Friedrich der Große und die Mark Brandenburg - Libreka

Der für diesen Sammelband gewählte Ansatz, die Herrschaftspraxis Friedrichs des. Großen am Beispiel einer Region seines Gesamtstaates zu beschreiben, mag vielleicht etwas ungewöhnlich erscheinen. Und in der Tat: Fragen nach dem Verhältnis eines. Monarchen zu einem Territorium des von ihm beherrschten ...
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Friedrich der Große und die Mark Brandenburg

Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte Im Auftrag der Brandenburgischen Historischen Kommission e. V. und des Brandenburgischen Landeshauptarchivs herausgegeben von Heinz-Dieter Heimann und Klaus Neitmann

Band 7

Frank Göse (Hg. )

Friedrich der Große und die Mark Brandenburg Herrschaftspraxis in der Provinz

Lukas Verlag

Die Umschlaggestaltung erfolgte unter Verwendung der »Nouvelle Carte geographique du Marg­graviat de Brandebourg…« von Franz Ludwig Güssefeld, 1873 (Archiv Dirk Schumann) sowie des Gemäldes »Friedrich der Große zu Pferde« von Wilhelm Camphausen, 1871 (Stiftung Museum Kunstpalast Düsseldorf).

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2012 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D–10405 Berlin www.lukasverlag.com Satz: Jana Pippel (Lukas Verlag) Umschlag: Lukas Verlag Druck: Elbe Druckerei Wittenberg Printed in Germany ISBN 978–3–86732–138–9

Inhalt

Einführung Frank Göse Brandenburg und Sachsen – die Spannungen im Kunstleben unter Friedrich dem Großen Helmut Börsch-Supan Friedrich und die Aufklärung in Brandenburg-Preußen Iwan-Michelangelo D’Aprile

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15 38

Die königliche Toleranzpolitik in der Wahrnehmung der brandenburgischen Untertanen Brigitte Meier

48

Le Royaume des cieux – Friedrich II. und die Hugenotten in Brandenburg Silke Kamp

69

König Friedrich II. und die Städte Brandenburgs Udo Geiseler »[…] die Racce davon so guht ist, das sie auf alle art meritiret, conserviret zu werden« Das Verhältnis Friedrichs des Großen zum brandenburgischen Adel Frank Göse

84

104

»Bedienungen vergebe Ich nach Meinem Sinn« Zur Personalpolitik Friedrichs II. im Zivilfach Rolf Straubel

133

Ziele und Grenzen der königlichen Personalpolitik im Militär Carmen Winkel

144

Friderizianische Domänenpolitik am Beispiel der Kurmark Werner Heegewaldt

163

Friedrich II. und der Kartoffelanbau in Brandenburg-Preußen Antonia Humm

183

Friedrich der Große auf Inspektionsreise Vinzenz Czech

216

»auß Höchster Landes-Herrlicher Macht und Gewalt« Zum Einfluss von Naturrecht und politischem Wertehorizont auf die Rechtspflege Friedrichs II. in Kriminalsachen in den ersten Jahren seiner Regierung Janine Rischke

246

»[…] denn gegenwärtig siehet es in den hiesigen Heyden etwas lüderlich aus.« Forstliche Theorie und Praxis in Brandenburg-Preußen unter Friedrich II. – archivalische Stichproben Mario Huth

266

Eine formidable Festung? Die Neuen Werke (1744) der Festung Peitz als Spiegel des fortifikatorischen Denkens König Friedrichs II. Volker Mende

307

Schlussbetrachtungen: Friedrich II. und die Mark Brandenburg Peter-Michael Hahn

326

Autorenverzeichnis

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Einführung Frank Göse

Der für diesen Sammelband gewählte Ansatz, die Herrschaftspraxis Friedrichs des Großen am Beispiel einer Region seines Gesamtstaates zu beschreiben, mag vielleicht etwas ungewöhnlich erscheinen. Und in der Tat: Fragen nach dem Verhältnis eines Monarchen zu einem Territorium des von ihm beherrschten Reiches wurden sicher nicht allzu häufig gestellt, eine gewisse Plausibilität dürfte ihnen dennoch zuzu­ sprechen sein. Schließlich hing die Stabilität eines Staatswesens nicht unbeträchtlich von solchen Beziehungen und Loyalitäten ab; man muss dabei nicht unbedingt eines der besonders eindrücklichen Exempel aus der frühneuzeitlichen europäischen Geschichte vor Augen haben, bei dem dieser Zusammenhang in fast schon extremer Weise sträflich vernachlässigt worden war: Die in England und Schottland in den 1630er Jahren beginnende und schließlich zum ›Civil War‹ führende politische Krise wurde und wird, neben vielen anderen Ursachen, auf die zu geringe Integrationskraft der aus Schottland stammenden Stuart-Könige zurückgeführt und als ein besonders ausgereiftes Fallbeispiel eines für die alteuropäischen Verhältnisse ja nicht allzu ungewöhnlichen Konfliktes zwischen ›court and countrie‹ interpretiert.1 Auch in verschiedenen deutschen Reichsterritorien können wir diese Zusammenhänge beobachten: Im Kur­fürstentum Hannover galt es, die Gewichte der regionalen Ständelandschaften, etwa im lüneburgischen und calenbergischen Anteil, ebenso auszutarieren wie in der noch durch viel stärker in sich differenzierten österreichischen Habsburgermonarchie. Auch der 1777 den bayerischen Kurfürstentitel erbende bisherige pfälzische Kurfürst Karl Theodor stand vor solchen Integrationsproblemen, als er erhebliche Anstrengungen aufbringen musste, um von seiner neuen Münchner Residenz aus seinen nunmehr sieben Landesteile umfassenden Herrschaftsbereich gleichermaßen ›durchdringen‹ zu können. Er hatte also auf das in diesen Fürstentümern »gepflegte Eigenbewusstsein Rücksicht« zu nehmen.2 Allenthalben scheint hier also ein Spannungsfeld auf, das unter übergreifendem Aspekt als die »Unzufriedenheit des peripheren Adels« bezeichnet wurde.3 Dabei wird rasch deutlich, dass die Frage nach den Beziehungen eines Herrschers zu den politischen Landschaften seines Gesamtreiches vor allem für jene Staatswesen einen Erkenntnisgewinn bringen kann, die wie Brandenburg-Preußen als ›zusammengesetzte Monarchien‹ beschrieben werden.4 Die Idee, eine Tagung zu dem vorliegenden Thema auszurichten, erwuchs nun aus mehreren Erwägungen: Zum einen wird damit der Fokus auf jene innen1 Vgl. hierzu Asch 1993. 2 Vgl. Rall 1993, S. 218. 3 Zurückgehend auf eine Äußerung von Marco Meriggi; hier zit. nach Press 1988, S. 11. 4 Vgl. hierzu übergreifend Bosbach 1997.

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politischen Akzente der Regierung Friedrichs des Großen gelegt, die zumindest in ­jüngerer Zeit nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden hatten. Überblickt man die bisher erschienenen Publikationen im Umfeld des Jubiläums, über dessen wissenschaftlichen Ertrag jetzt schon zu urteilen gewiss noch zu früh erscheinen dürfte, zeigt sich, dass neben dem klassischen Genre der Biografie5 besonders die europäischen sowie kunst- und geistesgeschichtlichen Bezüge auf Interesse stießen; auch die Rezeptionsgeschichte wurde und wird in der jüngsten Zeit vergleichsweise intensiv behandelt.6 Deshalb wenden sich, zum Zweiten, die in dem vorliegenden Sammelband enthaltenen Beiträge einem scheinbar ›traditionellen‹ Thema zu: dem Wirken des preußischen Königs als Landesherr. Bei der Konzipierung der dem Band zugrunde liegenden Tagung hatten wir aber darauf Wert gelegt, dass die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Mark Brandenburg als Zentralprovinz gerichtet wurde, sondern fallweise ebenso die anderen Territorien des preußischen Gesamtstaates Berücksichtigung fanden. Gerade der vergleichende Blick auf die anderen Provinzen lässt manche Facette der königlichen Herrschaftspraxis in der Kur- und Neumark deutlicher hervortreten und führt zugleich vor Augen, dass von Seiten der Krone – etwa in der Personal- oder Wirtschaftspolitik – stets übergeordnete Interessen der Gesamtmonarchie berücksichtigt werden mussten. Ebenso stand für den Monarchen bei all seinen Projekten und Entscheidungen immer auch das in den einleitenden Bemerkungen angesprochene Integrationsproblem im Hintergrund. Zum Dritten lag die hier gewählte Fragestellung nahe, wenn man die Forschungsprogrammatik und die Zielgruppen der die Tagung ausrichtenden Institutionen, also der Brandenburgischen Historischen Kommission und der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg, berücksichtigt. Das persönliche Verhältnis Friedrichs des Großen zur Zentralprovinz zu bestimmen, scheint auf den ersten Blick recht einfach zu sein, zu deutlich lassen sich die in die Mark führenden Spuren während seines gesamten Lebens erkennen. Gerd Heinrich hatte einst den König in einem Essay als »Brandenburger und Preuße« etikettiert.7 Und in der Tat könnte einiges dafür sprechen. Schließlich befanden sich hier inmitten der Berlin-Potsdamer Residenzlandschaft die entscheidenden Lebensstationen dieses Königs, sein Geburts- und Sterbeort und viele Stätten, an denen zum Teil noch heute an sein Wirken für die Landeskultur erinnert wird. Und dennoch erscheint es bei genauerer Betrachtung doch nicht so einfach, genuin brandenburgische Bezüge im Handeln und Denken Friedrichs herzustellen, sieht man von dem auch ihm anhaftenden Rang als brandenburgischer Markgraf und Kurfürst einmal ab. Friedrich gar als überzeugten ›Brandenburger‹ zu verstehen, wäre allerdings eine nicht zeitgemäße Deutung für einen Monarchen des Ancien Régime, der sich stets als Angehöriger einer ›nationale‹ Begrenzungen weitgehend ignorierenden europäischen Fürstengesellschaft zugehörig gefühlt hatte. Allenfalls scheint der Brandenburg-Bezug im dynastischen 5 Vgl. hier nur Kunisch 2004. – Bringmann 2006. – Heinrich 2009. – Luh 2011. 6 Vgl. u.a. Hahn 2007. – Bömelburg 2011. 7 Heinrich 2001.

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Denken des Königs auf. Die in den 1740er Jahren von Friedrich verfassten »Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg« geben einen vielsagenden Einblick in diese Vorstellungswelt. Darin fand sich aber kaum eine Auslassung über die Landschaft oder eventuelle Eigenarten der Brandenburger.8 Dennoch können wir davon ausgehen, dass Friedrich schon als Kronprinz die Mark Brandenburg von allen Provinzen des künftig von ihm zu regierenden Königreiches am besten vertraut war. Hier lagen die wichtigsten Schlösser der Berlin-Potsdamer Residenzlandschaft, die der Kronprinz seit seinen Kindheitstagen kannte. Neben Potsdam waren Aufenthalte der königlichen Familie im Berliner Stadtschloss, in Monbijou, Charlottenburg und in dem – von ihm und seinen Geschwistern eher ungeliebten – Schloss in Königs Wusterhausen an der Tagesordnung.9 Auch während der Ruppin-Rheinsberger Jahre kam der Kronprinz mehrfach nach Potsdam bzw. Berlin, um den Vater und die anderen Familienmitglieder zu sehen. Mehrere Reisen wurden auch in die entlegeneren Teile der Mark unternommen, im Sommer 1737 besichtigte Friedrich zum Beispiel in Begleitung eines alten Cornets das Schlachtfeld von Fehrbellin.10 Der alte König legte allerdings darauf Wert, dass der Thronfolger auch die anderen Provinzen persönlich kennenlernte. Mehrere Reisen hatte Friedrich deshalb seit der Mitte der 1730er Jahre nach Pommern, Ostpreußen, in das Magdeburger Land, seltener hingegen in die niederrheinischen Provinzen unternommen. Im Zusammenhang mit den Besuchen der königlichen Familie in Dresden wurden die südlichen Gefilde der Mark durchquert, und der Kronprinz dürfte vielleicht damals schon ein Gespür für die – aus militärischem Kalkül heraus bedenkliche – Nähe der Residenz zur kursächsischen Grenze entwickelt haben. Auch wenn die Auffassung des bekanntlich Friedrich sehr kritisch gegenüberstehenden Biografen Wilhelm Bringmann vielleicht zutreffend erscheinen mag, wonach »keine Äußerung von ihm überliefert [sei], in der er so etwas wie Liebe zu Preußen als seiner Heimat, zu seinen Menschen, einer Landschaft oder irgendeinem anderen Detail seiner Provinzen geäußert hätte«, können wir dennoch davon ausgehen, dass der König über detaillierte Kenntnisse über Land und Leute verfügte.11 Dies hatte man wohl fast zwangsläufig von einem Monarchen zu erwarten, der mit seiner ›Allwissenheit‹ und ›Allgegenwart‹ doch so zu kokettieren schien. Gleichwohl man solchen Selbststilisierungen heute vielleicht kritischer gegenüberstehen mag, erstaunt es doch immer wieder beim Durchmustern der zu Tausenden erhaltenen Kabinettsordren und Minüten, wie groß das Personengedächtnis Friedrichs, vor allem natürlich gegenüber einigen Amtsträgergruppen und den Offizieren, gewesen sein muss. Dass ihm bei seinen in den späteren Lebensjahren zunehmend zur Routine

8 Vgl. Volz 1912. 9 Vgl. zu den Reisen Friedrichs, auch nach seinem Herrschaftsantritt, die Zeittafel in Heinrich 2009, S. 401–465. 10 Vgl. Berney 1934, S. 69. 11 Bringmann 2006, S. 631.

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erstarrenden ›Revue-Reisen‹ mitunter Fehler unterliefen, wird man natürlich zu berücksichtigen und neben dem zunehmenden Alter auch der permanenten Zunahme der Verwaltungsgeschäfte zuzuschreiben haben.12 Nun könnte bei einem kritischen Blick auf die Titel der in diesem Band vereinigten Aufsätze durchaus der Eindruck entstehen, dass hier vielleicht nostalgische Stimmungen gepflegt werden sollten. Denn solche Themen, wie der sich gegenüber den Einwanderern höchst ›tolerant‹ erweisende Landesherr, der sich um ein für damalige Verhältnisse weit entwickeltes, an der Aufklärung orientierendes Rechtssystem bemühende Herrscher, der sich durch eine ausgeklügelte Personalpolitik und dank eines hocheffizienten Kontrollsystems als ›allgegenwärtiger König‹ inszenierende Monarch und nicht zuletzt der den Kartoffelanbau in seinen Landen durchsetzende König – dies alles hätte gleichwohl schon einen Tagungsband zum 200. Geburtstag des Preußenkönigs, also vor einhundert Jahren, schmücken können. Aber gerade weil diese Topoi bis heute die Erinnerung an das Wirken dieses Königs im populären Bewusstsein so nachhaltig bestimmen, erschien es uns angebracht, hier anzusetzen und scheinbare Gewissheiten zu überprüfen bzw. überhaupt erst einmal durch die Auswertung archivalischen Quellenmaterials Neuland zu betreten. Den Autoren sei gedankt, sich auf dieses Wagnis eingelassen zu haben. Das Resultat fällt, wie wohl nicht anders zu erwarten war, ambivalent aus. Der gewiss nicht kleinen Schar von Friedrich-Begeisterten sei gleich an dieser Stelle zur ›Beruhigung‹ eröffnet, dass es nicht das Anliegen der Tagung war und auch nicht dieses Bandes ist, in einer Art von ›Bilderstürmerei‹ den ›Helden‹ vom Sockel zu stoßen. Vielmehr ging es uns darum, zwar keine unkritische, wohl aber weitgehend realitätskonforme und damit verständnisvollere Interpretation ausgewählter Bereiche der friderizianischen Herrschaftspraxis vorzunehmen. Dabei wurden durch die Autoren verschiedene Perspektiven gewählt: Zum einen bot es sich an, den Blick des Königs auf bestimmte Bereiche der Gesellschaft als Ansatzpunkt zu wählen, zum anderen erschien für manche Themen das umgekehrte Vorgehen sinnvoller. So wurde danach gefragt, wie die verschiedenen Bevölkerungsgruppen das Agieren ihres Herrschers wahrnahmen bzw. welche Erwartungen sie ihm gegenüber bekundeten. Bei der Konzipierung der Tagungsreferate und der zusätzlich in diesen Band aufgenommenen Aufsätze wurde darauf Wert gelegt, einen möglichst breiten und damit repräsentativen Blick auf die brandenburgische Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu bieten. Die königlichen Amtsträger und Offiziere zählten ebenso dazu wie der Adel und die Stadtbürger als wichtige Gruppen der damaligen Ständegesellschaft. Ebenso fanden mit den Hugenotten eine bedeutsame Einwanderergruppe und – vermittelt über die Domänenämter – ein Teil der Bevölkerung in der ländlichen Gesellschaft ihre gebührende Berücksichtigung. Ohne im Folgenden die einzelnen Beiträge in extenso vorzustellen, sei an dieser Stelle nur auf einige wenige Facetten der friderizianischen Herrschaftspraxis aufmerksam gemacht, die sich – abstrahierend aus den Einzelfällen – von 12 Belege dazu in Hinrichs 1940, S. 133.

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allgemeingültiger Bedeutung erweisen und zudem durchaus auch neue Einsichten vermitteln können. Wenig überraschend erscheinen die in fast allen Aufsätzen immer wieder vorgeführten Fälle, die die zum Teil große Kluft zwischen den in den königlichen Kabinettsordren und Edikten formulierten Zielen und deren Umsetzung vor Augen führen. Erstaunen mag allerdings hervorrufen, dass diese Diskrepanz selbst für jene Bereiche beobachtet werden kann, für die das Durchsetzungsvermögen des Königs ansonsten in besonders einprägsamer Weise reklamiert wurde: die Personalpolitik in der Verwaltung und im Militär. Aber hier kamen letztlich jene Mechanismen zum Tragen, die schon des Öfteren als paradigmatisch für die Funktionsweise der alteuropäischen Gesellschaft beschrieben worden sind13, unbestritten der Tatsache, dass der König durchaus eine ›glückliche Hand‹ bei der Besetzung führender Chargen hatte. Jedoch blieb auch der Staat Friedrichs des Großen im starken Umfang durch jene auf Freundschaft, Verwandtschaft und Gunsterweisen beruhenden Netzwerke geprägt, deren Vorhandensein zugleich zur Vorsicht mahnt gegenüber einer allzu zeitigen Annahme einer ›modernen‹ Herrschaftspraxis. Bekanntlich sind in den letzten beiden Jahrzehnten erhebliche Zweifel an früheren Gewissheiten über das Funktionieren des ›absolutistischen‹ Staates aufgekommen, auch in seiner ›aufgeklärten‹ Variante.14 Ohne dass nun in diesen Beiträgen dieses Problem in explizit theoretischer Form aufgegriffen worden wäre, bieten die von den Autoren vorgestellten Befunde dennoch eine Vielzahl von Belegen, die anschaulich die Grenzen, aber durchaus ebenso die aufscheinende Modernität des damaligen herrschaftlichen Handelns zeigen. Unser Verständnis über das Funktionieren des ›Staates‹, über die Interaktion zwischen landesherrlichen Behörden und den kleinen Lebenswelten in Stadt und Land ist um etliche Facetten reicher geworden. Zugleich haben die sich diesen Themen zuwendenden Beiträge noch einmal eindrücklich die Bedeutung des »Regionalismus des Dienens« bei der Rekrutierungspraxis der Amtsträgerschaft und des Offizierskorps ins Bewusstsein gerufen.15 Reibungsverluste lagen schließlich im Regierungssystem selbst begründet. Dieses war auf den Herrscher zugeschnitten, was zu ambivalenten Konsequenzen führen konnte: Man erwartete von Friedrich Anordnungen auch in solchen Fällen, in denen eine eigenverantwortliche Initiative dem Vorantreiben des Projekts förderlicher gewesen wäre. Dass zudem Eingriffe des Königs in die eingespielten Kompetenzhierarchien kontraproduktive Wirkungen entfalten konnten, dafür bildete nicht nur der Fall des Müllers Arnold ein besonders einprägsames Exempel. Auch die Erreichbarkeit für den einfachen Untertan, bekanntlich ein besonders beliebtes Versatzstück der Legendenbildung, besaß seine Kehrseite.16 So musste der König hinnehmen, selbst

13 Vgl. dazu die Beiträge des Sammelbandes von Meumann/Pröve 2004. 14 Vgl. hierzu jüngst die die Forschungskontroversen zu diesem Thema instruktiv zusammenfassende Studie von Freist 2008. 15 Neugebauer 2001, S. 69. 16 Vgl. hierzu die bekannte Edition von Hinrichs 1940.

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in gewisser Beziehung kontrolliert zu werden. Eine geradezu paradigmatische Fallstudie dazu bietet der Beitrag von Vinzenz Czech, der die argwöhnische Beobachtung der Supplikanten durch die lokalen Amtsträger während der Inspektionsreisen des Königs beschreibt. Des Weiteren stößt man bei der Beurteilung des königlichen Anteils an der Durchsetzung des Kartoffelanbaus, eines der sicher bis heute am populärsten verbreiteten Facetten der auf die friderizianische Zeit bezogenen Erinnerungskultur, auf solche Erscheinungen. Zwar sind hierzu recht viele Anordnungen Friedrichs II. überliefert, der Effekt hielt sich aber zunächst in Grenzen – vor allem in jenen eher peripher gelegenen Provinzen, in denen entweder aufgrund des geringen Anteils von Domänenbesitzungen oder des traditionell größeren Beharrungsvermögens der Stände ein größerer Druck ausgeübt werden musste. Gegenüber dem Maulbeeranbau hatte Friedrich der Große zudem viel mehr ›Herzblut‹ aufgebracht. Dennoch hatte sich das Projekt in der Zentralprovinz, wo diese Kulturpflanze im Übrigen schon lange vor seiner Regierungszeit bekannt war, zu einer ›Erfolgsgeschichte‹ entwickelt. Deutlich wird des Weiteren, dass bei den vom König, aber auch von Seiten der Bürokratie initiierten Reformen immer wieder ein Motiv aufschien, das quasi als übergreifendes Strukturmerkmal für das Funktionieren des friderizianischen Staates gelten musste: Das Zurechtkommen mit der latenten Ressourcenknappheit! Das Getreide, das zum Beispiel für die Armeeversorgung dringend benötigt wurde, sollte durch den vermehrten Kartoffelkonsum eingespart werden. Mehrere Beiträge führen auch in exemplarischer Weise das Ineinandergreifen von königlichen Vorstellungen und den der damaligen Gesellschaft innewohnenden Tendenzen zur Eigeninitiative vor. Solche Impulse konnten in verschiedener Form daherkommen, wie etwa in den Studien zur Domänenpolitik, zum Städtewesen, aber auch zum Bildungs- und Forstwesen gezeigt wird. Hier sei zugleich auch an die vielen Quellenbelege in dem umfänglichen Werk von Lieselott Enders erinnert, die immer wieder auf solche »Aktionsräume« der ländlichen und städtischen Bevölkerung verwiesen hatte.17 Und ebenso zählt die in mehreren Beiträgen thematisierte Resistenz von Teilen der Bevölkerung, bis hin zu offener Opposition, dazu. Gerade gegenüber dem Adel wich Friedrich mehrfach von seinen ursprünglichen Zielen ab. Letztlich zeigte sich hier der sozialkonservative Grundzug seiner Politik in besonderer Weise. Sicher sollte in seinem Staat »jeder nach seiner Facon leben«; dies schloss aber nach seinem Verständnis ein, dass jeder auch in seinem Stand zu verbleiben hätte. Die ja durchaus erkennbaren Zeichen der Zeit nach einem Aufbrechen der Standesschranken werden ihm zwar nicht verborgen geblieben sein, zogen aber letztlich keine Konsequenzen für eine Korrektur seiner gesellschaftspolitischen Vorstellungen nach sich. Die damit in den Fokus geratene zeitliche Einordnung der Politik Friedrichs des Großen als Landesherr führt uns ferner das Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Neuansätzen vor Augen, in dem sie gestanden hatte. Während dieser König in der Adels- oder Domänenpolitik durchaus neue Akzente setzte, stand etwa seine 17 Repräsentativ vgl. hier nur Enders 1995.

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Städtepolitik, aber auch die Förderung der Einwanderung und der Infrastrukturmaßnahmen ganz in der Tradition seines Vaters. Dank des über die märkischen Grenzen gerichteten Blickes können einige der in diesem Band zu Wort kommenden Autoren der friderizianischen Herrschaftspraxis schärfere Konturen verleihen. Hier in der Zentralprovinz wurden viele der königlichen Projekte schneller und in markanterer Form umgesetzt als anderswo, was insofern nicht verwunderlich erscheint, als sich ja in der Mark Brandenburg die zentralen Verwaltungsbehörden und auch der im gesamtstaatlichen Vergleich größte Teil des königlichen Domänenbesitzes konzentrierten. In mehrerer Hinsicht galt diese Provinz als ›Versuchsfeld‹ für einige Reformvorhaben. Zugleich wird in einigen Studien überdies vorgeführt, dass es mitunter große regionale Unterschiede bei der Umsetzung bestimmter politischer Vorhaben des Königs in den einzelnen Provinzen, aber auch in der Mark Brandenburg selbst geben konnte. Diese ›Ausflüge‹ über den Tellerrand der märkischen ›Streusandbüchse‹ dürften zugleich noch einmal ein schon des Öfteren formuliertes Forschungsdesiderat in Erinnerung rufen, angesichts der Tatsache, dass zu einigen Aspekten der Politik Friedrichs des Großen das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Die Forderung nach einer dem Prinzip des »sine ira et studio« verpflichteten Bewertung seiner Leistungen kann letzten Endes ebenso wie die Benennung der Defizite seiner Herrschaftspraxis erst durch einen konsequent komparativen Ansatz eingelöst werden. Zum Schluss bleibt es mir eine angenehme Pflicht, mich bei all denen zu bedanken, die nicht nur zur Fertigstellung dieses Bandes, sondern auch zum Gelingen der dieser Publikation zugrunde liegenden Tagung im Oktober 2011 beigetragen hatten. Dazu zählen die Mitglieder der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V., die die Durchführung der Konferenz mit ihrem ehrenamtlichen Engagement unterstützt hatten, ebenso wie die Brandenburgische Historische Kommission e.V., dessen Vorsitzender Herr PD Dr.  Klaus Neitmann sich bereit erklärt hat, den Tagungsband in die Schriftenreihe der Kommission aufzunehmen. Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte erwies sich wie immer als angenehmer Gastgeber, wofür dem gesamten Team mit seinem Direktor, Herrn Dr. Kurt Winkler, Dank gesagt werden soll. Herrn Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan bin ich verbunden, dass wir seinen mit großer Resonanz aufgenommenen Abendvortrag über das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Brandenburg und Sachsen auf künstlerischem Gebiet während der Regierungszeit Friedrichs des Großen in diesen Band aufnehmen konnten. Bei der redaktionellen Vorbereitung des vorliegenden Sammelbandes unterstützte mich in lobenswerter Weise meine studentische Hilfskraft, Herr Felix Engel. Zu ­danken habe ich auch Herrn Frank Böttcher und seinem Team vom Lukas Verlag für die zuverlässige Zusammenarbeit, die letztlich das rasche Erscheinen des Bandes möglich gemacht hat. Über den wissenschaftlichen Ertrag des Bandes hat das Lesepublikum zu entscheiden, und auch darüber, ob dieser angesichts der kaum noch übersehbaren Fülle an Veröffentlichungen im ›Friedrich-Jahr‹ eine längerfristige Wirkung auf die Forschung entfalten wird. Einführung

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Quellen und Literatur Asch 1993: Asch, Ronald G.: Der Hof Karls I. von England. Politik, Provinz und Patronage. 1625–1640 (= Norm und Struktur, Bd. 3), Köln 1993. Berney 1934: Berney, Arnold: Friedrich der Große. Entwicklungsgeschichte eines Staatsmannes, Tübingen 1934. Bömelburg 2011: Bömelburg, Hans-Jürgen: Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen. Ereignis- und Erinnerungsgeschichte (=  Kröners Taschenausgabe, Bd.  331), Stuttgart 2011. Bosbach 1997: Bosbach, Franz: Mehrfachherrschaften im 17. Jahrhundert, in: Lindgren, Uta (Hg.): Naturwissenschaft und Technik im Barock. Innovation, Repräsentation, Diffusion (= Bayreuther Historisches Kolloquium, Bd. 12), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 19–35. Bringmann 2006: Bringmann, Wilhelm: Friedrich der Große. Ein Porträt (= Sachbuch), München 2006. Enders 1995: Enders, Lieselott: Individuum und Gesellschaft. Bäuerliche Aktionsräume in der frühneuzeitlichen Mark Brandenburg, in: Peters, Jan (Hg.): Gutsherrschaft als soziales Modell. Vergleichende Betrachtungen zur Funktionsweise frühneuzeitlicher Agrargesellschaften (= Historische Zeitschrift, N.F., Beiheft 18), München 1995, S. 155–178. Freist 2008: Freist, Dagmar: Absolutismus (= Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2008. Hahn 2007: Hahn, Peter-Michael: Friedrich der Große und die deutsche Nation. Geschichte als politisches Argument, Stuttgart 2007. Heinrich2001: Heinrich, Gerd: Friedrich der Große. Brandenburger und Preuße, in: Bah­ ners, Patrick; Roellecke, Gerd (Hg.): Preußische Stile. Ein Staat als Kunststück, Stuttgart 2001, S. 274–293. Heinrich 2009: Heinrich, Gerd: Friedrich II. von Preußen. Leistung und Leben eines großen Königs, Berlin 2009. Hinrichs 1940: Hinrichs, Carl (Hg.): Der allgegenwärtige König. Friedrich der Große im Kabinett und auf Inspektionsreisen. Nach teils unveröffentlichten Quellen, Berlin 1940. Kunisch 2004: Kunisch, Johannes: Friedrich der Grosse. Der König und seine Zeit, München 2004. Luh 2011: Luh, Jürgen: Der Große. Friedrich II. von Preußen, München 2011. Meumann/Pröve 2004: Meumann, Markus; Pröve, Ralf: Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, Bd. 2), Münster 2004. Neugebauer 2001: Neugebauer, Wolfgang: Der Adel in Preußen im 18. Jahrhundert, in: Asch, Ronald G. (Hg.): Der europäische Adel im Ancien Régime. Von der Krise der ständischen Monarchie bis zur Revolution (ca. 1600–1789), Köln/Weimar/Wien 2001, S. 49–76. Press 1988: Press, Volker: Adel im 19. Jahrhundert. Die Führungsschichten Alteuropas im bürgerlich-bürokratischen Zeitalter, in: Reden-Dohna, Armgard von; Meville, Ralph (Hg.): Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, Beiheft 10), Stuttgart 1988, S. 1–19. Rall 1993: Rall, Hans: Kurfürst Karl Theodor. Regierender Herr in sieben Ländern (= Forschungen zur Geschichte Mannheims und der Pfalz, N.F., Bd. 8), Mannheim 1993. Volz 1912: Volz, Gustav Berthold (Hg.): Die Werke Friedrichs des Großen. In deutscher Übersetzung, Bd. 1, Berlin 1912.

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