Europa und der deutsch-französische Krieg von 1870/1871

Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 .... 14 Koelle, William: Englische Stellungnahmen gegenüber Frankreich in der Zeit vom deutsch- ...
465KB Größe 15 Downloads 192 Ansichten
Jan Hendrik Schmidt

g

Der unterschätzte Krieg Europa und der deutsch-französische Krieg von 1870/1871

disserta Verlag

Schmidt, Jan Hendrik: Der unterschätzte Krieg: Europa und der deutsch-französische Krieg von 1870/1871. Hamburg, disserta Verlag, 2015 Buch-ISBN: 978-3-95425-710-2 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95425-711-9 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015 Covermotiv: © laurine45 – Fotolia.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und die Diplomica Verlag GmbH, die Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Alle Rechte vorbehalten © disserta Verlag, Imprint der Diplomica Verlag GmbH Hermannstal 119k, 22119 Hamburg http://www.disserta-verlag.de, Hamburg 2015 Printed in Germany

Inhalt 1.

EINLEITUNG

7

2.

EUROPA UND DIE URSACHEN DES KRIEGES

15

2.1

Spanien und die Kandidatur der Hohenzollern für den spanischen Thron

17

2.2

Frankreichs Garantieforderung und die „Emser Depesche“

25

2.3

Englands Neutralität

32

2.4

Der casus foederis der süddeutschen Staaten

37

2.5

Russische Rückendeckung für Preußen

41

2.6

Die Sackgasse Österreich-Ungarns

45

2.7

Italiens Neutralität

51

3.

DIE „KRIEGSSCHULDFRAGE“

53

4.

EUROPA WÄHREND DES KRIEGES

63

4.1

Von der Kriegserklärung bis IHVZ

Sedan

63

4.2

Das Problem der Annexion von Elsass und Lothringen

77

4.3

Von Sedan bis zum Waffenstillstand

84

4.4

Die Londoner Konferenz zur Klärung der Pontusfrage

94

4.5

Die Gründung des Deutschen Reiches

102

4.6

Vom Waffenstillstand bis zum Frankfurter Frieden

110

5.

SCHLUSS – EUROPA NACH DEM KRIEG

117

6.

ANHANG

121

6.1

Dokument 1: Die „Emser Depesche“

121

6.2

Dokument 2: Die französische Kriegserklärung an Preußen

123

6.3

Dokument 3: Der Kaiserbrief Ludwigs II. an Wilhelm I.

124

7.

PERSONENVERZEICHNIS

127

8.

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

133

1. Einleitung Obwohl der Krieg von 1870/71 nur zwischen zwei Mächten ausgetragen wurde und seine Dauer verglichen mit anderen Kriegen recht kurz war, hatte er für ganz Europa Folgen, die auf kurze wie lange Sicht ungewöhnlich weit reichend waren. Von 1870 bis heute hat er die Historiker nicht nur in Europa, sondern weltweit immer wieder beschäftigt und dabei immer wieder Anlass zu neuen Interpretationen und Deutungen gegeben. Durch den deutsch-französischen Krieg wurden die Dinge in Europa völlig neu geordnet: Deutschland löste Frankreich als führende Nation, zumindest auf dem Kontinent, ab. Die Gründung des Deutschen Reiches wurde ermöglicht. Zwischen Frankreich und Deutschland entstand ein tiefer Bruch, der erst über 90 Jahre später durch die Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags am 22. Januar 1963 aus der politischen Welt geschafft werden sollte und noch einige Jahre länger brauchte, um aus den Köpfen der beiden Völker zu verschwinden. Das Kaisertum in Frankreich war am Ende und wurde durch die dritte Republik abgelöst. Die Grundlagen des komplizierten Bismarckschen Bündnissystems, das noch für den Ersten Weltkrieg von großer Bedeutung sein sollte, wurden gelegt. Nachdem die französischen Truppen abziehen mussten, wurden Rom und das bis dahin zum Kirchenstaat gehörende Umland zu italienischem Gebiet und Rom zur Hauptstadt Italiens. Die spätere Annäherung zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn, die 1879 zum Zweibund führen sollte, wurde ermöglicht, da für die Monarchie das besiegte Frankreich als Bündnispartner uninteressanter als das Deutsche Reich wurde. Der Krieg warf Probleme wie die Gebietszugehörigkeit Elsass-Lothringens auf, die für lange Zeit Konflikte in Europa bleiben sollten und wie bei dem genannten Beispiel auch noch in den beiden Weltkriegen eine Rolle spielten. Überhaupt legte der Krieg von 1870 Grundsteine für Auslöser gerade des Ersten wie aber auch des Zweiten Weltkrieges, vor allem für das übersteigerte Machtgefühl, vielleicht könnte man auch sagen: für den Größenwahn Deutschlands, der die deutsche Regierung 1914 veranlasste, sich gleich drei europäische Großmächte auf einmal zu Feinden zu machen und diesen Fehler in seiner Konsequenz 1941 gleich noch einmal zu wiederholen. Beide Weltkriege, ihre Ursachen, Ausbrüche, Friedensverhandlungen und Friedensverträge wurden also immer auch durch die Folgen des deutsch-französischen Krieges, den deutsch-französischen Gegensatz und das übergroße Potenzial geprägt, das Deutschland durch den Krieg und die Reichsgründung in 7

Europa entfalten konnte. Soweit hatte sicherlich nicht einmal Bismarck denken können, obgleich er schon im Februar 1870 zu Moritz Busch sagte, dass aus einem Krieg mit Frankreich vier bis fünf werden könnten1. Die Forschung hat sich eingehend und ausgiebig mit dem deutsch-französischen Krieg beschäftigt, vor allem mit seiner Entstehungsgeschichte – dabei im Speziellen mit der Kandidatur der Sigmaringer Hohenzollern für den spanischen Thron, der so genannten „Emser Depesche“ und der „Kriegsschuldfrage“ –, dem Verlauf des Krieges sowie mit der deutschen Reichsgründung. Weitere Publikationen befassen sich mit der Annexion von Elsass und Lothringen oder den europäischen Beziehungen vor bzw. nach dem Krieg. Als Defizit erscheint, dass der gesamteuropäische Kontext dabei nur selten in ausreichendem Maße berücksichtigt wird. Fast immer werden entweder die Zeit vor dem Krieg, der Krieg selbst, die Zeit nach dem Krieg oder einzelne Facetten der Jahre 1870 und 1871 behandelt. In Publikationen, die einen umfassenderen Überblick geben wollen, wird viel zu oft die deutsche Reichsgründung als Epochenschnitt begriffen, wodurch das Thema dieser Studie meistens nur in den letzten oder ersten Kapiteln behandelt wird und dabei nicht selten zu kurz kommt. Ein ausreichendes Verständnis für die Ereignisse und Entscheidungen in Europa in den Jahren 1870 und 1871 kann somit eigentlich nur durch genaue Selektion der Publikationen, ihre intensive Lektüre und eine darauf aufbauende eigenständige Konstruktion erlangt werden. Diese Studie durchleuchtet deshalb die entscheidenden Phasen und Ereignisse des deutschfranzösischen Krieges sowie seine Ursachen und Folgen im europäischen Kontext. Sie behandelt auch Fragen von europäischer Bedeutung, die nur indirekt mit dem Krieg verknüpft sind, wie zum Beispiel die Londoner Konferenz zur Klärung der Pontusfrage, um ein umfassendes Bild der oft unterschätzten Bedeutung des deutsch-französischen Krieges für Gesamteuropa zu entwickeln.

In Kapitel 2 werden zunächst die Ursachen des Krieges herausgearbeitet: Das Aufkommen der Thronfrage in Spanien ab 1868, die Kandidatur der Hohenzollern für den spanischen Thron, deren Bedeutung für Preußen und Frankreich bis zur Julikrise 1870 und beim Kriegsausbruch, einschließlich Bismarcks „Emser Depesche“. Anschließend werden die Ursachen in den europäischen Kontext gestellt und die Entscheidungen und Positionen der für den Krieg wichtigsten europäischen Staaten untersucht, nämlich England, die süddeutschen Staaten, Russland, Österreich-Ungarn und Italien. 1

Vgl.: Busch, Moritz: Tagebuchblätter, 3 Bde., Leipzig 1899, I, S. 7.

8

Grundlegend für dieses Kapitel sind die Quellen, in denen die diplomatischen Vorgänge dokumentiert worden sind. Diese finden sich hauptsächlich in den Origines Diplomatiques2 sowie bei Richard Fester3, Hermann Oncken4 und Robert Henry Lord5. Hinzu kommen die Gesammelten Werke Otto von Bismarcks6. Auch Georges Bonnin7 hatte seinerzeit wesentlichen Anteil an der Veröffentlichung der Quellen, hat sie aber leider allesamt ins Englische übersetzt. Da diese Quellen inzwischen auch im Original greifbar sind, verliert Bonnins Buch heute an Wert. Einige zusätzliche Quellen hat auch Jochen Dittrich8 veröffentlicht, dessen Buch gleichzeitig umfassend die Ereignisse rund um die Thronkandidatur der Hohenzollern schildert. Darüber hinaus sind im Allgemeinen die Veröffentlichungen von Eberhard Kolb9 und Josef Becker10 von großer Wichtigkeit für dieses Kapitel. Die neueste Publikation zum Ausbruch des Krieges stammt von David Wetzel11, lag aber noch nicht in deutscher Sprache vor. Auch für die Abschnitte über die einzelnen europäischen Staaten seien hier die Verfasser der wichtigsten dieser Studie zu Grunde liegenden Werke kurz angeführt: Für Spanien Hans-Otto Kleinmann12, für England Richard Millman13 und William Koelle14, für Russland Dietrich Beyrau15 und Kurt Rheindorf16, für Österreich-Ungarn István Diószegi17 und Heinrich Lutz18 2

Les Origines Diplomatiques de la Guerre de 1870/71. Recueil de Documents publié par le Ministère des Affaires Étrangères, 29 Bände, Paris 1910-1931. 3 Fester, Richard: Briefe, Aktenstücke und Regesten zur Geschichte der Hohenzollernschen Thronkandidatur in Spanien, 2 Bände, Leipzig 1913. 4 Oncken, Hermann (Hg.): Die Rheinpolitik Kaiser Napoleons III. 1863-1870 und der Ursprung des Krieges von 1870/71, 3 Bände, Stuttgart u. a. 1926. 5 Lord, Robert Henry: The Origines of the War of 1870. New Documents from the German Archives, Cambridge (USA) 1924. 6 Bismarck, Otto Fürst von: Die gesammelten Werke, 15 Bände, Berlin 1923-1935. 7 Bonnin, Georges (Hg.): Bismarck and the Hohenzollern Candidature for the Spanish Throne. The Documents in the German Diplomatic Archives, London 1957. 8 Dittrich, Jochen: Bismarck, Frankreich und die spanische Thronkandidatur der Hohenzollern. Die „Kriegsschuldfrage“ von 1870, München 1962. 9 Kolb, Eberhard (Hg.): Europa vor dem Krieg von 1870. Mächtekonstellation – Konfliktfelder – Kriegsausbruch, München 1987. 10 Becker, Josef: Zum Problem der Bismarckschen Politik in der spanischen Thronfrage 1870, in: Historische Zeitschrift 212 (1971), S. 529-607 und ders.: Bismarck, Prim, die Sigmaringer Hohenzollern und die spanische Thronfrage, in: Francia 9 (1981), S. 435-472. 11 Wetzel, David: A Duel of Giants: Bismarck, Napoleon III. and the Origins of the Franco-Prussian War, Madison 2001. Deutsch: Duell der Giganten. Bismarck, Napoleon III. und der deutsch-französische Krieg 18701871, Paderborn u. a. 2005 (noch nicht erschienen). 12 Kleinmann, Hans-Otto: Die spanische Thronfrage in der internationalen Politik vor Ausbruch des deutschfranzösischen Krieges, in: Europa vor dem Krieg von 1870, hg. v. E. Kolb, S. 125-150 13 Millman, Richard: British Foreign Policy and the Coming of the Franco-Prussian War, Oxford 1965. 14 Koelle, William: Englische Stellungnahmen gegenüber Frankreich in der Zeit vom deutsch-französischen Kriege 1870/71 bis zur Besetzung Ägyptens durch England 1882. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Weltkriegs, Berlin 1934. 15 Beyrau, Dietrich: Russische Orientpolitik und die Entstehung des Deutschen Kaiserreiches 1866-1870/71, Wiesbaden 1974. 16 Rheindorf, Kurt: Die Schwarze-Meer-(Pontus)-Frage vom Pariser Frieden von 1856 bis zum Abschluss der Londoner Konferenz von 1871. Ein Beitrag zu den orientalischen Fragen und zur Politik der Großmächte im Zeitalter Bismarcks, Berlin 1925.

9

sowie für Italien Rudolf Lill19. Diese Werke sind in der Regel für die gesamte Studie von Bedeutung. Sie werden im Folgenden bei besonderer Wichtigkeit für einzelne Kapitel nochmals genannt, allerdings nicht mehr als Fußnote angeführt. Kapitel 3 befasst sich mit der „Kriegsschuldfrage“, die für den Krieg von 1870/71 sehr unterschiedlich beantwortet wurde. Es wird zu untersuchen sein, wer wann und warum diese Frage wie beantwortet hat und welche Gründe und vor allem Beweise man dafür sah. Darüber hinaus wird zu klären sein, ob der Begriff „Kriegsschuld“ für den Krieg von 1870 überhaupt angewendet werden kann, und natürlich, ob es überhaupt einen bestimmten Schuldigen für den Krieg gab, und falls ja, wer dieser war. In diesem Kapitel wird ausschließlich die Schuldfrage im Juli 1870 untersucht. Die Variationen der Schuldzuweisungen in Europa im Verlauf des Krieges fließen in die folgenden Kapitel ein. Neben eigenen Überlegungen waren hier vor allem das Buch von Dittrich sowie die Publikationen von Eberhard Kolb20 und Beate Gödde-Baumanns21 maßgeblich für die Darstellung. Kapitel 4 behandelt einerseits in abgegrenzten Unterkapiteln den Kriegsverlauf von der Kriegserklärung bis zum Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871 sowie andererseits drei separate Themenkomplexe, nämlich das Problem der Annexion von Elsass und Lothringen, die Londoner Konferenz zur Klärung der Pontusfrage sowie die vorausgegangene Pontuskrise und die Gründung des Deutschen Reiches. Die Vorgänge und Ereignisse während des deutsch-französischen Krieges werden dabei wiederum in den europäischen Kontext gestellt. Im ersten der drei Unterkapitel über den Kriegsverlauf werden die deutschen Anfangserfolge, die Entscheidungsschlacht bei Sedan, Bismarcks Ziel der Lokalisierung des Krieges und die Bildung der „Neutralenliga“ sowie die europäischen Reaktionen auf die deutschen Siege bis zur Gefangennahme Napoleons III. nach der Kapitulation von Sedan betrachtet. Im zweiten Unterkapitel wird der Kriegsbeendigungsprozess dargestellt, der im Krieg von 1870/71 trotz der eindeutigen militärischen Lage sehr lange dauerte und besonders kompliziert war. Die Eckpunkte

17

der

Darstellung

werden

bilden:

die

Kapitulation

von

Metz,

die

Diószegi, István: Österreich-Ungarn und der französisch-preußische Krieg 1870-1871, Budapest 1974. Lutz, Heinrich: Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches. Europäische Entscheidungen 1867-1871, Frankfurt/Main u. a. 1979 und ders.: Außenpolitische Tendenzen der Habsburger Monarchie von 1866 bis 1870: „Wiedereintritt in Deutschland“ und Konsolidierung als europäische Macht im Bündnis mit Frankreich, in: Europa vor dem Krieg von 1870, hg. v. E, Kolb, S. 1-16. 19 Lill, Rudolf: Aus den italienisch-deutschen Beziehungen 1869-1876, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 46 (1966), S. 399-454 und ders.: Italiens Außenpolitik 1866-1871, in: Europa vor dem Krieg von 1870, hg. v. E. Kolb, S. 93-102. 20 Kolb, Eberhard: Der Kriegsausbruch 1870. Politische Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten in der Julikrise 1870, Göttingen 1970. 21 Gödde-Baumanns, Beate: Ansichten eines Krieges. Die „Kriegsschuldfrage“ von 1870 in zeitgenössischem Bewusstsein, Publizistik und wissenschaftlicher Diskussion 1870-1914, in: Europa vor dem Krieg von 1870, hg. v. E. Kolb, S. 175-201. 18

10

Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Bismarck und der französischen Regierung in Ferrières und Versailles bis zum Abschluss der Waffenstillstandskonvention, die Versuche der Neutralen, auf die Verhandlungen Einfluss zu nehmen, Bismarcks Überlegungen zu einer Restauration des Kaiserreiches sowie die Einschließung von Paris. Das letzte Unterkapitel befasst sich mit den Verhandlungen über den Vorfrieden von Versailles und über den Definitivfrieden von Frankfurt am Main. Außerdem wird die besondere Bedeutung des Pariser Commune-Aufstandes für die Friedensverhandlungen und die öffentliche Meinung in Europa herausgearbeitet. Die für die drei Kapitel über den Kriegsverlauf verwendete Literatur stammt hauptsächlich von Eberhard Kolb22. Sie wurde für die einzelnen europäischen Staaten durch die Veröffentlichungen von Diószegi für Österreich-Ungarn und Russland sowie von Thomas Schaarschmidt23 für England ergänzt. Die Dissertation Schaarschmidts war vor allem für die Beurteilung der öffentlichen Meinung in England von großem Wert. Die Annexion von Elsass und Lothringen wurde zum zentralen Thema und Problem in den Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen. Sie prägte nachhaltig die europäische Stimmung und verursachte in den Jahren nach dem Krieg noch jede Menge Konflikte und Probleme. Das Kapitel wird die Problematik und die Bedeutung der Annexionen für Deutschland, Frankreich und den Rest Europas herausarbeiten. Sie sind so komplex und weit reichend, dass noch Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts eine handfeste Forschungsdiskussion zwischen Walter Lipgens24 und Lothar Gall25 entbrannte, zu der auch Josef Becker26 und Eberhard Kolb27 noch wertvolle Beiträge lieferten. Die von Russland durch die einseitige Kündigung der Pontusklauseln des Pariser Vertrages von 1856 hervorgerufene Pontuskrise stand in engem Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Frankreich und Deutschland, den Waffenstillstandsverhandlungen und Bismarcks Bemühungen, eine Einmischung der neutralen Mächte in die Verhandlungen zu verhindern. 22

Kolb, Eberhard: Der Weg aus dem Krieg. Bismarcks Politik im Krieg und die Friedensanbahnung 1870/71, München 1989; ders.: Der schwierige Weg zum Frieden. Das Problem der Kriegsbeendigung 1870/71, in: Historische Zeitschrift 241 (1985), S. 51-79 und ders.: Der Pariser Commune-Aufstand und die Beendigung des deutsch-französischen Krieges, in: Historische Zeitschrift 215 (1972), S. 265-298. 23 Schaarschmidt, Thomas: Außenpolitik und öffentliche Meinung in Großbritannien während des deutschfranzösischen Krieges von 1870/71, Frankfurt/Main u. a. 1993. 24 Lipgens, Walter: Bismarck, die öffentliche Meinung und die Annexion von Elsass und Lothringen 1870, in: Historische Zeitschrift 199 (1964), S. 31-112 und ders.: Bismarck und die Frage der Annexion 1870. Eine Erwiderung, in: Historische Zeitschrift 206 (1968), S. 586-617. 25 Gall, Lothar: Zur Frage der Annexion von Elsass und Lothringen 1870, in: Historische Zeitschrift 206 (1968), S. 265-326 und ders.: Das Problem Elsass-Lothringen, in: Reichsgründung 1870/71. Tatsachen – Kontroversen – Interpretationen, hg. v. Theodor Schieder und Ernst Deuerlein, Stuttgart 1970, S. 366-385. 26 Becker, Josef: Baden, Bismarck und die Annexion von Elsass-Lothringen, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 115 (1967), S. 1-38. 27 Kolb, Eberhard: Bismarck und das Aufkommen der Annexionsforderung 1870, in: Historische Zeitschrift 209 (1969), S. 318-356.

11

Das Kapitel erklärt die Gründe für den Alleingang Russlands und beleuchtet die Bedeutung von

Pontuskrise

und

Pontuskonferenz

für

den

Kriegsverlauf

und

den

Kriegsbeendigungsprozess sowie für die Beziehungen der europäischen Mächte zueinander. Behandelt wurden die Pontuskrise und die Londoner Konferenz unter anderem bei Beyrau, Schaarschmidt, Diószegi und Kolb. Das aus deutscher Sicht wichtigste und bedeutendste „Nebenereignis“ im Krieg gegen Frankreich war die Gründung des Deutschen Reiches. Natürlich war die Reichsgründung auch durch den Krieg begünstigt worden und gleichermaßen ein erklärtes Kriegsziel Preußens und vor allem Bismarcks gewesen. Gerade aber bei den nichtdeutschen Zeitzeugen fand sie Anfang 1871 nur erstaunlich wenig Beachtung. Das Kapitel zeichnet die Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten nach, befasst sich mit dem Kaiserbrief Ludwigs II. an Wilhelm I. und den verhaltenen europäischen Reaktionen auf die Reichsgründung. Es versucht auch zu erklären, warum ihr in Europa – zumindest zunächst und zum Teil auch nur bei oberflächlicher Betrachtung – nur so wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Für die Beschreibung der Verhandlungen zwischen dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten wurde vor allem der Aufsatz von Karl Bosl28 herangezogen. Die Abhandlungen von Jean-Baptiste Duroselle29, Klaus Hildebrand30 und Helmut Rumpler31 wurden für den europäischen Aspekt ausgewertet. Im Schluss dieser Studie werden einerseits einige der beschriebenen Ereignisse und Vorgänge nochmals bewertet, sofern sie eine Bedeutung für die Nachkriegszeit aufweisen; andererseits wird ein knapper Ausblick auf die durch den Krieg bedingten oder erst ermöglichten Entwicklungen in den Jahren nach dem Krieg gegeben, wie zum Beispiel die Entstehung des Dreikaiserabkommens zwischen Österreich-Ungarn, Russland und dem Deutschen Reich. Eine kurze Bewertung der Besonderheit des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 bildet dann den Abschluss.

28

Bosl, Karl: Die Verhandlungen über den Eintritt der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund und die Entstehung der Reichsverfassung, in: Reichsgründung 1870/71, hg. v. Th. Schieder, S. 148-163. 29 Duroselle, Jean-Baptiste: Die europäischen Staaten und die Gründung des deutschen Reiches, in: Reichsgründung 1870/71, hg. v. Th. Schieder, S. 386-421. 30 Hildebrand, Klaus: Großbritannien und die deutsche Reichsgründung, in: Europa und die Reichsgründung, hg. v. E. Kolb, S. 9-62 und ders.: Die deutsche Reichsgründung im Urteil der britischen Politik, in Francia 5 (1977), S. 399-424. 31 Rumpler, Helmut: Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches, in: Europa und die Reichsgründung, hg. v. E. Kolb, München 1980, S. 139-167.

12

Zum Ende der Einleitung noch einige Anmerkungen zum methodischen und formalen Vorgehen: Die Studie folgt soweit möglich der Chronologie der Ereignisse und gliedert sich in ihr thematisch auf. Höchstes Ziel ist die Darstellung des Verlaufs, der Entscheidungen und der Bedeutung des deutsch-französischen Krieges im gesamteuropäischen Kontext der Jahre 1870 und 1871. Alle fremdsprachigen Zitate wurden entweder im Original in den Text übernommen oder vom Verfasser selbst übersetzt bzw. bei Übernahme einer Übersetzung aus der Literatur dementsprechend kenntlich gemacht. Alle Zitate wurden an die aktuelle Rechtschreibung angepasst. Es wurde versucht, die Argumentation so weit wie möglich auf Quellenzitate zu stützen und Zitate aus der Forschungsliteratur zu vermeiden. Aufgrund der Fülle an historischen Personen, deren volle Namen, Funktionen und Positionen zu Gunsten der besseren Lesbarkeit im Text nur teilweise angeführt werden, wurde der Studie ein Personenverzeichnis angefügt, um etwaigen Unklarheiten oder sogar Verwechselungen vorzubeugen. Im Anhang finden einige der wichtigsten in der Studie behandelten Quellen, nämlich die „Emser Depesche“, die französische Kriegserklärung und der Kaiserbrief Ludwigs II. Im Literaturverzeichnis wurden alle Aufsätze aus Aufsatzsammlungen gesondert angegeben, die im Text zitiert wurden. Die aufgeführten Sammlungen enthalten allerdings noch einige Beiträge mehr, die, wenngleich nicht zitiert, nicht weniger wichtig erscheinen.

13

2. Europa und die Ursachen des Krieges Als Ursachen des Krieges von 1870 werden in der Literatur zumeist die Kandidatur der Sigmaringer Hohenzollern für den spanischen Thron und die so genannte „Emser Depesche“ angeführt. Sicherlich sind diese beiden Ereignisse die Auslöser des Krieges gewesen und auch diese Studie wird sich kritisch mit ihnen auseinander setzen, doch sie sind lediglich die formalen, vordergründigen Ursachen. Hinter ihnen verbergen sich komplexe, nicht immer eindeutige Interessen, persönliche und nationale, die durchleuchtet und als mehr oder weniger kriegsverursachend eingeordnet werden müssen. Eine kurze Betrachtung der Lage, Ziele und Möglichkeiten der französischen wie auch der preußischen Politik und Diplomatie von 1866 bis 1870 führt zu einem besseren Verständnis. Frankreich hatte gehofft, dass ein langer zäher deutscher Krieg Preußen und Österreich so sehr schwächen würde, dass beide Nationen sich an Napoleon wenden müssten, er als überlegener arbiter mundi auftreten könnte, und die Dinge in Europa nach Frankreichs Vorstellungen geordnet würden. Doch durch den preußischen Sieg wurden diese Vorstellungen zunichte gemacht. Königgrätz/Sadowa war für Frankreich und Napoleon eine Niederlage und auch die öffentliche Meinung wertete den Sieg Preußens als Niederlage der Politik Napoleons. Der Verlust seiner Rolle als Schiedsrichter in Europa war eine Demütigung für Frankreich. Der mitteleuropäische Nachbar gewann an Stärke und allein schon der Norddeutsche Bund mit Preußen an seiner Spitze gefährdete die Vormachtstellung Frankreichs, von einem geeinten Deutschen Reich ganz zu schweigen. Die obersten außenpolitischen Ziele Frankreichs bis 1870 waren demnach die Verhinderung einer deutschen Reichseinigung sowie die Behauptung und Festigung seiner Vormachtstellung in Europa. Doch gerade die Gründung des Deutschen Reiches hatte nach 1866 für Preußen und Bismarck oberste Priorität. Die politischen Ziele Frankreichs und Preußens lagen deutlich auseinander. In diesem Konflikt hatte Preußen einen großen Vorteil: Bismarck. Jeder Versuch Frankreichs, in den Jahren von 1866 bis 1870 seine Ziele voranzutreiben, scheiterte letztlich am politischen Können Bismarcks. Dabei wurden dessen Siege zum Teil erst durch diplomatische Ungeschicktheiten der Franzosen möglich, sei es bei der Gründung des Norddeutschen Bundes, der Luxemburgkrise, dem Abschluss der Schutz- und Trutzbündnisse mit den süddeutschen Staaten oder eben auch in der Frage der spanischen Thronkandidatur. In den Jahren von 1866 bis 1870 fand ein ungleich anmutender Kampf statt: Auf der einen Seite Napoleon III., dessen Stellung durch die 1866 verpasste Gelegenheit, durch militärische Intervention der deutschen 15