Formen des Klärens - PDFDOKUMENT.COM

EXPLICATIO. Analytische Studien zur Literatur und Literaturwissenschaft. Herausgegeben von Gottfried Gabriel und Rüdiger Zymner. Begründet von Harald Fricke und Gottfried Gabriel ...
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Ausgehend von einer Diskussion der Darstellungsform von Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen, analysiert das Buch die literarisch-philosophischen Darstellungsmittel der Logisch-philosophischen Abhandlung mit den Instrumenten der literarischen Rhetorik. Wittgensteins frühe Form des Klärens lässt die Darstellungsmittel aus der späten Werkphase kontrastiv erkennen. Die Analyse eines Beispiels aus Wittgensteins Nachlass mit strukturalistischen Begriffen verdeutlicht, wie sich die Darstellungsmittel mit einer veränderten philosophischen Auffassung ändern. Dies unterstreicht abermals die philosophische Bedeutung der von Wittgenstein entwickelten Formen des Klärens: Sie zeigen ein klärendes Philosophieren, dessen Verfahren in der Entwicklung von literarischphilosophischen Darstellungsmitteln besteht.

ISBN 978-3-95743-001-4

Erbacher · FORMEN DES KLÄRENS

Ludwig Wittgenstein verstand Philosophie als Praxis: Philosophieren war für ihn das Klären von Verwirrungen, die durch und über die Sprache entstehen. Entsprechend dieser operativen Auffassung entwickelte Wittgenstein literarischphilosophische Darstellungsmittel, die dem Leser sein klärendes Philosophieren zeigen sollten. Dieses Buch stellt solche »Formen des Klärens« als einen durchgängigen Grundzug von Wittgensteins Schriften vor.

EXPLICATIO

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Christian E. Erbacher

FORMEN DES KLÄRENS Literarisch-philosophische Darstellungsmittel in Wittgensteins Schriften

Erbacher · Formen des Klärens

EXPLICATIO Analytische Studien zur Literatur und Literaturwissenschaft

Herausgegeben von Gottfried Gabriel und Rüdiger Zymner Begründet von Harald Fricke und Gottfried Gabriel

Christian E. Erbacher

Formen des Klärens Literarisch-philosophische Darstellungsmittel in Wittgensteins Schriften

mentis MÜNSTER

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Universitätsfonds der Universität Bergen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

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Inhaltsverzeichnis

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Zur gedichteten Philosophie der Philosophischen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

1 2 3

»Ich bin ein zweitrangiger Dichter.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wittgenstein: ein Klassiker der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philosophische Poetizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 26 31

II

Die philosophische Poetizität der Logisch-philosophischen Abhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

A 1 2 3

Bisherige Auffassungen zur Bedeutung der Form der LPA . . . Die Form verschleiert den Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Form zeigt philosophischen Unsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Form fordert ein klares Sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

40 40 48 56

B 1 2 3 4

Die literarisch-philosophische Rhetorik der LPA . . . . . . . . . . Dispositio: abgeschlossene Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . Exordium: eine klare Darstellung des Sagbaren . . . . . . . . . . . . Elocutio 1: klären von und mit Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elocutio 2: klarer Ausdruck und klärende Erläuterung . . . . . .

. . . . .

64 67 72 80 94

III Philosophische Poetizität in Wittgensteins Nachlass . . . . . . . . .

105

1 2 3

Von der Abbildung zur Fallunterscheidung in Ts 212 . . . . . . . . Die Fallbeschreibung als grammatische Figur in Ts 212 . . . . . . . Die Fallbeschreibung als Bedeutungsszenario in Ts 212 . . . . . .

108 117 121

Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 141 143

I

Danksagung

Diesem Buch liegt meine Dissertation zugrunde, mit der ich 2011 an der Universität Bergen (Norwegen) promoviert wurde. Besonderen Dank möchte ich dem Betreuer der Dissertation, Prof. Dr. Alois Pichler, und den Mitgliedern der Prüfungskommission, Prof. Dr. James Conant, Prof. Dr. Thomas Wallgren und Herrn Claus Huitfeldt, aussprechen. Richtungsweisende Gespräche mit Herrn Ralph Jewell und Prof. Dr. Harald Johannessen haben die Arbeit wesentlich beeinflusst. Besonders dankbar bin ich Prof. Dr. Gottfried Gabriel und Prof. Dr. Rüdiger Zymner für die konstruktive und kritische Diskussion des überarbeiteten Textes. Dr. Hans Biesenbach, Sonja Lewandowski und Dr. Christian Schütte danke ich für sprachliche Korrekturen. Der europäischen Kommission, der Universität Bergen, dem Institut für Philosophie und dem Wittgenstein-Archiv an der der Universität Bergen gebührt Dank für das Stipendium, das die Arbeit an der Dissertation im Rahmen des Forschungsprojektes DISCOVERY (Digital Semantic Corpora for Virtual Research in Philosophy) ermöglichte. Die Überarbeitung der Dissertation wurde vom norwegischen Forschungsrat im Rahmen des Forschungsprojektes Shaping a domain of knowledge by editorial processing: the case of Wittgenstein’s work (NFR 213080) gefördert. Der Druck wurde durch den Universitätsfonds der Universität Bergen unterstützt.

Einleitung

Ludwig Wittgenstein (1889–1951) hat zeit seines philosophischen Lebens Philosophie nicht als feststehendes oder fest zu errichtendes Lehrgebäude verstanden, sondern als eine Praxis. Philosophieren war für ihn das Klären von Verwirrungen, die durch und über die Sprache entstehen. Das natürliche Medium für dieses operative Verständnis des Philosophierens ist das Gespräch. Wittgenstein hat so auch seine Lehrveranstaltungen an der Universität Cambridge als Übungen verstanden, in denen die Tätigkeit eines klärenden Philosophierens vollzogen und am Beispiel gelernt wird. Neben der Ausübung der klärenden Praxis im Gespräch hat Wittgenstein aber auch stets an einer Verschriftlichung seines Denkens gearbeitet. Diese war nicht nur klärendes Selbstgespräch, für das Wittgenstein sein Schreiben durchaus auch hielt, sondern sollte den Lesern sein Philosophieren zeigen. Bei dem Versuch, eine operative Auffassung der Philosophie zu Papier zu bringen, entsteht eine Spannung zwischen der klärenden Praxis im stetigen Fluss des Lebens einerseits und dem statischen Festhalten in der Verschriftlichung andererseits. Dieses »Medien-Problem des Philosophierens« ist keine Neuigkeit. Es ist seit Platons Darstellungen der sokratischen Gespräche und seiner Schriftkritik philosophisch aktuell. Die Frage nach der schriftlichen Darstellungsform des Philosophierens gehört damit zu den Grundproblemen der abendländischen Philosophie. Philosophen sind diesem Problem mit literarischen Mitteln und Formen begegnet, die zeigen, was nicht oder nur ungenügend gesagt werden kann. 1 Einige Autoren schufen Darstellungsformen, die die Praxis des Philosophierens vergegenwärtigen. 2 Wittgenstein gehört in diese Tradition. Wittgensteins philosophisches Klären ist in zweifacher Hinsicht auf die sprachliche Darstellungsform gerichtet. Zum einen vertrat Wittgenstein radikal die Auffassung, dass philosophische Probleme durch sprachliche Darstellungsformen entstehen. Zum anderen sind diese Probleme aber auch durch veränderte Darstellungsformen aufzulösen. Das Problem der sprachlichen Darstellung ist damit sowohl Ausgangs- als auch Zielpunkt von Wittgensteins Denken: Es ist richtig, dass philosophische Probleme als Folgen und 1 2

Vgl. Gabriel, G./Schildknecht, C. (Hrsg.): Literarische Formen der Philosophie. Stuttgart 1990. Vgl. Gabriel, G.: Literarische Formen der Vergegenwärtigung in der Philosophie; in: Erler, M. /Heßler, J. E. (Hrsg.): Argument und literarische Form in antiker Philosophie, Berlin 2013 (= Akten des 3. Kongresses der Gesellschaft für antike Philosophie vom 28. September bis 01. Oktober 2010 in Würzburg), S. 13–32.

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Einleitung

Symptome von Unklarheiten in der und über die Sprache erkannt werden. Wittgensteins philosophisches Klären führt aber nicht nur zur Identifizierung irreführender Darstellungen, sondern besteht auch in der Herstellung neuer, klärender Darstellungsformen, in denen die Unklarheiten beseitigt und damit die philosophischen Probleme aufgelöst sind. Für Wittgenstein ist die Arbeit an der sprachlichen Darstellung also nicht nur Gegenstand einer diagnostischen Untersuchung, sondern auch philosophisch-therapeutische Methode. Wenn dies zutrifft, dann muss ein umfassendes Verständnis von Wittgensteins Schriften deren Darstellungsform einbeziehen. Die Textanalyse hat sozusagen die Körpersprache von Wittgensteins Schriften zu beschreiben und zu erklären, was sie zeigt. Solche Analysen der Form sind für literarische Texte ebenso wie für gesprochene Äußerungen selbstverständlich. Die Anerkennung der philosophischen Bedeutsamkeit der sprachlichen Gestaltung scheint dagegen immer noch problematisch. Ausgerechnet mit der Tradition einer Philosophie, die sich besonders der Aufklärung sprachlicher Feinheiten widmet, ist häufig die Auffassung verbunden, den philosophischen Wert eines Textes allein in seinem propositionalen Gehalt zu sehen. Die philosophische Analyse eines Textes abstrahiert in diesem Verständnis von der konkreten sprachlichen Gestalt zugunsten einer logisch eindeutigen Paraphrasierung von wahrheitswertrelevanten Aspekten; die Darstellungsform eines Gedankens spielt dabei keine Rolle. 3 Diese Einschränkung von Erkenntnis auf Aussagenwahrheit hat Gottfried Gabriel konsequent kritisiert und einen positiven Begriff des Erkenntniswertes literarischer Darstellungsformen entwickelt. 4 Nach Gabriel kann die Rekonstruktion des propositionalen Gehalts zwar den Wahrheitswert von Sätzen darstellen; dies decke aber nicht alle Erkenntnisformen ab. Deshalb fordert Gabriel die Erweiterung des Erkenntnisbegriffs und führt hierzu die Unterscheidung von propositionaler und nicht-propositionaler Erkenntnis ein. Nicht-propositionale Erkenntnis bezeichnet die Erkenntnis, die etwa die sprachliche Darstellungsform eines Textes vermittelt. Die Diskussion sprachlicher Darstellungsmittel sollte demnach Teil der philosophischen Analyse sein, und zwar so, dass die Darstellungsmittel nicht nur als potentiell

3

4

Fricke, H.: Kann man poetisch philosophieren?; in: Gabriel /Schildknecht, Literarische Formen, S. 26–39. Vgl. Gabriel, G.: Bedeutung in der Literatur. Zur Möglichkeit ästhetischer Erkenntnis, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 8, 1983, S. 7–22; Gabriel, G.: Literarische Form und nichtpropositionale Erkenntnis in der Philosophie; in: Gabriel/Schildknecht, Literarische Formen, S. 1–25; Gabriel, G.: Zwischen Logik und Literatur: Erkenntnisformen von Dichtung, Philosophie und Wissenschaft. Stuttgart 1991; Gabriel, G.: Logik und Rhetorik der Erkenntnis: zum Verhältnis von wissenschaftlicher und ästhetischer Weltauffassung. München 1997.

Einleitung

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verschleiernd, sondern als positiv und in eigener Weise erkenntnisstiftend verstanden werden können. Dies ist ein notwendiges Element einer umfassenden Philosophie der Sprache und lokalisiert zugleich einen blinden Fleck der sprachanalytischen Tradition. In diesem Rahmen der Frage nach dem Erkenntniswert von Darstellungsformen in der Philosophie belegt das vorliegende Buch, dass Wittgenstein – der selbst ein Impulsgeber der sprachanalytischen Tradition geworden ist – die klärende Kraft nicht-propositionaler Erkenntnis in allen Phasen seines Werkes als zentral für sein philosophisches Klären angesehen und bei seiner Textgestaltung eingesetzt hat. Wittgensteins Schriften sollen in diesem Sinne als »Formen des Klärens« verstanden werden, d. h. als bewusst gestaltete Darstellungsformen, die die Praxis seines klärenden Philosophierens zeigen. Im Folgenden wird dies als ein Grundzug von Wittgensteins Schriften in der frühen sowie in späteren Phasen seines Gesamtwerks herausgestellt. Wittgensteins Arbeit der frühen Phase mündete in die Logisch-philosophische Abhandlung (LPA). 5 Die späteren Phasen sind dagegen nicht eindeutig mit einem veröffentlichten Text verbunden. Sie erstrecken sich auf Wittgensteins philosophische Arbeit von 1929 bis 1951. Die in dieser Zeit entstandenen Schriften sind umfangreich und weisen ihrerseits zahlreiche Entwicklungsstufen und Bezüge zur Arbeit der frühen Phase auf. Ein Höhepunkt der Arbeit der späteren Phasen wird allerdings in dem Album gesehen, das posthum als Philosophische Untersuchungen (PhU) erschienen ist. 6 Für dieses nahezu vollendete Werk des späten Wittgenstein hat die Auseinandersetzung über die philosophische Bedeutung der Darstellungsform bereits eingesetzt. Daher beginnen die vorliegenden Untersuchungen mit einer Besprechung der Bedeutung der sprachlichen Gestaltung der PhU. Dies geschieht in Teil I. Die dabei vertretenen Standpunkte liefern wertvolle methodische und begriffliche Einsichten und schärfen den Blick für Wittgensteins philosophisches Dichten vom Ende her für den darauf folgenden Teil II. Darin wird eine Analyse der philosophischen Bedeutung der sprachlichen Darstellungsform der LPA durchgeführt. In diesem Frühwerk Wittgensteins sind die Anfänge der Entwicklung seiner literarisch-philosophischen Darstellungsmittel zu beobachten, die von der Forschung bisher weniger beachtet worden sind als die Darstellungsmittel der PhU. Es wird in Teil II daher gezeigt, welche sprachlichen Mittel Wittgenstein in der LPA zur Darstellung seines klärenden Philosophierens einsetzt. Diese von Wittgenstein früh entwickelten schrift5

6

Zuerst erschienen als: Wittgenstein, L.: Logisch-philosophische Abhandlung, Annalen der Natur- und Kulturphilosophie, 14, 1921. Als Erstveröffentlichung gilt allerdings: Wittgenstein, L.: Tractatus Logico-Philosophicus. London 1922. Zuerst erschienen in der zweisprachigen Ausgabe: Wittgenstein, L.: Philosophical Investigations, hrsg. v. G. E. M. Anscombe und R. Rhees. Oxford 1953.

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Einleitung

lichen Formen des Klärens bilden sodann den Hintergrund, vor dem sich die in den späten Phasen seines Schaffens ausreifenden Formen des Klärens kontrastiv erkennen lassen. An einem Beispiel aus einem frühen Abschnitt einer späteren Phase (Wittgensteins Nachlass, Ts 212) 7 wird in Teil III deutlich, dass sich mit einem veränderten Verständnis des philosophischen Klärens auch die Form des Klärens in Wittgensteins Texten ändert. Dies unterstreicht abermals die philosophische Bedeutung der sprachlichen Darstellungsform in Wittgensteins Schriften und damit die Notwendigkeit, sie zu analysieren, um zu einem vollständigen Verständnis dieser Texte zu gelangen.

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Bezeichnungen von Schriften aus Wittgensteins Nachlass folgen: v. Wright, G. H.: Wittgensteins Nachlaß; in: ders.: Wittgenstein. Frankfurt/M. 1986, S. 45–76. Der Nachlass ist veröffentlicht als: Wittgenstein, L.: Wittgenstein’s Nachlass – The Bergen Electronic Edition, hrsg. v. the Wittgenstein Archives at the University of Bergen. Oxford 2000. Einzelne Bemerkungen aus Nachlassteilen werden wird mit den Siglen zitiert, die am Wittgenstein-Archiv an der Universität Bergen während des DISCOVERY-Projektes vereinbart worden sind. Diese setzen sich zusammen aus 1) Angabe des Manuskripts oder Typoskripts gemäß v. Wrights Katalogisierung, 2) Seitenzahl gemäß Wittgenstein’s Nachlass und eventuell der Angabe, ob es sich um eine recto(»r«) oder verso-Seite (»v«) handelt und 3) Rangfolge der Bemerkung auf dieser Seite.

I Zur gedichteten Philosophie der Philosophischen Untersuchungen

1 »Ich bin ein zweitrangiger Dichter.« Bereits im ersten Gedanken des Vorwortes zu den PhU spricht Wittgenstein die außergewöhnliche sprachliche Form seines Buches an: In dem Folgenden veröffentliche ich Gedanken, den Niederschlag philosophischer Untersuchungen, die mich in den letzten 16 Jahren beschäftigt haben. Sie betreffen viele Gegenstände: Den Begriff der Bedeutung, des Verstehens, des Satzes, der Logik, die Grundlagen der Mathematik, die Bewußtseinszustände und Anderes. Ich habe diese Gedanken alle als Bemerkungen, kurze Absätze, niedergeschrieben. Manchmal in längeren Ketten, über einen Gegenstand, manchmal in raschem Wechsel von einem Gebiet zum andern überspringend. 8

Die Bemerkungen, von denen Wittgenstein hier spricht, sind im Text der PhU durch eine fortlaufende Nummerierung gekennzeichnet. Es fällt an ihnen vor allem die Vielfältigkeit ihrer Gestaltung auf: Behauptungen, Erwägungen, Begründungen und Widerlegungen stehen neben Fragen, Bekräftigungen, Ausrufen, Beispielen und bisweilen dialogischen Sequenzen. Diese Vielgestaltigkeit erschwert es, in den PhU eine systematische Erörterung oder die Entwicklung und Verteidigung einer Theorie zu erkennen. Denn weder weist der Text eine explizite Ordnung oder Hierarchisierung seiner Teile auf, die über die durchnummerierte Aneinanderreihung hinausginge, noch ist eine solche unmittelbar aus der Gestaltung der Bemerkungen zu entnehmen. Das systematische Verhältnis der Bemerkungen zueinander ist damit nicht unmittelbar einsehbar und ein geordnetes, vom Autor vertretenes Gefüge von Thesen und Argumenten alles andere als augenfällig. Daher liegt es nahe, von der philosophischen Analyse des Textes eine Ordnung und Explikation der Bemerkungen zu erwarten, so dass die philosophischen Theorien, Thesen und 8

Wittgenstein, L.: Philosophische Untersuchungen; in: Ludwig Wittgenstein Werkausgabe Band 1. Frankfurt/M. 1989, S. 231. Die abschnittsweise Einteilung des Vorwortes in »Gedanken« auf den folgenden Seiten orientiert sich an den Unterteilungen, die Wittgenstein durch Gedankenstriche voneinander trennt. Für eine Erörterung von verschiedenen Entwürfen des Vorwortes siehe: Pichler, A.: Wittgensteins Philosophische Untersuchungen – Vom Buch zum Album. Amsterdam 2004, S. 56–78 und S. 281–282. In der gesamten Arbeit wird in Zitaten aus deutschsprachigen Werken die Rechtschreibung des Originals beibehalten.