRT haben ihre Maßnahmen seit 2006 verstärkt über die Povinzzentren und strategischen Versorgungstrassen (die so genannten Lines of Communication, LOC) hinaus ins Hinterland ausgedehnt. Neben diesen deutschen Organisationen mit starker Präsenz im ländlichen Raum arbeiten eine Reihe anderer INGOs und afghanischer NGOs in den Zieldistrikten im Bereich ländlicher Entwicklung. Außerdem sind die UN-Agenturen UNDP, UNHCR, FAO und das World Food Program vor Ort aktiv, fielen aber in unseren Zielgemeinden nicht ins Gewicht. Ebenso hatte das sich in Zukunft großflächig im ländlichen Raum entfaltende, von der Europäischen Kommission finanzierte Kunduz River Basin Program (KRBP) im Untersuchungszeitraum noch keinen nachweisbaren Effekt auf die Zieldistrikte. Das liegt zum einen daran, dass die Zeit seit dem Beginn des Programms in 2004 bis Ende 2006 vor allem dem institutionellen Aufbau des Programms, der Datenerhebung und Analyse und ingenieurtechnischen Vorbereitung diente. Konkrete Projektarbeit im Rahmen der technischen Zusammenarbeit (TZ) an Kanalsystemen und Bewässerungssystemen sowie die Umsetzung einer Reform der lokalen Wasserverwaltung weg vom traditionellen mirob-basierten System hin zu institutionalisierten Wassernutzervereinen, stand im großen Stil erst für 2007 an.69 Zum anderen liegen unsere Zielgemeinden zwar mehrheitlich im Projektgebiet, allerdings nicht in den Gebieten, in denen im Rahmen der von NGO-Zusammenschlüssen durchgeführten Sub-Programme des KRBP Social Water Management oder der Upper Catchment Conservation bis Anfang 2007 gearbeitet wurde. Obwohl bisher also vor allem infrastrukturelle Kleinmaßnahmen umgesetzt wurden und keine großen, strukturverändernden Programme der Entwicklungszusammenarbeit mit unmittelbarer Wirkung auf die ländlichen Wirtschaftsformen durchgeführt wurden, ist die Rückmeldung aus den befragten Dörfern

66 Seit Januar 2007 haben die PDFs einen neuen institutionellen Rahmen und eine neue Finanzierungsgrundlage bekommen. Damit wurden sie zu einem zentralen Instrument aller im PRT vertretenen Ressorts, um Projektarbeit in möglichst viele Gemeinden im Einsatzgebiet zu bringen. 67 Berücksichtigt wurden Trinkwasserversorgung, Straßenbau, Schulbildung, Stromversorgung und Landwirtschaft; aufgrund der insgesamt sehr geringen Werte für Nahrungsmittelhilfen, Capacity Building und Erwerbstätigkeit blieben diese Sektoren hier unberücksichtigt. 68 Was nicht wirklich überrascht: für die Bewohner von Warsaj als einer wasserreichen Gebirgsregion hat die Verbesserung der Trinkwasserversorgung keine hohe Priorität. Damit bildet es eine Ausnahme unter den vier Zieldistrikten. 69 In der Stichprobe aus 10 Gemeinden, die im Juli 2007 erneut befragt wurden, taucht das Thema „Bessere Bewässerung durch verbesserte Irrigationsinfrastruktur“ anders als in der Februarbefragung an prominenter Stelle auf, wenn die Respondenten in einer offenen Antwort begründen, wodurch sich die wirtschaftliche Situation verbessert habe.

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überwiegend positiv. Dort, wo ein Input erfolgte, hat sich aus der Sicht der Bewohner auch etwas verbessert. Infrastrukturmaßnahmen, die über Gemeindeorganisationen umgesetzt werden, erhöhen Reichweite und Sichtbarkeit des internationalen Engagements. Interessant ist, dass Gruppeninterviews sowie die Stichprobe in 10 der 80 Zielgemeinden vom Juli 2007 zeigten, dass die mehrheitlich konstatierten Verbesserungen der ökonomischen Situation der Gemeinden (79% der Gefragten vertraten diese Ansicht) nicht nur mit Entwicklungsmaßnahmen in Verbindung gebracht werden. Während 55% der Befragten, die eine Verbesserung konstatierten, diese vor allem mit Entwicklungsmaßnahmen in Verbindung brachten, waren 31% der Ansicht, dass vor allem die verbesserte Sicherheitslage dazu beigetragen hätte, und 14% erklärten ohne Zuordnung, dass Handel und Handwerk einfach besser liefen. In einigen Minderheitengemeinden, die nach dem Sturz der Taliban besonderen Repressalien ausgesetzt waren, lag der Anteil derer, die verbesserte Sicherheit für die wichtigste Grundlage der ökonomischen Verbesserungen hielten, deutlich höher (in Chinzai beispielsweise bei 58%). In Gruppeninterviews mit lokalen Gruppen, die sich auf Projekte im Rahmen des Provincial Development Funds beworben hatten (also vor allem Dorfräte, auch zwei Schulen und eine NGO) und die mit einer Ausnahme nicht mit den Zielgemeinden der Baseline-Umfrage identisch waren, bestätigte sich dieses Bild. In den meisten Diskussionen wurde klar herausgestellt, dass Sicherheit als wichtigste Voraussetzung für ökonomische Verbesserungen der Gruppe gesehen wurde. Allerdings wurde in den Interviews mit betroffenen Minderheitengemeinden auch offen zum Ausdruck gebracht, dass sich zwar die Sicherheit verbessert habe, der Zugang zu Entwicklungsressourcen aber an den Minderheitengemeinden vorbeigehe, weil sie von der Distriktadministration als Taliban diffamiert würden und dies Entwicklungsakteure abschrecken würde. Die ungleiche Interdependenz zwischen Entwicklungsaktivitäten, Sicherheit für Entwicklungsakteure in den Gemeinden, Sicherheit der Gemeinden und die lokale Leistungsschwäche des afghanischen Staates lässt sich fokussiert an dem Fallbeispiel Lala Maidan in Aliabad veranschaulichen. Lala Maidan ist ein mantaqa (Dorfcluster oder Siedlungsgebiet), dass im schmalen bewässerten Streifen westlich des Kunduz Flusses liegt. Es ist nur über eine handgezogene Fähre mit der weitaus besser erschlossenen Infrastruktur entlang der Haupttrasse Kunduz-Baghlan verbunden. Die Dörfer sind hauptsächlich von paschtunischen Stämmen70 sowie einigen Balutschen bewohnt. Einige Dörfer praktizieren Transhumanz, wobei das Vieh im Sommer in das Shiva Hochland nach Badakhshan gebracht wird. Lala Maidan war während der Talibanzeit unter der direkten Kontrolle von lokalen Talibankommandeuren. Als einflussreichster unter ihnen gilt Kommandeur Haikal aus Lala Maidan 3.71 Dieser war zeitweise der Sicherheitschef (andere Quellen bezeichnen ihn als Geheimdienstchef ) der Taliban in Kunduz. In den 80er Jahren war er ein lokaler Kommandeur des Jihads gegen die Sowjetunion (vermutlich unter Ingenieur Omar als Teil der Abu Sayyaf Gruppierung). Haikal und andere Kommandeure flohen nach dem Fall der Taliban nach Pakistan. Im Rahmen des staatlichen Amnestie- und Reintegrationsprogramms für Taliban, Takim-e solh, kam er mit seiner Gefolgschaft 2006 zurück nach Aliabad. Es gab wiederholt Spannungen mit der bis März 2007 von einem

70 Vor allem Kakar und Asakzai. 71 Die Dörfer sind auf Karten durch Nummern unterschieden, die sich allerdings von den lokalen Toponymen unterscheiden; auf den AIMS-Karten wird es unter der Nummer 1 geführt.

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tadschikischen Ex-Mujaheddin der Nordallianz geführten Distriktverwaltung, die auch gegenüber dem PRT Anschläge auf der Haupttrasse Kunduz-Baghlan mit den Ex-Taliban Lala Maidans in Verbindung brachte. Ende 2006 sprach Haikal persönlich beim PRT vor, lud Vertreter ein, das mantaqa (hier: Siedlungsgebiet) zu besuchen und bot seine offene Unterstützung an. Er erklärte, es leid zu sein, von Entwicklungschancen durch die Negativpropaganda der Distriktverwaltung und afghanischer Sicherheitskräfte abgeschnitten zu werden. Dieses Treffen war der Ausgangpunkt für eine Reihe von informellen Zusammenkünften zwischen ehemaligen Talibankommandeuren und hochrangigen Vertretern des PRT (zunächst im Rahmen von Takim-e solh, dann auf Wunsch einiger Ex-Taliban ohne die offiziellen afghanischen Vertreter). In Lala Maidan war es erklärtes Interesse des PRT, das Dorf des einflussreichen Ex-Kommandeurs, der Kooperationsbereitschaft signalisiert hatte, stärker in einen Entwicklungsprozess einzubinden. Nachdem am 29.04.2007 ein afghanischer Mitarbeiter der DWHH in unmittelbarer Nähe des Dorfes Haikals gezielt ermordet worden war, wurde die Zusammenarbeit mit Lala Maidan sowie die informellen Konsultationen zwischen PRT und Ex-Kommandeuren zunächst auf Eis gelegt. Ziel war es, die Würdenträger der Gemeinde zu einer deutlichen und öffentlichen Positionierung gegen ideologische Gewalttäter zu bewegen. Der Erfolg dieses Vorgehens ist schwer zu erfassen; in dem Dorf wurden seit März 2007 eine Reihe von Interviews geführt, es war auch eine Zielgemeinde für das Fokusgruppeninterview sowie für die Umfragen im März und Juli. Das Ergebnis ist dabei nicht eindeutig. Klar ist, dass die Bewohner selbst unter Druck stehen und – für den ländlichen Raum untypisch – keine weit reichenden Sicherheitsgarantien für das unmittelbare Umfeld der Siedlung geben können. Selbst das hart gesottene paschtunische Surveyteam fühlte sich nach Einbruch der Dämmerung nicht sicher und wurde von einem Vertrauten des Ex-Kommandeurs einige Kilometer zur Fähre begleitet. Klar ist auch, dass die Bevölkerung sowohl unter dem Misstrauen der afghanischen Sicherheitskräfte als auch unter der Gefährdungslage leidet. In Einzel- und Gruppeninterviews wurden willkürliche Verhaftungen mit erpressten Freikäufen ganzer Personengruppen durch Polizei und Geheimdienst beklagt.72 Unwahrscheinlich ist allerdings, dass die Teilhabe an Entwicklungschancen als Anreiz ausreicht, um mit bewaffneten Gruppen zu brechen, deren Einfluss in das Dorf hineinreicht und die in der weiteren Umgebung (vor allem in dem Waldgebiet westlich des mantaqas) Fuß gefasst haben. Vermutlich haben die Afghanen Recht, wenn sie die Bedeutung von (eigener) Sicherheit für (eigene) Entwicklungschancen hervorheben; daraus folgte aber gerade nicht, dass Entwicklung gegen Sicherheit – hier die Übernahme des langfristigen Risikos, sich für Entwicklungsinputs jetzt gegen die Neo-Taliban zu positionieren – aufgewogen werden kann. Der Fall Lala Maidan ist bezeichnend für das Dilemma der ungleichen Interdependenz zwischen Sicherheit auf der einen und Entwicklung auf der anderen Seite. Bestätigt hat sich durch die Umfragen und Interviews auf afghanischer Seite, dass Sicherheit zentral für Entwicklung ist und dass verbesserte ökonomische Bedingungen mit der besseren Sicherheitslage und mit Entwicklungsmaßnahmen in Verbindung gebracht werden. Kann man aber mit Entwicklungsanreizen und Entwicklungserfolgen die Sicherheit der Bevölkerung, der lokalen staatlichen Organisationen und der internationalen Akteure verbessern? Die Entwicklun-

72 Der Distriktgouverneur hatte sich in einem Interview am 04.03.2007 mit dem Autor damit gebrüstet, dass Ende 2006 eine Anschlagsserie dadurch unterbunden werden konnte, dass er den Bewohnern seines Distrikts klar gemacht hätte, ihre Nachbarschaft würde kollektiv bestraft werden, wenn in deren Nähe Anschläge verübt würden. Er führte allerdings nicht aus, dass diese Strafmaßnahmen Verhaftungen mit erpressten Freikäufen sein könnten.

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gen in Lala Maidan zeigen, dass Anreize aus der Werkzeugkiste der Entwicklungszusammenarbeit sehr wohl neue Optionen in der Zusammenarbeit auch mit skeptischen oder potenziell feindseligen Kräften eröffnen können. Man kann solche Kräfte dadurch alleine aber nicht für die neue staatliche Ordnung einnehmen, insbesondere dann nicht, wenn diese Gruppen – im vorliegenden Fall ganze Gemeinden – sich sowohl von Seiten des organisierten bewaffneten Widerstandes als auch von Seiten einer feindselig und unberechenbar auftretenden Staatsmacht unter Druck gesetzt fühlen. Man muss anerkennen, dass die Gemeinden zwischen den Stühlen sitzen und die Gegner der derzeitigen staatlichen Ordnung ein glaubwürdiges und langfristiges Bedrohungspotenzial haben. Man kann den Einflussgrößen in solchen Gemeinden, die ja politische Gemeinwesen und keine uniformen und gleichgeschalteten Körperschaften sind, lediglich zusätzliche Anreize für ihre eigenen Macht- und Sicherheitskalküle geben. Diese können allenfalls die riskante Option, sich gegen den gewalttätigen Widerstand im Rahmen der eigenen Einflusssphäre zu positionieren, akzeptabler machen. In den Jahren des Krieges war es die erprobte und vorgezogene Überlebensstrategie afghanischer Haushalte und Gemeinden, es sich mit keiner übermächtigen gewaltfähigen Gruppe zu verderben und in möglichst viele Richtungen reziproke Verbindungen aufzubauen. Unter Bedingungen, in denen lokal dominante Gewaltakteure häufig wechseln und man wenig Zutrauen in den Bestand der Herrschaftsordnung der Stunde haben kann, ist diese Strategie plausibel, trägt aber nicht zur Verstetigung einer legitimen Herrschaftsordnung bei. Daher ist es im Rahmen der komplexen, militärisch-zivilen Intervention umso wichtiger, neben den Anreizen durch direkt eingebrachte Entwicklungsinputs auch die Leistungsfähigkeit und Fairness des Staates, insbesondere der Distriktadministrationen, zu verbessern. Solange diese Anreize vor allem mit den internationalen Entwicklungsakteuren in Verbindung gebracht werden und in den Augen der Bevölkerung an dem eigenen Staat vorbeigeht oder von dessen Administration zweckentfremdet und klientelistisch verteilt wird, wird die zu unterstützende staatliche Ordnung eher geschwächt als verstetigt. Die Akzeptanz, die inter- und transnationale Akteure so für sich alleine erwirtschaften, bringt nicht automatisch mehr Sicherheit; ob Akzeptanz alleine mehr Sicherheit für die internationale Präsenz nach sich zieht, hängt von der Art der asymmetrischen Bedrohung ab. Wenn diese von kleinen, professionellen Gruppen ausgeht, die für ihre Operationen nicht auf breite Unterstützung in der Bevölkerung angewiesen sind, ist die abwartende und jederzeit rückrufbare Akzeptanz, die für die Stimmung in Lala Maidan, Chinzai oder anderen vergleichbaren Gemeinden der Stichprobe kennzeichnend ist, kaum ein wirksamer Schutz. Breite Akzeptanz ist hingegen wichtig, um ein vertrauensvolles Arbeiten möglich zu machen und um zu verhindern, dass aus terroristisch operierenden Zellen Widerstandsbewegungen mit breiter öffentlicher Unterstützung werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das internationale Engagement in der Untersuchungsregion akzeptiert ist, weil es mit der Lösung von konkreten lokalen Problemen in Verbindung gebracht wird (Schutz vor willkürlicher Gewalt; Verbesserung der lokalen Infrastruktur). Der Staat wird mit allgemeiner Befriedung, nicht aber mit konkreten Problemlösungen und Entwicklungserfolgen in Verbindung gebracht. Es gibt eine Nachfrage nach neutraler, fairer Staatsmacht in Konflikten, ein entsprechendes Angebot besteht aber nicht. Ideologisch bleibt das Engagement suspekt; trotz allgemeiner Akzeptanz in weiten Teilen der Bevölkerung bleibt das Engagement auch im Nordosten angreifbar für entschlossene, professionell geführte und bewaffnete Gruppen.

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3. Fazit Die vorliegenden Ergebnisse aus quantitativen Umfrageauswertungen und der Rekontextualisierung der Daten im Zusammenhang qualitativ erworbener Erkenntnisse zur Organisation der Lokalgesellschaft lassen eine Reihe von Rückschlüssen auf Chancen und Grenzen transnational erwirkter Sicherheit im Rahmen komplexer Interventionen zu, die über das konkrete Fallbeispiel in Nordost-Afghanistan hinausweisen. Diese will ich abschließend aus der präsentierten Fallstudie zusammenziehen. Grundsätzlich geht es bei externen Interventionen in fremde, vom Zusammenbruch funktionsfähiger staatlicher Institutionen heimgesuchter Länder wie Afghanistan darum, das Problem gesellschaftlicher Ordnung beeinflussend in den Griff zu bekommen. Nach Norbert Elias muss jede Gesellschaft drei Grundfunktionen für die vergesellschafteten Individuen bereitstellen: die Sicherung der materiellen Reproduktionsfähigkeit, die Gewaltkontrolle sowie eine über Ideen und Weltbilder vermittelte symbolische Ordnung (Elias 1983). Erst durch das Ineinandergreifen dieser spezifisch ausgeprägten Funktionen entstehen unterschiedliche soziale Ordnungen, die als Gesellschaften definiert werden können. Kern dieser funktionalen Konzeption gesellschaftlicher Ordnung ist die Sicherung des Fortbestehens von den im Einzelfall sehr unterschiedlichen intersubjektiven Zusammenhängen, die eine Gesellschaft ausmachen. Das Grundproblem gesellschaftlicher Ordnung steht hinter den zwei Begriffen, die für komplexe Interventionsprogramme synonym verwendet werden: nation building und state building. Beide Termini bezeichnen einen extern eingeleiteten und unterstützten Prozess, der den (nationalen) Territorialstaat als zentrale Institution in der Bewältigung der Eliasschen Universalprobleme gesellschaftlicher Ordnung einführen bzw. wieder herstellen soll.73 In diesem Prozess tritt der Staat auf dem von ihm beanspruchten Territorium als regelnde Ordnungsmacht gegen vorhandene, meist lokal kleinteiligere Einflussgrößen an, die Reproduktionschancen, Gewaltkontrolle und Sinn teilgesellschaftlichen Segmenten zur Verfügung stellen. Im afghanischen Fallbeispiel sind dies Ältestenräte, organisierte Stammesverbände, lokale Milizen, Gewaltunternehmer mit Gefolgschaft, institutionalisierte religiöse Autorität, Patronagenetzwerke regionaler Machthaber oder auch, wie im Falle der Taliban, komplexe Herrschaftsapparate mit Anspruch auf alternative Staatsbildung. Die Reichweite der Geltung von Regeln und die soziale wie geografische Reichweite der Durchsetzungsmacht von Akteuren, in deren Zusammenspiel gesellschaftliche Ordnungsmuster entstehen, sind dabei sehr unterschiedlich. Die lokalen institutionellen Zusammenhänge einerseits und handlungsmächtigen Akteurskonfigurationen andererseits bilden die Arena, in der komplexe Interventionsstrategien, die auf staatliche Neuordnung von Gesellschaft zielen, zum Erfolg kommen oder scheitern. Die bisher für das Fallbeispiel festgestellte Dynamik gesellschaftlicher Ordnungsprozesse unter dem Eindruck von Perioden hoher Gewaltwillkür bestätigen eine seit Max Weber und Norbert Elias etablierte Annahme der Soziologie, nämlich dass Schutz vor willkürlicher Gewalt elementarer ist für Etablierung von sozialer Ordnung als die Verbesserung materieller Reproduktionschancen. In dem Bemühen, durch eine komplexe Intervention eine staatlich verfasste Neuordnung von Lokalgesellschaften in Afghanistan 73 Vgl. Wimmer/Schetter (2002) zur zentralen Rolle, die dem Aufbau staatlicher Institutionen in diesem Sinne in Afghanistan zukommt; für eine grundlegende Kritik dieser als „Utopie staatlicher Ordnung nach den Blaupausen des westlichen Staates“ bezeichneten staatszentrierten Position siehe von Trotha (2003).

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zu erreichen, kommt verbesserter Sicherheit damit eindeutig eine höhere Priorität zu als Entwicklungsleistungen. Die Fallstudie zeigt deutlich, dass Schutz vor willkürlicher Gewalt in den Augen vieler Betroffenen nicht nur ein Wert an sich, sondern auch maßgebliche Voraussetzung für positive wirtschaftliche Entwicklungen ist. Die Schutzkomponente der Governance-Leistung Sicherheit verbessert Planungssicherheit der Wirtschaftsakteure und ist Voraussetzung für erhöhte Rechtsicherheit bei marktwirtschaftlichen Transaktionen. Problematisch dabei ist, dass die Sicherheit der Bevölkerung – anders als Wiederaufbau und Entwicklung zum Wohle der Bevölkerung – nicht expliziter Auftrag und auch nicht Teil des Sicherheitsbegriffs der in Afghanistan intervenierenden externen Kräfte ist. Das ISAF-Mandat bezieht sich auf die Schaffung einer sicheren Umgebung, die Wiederaufbau, Entwicklung und die Verfestigung staatlicher Institutionen ermöglicht. Im Fall der ISAF (und damit auch der PRTs in den Provinzen) ist die Sicherheit der Bevölkerung also allenfalls eine indirekte Funktion der eigenen Präsenz – die (innere) Sicherheit verbessert sich theoretisch dadurch, dass der staatliche Sicherheitssektor aufgebaut wird und Wiederaufbau sowie Entwicklung greifen.74 Obwohl weder Mandat noch strategische Ausrichtung des internationalen militärischen Engagements die physische Sicherheit der Bevölkerung in den Vordergrund stellt, konnte die Fallstudie zeigen, dass die internationale militärische Präsenz in Nordost-Afghanistan durchaus mit drei entscheidenden Sicherheitsgütern in Verbindung gebracht wird: mit dem Rückgang der komandan-Wirtschaft, mit dem Schutz von mit den Taliban assoziierten Minderheiten vor der (von lokalen Machthabern der Nordallianz dominierten) staatlichen Gewalt und letztlich mit dem verantwortungsvollen Umgang mit eigenen Gewaltmitteln – also der Selbstbeschränkung des eigenen Gewaltvorteils. Dieses Ergebnis zeigt, dass von großen Teilen der Bevölkerung als signifikant wahrgenommene Verbesserungen der Sicherheit nach langen Perioden hoher Gewaltwillkür mit relativ begrenzten Mitteln und indirekten Wirkungen erreicht werden können. Entscheidend ist dabei, dass ein positiver Prozesses wahrgenommen wird, in dem willkürliche Gewaltausübung rückläufig ist. Weiter spielt eine Rolle, dass die externe Militärmacht als neutral und berechenbar eingeschätzt wird, zugänglich ist und mit konkreten Leistungen in Verbindung gebracht wird, die von der Bevölkerung auch nachgefragt werden. Die erreichten Verbesserungen der Sicherheit sind allerdings volatil und nicht unumkehrbar. Der Trend kann sich nicht nur für die Sicherheit der externen Akteure, sondern auch für die wahrgenommene Sicherheit der Bevölkerung ändern. An diesem Problem, das in letzter Zeit häufig als winning the peace bezeichnet wird, setzt in der Theorie die transnationale Governance-Leistung Entwicklung an. Ziel ist es, eine sichtbare Friedensdividende breit verfügbar zu machen und durch die Stärkung von rechtstaatlichen wie zivilgesellschaftlichen Institutionen Frieden und Stabilität langfristig abzusichern. Das Fallbeispiel hat gezeigt, dass infrastrukturelle Kleinmaßnahmen, die über partizipative Verfahren in die Fläche gebracht werden, sehr wohl als Friedensdividende und als greifbar nützliche Konsequenz der internationalen Präsenz angesehen werden. In einigen der betrachteten Fälle schaffte diese im we-

74 Die OEF operiert ohnehin auf der Grundlage eines nationalen Sicherheitsbegriffs, der jenseits der afghanischen Bevölkerung im Rahmen eines Krieges der USA gegen in Afghanistan operierende Terroristen definiert ist.

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sentlichen auf Infrastrukturmaßnahmen begrenzte Entwicklungsdynamik sogar auf Seiten besonders skeptischer Personengruppen (Ex-Taliban) und den von ihnen dominierten Gemeinden Anreize, sich aktiv zu beteiligen und an der neuen Ordnung (probeweise) mitzumachen. Die Opportunitätskosten für passives oder feindseliges Verhalten konnten in diesen Fällen spürbar angehoben werden. Ungeachtet dessen wurde auch deutlich, dass Entwicklungsanreize alleine nicht mit konkreten oder latenten langfristigen Bedrohungen konkurrieren können – im Angesicht von physischer Unsicherheit sind Entwicklungschancen, sofern ihre Betätigung den physischen Druck erhöhen könnte, als handlungsleitender Anreiz dem Sicherheitsbedürfnis nachgeordnet. Dieses Misstrauen in die Langfristigkeit der neuen, militärisch abgesicherten und durch Entwicklungsmaßnahmen unterstützten Ordnung wird dadurch noch verstärkt, dass die zuständigen Institutionen des afghanischen Staates auf Distrikt-, Provinz- und zentralstaatlicher Ebene nicht mit der Friedensdividende in Form von Entwicklungsleistungen in Verbindung gebracht werden – der Input ist zwar willkommen, wird aber fremden und damit flüchtigen, und eben nicht eigenen beständigen Akteuren zugeschrieben. Sowohl für die langfristige Entwicklungskomponente als auch für die mit militärischen Mitteln unterstützte Sicherheitskomponente der Intervention ist die institutionelle Schwäche des afghanischen Staates das zentrale Problem. Dabei ist der entstehende afghanische Staat zugleich Partner, Patient und Hindernis. Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und der Second Row Approach des Militärs setzten staatliche Akteure voraus, die fähig und willens sind, zu kooperieren. Die Fallstudie zeigt in aller Deutlichkeit, dass beides zumindest auf Distrikt- und Provinzebene nicht vorausgesetzt werden kann – entweder fehlen grundsätzliche Steuerungsfähigkeiten in Konkurrenz zu den informellen Formen von Machtausübung wie in Distrikt X, oder die Verstrickung der Vertreter staatlicher Institutionen in informelle Formen der Machtausübung und Ressourcenausbeutung verschieben handlungsleitende Anreize der Akteure soweit, dass staatliche Einrichtungen wie die Distriktpolizei, der Geheimdienst oder die Administration des Gouverneurs selbst zu staatsfernen oder staatsfeindlichen Unternehmungen werden. Wenn der Wille da ist, aber die Fähigkeiten fehlen, wird der Partner zum Patienten, der durch „train and equip“-Maßnahmen befähigt werden soll, seine Aufgaben als Dienstleister in der Herstellung öffentlicher Güter wahrzunehmen. Gilt der Partner hingegen als unzuverlässig – und das ist in der Fallstudie der weitaus häufiger anzutreffende Fall – kann weder klassische Entwicklungszusammenarbeit noch der Second Row Approach in der Herstellung von Sicherheit zum Erfolg führen. In diesem Fall wird der dysfunktionale Partner umschifft. Bei schwachen staatlichen Akteuren – wie im Falle vieler Distriktadministrationen – führt das allerdings zur Perpetuierung des Problems: der Staat bleibt auf dieser Ebene dysfunktional. Starke aber unkooperative staatliche Akteure können mitunter nur umgangen werden, wenn ihre Eigenbeteiligung an Ressourcenflüssen (meist zu Lasten der Empfänger) geduldet wird. Dies wiederum führt dazu, dass Governance-Formen, die gemessen an Kriterien effektiver Rechtsstaatlichkeit als subversiv anzusehen sind, anstelle von guter Regierungsführung, die Teilziel der komplexen Intervention ist, gestärkt werden (Barnett/Zürcher 2006). Die in der Fallstudie untersuchten Formen inter- und transnationalen Zusammenwirkens lösen dieses Problem für nachhaltige Entwicklung und zuverlässige Sicherheit durch afghanische staatliche Institutionen nicht. Damit stellt sich als letzte Frage von allgemeiner Bedeutung für komplexe Interventionen, was die Fallstudie über lokalgesellschaftliche Funktionsäquivalente in der Herstellung von Sicherheit und Trägern nachhaltiger Entwicklung unter Bedingungen dysfunktionaler staatlicher Institutionen

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aussagt. Zunächst ist festzustellen, dass die Lokalgesellschaft dynamisch und adaptiv organisiert ist und dabei eine Reihe von gesellschaftlichen Institutionen hervorgebracht hat, die zur Lösung der meisten Alltagsprobleme herangezogen werden und diese in vielen Fällen auch lösen. Überwiegend sind dies entweder mehr oder weniger formalisierte Versammlungen von Würdenträgern einer Gemeinde oder einzelne Funktionsträger mit einem auf Anerkennung oder Macht gründenden Status, der zur Lösung kollektiver Probleme berechtigt. Die lokale institutionelle Landschaft weist dabei aber drei grundsätzliche Probleme auf. Das erste Problem ist die institutionelle Vielfalt. Local Governance ist sehr heterogen organisiert; was in einem Dorf funktioniert und zuverlässig ist, kann im Nachbardorf ganz anders organisiert sein. Weiter ist die Reichweite und Inklusivität von lokalen Institutionen stark eingeschränkt. Lokale Probleme der Gruppe, die die Institution anerkennt, werden zuverlässig gelöst, Probleme mit anderen Gemeinden oder einer anderen Gruppe innerhalb der Gemeinde, die nicht partizipiert, bleiben ungelöst. Und letztlich basieren lokale Institutionen fast immer auf der Annahme, dass sich die Teilnehmer aus Eigeninteresse, sozialer Kontrolle oder Brauchtum an die Spielregeln halten; wird aber von Gewaltunternehmern mehr Macht ins Spiel gebracht, als die Institution aushält, droht sie zu „vermachten“ und ihr Regelungspotenzial einzubüßen (Koehler 2004a). Deshalb ist die Frage nach externer Durchsetzungsmacht durch den Staat bzw. durch Staatsfunktionen substituierende internationale Kräfte, die lokale Problemlösungen vor roher Durchsetzungsgewalt schützen, auch entscheidend für die Wirksamkeit dieser gesellschaftlichen Institutionen. Das Problem der Reichweite und des Schutzes vor Vermachtung stellt sich grundsätzlich auch für die extern initiierten und unterstützten Gemeindeorganisationen (die CDCs). Bisher hat diese Institution selten ein politisches Eigenleben entwickelt und blieb, sofern sie überhaupt für die Lösung von Alltagsproblemen relevant ist, ein Transmissionsriemen zwischen traditionellen Autoritäten und externen Gebern. Nur selten spielte diese neue, als demokratisch legitimiert gedachte Institution die prominente Rolle in der Einforderung von staatlichen Dienstleistungen, die den Gemeindeorganisationen in ihrem Widerstand gegen das Gewaltregime in Distrikt X zukam (vgl. S. 22ff.). Grundsätzlich zeigt die Fallstudie, dass Sicherheit und Entwicklung als transnationale GovernanceLeistungen mit schwachen oder dysfunktionalen staatlichen Institutionen erbracht werden können. Beide Leistungen können von Zielgruppen temporär sogar als relativ erfolgreich wertgeschätzt werden. Sie sind aber vollkommen abhängig von Ressourcen, Willen und Organisationsvermögen externer Kräfte (im Zusammenspiel mit lokalen nicht-staatlichen Akteuren, Organisationen und Institutionen, wobei diese, wie die CDC, teilweise erst durch die externen Interventen geschaffen wurden). Governance-Leistungen brauchen in diesem eingeschränkten Sinne zwar keinen funktionierenden staatlichen Partner – sie brauchen aber als Funktionsäquivalent eigene Sanktionskapazitäten in Form von Anreizen (Entwicklung) und zugetrauter Durchsetzungsgewalt. Das zentrale Risiko dieser exterritorialen Governance-Inseln ist, dass sie das institutionelle Gefüge, das den Interventen einen Rückzug in absehbarer Zeit ermöglichen sollte, schwächen. Transnational gestützte Governance simuliert dabei Staatlichkeit fürs Volk. Der Staat, der eigentlich für die Gesellschaft ein Regieren ermöglichen sollte, kapselt sich ab und dient den Partikularinteressen lokaler Machthaber. Damit ist ein institutionelles Scheitern des Staates vorprogrammiert und das Ziel der Intervention wird nicht erreicht.

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Annex: Datengrundlage und methodisches Vorgehen Die Datengrundlage der Fallstudie setzt sich zusammen aus qualitativen und quantitativen Erhebungen, die geografisch auf jeweils zwei Zieldistrikte in zwei Provinzen Nordost-Afghanistans fokussieren. Es handelt sich dabei um die Distrikte Aliabad und Imam Sahib in der Provinz Kunduz sowie Taloqan und Warsaj in der Provinz Takhar. Zeitlich fokussiert die Untersuchung auf Entwicklungen seit Anfang 2005, wobei die systematische Feldforschung vor Ort im Februar 2007 begonnen wurde. Die zeitliche und räumliche Fokussierung bedeutet nicht, dass Ereignisse und Entwicklungen außerhalb dieses Rahmens nicht erfasst werden, wenn sie erkennbaren Einfluss auf Sicherheit und Entwicklung in der Untersuchungsregion haben. Die Methodenbündel, die die empirische Datenerhebung ausmachen, werden zunächst in einem räumlich und zeitlich eingegrenzten Rahmen angewendet und erst dann induktiv, also vom konkreten Fall ausgehend, der lokal als relevant erkannte weitere Kontext erfasst. Die empirische Datenerfassung besteht aus vier Schritten: Fallauswahl, qualitative und quantitative Erhebung von Basisdaten, Verlaufsbeobachtung, und Wiederholung der Basisdatenerhebung nach einem auf zwei Jahre festgelegten Zeitraum. Ziel ist es, Veränderungen über Zeit sowie unterschiedliche Entwicklungen verschiedener lokaler Gruppen unter den gegebenen Rahmenbedingungen festzustellen und diese so genau wie möglich auf Kausalbeziehungen zu untersuchen. Dazu werden sowohl statistisch-erklärende als auch qualitativ-verstehende Analysen der Fälle herangezogen. Ich werde nun die bisher umgesetzten Schritte mit den jeweils zur Anwendung kommenden Methoden ausführlich vorstellen.

1. Fallauswahl Die Zielregion innerhalb Afghanistans musste vor allem zwei Kriterien genügen: sie musste Gegenstand einer komplexen, also auf militärische und zivile Instrumente abstellenden Intervention sein, und sie musste zu Untersuchungsbeginn wie auch mit einiger Wahrscheinlichkeit für den Untersuchungszeitraum von mindestens zwei Jahren für Feldforschungszwecke zugänglich sein. Damit schieden die Kriegsgebiete im Süden und Südosten sowie die ab 2005 von sich ausweitenden, proaktiven Militärmaßnahmen im Rahmen der US-geführten Anti-Terror-Kampagne Operation Enduring Freedom (OEF) betroffenen Ostprovinzen aus. Die Wahl fiel auf den Nordosten des Landes, der im Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) unter das von Deutschland geführte Regional Command North (RCN) fällt, und in dem ein regionaler Schwerpunkt deutscher Entwicklungszusammenarbeit jenseits von Kabul gesetzt ist. Hier wurde der Fokus weiter eingeschränkt auf die beiden Provinzen, die den Zuständigkeitsbereich des von Deutschland sowohl militärisch als auch zivil geführten Provincial Reconstruction Team (PRT) Kunduz ausmachen, nämlich die Nachbarprovinzen Kunduz und Takhar. Afghanistan hat entgegen dem Welttrend der Urbanisierung eine überwiegend auf dem Lande ansässige Bevölkerung. Laut offizieller Statistik leben 78% der Bevölkerung in ländlichen Siedlungen und zusätzlich 7% als aktive saisonale oder ganzjährige Nomaden (Central Statistics Office Afghanistan 2005).

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Afghanistan ist dabei nicht nur ein rural geprägtes Land; die Landwirtschaft ist die Lebensgrundlage von mindestens 80% der Bevölkerung und hat traditionell über 50% der Volkswirtschaft ausgemacht.75 Als Ausgangspunkt für die Erhebung sicherheits- und entwicklungsrelevanter Daten dient das „Dorf “, also eine Ansiedlung unterscheidbarer Haushalte im ländlichen, landwirtschaftlich geprägten Raum, die in einer näher zu bestimmenden Weise als Gemeinschaft vergesellschaftet sind – also nicht ausschließlich zufällige Beziehungen zueinander haben, welche sich in keiner institutionellen Art und Weise von Beziehungen zu anderen nahe gelegenen Haushalten unterscheiden. Haushalte sind dabei die kleinste kollektive Wirtschaftseinheit einer zusammen wohnenden und wirtschaftenden Personengruppe ohne Rücksicht auf ihre verwandtschaftlichen Beziehungen untereinander. Im ländlichen afghanischen Kontext ist dies in aller Regel eine über agnatische sowie affine Beziehungen definierte Kern- bzw. erweiterte Familie. Diese begrifflichen Eingrenzungen sind wichtig, da Siedlungen (khel, kishlaq, mahallah, qaria, mantaqa) und Haushalt (khanawarda) in Afghanistan in aller Regel nicht mit den Vorstellungen staatlich-administrativ gezählter und vermessener Gesellschaften übereinstimmen. Die kleinsten Ordnungsmuster, in denen gewohnt und gewirtschaftet wird, gleichen in ihrer Mannigfaltigkeit eher dem europäischen Frühmittelalter als dem heutigen als administrierter Siedlungseinheit standardisierten Dorf. 76 Grundsätzlich gilt, dass nur vor Ort, nicht aber alleine durch Karten, Luftaufnahmen oder über Anfragen bei Provinz- oder Distriktverwaltungen geklärt werden kann, was wirklich als Dorf im oben genannten Sinne anzusprechen ist, wo die Grenzen des Dorfes liegen und wie die Dorfgemeinschaft politisch, wirtschaftlich oder sozial verfasst ist. Ebenso kann ein Haushalt in Afghanistan ganz unterschiedliche Dimensionen, Funktionen und interne Differenzierungen aufweisen. In einer Forschung, die der Autor im Frühjahr 2005 in den hauptsächlich von Paschtunen besiedelten Provinzen Nangarhar und Laghman durchgeführt hat, lag die mittlere Haushaltsmitgliederzahl bei 15 (Extremwerte bei min. 1 und max. 203), die mittlere Anzahl der Kernfamilien pro Haushalt bei 2,5 (min. 0 und max. 11). In einigen Landesteilen kann ein Haushalt in der Form eines Herrenhofes also durchaus die Dimension eines kleinen Dorfes haben. In der Stichprobe, die für die diesem Papier zugrunde liegende Forschung erhoben wurde, liegt die Haushaltsgröße im Durchschnitt bei 10,4 Mitgliedern (min. 2, max. 60) und 1,6 (min. 1, max. 8) Kernfamilien pro Haushalt. Im Bewusstsein dieser erst vor Ort behebbaren Unschärfen in der geografischen wie sozialen Bestimmbarkeit des Untersuchungsgegenstandes wurden jeweils 20 Dörfer in jeweils zwei Distrikten in Kunduz und Takhar vorausgewählt. Die Distrikte wurden dabei so zusammengestellt, dass sie unterschiedliche Bedingungen in beiden Provinzen möglichst umfassend abbildeten. Die 80 tentativen Zieldörfer wurden nach einem doppelten System ausgewählt: 10 Dörfer pro Distrikt wurden nach dem Zufallsprinzip 75 Allerdings hat die sowjetische Okkupation mit ihrem besonderen Druck auf ländliche Bereiche, die Massenvertreibungen, die Unsicherheit während des Bürgerkrieges, die Indifferenz bzw. Feindseligkeit der Talibanherrschaft gegenüber modernisierender ländlicher Entwicklung und letztlich die katastrophale Dürre von 1998-2001 sowie die erneute Unsicherheit im ländlichen Raum seit 2005 dafür gesorgt, dass nach Schätzungen des Landwirtschaftsministeriums die Landwirtschaft um etwa 50% geschrumpft ist (ohne Berücksichtigung der Wertschöpfung durch die Opiumökonomie). Siehe Oxfam (2008: 9-10). 76 Für eine detaillierte Diskussion dieser Problematik anhand von Beispielen aus der Provinz Kunduz siehe Mielke/Schetter (2007).

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ausgewählt, die verbleibenden 10 Dörfer nach vier fernerkundeten Kriterien, nämlich „Abgelegenheit“, „Ressourcenausstattung“, „Vulnerabilität“ und „Prioritätsgebiet der deutschen EZ“. Abgelegenheit bezieht sich auf die Anbindung an administrative Zentren und wichtige Versorgungstrassen; Ressourcenausstattung meint den topografisch ersichtlichen Zugang zu den landwirtschaftlichen Schlüsselressourcen Bewässerung, Land, Weide und Wald; Vulnerabilität bezieht sich auf aus der Topografie ersichtliche Anfälligkeiten für Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Lawinen, Erdrutsche und Erosion. Grundlage für Vorauswahl und Vorcodierung waren die als Geoinformationssystem (GIS) Shapefiles zugänglichen Dorflisten des UN Kartografiedienstes für Afghanistan Afghanistan Information Management Service (AIMS). Diese Listen sind allerdings unvollständig, ungenau, veraltet und teilweise schlicht falsch.77 Die AIMS-Angaben wurden, wie auch von allen ortsansässigen nationalen und internationalen Organisationen, trotzdem benutzt, um Distrikt- und Provinzzugehörigkeiten der Dörfer festzustellen. Die Grenzen, die aus der Regierungszeit Burhanuddin Rabbanis in den frühen 1990er Jahren herrühren, erwiesen sich als grundfalsch und von der lokalen Regierungspraxis weitgehend überholt.78 Diese Informationen waren allerdings noch nicht bei den zuständigen Stellen des jungen Zentralstaates angekommen. Die neuen, weitgehend der administrativen Praxis folgenden Distriktgrenzen lagen erst 2007 dem afghanischen Parlament, der Wolesi Jirga, zur Ratifizierung vor. Hinzugezogen wurde topografisches Kartenmaterial (NATO-Karten 1:100k, AIMS-Karten im PDF-Format und sowjetische Militärkarten 1:50k). Für die Codierung erwiesen sich die extrem detailreichen sowjetischen Karten als besonders hilfreich – der Stand der topografischen Beschaffenheit in den 1970er Jahren ist hier teilweise bis auf einzelne markante Bäume, Gehöfte und Sandbänke genau abzulesen. Sofern hochauflösende Satellitenaufnahmen über Google Earth verfügbar waren, konnten diese Informationen mit den aktuelleren Karten abgeglichen werden. NATO-Karten und AIMS-Karten basieren auf den sowjetischen, sind aber ungenauer und weniger detailreich. Die Karten wurden mit vorhandenen Projekt- und Dorflisten von lokal ansässigen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit abgeglichen, sofern diese mit GPS-Koordinaten in brauchbarer Qualität gearbeitet hatten.79 Trotz dieser Vielzahl von Quellen mussten etwa 20% der vorausgewählten Dörfer vor Ort ausgetauscht werden, weil sie im Zieldistrikt schlicht nicht existierten; die Namen der Dörfer waren dabei weitaus öfter veraltet, falsch, oder gaben nur einen von mehreren gebräuchlichen Namen wieder.

77 Nach den AIMS-Listen würden wir mit 20 Dörfern pro Distrikt eine Abdeckung von 50% (Aliabad), 25% (Imam Sahib und Warsaj) und 10% (Taloqan) erreicht haben – das entspricht allerdings nicht ganz der vorgefundenen Realität. Die Abdeckung liegt nach unseren Schätzungen bei 30 % in den kleinen bzw. bevölkerungsarmen Distrikten Aliabad und Warsaj und bei ca. 20% in Imam Sahib und Taloqan. 78 Durch diese Verschiebungen, die allerdings auch noch nicht allerorts in administrative Rechtswirklichkeit überführt wurden, befinden sich einige der Zieldörfer nun jenseits der ursprünglichen Distriktzuordnungen. 79 Das ist bei den wenigsten Organisationen der Fall; dieser Umstand führt dazu, dass ortsfremde Leiter dieser Organisationen auf Gedeih und Verderb von ihren lokalen Kräften abhängig sind, selbst wenn es um so elementare Dinge geht wie die korrekte Identifikation einer Gemeinde, in die bestimmte Projektmittel geflossen sind. Positiv fallen hier die systematischen und nachvollziehbaren GIS Daten der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH) auf; auch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) arbeitet vermehrt mit GPS-Koordinaten, um Projekte und Gemeinden exakt lokalisieren zu können.

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2. Erhebung von Basisdaten Basisdaten werden erhoben, um die Situation zu einer künstlich gesetzten Stunde Null zu erfassen, gegen die dann Veränderungen über Zeit beobachtet bzw. gemessen werden können. Um Veränderungen in Sachen Sicherheit und Entwicklung erfassen zu können wäre es ideal, bei einer „objektiven“ Stunde null, wie dem Sturz des Talibanregimes Ende 2001, ansetzen zu können. Das war im Frühjahr 2007 offensichtlich nicht mehr möglich. Gleichwohl setzten wir rückwirkend einen Zeitraum von zwei Jahren fest, für den relevante Daten über Ereignisse und Entwicklungen erfasst wurden, die zu der ab Februar 2007 vorgefundenen Situation beigetragen hatten. Dies sind Daten, die Rückschlüsse auf objektive und subjektive Sicherheit, auf Entwicklungsinterventionen, auf soziale, politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen in den Zielgemeinden zulassen. Drei Teilmethoden kamen zur Anwendung um diese erste Ist-Aufnahme des Untersuchungsgegenstandes zu machen: eine Baseline-Umfrage, die Erstellung von Gemeinde- und Distriktprofilen, und eine möglichst umfassende Aufnahme und kartografische Abbildung von Entwicklungsinterventionen in den Zieldistrikten.

2.1 Baseline-Umfrage Die Baseline-Umfrage80 integriert Erfahrungen, die mit ähnlichen Umfragen im ländlichen Raum von dem Forscherteam 2004 in Zentralasien und 2005 in den Ostprovinzen Nangarhar und Laghman gemacht wurden.81 Schon in den Ostprovinzen wurde mit der gleichen Survey-Unit der afghanischen NGO Coordination of Afghan Relief (CoAR) und mit weitgehend denselben Teams gearbeitet. Zweierteams besuchten 77 der 80 Zielgemeinden. Alle Dörfer wurden grundsätzlich mit lokal gemieteten Taxis oder zu Fuß angelaufen. In den meisten Fällen waren die Teams entweder durch das Profile-Team (siehe unten) oder durch lokal engagierte Scouts vorher angekündigt worden. Die Erlaubnis, eine Befragung durchzuführen, wurde von Vertretern des Dorfes in einem Vorgespräch (meist im Rahmen einer spontanen Versammlung interessierter oder, wo vorhanden, repräsentativer Vertreter der Dorfgemeinschaft) eingeholt.82 Oft konnte auch erst in diesem Rahmen geklärt werden, wie viele Haushalte in der Siedlung in etwa wohnten und wo die Grenzen der Siedlung anzusetzen seien. Die Anzahl der befragten Haushalte richtete sich nach der Größe der Siedlung und lag zwischen 7 (bei Siedlungsgrößen bis 20 Haushalte) und 40 (über 300 Haushalte). Es galt sicherzustellen, dass die erhobene Stichprobe hinreichend repräsentativ für das Dorf ist.83 Das Dorf wurde dann in Abhängigkeit des Siedlungsmusters (z.B. Streusiedlung, Rei80 Die Umfrage wurde als statistische Methode der Wirkungsanalyse an anderer Stelle schon eingehend vorgestellt (Zürcher/Koehler 2007); hier werde ich lediglich die Rahmenbedingungen der Implementierung vorstellen. 81 Ergebnisse dieser Umfragen sind publiziert in Koehler/Zürcher (2007b); Radnitz et al. (2008). 82 Ein offizielles Begleitschreiben der Provinzgouverneure war schon vorher eingeholt worden; es wurde allerdings nur bei kritischen Nachfragen durch die jeweilige Distriktadministration vorgezeigt. In den Dörfern war es nicht von Belang. 83 Aufgrund dieses Unsicherheitsfaktors, der erst vor Ort im Dorf geklärt werden konnte, musste die Anzahl der erhobenen Dörfer auch im Nachhinein angepasst werden – 2000 Interviews konnten geführt werden, diese sollten sich im Idealfall auf 80 Gemeinden verteilen; da die Gemeinden im Durchschnitt etwas größer waren als vorher geschätzt, reichten die 2000 Haushaltsinterviews aber nur für 77 Gemeinden. Es wurde auf drei Gemeinden im kleinsten Distrikt, Aliabad, verzichtet, die ohnehin nach neuer administrativer Grenzziehung nicht mehr zu dem Distrikt zählen sollten.

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hensiedlung, Dorfviertel mit eigenen Plätzen und Moscheen, Bergdörfer entlang von Bächen, Siedlungen definiert durch zusammenhängende Bewässerungskanäle) aufgeteilt und Stichproben entsprechend des geschätzten Haushaltsproporzes in jedem Siedlungsteil genommen. Die Haushaltsauswahl fand nach einer durch das Surveyteam festgelegten Zufallsabfolge statt, z.B. wurde jeder dritte Haushalt entlang eines Kanals oder eines Fußweges interviewt. Jeder Haushaltsvorstand (oder, im Falle eines weiblichen Haushaltsvorstandes, ein von ihr autorisierter männlicher Vertreter, der mit den männlichen Surveyteams sprechen konnte) wurde gebeten, 56 Fragen zu beantworten. Die Interviews umfassten Fragen zu Sicherheit, einschließlich Fragen zur Zuverlässigkeit von Konfliktaustragung, weiterhin Fragen zu der Abdeckung mit Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit, der Haltung gegenüber internationalen Akteuren sowie der Wahrnehmung des afghanischen Staates und zur Organisationsfähigkeit bzw. dem sozialen Kapital in den Gemeinden.84 Die Interviewer waren berechtigt, den Gesprächspartnern Fragen, die ihnen nicht auf Anhieb klar waren, nach vorher geübten Mustern verständlich zu machen. Fragen nach Veränderungen (z.B. der Sicherheitslage oder von lokaler Infrastruktur) bezogen sich generell auf einen zurückliegenden Zeitraum von zwei Jahren.

2.2 Profile Parallel zur Baseline-Umfrage erstellte ein Team aus zwei lokalen Fachleuten unter der Leitung des Autors vier vorstrukturierte Distriktprofile und entsprechend 80 Dorfprofile, einschließlich einer zwei Generationen zurückreichenden teilstandardisierten Dorfgeschichte. Die Distriktprofile wurden in den jeweiligen Distriktadminstrationen (wolliswoli) erhoben und liefern eher einen Eindruck darüber, inwieweit die Distriktadministration als Verwaltung überhaupt funktionsfähig ist und über glaubwürdige grundlegende Daten im Distrikt verfügt, als dass wirklich verlässliche Angaben zur demografischen, wirtschaftlichen und politischen Situation im Distrikt zur Verfügung gestellt werden.85 Weiter gibt das Distriktprofil Aufschluss darüber, welche Ämter seit dem Sturz der Taliban von welchen Personen, ggf. einschließlich Stammeszugehörigkeiten und Parteizugehörigkeiten, bekleidet wurden. Die Dorfprofile wurden mithilfe der versammelten Vertreter des Dorfes angefertigt. Sofern es institutionalisierte Dorfräte mit gewählten, gewachsenen (Ältestenräte) oder ermächtigten (staatlich anerkannte Dorfvorsteher, malek oder arbob) Vertretern gab, waren diese auch zugegen. Ansonsten war die Versammlung in der Mehrzahl offen für alle Interessierten, in einigen Fällen wurden Teilnehmer allerdings auch von den Dorfautoritäten gefiltert. Vertreter von Minderheiten wurden in wenigen Fällen erst hinzugezogen, nachdem durch die Interviewer gesondert nachgefragt worden war. Die Dorfprofile leisten vor 84 Der Fragebogen kann auf der Homepage des SFB 700 eingesehen werden unter: www.sfb-governance.de/tcps. 85 In dem Distrikt Imam Sahib in Kunduz gab der aus Kandahar stammende wolliswol im Interview offen zu, keinen Schimmer zu haben, wie viele Siedlungen und wie viele Einwohner es in seinem Distrikt gebe; er hätte aber von der UN gehört, dass dort ca. 300.000 Einwohner lebten. Der zuständige Leiter des Agrardepartments (oft die einzige Abteilung, die tatsächlich Dörfer besucht) wurde von uns gebeten, die 20 Zielgemeinden unserer Liste mit der ungefähren Anzahl der dort ansässigen Haushalte zu versehen; die Aufstellung, welche wir einige Tage später erhielten, hatte mit der vor Ort vorgefundenen Situation nicht das Geringste zu tun. Es gab nicht einmal in den Größenrelationen eine annähernde Übereinstimmung.

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allem zwei Dinge: Zum einen werden demografische Angaben, die sonst nicht verfügbar sind, von den Bewohnern direkt erhoben. Zum anderen werden die Themengebiete, die im Fragebogen abgearbeitet werden, hier noch einmal im Rahmen eines Gruppeninterviews für das Dorf insgesamt (im Unterschied zur Sichtweise einzelner Haushalte) angesprochen. So lassen sich Angaben zur Dorforganisation, zur Ressourcenausstattung des Dorfes, zu Sicherheit und Konfliktaustragung und zu vergangenen und laufenden Entwicklungsinterventionen überprüfen. Eine weitere wichtige Funktion der Dorfprofile besteht darin, zu klären, was das Dorf als Gemeinschaft definiert und wo die Siedlungsgrenzen des Dorfes enden. Die Siedlungsgrenzen wurden definiert, indem ein Mitarbeiter mit einem Dorfbewohner die Dorfgrenzen abging und fünf GPS-Koordinaten feststellte (die maximale Ausdehnung in den Himmelsrichtungen und das Dorfzentrum). Die politische Ordnung wurde im Gruppeninterview erfragt und eingeteilt nach folgenden Definitionen, die während des Trainings im Detail mit den Interviewern erklärt und erprobt wurden: 1. The village has known borders, a defined number of households, amount of land belonging to the village and some form of collective representation (e.g. malek, shura) 2. The village has known borders, a defined number of households, amount of land belonging to the village but no form of collective representation 3. The village has lose borders and no exact number of households, amount of land belonging to it but has some form of collective representation 4. The community is not defined as a village but by other, non-spatial criteria (please explain). Neighbouring households do not form any identifiable village structure Als letzter Bestandteil des Dorfprofils wurden standardisierte Daten zur demografischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung über einen Zeitraum von zwei Generationen erfragt.

2.3 Aidcount und Incidentmapping Parallel zu den auf afghanischer Seite erhobenen Daten zu Entwicklungsinterventionen in der Gemeinde wurden in beiden Provinzzentren sämtliche größeren Geber- und Umsetzungsorganisationen aufgesucht und zu ihren Aktivitäten in den Zieldistrikten im Untersuchungszeitraum befragt. Soweit möglich wurden detaillierte Projektlisten eingeholt und geografischen Positionen zugeordnet. Dieser Prozess war langwierig und führte nicht immer zum Erfolg, da Koordinaten häufig nicht vorlagen, die Bezeichnung von Örtlichkeiten, wo Projekte stattfanden, häufig nach Belieben transkribiert oder phonetisch wiedergegeben wurden, oder sich nach ganz unterschiedlichen Karten richteten. Im Falle kleinerer Maßnahmen oder großflächiger Hilfeleistungen war eine exakte Lokalisierung mitunter gar nicht erfolgt. Es stellte sich auch heraus, dass häufig alleine die einheimischen Ingenieure und social mobiliser eine genaue Vorstellung davon hatten, wohin Projektmittel wirklich geflossen sind und ein Monitoring durch Vorgesetzte vor Ort selten stattfand. Die einzig wirklich sichere Möglichkeit bestand darin, sich die Projekte von den einheimischen Mitarbeitern auf Karten zeigen zu lassen und die Gemeinden, die häufig auf den Karten nicht verzeichnet waren, mit einem GPS aufzusuchen. Diese sehr aufwendige Methode wurde insbesondere in Taloqan angewendet, da hier die größten Unsicherheiten in den Angaben der Organisationen sowie kartografische Ungereimtheiten vorkamen. Problematisch war weiter, dass sowohl die

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United States Agency for International Development (USAID) als auch die verschiedenen projektdurchführenden UN-Organisationen Daten nur aggregiert auf Distriktebene zur Verfügung stellten. In diesen Fällen blieb das Forschungsteam ganz auf die Erhebung in den Zielgemeinden angewiesen. Die erhobenen Daten wurden in eine GIS-Datenbank integriert und hier mit vorhandenen Datensätzen anderer Organisationen abgeglichen – für den gegebenen Zeitraum war das die ISAF-Datensammlung Afghanistan Country Stability Picture (ACSP), Stand Juli 2007, in dem die ISAF den PRTs bekannte Projekte und Maßnahmen, einschließlich der eigenen CIMIC Maßnahmen, zentral erfasst. Die gemeindeseitig wie organisationsseitig identifizierten Entwicklungs- und Hilfsmaßnahmen wurden codiert nach Handlungsfeldern (Sektoren)86 und Maßnahmenart (Kategorien).87 Es wurde versucht, die Größenordnung des jeweiligen Inputs über Angaben zu Kosten und lokalen wie externen Arbeitskräfteanteil abzuschätzen. Da letztere Angaben allerdings sporadisch sind und bei verschiedenen Organisationen unterschiedliche Berechnungsgrundlagen haben, war es zunächst nur möglich, eine grobe Einteilung der Reichweite von Maßnahmen vorzunehmen. Sie wurden gruppiert in: a) Maßnahmen, die nur einigen Haushalten zugute kommen; b) Maßnahmen, die größeren Gemeindesegmenten zugute kommen und c) Maßnahmen, die die gesamte Gemeinde erfassen. Letztlich entstand so ein hinreichend zuverlässiges Bild darüber, wie viele Entwicklungsinterventionen in den Zielgemeinden im Beobachtungszeitraum stattgefunden haben und welcher Art diese Maßnahmen waren. Es wurde aber auch deutlich, dass nur eine Erfassungsmethode im afghanischen Kontext keine vertrauenswürdigen Ergebnisse geliefert hätte – die Angaben der Dorfbewohner waren mitunter lückenhaft, teilweise wurden Informationen bewusst zurückgehalten, und manchmal waren die Bewohner von den Organisationen auch gar nicht darüber in Kenntnis gesetzt worden, wie bestimmte Maßnahmen zustande gekommen waren. Auf der anderen Seite waren die Projektlisten der Organisationen, sofern sie vorlagen und ausgehändigt wurden, oft nicht exakt Gemeinden zuzuordnen. Weder die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA), die für die Koordinierung von Entwicklungszusammenarbeit zuständig ist, noch die zuständigen afghanischen Stellen (Provincial Development Committee und der Provinzableger des Wirtschaftsministeriums) hatten für den Beobachtungszeitraum systematisch Informationen erfasst und räumlich zugeordnet. Noch schwieriger als das Erfassen und Mapping von Entwicklungsinterventionen gestaltet sich die Zusammenstellung und geografische Zuordnung von sicherheitsrelevanten Ereignissen und Entwicklungen. Gemeindeseitig war es in der Meinungsumfrage und den vorstrukturierten Profilerstellungen zwar möglich, allgemeine Aussagen zur Sicherheitssituation und zur Konfliktaustragung einzuholen – konkrete Angaben zu Vorkommnissen, die die Gemeinde oder Haushalte direkt betroffen haben, waren so aber nicht zu bekommen.88 So konnten allenfalls Ansatzpunkte eruiert werden, denen dann im zweiten Forschungsabschnitt weiter nachgegangen wurde. 86 Im Einzelnen: infrastructure, capacity building, organisational development, direct aid, other. 87 Im Einzelnen: government capacities, roads & bridges, rural development, education, health, water & sanitation, energy, sustainable economic development. 88 Das mag zunächst wenig überraschen – Menschen sprechen, insbesondere wenn sie von Fremden in einer strukturierten, also unnatürlichen, Gesprächssituation befragt werden, im Normalfall ungern von so intimen und bedeutsamen Dingen wie

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Daten über sicherheitsrelevante Vorgänge, die über professionelle Monitoringdienste wie Afghanistan NGO Security Office (ANSO), UNAMA, das PRT oder die Afghan National Police (ANP) erfragt werden konnten, sind zwar lückenhaft und entsprechen den organisationseigenen Prioritäten, vermitteln aber in ihrer Gesamtheit ein brauchbares Bild der allgemeinen Gefährdungssituation. Die Informationen wurden, soweit das möglich war, geografisch codiert und bestimmten Punkten bzw. Räumen auf der Karte über die GIS-Datenbank zugeordnet. So war es möglich, bestimmte Ereignisse und Vorgänge im Betrachtungszeitraum den Untersuchungsgemeinden zuzuordnen. Auch diesbezüglich konnte dann im zweiten Forschungsabschnitt gezielt nachgefragt werden.

3. Verlaufsbeobachtung Nach der Erhebung von Basisdaten, welche möglichst umfassend die Situation in den 80 Zielgemeinden im Frühjahr 2007 beschreibt, wurden zwei Methoden installiert, die es uns ermöglichen, relevante Veränderungen zu beobachten und einen tieferen, differenzierteren Eindruck von gesellschaftlicher Organisation sowie den Auswirkungen internationaler Interventionen auf gesellschaftliche Ordnung zu gewinnen. Vierteljahresreports aus 40 der 80 Zielgemeinden (10 in jedem Distrikt) werden von lokal angelernten Fachkräften einer afghanischen, im Bereich landwirtschaftlicher Entwicklung arbeitenden NGO erstellt. Dabei deckt jeweils ein Mitarbeiter zwei Distrikte ab. Er trifft sich alle drei Monate mit denselben Repräsentanten des Dorfes. Diese Repräsentanten sind in der Regel Vertreter der Dorfintelligenz (Lehrer, Ärzte, Apotheker, Geistliche) und werden, wenn möglich, in Vieraugengesprächen, sonst in möglichst kleiner Gruppe, in einer offenen Interviewsituation nach thematisch vorgegebenen Veränderungen im vergangenen Quartal befragt. Im Vordergrund stehen dabei dieselben Themenkomplexe, die auch schon in den Meinungsumfragen und Dorfprofilen abgefragt wurden: Veränderungen im Hinblick auf die politische, soziale und wirtschaftliche Organisation des Dorfes, Entwicklungsinterventionen, Ressourcenausstattung, Konflikte und Sicherheit. Dabei wird jeweils auf die Informationen, die in den Profilen und den vergangenen Vierteljahresreports erhoben wurden, eingegangen. So verdichtete sich durch wachsendes Vertrauen das Informationsprofil; Ungenauigkeiten, Ungereimtheiten und Fehlinformationen der Vergangenheit können nachgebessert werden. Die zweite Methode, die Teil des Verlaufsmonitorings zwischen den Bestandsaufnahmen der Basiserhebung und des Follow-Ups nach zwei Jahren ist, kann als das Setzen ethnografischer Sonden bezeichnet werden. Hierbei geht es im Wesentlichen darum, Fallstudien zu einzelnen Gemeinden bzw. zu bestimmten,

konkreten Konflikten, erlittener oder verübter Gewalt und konkreten Bedrohungen (vgl. Koehler 1998). Gerade in einem sozialen Kontext, der die kollektive Ehre der Familie eng an die Schutzfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft der männlichen Familienangehörigen bindet, und einer politisch instabilen Situation, in der gewaltsamer Machtmissbrauch weit verbreitet war und es teilweise noch ist, fehlt das Vertrauen, das nötig ist, um solche Fragen offen zu besprechen. Die Fragen wurden trotzdem gestellt, weil bei ähnlichen Untersuchungen im Osten des Landes mit denselben lokalen Forschungsteams überraschend positive Ergebnisse erzielt wurden (Koehler 2005). In Laghman und Nangarhar wurde Konflikt, Gewalt und Unsicherheit offener thematisiert (die auch in Form von egalitärem Fehderecht gesellschaftlich anders eingebettet sind als im stärker hierarchisch organisierten Norden). Allerdings hatten die Teams dort pro Dorf mehrere Tage Zeit, Vertrauen aufzubauen und die Interviews in einer „natürlichen“ Gesprächssituation zu führen. Dieses Vorgehen konnte im Norden aufgrund der Ausrichtung auf Respondentenzahl und Repräsentativität im Rahmen der Umfrage nicht wiederholt werden.

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besonders vielversprechend erscheinenden Prozessen anzufertigen. Das können neben vertiefenden Ethnografien von Gemeinschaften auch konkrete Konflikte oder spezielle Entwicklungsprogramme sein. Nachdem über die vorstrukturierten Profile im Hinblick auf Konflikte und Krisen nur sehr oberflächliche Informationen zutage kamen, und auf dieser Grundlage das Monitoring der Vierteljahresreports eine schlechte Ausgangsbasis für die Prozessbeobachtung gehabt hätte, wurde in einem ersten Schritt entschieden, die vierzig Zieldörfer, die Teil des Monitorings sind, noch einmal mit methodisch geschulten externen sowie lokalen Mitarbeitern zu besuchen, um differenziertere Hintergrundinformationen auch über sensiblere Themen wie Machtkonstellationen und Konfliktsituationen zu erhalten. Als Einstieg wurden die während des Profiling identifizierten und für das Monitoring angesteuerten Personen gewählt.89 Über diese Anlaufpunkte wurde die Dorfintelligenz zum Gespräch versammelt. Aufhänger des Gespräches war die Geschichte der Gemeinde seit Ende der Herrschaft des früheren Königs Sahir Shah, insbesondere im Hinblick auf politische und ökonomische Veränderungen. Ausgehend von diesen Narrativen wurde dann auf bekannte Probleme, Konflikte, Reformen und Krisen übergeleitet, um lokale Ausprägungen dieser Entwicklungen zu erfassen. Die Gespräche dauerten im Schnitt 3 Stunden und waren ergiebiger als die standardisierten Fragen zu den sensiblen Themen. Ernste Probleme gab es in keinem der Interviews, was besonders den beiden lokal anerkannten und sehr umsichtigen Mitarbeitern zu verdanken war. Gemeindeübergreifende Fallstudien wurden bisher im Rahmen eines Workshops mit lokalen afghanischen Mitarbeitern von Entwicklungsorganisationen zu Konflikten erstellt, die im Rahmen der Opium-Drogenökonomie die Arbeit von Entwicklungsorganisationen beeinflusste. Eine umfassende Fallstudie wurde weiter zu einem bestimmten Instrument der Entwicklungszusammenarbeit erstellt, das im Rahmen des deutschen (ressortübergreifenden) PRT-Ansatzes zusammen mit afghanischen Regierungsstellen und lokalen Gemeinden umgesetzt wird – den so genannten Provincial Development Funds (PDF). Bestandteil aller Fallstudienerstellungen sind neben den genannten Methoden Experteninterviews mit sicherheits- und entwicklungsrelevanten Akteuren. Die Umsetzung der Verlaufsbeobachtung ist nicht abgeschlossen. Insbesondere sind umfangreichere ethnografische Fallstudien in Zielgemeinden für das Frühjahr 2009 geplant. Der vierte Schritt, die zeitversetzte Wiederholung der Bestandsaufnahme, die unter Schritt 2 beschrieben wurde, steht im Frühjahr 2009 an und wird einen spiegelbildlichen Vergleich der Situation über Zeit ermöglichen.

89 Mit der Ausnahme von Warsaj, wo zu dieser Zeit noch kein Mobiltelefonnetzwerk installiert war, konnten die Gesprächspartner telefonisch erreicht werden und einen ihnen genehmen Interviewort bestimmen. Dies war insbesondere in solchen Gemeinden von Vorteil, in denen der Kontakt zu externen, mit Ausländern oder dem neuen Staat assoziierten Akteuren misstrauisch oder gar feindselig verfolgt wurde (drei solche Gemeinden sind Teil des Samples).

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Karte der untersuchten Provinzen

Quelle: Eigene Karte.

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Der Autor Jan

Koehler

ist

wissenschaft-

licher Mitarbeiter im Teilprojekt C1 „Transnationale Kooperations­ partnerschaften und die Gewährleistung von Sicherheit in Räumen begrenzter Staatlichkeit“. Er studierte Social Anthropology (MA) an der Freien Universität Berlin. In den vergangenen 15 Jahren betrieb er ausgiebige Feldforschung in der ehemaligen Sowjetunion mit einem besonderen Fokus auf informeller Organisation von Gewalt und Recht im Südkaukasus. Zudem betreute er Projekte im Kaukasus, in Zentralasien und in Afghanistan. Seit 2003 verlagerte sich sein Forschungsschwerpunkt auf Tajikistan und Afghanistan. Kontakt: [email protected]

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Forschungsprogramm des SFB 700

Partnerorganisationen des SFB 700

Governance ist zu einem zentralen Thema sozialwissen-

Sprecheruniversität:

schaftlicher Forschung geworden. Der SFB 700 Governance

Freie Universität Berlin

in Räumen begrenzter Staatlichkeit fragt nach den Bedingungen von Governance in Räumen begrenzter Staatlich-

Universität Potsdam

keit, d.h. in Entwicklungs- und Transformationsländern, „zerfallen(d)en Staaten“ in den Krisenregionen der Welt

Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)

oder, in historischer Perspektive, verschiedenen Kolonialtypen. Wie und unter welchen Bedingungen werden Gover-

Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

nance-Leistungen in den Bereichen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt in Räumen begrenzter Staatlichkeit erbracht,

Hertie School of Governance

und welche Probleme entstehen dabei? Der SFB 700, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG),

European University Institute

hat seine Arbeit 2006 aufgenommen.

Florenz (EUI)

Content Executive Summary

3

Assessing the contribution of international actors in Afghanistan Data Security Development aid Western vs. traditional values How respondents see the state How respondents see the community Sub-regional differences Causal impact of development aid

5 5 5 7 9 9 11 12 13

Appendix Measuring aid: A note on the statistical analysis Regression table Map

14 14 19 20

Koehler, Jan/Zürcher, Christoph 2007: Assessing the Contribution of International Actors in Afghanistan. Results from a Representative Survey, SFB-Governance Working Paper Series, No. 7, DFG Research Center (SFB) 700, Berlin, October 2007. ISSN 1863-6896 (Print) ISSN 1864-1024 (Internet) This publication has been funded by the German Research Foundation (DFG).

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Executive Summary This paper is based on a representative survey among 2034 households in North East Afghanistan, conducted in spring 2007. The main results of the survey can be summarized as follows: Many Western observers claim that the security situation in North Afghanistan is rapidly deteriorating. We find that this sentiment is not shared by the majority of the rural population. An overwhelming majority thinks that security has very much increased over the last two years. Most Afghans credit foreign forces as well as the Afghan government with this progress. Despite substantial progress in security one fifth of all households feel that their physical security is threatened. They feel that the main threat does not stem from Taliban or other armed forces but from organized crime. Five percent also said that they feel threatened by foreign forces. International development agencies are widely credited by Afghans for bringing along positive and widespread changes in basic services for many communities, most notably with regard to drinking water, roads and schooling. Progress in other fields seems to be slower. Afghans tend to think that international development agencies have had little impact on progress in the agricultural sector and in improving access to electricity. Afghans also support activities of international actors that are usually associated with western values which are often seen as being at odds with Afghan values. Even in a rural context there is much support for state schooling, girls’ enrollment in schools, and off-farm job opportunities for men and women. Despite these positive assessments of foreign involvement, many Afghans remain cautious. 43% of households thought that the presence of foreign troops in general posed a threat to the local way of life and Islamic values in the community, and 21% of respondents thought that foreign developmental aid threatens the local way of life and Islamic values. Taken together, this is still a supportive environment for development cooperation, because most Afghans seem to value the concrete benefits of the foreign presence, despite widespread cultural or ideological wariness. We find statistical evidence that development aid has a positive impact on attitudes towards the peace building mission. Communities that have broadly profited from development aid show greater support for international actors and their objectives. Development aid, however, does not lead to a lower threat perception. Levels of received aid do not influence the levels of threats that people perceive, indicating that development aid per se has little impact on objective security threats. Threat perceptions differ between districts. People in Aliabad feel more threatened, and they fear the Taliban. People in Imam Sahib feel least threatened, and here the main threat is, as in other districts, organized crime.

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We also found no evidence that development aid has so far increased Afghan state capacities in the perception of respondents. The state is virtually absent as a problem solver and service provider. Most Afghans think that the state has not contributed to the provision of basic services and does not look after the needs of the rural population. This perception is hardly affected by levels of received development aid.

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Assessing the Contribution of International Actors in Afghanistan. Results from a Representative Survey Jan Koehler/Christoph Zürcher

Data The analysis presented in this paper is based on a data set which was compiled from an original mass survey. We surveyed 2034 households in 77 communities in North East Afghanistan. The communities are located in four districts: Imam Sahib, Aliabad, Warsaj and Taloqan. A map of the surveyed communities is provided in the appendix. The size of the sample varied according to the size of the community in order to ensure that the sample was representative for the community. The survey was conducted in April 2007. Response rates were above 95%. Half of the communities were selected by random sampling. The remaining communities were selected in order to make sure that the sample reflects the geographic, climatic and ethnic diversity of the four districts. The survey was designed to generate data on the perceptions of respondents on coverage and usefulness of development cooperation, everyday security, attitudes towards international actors, perception of state legitimacy, and communal organizational capacities.

Security The provision of security is of paramount importance for the success of peace- and state building missions. A peacebuilding mission can only succeed when the overall security situation rapidly increases. Furthermore, when the population perceives peacebuilders as contributing to increased security, the legitimacy of the mission will overall increase. We therefore wanted to know how respondents perceive the trends in the security situation. Specifically, we asked whether respondents though that security increased or decreased over the past two years in their village. An overwhelming majority thought that security has very much increased (76%) or somewhat increased (23%). Only 0,6% thought that security levels decreased. Less than 1% had no opinion on that question.

 This study has been conducted in cooperation with the Evaluation Division of the Ministry for Economic Cooperation and Development (BMZ). Results are published as Zürcher, Christoph/Koehler, Jan/Böhnke, Jan 2007: Assessing the Impact of Development Cooperation in North East Afghanistan. Interim Report (Evaluation Reports 028, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), Bonn. We gratefully acknowledge the support of many organizations and individuals. Sarah Riese, Cornelius Graubner, and Manija Gardizi provided, at various stages, research assistance. The survey has been implemented under very difficult conditions by CoAR (Coordination of Afghan Relief ). We are especially grateful to Jan Böhnke for contributing to the design of the questionnaires, and for sharing his vast knowledge of statistical analysis. We thank the Volkswagen Stiftung and the Deutsche Forschungsgesellschaft for financial support.

Assessing the Contribution of International Actors in Afghanistan | 

Who contributed, according to respondents perceptions, to this improved security situation? We assumed that four different actors could have had an impact: The Afghan government, foreign troops, local strongmen, and international organizations. We found that the positive changes are widely attributed to foreign troops: 80% of respondents thought that foreign troops contributed positively to security. This stands in marked contrast to what respondents thought about local commanders: 78% thought that local commanders neither positively nor negatively influenced security levels, 6 % saw a positive impact, and 1% thought of commanders as having a negative impact, hence actually contributing to insecurity. This is a strong indicator that the importance of the Jihadi commanders is still declining. It remains to be seen whether this trend continues.

Figure 1: Perceived contribution of governmental and non-governmental actors to improved security

We also wanted to know specifically about respondents’ attitude towards the German PRT in Kunduz. Surprisingly few had actually heard about the PRT (14%); of those who had heard about the PRT, 52% rather agreed and 25% fully agreed with the statement that the PRT improved peace and security. Next, we wanted to know about the threat perceptions of households. We asked respondents to indicate whether they felt threatened by foreign forces, Afghan security forces, Taliban, armed men from within the locality, armed men outside the locality, and criminal groups.

SFB-Governance Working Paper Series • No. 7 • October 2007 | 

Figure 2: Perceived threats from different actors

20% of all households reported that they were afraid of one or many of these actors. If we only look at those households that reported threats, an interesting picture emerges: 17,3% of households were somewhat or very afraid of criminal groups, 10,6% of external armed men, 10 % of Taliban. 5% felt threatened by foreign forces and 3% of local armed men.

Development aid The provision of security has to be the first objective of the international presence. But many observers feel that the mission is likely to fail if the peace dividend is not shared with the population in form of better provisions of basic services. Hence, development cooperation in North East Afghanistan intends also to contribute to better basic infrastructure and services. Generally speaking, the level of development is very low even in North East Afghanistan which has to be considered as a relatively well-to-do region within the country. With regard to our sample, only 9% had their drinking water from piped water schemes, and only 25% of households had electricity. 7% of respondents reported that it was difficult to buy simple food products, and an additional 23% said that they usually could afford to buy food but that it was hard to buy new cloths and to pay for social obligations. First, we asked respondents about the type and number of development projects of which their households or their community as a whole have been beneficiaries between 2005 and 2007. We found a surprisingly high coverage with projects being predominately in infrastructure. The question “has your community as a whole been a beneficiary of development cooperation projects during the last two years?” produced the following answers: 66% of respondents reported that their community benefited from projects related to bridges and roads; 66% of respondents thought that the community benefited from drinking water projects; 47% said the community benefited from schooling projects, 24% from irrigation projects, 16% from agricultural extension services, 14% from projects related to power supply; 6% reported of having received food aid, and 5,5% reported that their community has been a beneficiary of projects related to training

Assessing the Contribution of International Actors in Afghanistan | 

and capacity building. Only 2, 5% of respondents thought that their community had received projects that were aimed at creating new jobs. It is notable that communities that received a project in a given sector also reported that international development agencies overall contributed positively to progress in this sector. We read this as a marker for high levels of satisfaction with the project work that is being done. We also asked respondents to report if their household had been a beneficiary of development aid. 10,8% said their household received food aid, 3,1% of households received credits, 1,7% benefited from training/advice, 2% said they profited in the form of salaries or rents and 13,3% reported to have benefited form various other services. We then asked respondents to rate the contribution of different actors to the provision of basic services (drinking water, quality of roads, quality of schooling, agricultural production, access to electricity, more jobs) during the last two years.

Figure 3: Percentage of respondents agreeing that international development actors contributed positively to the specific sectors

About 61% of the households reported a positive impact of international development agencies on the provision of drinking water and on the on the quality of roads. 41% thought the development agencies helped to improve the quality of schooling. 16% reported a positive impact on agricultural production, 12, 2% indicated that international development agencies helped to improve access to electricity, and 2, 6% agreed that international development agencies helped to create more jobs. These findings confirm expectations. Investments in water, roads and schools were prioritized by the international community in North East Afghanistan and they produced visible and quick impacts. By contrast, capacity building, training and job-generating programs were less prominent and they take more time to generate results.

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Western vs. traditional values Acceptance of the peacebuilding mission also requires that the population perceives the policies of the peacebuilders as essentially compatible with their own value systems. Theoretically, incompatibilities can occur with regard to a wide range of issues and on different levels but it could be argued that the tensions and frictions will be felt strongest when it comes to issues of daily life. We therefore decided to focus on attitudes with regard to gender equality, schooling and presence of armed forces – issues which lie at the heart of the liberal peace building mission and that will affect local communities. We formulated six statements and asked about the respondents’ attitudes towards these statements. Specifically, we asked whether respondents thought that state schooling for boys has a positive impact for the community, whether state schooling for girls had a positive impact for the community, whether state schooling was complementary to local customs and Islamic values, how respondents valued off-farm job opportunities for both men and women, and whether developmental aid and the presence of foreign troops presented a threat to local way of life and Islamic values. We assumed that, in general, positive attitudes towards gender equality and positive attitudes towards the presence of development agencies and foreign troops signal a higher level of acceptance of the international peace building mission. We found surprisingly high support for state schooling, girls’ enrollment in schools, and offfarm job opportunities of men and women. All households agreed that education of boys has a positive impact on the community and only 39 (out of 2034) households disagreed with the statement that education for girls has a positive impact on the communities. A large majority of households agreed that it would be good if off-farm job-opportunities were increased for both men and women; only 13,6% of the sample disagreed with this. However, when we asked in more general terms, we also found that 21% of respondents thought that foreign developmental aid threatens local way of life and Islamic values; 43 % of households even thought the presence of foreign troops posed a threat to the local way of life and Islamic values in the community. This seems to contradict respondents’ surprisingly high support for girls’ schooling and women off-farm labour. It seems that the high support for the specific and tangible work that international agencies do is tempered with a generally cautious attitude towards foreign presence.

How respondents see the state Presumably, successful state-building should be reflected in a high legitimacy of the state and in the experience that the state has the capacity to solve problems and provide services. Several questions were asked to find out about how respondents see the emerging Afghan state. In general, we find that the state is credited with having contributed to the overall positive general trends. However, we also find that the state is virtually not present when we asked about specific

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services. Hence, while the abstract notion of the state is met with considerable credit, the experience of beneficial state-society interactions is all but missing. For example, 90 % of respondents thought that the government had contributed to better security during the last two years. We then also asked respondents to rate the government’s contribution to progress in the provision of basic sectors and services. The results show that the respondents – quite realistically – perceive the government as having very little impact, if at all: 34 % of respondents thought the government helped to improve the quality of schooling. 5% of the households reported a positive impact of the government on the provision of drinking water. 13% reported a positive impact on the quality of roads. 6% reported a positive impact on agricultural production, 3% indicated that government helped to improve access to electricity, and only 0.3% agreed that the government helped to create more jobs. Hence the state gets much less credit for progress in these sectors than the international development agencies.

Figure 4: Percentage of respondents indicating that the actor contributed to improvement in basic services and infrastructure

Respondents also rated the conflict solving capacity of the state as being very low. When asked to which institutions they would turn if involved in a conflict about natural resources, most respondent said they would turn to the elders or to the village Shura (the village council) first. Only 2% would in the first place turn to the district administration. No respondents would turn to the provincial authorities in the first place, and only 6% would turn to provincial authorities as a second choice. When asked which institutions solved conflicts in a just way most often, respondents rated elders and local Shura as much more just as provincial and district administration. 88% thought that elders sometimes or always solved conflicts in a just way, 78% thought this was true for the local Shura, 38% for provincial authorities, and 34% for district administration. 30% also thought that the district administration never solved conflicts in a just way, whereas only 4% thought that its decisions were always just. To some extent, this question seems to be a hypothetical one anyway, reflecting rather general attitudes than real experiences. When

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asked whether the state has been involved in a case of conflict regulation within the community or between communities, the overwhelming majority could not recall such an instance. Echoing findings from previous studies in the East of Afghanistan we also find that conflict regulation is by large unprotected from corruption or violent means. 85% of respondents felt that financial bribes were always or sometimes used to influence an outcome; 67% saw kinship ties as influential, and 34% thought that force way always or sometimes applied. Finally, we asked respondents to rate how often the district and provincial administration took care of the needs of the village population. Only 3% thought that this happened always or frequently, whereas 31% thought it happened rarely and 37% thought it never happened. Summing up, we find that respondents are prepared to give the general notion of the state some credit for the overall positive trends; but when it comes to tangible interaction and service provision, the state is virtually absent. It is only very modestly credited for having contributed to positive changes in schooling and roads and it is virtually absent in the field of conflict regulation.

How respondents see the community In general, the picture that emerges from the survey portrays the Afghan communities as largely self-governed, with a very respected and influential Shura (the village council) that is attributed with a great deal of conflict solving capacity. The Shura is seen as immune to manipulation by outsiders and as representing all households. An overwhelming majority (76%) sees either the head of Shura or the elders as the most influential people in the village. Of these respondents 85% see the elders or head of shura as much more important to solve “significant problems of the community” than the district administration. 70% thought that the Shura usually takes decisions which are in the best interest of the whole community, only 2,5% thought that the Shura usually takes decisions which are in the best interest of a few households only. 25% refused to answer this question. About 25% of all interviewed households had a member regularly attending the Shura. Interestingly, those household who had a member in the Shura were a bit more skeptical with regard to the Shura´s impartiality. Most respondents thought that the Shura acted quite independently from interference and manipulation by powerful outsiders. 69% also thought the Shura was involved in the identification of development projects, and another 69% that a specific project was chosen because a majority of households wanted it, rather than because a few powerful households or an NGO wanted it. In general, around half of the respondents saw their community itself as having contributed to improving life in the community. 52% of respondents thought that the Shura had a positive impact on the overall security situation during the last two years, whereas 30% thought the village

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Shura had no impact at all. When asked whether respondents thought that their community had contributed to improvements with regard to basic services, we find a mixed picture. With regard to drinking water, agriculture and roads, around half of the respondents rather or fully agreed. However, the other half fully disagreed. We leave it for further research to explain this split perceptions. With regard to electricity and the quality of schooling, 86%, respectively 66% fully disagreed with the notion that their community indeed contributed.

Sub-regional differences Some of the trends that we have presented so far are subject to sub-regional variations. Our sample allows for making statements about four districts: Imam Sahib, Taloqan, Aliabad and Warsaj. In the following passage we present the most notable differences between these districts. Aliabad has the highest percentage of respondents (86%) who think that foreign forces have positively contributed to security, Warsaj the lowest (75%). But people in Aliabad also feel most threatened in general. Notably, Aliabad residents fear the Taliban more than other armed groups, whereas in Imam Sahib, Taloqan and Warsaj people are more afraid of criminal groups. This reflects geographic peculiarities: Warsaj is a remote district which is not often exposed to the presence of foreign forces and is relatively secure. Aliabad is located along the main road Kabul-Kunduz, the influence of the Taliban is said to be relatively strong and foreign forces often present. The distribution of Western Values vs. local values also seems to follow regional patterns. We calculated a norms and value index based on six value statements that were designed to catch respondents’ attitudes towards gender equality, secular schooling and presence of armed forces and development organizations (henceforth called Western Values). These issues lie at the heart of the liberal peace building mission and they affect local communities in their daily life; hence we treat higher sores as an indicator that the values and norms of respondents are compatible with what the peace builders do; lower scores indicate potential incompatibilities which may signal a lack of legitimacy of peace builders in the perception of respondents. The means of the households show variation between districts: Imam Sahib has the highest score (8,95), Aliabad the lowest (5,11). Warsaj and Taloqan are in between (6.8). Finally, concerning the distribution of aid we find little regional differences with regard to activities in the sectors of water, roads and schooling. But food aid, electricity and jobs are unevenly distributed among districts, probably reflecting geographical idiosyncrasies. Communities in Warsaj seem to have received more food aid and electricity and less irrigation projects than communities in other districts. Again, our data here reflects geographical peculiarities. Warsaj has no need for irrigation projects, and NSP (National Solidarity Pact) has helped to build many hydro power stations.

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Causal impact of development aid Until now we have reported the results from descriptive statistics. We also investigated causal relations between development aid and a range of dependent variables, using OSL regression analysis. In the appendix we detail our methodological approach and provide the results of the regressions. First we investigated the impact of development aid on Western Values. As reported, we defined “Western Values” based on respondents’ responses to six statements. Specifically, we asked whether respondents thought that state schooling for boys has a positive impact for the community, whether state schooling for girls had a positive impact for the community, whether state schooling was complementary to local customs and Islamic values, how respondents valued off-farm job opportunities for both men and women, and whether developmental aid and the presence of foreign troops presented a threat to the local way of life and Islamic values. We found that development aid has a moderate but significant impact on Western Values. Our proxy indicator for development aid explains about 13% of the variance. By entering ethnicity, aid for individual households and peripheral location the models gains little in accuracy. The greatest impact has a dummy variable for the district, which explains in its own around 19% of the variance. Hence development aid has a small, positive and significant impact on attitudes toward the peacebuilding mission. We used the same procedure for testing the impact of development aid on threat perceptions. Threat perception was proxied by an index constructed based on how much respondents said they felt threatened by different actors (Taliban, criminal groups, local and non-local armed groups, international troops). We find that the impact of the development aid is significant but very weak. The aid that communities received explains less than 1% of variance. The intuition for this result is that development aid alone does not have an impact on the actual security threats in the region; hence perceptions of security threats are not affected. Likewise, ethnicity has significant but small impact, explaining less than 1% of variance. When looking at the ethnicities individually, we find that Tajiks feel slightly more threatened than other groups, although the effect is very weak. Again, the strongest impact is found for the district dummies: people living in Aliabad feel most threatened, those in Warsaj least. Finally, we investigated whether development aid per se has contributed to a more positive attitude towards the Afghan government. We proxy satisfaction with the government by answers to the question “how often does the Woliswol (district government) or the provincial government take care of the needs of your village?”. We found a significant but very weak impact of aid on the level of satisfaction. Hence, the level of received aid does not lead to a more positive assessment of the Afghan government on provincial and district level.

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Appendix Measuring aid: A note on the statistical analysis For the statistical analysis we used four different measures for aid. First, we asked respondents in what sectors their household had been a beneficiary of development aid. Second, we asked respondents to tell us in what sectors their community as whole had been a beneficiary of development projects. These measurements are respondent based and they reflect not necessarily the actual numbers of projects but rather whether respondents think that their community had profited from development cooperation in a given sector. Such a measure is by default subjective, but we think that it is justified in so far as the remembered aid actually reflects the utility of a given project to the community better than the actual amount of money spent on the project. Likewise, one could argue that the utility of a school to the community is not increased if the school was expensive to build, nor is the utility of a well reduced if the well was cheap. In other words, for our purpose it is more useful to know whether most respondents remember that a well has been built in their community than knowing that this well has cost 10.000 or 20.000 USD. In addition, we created two expert-based measures. We asked our survey teams to establish lists of development projects that were implemented in each of the 77 communities of our sample, thereby differentiating between sectors and modality of aid projects. To a certain extent these measures are less perception driven and more objective. Once we collected data on these four measures, we cross-checked whether they pull in the same direction. Although they show considerable variation we find that they generally tend to have the same tendencies, thereby indicating that respondent-based measures and expertbased measures actually capture the same underlying reality. A second important issue relates to our qualification of “much” and “little” aid. Our respondent based measures reflect whether respondents thought that their household or their community had profited from development activities in a given sector. Hence, we define “much aid” not as the number of projects but as the perception of whether the community has profited or not from development cooperation in a given sector. Data exploration revealed that communities received quite different mixes of development aid. For example, 5,9% of the communities received food aid (112 of 120 cases in Warsaj), 5,5% training/advice/capacity building (50 cases Aliabad, 2 in Imam Sahib, 28 in Taloqan, 32 in Warsaj), 46,5% of communities profited from schooling projects, 14,2% from electricity (269 of 289 cases in Warsaj), 65,9% from projects related to roads and bridges, 2,5% from projects aimed at creating jobs (13 cases in Imam Sahib, 37 in Warsaj), 16% received projects in agricultural extension services; 65,9% reported having received projects related to drinking water, and 24,1% related

 Note that we found no community that had not received some development aid during the precedent two years.

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to irrigation (mostly in Imam Sahib). We also found clear regional patterns: food aid, electricity and jobs are predominately found in Warsaj, whereas irrigation projects are predominately found outside Warsaj. Training and advice is underrepresented in Imam Sahib. All other variables seem to be free from severe regional accumulations. Factor and reliability analysis showed that there is not one dimension underlying these variables, hence we could not create an index. In the end, we decided to group the communities in different categories, reflecting the mix of projects they received. For this, we used Latent Class Analysis (LCA). LCA is a statistical method for finding subtypes of related cases (latent classes) from multivariate categorical data. LCA has the advantage over factor analysis/cluster analysis that no scaling properties have to be assumed. LCA estimates different classes of units of analysis that can be characterized by a common pattern of category probabilities. The easiest case is the so called “One Class Solution” that corresponds to the usual sample-mean based analytic methods. In this solution it is assumed that all units of analysis stem from the same distribution. In most cases this mean-based solution does not yield the most accurate description of the data. In LCA solutions with an ascending number of classes, class belongings are estimated and their fit to the data is evaluated via the probability that the estimated model produced the data (so-called “likelihood”). This fit is compared to the number of parameters needed to estimate this solution. The solution which indicates the best fit with the least possible parameters is the number of classes to be used to describe the data most effectively. Using LCA we were able to group the units of analysis into five classes: Communities in the first class (expected class size is 30%) are characterized by respondents’ perceptions of having profited from development projects dealing with drinking water, schooling and electricity. The number of respondents that see their communities having profited in these sectors is above the mean. With regard to roads and bridges, communities received less than the mean. Communities in this class received no projects related to irrigation and food aid at all. Finally, the number of projects related to extension services and training is close to the mean. Summing up, respondents in this class report that their communities have profited mainly from drinking water, roads and bridges, and schooling projects. We name this class Drinking Water, Road and Bridges, and Schooling. The second class (expected size 24%) reaches the lowest expected score, i.e. consists of respondents reporting fewer development projects than the mean in any sector except for irrigation projects which are close to the mean. No respondent in this class reports projects related to electricity, food aid or training. We name this class Low Coverage.

 Figures relating to projects of which the individual household profited are: 10,8% of all households said that they received food aid (173 cases of 219 in Warsaj); 1,7% training/advice (19 of 35 households in Aliabad); 2% salary/rent (36 of 41 cases in Warsaj; the other 5 in Aliabad); 3,1% credit (most cases in Aliabad and Warsaj); 13,3% other services.  We used the BIC to evalute the fit of the model.

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The third class (expected size 18%) consists of an above average number of respondents reporting development projects in the sectors of drinking water, roads and bridges, schooling and irrigation, as well as a slightly above average rate for extension services. They also report only very few projects related to electricity and food aid. In sum, communities in this class receive a high amount of projects. We name this class High Coverage. The fourth class (expected size 17%) consists of respondents reporting that their communities profited from drinking water and (near to) average rates in roads and bridges, extension services and training. No project in the sectors schooling, irrigation, electricity and food aid was reported. We name this class Drinking Water and Roads and Bridges. The fifth class (expected size 13%) consists of communities that have higher than average numbers of projects related to electricity and food aid, and also road and bridges. The number of drinking water projects is less than average and there is no irrigation project. The number of projects in schooling, extension services and training is close to the mean. We name this class Roads and Bridges, Electricity and Food Aid. The distribution of these classes is contingent of the district: 91,7% of all cases belonging to class 5 are located in Warsaj, whereas most households in Imam Sahib belong to class 3. Based on results of the LCA we created a dummy variable for each class, reflecting the specific mix of development aid that a community received. We also created a variable that reflects the number of development projects that the individual household received (Direct Aid Score). We used question 56 (“Has your household been a beneficiary of development cooperation during the last two years?”). Since households were only rarely beneficiaries of development projects, conducting a LCA on this variable yielded unsatisfactory results. Therefore the qualitative information on which sectors the projects belonged to was dropped. Instead we constructed a score, coding „0“ when no help was received by the individual household, „1“ if projects in one sector were received, „2“ if projects in two or more sectors were received. Next we created a variable for the ethnic belonging (PASHTU, UZBEK, TAJIK, NOMAD) of the respondent. Some scholars argue that attitudes toward foreign presence differ between ethnic groups and that especially among Pashtu the mistrust towards the international peacebuilders may be greater than among minority groups. Creating dummies for Pashtu, Uzbek, Tajik and Nomad allows for testing this assumption.  We refrain from reporting results from individual communities due to lack of space. We looked at the levels of unanimity among respondents within a given community. We qualify a community as unanimous if 90% or more of all respondents report the same number of projects. We find that overall 36% of the communities qualify as unanimous. (29% in Aliabad, 30% in Imam Sahib, 55% in Taloqan and 30% in Warsaj).  Strictly speaking Nomad is not an ethnic group but a socio-professional group, defined by the livelihood. Most are Pashtu.

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We also created a dummy (PERIPHERY), indicating whether a community was easy accessible, or remotely located. One way of thinking about the impact of peripheral location is that the more remote a village is, the more cautious it may be toward the peace building mission. On the other hand, it could also be that remote villages are more in need of development aid, and less exposed to propaganda efforts by anti-western or anti-central government forces. Hence we wanted to empirically investigate whether peripheral location was a valid predictor. We created a dummy for the four districts (Aliabad, Imam Sahib, Taloqan and Warsaj). There is not one specific hypothesis that we expect to test with the district dummies. Rather, we take the district dummy as a black-box for the combined effect of other, unobserved influences. If one or all district dummies are significant, as we expect it to be, we take this as a marker for an idiosyncratic combination of factors that is intrinsic to this given district and which then requires additional research. At the very least, significant district dummies signal that conditions differ across districts, hence development aid should study these differences and design policies accordingly. A dummy variable (NSP) was created for communities in which NSP (National Solidarity Program) projects were already implemented. In Afghanistan community driven development is a major part of the international community’s strategy for rebuilding the country. The so-called National Solidarity Program has focused on community participation through Community Development Councils (CDC) that have begun a wide range of projects, from irrigation and water supplies to capacity building for local governance. Creating a dummy for NSP lets us assess whether NSP communities show different characteristics. Next, we computed two variables that capture communal ties and communal mobilizations. The Village Help Index captures the cohesiveness and mobilization capacities of a community. It is based on the perception of respondents with regard to how easy it is to get help in their village, for example for harvesting, and what one was expected to give in return. A lower score reflects that one rather has to pay for help, a higher score that one rather has to return the favor (mutual exchange). A Village Norm Index was created, based on whether respondents thought that the community should correct families whose behavior deviate for communal norms, and whether respondents expected social sanction in case a family would not participate in hashar or similar social obligation. Finally, we created a variable for vulnerability, indicating how much a community is threatened by natural disasters, and a variable indicating the size of the village. We then tested the effect of our study variable (development aid) on respondents’ attitudes towards the activities of the peace builders using OLS regression. All results are reported in the regression table in the appendix. They can be summarized as follows: development aid has a positive impact on attitudes towards the peace building mission. Communities that have

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broadly profited from development aid show greater support for international actors and their objectives. Development aid, however, does not lead to a lower threat perception, indicating that development aid per se has little impact on objective security threats. Threat perceptions differ between districts. People in Aliabad feel more threatened, and they fear the Taliban. People in Imam Sahib feel least threatened. We found no evidence that development aid has so far increased Afghan state capacities in the perception of respondents. The state is virtually absent as a problem solver and service provider. This perception is hardly affected by levels of received development aid.

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Regression Table Table 1: Linear Regression Analyses for Western Values, Threat Perception, and Satisfaction with Provincial Government Dependent Variable Western Values

Threat Perception

Satisfaction with provincial government (Q54)

-0.64 (0.15)*** 0.13 (0.15) -0.64 (0.13)*** -0.39 (0.19)* 0.19 (0.11) 0.35 (0.18)* 0.92 (0.25)*** -0.25 (0.17) 0.42 (0.20)* 0.28 (0.15) 1.15 (0.11)*** -0.34 (0.23) 2.05 (0.27)*** 1.00 (0.30)** 0.17 (0.05)** -0.09 (0.07) 0.47 (0.11)*** 0.55 (0.06)*** 0.28 (0.03)*** -0.023 (0.02) 0.05 (0.04) -3.55 0.50*** 1676

-0.21 (0.11) -0.29 (0.12)* -0.14 (0.10) 0.18 (0.15) -0.07 (0.08) 0.18 (0.14) -0.37 (0.20) 0.04 (0.13) 0.44 (0.15)** 0.27 (0.11)* -0.80 (0.08)*** 1.57 (0.18)*** 0.43 (0.20)* 1.35 (0.23)*** 0.02 (0.04) -0.12 (0.06)* -0.26 (0.08)** -0.40 (0.05)*** 0.01 (0.02) 0.05 (0.01)*** 0.23 (0.03)*** 5.03 0.24*** 1862

-0.30 (0.06)*** 0.20 (0.06)** -0.22 (0.05)*** 0.05 (0.07) -0.04 (0.04) -0.18 (0.07)* 0.20 (0.10)* -0.11 (0.07) 0.21 (0.08)** 0.03 (0.06) 0.11 (0.04)* -0.05 (0.09) 0.36 (0.10)*** -0.12 (0.11) 0.00 (0.02) 0.03 (0.03) -0.05 (0.04) 0.13 (0.02)*** 0.11 (0.01)*** 0.00 (0.06) -0.04 (0.02)** 0.38 0.30*** 1824

Independent Variables Q57_class2 Q57_class3 Q57_class4 Q57_class5 Direct Aid NSP Nomad Pashtu Tajik Uzbek Security Change (Q10) Aliabad Imam Sahib Taloqan PERIPHERY Resourcebase (Village) Vulnerability (Village) Resourcebase (Household, Q9) Village Norms Village Help Number of Projects (Village) Constant Adjusted R-squared Sample Size

Note: The coefficients given are unstandardized coefficients. T-scores are provided in parentheses.

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Map Map 1: Surveyed Communities in Aliabad, Imam Sahib, Taloqan and Warsaj

SFB-Governance Working Paper Series • No. 7 • October 2007 | 21

Previously published Working Papers from the SFB-Governance Working Paper Series

Published in English and German Risse, Thomas/Lehmkuhl, Ursula 2006: Governance in Areas of Limited Statehood: New Forms of Governance? Research Program or the Research Center (SFB) 700, SFB-Governance Working Paper Series, No. 1, Research Center (SFB) 700, Berlin, December 2006. Draude, Anke 2007: How to Capture Non-Western Forms of Governance: In Favour of an Equivalence Functionalist Observation of Governance in Areas of Limited Statehood, SFB-Governance Working Paper Series, No. 2, Research Center (SFB) 700, Berlin, January 2007. Published in German only Kötter, Matthias 2007: Der Governance-Raum als Analysefaktor – am Beispiel von „Räumen begrenzter Staatlichkeit“, SFB-Governance Working Paper Series, Nr. 3, DFG Sonderforschungsbereich 700, Berlin, Januar 2007. Ladwig, Bernd/Jugov, Tamara/Schmelzle. Cord 2007: Governance, Normativität und begrenzte Staatlichkeit, SFB-Governance Working Paper Series, Nr. 4, DFG Sonderforschungsbereich 700, Berlin, Februar 2007. Risse, Thomas 2007: Regieren in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Zur „Reisefähigkeit“ des Governance-Konzeptes, SFB-Governance Working Paper Series, Nr. 5, DFG Sonderforschungsbereich 700, Berlin, April 2007. Published in English only Schäferhoff, Marco/Campe, Sabine/Kaan, Christopher 2007: Transnational Public-Private Partnerships in International Relations. Making Sense of Concepts, Research Frameworks and Results, SFB-Governance Working Paper Series, No. 6, DFG Research Center (SFB) 700, Berlin, August 2007. These publications can be downloaded from www.sfb-governance.de/publikationen or ordered as printed versions via e-mail to [email protected].

The Authors Jan Koehler is a member of the research project C1 ‘Transnational Cooperation and the Provision of Security in the Context of Limited Statehood‘. He holds a Master‘s Degree in Social Anthropology from Freie Universität Berlin and has accomplished extensive fieldwork in the former Soviet Union over the past ten years focussing on informal organisation of violence and justice in the South Caucasus. Contact: [email protected] Christoph Zürcher is one of the coordinators of the research project C1 ‘Transnational Cooperation

Research Project C1

and the Provision of Security in the Context of Limited Statehood‘. He

The project analyses transnational co-operations between

is a professor of International Re-

state and non-state actors in the context of limited state-

lations at Freie Universität Berlin.

hood. In eight ethnographic, micro political case studies of

His research focusses on Theo-

local conflict arenas in Tajikistan, Afghanistan and Pakistan,

ries of International Relations, conflicts, interventions, and

we investigate if and how such external stabilisation strate-

state-building with a special interest in the region of the

gies can work as „functionl equivalents to statehood“ that

former Soviet Union and Afghanistan.

transform violent conflicts, provide security and promote

Contact: [email protected]

local conflict managing.

Research Framework of the Research Center (SFB) 700

Partner Organisations of the Research Center (SFB) 700

Governance has become a central theme in social science

Host University

research. The Research Center (SFB) 700 Governance in Areas

Freie Universität Berlin

of Limited Statehood investigates governance in areas of limited statehood, i.e. developing countries, failing and failed

University of Potsdam

states, as well as, in historical perspective, different types of colonies. How and under what conditions can governance

Social Science Research Center Berlin (WZB)

deliver legitimate authority, security, and welfare, and what problems are likely to emerge? Operating since 2006 and

German Institute for International and

financed by the German Research Foundation (DFG), the

Security Affairs (SWP)

Research Center involves the Freie Universität Berlin, the

Hertie School of Governance

University of Potsdam, the European University Institute, the Hertie School of Governance, the German Institute for

European University Institute

International and Security Affairs (SWP), and the Social Sci-

Florence (EUI)

ence Research Center Berlin (WZB).

Boomgaarden, Georg 2007: Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit aus außenpolitischer Perspektive, SFB-Governance Lecture Series, Nr. 2, DFG Sonderforschungsbereich 700, Berlin, März 2007. ISSN 1864-1024 (online)

DFG Sonderforschungsbereich 700 Freie Universität Berlin Alfried-Krupp-Haus Berlin Binger Straße 40 D-14197 Berlin Tel.: +49-30-838 58502 Fax: +49-30-838 58540 E-Mail: [email protected] Web: www.sfb-governance.de

SFB-Governance Lecture Series • Nr. 2 • März 2007 | 3

Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit aus außenpolitischer Sicht Georg Boomgaarden

Es zeugt von ausgeprägtem Realitätssinn, zu Fragen begrenzter Staatlichkeit einen Vertreter des Auswärtigen Amtes um einleitende Worte zu bitten. Die Grenzen jeglicher Staatlichkeit sind uns vertraut. Schließlich ist es für Außenpolitik kennzeichnend, dass sie außerhalb der Grenzen der jeweils eigenen Staatlichkeit operiert und zugleich mit anderen Staaten umgeht, deren Staatlichkeit oft andere Grenzen hat als unsere eigene. Lassen Sie mich mit einem bekannten Zitat von Aurelius Augustinus beginnen: „Was anders sind also Reiche, wenn ihnen die Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden? Sind doch auch Räuberbanden nichts anderes als kleine Reiche. Auch da ist eine Schar von Menschen, die unter Befehl eines Anführers steht, sich durch Verabredung zu einer Gemeinschaft zusammenschließt und nach fester Übereinkunft die Beute teilt. Wenn dies üble Gebilde durch Zuzug verkommener Menschen so ins Große wächst, dass Ortschaften besetzt, Niederlassungen gegründet, Städte erobert, Völker unterworfen werden, nimmt es ohne weiteres den Namen Reich an, den ihm offenkundig nicht etwa hingeschwundene Habgier, sondern erlangte Straflosigkeit erwirbt.“1 Staatenimmunität ist auch heute noch ein Attribut staatlicher Souveränität. Ohne hier in eine ausführliche Exegese des Zitats einzutreten, fällt doch auf, dass die von Augustinus beschriebene Transformation von Räuberbanden in Staatlichkeit empirisch nachvollziehbar und auch heute aktuell ist: manch ein Raubritter aus der Zeit des Interregnums wurde Stammvater stolzer deutscher und europäischer Adelshäuser, mancher Warlord in Somalia übt bereits in voller Straflosigkeit staatliche Gewalt aus, verteidigt diese nach außen und sichert nach innen das Gewaltmonopol über seinen Herrschaftsbereich. Staatlichkeit als territoriale Herrschaft über eine Gemeinschaft setzt nicht unbedingt ein Gewaltmonopol auf nur einer Ebene voraus. So ist durchaus ein Föderalismus mehrerer Machtzentren denkbar, die eine übergeordnete Gewalt als Schiedsrichter anerkennen. Auch Legitimität der Herrschaft ist nicht zwingend erforderlich: zwischen Tyrannis und legitimer Herrschaft gibt es viele Zwischenstufen. Wird versucht, brutale Macht durch Verabredungen einzuhegen und Beziehungen zwischen politischen Einheiten zu entwickeln, dann kann sich die innere Verfasstheit hin zu einer Verfassung festigen, nach außen ist die Entwicklung geordneter auswärtiger Beziehungen ein Zei1

zitiert aus: Aurelius Augustinus, De Ciuitate Dei, IV. Buch, 4. Kapitel, 413-427.

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chen der Transformation in Staatlichkeit. Beides erfordert Herausbildung und Einhaltung von anerkannten Regeln. Nicht ohne Grund ist die Unverletzlichkeit von Gesandten eines der ältesten Rechtsinstitute, die wir kennen. In der Begründung des Sonderforschungsbereichs 700 werden die Defizite von Staatlichkeit benannt als Einschränkungen „im Hinblick auf das, was im allgemeinen als effektive Gebietsherrschaft bezeichnet wird, nämlich das staatliche Gewaltmonopol und die Fähigkeit staatlicher Akteure zur Durchsetzung politischer Entscheidungen.“ Und ich füge hinzu: dazu gehört auch die Fähigkeit zu verbindlichen Beziehungen nach außen und zur Einhaltung von Vereinbarungen an der Schnittstelle zwischen Innen und Außen, wo immer diese Schnittstelle gerade liegt. So kann beim Zerfall der Staatlichkeit einer übergeordneten Einheit neue Staatlichkeit in Form kleinerer Einheiten entstehen: von poleis, von ClanStrukturen oder Territorien von Warlords. Wenn Außenpolitik mit noch entstehenden oder zerfallenden Staaten ernsthaft umzugehen versucht, wo die Staatenform kaum mehr als eine Hülle ist – sind das dann auswärtige Beziehungen? Ist das nicht eine Fiktion und sollten nicht eher „diplomatische Beziehungen“ zu den wirklichen Machtstrukturen gepflegt werden? Wo das dominante Modell von Staaten in international anerkannten Grenzen nicht mehr greift, fragt sich, was an die Stelle tritt, wenn der Staat an seine Grenzen stößt. Sind es andere – so genannte nichtstaatliche Strukturen – die hier für das Regieren sorgen? Ich glaube das nicht: das, was entsteht, sind allenfalls temporäre Zwischenstufen auf dem Weg zu neuer Staatlichkeit, bis sich eines oder mehrere neue Machtzentren in das funktionale Äquivalent eines Staates verwandeln und damit Staat werden. Mit der Staatswerdung ist der Anspruch an Staaten verbunden , ihre Rolle und Verantwortung wahrzunehmen und auszufüllen. Nur als Mitglieder der Staatenwelt können die politischen Gemeinschaften an den transnationalen Netzen der Globalisierung nachhaltig teilnehmen. Außenpolitik muss daher auf die Einhaltung von zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Normen bestehen. Das ist die Eintrittskarte in die internationale Gemeinschaft. Dabei darf der Begriff der Staatlichkeit nicht zu eng gefasst werden. Diese Konferenz gibt den Startschuss für die Arbeiten des Sonderforschungsbereichs „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“. Als Ergänzung zum Sonderforschungsbereich „Staatlichkeit im Wandel“, der sich auf die OECD-Staaten konzentriert, wird die Arbeit hier sich vor allem mit den „Ländern des Südens“ beschäftigen. Räume begrenzter Staatlichkeit werden also offenbar vor allem in den „Ländern des Südens“ vermutet. Ist diese Annahme eigentlich richtig? Gibt es nicht solche Räume auch in den Vorstädten von Paris und Birmingham?

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In solchen Räumen, so heißt es in der Begründung des Forschungsvorhabens, „wird gesteuert, ohne dass die vielfältigen Verfahren demokratischer und rechtsstaatlich organisierter Wohlfahrtsstaaten verfügbar wären.“ Ich frage mich, ob hier nicht nach begrenzter Modernität und nicht nach begrenzter Staatlichkeit gefragt wird – denn Staatlichkeit ist eher noch ausgeprägter, wenn der Staat gegenüber der Zivilgesellschaft weniger rechtsstaatliche und demokratische Grenzen zu beachten hat als in unseren modernen Gesellschaften. Es soll gefragt und erforscht werden: „Wie und unter welchen Bedingungen werden GovernanceLeistungen in den Bereichen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt in Räumen begrenzter Staatlichkeit erbracht, und welche Probleme entstehen dabei?“ Dabei wird erwartet, neue, vorwiegend „nicht-hierarchische Formen des Regierens aufzufinden, die weiche Formen der politischen Steuerung“ nutzen. Mich überrascht diese Erwartung. In nicht wenigen Ländern des Südens hören wir täglich von gewaltsamen Auseinandersetzungen, immer wieder haben wir es dort mit gewalttätigen und diktatorischen Regimen zu tun. Meine Hypothese wäre eher, dass größere politische Einheiten zerfallen, wenn sie zu schwach sind, um die physische und soziale Sicherheit einer Gemeinschaft zu sichern. Dann kommt der Ruf nach dem starken Mann und dem starken Staat – notfalls in Form einer kleineren, aber dafür schlagkräftigeren Einheit, die dann ein eigenes Gewaltmonopol sichert und Attribute von Staatlichkeit entwickelt. Doch Forschung lebt von der Falsifikation von Hypothesen. So bin ich auf die Ergebnisse der Forschungen gespannt. Wenn allerdings betont wird, die nicht-staatliche Art des Regierens basierte auf „vielfältigen Kooperationsformen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren“ und sei „durch eine Verschränkung von globalen, nationalen und lokalen Ebenen charakterisiert“, bezweifle ich , ob gerade damit die differentia specifica zwischen entwickelter Staatlichkeit in den OECD-Staaten und in „Räumen begrenzter Staatlichkeit“ treffend beschrieben wird. Steht da nicht zu stark unsere eigene Erfahrung in Deutschland und Europa Pate – und nicht die Realität in Ruanda oder Sri Lanka? Ich vermute, dass erst entwickelte Staatlichkeit eine vielfältige, verlässliche und transparente Kooperation zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren erlaubt. Begrenzte Staatlichkeit hingegen schafft Spielraum für Macht an Stelle von Recht, für Gewalt an Stelle von Kooperation, mehr Staatlichkeit begrenzt hingegen diese Spielräume. Dies ist ja einer der Gründe, warum unsere Außenpolitik sich bemüht, Staatsbildung dort zu fördern, wo sie noch in Kinderschuhen steckt oder zerfällt, wo sie von Schwierigkeiten und Konflikten bedroht oder zurückgeworfen wird.

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Feudale Netzwerke müssen nicht jeden Winkel des Territoriums, über das sie sich erstrecken, permanent beherrschen. Sie können es auch nicht. Aber sie können auf begrenztem Raum alle Attribute der Staatlichkeit haben. Imperien beanspruchen nicht auf alle Territorien, die sie sich einverleiben, den gleichen Grad an Kontrolle. Das haben sie auch nicht nötig. Da sie auf Expansion zielen und nur die eigenen Fähigkeiten als äußere Grenzen anerkennen, drückt sich ihre Stärke in einer wachsender Peripherie aus, bis diese Stärke in Überdehnung und Schwäche umschlägt. Wo keine Grenze nach außen mehr akzeptiert wird, entstehen neue Grenzen im Inneren. Dennoch können wir weder Feudalstaaten noch Imperien die Staatlichkeit einfach absprechen. Selbst moderne Staaten kennen im Inneren wie an ihren Grenzen Räume eines nachlassenden Herrschaftsanspruches und einer Aushöhlung des Gewaltmonopols. Wo Staaten allerdings die Kontrolle verlieren, setzen sie ihre Staatlichkeit aufs Spiel. Dennoch erleben wir solche Fälle: ist z.B. Wasiristan Teil der Staatlichkeit Pakistans? Kann sich Pakistan aus der Verantwortung stehlen, weil es dort die Autonomie der Stämme respektiert – ja respektieren muss? Kontrolliert Mexiko die anarchischen Zustände in Ciudad Juárez an seiner Nordgrenze? Und wie steht es generell mit der Verantwortung von Zentralstaaten, wenn Bundesstaaten oder gar unabhängige Gerichtshöfe das Völkerrecht eigenwillig auslegen? Auch für die Nachbarschaft mit anderen Staaten ist entwickelte Staatlichkeit wichtig. Wo keine effektive Gebietsherrschaft gesichert werden kann, drohen zwischenstaatliche Konflikte, entweder weil sie bei den Nachbarn Eroberungsgelüste wecken oder weil sie Sanktuarien bieten für Räuber und Freischärler, die auch die Territorien der Nachbarstaaten bedrohen, auch dort nach Beute suchen, was wiederum ihre Verfolgung über die Grenzen herausfordert. Da sind wir wieder bei der Räuberbande Augustins. Wenn wir heute allerdings über Terrorismus und organisierte Kriminalität sprechen, dann spielen dort zwar Räume begrenzter Staatlichkeit eine gewisse Rolle – zugleich aber haben wir es mit einer Entgrenzung der Räume zu tun, in denen diese Phänomene sich zeigen, sie sind global geworden und finden ihre Nischen in allen Gesellschaften. Alle Staaten ohne Ausnahme kennen das Phänomen, dass ihre Reichweite Grenzen findet: notwendige Grenzen, die sich aus Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ergeben – Staatlichkeit auflösende Grenzen, wo autonome Drohung mit Gewalt das staatliche Gewaltmonopol herausfordert. Wenn Terroristen unkontrollierte Gebiete als Ausbildungs- und Rückzugsräume nutzen, dann können solche Räume begrenzter Staatlichkeit zu einer Bedrohung werden. Wenn souveräne, d.h. nicht einem anderen Gewaltmonopol unterliegende Gebilde entstehen, die alle Züge eines aggressiven, friedensgefährdenden Staates tragen, dann ist die Staatengemeinschaft insgesamt herausgefordert.

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Heute ist fast jeder Winkel der Welt formell durch einen unabhängigen und souveränen Staat besetzt. Zudem anerkennen sich all diese Staaten über ihre UNO-Mitgliedschaft in ihrer territorialen Integrität gegenseitig an. Damit ist zwar keine „effektive Gebietsherrschaft“ aller Mitgliedsstaaten der UNO reell gewährleistet, die formelle territoriale Souveränität wird aber rund um den Globus wechselseitig anerkannt und kann auch eingefordert werden. Der moderne Interventionismus fordert die Souveränität der Staaten heraus. Das Nichteinmischungsgebot ist aufgeweicht, humanitäre Grundregeln sind notfalls auch mit Gewalt gegen Staaten durchsetzbar. Wer – wie die Taliban – Terrorgruppen wie Al Qaida Schutzräume bot und es ausdrücklich ablehnte sie zu beseitigen, muss mit gewaltsamer Intervention der Staatengemeinschaft – legitimiert durch die Vereinten Nationen – rechnen. Umstritten bleibt dabei, inwieweit Staaten oder Staatengruppen sich selbst über die UNO hinaus zu gewaltsamem Vorgehen legitimieren dürfen. Die Rede von Präsident Putin in München hat diese Frage ja ausdrücklich gestellt und verneint. Staatensysteme hat es ebenso wie Imperien immer wieder in der Geschichte gegeben. Die Ausbildung eines einheitlichen Weltmarktes und einer Weltwirtschaft ist neu. Und so ist auch die Ausbildung einer Staatenwelt eine Epoche machende Neuheit. Das Spannungsverhältnis von transnationaler weltwirtschaftlicher Vernetzung und territorialer Souveränität ist der Globalisierung immanent. Diese Ausbildung einer Staatenwelt rund um den Globus scheint mir ein sinnvoller Ausgangspunkt für die Diskussion um Fragen der Staatlichkeit im XXI. Jahrhundert. Es gibt Kräfte, die eine Überwindung des Vorbildes europäischer Nationalstaaten wollen und etwa eine Renaissance des Kalifats oder eine imperiale Form der Umma anstreben. Am anderen Ende staatsferner Vorstellungen steht das Bestreben, aus der Staatsform gewissermaßen auszuwandern und kleine selbstgenügsame Einheiten zu errichten, die keiner Staatshülle bedürften. Tatsächlich können sich ja auch Clan-Strukturen und Großfamilien in komplizierten Konflikten und Übergangsphasen als vorübergehende Nothilfen gegen ausufernde Gewalt erweisen. So hatte ‚Die Welt‘ in der letzten Woche eine Schlagzeile: „Die Macht der Großfamilien sorgt in Hebron für Ruhe. Kämpfe zwischen Hamas und Fatah gibt es in der Patriarchenstadt nicht – Dafür sorgen die soliden Stammesstrukturen der Palästinenser.“ Solche Strukturen sind zunächst instabil und nicht auf Dauer angelegt. Stabile Staatlichkeit können sie nicht ersetzen. Wie wichtig die Existenz der Staatenform und das multilaterale Anerkennungsverhältnis der Staaten untereinander ist, wird deutlich, wenn sie wie in Jugoslawien zerbricht oder wenn alte

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und neue Grenzfragen aufgeworfen werden wie zwischen Eritrea und Äthiopien. Es ist ja kein Zufall, dass gerade die OAU die äußere Form der existierenden Staaten Afrikas tabuisiert hat. Je prekärer oder begrenzter in bestimmten Räumen Staatlichkeit ist, desto notwendiger scheint es zu sein, die äußere Form fraglos zu verteidigen. Wann aber ist der endgültige Zusammenbruch solcher Strukturen zu erwarten? Ist das, was dann entsteht, Staat? Auch wenn man damit vielleicht nicht viel Staat machen kann? Interessanterweise sieht Francis Fukuyama „Staaten bauen“ als „neue Herausforderung internationaler Beziehungen“ gerade unter Bedingungen der Globalisierung an. Außenpolitik muss sich hüten, entwickelte Staatlichkeit und Demokratie einfach vorauszusetzen oder gar als einen Mechanismus zu sehen, den man beliebig einführen oder abschaffen kann. Das gesellschaftliche Interesse an entwickelter Staatlichkeit ist unter den Bedingungen der Globalisierung notwendiger denn je, weil Bedingung des Überlebens von politischen Gemeinschaften. Die Staatenwelt wird auch in Zukunft den Einzelstaat als ihre politische Form behalten – auch wenn mancher Staat anders aussehen wird, als wir ihn uns gemeinhin vorstellen. Lange war Außenpolitik nahezu ausschließlich auf den Verkehr zwischen Staaten und Regierungen ausgerichtet. Erst nach und nach wurde sie auch als Instrument wahrgenommen, um Gesellschaften selbst in Verbindung zu bringen. Förderung der Zivilgesellschaft ist fast schon zu einem Schlagwort geworden. Die deutsche Außenpolitik versucht dieses Ziel mit Leben zu füllen. Sie unterstützt politisch und finanziell die Arbeit der parteinahen Stiftungen, die gerade auch in „Ländern des Südens“ aktiv sind. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist ein Instrument par excellence der gegenseitigen Verständigung durch Kennenlernen, Verstehen und Kooperieren. Wir arbeiten eng mit Nichtregierungsorganisationen zusammen. Die Initiativen zu Corporate Social Responsibility auf Seiten von Unternehmen und die Selbstverpflichtungen im Rahmen von Global Compact werden durch uns ermutigt. Projekte wie der Rechtsstaatsdialog mit China umfassen nicht nur Behörden und das staatliche Justizwesen, sondern helfen auch dabei, unabhängige Anwälte als Kräfte der Rechtsprechung zu etablieren und zu stärken. Entwickelte Staatlichkeit ist ohne gesellschaftliche Partizipation nicht zu denken. Aber Bemühungen wie die genannten ersetzen nicht die zwischenstaatlichen Beziehungen, sondern sind ohne sie kaum in die Tat umzusetzen. Ich wünsche dem Sonderforschungsbereich „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ für die folgenden Jahre viel Erfolg und seiner Eröffnungskonferenz an den beiden nächsten Tagen spannende Diskussionen.

Der Autor Georg Boomgaarden ist seit Juli 2005 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Seit seinem Eintritt in den Höheren Auswärtigen Dienst vor über 30 Jahren war er unter anderem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Nicaragua und Spanien und machte Station in Moskau und Buenos Aires.

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nance-Leistungen in den Bereichen Herrschaft, Sicherheit und Wohlfahrt in Räumen begrenzter Staatlichkeit erbracht,

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und welche Probleme entstehen dabei? Der SFB 700, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG),

European University Institute

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