Freihandelsabkommen kann globalen Arbeitsschutz stärken - DGUV

02.06.2014 - Das Plenum des Europäischen Parlaments hat nunmehr am. 12. März 2014 in erster Lesung mit großer Mehrheit seinen. Standpunkt zum ...
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Nachrichten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung

Juni 2014 Im Gespräch mit Rebekah Smith (BUSINESSEUROPE) und Laurent Vogel (ETUI)

„REFIT ist keine Nebensächlichkeit“ Lesen Sie mehr auf Seite 3

Gesetzliche Unfallversicherung positioniert sich zu TTIP

Freihandelsabkommen kann globalen Arbeitsschutz stärken Themenschwerpunkt

EUROPA Sonderausgabe

Foto: thomaslerchphoto / Fotolia

Freihandelsabkommen kann globalen Arbeitsschutz stärken Seite 1/2 EU-Datenschutzrichtlinie: Europäisches Parlament bestätigt Standpunkt Seite 6 EU-Mehrwertsteuerreform: DGUV gegen die Aufhebung bestehender Befreiungen Seite 7

Ziel des Abkommens ist es, den Handel zwischen der USA und Europa zu erleichtern

Am 23. Mai wurde in Washington die fünfte Verhandlungsrunde über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union abgeschlossen. Dabei ging es unter anderem auch um Regulierungsfragen, Produktstandards, Gesundheits- und Umweltschutz sowie die öffentliche Auftragsvergabe – Themen, von denen auch die gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland betroffen ist. Neben möglichen Risiken sieht die gesetzliche Unfallversicherung in TTIP insbesondere aber auch eine Chance, die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit weltweit zu stärken und der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt Auftrieb zu geben. Die gesetzliche Unfallversicherung befürwortet das Anliegen der EU-Kommission, durch ein Freihandelsabkommen mit den USA den Handel für europäische Unternehmen zu erleichtern und damit das Wirtschaftswachstum zu fördern. Denn dies dient sowohl den Unternehmen in

Deutschland als auch deren Beschäftigten, die über die gesetzliche Unfallversicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten versichert sind. Zugleich erklärt die DGUV in einem Positionspapier, dass TTIP aber nicht dazu führen darf, die Arbeitsschutzstandards in Eu-

ZUM THEMA EU kämpft gegen Schwarzarbeit und für Arbeitnehmerrechte MEDIENECKE INAIL demonstriert Best Practice

ropa zu senken oder die Sozialversicherung zu privatisieren. „Neben der Gefahr durch das Abkommen hohe Schutzniveaus zu senken, besteht mit TTIP aber auch die Chance, den Gesundheits- und Arbeitsschutz weltweit zu stärken“, so Dr. Joachim Breuer, Hauptgeschäftsführer der DGUV. Ein wichtiger Schritt hierbei wäre beispielsweise, dass die USA die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu den Kernarbeitsnormen und die ILO-Erklärung über grundsätzliche Rechte und Pflichten bei der Arbeit anerkennen. Darüber hinaus könnte das Freihandelsabkommen auch dazu beitragen, dass die USA sich verstärkt an der internationalen Normung

Titel

beteiligen. Aus Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung wäre das im Hinblick auf produktbezogene Normen und Zertifizierungsverfahren zu begrüßen.

Produktsicherheit Bereits seit Beginn der TTIP-Verhandlungsrunden weist die gesetzliche Unfallversicherung auf offene Fragen hin, die im Laufe der weiteren Verfahren – möglichst transparent – geklärt werden müssen. So dürfen aus Sicht der DGUV mögliche Vereinbarungen nicht die in der EU und in Deutschland bestehenden hohen Standards und Schutzniveaus im Arbeits- und Gesundheitsschutz gefährden. Dazu gehören unter anderem die Regelungen für Produktanforderungen, die durch Produktnormen konkretisiert werden. Sie müssen eine verlässliche technische Grundlage für alle Partner darstellen. Dies kann nur gewährleistet werden, wenn einheitliche Anforderungen und Verfahren zu vergleichbaren Ergebnissen führen und somit einen fairen Wettbewerb zwischen den Herstellern ermöglichen. „Das US-amerikanische Prinzip der Nachsorge kann nicht gleichberechtigt neben das europäische Vorsorgeprin-

„Es darf weder zu einem transatlantischen Wettbewerb der Systeme noch zu einem Wettbewerb bei den erbrachten Dienstleistungen in der Sozialversicherung kommen.“ Dr. Joachim Breuer (Hauptgeschäftsführer der DGUV) zip gestellt werden“, betont Breuer. „Eine gegenseitige Anerkennung bietet keinen Anreiz, eine gemeinsame Basis zu schaffen – das wäre zum Nachteil der Hersteller aber auch der Verbraucher.“ Besonders großen Wert legt die gesetzliche Unfallversicherung in ihrer Position darauf, dass EU-weite und nationale Regelungen zu Sicherheit und Gesundheit im Betrieb als Teil des sozialen Systems anerkannt und nicht als Handelshemmnis angesehen werden. Denn sichere und gesundheitsgerechte Produkte sowie Arbeitsplätze tragen wesentlich zur Vermeidung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten bei. Breuer: „Es muss ausgeschlossen werden, dass diese Aspekte zu Klagen im Rahmen des InvestorStaat-Streitbeilegungsverfahren führen können.“ Zu Beginn des Jahres wurden die Verhandlungen zum umstrittenen Kapitel

Investitionsschutz ausgesetzt, da die EUKommission eine öffentliche Konsultation durchgeführt hat, deren Ergebnis vor Weiterverhandlung abgewartet wird.

Soziale Dienstleistungen In den TTIP-Runden steht auch der Handel mit Dienstleistungen im Fokus. Hier kommt es darauf an, dass die Verhandlungspartner den besonderen Charakter öffentlicher Dienstleistungen im Blick behalten, da diese im Gegensatz zu privaten Gütern nicht profitorientiert erbracht werden, sondern dem Gemeinwohl dienen. So fordert die DGUV, dass die in den Verhandlungen beschlossenen Regelungen zum öffentlichen Beschaffungswesen und zu öffentlichen Dienstleistungen nicht beeinflussen dürfen, wie Staaten sich und die Sozialversicherung organisieren. „Es darf hierbei weder zu einem transatlantischen Wettbewerb der Systeme noch zu einem Wettbewerb bei den erbrachten Dienstleistungen in der Sozialversicherung kommen“, betont Breuer. Die Unfallversicherung befürwortet in diesem Zusammenhang, die Sozialversicherung und ihre Leistungen eindeutig aus dem Anwendungsbereich von TTIP herauszunehmen. „Es muss klar sein, dass soziale Dienstleistungen keine ‚handelbare Ware‘ sind.“ Vor diesem Hintergrund haben die Sozialversicherungen in Deutschland vereinbart, in Kürze eine gemeinsame Erklärung vorzulegen, um die möglichen Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme deutlich zu machen. Web: www.dguv.de (Webcode: d942371)

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DGUV KOMPAKT | JUNI 2014

Zum Thema

Editorial

EU kämpft gegen Schwarzarbeit und für Arbeitnehmerrechte

Foto: Peter Atkins / Fotolia

Am 14. Januar dieses Jahres hat das Europäische Parlament (EP) mit deutlicher Mehrheit einen Initiativbericht zur Frage effektiver Arbeitskontrollen als Strategie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Europa angenommen. In dem Bericht fordert die Berichterstatterin Jutta Steinruck (MdEP) unter anderem eine enge Zusammenarbeit der nationalen Behörden und Maßnahmen gegen Schwarzarbeit. Auch die Europäische Kommission hat nun eine Initiative gestartet.

Besonders betroffen: die Bauwirtschaft

Neben dem Kampf gegen die zunehmenden Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und für mehr Schutz der Rechte aller Beschäftigten widmet sich der vom EP angenommene Bericht in besonderem Maße dem Thema Schwarzarbeit. Steinruck schlägt hierzu in einem Interview mit DGUV Kompakt (April 2014) bei der grenzüberschreitenden Kooperation „konkret beispielsweise eine Plattform für Arbeitsinspekteure oder ein Frühwarnsystem zwischen den nationalen Behörden bei schweren Verstößen vor“. Im April hat nun die Europäische Kommission die Schaffung einer europäischen Plattform zur Verhinderung und Abschreckung von Schwarzarbeit vorgeschlagen. Die Plattform soll alle Durchsetzungsbehörden zusammenbringen, die mit der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit befasst sind, wie zum Beispiel Arbeitsaufsichtsbehörden, Aufsichtsbehörden im Bereich der sozialen Sicherheit, Steuer- und Migrationsbehörden sowie weitere Interessengruppen, hier insbesondere die Sozialpartner. Die Initiative schließt sich

Erfolg Europa

an eine Sozialpartner-Konsultation der Europäischen Kommission zur Verbesserung der europäischen Zusammenarbeit bei nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit im Jahr 2013 an. Durch die Plattform erhofft sich die EUKommission die bessere Durchsetzung europäischer und nationaler Rechtsvorschriften, insbesondere in den Bereichen Beschäftigung, Arbeitsrecht, Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sowie Koordinierung der sozialen Sicherheit. Die nicht angemeldete Erwerbstätigkeit im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Mobilität soll auch deshalb bekämpft werden, um die Glaubwürdigkeit des Grundrechts auf Freizügigkeit zu wahren. Das Thema ist für die gesetzliche Unfallversicherung von Bedeutung, da auch sie mit dem Problem der Schwarzarbeit befasst ist. Dies gilt vor allem im Zusammenhang mit der Haftung für nicht entrichtete Beiträge, im gesamten Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie mit Blick auf die bestehende behördenübergreifende nationale Zusammenarbeit. Die neue Plattform ist daher vor allem für besonders betroffene Unfallversicherungsträger, beispielsweise der Bau- oder der Fleischwirtschaft, von Interesse. Entsprechend begrüßt die DGUV die Initiative der Europäischen Kommission, da sie dabei helfen kann, Missstände zu erkennen und gemeinsam anzugehen.

Liebe Leserinnen und Leser,

Web: www.dguv.de (Webcode: d2104) Web: www.ec.europa.eu/deutschland > Suche „ Kontrollen gegen Schwarzarbeit“

Ihr

das Jahr 2014 steht ganz im Zeichen Europas. Gerade erst liegt die Europawahl hinter uns – die von der Öffentlichkeit erstmals in hohem Maße wahrgenommen wurde. Was nicht zuletzt mit der Präsenz der Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu tun hatte. Die Europäische Union versucht mehr Bürgernähe zu erreichen, denn das Projekt Europa ist in den letzten Jahren stark ins Stocken geraten. Viele Menschen sehen den Nutzen der EU nicht ein, in der Wahrnehmung regiert die „Brüsseler Bürokratie“. Hierbei wird häufig vergessen, welche Idee hinter dem gemeinsamen Europa steckt – und welch eine Erfolgsgeschichte. Auch für unsere Arbeit. Dass wir heute Versicherten mit polnischem Hintergrund eine wohnortnahe Rehabilitation anbieten können, hätte noch vor einigen Jahren wohl kaum jemand für möglich gehalten. Wer hätte vor vielen Jahren geglaubt, dass Wissenschaftler über Grenzen hinweg gemeinsam Lösungen für sichere und gesunde Arbeitsplätze suchen. Und schaut man sich an, welche sozialen Standards noch vor zwanzig Jahren in vielen europäischen Staaten herrschten, so wird nicht nur der politische Nutzen der europäischen Einigung erkennbar, sondern vor allem auch der für die Menschen. Es lohnt sich also, sich für die Sache Europa zu engagieren und den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.

Dr. Joachim Breuer Hauptgeschäftsführer der DGUV DGUV KOMPAKT | JUNI 2014

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Interview

Im Gespräch mit Rebekah Smith (BUSINESSEUROPE) und Laurent Vogel (ETUI)

„REFIT ist keine Nebensächlichkeit“ Die Europäische Kommission hat am 2. Oktober 2013 eine Mitteilung zum Regulatorischen Eignungs- und Leistungsprogramm (REFIT) veröffentlicht. Darin erläutert sie, inwieweit die EU-Vorschriften einem so genannten „Fitness-Check“ unterworfen werden sollen. Konkret plant die Brüsseler Behörde Rechtsvorschriften auf ihre Effizienz hin zu überprüfen und zu bewerten. Bis Ende 2014 will die Kommission Evaluationsberichte abschließen, die sich unter anderem auf Vorschriften über Chemikalien, die nicht von der Europäischen Chemikalienverordnung REACH erfasst sind, auf die Effizienz von Vorschriften im Bereich Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm sowie Rechtsmittel im öffentlichen Auftragswesen beziehen. In einigen Bereichen will die EU-Kommission ihre Arbeiten fortsetzen, aber derzeit auf die Vorlage eines Vorschlags verzichten: Hierzu zählen Initiativen, die die Sicherheit und Gesundheit von Friseuren am Arbeitsplatz, Erkrankungen des Bewegungsapparates, Bildschirm am Arbeitsplatz, Passivrauchen am Arbeitsplatz sowie karzinogene und mutagene Stoffe, betreffen. Die gesetzliche Unfallversicherung beobachtet die Initiativen aufmerksam, insbesondere im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf ihre Aufgaben, u.a. im Bereich der Prävention. Über das Thema „REFIT“ sprach DGUV Kompakt mit Laurent Vogel vom europäischen Gewerkschaftsinstitut (ETUI) und Rebekah Smith vom europäischen Arbeitgeberverband BUSINESSEUROPE. Herr Vogel, wie bewerten Sie die REFIT-Initiative der Europäischen Kommission? Vogel: Mich erinnert REFIT an die Arbeiten der kanadischen Journalistin und Autorin Naomi Klein. Sie hat untersucht, wie verheerende Ereignisse dazu genutzt wurden, den Menschen eine Politik aufzuzwingen, die gegen die Interessen der Mehrheit gerichtet ist. In Europa wurde die Krise genutzt, um die Deregulierung und einen Sparkurs zu rechtfertigen, die bereits vor der Krise von 2008 voll in Gang gekommen waren. Es ist ein Teufelskreis: Sparpolitik verschärft die Krise – eine zunehmende Krise wiederum schafft den Vorwand für einen Sparkurs. Teilen Sie die Einschätzung von Herrn Vogel? Smith: Nein, diese Einschätzung teile ich nicht. REFIT ist sehr wichtig, um zu erkennen, ob die Gesetzgebung ihre Ziele so erfolgreich und effizient wie möglich erreicht. Das liegt nicht nur im Interesse der Unternehmen, die Menschen beschäftigen, sondern auch der Beschäftigten sowie der Gesellschaft insgesamt. Gesetzgebung muss zweckmäßig sein. Das heißt, dass politische Ziele auf eine angemessene Art und Weise erreicht werden müssen, unter Berücksichtigung der Interessen der Unternehmen sowie der Beschäftigten. Das beinhaltet auch, dass es für Unternehmen machbar sein muss, die Gesetze in die Praxis umzusetzen. Wie sonst können diese ihre Ziele erreichen? Liest man die Mitteilung, so könnte man den Eindruck gewinnen, dass die EU-Kommission ihre Bestrebungen hinsichtlich Deregulierung auch auf den sozialen Feldern, wie also dem Arbeitsschutz, fortsetzt. Was sagen Sie dazu? Smith: Es geht hier um bessere Vorschriften und dabei sollte die EU-Kommission ihre Bemühungen fortsetzen. Dies ist nicht nur auf den sozialen Bereich beschränkt, sondern gilt auch für andere EU-Politikbereiche. Und dies zu Recht. Es geht darum, beim Entwurf von Gesetzgebung Effizienz und Verhältnismäßigkeit zu wahren – aber ebenso auch darum,

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Gesetzgebung rückblickend daraufhin zu überprüfen, ob der Ansatz nach wie vor richtig ist. Der Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten ist nur möglich, wenn Unternehmen die Gesetze anwenden können. Deshalb ist es wichtig, das zu prüfen. Vogel: Sowohl für die Beschäftigten als auch für die Sozialversicherungshaushalte hätten neue Initiativen im Arbeitsund Gesundheitsschutz positive Auswirkungen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen eine große Last. Sogar manche Arbeitgeber stimmen zu, dass die Situation dringend verbessert werden muss. In den zwei Amtszeiten der Kommission unter ihrem Präsidenten José Manuel Barroso hat die eingeschlagene Richtung der Politik eine negative Rolle bei der Schaffung eines sozialen Europas gespielt. Zunehmend formalisierte Kriterien unterwarfen jede neue Gesetzgebung Kosten-Nutzenbasierten Wirkungsstudien. Das Schlagwort lautet ‚Schaffung eines rechtlichen Umfelds, das die Wirtschaft unterstützt‘. Es gibt Stimmen, die kritisieren, dass gerade in gesundheitlich problematischen Bereichen – wie beim Thema Gefahrstoffe oder in Branchen wie dem Friseurhandwerk – nun keine Initiativen mehr folgen sollen. Herr Vogel, welche Auswirkungen kann dies haben? Vogel: Zum ersten Mal seit 1996 hat die EU-Kommission dabei versagt, auf eine gemeinsame Forderung der europäischen Sozialpartner zu reagieren, eine Rahmenvereinbarung in eine Richtlinie zu überführen. Am 2. Oktober 2013 hat Präsident Barroso in einem Fernsehinterview seinen Standpunkt klar gemacht. Er sah keinen Grund, EU-Regeln zum Beispiel im Hinblick auf das Schuhwerk im Friseurhandwerk, einzuführen. Am selben Tag nahm die EU-Kommission eine Mitteilung mit dem Titel REFIT an, in der sie das Einfrieren der Arbeiten an zuvor in Aussicht gestellten neuen Richtlinien zu MuskelSkelett-Erkrankungen und zu einem verbesserten Kampf ge-

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Foto: Jörn Buchheim / ddp images

Es wird vorerst keine Vorschläge mehr geben für ursprünglich geplante Rechtsvorschriften im Friseurhandwerk.

gen berufsbedingte Krebserkrankungen ankündigt. Im Laufe ihrer jetzigen Amtsperiode sollen zudem keine weiteren Vorschläge vorgelegt werden. Arbeitsschutz wird in der Mitteilung der EU-Kommission als großes bürokratisches Hemmnis für die Wirtschaft beschrieben. Frau Smith, sehen Unternehmer dies in heutigen Zeiten wirklich so? Ist dies nicht eher ein Wettbewerbsvorteil, zum Beispiel beim Kampf um qualifizierte Arbeitskräfte? Smith: Die Unternehmen sind der Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz verpflichtet und dafür gibt es auch betriebswirtschaftliche Argumente, so zum Beispiel Geschäftsabläufe zu gewährleisten, hohe Fehlzeiten zu vermeiden oder Fachkräfte zu halten. Betriebswirtschaftliche Argumente bestehen aber nur, wenn die bürokratische Last nicht den Nutzen aufhebt. Ist es vor dem Hintergrund des derzeit vorherrschenden, eher kritischen Europabildes in der Bevölkerung das richtige Signal, soziale Fragen zurückzustellen – also Arbeitsschutz, aber auch eine soziale Agenda insgesamt? Wären die Verantwortlichen in Europa nicht eher verpflichtet, ein nicht nur wirtschaftlich orientiertes Menschenbild zu zeichnen? Vogel: Der Haushalt der Europäischen Union verblasst angesichts der Beträge der nationalen Staatshaushalte. Deshalb sollte als das politische Instrument das Gesetz gewählt werden, wenn man die sozialen Verhältnisse der europäischen Bevölkerung vereinheitlichen möchte. So kann man die Mitgliedstaaten dazu bringen für die Gemeinschaftsziele einzu-

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treten. Es müssen Rechtsvorschriften geschaffen werden, die die EU über eine einfache Freihandelszone hinausbringen. REFIT ist keine Nebensächlichkeit. Die Initiative ist ein allgemeiner Angriff auf die Rechte von Beschäftigten und Verbrauchern sowie auf den Umweltschutz. Smith: In der EU mangelt es weder an Gesetzen zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz noch an einer sozialen Dimension. Europa muss zeigen, dass es sich dem Wachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze verpflichtet hat, denn das ist es, was benötigt wird, um das europäische Gesellschaftsmodell zu erhalten.

Rebekah Smith

Laurent Vogel

Europäischer Arbeitgeberverband BUSINESSEUROPE

European Trade Union Institute (ETUI)

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Foto: bloomua / Fotolia

Meldungen

EU-Datenschutzrichtlinie: Europäisches Parlament bestätigt Standpunkt Die Europäische Kommission hat am 25. Januar 2012 eine umfassende Reform der EU-Datenschutzgesetze aus dem Jahre 1995 angeregt. Ziel ist eine Stärkung der Datenschutzrechte speziell im Online-Bereich und die Schaffung einer Grundlage für den weiteren Aufschwung Europas digitaler Wirtschaft. Das Plenum des Europäischen Parlaments hat nunmehr am 12. März 2014 in erster Lesung mit großer Mehrheit seinen Standpunkt zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Datenschutzverordnung festgelegt. Diese abgestimmte Fassung nach der ersten Lesung bleibt auch nach der Europawahl im Mai 2014 Grundlage der weiteren Verhandlung mit dem Rat. Die Deutsche Sozialversicherung bringt sich in Zusammenarbeit mit dem europäischen Verband European Social Insurance Plattform (ESIP) in den Gesetzgebungsprozess ein. Ihr zentrales Anliegen ist es, die Verarbeitung, Erhebung und Nutzung von personenbezogenen Gesundheitsdaten durch die deutschen Sozialversicherungsträger auch weiterhin nach den Datenschutzbestimmungen des Sozialgesetzbu-

ches (SGB) zu ermöglichen. Trotz des Votums im Europäischen Parlament bleibt ein Grundproblem: Unklare Formulierungen im Verordnungsvorschlag lassen offen, ob und wie die hohen deutschen Datenschutzstandards bestehen bleiben können. Trotz der Zustimmung des EU-Parlaments steht noch nicht fest, wann die Reform umgesetzt werden kann, da die Diskussion im Ministerrat noch nicht abgeschlossen ist. Nach über zwei Jahren Debatte konnten sich die 28 Mitgliedsstaaten bislang nicht auf eine gemeinsame Verhandlungsposition verständigen. Die Verordnung kann nur gemeinsam von Parlament und Rat beschlossen werden. Web: www.deutsche-sozialversicherung.de > Europa > Dokumente und Downloads

Am 10. März haben sich die EU-Mitgliedstaaten auf gemeinsame Empfehlungen zur Qualität von Praktika verständigt. Ziel ist unter anderem sicherzustellen, dass europaweit zentrale Aspekte eines Praktikums schriftlich fixiert werden (unter anderem die Lernziele, Arbeitsbedingungen, eine mögliche Vergütung, die Dauer des Praktikums sowie die Rechte und Pflichten der Beteiligten). Im Hinblick auf die Absicherung von sozialen Risiken sollen die Praktikumsanbieter dazu angehalten werden, klarzustellen, ob von ihrer Seite eine Krankenund Unfallversicherung besteht und wie krankheitsbedingte Abwesenheiten gehandhabt werden. Es bleibt abzuwarten wie sich die Empfehlungen in der Umsetzung in der Praxis auswirken werden. Auch wenn die EUEmpfehlung rechtlich nicht verbindlich ist, wird dadurch auf die Mitgliedstaaten politischer Druck ausgeübt, die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Die DGUV war an der Konsultation zum Thema beteiligt und begrüßt die Einigung auf gemeinsame Empfehlungen. Insbesondere der Verbesserung des Informationsangebotes zur Kranken- und Unfallversicherung im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Praktika wird dabei seit Beginn an eine besondere Wichtigkeit beigemessen.

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Darüber hinaus hat das Europäische Forum Unfallversicherung, an welchem auch die DGUV als Mitglied beteiligt ist, ein Informationstool entwickelt, das den europäischen Unfallversicherungsträgern als Hilfsmittel zur besseren Bewertung des Unfallversicherungsschutzes von Praktikanten in grenzüberschreitenden Fällen dienen soll. Web: www.dguv.de (Webcode: d952490)

DGUV KOMPAKT | JUNI 2014

Illustration: everythingpossible / Fotolia

Praktika: EU einigt sich auf gemein­same Empfehlungen

Auch Napo muss „Den Stress managen“

Web: www.napofilm.net / www.healthy-workplaces.eu

Auslandsentsendung: EU stärkt Arbeitnehmerrechte Der EU-Ministerrat hat am 13. Mai den überarbeiteten Regeln zur Arbeitnehmerentsendung endgültig zugestimmt. Die Durchsetzungsrichtlinie zur Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb der Mitgliedstaaten der EU (Entsenderichtlinie) soll den Arbeitsschutz für vorübergehend ins EU-Ausland entsendete Arbeitnehmer sicherstellen und verbessern. Die Durchsetzungsrichtlinie hat zum Ziel, einen wesentlichen Beitrag zur besseren Umsetzung der Vorschriften in der Praxis zu leisten, insbesondere im Baugewerbe und Güterkraftverkehr. Neben dem besseren Schutz der Arbeitnehmerrechte, sollen unter anderem auch die sogenannten „Briefkastenfirmen“ an der Umgehung nationaler Vorschriften über Sozialversicherung und Arbeitsbedingungen gehindert werden. Nach Veröffentlichung der Regeln im Amtsblatt der EU muss eine Umsetzung in nationales Recht innerhalb von zwei Jahren und 20 Tagen erfolgen. Informationen zur gesetzlichen Unfallversicherung bei Entsendung ins Ausland stellt die DGUV in ihrem gleichnamigen Merkblatt zur Verfügung. Web: www.dguv.de (Webcode: d1308)

DGUV KOMPAKT | JUNI 2014

Foto: spotmatikphoto / Fotolia Bild: Via Storia

Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) hat im April dieses Jahres die neue europaweite Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – den Stress managen“ gestartet, mit der eine Sensibilisierung für arbeitsbedingten Stress und psychosoziale Risiken erfolgen soll. Die Kampagne bietet Beschäftigten und Betrieben Unterstützung und Hilfestellung an und soll den Einsatz praktischer und benutzerfreundlicher Instrumente fördern. Die Durchführung erfolgt in über 30 Ländern, wobei Unternehmen und Einzelpersonen zur aktiven Beteiligung aufgerufen werden. Dafür steht eine Reihe von Materialien in einem Toolkit zur Verfügung. Zur Kampagne passt auch ein neuer Napo-Film, der mehrere psychosoziale Risiken aufgreift und mögliche Reaktionen eines betroffenen Arbeitnehmers unterhaltsam und zugleich lehrreich darstellt. Napo wird von einem Film-Konsortium unter deutscher Federführung produziert. Auch die EU-OSHA beteiligt sich an dem Kreis der Experten aus Frankreich, Italien, Österreich, England, der Schweiz und Deutschland.

EU-Mehrwertsteuerreform: DGUV gegen die Aufhebung bestehender Befreiungen

Auch soziale Dienstleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wären von der Mehrwertsteuerreform betroffen

Ein großer Teil der von den Trägern der Deutschen Sozialversicherung finanzierten Dienst- und Sachleistungen, so auch Gesundheitsleistungen im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung, ist zur Zeit von der Mehrwertsteuer befreit. Eine Aufhebung dieser Regelungen ohne Kompensation würde für die Deutsche Sozialversicherung bei gleichen Leistungen eine Mehrbelastung von rund 34 Milliarden Euro allein im Jahr 2014 bedeuten und somit eine Steigerung des Beitragssatzes um mehr als drei Prozent zur Folge haben. Die DGUV hat sich deswegen mit der Deutschen Rentenversicherung Bund, dem GKV-Spitzenverband und den Verbänden der Kranken- und Pflegekassen an der EU-Konsultation zur Überprüfung bestehender Mehrwertsteuer-Rechtsvorschriften öffentlicher Einrichtungen mit einer gemeinsamen Stellungnahme beteiligt. Die Träger und Verbände der Deutschen Sozialversicherung und so auch die DGUV sprechen sich entschieden dafür aus, den Status quo bei den Mehrwertsteuerbefreiungen sowie den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen beizubehalten; eine Abschaffung der Befreiungen, Ausnahmen und reduzierten Sätze durch die EU wird abgelehnt. Auch die Ministerinnen und Minister sowie Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder (ASMK) haben in ihrer Sitzung am 2. Juni 2014 die Überlegungen der Europäischen Kommission abgelehnt. Sie haben sich dafür ausgesprochen, die derzeit geltenden Mehrwertsteuerbefreiungen für soziale Leistungen sowie die bestehenden Sonderregelungen, wonach bestimmte Tätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen, beizubehalten. Die gesamte Stellungnahme kann von der Internetseite der Deutschen Sozialversicherung bezogen werden. Web: www.deutsche-sozialversicherung.de > Europa > Dokumente und Downloads

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Medienecke

INAIL demonstriert Best Practice Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen – kurz UNBehindertenrechtskonvention (UN-BRK) – trägt als Leitgedanken die Inklusion von Menschen mit Behinderung. Diesem Leit-

gedanken verpflichtet hat die italienische Unfallversicherung Istituto nazionale per l‘assicurazione contro gli infortuni sul lavoro e le malattie professionali (INAIL) ‚Superabile‘ ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um ein integriertes Kontakt- und Informationscenter, welches im Wesentlichen auf einem täglich aktualisierten Internetportal mit einer Viel-

zahl von Informationen und Dokumenten rund um das Thema Behinderung, sowie einer kostenlosen Telefonberatung basiert. Darüber hinaus runden Aktionen und Veranstaltungen zu verschiedenen Schwerpunktthemen das Angebot ab. Über Multimedia-Kanäle wie Web-Radio, Web-TV und soziale Netzwerke werden den Nutzerinnen und Nutzern diverse Wege der Informationsgewinnung und Interaktion zur Verfügung gestellt. Jährlich besuchen rund 3,7 Millionen Nutzer das Internetangebot, mehr als 23.000 Anrufer melden sich bei der Hotline.

Kurzmeldung

Termine

Kritik an Normen für Gesundheitsund Rehabilitationsdienstleistungen Seit der Europäischen Normenverordnung aus dem Jahre 2012 gibt es Normen nicht nur für Produkte, sondern auch für Dienstleistungen. Aktuell plant die Europäische Kommission nun eine EUNormungsverordnung, die auch auf Gesundheits- und Rehabilitationsdienstleistungen angewandt werden soll. Dies bringt einige Probleme mit sich, auf die zahlreiche Vertreter aus Deutschland, darunter auch die gesetzliche Unfallversicherung aufmerksam machen. Bislang haben sich Normungsinstitute wie das Europäische Komitee für Normung (CEN), das Deutsche Institut für Normung (DIN) und auf internationaler Ebene die Internationale Organisation für Normung (ISO) vorwiegend damit beschäftigt, technische Standards zu setzen, beispielsweise für Medizinprodukte, medizintechnische Geräte oder Verfahrensabläufe. Jetzt soll erstmals eine Norm geschaffen werden, die sich auf die Ausübung der Medizin bezieht und unter anderem Qualifikations- und

Web: www.superabile.it / www.inail.it

Qualitätsstandards für ästhetisch-chirurgische Eingriffe vorgibt. Das weckt Befürchtungen, dass die traditionell sehr hohen Standards bei der medizinischen Versorgung in Deutschland geschwächt werden könnten. Darüber hinaus stellt das Vorhaben einen Eingriff der Kommission in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur Ausgestaltung ihrer Gesundheits- und sozialen Sicherungssysteme dar. „Bezogen auf unser System der gesetzlichen Unfallversicherung mit hohen qualitativen Anforderungen auf dem Gebiet der medizinischen Heilbehandlung und Rehabilitation sehen wir diesen Vorstoß kritisch“, so Dr. Joachim Breuer, Hauptgeschäftsführer der DGUV. „Wir verfolgen diese Initiativen mit großer Aufmerksamkeit. Zugleich bringen wir aber auch unsere Erfahrungen und unseren Sachverstand in die Prozesse ein, indem wir uns auf verschiedenen Ebenen an der Erarbeitung gemeinsamer Positionen beteiligen.“

19. – 23. Juli 2014

5th International Conference on Applied Human Factors and Ergonomics

KRAKAU www.ahfe2014.org

24. – 27. August 2014

XX. Weltkongress für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2014

FRANKFURT www.safety2014germany.com

29. September 2014

Arbeit 4.0: Älter – Weniger – Bunter!

HANNOVER www.inqa.de > Service > Termine

27. Oktober 2014

Healthy Workplaces Film Award 2014

LEIPZIG www.osha.europa.eu/de > Wettbewerbe

Kontakt

[email protected] WWW.DGUV.DE/KOMPAKT

IMPRESSUM Herausgeber: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Dr. Joachim Breuer (Hauptgeschäftsführer) Die DGUV ist der Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand Herausgeberbeirat: Dr. Renate Colella (Vorsitz), Udo Diel, Beate Eggert, Prof. Dr. med. Axel Ekkernkamp, Prof. Dr. Bernd Baron von Maydell, Dr. Udo Schöpf, Dr. Franz Terwey Chefredaktion: Gregor Doepke, Dr. Dagmar Schittly, DGUV, Mittelstraße 51, 10117 Berlin Redaktion: Dr. Dagmar Schittly, Kathrin Baltscheit, Franz-Xaver Kunert, Ilka Wölfle (Brüssel) Grafik: Christoph Schmid, www.christophschmid.com Verlag: Helios Media GmbH, Friedrichstraße 209, 10969 Berlin, www.helios-media.de Druck: DCM, Druckcenter Meckenheim