Georg Lukács - Kritiker der unreinen Vernunft (Studien des ...

Christoph J. Bauer, Britta Caspers und Werner Jung. Christoph J. Bauer .... einandersetzung mit den Werken von Karl Marx und mit anderen als marxistisch.
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Georg Lukács – Kritiker der unreinen Vernunft –

Studien des Gesellschaftswissenschaftlichen Institutes Bochum Band 3

so lautete der Titel einer Tagung, die das Gesellschaftswissenschaftan diese Tagung kam der Gedanke auf, der Lukács-Forschung einen ständigen Ort an der Ruhr-Universität Bochum zu geben. Aufgabe einer solchen Lukács-Forschungsstelle soll es in der Hauptsache sein, die Kontinuität in der Rezeption des Lukácsschen Œuvres sicherzustellen, d. h. jüngere WissenschaftlerInnen für eine Auseinandersetzung mit Lukács zu gewinnen, die Kommunikation der internationalen LukácsForschung zu befördern und in der Zusammenarbeit mit dem LukácsArchiv in Budapest dafür Sorge zu tragen, dass die große Fülle der noch nicht edierten Texte von Georg Lukács der öffentlichen Diskussion zumindest in Teilen zur Verfügung gestellt werden. Der vorliegende Band kann nunmehr als das erste Ergebnis der Arbeit der Bochumer Forschungsstelle verstanden werden. Der Band enthält drei Texte von Georg Lukács aus den zwanziger und frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, zudem die Vorträge von Tobias Christ, Jens Lemanski und Niklas Hebing, die im Rahmen des von der Lukács-Forschungsstelle ins Leben gerufenen Kolloquiums, das sich im Februar 2009 der Zerstörung der Vernunft widmete, gehalten wurden, die Kolloquiumsbeiträge von Britta Caspers und Dirk Lehmann vom November 2008 und schließlich zwei Abhandlungen von Erich Hahn und Martin Vialon, die in anderen Zusammenhängen entstanden sind.

C.J. Bauer, B. Caspers, W. Jung (Hrsg.) Georg Lukács – Kritiker der unreinen Vernunft

liche Institut Bochum (GIB) im Mai 2007 veranstaltet hatte. Im Anschluss

GEORG LUKÁCS Kritiker der unreinen Vernunft

Herausgegeben von Christoph J. Bauer Britta Caspers Werner Jung

ISBN 978-3-940251-78-7

UVRR Universitätsverlag Rhein-Ruhr

Gesellschaftswissenschaftliches Institut Bochum

Studien des Gesellschaftswissenschaftlichen Institutes Bochum Band 3

Georg Lukács Kritiker der unreinen Vernunft Herausgegeben von Christoph J. Bauer Britta Caspers Werner Jung

Universitätsverlag Rhein-Ruhr Duisburg



Titelbild

Georg Lukács (etwa Mitte der 1960er Jahre) Foto Privatarchiv Frank Benseler



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ISBN

978-3-940251-92-3



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UVRR



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Patrick Presch B ibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.ddb.de abrufbar.  2010 by Universitätsverlag Rhein-Ruhr OHG © Paschacker 77 47228 Duisburg www.uvrr.de  as Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberD rechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Inhalt

Christoph J. Bauer, Britta Caspers, Werner Jung: Vorwort ............................................................................................................... 5 I. Drei Texte von Georg Lukács. Herausgegeben und kommentiert von Christoph J. Bauer, Britta Caspers und Werner Jung Christoph J. Bauer, Britta Caspers, Werner Jung: Editorische Vorbemerkung . .............................................................................. 11 Georg Lukács: Liebe Genossen! ............................................................................................... 13 Georg Lukács: Gerhart Hauptmann ist Mitglied der faschistischen Dichterakademie geblieben . ............................................................................. 21 Georg Lukács: Weltreaktion und Weltrevolution ...................................................................... 45 II. Themenschwerpunkt: Die Zerstörung der Vernunft Tobias Christ: Lukács’ Begriff des Irrationalismus. Versuch einer Rekonstruktion ................ 59 Jens Lemanski: Philosophia in bivio – Über die Bedeutung des Fragmentenstreits für die Ausdifferenzierung von Rationalismus und Irrationalismus . ..................... 85 Niklas Hebing: Die zweifelhafte Philosophiekritik an der kritischen Philosophie eines Zweiflers. Lukács’ Nietzsche-Bild in der Zerstörung der Vernunft ................ 107

III. Weitere Abhandlungen Erich Hahn: Das Ideologieproblem in der Ontologie des gesellschaftlichen Seins ............ 149 Britta Caspers: Bemerkungen zu Lukács’ Konzeption einer marxistischen Ethik .................. 161 Dirk Lehmann: Die Verdinglichung der Natur. Eine Skizze .................................................... 183 Martin Vialon: Konstruktion, Genese und Kritik der Marxismusdiskussion bei Karl Jaspers und Werner Krauss ..................................................................... 203 Autorenverzeichnis ......................................................................................... 247

Vorwort Im Anschluß an die Tagung Georg Lukács: Kritiker der unreinen Vernunft, die im Mai 2007 vom Gesellschaftswissenschaftlichen Institut Bochum (GIB) in Zusammenarbeit mit der Internationalen Georg-Lukács-Gesellschaft an der RuhrUniversität Bochum durchgeführt worden ist1, ist im Kreis der Veranstalter und Beiträger die Idee entstanden, der aktuellen Lukács-Forschung einen ständigen Ort an der Ruhr-Universität zu geben. Anlaß für diese Überlegungen war zum einen das positive Echo auf die Veranstaltung, zum anderen die Tatsache, daß zur Zeit an keiner Universität der Bundesrepublik Deutschland eine Institution existiert, die sich kontinuierlich mit den Werken und dem Wirken von Georg Lukács beschäftigt. Aufgabe einer solchen Lukács-Forschungsstelle an der Ruhr-Universität Bochum soll es in der Hauptsache sein, die Kontinuität in der Rezeption des Lukácsschen Œuvres sicherzustellen, was insbesondere bedeutet, jüngere WissenschaftlerInnen für eine Auseinandersetzung mit Lukács zu interessieren und ihre Bemühungen zu fördern. Aus diesem Grund veranstaltet das GIB auch seit dem Wintersemester 2008/09 in unregelmäßiger Folge Kolloquien und Vorträge, in denen auf Lukács bezogene Texte diskutiert werden können. Darüber hinaus versuchen die Mitarbeiter der Forschungsstelle, die Schriften von Lukács in Seminaren und Vorlesungen an den Universitäten präsent zu halten.2 Der vorliegende Band enthält in der Hauptsache diejenigen Texte, die in den Kolloquien vom 1. November 2008 (Britta Caspers und Dirk Lehmann) und 8. Februar 2009 (Tobias Christ, Jens Lemanski, Niklas Hebing) Grundlage der Diskussion gewesen sind, wobei sich das Kolloquium vom 8. Februar 2009 thematisch auf Die Zerstörung der Vernunft konzentriert hat.3 Legt man die hier präsentierten Ergebnisse gerade des letzten Kolloquiums zugrunde, wird jedoch deutlich, daß die Diskussion um die Zerstörung der Vernunft kaum als abge1

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Die Vorträge, die auf der genannten Tagung gehalten wurden, sowie weitere Arbeiten zu Lukács enthält der Band „Bei mir ist jede Sache Fortsetzung von etwas“. Georg Lukács Werk und Wirkung. Hrsg. v. C. J. Bauer, B. Caspers, N. Hebing, W. Jung, H. Wendt. Duisburg 2008 (Studien des Gesellschaftswissenschaftlichen Institutes Bochum. Band 2); Vgl. zur Ausrichtung der Tagung das Vorwort der Herausgeber, ebd. 5-8. Christoph J. Bauer bot an der Ruhr-Universität Bochum über zwei aufeinander folgende Semester ein Seminar zu Lukács’ Ontologie des gesellschaftlichen Seins an (WiSe 2008/09 / SoSe 2009) und Werner Jung integriert seit Jahren Lukács’ Überlegungen zur Literaturtheorie in seine Seminare und Vorlesungen. Diese Beschäftigung mit der Zerstörung der Vernunft geht auf die Anregung der Herausgeber aus dem Vorwort zum oben genannten Band zurück („Bei mir ist jede Sache Fortsetzung von etwas“. A. a. O. 6 f.).

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C.J. Bauer, B. Caspers, W. Jung

schlossen bezeichnet werden kann. Insbesondere wird deutlich, daß eine erneute Auseinandersetzung mit dem Begriff der ‚Ideologie‘ dringend geboten ist, die über eine naive ‚Ideologie-Kritik‘ (früherer Zeiten) hinauszugehen hat. Hier liegt es nahe, wie auch die Gespräche im Anschluß an das Kolloquium zur Zerstörung der Vernunft gezeigt haben, die Positionen, die Lukács in Auseinandersetzung mit dem Faschismus begründet hat, sowie seine Auseinandersetzung mit der deutschen Geistesgeschichte insgesamt in Bezug zu setzen zu seiner Bestimmung des Ideologie-Begriffs im Rahmen der Ontologie des gesellschaftlichen Seins.4 Schon der Beitrag von Tobias Christ im vorliegenden Band macht auf die Bedeutung des Ideologie-Begriffs aufmerksam und Erich Hahn leistet einen ersten klärenden Beitrag zu dieser Diskussion aus der Perspektive der Ontologie. Über die bereits geschilderte Aufgabenstellung hinaus soll die Bochumer Lukács-Forschungsstelle aber auch einen Beitrag zur Verbesserung der Kommunikation innerhalb der internationalen Lukács-Forschung leisten. Von diesen Bemühungen um eine internationale Zusammenarbeit zeugt bereits der Aufsatz von Martin Vialon, der zur Zeit in Istanbul lehrt. In der Hauptsache erfährt die Beschäftigung mit Georg Lukács aber eine Renaissance in Süd-Amerika, was von Europa aus kaum beachtet wird. Gerade der Zusammenarbeit mit Süd-Amerika wird die Bochumer Forschungsstelle künftig besondere Aufmerksamkeit schenken. Der Austausch mit der ungarischen, der französischen und italienischen Lukács-Forschung ist dagegen bereits etabliert. In den Kontakten mit Vertretern der internationalen Lukács-Forschung wird sehr deutlich, welch entscheidende Rolle das Lukácssche Werk für die Wiederaufnahme einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den Werken von Karl Marx und mit anderen als marxistisch zu bezeichnenden Positionen spielt. Zwar stand Lukács bekanntlich durchaus in kritischer Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Positionen des Marxismus, jedoch verfiel er niemals in eine radikale Abwehr der marxistischen Tradition. Lukács wird so zu einem Denker der Vermittlung, der einen entscheidenden Beitrag zu einer – der gesellschaftlichen Realität des 21. Jahrhunderts angemessenen – Weiterentwicklung dieser bedeutsamen Tradition geleistet hat. Weiterhin muß es der Forschungs-Stelle in Bochum aber auch darum zu tun sein, eine Zusammenarbeit mit dem Lukács-Archiv in Budapest aufzubauen, die es ermöglicht, die große Fülle der noch nicht edierten Texte von Georg Lukács der öffentlichen Diskussion zumindest in Teilen zur Verfügung zu stellen – wohl wissend, daß eine solche Edition nur vorläufigen Charakter haben kann und daß 4

Vgl. Georg Lukács: Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins. 2. Halbband. In Verbindung mit dem Lukács-Archiv Budapest hrsg. v. Frank Benseler. Darmstadt und Neuwied 1986. 297-500; vgl. auch die diesbezüglichen Bemerkungen in den Prolegomena zu einer Ontologie des gesellschaftlichen Seins. 1. Halbband. Hrsg. v. Frank Benseler. Darmstadt und Neuwied 1984.

Vorwort

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die endgültige Präsentation dieser Texte einer Gesamtausgabe überlassen bleiben muß. In diesem Band kommen drei Texte aus den zwanziger und frühen dreißiger Jahren zum Abdruck bzw. Wiederabdruck, in denen Lukács zu den politischen und kulturellen Entwicklungen der Zeit Stellung nimmt. Nähere Informationen zu diesen Texten finden sich in der Editorischen Vorbemerkung, die der Präsentation vorangestellt wurde. Die Herausgeber danken dem Lukács-Archiv in Budapest, insbesondere Dr. Miklos Mesterhazi für die Erlaubnis, die drei für den vorliegenden Band edierten Texte zu veröffentlichen, dem Rosa-Luxemburg-Club Dortmund/Bochum für die finanzielle Unterstützung dieses Projekts und dem Universitätsverlag Rhein-Ruhr für die bewährt gute Zusammenarbeit. Bochum, im Dezember 2009

die Herausgeber

I Georg Lukács Liebe Genossen, … * Gerhart Hauptmann ist Mitglied der faschistischen Dichterakademie geblieben * Weltreaktion und Weltrevolution

Editorische Vorbemerkung Bei den drei in diesem Band präsentierten, aus dem Budapester Nachlaß stammenden Texten handelt es sich um Typoskripte (mit z. T. handschriftlichen Hinzufügungen und Korrekturen), deren genaue Datierung unsicher ist und sich jeweils nur aus dem Bezug auf die von Lukács angesprochenen Texte und historischen Ereignisse ableiten lässt. Die Texte tragen die Archiv-Signaturen „II/73232“ (Liebe Genossen, …), „II/75-228“ (Gerhart Hauptmann ist Mitglied der faschistischen Dichterakademie geblieben) und „II/31-213“ (Weltreaktion und Weltrevolution); der Text Weltreaktion und Weltrevolution, dessen Druckvorlage hier zum Wiederabdruck kommt, ist seinerzeit veröffentlicht worden unter dem Titel: Weltreaktion und Weltrevolution. Vortrag auf der 2. Südostkonferenz der Kommunistischen Jugend-Internationale in Wien, Dezember 1920. Verlag der Kommunistischen Jugend-Internationale, Berlin o.  J. (=Flugschriften der Jugendinternationale, Nr. 11). – Die Herausgeber haben sich darum bemüht, die zeitgenössischen Hintergründe der Stellungnahmen deutlich werden zu lassen; aus diesem Grunde findet sich jeweils in Fußnoten zu den ersten beiden Texten ein kleiner Stellenkommentar. Beim Text Weltreaktion und Weltrevolution wurde auf eine Kommentierung verzichtet, da Lukács sich hier nicht auf bestimmte Quellentexte bezieht, sondern auf historische Ereignisse, deren Erläuterung den Rahmen der vorliegenden Edition sprengen würde. Rechtschreibungs- und grobe Zeichensetzungsfehler, die Lukács beim Abfassen der Manuskripte unterlaufen sind, wurden von den Herausgebern stillschweigend berichtigt; die Verwendung von ‚ss‘ anstelle von ‚ß‘ wurde entsprechend den Gepflogenheiten des Autors belassen. Den gestalterischen Vorgaben der Typoskripte wurde bei der Umsetzung für die Druckfassung aus Gründen der Authentizität  – soweit möglich – gefolgt. Ergänzungen der Herausgeber im Text werden durch eckige Klammern kenntlich gemacht. Der in diesem Band vorliegende Wiederabdruck des Textes Weltreaktion und Weltrevolution enthält zweierlei Seitenzählung, wobei die Paginierung der Erstveröffentlichung in spitzen Klammern erfolgt () und die Seitentrennung durch einen Schrägstrich gekennzeichnet ist. Die Paginierung des Manuskripts folgt – wie auch bei den beiden anderen Texten – der durch Lukács selbst vorgegebenen Zählung, der jeweils ein senkrechter Strich zur Markierung des Seitenumbruchs vorangestellt wurde. Bei der in seinem Brief (Liebe Genossen,  …) angesprochenen Zeitschrift handelt es sich um Die Front. Zeitschrift für Arbeiterbewegung, Politik, Wirtschaft und Kultur (Untertitel ab III, 3), hrsg. v. Hans Conrad, Jgg. 1-4, BerlinHalle/S.-Zürich 1928-1931; bei den von Lukács diskutierten „zwei literaturkritischen[n] Aufsätze[n] der ersten Nummer“ handelt es sich zum einen um „Im Banne Emile Zolas. Bemerkungen zu Upton Sinclairs 50. Geburtstag (20.09.)“

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Editorische Vorbemerkung

von Gerhart Pohl (Die Front. Herausgeber: Hans Conrad, I. Jahrgang / Nr. 1, September 1928, 13 – 16), sowie um „Wo bleibt der deutsche Zola?“ von Klaus Herrmann (Ebd. 17 – 21) Ob Gerhart Pohl dieselbe Person ist, die als Herausgeber und Mitarbeiter von Gerhart Hauptmann bekannt wurde (Ps. Silesius alter; 1902-1966) kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Der zuletzt genannte blieb im Gedächtnis der Öffentlichkeit insbesondere durch die Schilderung der letzten Tage Hauptmanns (Bin ich noch in meinem Haus? Die letzten Tage Hauptmanns. 1953, Neudruck: Herne 2006). Von 1923-1930 war Pohl Herausgeber der Zeitschrift Die neue Bücherschau; er wurde 1935 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, konnte aber – mit Hilfe Hauptmanns – 1939 die Aufhebung des Schreibverbots erreichen. Von 1946 bis 1950 arbeitete er als Lektor im Aufbau-Verlag und ging dann nach West-Berlin. Pohl war Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, der Berliner Akademie der Künste, des PEN-Zentrums und ab 1959 Präsident der Vereinigung der Deutschen Schriftstellerverbände. Über die Identität des Autors Klaus Herrmann liegen keine Informationen vor. Die hier veröffentlichen Texte zeigen Georg Lukács erneut als vielseitig gebildeten und vielseitig interessierten bzw. engagierten Kritiker der Strömungen seiner Zeit – sei es in Hinsicht auf die ideologische Dimension der Kunst (beachtenswert hier auch die profunde Kenntnis des Werks von Gerhart Hauptmann), sei es in Hinsicht auf seine kenntnisreiche Analyse der politischen Optionen der historischen Situation. Christoph J. Bauer

Britta Caspers

Werner Jung

Liebe Genossen, Ihr wart so liebenswürdig, mir Euer Material, darunter die erste Nummer der „Front“ zuzuschicken; Ihr wart aber so unvorsichtig, mich aufzufordern, meine Bemerkungen an Euch mitzuteilen. Ihr seid also selbst schuld daran, wenn ich Eure Aufforderung eventuell missbraucht habe. Ich will über nur zwei literatur-kritische Aufsätze der ersten Nummer einige Bemerkungen machen. Denn ich halte es für sehr wichtig, wenn wir den Arbeitern literarische Erscheinungen erklären wollen, dass dies in einer möglichst einwandfreien, marxistischen Weise geschehe, denn Fehler die hier gemacht werden, verursachen einerseits Illusionen über die Geschichtsperspektive, an­ drerseits geben [sie] ein falsches Bild über die bisherige Entwicklung und verfälschen damit auch das politische Bild des Arbeiters über die Vergangenheit. Ich beginne mit dem Aufsatz des Gen. Pohl. Gen. Pohl schreibt: „Denn in jeder Zeile dieses Meisterwerks erkennt man als geistige Motoren den wissenschaftlichen Sozialismus und den wissenschaftlichen Materialismus. Und was für den geistigen Inhalt die Marx und Engels, die Darwin und Spencer bedeuten, bedeutet für die Form der naturalistische experimental Roman Emile Zolas.“1 Weiter unten schreibt er: „Während die meisten anderen sozialistischen Schriftsteller ... .“2 Hier sind meiner Ansicht nach folgende entscheidende Fehler: a) Spencer ist ein liberaler Soziologe und kein wissenschaftlicher Sozialist, ein typischer englischer Agnostizist und kein wissenschaftlicher Materialist. Nachdem Marx das Vorbild Spencers, Comte, stets mit der grössten Verachtung behandelt hat, nachdem Engels ganz klar seine Stellungnahme zum Agnostizismus auseinandergesetzt hat, finde ich es für sehr unrichtig, Spencer in einer Reihe mit Marx und Engels aufzuzählen. (Ich wäre auch dafür, dass wir in solchen Zusammenhängen, wenn wir von der Gesellschaft sprechen, auch mit der Parallele Darwin-Marx etwas vorsichtiger sein sollen; denken Sie an die interessanten kritischen Ausführungen von Marx über Darwin in seinem Brief an Engels.) b) Wer sind die „meisten anderen sozialistischen Schriftsteller“? Gen. Pohl zählt früher eine ganze Reihe von Dichtern auf, von denen nur ganz wenige als sozialistische Schriftsteller gelten können. (N. b. ist diese Zusammenstellung auch literaturgeschichtlich ganz falsch.) Es stimmt, wenn man etwa bei Gladkow oder Heinrich 1

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Gerhart Pohl: Im Banne Emile Zolas. Bemerkungen zu Upton Sinclairs 50. Geburtstag (20.09.) – In: Die Front. Hrsg. v. Hans Conrad, I. Jahrgang / Nr. 1, September 1928, 13 – 16; hier Seite 13. Das vollständige Zitat lautet: „Während die meisten anderen sozialistischen Schriftsteller aus Zolas Werk nur Antrieb und Kraft zogen, im Formalen aber eigene Wege gingen, übernahm Sinclair für seine großen Romane Zolas Problemstellung, Technik und Stil.“ Gerhart Pohl: Im Banne Emile Zolas. A. a. O. 15.