es lebe der gemeindebau und alle seine höfe

östlich der Favoritenstraße erweitert. Die 50.000ste Wohnung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde fertig- gestellt. Die Architektur litt jedoch sehr unter dem Krieg. Von nun an wurde vor allem in die Höhe gebaut. In den. Fünfzigern entstanden vor allem. Mietblöcke mit kahlen und einheitlich aussehenden Fassaden.
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ES LEBE DER GEMEINDEBAU UND ALLE SEINE HÖFE

FOTO: HARALD JAHN / PICTUREDESK.COM

Die Höfe des Roten Wien, die Notstandsbauten der Nachkriegszeit, die Satellitenstädte der Siebziger – die Wiener Gemeindebauten zeugen vor allem von einem: architektonischer Vielfalt. VON ROBERT ZIFFER -TESCHENBRUCK

Der Sandleitenhof in Wien-Ottakring

» An den dunkelgelben Mauern des Metzleinstalerhofs in Wien-Margareten steht in großen roten Buchstaben: „Erbaut von der Gemeinde Wien im Jahre 1920“. Worte, die knapp 100 Jahre später mehr als 2000 Bauten in derBundeshauptstadtschmücken–in denen gut ein Viertel der Stadtbevölkerung wohnt. Ist man einmal durch das Tor des Baus hindurch, eröffnet sich einem ein grüner Innenhof mit kleinen Wegen. Er erinnert an ein WienderZwischenkriegszeit,daseine Wohnungsnothatte.Heutesinddiese Gebäude aus dem Wiener Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Doch erst recht spät bekamen die Wiener »

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Links: Das Interieur des Sandleitenhofs in WienOttakring Rechts: Torbogen des Reumannhofs in WienMargareten

Die architektonische Vielfalt des ersten Wiener Gemeindebaus: der Metzleinstalerhof in WienMargareten

derne Mainstream in der Architektur setzte“, sagt der Schweizer Architekt undProfessorfürStädtebauanderTU Wien, Christoph Luchsinger. DIE STADT GEHÖRT UNS. In anderen Städten baute man Hochhaussiedlungen oder Plattenbauten – in Wien baute man Höfe. Von außen sehen die Anlagen aus wie Festungen. Große Tore,

Steinmauern,meistvergitterteFenster. Die Besonderheit der Bauten liegt jedoch in den Höfen. Nur rund 20 Prozent der Fläche wurden bebaut. Den Rest benutzte man für Grünflächen und Parkanlagen. Die Rolle des Hofs war sehr wichtig. Die Bewohner sollten hier kommunizieren und durchatmen können. Eine Besonderheit, die es in dieser Konzentration in keiner anderen

Der Reumannhof in Wien-Margareten Rechts oben: der Karl-Marx-Hof in Wien-Heiligenstadt

Stadt gibt. „Ich denke, der Hauptansatz war die Eroberung der Stadt. Wir flüchten nicht aus der Stadt, sondern bauenanihrweiter.DieModernehatin ihrem typischen Kanon immer gesagt: Die bisherige Stadt, besonders die des 19. Jahrhunderts, ist des Teufels. Das muss alles weg und wir öffnen die Stadt mit Zeilenbau. In Wien hat man es anders gemacht.“ Der 1918 verstorbene

Architekt Otto Wagner spielte für die ArchitekturdererstenBauteneinegroße Rolle. Zwei seiner Schüler, Karl Ehn und Hubert Gessner, wurden in der Nachkriegszeit zu den bekanntesten Bauherren der Wiener Höfe. Aus ihren Händen entstanden unter anderem der Karl-Marx-Hof, der Metzleinstalerhof oder der Reumannhof. Tatsächlich hat dieStadtanfangsbegonnen,dieBauten

in Zentrumsnähe zu bauen. Der Margaretengürtel wurde durch die vielen GemeindebautenwiedenMatteottihof oder Reumannhof zur Ringstraße des Proletariats. Erst später verlegte die Stadt ihre Bauten an den Stadtrand. Der Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt, der Sandleitenhof in Ottakring und der Karl-Seitz-Hof in Floridsdorf wurden gebaut. »

1920

1926

1927

1930

1934

1945

Bereits im Ersten Weltkrieg begann die Stadtregierung mit dem Bau des MetzleinstalerhofsinWien-Margareten.Nach dem Krieg wurde der Bau vom Architekten Hubert Gessner weitergeführt und der Metzleinstalerhof 1920 als erster Wiener Gemeindebau zum Teil eröffnet. 1925 wurde er komplett eröffnet.

1923/’24 begann man mit dem Bau mehrerer Höfe rund um den Metzleinstalerhof. In den Jahren 1926 und 1927 öffneten der Matteottihof, Reumannhof, Julius-Popp-Hof und der Herweghof. Der Abschnitt des Margaretengürtels wurde fortan die Ringstraße des Proletariats genannt.

Nach rund zwei bis drei Jahren Bau öffnete Wiens größter Gemeindebau der Nachkriegszeit: Der Sandleitenhof in Wien Ottakring mit fast 1600 Wohnungen. Wohingegen sich die Stadt bis jetzt auf zentrumsnahe Grundflächen konzentrierte, baute man ab den späten Zwanzigern auch viel am Stadtrand.

Am 12. Oktober 1930 eröffnete der damalige Wiener Bürgermeister Karl Seitz einen der wohl bekanntesten Gemeindebauten Wiens: Den KarlMarx-Hof in Heiligenstadt. Mit einer Länge von 1100 Metern ist der KarlMarx-Hof der längste zusammenhängende Wohnbau der Welt.

Eine kurze Bilanz vor dem Zweiten Weltkrieg: In 15 Jahren wurden mehr als 400 Wohnhausanlagen und Reihenhaussiedlungen mit 67.000 Wohnungen von der Stadt errichtet. In den Bau waren rund 400 Architekturbüros involviert. Jeder zehnte Wiener wohnte mittlerweile in einem Gemeindebau.

Eine kurze Bilanz nach dem Zweiten Weltkrieg: Rund 20 Prozent aller Wohnungen wurden im Krieg zerstört. 35.000 Wiener waren obdachlos. Der Wiederaufbau hat begonnen. In den folgenden Jahren folgten vor allem Notstandssiedlungen, die zum Teil aus Schuttmaterial gebaut wurden.

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Höfe in der Architektur Anerkennung. Denn die moderne Architektur konzentrierte sich vor allem auf die Abstraktion, auf Bauhaus, auf heroische Figuren. „Erst Ende der Siebziger wurden die Wiener Höfe ins Bewusstsein geholt und tauchteninPublikationenauf.Die Stilistik der Bauten sprengte einfach jeden Rahmen, den der mo-

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ARCHITEKTONISCHE VIELFALT. Durch dieOrientierunganOttoWagnerentstand in der Zwischenkriegszeit eine gewisse Einheitlichkeit: die Monumentalität, Benutzung der Höfe, Elemente der Herrschaftsarchitektur. Doch blickt man über diese Grundprinzipienhinweg,kannmaninjedem Bau seine Einzigartigkeit finden. „Wie man im Sandleitenhof von Hof zu Hof geführt wird, ist fast schon romantisch. Wie ein architektonischer Spaziergang. Im Gegensatz zu vielen anderen Bauten hat man sich hier nichtanOttoWagner,sondernanCamillo Sitte orientiert. Also viel romantischer und nicht so geradlinig und radikal“,sagtLuchsinger.Geometrische Formen, Mosaike oder Skulpturen an der Fassade, die Ausrichtung der Balkone oder Erker oder die Gestaltung des Innenhofs sind ein paar der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale der Höfe. „Ich würde mal sagen: Keiner der Höfe ist gleich. Die Höfe der ZwanzigerundDreißigersindzwaralle expressionistisch und sehr narrativ gestaltet, doch findet man in den verschiedenen Höfen sehr viele unterschiedlicheElemente.ManhatdorteinegroßeVielfalt“,sagtLuchsinger.Eine Vielfalt, die dann vor allem in der Nachkriegszeit verloren gegangen ist. FUNKTIONALITÄT ALS ANTWORT. Die Ära der klassischen Gemeindebauten der Zwanziger und Dreißiger endete mit dem Zweiten Weltkrieg. 1945 waren mehr als 80.000 Wohnungen zerstört – abermals sind Zehntausende Menschen obdachlos. Der Wiederaufbau hat begonnen und mit der PerAlbin-Hansson-Siedlung in WienFavoritenwirdderersteGemeindebau der Nachkriegszeit errichtet. „Es wurden große Siedlungen gebaut, die einen völlig anderen Charakter verfolg-

ten. Die Per-Albin-Hansson-Siedlung war eine Notstandssiedlung, die aus Schuttmaterial gebaut wurde“, sagtLuchsinger.InderPhasedesWiederaufbaus versuchte man, einen neuen Stil für die Bauten zu finden. Man orientierte sich am Heimatstil oder an der Moderne. Die Per-Albin-HanssonSiedlung zeugte vor allem von Einheitlichkeit und Funktionalität. Letzteres setzte sich als Stil für die nächsten Jahre durch. Das Ende der Höfe des Roten Wiens war gekommen. STADTERWEITERUNG. Ab

Mitte der 50erbisindie70er-Jahrewurdevorallem auf großflächige Siedlungen gesetzt.DieGroßfeldsiedlung,dieTrabrennbahn oder das Schöpfwerk wurden am Rande der Stadt errichtet. „Da istdannallesinternationalisiertworden unddieGemeindebautenhabendentypischen Wiener Charakter verloren. Diese Gebäude könnten ebenso gut in Berlin oder irgendwo in Frankreich stehen“, so Luchsinger. Man knüpfte an die Moderne an und setzte auf Fertigteilbau. Die Großfeldsiedlung in FloridsdorfistbisheuteWiensgrößterGemeindebau. Sie ist in verschiedenen Etappen erbaut worden und so entstand ein Konglomerat von Einfamilienhäusern bis Hochhäusern mit 16 Stöcken.IndenerstenJahrenwaren die Plattenbauten der Siedlung recht geradlinig, danach spielte man etwas mit der Fassade, mit Loggien, hervorstehenden Dächern. Mit diesen großen SiedlungenentstandeneigeneStädtein der Stadt. „Das Konzept gab es ja schon früher, aber war sozusagen das Dogma der Spätmoderne: die Satellitensiedlung. Gerade in Transdanubien, die Trabrennbahn oder die Großfeldsiedlung. Das sind richtige Implantatemitscharfenbisnichtvorhandenen Übergängen. Sowohl »

Links: die Großfeldsiedlung in Floridsdorf Rechts oben: Kirche des HeinzNittel-Hofs in Floridsdorf Rechts unten: Rudolf-Krammer-Hof in Mariahilf

1951

1956

l966

1967

1985

2004

Der erste Wiener Gemeindebau nach dem Krieg wurde eröffnet: Die PerAlbin-Hansson-Siedlung mit gut 1000 Wohnungen westlich der Favoritenstraße im 10. Wiener Gemeindebezirk. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Siedlung im Norden sowie auch östlich der Favoritenstraße erweitert.

Die 50.000ste Wohnung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde fertiggestellt. Die Architektur litt jedoch sehr unter dem Krieg. Von nun an wurde vor allem in die Höhe gebaut. In den Fünfzigern entstanden vor allem Mietblöcke mit kahlen und einheitlich aussehenden Fassaden.

Die Erschließung der Randgebiete im Norden und Süden begann. Vor allem in Transdanubien wurde viel gebaut. Mit der Großfeldsiedlung (Bau von 1966 bis 1971) in Floridsdorf entstand die bis dato größte aus Betonfertigteilen errichtete Gemeindebausiedlung Wiens mit mehr als 5500 Wohnungen.

Immer mehr Großprojekte und Satellitenstädte wurden am Stadtrand gebaut. Eines der größten Projekte war die Siedlung am Schöpfwerk in WienMeidling mit rund 1700 Wohnungen. Sie wurde in Etappen über 13 Jahre hinweg (1967–1980) unter Leitung von Viktor Hufnagl errichtet.

In den 80er-Jahren versuchte man, mit einem postmodernen Stilmix dem Fertigteilbauwesen der 70er entgegenzuwirken. Aus architektonischer Sicht wurde es unspezifisch und zum Teil individuell. Eine der größten Ausreißer dieser Zeit war das Hundertwasserhaus im dritten Wiener Gemeindebezirk.

Nach zwei Jahren Bau öffnete der bis dato letzte Gemeindebau in der Rößlergasse 15 in Wien-Liesing. In der fünfgeschoßigen Wohnhausanlage und denzweikleinenBautenimHofbefinden sich insgesamt 74 Wohnungen. Seither fokussiert sich die Stadt Wien vor allem auf Sanierungsprojekte.

FOTOS: MARTIN GNEDT, ,JOE PESL/PICTUREDESK.COM, HERZI PINKI WIKIMEDIA COMMONS CC BY-SA 4.0

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Am Ende des 20. Jahrhunderts wird es für Luchsinger sehr unspezifisch. „Einen eigenen Charakter haben diese Bauten nicht mehr. Ausnahmen gibt es natürlich immer. Das Hundertwasserhaus ENDE DES GEMEINDEBAUS.

Wiens bis dato letzter Gemeindebau (eröffnet im Jahr 2004) in der Rößlergasse 15 in Wien-Liesing

im dritten Bezirk zum Beispiel. Das ist ein einzigartiger Bau. Aber ab den 90er-JahrenunterscheidensichWohnbautenmeistensnurmehraufgrundder Farbe des Balkons“, so Luchsinger. Der bis dato letzte Gemeindebau wurde 2004 in der Rößlergasse 15 in Liesing eröffnet. Es ist ein grauer Eckbau in L-Form nahe der U-Bahnstation Alterlaa. In seinem Innenhof stehen

„Der Begriff der Wiener Höfe ist ganz klar staatstragend für diese Epoche.“

Christoph Luchsinger, TU Wien

zwei weitere würfelförmige Häuser. Insgesamt gibt es hier 74 Wohnungen.OhnedierotenBuchstabenander Fassade wäre es aber kaum erkennbar, dass es sich um einen Gemeindebau handelt. Auch für den TU-Professor sind vor allem die Bauten aus der Zwischenkriegszeit jene, die Wien beschreiben. Die Höfe, die er gerne herzeigt, wenn er Besuch aus der Schweiz bekommt. „Das sind Gebäude oder besser gesagt Höfe mit Geschichten, mit einer ganz klaren Message. Mich wundert es nicht, dass viele der späteren Bauten auch noch Höfe genannt wurden, obwohl sie gar « keine waren.“ Für weitere Informationen zu dem Thema die Seite mit der Gratis-App „Shortcut Reader“ scannen

in Maria Enzersdorf FOTOS: THOMAS LEDL/WIKIMEDIA COMMONS/CC BY-SA 4.0, ROBERT ZIFFER-TESCHENBRUCK

aus einer sozialen Sicht als auch architektonisch, städtebaulich und wohnbaulich“, so Luchsinger.

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