Gladiatoren Wird er den morgigen Tag erleben?

besteht aus einem Becher saurer Ziegenmilch, Weizenbrei und fettem Schweinefleisch. Vor einem Kampf gibt es hingegen nur eine leichte Mahlzeit, ein wenig ...
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Gladiatoren Wird er den morgigen Tag erleben? Wer mag dieses Mal sein Gegner sein? Ganz in der Nähe und doch eine Welt entfernt, auf den Rängen des Colosseum hört er das Tosen der Zuschauer. Wenn Lucius das Badehaus betritt, denkt er manchmal darüber nach, was für ein Widerspruch sein Leben ist: Sorgfältig pflegt man seinen Körper. Von den heißen Steinen dringt die dampfgesättigte Luft in seine Poren. Auf der Massagebank sorgen die erfahrenen Hände des Masseurs und das duftende Olivenöl dafür, dass sich seine Muskeln lockern, bis ein Gefühl von Leichtigkeit seinen Körper durchströmt, bis er sich behaglich und glücklich fühlt. Aber Fortuna, die Göttin des Glücks, ist eine trügerische Gefährtin. Schon bald kann sie ihn im Sand der Arena schmählich im Stich lassen und sich statt dessen seinem Gegner zuwenden. Die Wahrheit ist, dass es im ganzen römischen Imperium kaum ein niedrigeres menschliches Lebewesen gibt als ihn. Er ist für den Tod gezüchtet. Seine einzige Aufgabe ist, es dem Gegner den Tod zu bringen oder selbst zu sterben. Einen anderen Menschen in Stücke reißen oder im Sand zu verbluten. Er hat die Wahl. Lucius ist ein Gladiator. Er ist erzogen und sorgfältig dazu ausgebildet, den Nervenkitzel des brüllenden römischen Plebs zu befriedigen, aber er dient auch dem Amüsement der gebildeten Männer und Frauen. An seine Heimat an den Grenzen des Römischen

Reiches kann er sich kaum noch erinnern. Wie eine Naturgewalt sind die Legionen über das Land gekommen und haben die waffenfähigen Männer erschlagen, oder in die Sklaverei verschleppt. Eine Ewigkeit muss er bei Wind und Wetter in einem Marmorsteinbruch schuften, bis eines Tages ein Besucher aus Rom eintrifft. Der Fremde besieht sich die Männer einzeln, mustert sie gründlich und nimmt einige von ihnen, darunter Lucius, ohne eine weitere Erklärung mit. Keiner von ihnen ahnt, was das Schicksal als nächstes mit ihnen vorhat. Was folgt ist ein monatelanges hartes Training, das die Männer auf ihre neue Aufgabe vorbereiten soll. Zuerst lernen sie an einer Strohpuppe und einem in die Erde gesenkten Baumstamm, dem so genannten „palus“, die Grundzüge des Fechtens

mit

einem

Holzschwert,

später

kommen

kompliziertere Tricks und Finten hinzu. Wenn nicht trainiert wird,

hausen

sie

in

den

kleinen

Kammern

der

Gladiatorenkaserne gleich hinter dem Amphitheater. Die Ausbildung ist hart, aber der Lanista ist meist gut zu seinen Männern. Der Lanista, das ist Veranstalter und Fechtmeister in einer Person. Er behandelt seine aus den verschiedensten Quellen stammenden Sklaven sorgfältig, und er ernährt sie gut. So mancher von ihnen ist hier zum ersten Mal in seinem Leben so richtig satt geworden. Lucius hat munkeln hören, dass es sogar Männer gibt, die sich freiwillig

als

Gladiatoren

verdingen.

Das

ist

zwar

unehrenhaft, aber für manchen der letzte Ausweg. Viele von denen, die ihm heute Nachmittag beim Kämpfen zusehen

werden, müssen am Abend hungrig ins Bett gehen. Und im Gegensatz zu ihm werden sie die Dienste eines fähigen Arztes nie in Anspruch nehmen können. Lucius Lebenserwartung liegt mit 25 bis 30 Jahren daher gar nicht so weit unter der eines gewöhnlichen Tagelöhners. Das alles täuscht natürlich nicht darüber hinweg, dass auch sein Lanista in erster Linie ein Geschäftsmann ist. Er kann seine Gladiatoren vermieten oder nach Gutdünken an andere Lanistae weiterverkaufen. Je nach ihrer Kampfkraft sind sie entsprechend teuer oder günstig zu haben. Und weil der Lanista eine Menge Geld in die Anschaffung, die Ernährung und den Unterhalt eines guten Gladiators gesteckt hat, geht er meist sorgfältig mit seinem Besitz um. Doch nicht alle Gladiatoren haben das Glück, einem guten Lanista zu gehören. Es gibt viele, die geldgierig und grausam sind. Reiche Privatleute können bei ihnen zu ihrem Privatvergnügen

Gladiatoren

mieten,

und

eigene

Kampfveranstaltungen je nach Laune und Größe des Geldbeutels organisieren. Aber, den Göttern sei Dank, Lucius Lanista gehört nicht zu den ganz Schlimmen. Nach der Massage geht er in seinen langen Wollmantel gehüllt zum Essen. Die Hauptnahrung der Gladiatoren ist genau vorgeschrieben: Bohnen oder Hirsebrei, weil man weiß, dass das die Muskeln aufbaut. Die Morgenmahlzeit besteht aus einem Becher saurer Ziegenmilch, Weizenbrei und fettem Schweinefleisch. Vor einem Kampf gibt es hingegen nur eine leichte Mahlzeit, ein wenig Huhn und einen Becher verdünnten Wein.

Lucius wird von einem alt gewordenen Gladiatoren geschult, der seine Kämpfe mit Glück und Geschick überlebt hat. Weil kaum einer von ihnen etwas anderes außer dem Kämpfen gelernt hat, bleiben die Überlebenden ihrem Gewerbe meist auch nach ihrer aktiven Zeit treu. Sein Trainer hat ihm auch erzählt,

wie

es

früher

war.

Als

die

Sklaven

und

Kriegsgefangenen, die nach Rom gebracht wurden, aber auch die verurteilten Verbrecher und Freiwillige auf den Foren und Plätzen oder unter den Laubengängen gekämpft haben. Oft zu Ehren eines Verstorbenen. Jeder hatte Schild, Körperpanzer und Schwert, und die Kämpfe waren oft ein stundenlanges, schweres aufeinander Einschlagen gewesen. Doch im Laufe der Jahrhunderte sind die Kampfarten verfeinert worden. Seitdem die Römer militärisch nach Afrika vorgedrungen sind und auf den Sklavenmärkten die Eingeborenen verkauft werden, sind die Lanistae dort fündig geworden. Jetzt können sie die Arena mit neuen exotischen Todeskandidaten versorgen, und die Römer sind begeistert von diesen schwarzen Menschen, die vorzugsweise als „retiarii“, sogenannte Netzmänner, fast nackt mit einem Netz und einem Dreizack bewaffnet in die Arena getrieben werden. Und seit die Römer Judäa und Thrakien erobert haben, sind auch die Gefangenen dieses Bergvolkes, deren Hauptwaffe im Krieg aus einem gebogenem scharfen Messer besteht, eine beliebte Bereicherung für die römischen Arenen. Diese Dolche verursachen tiefe schreckliche Wunden, aufgeschlitzte Leiber und viel Blut, das im Sand der Arena versickert. Die Zuschauer lieben das. Netz und Dreizack

gegen das Krummesser, das ist eine beliebte Kombination und nicht immer so aussichtslos für den Mann mit dem Dolch. Ganz

anders

sieht

es

für

die

Verbrecher

und

Kriegsgefangenen aus, die unausgebildet in den Kampf gegen Raubtiere geschickt werden. Ein unbewaffneter Mensch gegen Tiger, Löwe, Nashorn oder Elefant. Bei dieser „damnatio ad bestias“ ist der Ausgang von vornherein klar. Besonders wenn man dem Opfer vorher Arme und Beine bricht und die Zähne ausreißt, damit es die wertvollen Tiere nicht verletzt. Tritt den wilden Bestien hingegen ein ausgebildeter Tierbändiger entgegen, dann dauert der Spaß länger. Dann sind die Chancen für das Tier geringer. Im Amphitheater Flavium, dem sogenannten Colosseum, können sich seit seiner Fertigstellung im Jahre 79 n. Chr. mehr

als

50.000

Menschen

gleichzeitig

an

diesem

ausgetüftelten Gladiatorenschlachten ergötzen. Das ganze Jahr hindurch wird in der riesigen Arena den Zuschauern bei freiem

Eintritt

und

oftmals

freier

Verpflegung

ein

massenhafter Totschlag unter dem Schlagwort „Brot und Spiele“ geboten. Hier wird zu einem grandiosen Spiel stilisiert, was die Menschen sehen wollen: wie Lebewesen andere Lebewesen möglichst grausam massakrieren. Tiere gegen Tiere, Menschen gegen Tiere, Menschen gegen Menschen. Lucius ist ein winziges Rädchen in dieser erbarmungslosen Maschinerie. Die herrschende Klasse nutzt sie skrupellos dazu, den zahlenmäßig überlegenen Plebs bei Laune zu halten und sich mit aufwändigen Inszenierungen die Unterstützung

der Unterschicht zu sichern. Anfang des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts hat das Imperium Romanum unter Kaiser Trajan und unter dessen Nachfolger Hadrian seine größte Ausdehnung erreicht. Es breitet sich von Britannien im Norden bis nach Nordafrika im Süden aus, von den Ufern des Euphrat und Tigris im Osten bis nach Spanien im Westen. In diesem riesigen Reich unterhalten

die

Römer

ein

regelrechtes

Netz

von

Vergnügungsstätten zur Unterhaltung der Massen. Darunter 186 Amphittheater. 150 Millionen Menschen leben unter der Herrschaft und dem kulturellen Einfluß von Rom. Wie hoch die Einwohnerzahl der Weltmetropole ist, ist unklar. Ganz sicher leben jedoch mehr als eine Million Menschen in der Stadt am Tiber. An der Spitze der Bevölkerungspyramide steht eine Hand voll sehr reicher Senatoren. Darauf folgen die etwas zahlreicheren, gutbetuchten Angehörigen der Nobili, dann das zahlenmäßig starke, aber an Besitz bescheidene Bürgertum und endlich das besitzlose Proletariat. Sie alle sind freie römische Bürger und unterscheiden sich nicht mehr durch Abstammung, sondern nur

noch

durch

Besitz.

Die

unterste

Schicht

der

Bevölkerungspyramide bildet die große Masse der Sklaven. Und selbst der mittellloseste römische Bürger betrachtet den Sklaven nicht als Menschen, sondern als eine natürliche gesellschaftliche Einrichtung. Jeder freie Bürger kann in Friedenszeiten Sklaven kaufen. Der Sklavenhandel war schon bei den Griechen weit verbreitet, und die Römer haben ihn übernommen. Die Römer folgen auch der philosophischen

Begründung zur Rechtfertigung dieses Systems, das schon Aristoteles formuliert hat, und das auch der berühmte Redner und Staatsmann Cicero übernimmt: Seiner Meinung nach bedingt die Freiheit der Bürger die Sklaverei, denn die Verrichtung bestimmter Arbeiten ist eines freien Menschen unwürdig; nur ein Sklave kann sie verrichten. Die Hauptquelle der Sklavenbeschaffung ist der Krieg. Piraten liefern weitere Ware. Vespasian bringt nach dem jüdischen Aufstand (70 n. Chr.) eine halbe Million Gefangene als Sklaven mit, und Trajan lässt nach seinem Sieg über die Daker die Bewohner des besiegten Balkanlandes zu tausenden ins Amphittheater schleppen. Das Colosseum verwandelt sich in eine gigantische Vergnügungsarena. 123 Tage dauert diese Schlachtenschau, bei der zehntausend Gladiatoren und elftausend wilde Tiere sich gegenseitig massakrieren. Mit solchen bluttriefenden Orgien punktet jeder Imperator bei seinen Untertanen. Schon im Zeitalter der Republik – im Jahr 122 v. Chr. – hat der Volkstribun Lucius Gracchus seine Volkstümlichkeit gesteigert, indem er dafür sorgt, dass auch die Armen bei Gladiatorenspielen zusehen können. Was heute als sadistisches Zeichen von Dekadenz erscheint, als unbarmherzige Grausamkeit und Missachtung des Lebens, sehen

die

meisten

Römer

völlig

anders.

Der

Gladiatorenkampf erfüllt für sie einen pädagogischen Zweck: Er ist eine Belehrung in Sachen Tugend und Tapferkeit. Dem Tod furchtlos und ohne zu lamentieren ins Auge sehen, heißt die Parole. „Einzelne mögen die Gladiatorenspiele für grausam halten oder für unmenschlich,“ schreibt Cicero,

„aber wenn ein Übeltäter mit dem Schwert in der Hand für sein Leben kämpft, dann gibt es für das Ohr vielleicht eine bessere Schule, wie man Schmerz und Tod erträgt, nicht aber für das Auge.“ Aber nicht alle Zeitgenossen teilen die Vorliebe der Römer für diese Art von Zeitvertreib. Der Philosoph Seneca schildert zum Beispiel in den lebhaftensten Farben die Gräuel des Kampfes im Amphittheater. Er scheint damit zu den wenigen Römern zu gehören, die kein Vergnügen an dieser Art der Unterhaltung finden. „Alle bisherigen Kämpfe waren die reinste Barmherzigkeit im Vergleich zu den jetzigen. Ohne Pardon wird jetzt ein totales Menschenschlachten veranstaltet. Die Beteiligten haben keinerlei Schutz. Sie schlagen mit voller Kraft, und keiner ihrer Schläge ist vergeblich. […] Die Spiele werden mit Feuer und Schwert betrieben. Und das geht so lange, bis das Kampffeld leergeräumt ist. Getötet! Getötet! Warum stürzt er so zögerlich in das Schwert? Warum mordet er so mutlos? Warum stirbt er so lustlos?“ Die römischen Imperatoren, auch Cäsar und dessen Nachfolger Augustus sind indessen begeisterte Anhänger der Gladiatorenkämpfe. Im Jahre 2 v. Chr. lässt Augustus am Tiber einen künstlichen See ausheben und veranstaltet eine Naumacchie, eine künstliche Seeschlacht. Die Manschaften von

30

Galeeren,

insgesamt

3000

Mann,

kämpfen

gegeneinander. Wieviele der Gladiatoren die nachgestellte Schlacht überleben, erwähnen die Quellen nicht. In einer späteren Schlacht sorgt der Imperator Claudius dafür, dass keiner der Gladiatoren überlebt. Vorsorglich hat er seine

Leibgarde am Ufer postiert, die jeden, der zu fliehen versucht, zurück in die Schlacht jagt. Am weitesten treibt es Kaiser Commodus, der sich angeblich selbst in die Arena begibt. Obwohl er ein durchaus fähiger Kämpfer sein soll, geht es bei den Auseinandersetzungen nicht immer fair zu. Er heißt, er lasse sogar Krüppel in die Arena jagen, um sie dort mit der Keule zu erschlagen. Zu ihrer Verteidigung können seine Gegner den Kaiser lediglich mit Schwämmen bewerfen… Nur von Kaiser Marc Aurel berichtet man, dass er dem Spektakel der Gladiatorenkämpfe nichts abgewinnen kann. Wenn er bei den Vorführungen anwesend ist – sein Ruf und seine

Position

verlangen

die

Teilnahme

bei

einem

Romaufenthalt – sitzt er in seiner Loge und studiert Dokumente. Die großen Massen jedoch dürsten auch heute wieder nach Blut. Sie sind schon vor Stunden in die Arena geströmt. Vom anstehenden Programm haben sie durch Flugblätter und Anschläge in der ganzen Stadt erfahren. Am Vormittag hat es Theatervorstellungen gegeben. Der Nachmittag gehört den Gladiatoren. Gegen die glühende Hitze haben die Matrosen der Kriegsschiffe, die vom Segelsetzen etwas verstehen, große, weiße Sonnensegel gespannt. Die Loge des Kaisers, die die größte ist und ganz unten neben der Tribüne der Vestalinnen

auf

der

Schattenseite

liegt,

hat

eine

weißrotgestreifte Sonnenmarkise. Das einfache Volk auf den Stehplätzen hat sich die Zeit mit Wetten und Spielen vertrieben, mittlerweile sind auch die

Sitzplätze auf den Tribünen eingenommen. Jetzt erscheinen die Nobili. Mit ihnen der Veranstalter und der Kaiser. Die Arena ist mit feinem weißen Sand aufgeschüttet, der von den Soldaten sorgfältig geharkt wurde. Das Gelache und Gegröle der Zigtausend erfüllt die Luft. Gegessen und getrunken wird nur in den Pausen zwischen den Kämpfen. Das, was man von zuhause mitgebracht hat, aber meistens etwas, das der Veranstalter der Spiele spendiert. Und das Volk erwartet einen spendablen Gastgeber. Schließlich will der Veranstalter etwas von ihnen! Endlich erfolgt der Einzug der Gladiatoren. Der zum Tode bestimmte Zug zieht an der Ehrentribüne vorbei. „Have imperator, morituri te salutant!“ Heil Dir, Kaiser, die dem Tod geweihten grüßen Dich! Gelegentlich wird noch ein Scheinkampf zum Warmmachen geführt, hin und wieder gibt es zur Einstimmung auch ein paar Hinrichtungen. Um die ganze Sache (für die Zuschauer) spannend zu machen, bekommen die Verurteilten Waffen und müssen im tödlichen Zweikampf gegeneinander antreten. Der Überlebende bekommt anschließend einen neuen Gegner. Zu gewinnen gibt es für die Teilnehmer dabei nichts. Derjenige Verurteilte, der zuletzt noch am Leben ist, wird unter dem Applaus der Zuschauer vom venator, einer Art Scharfrichter hingerichtet. Wenn Lucius hingegen heute die Arena betritt, weiß er, dass er eine Chance hat. In den vergangenen Kämpfen hat er Mut gezeigt, und seine Gegner zur Zufriedenheit des Publikums besiegt. Die moralische Unterstützung, die seine Anhänger

ihm von den Rängen aus zukommen lassen, ist in der Arena ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Die gefährlichste Zeit für einen Gladiator sind die ersten Kämpfe seiner „Karriere“. Mit wenig Kampferfahrung enden diese Aufeinandertreffen oft mit einer Niederlage. Wenn das Publikum dann kein Mitleid zeigt, verschwindet ein weiterer namenloser Gladiator sang- und klanglos von der Bühne. Da überrascht es nicht, dass ängstliche Neuzugänge oft mit Peitschen und glühenden Eisen in die Arena getrieben werden müssen. Doch jetzt ist es endlich soweit. Der Kampf auf Leben und Tod beginnt. Immer begleitet vom rasenden Gejohle des Volkes. „Nieder mit ihm!“ „Brennt ihn! Schlag ihn!“ „Das Krummesser

ins

Trommelfell

und

in

den

Hals!“

Aufgeschlitzte Bäuche, durchbohrte Eingeweide. Das Blut muss in Strömen fließen. Ineinander verschlungene Körper müssen glänzen von Schweiß, Blut und Öl. Das Waffengeklirr wird begleitet von Musik, von den Klängen der Hörner und Orgeln. Das Todesröcheln der Sterbenden wird übertönt vom Schreien der Massen. Wer in der Arena zu Ruhm und Ehre gelangt, kann über Nacht vom Sklaven zum Helden werden. Ganz wenigen gelingt das, worauf insgeheim auch Lucius hofft: Sie gelangen zu Reichtum und Ansehen. Mitunter wird einer zum Liebling der Frauen. In der Gladiatorenkaserne in Pompeji lautet ein Graffitti : „suspirum et decus puellarum celadus tr“ – „der Thr(aker) Celadus macht alle Mädchen wild“. Ein so beliebter Gladiator kann mit Geschick und viel Glück

sogar seine Freilassung erreichen. Hat nicht der Kaiser Nero seinem Lieblingsgladiator Myrmillo, einen Palast und ein Gut zum Geschenk gemacht? Lucius ist ein Mirmillo, ein sogenannter Fischmann. Zum Angriff dient ihm ein Kurzschwert, zur Verteidigung trägt er jeweils eine Arm- und Beinschiene, sowie einen rechteckigen Schild. Sein Spitzname leitet sich von seinem Helmschutz ab, dessen Scheitel von einem metallenen Fisch verziert wird. Sein Gegner kämpft als Traex, und soll einen thrakischen Krieger darstellen. Dazu trägt einen runden Schild und einen Krummsäbel. Neben dem Helm werden auch bei ihm die Beine von langen Schienen geschützt, während der rechte Arm in einem Polster steckt. Die Paarungen, in denen die Kämpfer gegeneinander antreten, sind

keineswegs

zufällig.

Unter

den

rund

20

Gladiatorengattungen haben sich im Laufe der Zeit immer wiederkehrende Zusammenstellungen ergeben, die den speziellen Stärken und Schwächen der Kämpfer Rechnung tragen. Damit will man gewährleisten, dass es nicht so sehr auf die Bewaffnung, sondern eher auf das Können der Gladiatoren ankommt. Lucius merkt schon beim ersten Angriff, dass er heute mit seinem Gegner keine Probleme haben wird. Der andere ist ein ängstlicher Anfänger,

der sich hinter seinem Schild

zusammenkauert und blind mit dem Säbel stochert. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Ein Ausfallschritt, eine Finte nach links und das Schwert des Mirmillo kracht gegen die Beinschiene des Gegners. Erschrocken schreit dieser auf,

springt zurück, gerät ins Taumeln. Lucius setzt nach, fängt einen ungezielten Schlag mit seinem eigenen Schild ab und deckt den Gegenüber mit einer Reihe von harten, gezielten Hieben ein. Das Publikum johlt. Lucius weiß, dass er in der Arena nicht nur sein Leben verteidigt, sondern auch einen Ruf. Er muss dem Publikum etwas bieten, mit dem Gegner spielen, damit die Massen beim nächsten Kampf wieder auf seiner Seite sind. Für Mitleid ist in seinem Gewerbe kein Platz. Bald sieht auch der Traex ein, dass er diesen Kampf nicht als Sieger verlassen wird. Nun geht es nur noch darum, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Er rafft sich auf und geht zum Gegenangriff über. Doch die Attacke ist ungeschickt, viel zu weit öffnet er seine Deckung. Einen Fehler, den Lucius gnadenlos ausnutzt. Ein kurzer Stich und das Blut schießt aus dem Schildarm seines Gegners. Jetzt ein Schlag. Der Helm fliegt in hohem Bogen davon. Hilfesuchend blickt der Unterlegene auf die beiden Schiedsrichter. Doch die lassen den Kampf weiterlaufen. Wenig später ist der Traex am Ende seiner Kräfte. Nicht ein einziges Mal hat er seinen Gegner ernsthaft in Bedrängnis bringen können, und das Publikum ist unbarmherzig. „Iugula!“ tönt es von den Rängen. „Schlachte ihn ab!“ Die Schiedsrichter blicken zum Veranstalter. Und der schließt sich nur zu gerne dem Willen des Volkes an. Schließlich handelt es sich bei den Spielen um eine Werbeaktion für seine politische Karriere. Mit seinem gedrehtem Daumen bestimmt er das Schicksal des

Unterlegenen. Ob sein Daumen beim Todesurteil dabei nach oben oder unten zeigt, ist übrigens unbekannt. Entsprechende Hinweise darauf fehlen in den schriftlichen Überlieferungen fast vollständig. Auf den Knien wartet der Traex auf die Vollstreckung seines Urteils. Das Publikum raunt. Zumindest sterben kann dieser Gladiator anständig. Lucius setzt das Schwert an das Schlüsselbein seines besiegten Gegners. Ein beherzter Stoß von oben in das Herz, und der Mann vor ihm sackt tot zusammen.

Für

heute

ist

Lucius

ein

Sieger,

ein

unüberwindlicher Held. Bis zum nächsten Kampf kann er sich in seinem Erfolg sonnen. Auf den Rängen bilden sich derweil Sprechchöre, die Gruppen feuern die nächsten Gladiatoren an. Was bilden sich die da unten ein? Warum kämpfen sie nicht mutiger? Und was ist mit den Besuchern aus Capua dort oben in der Rechtskurve? Was schreien die da, wollen die die Einheimischen provozieren? Nur keine Rauferei jetzt wie kürzlich in Pompeji. Dort hat es zwischen verschiedenen Anhängern eine blutige Schlägerei mit mehreren Toten gegeben, und der Kaiser hat zur Strafe die Gladiatorenkämpfe auf zehn Jahre verboten. Den Bewohnern von Alexandria droht eine ähnliche Strafe. In der Arena scheint die schwere Luft zu stehen, flirrenden Hitze, Staub, der Geruch von Schweiß und Blut hängt über allem. Diener eilen durch die Ränge und versprühen kühles Duftwasser und feine Essenzen. Jetzt betreten Soldaten die Arena. Sie drehen die Schwerverletzten mit langen Speeren

auf den Rücken, dann nimmt einer der Soldaten einen Hammer, der an seinem Gürtel hängt, tritt vor die Sterbenden und zertrümmert ihnen mit einem gezielten Schlag die Hirnschalen. Blut und Hirnreste kleben am Hammerkopf. In der Ehrenloge, wo man sich währenddessen mit dem Verzehr von kühlem Wein und süßen Trauben die Zeit vertrieben hat, registriert man kaum den Gruß des Soldaten mit dem Hammer in der Hand. Dann wird den toten Gladiatoren eine Kette um den Fuß gehakt und ein bunt herausgeputzter Esel schleift sie durch den Sand aus der Arena. Das Leichenhaus befindet sich gleich nebenan. In der Zwischenzeit haben Sklaven des Veranstalters den blutigen Sand eifrig umgegraben. Er ist sorgfältig geharkt, das Publikum frisch gestärkt, die nächsten Kämpfe können beginnen. Die Gladiatorenkämpfe sind ein so fester Bestandteil des Alltags, dass weder Lucius, noch der Kaiser oder die Senatoren und schon gar nicht die Tausenden in den Rängen sich ein Leben ohne diese Darbietungen vorstellen können. An bis zu 200 Tagen im Jahr wird in der Arena gekämpft, gejubelt und gestorben. Erst mit dem Einzug des Christentums nähert sich die fast 600-jährige Geschichte ihrem Ende. Kaiser Konstantin I., selbst

zum

Christentum

übergetreten,

verbietet

die

Gladiatorenkämpfe offiziell im Jahr 325: „Uns missfallen blutige Vorführungen. Deshalb verfügen wir, dass es keine Gladiatoren mehr geben darf. Die, die ihrer Verbrechen

wegen früher dazu verurteilt wurden, Gladiatoren zu werden, sollen ab jetzt in den Bergwerken arbeiten. “ Eine Jahrhunderte alte Tradition, lässt sich jedoch nicht über Nacht abschaffen, und so gehen die blutigen Kämpfe mehr oder weniger öffentlich weiter. Aber was der Kaiser nicht vermag, schafft der Überlieferung nach Jahrzehnte später ein einfacher Mönch. Telemachus, ein Geistlicher aus dem Gebiet der heutigen Türkei, fühlt sich von Gott berufen, nach Rom zu reisen. Dort wird er im Colosseum Zeuge eines Kampfes zwischen zwei Gladiatoren, und kurz entschlossen steigt er selbst in den Ring, um das Morden zu beenden. Das Publikum allerdings ist alles andere als begeistert. Außer sich vor Wut über die ungebetene Unterbrechung greifen die Zuschauer den Mönch und steinigen ihn an Ort und Stelle zu Tode. Als Kaiser Honorus vom Tod des Geistlichen erfährt, ist er so erschüttert, dass er die tödlichen Spektakel ein für alle Mal beendet. Am 1. Januar des Jahres 404 endet die Ära der Gladiatoren so mit einem letzten Menschenopfer.